Sozialgericht Aachen Urteil, 28. Juni 2016 - S 18 SB 114/16
Tenor
Der Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 wird aufgehoben. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Rechtmäßigkeit der Verwerfung eines Widerspruches als unzulässig.
3Bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger wurden mit Bescheid vom 22.05.1997 die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich H festgestellt.
4Über die zuletzt bei dem Kläger getroffenen Feststellungen nach § 69 Abs. 1, 4 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) war dem Kläger durch die Beklagte ein bis Ende des Jahres 2015 gültiger Schwerbehindertenausweis ausgestellt.
5Am 27.01.2015 beantragte sein gesetzlicher Vertreter für den Kläger die Verlängerung des Schwerbehindertenausweises.
6Mit Bescheid vom 05.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2015 traf die Beklagte unter Aufhebung ihres letzten Feststellungsbescheides vom 19.12.2014, der sich zum Nachteilsausgleich H nicht verhielt, die Feststellung, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H bei dem Kläger nicht mehr vorliegen.
7Im folgenden Klageverfahren beim Sozialgericht Aachen (Az. S 12 SB 456/15) wies der Kammervorsitzende darauf hin, dass der Bescheid vom 19.12.2014 keine Feststellungen zum Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H treffe, der angefochtene- insoweit den falschen Bescheid aufhebe. Am 12.11.2015 gab die Beklagte daraufhin ein Anerkenntnis ab. Sie verpflichtete sich, den Bescheid vom 05.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2015 aufzuheben. Dieses Anerkenntnis nahm der Kläger über seinen damaligen Bevollmächtigten zur Erledigung des Rechtsstreites am 19.11.2015 an.
8Zur Ausführung des Anerkenntnisses erließ die Beklagte den Bescheid vom 04.12.2015, mit dem sie feststellte, der Grad der Behinderung des Klägers betrage weiterhin 100. Er erfülle weiterhin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B, H, RF. Unter der Überschrift "Gründe" nahm die Beklagte auf das vorangegangene Streitverfahren Bezug. Es folgte die Überschrift "Ausweis" unter der die Beklagte ausführte: "Die Feststellung, die ich mit diesem Bescheid getroffen habe können sie mit einem Schwerbehindertenausweis nachweisen. Der Ausweis berechtigt sie zusammen mit einem entsprechenden Beiblatt, die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr ohne Kostenbeteiligung und die Kfz-Steuerbefreiung zu beanspruchen. Zum "Ausweisinhalt" hieß es: "Der Ausweis enthält folgende Eintragungen:" ( ). Unter der Kopfzeile "Gültigkeitszeitraum" legte die Beklagte schließlich dar: "Die Gültigkeit des Ausweises ist vom Monat der Ausstellung an bis Dezember 2016 befristet. Kurz vor Ablauf dieser Frist werde ich von Amts wegen prüfen, ob sich die maßgebenden Voraussetzungen geändert haben." Auf Antrag hin werde eine zusätzliche Bescheinigung ausgestellt. ( ) Der Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu einem Widerspruch versehen, der der Hinweis angefügt war, dass der Widerspruch nur insoweit zulässig sei, als die Beklagte selbstständig entschieden und nicht nur die gerichtliche Entscheidung wiederholt habe. Dem Bescheid beigefügt war ein Begleitschreiben, das den Kläger darüber unterrichtete, dass die Zusendung des Schwerbehindertenausweises durch einen externen Dienstleister erfolge, den man am Tag des Bescheiderlasses mit der Herstellung des Ausweises beauftragt habe.
9Dieser Ausweis ging dem gesetzlichen Vertreter des Klägers am 14.12.2015 zu, der daraufhin eine bereits im August 2015 erhobene Untätigkeitsklage (Az. S 12 SB 634/15) in Bezug auf die Bescheidung seines Antrages vom 27.01.2015 auf Verlängerung des Schwerbehindertenausweises für erledigt erklärte.
10Gegen den Bescheid vom 04.12.2015 legte der gesetzliche Vertreter des Klägers am 16.12.2015 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, der Bescheid vom 04.12.2015 entspreche nicht dem im vorangegangenen Klageverfahren (Az. S 12 SB 456/15) angenommenen Regelungsangebot. Der Bescheid weiche bezüglich des Gültigkeitszeitraums von der gerichtlichen Einigung ab. Der Bescheid vermischte zwei Verwaltungsakte, die nicht miteinander zu vermischen seien. Einerseits treffe er eine Regelung im Sinne der gerichtlichen Einigung, andererseits bescheide er den Antrag vom 27.01.2015 auf Verlängerung des Schwerbehindertenausweises über den Dezember 2015 hinaus. Dem Bescheid werde auch bezüglich des kurzen Gültigkeitszeitraums widersprochen. Der Schwerbehindertenausweis habe unbefristet verlängert werden können, und nach Ermessensabwägung auch müssen. Der Bescheid enthalte insbesondere keine Begründung zum Gültigkeitszeitraum. Zuletzt sei der Bescheid unbestimmt, da die Befristung bis "Dezember 2016" ein genaues Datum offenlasse.
11Die Bezirksregierung N. verwarf den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 als unzulässig. Soweit in einem Bescheid etwas geregelt werde, was in einem sozialgerichtlichen Verfahren vorher festgelegt worden sei, könne dies nicht noch einmal mit einem Widerspruch erfolgreich angefochten werden. Diese Konstellation liege vor.
12Hiergegen hat der Kläger über seinen gesetzlichen Vertreter am 09.02.2016 unter Vertiefung seiner Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren Klage erhoben. Über seine Bevollmächtigte hat die Ansicht weiter begründet und zunächst begehrt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 04.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2016 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger einen unbefristeten, jedenfalls einen auf zumindest fünf Jahre befristeten Schwerbehindertenausweis zu erteilen.
13Aufgrund und in der mündlichen Verhandlung richtet sie die Klage zuletzt ausschließlich gegen den Widerspruchsbescheid.
14Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt, den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 11.01.2016 aufzuheben.
15Die Vertreterin der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
16Sie lässt durch die Bezirksregierung N. die Auffassung vertreten, der Bescheid vom 04.12.2015 enthalte keine Regelungen, die über die Ausführung des Anerkenntnisses aus dem Klageverfahren zum Aktenzeichen S 12 SB 456/15 hinausgingen. Zu Recht verwerfe der Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 daher den Widerspruch hiergegen als unzulässig.
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte, die gerichtliche Verfahrensakte und die gerichtlichen Verfahrensakten zu den Aktenzeichen S 12 SB 456/15 und S 12 SB 634/15 verwiesen.
18Entscheidungsgründe:
19I. Nach der Klageumstellung in der mündlichen Verhandlung ist Streitgegenstand ausschließlich die Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2016.
20Diese Umstellung ist keine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sondern eine Beschränkung des ursprünglichen Klageantrages in der Hauptsache, § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG. Die Anfechtung nur des Widerspruchsbescheides stellt gegenüber der vollen Anfechtung ein Minus dar, kein aliud (s. BVerwG, Urteil vom 29. August 1986 – 7 C 51/84 –, Rn. 11, juris = DVBl 1987, 238; VGH München, NJW 1978, 443; vgl. BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 SB 14/97 R –, SozR 3-1300 § 24 Nr 14, Rn. 20).
21II. Die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides ist zulässig.
221. Dass in § 79 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen ist, allein den Widerspruchsbescheid mit einer Anfechtungsklage anzugreifen, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält, steht der Annahme einer solchen Möglichkeit für das sozialgerichtliche Verfahren nicht entgegen (vgl. z. B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig /Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 95, Rn. 3 a ff.; Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl. 2014, § 95, Rn. 12). Hiervon kann der Betroffene insbesondere Gebrauch machen, wenn er durch einen Verfahrensfehler – z. B. das rechtswidrige Verwerfen eines Widerspruches als unzulässig (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. August 2014 – L 19 AS 1105/14 NZB –, Rn. 21, juris) – im Widerspruchsverfahren erstmalig oder – wie hier - gegenüber dem Ursprungsbescheid zusätzlich beschwert wird und der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (vgl. § 79 Abs. 2 VwGO). Die Einheit von Ursprungsbescheid und Widerspruchsbescheid, wie sie in § 95 SGG zum Ausdruck kommt, wird dadurch nicht in Frage gestellt, weil regelmäßig der Ursprungsbescheid inhaltlich oder formell nicht durch den Widerspruchsbescheid geändert ist (so BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 SB 14/97 R –, SozR 3-1300 § 24 Nr 14, Rn. 20 m. w. Nachw.; BSG, Urteil vom 15. August 1996 – 9 RV 10/95 –, SozR 3-1300 § 24 Nr 13, Rn. 14). Die monolithische Verbindung von Ausgangs– und Widerspruchsbescheid bleibt auch bei isolierter Anfechtung des Widerspruchsbescheides bestehen. Die Sachentscheidung über den Widerspruch und damit über den Gegenstand des Ausgangsbescheides ist zu wiederholen oder - wie hier – erstmals zu treffen. Der Ausgangsbescheid löst sich deshalb nicht durch eine isolierte Bestandskraft vom Widerspruchsbescheid.
232. Die Klage richtet sich gegen den richtigen Beklagten. Entsprechend § 78 Abs. 2 VwGO ist die Klage im Falle der isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides zwar auch im sozialgerichtlichen Verfahren bei Klageerhebung gegen die Widerspruchsbehörde bzw. deren Rechtsträger zu richten (Breitkreuz in: a.a.O.; Leitherer, a.a.O., § 92, Rn. 6). Dies gilt jedoch nicht, sofern zunächst der Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides angefochten worden war und die Beschränkung auf die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides erst im Laufe des Klageverfahrens erfolgt. Für diese Fälle gilt § 78 Abs. 2 VwGO nicht und die Ausgangsbehörde bzw. deren Rechtsträger bleibt der richtige Beklagte (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1986 – 7 C 51/84 –, Rn. 11, juris = DVBl 1987, 238; OVG NRW, Urteil vom Februar – 4 A 1243/83; VGH München, NJW 1978, 443; VGH München, BayVBl 1981,470; 1983, 530; Theuersbacher, BayVBl 1978, 19; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 78, Rn. 12 [soweit dies z.T. im Rahmen der Beschränkung im Berufungsverfahren ausgeführt wird, ergeben sich für eine Beschränkung in erster Instanz keine dogmatischen Unterschiede]; a. A. Meissner, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO Band I, Stand 10/2015, § 78, Rn. 44). Dafür sprechen dogmatische Gesichtspunkte. Die Anfechtung nur des Widerspruchsbescheides durch den Adressaten stellt gegenüber der vollen Anfechtung ein Minus, kein aliud dar (s. I. + II 1.; VGH München, NJW 1978, 443 mit weiteren praktischen Argumenten; vgl. BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 SB 14/97 R –, SozR 3-1300 § 24 Nr 14). Zudem würde eine gegenteilige Auffassung - wenig überzeugend - dazu führen, dass eine Beschränkung des Aufhebungsbegehrens auf den verbösernden Teil des Widerspruchsbescheides im Revisionsverfahren nicht mehr möglich wäre, weil der damit verbundene (gewillkürte) Wechsel des Beklagten eine in der Revisionsinstanz gemäß § 168 S. 1 SGG unzulässige Klageänderung darstellen würde (s. BVerwG, Urteil vom 29. August 1986 – 7 C 51/84 –, Rn. 11, juris).
243. Es besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 SB 14/97 R –, SozR 3-1300 § 24 Nr 14).
25Da die isolierte Aufhebung eines Widerspruchsbescheides in aller Regel nicht zu einer Beendigung des Streites in der Sache sondern lediglich zu einem erneuten Tätigwerden der Verwaltung (Erlass eines neuen Widerspruchsbescheides) und unter Umständen sogar zu einem weiteren Klageverfahren führt, sind an das Rechtsschutzbedürfnis einer isolierten Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid besondere Anforderungen zu stellen. Schließlich zielt das eigentliche Rechtsschutzbegehren nicht lediglich auf einen prozessualen Teilerfolg (isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides), sondern auf eine positive Sachentscheidung. Es entspricht indes einhelliger Auffassung, dass bei der Anfechtung von Entscheidungen, die entweder im Ermessen der (Widerspruchs)behörde stehen, einen Beurteilungsspielraum betreffen oder von Zweckmäßigkeitserwägungen abhängen, ein solches Rechtsschutzinteresse in aller Regel ohne weitere Einzelfallprüfung als gegeben anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom 5. November 1975 - VI C 4.74, BVerwGE 49, 307; Leitherer, a.a.O., § 95 Rn. 3e m.w.N; Breitkreuz a.a.O, § 78, Rn. 3). In Rechtsprechung und Schrifttum umstritten ist lediglich, welche Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse bei einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides zu stellen sind, wenn eine gebundene Verwaltungsentscheidung betroffen ist (zur Darstellung: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05. Juli 2012 – L 11 AS 759/11 –, Rn. 29, juris).
26Vorliegend besteht hinsichtlich der begehrten Sachentscheidung ein Beurteilungsspielraum der (Widerspruchs)behörde. Der Kläger strebt endlich eine positive Sachentscheidung in Bezug auf eine längere, mindestens fünfjährige Befristung seines Schwerbehindertenausweises nach § 6 Abs. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) an. Hiernach hat die Behörde die Gültigkeit des Ausweises für die Dauer von längstens 5 Jahren vom Monat der Ausstellung an zu befristen. In den Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, nicht zu erwarten ist, kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden. In Bezug auf die Gültigkeitsdauer des nach § 69 Abs. 5 SGB Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen auf Antrag des Schwerbehinderten zu erteilenden Ausweises steht der Behörde hiernach ein Beurteilungsspielraum zu (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. März 1998 – L 10 SVs 15/97 –, Rn. 19, juris). Denn die Behörde kann über die Gültigkeitsdauer des zu erteilenden Ausweises nach der offen formulierten Vorschrift des § 6 Abs. 2 SchwbAwV nur im Wege einer in die Zukunft gerichteten Betrachtung ungefähr entscheiden, für welchen Zeitraum die durch den Ausweis dokumentierten Feststellungen nach § 69 Abs. 1, 4 SGB IX mindestens vorliegen werden (vgl. die Konstellation BSG, Urteil vom 27. Februar 1992 – 6 RKa 15/91 –, SozR 3-2500 § 116 Nr 2, BSGE 70, 167-177, SozR 3-1300 § 32 Nr 8, SozR 3-1300 § 48 Nr 20, SozR 3-1500 § 54 Nr 10, Rn. 36). Zudem bleibt es ihrer pflichtgemäßen Beurteilung überlassen, wann sie einen festgestellten Grad der Behinderung oder die Feststellung von gesundheitlichen Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche von Amts wegen überprüft und damit die inhaltliche Richtigkeit des erteilten Ausweises zur Disposition stellt.
27Im Falle eines Widerspruches kommt dieser Beurteilungsspielraum der Widerspruchsbehörde zu, die neben der Rechtmäßigkeit der Ausgangsentscheidung auch deren Zweckmäßigkeit zu überprüfen hat, vgl. § 78 Abs. 1 S. 1 SGG, und deren Kontrollbefugnis damit weiter geht als die des Gerichtes (Leitherer, a.a.O.,§ 85, Rn. 4a).
28Soweit die Bezirksregierung N. dennoch einen Eingriff in rechtlich geschützte Interessen des Widerspruchsführers verneint, weil der Tenor des Bescheides nicht laute: "Ihr Grad der Behinderung beträgt bis zum 31.12.2016 100", liegt dies ersichtlich neben der Sache. Denn, dass die Beschwer einer Befristung der Feststellungen nach § 69 Abs. 1, 4 SGB IX nicht tenoriert worden ist, bedeutet nicht, dass der Kläger keinen Anspruch darauf hat, dass die Widerspruchsbehörde über die Befristung des nach § 69 Abs. 5 SGB IX i.V.m. der Schwerbehindertenausweisverordnung zu erteilenden Ausweises in der Sache nach Recht- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheidet.
29III. Die Klage ist auch begründet.
30Entsprechend § 79 Abs. 2 S. 1 und 2 VwGO ist der Widerspruchsbescheid aufzuheben, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. Die Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO sind vorliegend erfüllt.
311. Zu Unrecht weist der Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.12.2015 als unzulässig zurück. Darin ist die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift zu sehen, da dem Kläger eine Sachentscheidung rechtswidrig verwehrt wird (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. August 2014 – L 19 AS 1105/14 NZB –, Rn. 21, juris; Urteil vom 20. November 2013 – L 12 AS 343/13 –, Rn. 19, juris; Beschluss vom 14. Juni 2011 – L 7 AS 552/11 B –, Rn. 5, juris; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Teilurteil vom 30. September 2010 – L 1 AL 122/09 –, Rn. 30, juris).
32Zutreffend ist zunächst die Darlegung des Widerspruchsbescheides, dass ein Widerspruch gegen die Regelungen eines so genannten "Ausführungsbescheides", also eines Bescheides, der die in einem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren vollstreckungsfähig festgelegten Verpflichtungen umsetzt, nicht zulässigerweise erneut mit einem Widerspruch angegriffen werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 18. September 2003 – B 9 V 82/02 B –, Rn. 7, 8, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. März 1998 – L 10 SVs 15/97 –, Rn. 18, juris; SG Köln, Urteil vom 27. Januar 2010 – S 21 SB 35/09 –, Rn. 18, juris).
33Der Widerspruchsbescheid übergeht jedoch, dass der Kläger sich mit seinem Widerspruch vom 16.12.2015 ausdrücklich und gezielt gegen die Teile des Bescheides vom 04.12.2015 wendet, die über die Ausführung des im gerichtlichen Verfahren zum Az. S 12 SB 456/15 abgegebenen Anerkenntnisses (betreffend die Aufhebung des Bescheides vom 05.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2015 mit dem die vormalige Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H entzogen werden sollte) hinausgingen, namentlich die Entscheidung zur Erteilung eines neuen Schwerbehindertenausweises unter Befristung bis Dezember 2016 (vgl. SG Köln, a.a.O).
34In den Darlegungen zum Ausweis und dessen Gültigkeitszeitraum im Bescheid vom 04.12.2015 ist nach dem insofern maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont (vgl. §§133, 157 BGB analog) eine verbindliche Regelung, mithin ein über den Ausführungsbescheid hinausgehender Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X über die Erteilung eines befristeten Schwerbehindertenausweises zu erkennen (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. März 1998 – L 10 SVs 15/97 –, Rn. 18, juris; SG Köln, Urteil vom 27. Januar 2010 – S 21 SB 35/09 –, Rn. 18, juris). Soweit die Bezirksregierung Münster im Gerichtsverfahren weiter ausführt, mit dem Bescheid vom 04.12.2016 sei ausschließlich und in unveränderter Fassung das angenommene Regelungsangebot (in der Sache ein Anerkenntnis) aus dem sozialgerichtlichen Verfahren zum Az. S 12 SB 456/15 ausgeführt worden, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen.
35Die Ausstellung und Aushändigung eines (Schwerbehinderten)ausweises ist ein Realakt, dem jedoch eine regelnde Entscheidung der Behörde über die Ausgabe des Dokuments - entsprechenden Inhaltes (vgl. präzise insbesondere VGH Mannheim, Urteil vom 29.08.1990 - 1 S 2648/89 -, Rn. 16, juris) - vorauszugehen hat (vgl. ferner: BSG, Urteil vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/15 R -, SozR 4-1300 § 48 Nr 31, Rn. 26 m. w. Nachw.; BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 1.03 - BVerwGE 120, 206, 218; Urteil vom 16.07.1996 - 1 C 30.93 - BVerwGE 101, 295, 307; VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2011 – 6 K 5085/10 –, Rn. 18, 24, juris; VG Bremen, Urteil vom 06.11.2014 - 5 K 795/13 -, Rn. 11, juris; Urteil der Kammer vom 23. Februar 2016 – S 18 SB 1135/15 –, Rn. 17, juris; in vorliegender Konstellation dies voraussetzend: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. März 1998 – L 10 SVs 15/97 –, Rn. 18, juris; SG Köln, Urteil vom 27. Januar 2010 – S 21 SB 35/09 –, Rn. 18, juris). Diese Entscheidung kann vor Ausstellung und Aushändigung des Schwerbehindertenausweises schriftlich- oder konkludent bei Ausweiserstellung bekannt gegeben werden.
36In diesem Fall hat die Beklagte einen schriftlichen Verwaltungsakt über die Erteilung eines befristeten Schwerbehindertenausweises im Bescheid vom 04.12.2015 erlassen (vgl. auch: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. März 1998 – L 10 SVs 15/97 –, Rn. 18, juris; SG Köln, Urteil vom 27. Januar 2010 – S 21 SB 35/09 –, Rn. 18, juris).
37Für den objektiven Bescheidempfänger stellten sich die entsprechenden Passagen im Bescheid vom 04.12.2015 als verbindliche Reaktion auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters des Klägers vom 27.01.2015 auf Verlängerung des Schwerbehindertenausweises/Erteilung eines neuen Schwerbehindertenausweises dar. Tatsächlich hat der gesetzliche Vertreter des Klägers dies – wie in seinem Widerspruch vom 18.12.2015 zum Ausdruck gebracht wird – auch so verstanden. Die entsprechende Untätigkeitsklage zur ausstehenden Entscheidung über seinen Antrag hat er zudem (nach Erhalt des Ausweisdokumentes) für erledigt erklärt. Zwar nimmt der Bescheid vom 04.12.2015 nicht ausdrücklich auf den Antrag vom 27.01.2015 Bezug, verhält sich aber im zweiten Teil gerade zum Antragsgegenstand. Insbesondere vor dem Hintergrund des noch unbeschiedenen Antrages zur Verlängerung des Schwerbehindertenausweises lässt die Formulierung: "Die Feststellung, die ich mit diesem Bescheid getroffen habe, können sie mit einem Schwerbehindertenausweis nachweisen" zusammen mit der verbindlich erscheinenden Befristungsentscheidung schon für sich gesehen auf eine Regelung im Sinne §§ 31 SGB X über die Ausgabe eines konkreten Ausweisdokumentes schließen (offen gelassen in diesem Punkt für den dortigen Einzellfall: Urteil der Kammer vom 23. Februar 2016 – S 18 SB 1135/15 –, Rn. 17, juris). Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund des zusammen mit dem Bescheid vom 04.12.2015 an den Kläger gerichteten Schreibens der Beklagten, mit dem der Kläger darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass der Schwerbehindertenausweis über einen externen Dienstleister erstellt und ihm in Kürze mit separater Post zugestellt werde. Ein objektiver Empfänger schließt daraus, dass er über die praktische Umsetzung (Realakt) einer mit dem beiliegenden Bescheid getroffenen Entscheidung in Kenntnis gesetzt wird. Zudem ergibt sich aus der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 04.12.2015, dass die Beklagte selbst davon ausging, eine über die Ausführung eines Anerkenntnisses hinausgehende Regelung zu treffen. Denn sie belehrt über die Möglichkeit eines Widerspruches und weist zugleich darauf hin, dass der Widerspruch nur insoweit zulässig sei, als die Beklagte selbstständig entschieden und nicht nur die gerichtliche Entscheidung wiederholt habe.
38Soweit die Bezirksregierung N. ihre gegenteilige Auffassung damit begründet, dass nur der Tenor eines Bescheides in Bindung erwachse und daher mit Rechtsmitteln angegriffen werden könne, führt dies nicht weiter. Zulässiger Gegenstand eines Widerspruches ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme im Sinne des §§ 31 SGB X. Welche Verfügungssätze/Regelungen ein Bescheid enthält ist im Einzelfall gegebenenfalls im Wege der Auslegung gerade erst festzustellen.
392. Der Widerspruchsbescheid beruht auch auf dem Verfahrensfehler der zu Unrecht den Widerspruch als unzulässig verwerfenden Entscheidung, weil – analog zum Rechtsschutzbedürfnis – die Möglichkeit besteht, dass das Widerspruchsverfahren bei richtiger Verfahrensweise ein anderes Ergebnis gehabt hätte (s. Leitherer, a.a.O, § 95, Rn. 3c m. w. Nachw.; vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. August 2014 – L 19 AS 1105/14 NZB, juris; Urteil vom 20. November 2013 – L 12 AS 343/13 juris; Beschluss vom 14. Juni 2011 – L 7 AS 552/11 B, juris; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Teilurteil vom 30. September 2010 – L 1 AL 122/09, juris). Es ist nicht auszuschließen, dass die Widerspruchsbehörde die Entscheidung über die Ausgabe eines Schwerbehindertenausweises mit längerer Gültigkeitsdauer getroffen hätte. Der ihr insoweit zukommende Beurteilungsspielraum (s. o.) hätte beispielsweise von dem Gedanken geleitet sein können, dass die nach wie vor beabsichtigte Aufhebung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzung für das Merkzeichen H beim Kläger, die auch Anlass für die Entscheidung der Beklagten für die Befristung bis lediglich Dezember 2016 gewesen ist, absehbar ein weiteres Widerspruchs– und Klageverfahren nach sich ziehen wird. Für diesen Zeitraum wird der Kläger aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe (§ 86a Abs. 1 SGG) weiterhin in den Genuss des Nachteilsausgleiches kommen und ihm ein entsprechender Schwerbehindertenausweis zu erteilen sein. Dabei ist erkennbar, dass das vorgezeichnete Verfahren bis zum Dezember 2016 nicht beendet sein wird.
40IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Maßgebend sind dabei grundsätzlich die Erfolgsaussichten und die Gründe für Erhebung und Erledigung der Klage (vgl. Leitherer, a.a.O. § 193 Rn.12a). Das SGG stellt nicht nur auf den Ausgang des Rechtsstreits allein ab, vielmehr ist im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens wesentlich auch auf das Veranlassungsprinzip abzustellen. Insbesondere kommt hierbei zum Tragen, ob ein Verfahrensbeteiligter unnötige Kosten verursacht hat (Leitherer, a.a.O., § 193 Rn. 12b; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. September 2006 – L 5 B 376/06 KR ER –, Rn. 14, juris).
41Nach diesen Grundsätzen sind in dem gem. §§ 183 SGG gerichtskostenfreien Verfahren Kosten nicht zu erstatten. Zwar hat der Kläger mit der Klage in ihrer zuletzt vorgenommenen Klagebeschränkung Erfolg, entscheidend ist jedoch, dass sein zum Zeitpunkt der Klageerhebung bis zur mündlichen Verhandlung bestehendes eigentliches Klagebegehren, gerichtet auf die Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung eines unbefristeten, jedenfalls auf fünf Jahre befristeten Schwerbehindertenausweises zu keinem Zeitpunkt Erfolgsaussichten hatte (vgl. SG Aachen, Beschluss vom 26.06.2015 - S 14 AS 149/15). Gegen die Befristung der Ausweisgültigkeit mit Bescheid vom 04.12.2015 bis einschließlich Dezember 2016 hat das Gericht nichts zu erinnern. Die Beklagte hat sich im Rahmen des ihr insoweit zustehenden Beurteilungsspielraumes gehalten (s. o. II. 3. m. w. Nachw.). Dem Gericht steht diesbezüglich nur eine eingeschränkte Überprüfung zu (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, §, 40, Rn. 99 m. w. Nachw.), die sich letztlich auf die Frage verdichtet, ob die Behörde sich bei der Befristung hat von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Dies ist nicht der Fall, wenn sie sich daran orientiert, für welchen Zeitraum die durch den Ausweis dokumentierten Feststellungen nach § 69 Abs. 1, 4 SGB IX nach ihrer Einschätzung mindestens vorliegen werden.
42Die Entscheidung der Beklagten ist ausschließlich dem im Bescheid vom 04.12.2015 auch dargelegten, dem Kläger ohnehin bekannten Umstand geschuldet, dass sie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzung für das Merkzeichen H beim Kläger zeitnah erneut überprüfen bzw. aufheben wollte. Sie berücksichtigt andererseits die Interessen des Klägers, für den Zeitraum dieses Verwaltungsverfahrens über einen Schwerbehindertenausweis, der die bisherigen Feststellungen dokumentiert, zu verfügen. Ungeachtet dessen bliebe es dem Kläger unbenommen, vor Ablauf des Gültigkeitszeitraumes die Verlängerung des Schwerbehindertenausweises zu beantragen, sollte eine Veränderung in den Feststellungen nach § 69 Abs. 1, 4 SGB IX nicht bestandskräftig erfolgt sein (vgl. Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 69 SGB IX, Rn. 67).
Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Aachen Urteil, 28. Juni 2016 - S 18 SB 114/16
Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Aachen Urteil, 28. Juni 2016 - S 18 SB 114/16
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Sozialgericht Aachen Urteil, 28. Juni 2016 - S 18 SB 114/16 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.
(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.
(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds
- 1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden, - 2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird, - 3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.
(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.
(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist
- 1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, - 2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.
(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
1
Gründe:
2I.
3Der Kläger bezog in Bedarfsgemeinschaft mit seiner eine bedarfsdeckende Rente beziehenden Ehefrau ("gemischte Bedarfsgemeinschaft") ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die mit vorläufigem Bescheid vom 22.10.2013 für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 i. H. v. 359,85 Euro bewilligt wurden. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.
4Auf die Mitteilung des Klägers vom 28.10.2013, er stelle die bisher ausgeübte Beschäftigung am 31.08.2013 ein, forderte der Beklagte den Kläger auf, die Kündigung und die letzte Verdienstabrechnung vorzulegen. Mit "Änderungsbescheid" vom 23.11.2013 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 30.04.2014 Leistungen in Höhe von monatlich 368,03 Euro (gegenüber zuvor 359,85 Euro nach dem Bescheid vom 22.10.2010) unter Berücksichtigung der Erhöhung des Regelbedarfssatzes zum 01.01.2014 von 382,00 Euro auf 391,00 Euro monatlich. Auch diese Entscheidung erging vorläufig. Der Bescheid enthielt u.a. folgende Formulierungen: "Der Berechnung der Leistungen liegen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu Grunde, wie sie bei der Antragstellung beziehungsweise im laufenden Leistungsbezug angegeben und nachgewiesen wurden. Wie sich die Leistungen im Einzelnen zusammensetzen, können Sie dem Berechnungsbogen entnehmen." Ein Berechnungsbogen war dem Bescheid beigefügt. Mit Schreiben vom 19.12.2013 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 23.11.2013 Widerspruch ein. Er wandte sich gegen die Einkommensanrechnung nach Beendigung der Beschäftigung. Am 07.01.2014 teilte der Kläger eine Arbeitsaufnahme ab dem 02.01.2014 mit. Der Beklagte bewilligte mit Änderungsbescheid vom 14.01.2014 für die Monate Februar 2014 bis April 2014 vorläufig Leistungen i. H. v. monatlich 280,03 Euro unter Berücksichtigung eines "fiktiven Einkommens" aus der nunmehr mitgeteilten neuen Beschäftigung.
5Mit Schreiben vom 23.01.2014 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 14.01.2014 Widerspruch ein.
6Mit Bescheid vom 28.01.2014 verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.11.2013 als unzulässig. Mit diesem Bescheid sei allein die Höhe der Regelbedarfe angepasst worden. Der Kläger habe seinen Widerspruch jedoch nicht gegen die Höhe des Regelbedarfs, sondern gegen die Anrechnung von Einkommen gerichtet. Soweit er sich gegen die im Bescheid vom 23.11.2013 (erneut) ausgewiesene Anrechnung des Einkommens wende, richte der Widerspruch sich nicht gegen einen Verwaltungsakt. Der Bescheid vom 23.11.2013 stelle insoweit lediglich eine wiederholende Verfügung der Regelung im Bewilligungsbescheid vom 22.10.2013 dar.
7Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 14.02.2014 Klage erhoben mit dem Antrag,
8die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 über den Widerspruch des Klägers vom 19.12.2013 hinsichtlich des Leistungsmonats Januar 2014 sachinhaltlich zu entscheiden.
9Mit Urteil vom 13.05.2014 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 über den Widerspruch des Klägers vom 19.12.2013 gegen den Bescheid vom 23.11.2013 hinsichtlich des Leistungsmonats Januar 2014 sachinhaltlich zu entscheiden. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Der Beklagte habe den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen. Bei dem Bescheid vom 23.11.2013 handele es sich hinsichtlich der gesamten Leistungshöhe um einen Verwaltungsakt.
10Gegen das dem Beklagten am 27.05.2014 zugestellte Urteil richtet sich dessen Nichtzulassungsbeschwerde vom 30.05.2014. Der Beklagte misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob der Bescheid vom 23.11.2013 abgesehen von der vom Kläger nicht angegriffenen Erhöhung des Regelbedarfs einen Verwaltungsakt darstelle oder lediglich eine wiederholende Verfügung zum Bewilligungsbescheid vom 22.10.2013 enthalte. Er meint, die Berechnungselemente zur Einkommensanrechnung seien mit dem Bescheid vom 22.10.2013 bestandskräftig geworden und nicht mehr anfechtbar.
11Der Kläger ist der Auffassung, der angefochtene Bescheid enthalte hinsichtlich der gesamten Höhe der Regelleistung eine Regelung. Eine Beschränkung der Regelungswirkung auf einzelne Berechnungselemente sei nicht zulässig.
12II.
13Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) ist statthaft. Die im Ergebnis allein die Höhe der Einkommensanrechnung für Januar 2014 betreffende Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung, weil der streitige Betrag nicht den Wert von mehr als 750,00 Euro (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) erreicht und die streitige Forderung auch nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).
14Der Senat lässt offen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist, insbesondere dem Beklagten ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Denn nach Mitteilung des Beklagten hat er mit Bescheid vom 27.01.2014 in Anwendung von § 44 SGB X eine neue Entscheidung für Januar 2014 getroffen. Sollte es sich bei dieser Entscheidung um einen endgültigen Bewilligungsbescheid handeln, hätte sich der isoliert angefochtene Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014 erledigt (§ 39 Abs. 2 SGG) und seine Aufhebung durch das Sozialgericht würde den Beklagten nicht beschweren.
15Jedenfalls ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet. Ein Zulassungsgrund liegt nicht vor.
16Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
171) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse genügt nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 Rn. 28; siehe auch BSG Beschluss vom 24.09.2012 - B 14 AS 36/12 B zu § 160 SGG; Beschluss des Senats vom 07.10.2013 - L 19 AS 1101/13 NZB). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. BSG Beschluss vom 15.09.1997 - 9 BVg 6/97 zu § 160 SGG). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Die bloße Klärung von Tatsachen- oder Auslegungsfragen begründet keine grundsätzliche Bedeutung (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 144 Rn. 29).
18Die vom Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage weist keine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne auf. Abgesehen davon, dass die Beurteilung der Frage, ob ein Schreiben ein Verwaltungsakt i. S. d. § 31 SGB X ist, eine Auslegungsfrage darstellt, die in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung hat, ist die Rechtsfrage anhand der Rechtsprechung des BSG ohne Weiteres zu beantworten.
19Die Auffassung des Beklagten, die Regelungswirkung des Bescheides beschränke sich auf die Anpassung der Regelleistung, ist mit der ständigen Rechtsprechung des BSG zum Streitgegenstand bei Höhenstreitigkeiten nach dem Recht des SGB II unvereinbar. Danach wird mit jedem Rechtsbehelf oder Rechtsmittel gegen die konkret bewilligte Regelleistung ihre Richtigkeit unter Berücksichtigung aller Berechnungselemente unter allen denkbaren rechtlichen Aspekten zur Prüfung gestellt. Berechnungsfaktoren bilden keinen eigenen materiell-rechtlichen Streitgegenstand (z.B. BSG Urteil vom 19.06.2012 - B 4 AS 163/11 R Rn.13). Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für die Regelungsmöglichkeiten in einem Verwaltungsakt. Es ist dem Beklagten verwehrt, in einem Bescheid die Regelungswirkung auf einzelne Berechnungselemente der Regelleistung zu beschränken (zur Unzulässigkeit, eine Regelung in einem Bescheid über die Bewilligung des Regelbedarfs weiter aufzuspalten BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R Rn. 11).
202) Es liegt kein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift kommt nur dann in Betracht, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die die obersten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (einheitliche Rechtsprechung der Gerichtshöfe des Bundes, z. B. BAG Beschluss vom 15.10.2012 - 5 AZN 1958/12; BGH Beschlüsse vom 27.03.2003 - V ZB 291/02 und 23.06.2012 - AnwZ (Brfg) 58/11; BFH Beschlüsse vom 12.10.2011 - III B 56/11 und 01.06.2012 - III B 3/11; BVerwG Beschlüsse vom 17.10.2012 - 8 B 42/12 und 25.10.2012 - 10 B 16/12; BSG Beschluss vom 19.07.2012 - B 1 KR 65/11 B, jeweils m. w. N.; aus der Kommentierung zum SGG: Frehse in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 4. Aufl., § 144 Rn. 18; Düring, a.a.O., § 160 Rn. 13 f; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auf., Rn. 30, § 160 Rn. 10 f.; Littmann in Hk-SGG, 4. Aufl. § 144 Rn. 17; Lüdtke, a. a. O. § 160 Rn. 12 f. jeweils m.w.N.). Das angefochtene Urteil und die vorgebliche Divergenzentscheidung müssen dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (BFH Beschlüsse vom 21.10. 2010 - VIII B 107/09 = BFH/NV 2011, 282 und 12.10.2011-III B 56/11). Die angegriffene Entscheidung weicht nicht in diesem Sinne von Rechtsprechung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte ab.
213) Schließlich ist auch der Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht gegeben. Insbesondere ist das Sozialgericht befugt gewesen, den Antrag des Klägers entsprechend dem Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014 isoliert aufzuheben. Die prozessualen Voraussetzungen für eine solche isolierte Aufhebung lagen vor. Nach § 79 Abs. 2 S. 1 und 2 VwGO kann der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. Diese Vorschrift ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (BSG Urteil vom 15.08.1996 - 9 RV 10/95; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 05.07.2012 - L 11 AS 759/11). Durch die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig hat der Beklagte - wie dargelegt - einen wesentlichen Verfahrensfehler begangen. Der Kläger verfügte auch über das für die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheides erforderliche Rechtsschutzinteresse. Bei - wie hier vorliegend - gebundenen Verwaltungsentscheidungen liegt das erforderliche Rechtsschutzinteresse jedenfalls dann vor, wenn der für den Betroffenen negative Widerspruchsbescheid auf dem Verfahrensfehler zumindest beruhen kann, also in der Sache eine andere Entscheidung zumindest möglich erscheint (ausführlich zum Rechtsschutzinteresse bei der isolierten Aufhebung eines Widerspruchsbescheides LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 05.07.2012 - L 11 AS 759/11 mit Darstellung des Meinungsstreits). Dies ist hier der Fall, wie sich aus den Bescheiden vom 14.07.2014 und 27.01.2014 ergibt.
22Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 S. 4 SGG).
23Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
24Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist
- 1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, - 2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.
(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.
Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.
(1) Die Klage ist zu richten
- 1.
gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat; zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde, - 2.
sofern das Landesrecht dies bestimmt, gegen die Behörde selbst, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat.
(2) Wenn ein Widerspruchsbescheid erlassen ist, der erstmalig eine Beschwer enthält (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2), ist Behörde im Sinne des Absatzes 1 die Widerspruchsbehörde.
Klageänderungen und Beiladungen sind im Revisionsverfahren unzulässig. Dies gilt nicht für die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts nach § 75 Abs. 1 Satz 2 und, sofern der Beizuladende zustimmt, für Beiladungen nach § 75 Abs. 2.
(1) Auf der Rückseite des Ausweises ist als Beginn der Gültigkeit des Ausweises einzutragen:
- 1.
in den Fällen des § 152 Absatz 1 und 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften, - 2.
in den Fällen des § 152 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Ausstellung des Ausweises nach § 152 Absatz 5 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch.
(2) Die Gültigkeit des Ausweises ist für die Dauer von längstens 5 Jahren vom Monat der Ausstellung an zu befristen. In den Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, nicht zu erwarten ist, kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden.
(3) Für schwerbehinderte Menschen unter 10 Jahren ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises bis längstens zum Ende des Kalendermonats zu befristen, in dem das 10. Lebensjahr vollendet wird.
(4) Für schwerbehinderte Menschen im Alter zwischen 10 und 15 Jahren ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises bis längstens zum Ende des Kalendermonats zu befristen, in dem das 20. Lebensjahr vollendet wird.
(5) Bei nichtdeutschen schwerbehinderten Menschen, deren Aufenthaltstitel, Aufenthaltsgestattung oder Arbeitserlaubnis befristet ist, ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises längstens bis zum Ablauf des Monats der Frist zu befristen.
(6) (weggefallen)
(7) Der Kalendermonat und das Kalenderjahr, bis zu deren Ende der Ausweis gültig sein soll, sind auf der Vorderseite des Ausweises einzutragen.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung
- 1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, - 2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern, - 3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder - 4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.
(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.
(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.
(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.
(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn
- 1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder - 2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder - 3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.
(2) (weggefallen)
(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung
- 1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, - 2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern, - 3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder - 4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.
(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.
(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.
(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist
- 1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, - 2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.
(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
1
Gründe:
2I.
3Der Kläger bezog in Bedarfsgemeinschaft mit seiner eine bedarfsdeckende Rente beziehenden Ehefrau ("gemischte Bedarfsgemeinschaft") ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die mit vorläufigem Bescheid vom 22.10.2013 für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 i. H. v. 359,85 Euro bewilligt wurden. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.
4Auf die Mitteilung des Klägers vom 28.10.2013, er stelle die bisher ausgeübte Beschäftigung am 31.08.2013 ein, forderte der Beklagte den Kläger auf, die Kündigung und die letzte Verdienstabrechnung vorzulegen. Mit "Änderungsbescheid" vom 23.11.2013 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 30.04.2014 Leistungen in Höhe von monatlich 368,03 Euro (gegenüber zuvor 359,85 Euro nach dem Bescheid vom 22.10.2010) unter Berücksichtigung der Erhöhung des Regelbedarfssatzes zum 01.01.2014 von 382,00 Euro auf 391,00 Euro monatlich. Auch diese Entscheidung erging vorläufig. Der Bescheid enthielt u.a. folgende Formulierungen: "Der Berechnung der Leistungen liegen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu Grunde, wie sie bei der Antragstellung beziehungsweise im laufenden Leistungsbezug angegeben und nachgewiesen wurden. Wie sich die Leistungen im Einzelnen zusammensetzen, können Sie dem Berechnungsbogen entnehmen." Ein Berechnungsbogen war dem Bescheid beigefügt. Mit Schreiben vom 19.12.2013 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 23.11.2013 Widerspruch ein. Er wandte sich gegen die Einkommensanrechnung nach Beendigung der Beschäftigung. Am 07.01.2014 teilte der Kläger eine Arbeitsaufnahme ab dem 02.01.2014 mit. Der Beklagte bewilligte mit Änderungsbescheid vom 14.01.2014 für die Monate Februar 2014 bis April 2014 vorläufig Leistungen i. H. v. monatlich 280,03 Euro unter Berücksichtigung eines "fiktiven Einkommens" aus der nunmehr mitgeteilten neuen Beschäftigung.
5Mit Schreiben vom 23.01.2014 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 14.01.2014 Widerspruch ein.
6Mit Bescheid vom 28.01.2014 verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.11.2013 als unzulässig. Mit diesem Bescheid sei allein die Höhe der Regelbedarfe angepasst worden. Der Kläger habe seinen Widerspruch jedoch nicht gegen die Höhe des Regelbedarfs, sondern gegen die Anrechnung von Einkommen gerichtet. Soweit er sich gegen die im Bescheid vom 23.11.2013 (erneut) ausgewiesene Anrechnung des Einkommens wende, richte der Widerspruch sich nicht gegen einen Verwaltungsakt. Der Bescheid vom 23.11.2013 stelle insoweit lediglich eine wiederholende Verfügung der Regelung im Bewilligungsbescheid vom 22.10.2013 dar.
7Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 14.02.2014 Klage erhoben mit dem Antrag,
8die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 über den Widerspruch des Klägers vom 19.12.2013 hinsichtlich des Leistungsmonats Januar 2014 sachinhaltlich zu entscheiden.
9Mit Urteil vom 13.05.2014 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 über den Widerspruch des Klägers vom 19.12.2013 gegen den Bescheid vom 23.11.2013 hinsichtlich des Leistungsmonats Januar 2014 sachinhaltlich zu entscheiden. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Der Beklagte habe den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen. Bei dem Bescheid vom 23.11.2013 handele es sich hinsichtlich der gesamten Leistungshöhe um einen Verwaltungsakt.
10Gegen das dem Beklagten am 27.05.2014 zugestellte Urteil richtet sich dessen Nichtzulassungsbeschwerde vom 30.05.2014. Der Beklagte misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob der Bescheid vom 23.11.2013 abgesehen von der vom Kläger nicht angegriffenen Erhöhung des Regelbedarfs einen Verwaltungsakt darstelle oder lediglich eine wiederholende Verfügung zum Bewilligungsbescheid vom 22.10.2013 enthalte. Er meint, die Berechnungselemente zur Einkommensanrechnung seien mit dem Bescheid vom 22.10.2013 bestandskräftig geworden und nicht mehr anfechtbar.
11Der Kläger ist der Auffassung, der angefochtene Bescheid enthalte hinsichtlich der gesamten Höhe der Regelleistung eine Regelung. Eine Beschränkung der Regelungswirkung auf einzelne Berechnungselemente sei nicht zulässig.
12II.
13Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) ist statthaft. Die im Ergebnis allein die Höhe der Einkommensanrechnung für Januar 2014 betreffende Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung, weil der streitige Betrag nicht den Wert von mehr als 750,00 Euro (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) erreicht und die streitige Forderung auch nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).
14Der Senat lässt offen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist, insbesondere dem Beklagten ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Denn nach Mitteilung des Beklagten hat er mit Bescheid vom 27.01.2014 in Anwendung von § 44 SGB X eine neue Entscheidung für Januar 2014 getroffen. Sollte es sich bei dieser Entscheidung um einen endgültigen Bewilligungsbescheid handeln, hätte sich der isoliert angefochtene Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014 erledigt (§ 39 Abs. 2 SGG) und seine Aufhebung durch das Sozialgericht würde den Beklagten nicht beschweren.
15Jedenfalls ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet. Ein Zulassungsgrund liegt nicht vor.
16Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
171) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse genügt nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 Rn. 28; siehe auch BSG Beschluss vom 24.09.2012 - B 14 AS 36/12 B zu § 160 SGG; Beschluss des Senats vom 07.10.2013 - L 19 AS 1101/13 NZB). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. BSG Beschluss vom 15.09.1997 - 9 BVg 6/97 zu § 160 SGG). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Die bloße Klärung von Tatsachen- oder Auslegungsfragen begründet keine grundsätzliche Bedeutung (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 144 Rn. 29).
18Die vom Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage weist keine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne auf. Abgesehen davon, dass die Beurteilung der Frage, ob ein Schreiben ein Verwaltungsakt i. S. d. § 31 SGB X ist, eine Auslegungsfrage darstellt, die in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung hat, ist die Rechtsfrage anhand der Rechtsprechung des BSG ohne Weiteres zu beantworten.
19Die Auffassung des Beklagten, die Regelungswirkung des Bescheides beschränke sich auf die Anpassung der Regelleistung, ist mit der ständigen Rechtsprechung des BSG zum Streitgegenstand bei Höhenstreitigkeiten nach dem Recht des SGB II unvereinbar. Danach wird mit jedem Rechtsbehelf oder Rechtsmittel gegen die konkret bewilligte Regelleistung ihre Richtigkeit unter Berücksichtigung aller Berechnungselemente unter allen denkbaren rechtlichen Aspekten zur Prüfung gestellt. Berechnungsfaktoren bilden keinen eigenen materiell-rechtlichen Streitgegenstand (z.B. BSG Urteil vom 19.06.2012 - B 4 AS 163/11 R Rn.13). Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für die Regelungsmöglichkeiten in einem Verwaltungsakt. Es ist dem Beklagten verwehrt, in einem Bescheid die Regelungswirkung auf einzelne Berechnungselemente der Regelleistung zu beschränken (zur Unzulässigkeit, eine Regelung in einem Bescheid über die Bewilligung des Regelbedarfs weiter aufzuspalten BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R Rn. 11).
202) Es liegt kein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift kommt nur dann in Betracht, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die die obersten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (einheitliche Rechtsprechung der Gerichtshöfe des Bundes, z. B. BAG Beschluss vom 15.10.2012 - 5 AZN 1958/12; BGH Beschlüsse vom 27.03.2003 - V ZB 291/02 und 23.06.2012 - AnwZ (Brfg) 58/11; BFH Beschlüsse vom 12.10.2011 - III B 56/11 und 01.06.2012 - III B 3/11; BVerwG Beschlüsse vom 17.10.2012 - 8 B 42/12 und 25.10.2012 - 10 B 16/12; BSG Beschluss vom 19.07.2012 - B 1 KR 65/11 B, jeweils m. w. N.; aus der Kommentierung zum SGG: Frehse in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 4. Aufl., § 144 Rn. 18; Düring, a.a.O., § 160 Rn. 13 f; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auf., Rn. 30, § 160 Rn. 10 f.; Littmann in Hk-SGG, 4. Aufl. § 144 Rn. 17; Lüdtke, a. a. O. § 160 Rn. 12 f. jeweils m.w.N.). Das angefochtene Urteil und die vorgebliche Divergenzentscheidung müssen dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (BFH Beschlüsse vom 21.10. 2010 - VIII B 107/09 = BFH/NV 2011, 282 und 12.10.2011-III B 56/11). Die angegriffene Entscheidung weicht nicht in diesem Sinne von Rechtsprechung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte ab.
213) Schließlich ist auch der Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht gegeben. Insbesondere ist das Sozialgericht befugt gewesen, den Antrag des Klägers entsprechend dem Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014 isoliert aufzuheben. Die prozessualen Voraussetzungen für eine solche isolierte Aufhebung lagen vor. Nach § 79 Abs. 2 S. 1 und 2 VwGO kann der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. Diese Vorschrift ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (BSG Urteil vom 15.08.1996 - 9 RV 10/95; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 05.07.2012 - L 11 AS 759/11). Durch die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig hat der Beklagte - wie dargelegt - einen wesentlichen Verfahrensfehler begangen. Der Kläger verfügte auch über das für die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheides erforderliche Rechtsschutzinteresse. Bei - wie hier vorliegend - gebundenen Verwaltungsentscheidungen liegt das erforderliche Rechtsschutzinteresse jedenfalls dann vor, wenn der für den Betroffenen negative Widerspruchsbescheid auf dem Verfahrensfehler zumindest beruhen kann, also in der Sache eine andere Entscheidung zumindest möglich erscheint (ausführlich zum Rechtsschutzinteresse bei der isolierten Aufhebung eines Widerspruchsbescheides LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 05.07.2012 - L 11 AS 759/11 mit Darstellung des Meinungsstreits). Dies ist hier der Fall, wie sich aus den Bescheiden vom 14.07.2014 und 27.01.2014 ergibt.
22Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 S. 4 SGG).
23Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
24Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.07.2009 - S 9 AL 39/07 - abgeändert. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.01.2007 wird aufgehoben, soweit er den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 23.08.2006 als unzulässig verworfen hat.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) auch für den Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006.
- 2
Der 1966 geborene Kläger war zuletzt vom 05.04. bis 24.06.2005 als Sortierer bei der H GmbH und seit 29.06.2005 als Produktionshelfer bei der Firma S Industrie-Service (Arbeitgeber) beschäftigt. Mit Schreiben vom 27.06.2006 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 12.07.2006. In dem anschließenden Verfahren vor dem Arbeitsgericht Koblenz (5 Ca 1355/06) schlossen die Arbeitsvertragsparteien am 12.12.2006 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Kündigung vom 27.06.2006 beendet worden ist, sondern unbefristet fortbesteht.
- 3
Der Kläger war seit 03.05.2006 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt von der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland-Pfalz (AOK) ab 14.06.2006 Krankengeld. Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 24.07.2006 ausführte, dass eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum 30.07.2006 möglich sei, teilte die AOK dem Kläger mit Bescheid vom 25.07.2006 mit, dass er mit Ablauf des 30.07.2006 wieder in der Lage sei, seine letzte Tätigkeit als Hilfsarbeiter/Produktionsmitarbeiter aufzunehmen und dass die Krankengeldzahlung zu diesem Zeitpunkt ende. Der Kläger erhielt zusätzlich Aufstockungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
- 4
Der Kläger legte der ARGE als Träger nach dem SGB II am 01.06. (Zeitraum vom 31.05. bis 14.06.2006), am 20.06.2006 (Zeitraum vom 15.06. bis 03.07.2006) und am 04.07.2006 (Zeitraum vom 04.07. bis 14.07.2006) Kopien der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Am 30.06.2006 sprach er bei der ARGE vor und meldete sich zum 13.07.2006 arbeitslos (Vermerk vom 30.06.2006). Eine Mitarbeiterin der Beklagten wies ihn am 03.07.2006 auf das Erfordernis einer rechtzeitigen erneuten Arbeitslosmeldung bei einer Genesung hin; der Kläger legte zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Am 21.07.2006 gab er gegenüber der ARGE an, weiter arbeitsunfähig zu sein.
- 5
Am 09.08.2006 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte am 21.08.2006 die Gewährung von Alg. Am 21.08.2006 nahm der Kläger die Beschäftigung bei dem Arbeitgeber wieder auf.
- 6
Die Beklagte bewilligte mit Bescheiden vom 23.08. und 30.08.2006 Alg für den Zeitraum vom 09.08. bis 20.08.2006 nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 44,98 € und einem Leistungsbetrag von täglich 16,31 € (Bescheid vom 23.08.2006, Steuerklasse V) bzw. von 23,81 € (Bescheid vom 30.08.2006, Steuerklasse III). Der sechsseitige Bescheid vom 23.08.2006 enthielt auf den Seiten 2 bis 3 nach den dargestellten Berechnungsgrundlagen und vor den Hinweisen zur Höhe des Alg folgende Rechtsmittelbelehrung:
- 7
"Gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch zulässig. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der oben bezeichneten Agentur für Arbeit einzureichen, und zwar binnen eines Monats, nach dem der Bescheid Ihnen bekanntgegeben worden ist."
- 8
Bei dem fünfseitigen Bescheid vom 30.08.2006 befand sich die gleichlautende Rechtsmittelbelehrung nach den Berechnungsgrundlagen und dem Hinweis auf eine Änderung der Verhältnisse wegen der Lohnsteuerklasse auf Seite 3 vor den Hinweisen zu den zu beachtenden Gesichtspunkten.
- 9
Die als Zweitschrift in der Verwaltungsakte der Beklagten abgehefteten Bescheide enthalten keinen Vermerk über die Aufgabe zur Post und wurden vom BA-IT-Systemhaus der Beklagten in Nürnberg erstellt. Der Bescheid vom 23.08.2006 ist entweder am 23. oder 24.08.2006 und der Bescheid vom 30.08.2006 am 31.08.2006 bei der Post aufgeliefert worden (E-Mail des BA-IT-Systemhauses an die Beklagte vom 28.02.2007, Bl. 52 Gerichtsakte).
- 10
Der Kläger hat am 08.11.2006 Widerspruch gegen die Bescheide vom 23. und 30.08.2006 erhoben. Die Beklagte verwarf den Widerspruch am 18.01.2007 als unzulässig, da die Widerspruchsfrist nicht gewahrt und Wiedereinsetzungsgründe nicht erkennbar seien.
- 11
Der Kläger hat am 05.02.2007 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 29.07.2009 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Beklagte habe den Widerspruch des Klägers zu Recht wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig verworfen. Hinsichtlich der Bekanntgabe der Bescheide gelte die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), wobei die Bestätigung des BA-IT-Systemhauses über den Tag der Aufgabe zur Post ausreichend sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei zutreffend und es sei unschädlich, dass sich diese mittig in den Bescheiden befunden habe. Auch der Sitz der Behörde, bei der der Widerspruch anzubringen war, sei hinreichend bezeichnet.
- 12
Gegen das ihm am 12.08.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 14.09.2009 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass die Widerspruchsfrist nicht versäumt sei, da deren Lauf wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrungen nicht in Gang gesetzt worden sei. Die Rechtsmittelbelehrung habe sich in den Bescheidtexten an versteckter Stelle befunden, wo ein verständiger Leser sie nicht habe erwarten können. Auch sei diese inhaltlich unvollständig, da sie nicht die Angaben der Behörde, bei der der Widerspruch einzulegen ist und über deren Sitz enthalten habe. Ein Anspruch auf Alg sei gegeben, da er sich am 30.06.2006 arbeitslos gemeldet habe.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.07.2009 - S 9 AL 39/07 - aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 23.08.2006 und 30.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 31.07. bis 08.08.2006 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
- 15
Die Beklagte beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie erachtet die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
- 18
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe
- 19
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Das Urteil des SG sowie der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.01.2007 sind abzuändern. Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.08.2006 unzutreffend als unzulässig verworfen. Der Senat erachtet insoweit den Erlass eines Teilurteils (§ 202 Sozialgerichtsgesetz
iVm § 301 Zivilprozessordnung ) für zweckmäßig. Eine Entscheidung, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alg auch im Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006 zusteht, bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
- 20
Das SG hat die Klage zutreffend nicht wegen der von ihm angenommenen Versäumung der Widerspruchfrist (§ 84 SGG) als unzulässig abgewiesen (vgl. Bundessozialgericht
, Urteil vom 12.10.1979 - 12 RK 19/78 -, SozR 2200 § 1422 Nr. 1). Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist zulässig und teilweise begründet. Hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen. Bzgl. des Bescheides vom 23.08.2006 war der Widerspruch zulässig und die Beklagte hätte in der Sache entscheiden müssen. Dieser Verwaltungsakt hat keine Bindungswirkung (§ 77 SGG) erlangt. Der Kläger hat die Widerspruchsfrist gewahrt.
- 21
1. Die Bescheide vom 23.08. und 30.08.2006 sind dem Kläger bekannt gegeben und damit wirksam (§ 39 Abs. 1 SGB X) geworden. Dass sie ihm nicht zugegangen sind, behauptet der Kläger nicht. Die Bekanntgabe erfolgte vorliegend durch Übersendung durch die Post (§ 37 Abs. 2 SGB X). Nach Satz 1 dieser Vorschrift gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt gemäß Satz 3 nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
- 22
Die Beklagte hat die Bescheide jeweils durch einfachen Brief versandt. Der Kläger hat keine Angaben zu dem Zeitpunkt gemacht, wann ihm die Bescheide zugegangen sind. Der Beweis für den Zeitpunkt der Bekanntgabe ist hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 durch die Vorlage der E-Mail des BA-IT-Systemhauses der Beklagten vom 28.02.2007 geführt. Danach wurde der Bescheid am 31.08.2006 bei der Post aufgegeben. Wann der Bescheid vom 23.08.2006 bei der Post aufgegeben worden ist, ist jedoch offen. Das BA-IT-Systemhaus hat angegeben, dass der Bescheid vom 23.08.2006 am 23.08. oder 24.08.2006 bei der Post aufgeliefert worden sei. Der Tag der Aufgabe zur Post steht damit aber gerade nicht fest.
- 23
Ausreichend für das Eingreifen der Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 SGB X als gesetzlich normierter Anscheinsbeweis ist, dass der Tag der Aufgabe zur Post nachweisbar ist. Ob der Tag der Aufgabe zur Post bei der Bekanntgabe durch Übersendung nach § 37 Abs. 2 SGB X in den Akten zu vermerken ist (so BSG, Urteil vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R -, SozR 4- 2700 § 136 Nr. 2 RdNr. 15), braucht nicht entschieden zu werden. Der Wortlaut der Vorschrift enthält ein derartiges Erfordernis jedenfalls nicht. Im übrigen bedeutet "vermerken" lediglich, dass der Vorgang in den betreffenden Akten so erwähnt wird, dass auch eine mit der Sache bisher nicht befasste Person ihn als geschehen erkennen kann. Dementsprechend reicht jeder in den Akten befindliche Hinweis, der Aufschluss über den Tag der Aufgabe des Briefes zur Post gibt, aus. Wann dieser Hinweis zu den Akten gelangt ist, ist ohne Bedeutung. Nicht erforderlich ist zudem, dass der Hinweis sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergibt bzw. ein Vermerk über die Aufgabe zur Post auf dem Verwaltungsakt angebracht ist (vgl. zur Regelung des § 4 Verwaltungszustellungsgesetz
: BSG, Urteil vom 26.08.1997 - 5 RJ 6/96 -, SozR 3-1960 § 4 Nr. 3; Urteil vom 09.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R -, Juris). Bzgl. des Bescheides vom 30.08.2006 genügt die zu den Akten der Beklagten gelangte E-Mail des BA-IT-Systemshauses der Beklagten, um den Tag der Aufgabe zur Post - der 31.08.2006 - nachzuweisen. Erfolgte die Zustellung des Bescheides vom 30.08.2006 damit am Sonntag (die Zugangsvermutung gilt auch in diesem Fall: vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2008 aaO Rdnr. 13; Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 12/09 R -, Juris), dem 03.09.2006, begann die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) nach § 64 Abs. 1 SGG am 04.09.2006. Die Zugangsvermutung ist nicht durch entsprechenden Tatsachenvortrag des Klägers erschüttert worden, der einen späteren Zugang nicht konkret behauptet hat. Hinsichtlich des Bescheides vom 23.08.2006 gilt die Zugangsfiktion mangels der Nachweisbarkeit des Tags der Aufgabe dieses Bescheides zur Post hingegen nicht. Da die Monatsfrist insoweit nicht lief, war der Widerspruch des Klägers vom 08.11.2006 als fristgemäß anzusehen.
- 24
2. Bzgl. des Bescheides vom 30.08.2006 scheiterte der Beginn des Laufs der Monatsfrist nicht daran, dass die Rechtsbehelfsbelehrung gem. den §§ 84 Abs. 1 und 2 Satz 3, 66 Abs. 1 SGG und 36 SGB X unrichtig erteilt worden wäre. Die Jahresfrist (§ 66 Abs. 2 SGG) für die Einlegung des Widerspruchs galt damit nicht.
- 25
Unrichtig ist eine Rechtsbehelfsbelehrung, wenn diese Fehler enthält, die von einer sachgerechten Einlegung des gegebenen Rechtsmittels abhalten könnten. Davon ist das BSG bei Fehlern ausgegangen, die bei abstrakter Betrachtungsweise geeignet sein könnten, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder den Berechtigten von Erkundigungen über weitere Möglichkeiten abzuhalten und dadurch Einfluss auf die verspätete oder formwidrige Einlegung oder Begründung des Rechtsbehelfs gehabt haben könnten. Andererseits darf die Rechtsmittelbelehrung nicht so abgefasst sein, dass sie durch weitere Informationen inhaltlich überfrachtet wird und, statt Klarheit zu schaffen, wegen ihres Umfanges und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet. Sie soll deshalb so einfach und klar wie möglich gehalten werden und auch für einen juristischen Laien verständlich bleiben und nicht mit komplizierten rechtlichen Hinweisen überfrachtet werden. Sie muss in Folge dessen nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen, sondern den Beteiligten nur in die richtige Richtung lenken. Diese Funktion ist erfüllt, wenn sie einen Hinweis darauf gibt, welche ersten Schritte ein Beteiligter unternehmen muss (BSG, Beschluss vom 18.10.2007 - B 3 P 24/07 B -, SozR 4-1500 § 66 Nr. 1; Urteil vom 31.08.2000 - B 3 P 18/99 R -, Juris). Auf die Besonderheiten des Fristbeginns beim Eingreifen einer Zugangsvermutung - wie hier bei § 37 Abs. 2 SGB X - muss nicht hingewiesen werden (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1993 - 9/9a RV 17/92 - SozR 3-1500 § 66 Nr. 2); der vorliegende Hinweis "nach Bekanntgabe" (vgl. § 37 Abs. 1 und 2 SGB X) ist ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 -, Juris). Nicht erforderlich ist, dass die Belehrung von der Begründung des Beschlusses abgesetzt und mit einer gesonderten Überschrift versehen wird, allerdings darf diese nicht in einer vielseitigen Begründung irgendwo versteckt werden (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 30.04.2009 - 3 C 23/08 -, BVerwGE 134, 41).
- 26
Vorliegend konnte die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 30.08.2006 ihre Wegweiserfunktion erfüllen. Sie war auf Seite 3 des Bescheides nach der Darlegung des Leistungsanspruchs und der Berechnungsgrundlagen aufgeführt. Von den nachfolgenden (allgemeinen) Hinweisen war sie etwas abgesetzt. Damit wurde deutlich, dass der Bescheid in zwei Teile gegliedert war, dessen erster Teil die Leistungsvoraussetzungen und die Erläuterung der Höhe der Leistungen betraf und dessen zweiter Teil Hinweise zu vom Kläger zu beachtenden Gesichtspunkten, zu Rechtsgrundlagen sowie einen Leistungsnachweis enthielt. Die Rechtsbehelfsbelehrung war insofern nicht an einer unübersichtlichen Stelle des Bescheides versteckt, sondern schloss den die konkrete Leistung betreffenden Teil ab. Sie war nicht durch überflüssige Informationen überfrachtet und bezeichnete den Rechtsbehelf und die zutreffende Frist und Form der Einlegung (vgl. §§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG und 36 SGB X). Auch war die zuständige Verwaltungsstelle zu erkennen, da auf die "oben bezeichnete Agentur für Arbeit" Neuwied verwiesen wurde, die im Briefkopf mit Adressangabe genannt war. Es war daher ohne weiteres erkennbar (vgl. hierzu Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2006 - L 8 AS 4314/05 -, Juris), welche Stelle dies ist.
- 27
Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 lief mit Ablauf des 04.10.2006 (§ 64 Abs. 2 und 3 SGG) ab. Der Kläger hat jedoch erst am 08.11.2006 Widerspruch bei der Beklagten eingelegt. Dieser ist verfristet. Wiedereinsetzungsgründe (§ 67 SGG) wurden vom Kläger nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Die Beklagte hat damit zu Recht den Widerspruch als unzulässig verworfen.
- 28
3. Dass der Bescheid vom 30.08.2006 in Bestandskraft erwachsen ist, steht einer Entscheidung in der Sache, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alg im Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006 zusteht, nicht entgegen. Im Bescheid vom 23.08.2006 hat die Beklagte Alg ab dem 09.08.2006 bewilligt und damit das Bestehen eines Anspruchs vor diesem Zeitpunkt abgelehnt. Mit dem Bescheid vom 30.08.2006 wurde der Leistungsbetrag ab dem 09.08.2006 wegen der Vorlage der Lohnsteuerkarte und der Berücksichtigung der dort aufgeführten Lohnsteuerklasse erhöht und hinsichtlich der Leistungsgewährung vor dem 09.08.2006 keine neue Sachprüfung durchgeführt und daher insoweit kein sogenannter Zweitbescheid erlassen. Allerdings ist diese Sachprüfung (zunächst) im - erneuten - Widerspruchsverfahren anzustellen und kann nicht im vorliegenden Gerichtsverfahren erfolgen.
- 29
Die Sachprüfung im Gerichtsverfahren wird bei einer von der Widerspruchsbehörde (hier § 85 Abs. 2 Nr. 3 SGG) ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Verfristung des Widerspruchs nur dann ermöglicht, wenn die Widerspruchsbehörde auch in der Sache entschieden hat. Aufgrund eines verspäteten Widerspruchs ist die Behörde zwar nicht mehr verpflichtet, in der Sache zu entscheiden; sie verliert aber nicht die Sachherrschaft über das Verfahren. In einem Widerspruchsverfahren darf die Widerspruchsbehörde damit auch über einen verspäteten Widerspruch sachlich entscheiden; eine sich über die Fristversäumung hinweg setzende Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde schließt dann für das spätere Gerichtsverfahren die Beachtlichkeit des Widerspruchs aus. Für eine Sachentscheidung genügt es nicht, wenn sich die Widerspruchsbehörde nur hilfsweise zur Sache äußert (BSG, Urteil vom 12.10.1979 - 12 RK 19/78 -, SozR 1500 § 84 Nr. 3; Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R -, SozR 4-3500 § 28 Nr. 3; BVerwG, Urteil vom 16.01.1964 - VIII C 72.62 -, DVBl. 1965, 89). Nur diese Sachentscheidung eröffnet den Weg zu einer gerichtlichen Sachprüfung. Weist die Widerspruchsbehörde den Widerspruch als unzulässig zurück und entscheidet sie nicht in der Sache, sind die Gerichte an einer sachlich-rechtlichen Überprüfung des Klagebegehrens gehindert (BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 -, Juris Rdnr. 29). Vorliegend hat sich die Widerspruchsstelle der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 18.01.2007 ausschließlich auf die Unzulässigkeit des Widerspruchs und damit auf die Bestandskraft des Bescheides vom 23.08.2006 berufen und keine Sachprüfung durchgeführt. Der Senat kann damit in eine Sachprüfung nicht eintreten.
- 30
Die - hier teilweise - isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2007 ist möglich, da er gegenüber dem Ausgangsbescheid eine zusätzliche, selbständige Beschwer enthält und jedenfalls der Rechtsgedanke des § 79 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) heranzuziehen ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 95 RdNr. 3 ff. mwN). Die Voraussetzung einer zusätzlichen Beschwer ist im Fall der Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift im Widerspruchsverfahren erfüllt, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (vgl. bei einer unterbliebenen Anhörung: BSG, Urteil vom 15.08.1996 - 9 RV 10/95 -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 13; Urteil vom 25.03.1999 - B 9 SB 14/97 R -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 14), was bei der vorliegenden Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig anstelle einer Sachentscheidung der Fall ist. Zwar wird die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsschutzinteresse an einer isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides dann nicht gegeben ist, wenn es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung handelt (Leitherer a.a.O. RdNr. 3c; Behrend in Hennig, SGG, § 95 RdNr. 20; Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 79 RdNr. 19). Dies überzeugt jedoch nicht, da § 79 VwGO keinen Unterschied zwischen Ermessensentscheidungen und gebundener Verwaltung macht. Auch folgt aus dem Sinn und Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung, Verbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers, Schutz der Gerichte vor Überlastung) und aus der allgemeinen Stellung der Gerichte im gewaltenteiligen Staat, dass ein Gericht eine Sachentscheidung erst treffen soll, wenn die Verwaltung, dh die Widerspruchsbehörde, in einem einwandfreien Verfahren und ohne zusätzliche Rechtsfehler das letzte Wort in der Sache gesprochen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 79 RdNr. 5; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 79 RdNr. 9).
- 31
Auch Gründe der Prozessökonomie können eine solche Sachprüfung nicht ermöglichen. Im Widerspruchsverfahren wird die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG) nachgeprüft. Dies dient der Selbstkontrolle der Verwaltung und darüber hinaus soll der Schutz des betroffenen Bürgers verbessert und es sollen die Sozialgerichte vor unnötiger Arbeit bewahrt werden. Das Verfahren ist eine grundsätzlich unverzichtbare Sachurteils-(Prozess-)Voraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1999 - B 12 KR 8/98 R -, SozR 3-1500 § 78 Nr. 3). Dies schließt es auch bei "gebundenen", d.h. nicht im Ermessen der Verwaltung stehenden Entscheidungen - wie hier - aus, auf das Widerspruchsverfahren zu verzichten (BSG aaO). Die Möglichkeit einer positiven Entscheidung in der Sache scheidet vorliegend auch nicht von vornherein aus und der Senat kann jedenfalls derzeit keine für den Kläger günstige Sachentscheidung treffen, da noch weitere Ermittlungen anzustellen sind. Es ist u. a. zu prüfen (§§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 SGB III), ob sich der Kläger wirksam (§ 122 Abs. 1 SGB III) am 30.06.2006 arbeitslos gemeldet hat, was davon abhängen könnte, ob der Eintritt von Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Monaten prognostisch erwartet werden konnte, ob der Kläger aus seiner "Laiensphäre" davon ausgehen konnte, sich bei der zuständigen Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet zu haben (vgl. BSG, Urteil vom 19.01.2005 - B 11a/11 AL 41/04 R -, Juris; Urteil vom 06.04.2006 - B 7a AL 74/05 R -, SozR 4-4300 § 26 Nr. 4) und ob die Beklagte die Arbeitslosmeldung entgegengenommen und akzeptiert hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2010 - B 7 AL 49/08 R -, Juris). Auch ein arbeitsunfähig Erkrankter kann sich arbeitslos melden und muss nicht seine "Genesung" abwarten, um dann - erneut - die Agentur für Arbeit zur persönlichen Arbeitslosmeldung aufzusuchen. Sollte die Beklagte Ursachen für eine verspätete Arbeitslosmeldung geschaffen haben, könnte die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu erwägen sein (vgl. BSG, Urteil vom 19.01.2005 a.a.O.), da es nicht um die Ersetzung der Tatsache des persönlichen Erscheinens bei der Behörde geht. Ob der Kläger ab dem 31.07.2006 bereit war, alle seiner objektiven Leistungsfähigkeit entsprechenden und nach Art und Umfang zumutbaren Beschäftigungen aufzunehmen (Arbeitsbereitschaft, § 119 Abs. 5 Nr. 3 SGB III), ist ebenfalls zu prüfen.
- 32
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
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Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
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Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte sein Recht verwirkt hat, die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers aufzuheben.
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Beim Kläger wurde im Juni 1992 ein bösartiges Geschwür des rechten Hoden diagnostiziert, der ebenso wie die dazugehörigen Lymphknoten entfernt werden musste. Wegen dieser Krebserkrankung stellte das Versorgungsamt U. auf Antrag des Klägers dessen Grad der Behinderung (GdB) mit 50 seit dem 1.6.1992 fest (Bescheid vom 20.1.1993) und stellte dem Kläger einen bis zum 30.6.1997 befristen Schwerbehindertenausweis aus. Zugrunde lag eine versorgungsärztliche Stellungnahme die ua vermerkt hatte, im Juni 1997 sei eine Nachprüfung erforderlich.
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Ein im Dezember 1994 wegen einer Knochenzyste gestellter Neufeststellungsantrag des Klägers blieb erfolglos (Bescheid vom 17.1.1995). Auch die in diesem Zusammenhang erstellte versorgungsärztliche Stellungnahme erinnerte daran, der GdB von 50 müsse im Juni 1997 wegen einer möglichen Heilungsbewährung überprüft werden. Trotzdem unterblieb die Nachprüfung. Stattdessen wurde der Schwerbehindertenausweis des Klägers jeweils am 18.6.1997 und am 3.7.2002 befristet und am 28.6.2007 unbefristet verlängert. Auf dem Formular der letzten internen Ausweisverfügung des Beklagten war "Nachprüfung nicht erforderlich" angekreuzt.
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Am 21.12.2011 leitete das Landratsamt O. von Amts wegen eine Nachprüfung ein, hörte den Kläger dazu an und hob den Bescheid vom 20.1.1993 nach § 48 SGB X auf. Nach Heilungsbewährung liege seit dem 3.6.2012 kein GdB von mindestens 20 mehr vor (Bescheid vom 31.5.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2012). Das SG hat medizinisch ermittelt und auf dieser Grundlage den Aufhebungsbescheid des Beklagten (Land Baden-Württemberg) seinerseits aufgehoben. Zwar sei der GdB an sich nur noch mit weniger als 20 zu bemessen, weil der Zeitraum der Heilungsbewährung abgelaufen und keine nennenswerten Gesundheitsstörungen hinzugetreten seien. Der Beklagte habe aber sein Aufhebungsrecht verwirkt und sei daher an die ursprüngliche höhere Feststellung gebunden (Urteil vom 28.2.2014).
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Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und die Klage gegen den Aufhebungsbescheid abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 1 SGB X lägen wegen der erfolgreichen Heilungsbewährung vor. § 48 Abs 4 S 1 SGB X iVm § 45 Abs 3 S 3 SGB X stehe der Aufhebung nicht entgegen, sondern schließe nach Ablauf von zehn Jahren lediglich eine rückwirkende Aufhebung aus. Der Senat folge insoweit der vom BSG (Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90) vertretenen Auffassung. Für sie spreche auch die inzwischen erfolgte Erweiterung des § 45 Abs 3 SGB X. Verwirkt habe der Beklagte das Aufhebungsrecht nicht; es fehle jedenfalls an der erforderlichen Vertrauensbetätigung des Klägers (Urteil vom 30.1.2015).
- 6
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Mit seiner Revision macht der Kläger weiterhin geltend, der Beklagte habe sein Aufhebungsrecht verwirkt. Dieser habe in den Jahren 2002 und 2007 zweimal seine Schwerbehinderteneigenschaft bestätigt und danach den Schwerbehindertenausweis unbefristet verlängert. Er habe daher nicht mehr von einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ausgehen können, sondern auf das Fortbestehen seiner Eigenschaft als Schwerbehinderter vertrauen können. Sein Vertrauen verdiene Schutz, weil die Schwerbehinderteneigenschaft seinen Kündigungsschutz verstärkt, ihm einen steuerlichen Vorteil sowie die Option einer früheren Rente verschafft habe. Fehler habe allein der Beklagte begangen.
- 7
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Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30. Januar 2015 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Ulm vom 28. Februar 2014 zurückzuweisen.
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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 9
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Er beruft sich auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§170 Abs 1 S 1 SGG), weil die vom Kläger nach § 54 Abs 1 Alt 1 SGG zulässig erhobene isolierte Anfechtungsklage gegen die Aufhebung seiner Schwerbehinderteneigenschaft unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 31.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2012 war rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte durfte seinen Aufhebungsbescheid auf § 48 SGB X stützen(1.); seine Aufhebungsbefugnis ist nicht verwirkt (2.).
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1. Der Beklagte hat den Ausgangsbescheid vom 20.1.1993 zu Recht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X aufgehoben. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
- 12
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Die erforderlichen formellen Voraussetzungen der Aufhebung hat der Beklagte erfüllt, indem er den Kläger vorab ordnungsgemäß schriftlich angehört und seinen Bescheid ausreichend begründet hat, § 24 Abs 1 und § 35 Abs 1 SGB X.
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Auch die materiellen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 48 Abs 1 S 1 SGB X lagen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids als letzter maßgeblicher Verwaltungsentscheidung(vgl Zeihe, SGG, Stand April 2015, § 54 RdNr 2d; BSG Urteil vom 27.10.1976 - 2 RU 127/74 - SozR 2200 § 690 Nr 4 = BSGE 43, 1-9 = SozR 1500 § 131 Nr 4) vor. Bei der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Bescheid vom 20.1.1993 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung iS von § 48 SGB X(vgl BSG Urteil vom 12.11.1996 - 9 RVs 5/95 - BSGE 79, 223, 225 = SozR 3-1300 § 48 Nr 57 S 128 f mwN). Seine tatsächlichen Grundlagen hatten sich durch den erfolgreichen Ablauf der Periode der Heilungsbewährung beim Kläger im Sinne dieser Vorschrift entscheidungserheblich geändert.
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Gemäß Nr 26.1 Abs 3 Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) bzw jetzt Teil B Nr 1 c der Anlage "Versorgungsmedizinische-Grundsätze" zur Versorgungsmedizin-Verordnung (Anl VersMedV) ist nach Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, insbesondere bei bösartigen Geschwulsterkrankungen, eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der Zeitraum der Heilungsbewährung beträgt in der Regel fünf Jahre, und zwar ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann. Die hinsichtlich der häufigsten und wichtigsten solcher Krankheiten angegebenen GdB/MdE/GdS-Anhaltswerte sind auf den "Zustand nach operativer oder anderweitiger Beseitigung der Geschwulst bezogen". Sie beziehen den "regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden ein". Außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung - zB langdauernde schwere Auswirkungen einer wiederholten Chemotherapie - sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen (BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 4/10 R - Juris RdNr 22). Wegen dieser Pflicht der Versorgungsbehörden, trotz der grundsätzlich vorgesehenen Pauschalierung besonders gelagerten Einzelfallkonstellationen zu Gunsten der Betroffenen Rechnung zu tragen (vgl BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 4/10 R - Juris; BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10), begegnen die Regeln über die Heilungsbewährung keinen grundsätzlichen gleichheitsrechtlichen Bedenken. Sie lassen den Versorgungsbehörden ausreichend Spielraum dafür, in jedem Einzelfall den Gleichheitsgrundsatz ausreichend zur Geltung zu bringen. Verfassungsrechtliche Erwägungen zwingen daher nicht dazu, das Modell der Heilungsbewährung zu überarbeiten.
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Bestehen - wie beim Kläger - keine solchen außergewöhnlichen Folgen oder Begleiterscheinungen der Krebserkrankung, so legt die VersMedV die Höhe des GdB pauschal fest. Erst für die Zeit danach ist der GdB nach den konkreten Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bemessen (vgl dazu Teil A Nr 2 Anl VersMedV und BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - Juris RdNr 7). Beruht daher die Höhe des GdB auf einer Erkrankung, für welche die einschlägigen Normen einen erhöhten GdB-Wert während des Zeitraums der Heilungsbewährung ansetzen, ändert das Verstreichen dieses Zeitraums die wesentlichen, dh rechtserheblichen tatsächlichen Verhältnisse, die der Feststellung des GdB zugrunde lagen (vgl BSG Urteil vom 12.2.1997 - 9 RVs 12/95 - Juris RdNr 14 mwN).
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So lag der Fall des Klägers. Der Beklagte hatte bei ihm wegen seiner durchlittenen Krebserkrankung (Hodentumor) nach Teil A Nr 26.13 AHP 1983 (vgl jetzt Teil B Nr 13.6., Teil B Nr 3.7 Anl VersMedV ) für die Zeit einer Heilungsbewährung von fünf Jahren einen pauschalen GdB von 50 angesetzt. Bereits 1997 war diese Zeitspanne abgelaufen. Die nunmehr anstelle pauschaler Bemessung zugrunde zu legenden tatsächlichen Umstände rechtfertigten beim Kläger nach den für den Senat bindenden Feststellungen der Instanzgerichte einen GdB-Wert von nur noch unter 20.
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Die von § 48 Abs 4 S 1 SGB X angeordnete "entsprechende" Anwendung des § 45 Abs 3 S 3 SGB X steht einer Aufhebung der GdB-Feststellung wegen dieser Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht entgegen. Nach § 45 Abs 3 S 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch bei vorwerfbarem Verhalten des Begünstigten nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Das LSG hat unter Verweis auf die Rechtsprechung des Senats (BSG Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - SozR 3-1300 § 48 Nr 22 = BSGE 72, 1-7 = SozR 3-3100 § 61 Nr 1) zutreffend angenommen und im Einzelnen ausgeführt, dass die entsprechende Anwendung der Zehnjahresfrist nach Systematik sowie Sinn und Zweck nicht dazu dient, einer wesentlichen Änderung nach zehn Jahren jegliche Bedeutung abzusprechen. Vielmehr verbietet sie es lediglich nach Ablauf dieser Zeit, den Leistungsbescheid rückwirkend zu ändern und damit in abgeschlossene Lebensvorgänge einzugreifen. Andererseits besteht kein überzeugender Grund, die Aufhebung des Ausgangsbescheids für die Zukunft davon abhängig zu machen, wann die Änderung eingetreten ist. Unterbliebenen Verwaltungsakten, insbesondere dem Nichterlass eines Aufhebungsbescheides, kann - anders als den von § 45 SGB X geregelten, von Anfang an unrichtigen Bescheiden - keine Bestandskraft zukommen. Im Fall der Änderung der Verhältnisse fehlt es vielmehr hinsichtlich der neuen, nunmehr maßgebenden Sach- und Rechtslage an einer Verwaltungsentscheidung, die dem Betroffenen Anlass geben könnte, sich auf die Unerheblichkeit der eingetretenen Änderung zu verlassen. Sein Interesse wird dadurch nicht unzumutbar vernachlässigt. Bis der Aufhebungsbescheid wirksam wird, verbleibt ihm die Dauerleistung, die der Gesetzgeber ihm nach der materiellen Rechtslage nicht zugedacht hatte (BSG aaO).
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Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, dieses vom Senat 1992 gefundene Ergebnis infrage zu stellen. Die vom LSG thematisierte Gesetzesänderung im Jahre 1998 (Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 6.4.1998 - BGBl I 1998, 688) hat die entscheidungserhebliche Vorschrift des § 45 Abs 3 S 3 SGB X unberührt gelassen und ihr lediglich zwei weitere, hier nicht einschlägige Sätze angefügt. Seitdem kann nach § 45 Abs 3 S 4 SGB X in den Fällen des § 45 Abs 3 S 3 SGB X - also bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit bzw im Falle eines Widerrufsvorbehalts - ein rechtswidriger Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung selbst noch nach Ablauf der Zehnjahresfrist zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Zehnjahresfrist am 15.4.1998 bereits abgelaufen, ist die Aufhebung nach Satz 4 der Vorschrift nur noch für die Zukunft möglich. Mit der Neuregelung wollte der Gesetzgeber die Rücknahme von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung auch für die Vergangenheit insbesondere in Fällen ermöglichen, in denen sich der Leistungsempfänger der Unrechtmäßigkeit der Zahlung bewusst war. Die Regelung sollte ausdrücklich auf laufende Geldleistungen beschränkt sein (BT-Drucks 13/10033 S 20). Aus dieser Ausweitung der Rücknahmemöglichkeiten ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Absicht des Gesetzgebers, die dem Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BSG und ihre Auslegung des Verweises von § 48 Abs 4 S 1 SGB X auf § 45 Abs 3 S 3 SGB X zu beseitigen und damit in bestimmten Konstellationen die Befugnisse der Behörden umgekehrt wieder einzuschränken.
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Auch die Rechtsprechung der Landessozialgerichte (LSG für das Land Brandenburg Urteil vom 23.10.2003 - L 2 RJ 110/02 - Juris RdNr 38; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 1.4.2003 - L 3 U 66/01 - Juris RdNr 44 entgegen und unter Aufhebung von SG Mainz Urteil vom 30.1.2001 - S 6 U 217/98 - Juris; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil vom 7.11.2001 - L 10 SB 50/01 - Juris; LSG Hamburg Urteil vom 1.9.1999 - L 3 U 50/98 - Juris) sowie die vom LSG zitierte Literatur folgen der Senatsrechtsprechung inzwischen nahezu einhellig (aA Gagel, SGb 1990, S 252, 255).
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Der Aufhebung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte nach Ablauf der Heilungsbewährung noch erhebliche Zeit - mehr als ein Jahrzehnt - hat verstreichen lassen, bevor er daraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse gezogen und das Überprüfungsverfahren eingeleitet hat. Denn § 48 Abs 1 S 1 SGB X verpflichtete den Beklagten auch noch lange Zeit nach Änderung der wesentlichen Verhältnisse zur Aufhebung des begünstigenden Bescheides. Im Gegensatz zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X bei atypischen Fällen ("soll") eröffnet § 48 Abs 1 S 1 SGB X nach seinem eindeutigen Wortlaut dem zuständigen Verwaltungsträger bei der Entscheidung über die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Zukunft kein Ermessen ("ist"). Sind daher die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 1 SGB X erfüllt, so ist der Verwaltungsakt zwingend mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben(BSG Urteil vom 2.4.2014 - B 6 KA 15/13 R - SozR 4-1300 § 47 Nr 1 RdNr 32; Brandenburg in jurisPK-SGB X, 2013, § 48 RdNr 113 mwN). Die Vorschrift räumt damit der Gesetzesbindung der Verwaltung Vorrang vor individuellem Vertrauensschutz ein. Gesichtspunkte wie zögerliches Handeln der Behörde oder Gutgläubigkeit des Empfängers spielen daher für die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung keine Rolle. Mit § 46 Abs 1 S 1 SGB X aF, der dem heutigen § 48 Abs 1 S 1 SGB X entspricht, wollte der Gesetzgeber - im Gegensatz zu der im allgemeinen Verwaltungsrecht geltenden Ermessensvorschrift des § 49 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz - im leistungsrechtlich geprägten Sozialrecht bewusst eine Pflicht schaffen, den Verwaltungsakt für die Zukunft aufzuheben, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen(BT-Drucks 8/2034 S 35).
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2. Der Beklagte hat seine Befugnis zur Korrektur der rechtswidrig gewordenen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht verwirkt.
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Das richterrechtliche Institut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Sozialversicherungsrecht ebenso wie im allgemeinen Verwaltungsrecht und im Zivilrecht anerkannt (vgl BSGE 7, 199, 200; 34, 211, 213; 41, 275, 278; 59, 87, 94 = SozR 2200 § 245 Nr 4 S 22 f; BSGE 80, 41, 43 = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6 S 17 f). Eine solche Verwirkung setzt allgemein voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat, wie es der Beklagte über deutlich mehr als ein Jahrzehnt getan hat. Zum Zeitablauf müssen jedoch weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des einschlägigen Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (vgl BVerfGE 32, 305; BVerwGE 44, 339, 343; BFHE 129, 201, 202; BSGE 34, 211, 214; 35, 91, 95 mwN). Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete - erstens - infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dieser werde das Recht nicht mehr geltend machen (Vertrauensgrundlage), - zweitens - der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, das Recht werde nicht mehr ausgeübt (Vertrauenstatbestand), und - drittens - er sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl BSGE 47, 194, 196 = SozR 2200 § 1399 Nr 11 S 15 mwN; BSGE 80, 41, 43 = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6 S 18; BVerwGE 44, 339, 343 f).
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Allerdings enthalten die §§ 45 ff SGB X in ihrem Anwendungsbereich eine spezielle und abschließend gedachte Regelung des Vertrauensschutzes bei der Aufhebung von Verwaltungsakten. Der Gesetzgeber hat damit ein abgestuftes Vertrauensschutzkonzept geschaffen, mit dem er ua zwischen rückwirkender und allein zukunftsgerichteter Aufhebung unterscheidet sowie enge Handlungsfristen für die Aufhebung vorsieht, vgl § 45 Abs 4 SGB X. Diese passgenaue gesetzliche Interessenabwägung können die Sozialgerichte nicht pauschal durch allgemeine, aus der Generalklausel von Treu und Glauben abgeleitete Vertrauensschutzerwägungen ersetzen. Zumindest im Fall der gebundenen Aufhebung einer Statusentscheidung im Schwerbehindertenrecht wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse muss die Annahme einer Verwirkung daher auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen eine wortgetreue Anwendung der gesetzlichen Vorschriften dazu führen würde, insbesondere grundrechtlich geschützte Positionen zu verletzen (allg vgl Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2000, S 23 ff; vgl BVerwG Urteil vom 20.12.1999 - 7 C 42/98 - BVerwGE 110, 226 ff). Da die Verwirkungsvoraussetzungen hier deshalb eng auszulegen sind, hat der Beklagte sein Aufhebungsrecht trotz seiner langen Untätigkeit nicht verwirkt. Dafür fehlt es schon an einer ausreichenden Verwirkungshandlung des Beklagten und damit auch an der erforderlichen Vertrauensgrundlage (a) sowie unabhängig davon an einem schützenswerten Vertrauensverhalten des Klägers (b).
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a) Die lange Säumnis des Beklagten bei der erforderlichen Überprüfung des Gesundheitszustands des Klägers stellt - selbst in Verbindung mit der Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises - keine ausreichende Verwirkungshandlung dar.
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Wie der Senat speziell für den Fall der Aufhebung einer Feststellung der Schwerbehinderung nach erfolgreicher Heilungsbewährung bereits entschieden hat, können Sozialbehörden aus einer Änderung der Verhältnisse für die Zukunft jedenfalls grundsätzlich zeitlich unbeschränkt Gestaltungsrechte ableiten (BSG Urteil vom 12.2.1997 - 9 RVs 12/95 - Juris RdNr 16). Dies fordert maßgeblich der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung, der die Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände und die Gleichbehandlung aller Antragsteller gebietet. Verwirken kann die zuständige Behörde ihr Recht, eine rechtswidrig gewordene Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft aufzuheben, allenfalls dann, wenn sie erkennbar auf das Verstreichen einer Phase der Heilungsbewährung Bezug nimmt und darauf hinweist, daraus auch in Zukunft keine Folgerungen mehr ziehen zu wollen (Verwirkungsverhalten, vgl BSG aaO). Bereits eine solche eindeutige Verwirkungshandlung des Beklagten hat das LSG indes nicht festgestellt. Sie liegt insbesondere nicht in der Verfügung vom 28.6.2007 über die unbefristete Verlängerung des Schwerbehindertenausweises mit dem fälschlicherweise angekreuzten Formularvermerk, eine Nachprüfung sei nicht erforderlich. Denn diese Verfügung ist nur ein behördeninterner Vorgang ohne Außenwirkung.
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Die Umsetzung dieser Verfügung nach außen durch Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises an den Kläger stellt ebenfalls keine ausreichende Verwirkungshandlung des Beklagten dar; sie hat deshalb keine geeignete Vertrauensgrundlage für den Kläger geschaffen. Denn ein solcher Ausweis hat keine konstitutive Bedeutung für die darin verlautbarten Feststellungen (Oppermann in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand 8/2014, K § 69 RdNr 38; Goebel in jurisPK-SGB IX, 2. Aufl 2015, § 69 RdNr 25: "deklaratorische Bedeutung"). Vielmehr weist er gemäß § 69 Abs 5 S 2 SGB IX lediglich als öffentliche Urkunde die gesondert im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach(vgl BSG Urteil vom 26.2.1986 - 9a RVs 4/83 - SozR 3870 § 3 Nr 21 = BSGE 60, 11-18; BSG Urteil vom 11.5.2011 - B 5 R 56/10 R - Juris RdNr 25 mwN; Goebel aaO RdNr 65). Demgegenüber nahm der dem Kläger ausgestellte Ausweis weder auf das Verstreichen der Heilungsbewährung Bezug, noch wies er darauf hin, daraus auch in Zukunft keine Folgerungen ziehen zu wollen. Zwar darf nach § 6 Abs 2 S 2 Schwerbehindertenausweisverordnung der Ausweis entgegen der Sollvorschrift des § 69 Abs 5 S 3 SGB IX, die regelmäßig nur eine befristete Ausstellung vorsieht, an sich nur dann unbefristet ausgestellt werden, wenn eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen nicht zu erwarten ist. Insofern hat sich der Beklagte aber offenbar lediglich geirrt. Schützenswertes Vertrauen konnte der Kläger auf die Kundgabe dieses Irrtums nicht gründen, mag er sich auch in laienhafter Anschauung darauf verlassen haben, sich trotz der ihm bekannten Besserung seines Gesundheitszustands keiner Nachprüfung mehr stellen zu müssen. Denn nach § 69 Abs 5 S 4 SGB IX wird der Schwerbehindertenausweis eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises stand ebenso wie die zugrunde liegende Feststellung der Schwerbehinderung des Klägers von Anfang an unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bei Änderung der Verhältnisse. Dies gilt ohnehin für jede gesundheitliche Einschränkung, soweit sie einer Besserung zugänglich ist und erst recht für die Feststellung der Schwerbehinderung nach Ablauf der Zeitspanne der Heilungsbewährung.
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b) Zudem hat der Kläger sein subjektiv möglicherweise gefasstes, aber objektiv nicht gerechtfertigtes Vertrauen nicht schützenswert betätigt (Vertrauensverhalten). Auch dies hat das LSG für den Senat bindend festgestellt. Die dem Kläger in der Vergangenheit gewährten Steuer- bzw Statusvorteile verbleiben ihm. Für die Zukunft hat der Kläger keine Vertrauensdispositionen getroffen, die er nicht mehr oder nur noch unter unzumutbaren Anstrengungen und Kosten rückgängig machen könnte. Die Aufhebung der rechtswidrig gewordenen Statusentscheidung berührt insbesondere keine grundrechtlich geschützten Positionen des Klägers.
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Insgesamt erschließt sich nicht, warum die Aufhebung der Schwerbehinderteneigenschaft den Kläger für die Zukunft unzumutbar belasten sollte, obwohl sein gesundheitlicher Zustand diese Feststellung schon seit langem in keiner Weise mehr rechtfertigt und er gleichwohl während der langen Untätigkeit des Beklagten von den an den Schwerbehindertenstatus geknüpften Vorteilen und Erleichterungen profitiert hat.
Tenor
Die dem Kläger von der Beklagten am 14.09.2010 erteilte Aufenthaltserlaubnis in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.11.2010 sowie der dem Kläger am 14.09.2010 erteilte Reiseausweis für Ausländer in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.11.2010 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis und des Reiseausweises unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung des Bevollmächtigten des Klägers für das Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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Tenor
Der Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 wird insoweit aufgehoben, wie er feststellt, dass die gesundheitli-chen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht mehr vorliegen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.
1
Tatbestand:
2Streitgegenstand ist eine negative Feststellung der Beklagten zum weiteren Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" bei dem Kläger.
3Bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 27.04.1998 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzun-gen für das Merkzeichen "H" ab dem 05.12.1997 festgestellt. Unter "entsprechender Auf-hebung" des Bescheides vom 27.04.1998 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 17.08.2000 beim Kläger einen GdB von 60 fest.
4Mit Bescheid vom 11.05.2012 schließlich stellte die Beklagte unter "entsprechender Auf-hebung" des Bescheides vom 17.08.2000 einen GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G und B bei dem Kläger fest. Es folgten zunächst Aus-führungen zur Ausweisart: "Es steht Ihnen einen Ausweis zu ( )", sodann zum Ausweis-inhalt: "Der Ausweis enthält folgende Eintragungen: - den festgestellten Grad der Behin-derung von 100; - die Merkzeichen G, B, H; - den Gültigkeitsbeginn 05.12.1997" ( ).
5Im Mai 2015 nahm die Beklagte eine Prüfung ihrer Feststellungen von Amts wegen auf. Nach entsprechender Anhörung unter dem 04.08.2015 verfügte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 07.10.2015 unter Bezugnahme auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X): "Von Amts wegen hebe ich den Bescheid vom 11.05.2012 wie folgt auf: Ihr Grad der Behinderung beträgt 100. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" liegen bei Ihnen nicht mehr vor". Nach einer Begründung dieser Entscheidung folgte unter der Über-schrift "Ausweis": "Die Feststellung, die ich in diesem Bescheid getroffen habe, können Sie mit einem Schwerbehindertenausweis nachweisen. ( ) Der Ausweis enthält folgende Einträge: - GdB 100; - Merkzeichen G, B ( )."
6Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 13.10.2015 wies die Bezirksre-gierung Münster mit Bescheid vom 09.12.2015 als unbegründet zurück.
7Hiergegen hat der Kläger am 16.12.2015 Klage erhoben.
8Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 insoweit aufzuheben, wie er feststellt, dass die gesundheitlichen Vo-raussetzungen für das Merkzeichen "H" bei ihm nicht mehr vorliegen.
9Die Vertreterin der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte ist der Auffassung, mit dem gewollt bezeichneten Bescheid vom 11.05.2012 den zutreffenden Bescheid in Bezug auf eine Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" aufgehoben zu haben. Zwar verhalte sich dieser Bescheid im Feststel-lungsteil nicht ausdrücklich zum Merkzeichen "H", jedoch hebe dieser Bescheid jenen vom 17.08.2000 und dieser wiederrum den Bescheid vom 27.04.1998, mit dem das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" festgestellt worden sei, vollständig auf. Aus den Festsetzungen zum Ausweisinhalt im Bescheid vom 11.05.2012 sei zu erkennen, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" (weiter) festgestellt würden. Die Beklagte hebe entsprechend in ständiger Praxis, unterstützt durch eine lan-desweit genutzte EDV, bei einer Neufeststellung immer und ausschließlich den letzten Bescheid vollständig auf und stelle alle weiter und/oder neu geltenden Feststellungen zum GdB und den Voraussetzungen von Merkzeichen auf eine neue Bescheidgrundlage. Hier-gegen hätten die Sozialgerichte bislang nichts zu erinnern gehabt.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Verwal-tungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.
12Entscheidungsgründe:
13Die zulässige Anfechtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, S. 2 Alt. 1 Sozialgerichtsge-setz – SGG) ist begründet. Die Verfügung der Beklagten zur Feststellung des Entfallens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" in dem Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
14A. Die angefochtene, selbstständige Regelung, dass die gesundheitlichen Voraussetzun-gen für das Merkzeichen "H" beim Kläger nicht mehr vorliegen ist rechtswidrig, weil sie der weiterhin bestandkräftigen Feststellung des Bescheides vom 27.04.1998 widerspricht, dass der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" erfüllt. Diese Regelung ist als Verwaltungsakt i. S. d. § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – So-zialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) solange und soweit wirksam und damit i. S. e. materiellen Bestandkraft bindend (vgl. hierzu: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 43, Rn. 14 ff., 40; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/ Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 43, Rn. 55 ff.; Bader/ Ronellenfitsch, VwVfG, 2009, § 43, Rn. 21 ff.) als sie nicht zurück-genommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben worden ist (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Aufhebungen von Feststellungen müssen das Spiegelbild der Feststellung sein, sich also auf die Verfügungssätze im Sinne von § 31 SGB X des Feststellungsbescheides beziehen (sog. actus contrarius, vgl. BVerwG v. 30.04.1992 - 5 C 29/88 - juris Rn. 10 - NDV 1992, 340-342); eine konfligierende Feststellung allein reicht nicht aus, soweit in ihr nicht zugleich – nach Auslegung gem. §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog (konkludent) – mit hinreichender Bestimmtheit i. S. d. § 33 SGB X eine Aufhebung zu erkennen ist (vgl. dazu: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/ Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 43, Rn. 41 ff., 47 f.). Der für die konkrete Feststellung maßgebliche Verfügungssatz muss beseitigt werden, damit dessen Bindungswirkung entfällt. Solange dies nicht der Fall ist, ist eine abweichende bzw. eine gegenteilige Feststellung gerade rechtswidrig (arg. § 39 Abs. 2 SGB X). Der Bestimmtheitsgrundsatz (§ 33 Abs. 1 SGB X) verlangt dabei, dass zumindest durch Auslegung, ausgehend vom tatsächlichen Regelungswillen des Beklagten, aus Sicht des Adressaten des Aufhebungsbescheids hinreichend deutlich wird, welche Verfügungssätze welchen Bescheides konkret aufgehoben werden. Widersprüche und Zweifel gehen zu Lasten der Behörde (vgl. Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rn. 16; ferner: BSG, Urteil vom 15.12. 2010 – B 14 AS 92/09 R –, Rn. 18, juris; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 20/09 R -, juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 15.5.2002 - B 6 KA 25/01 R = BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 46 S 384, Rn. 23 m. w. Nachw.; BSG, Urteil vom 07.02.2012 – B 13 R 85/09 R – juris, Rn. 47; BSG vom 6.2.2007 - SozR 4-2600 § 96a Nr 9 Rn. 38; BSG vom 17.12.2009 - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, Rn.13 m. w. Nachw.; Engelmann, in: von Wulffen/ Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 33, Rn. 6a ff.).
15Aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte die negative Feststellung zu den Vorausset-zungen des Merkzeichens "H" mit einer entsprechenden Aufhebung des Bescheides vom 11.05.2012 verknüpft, statt mit einer (entsprechenden) Aufhebung der konträren positiven Feststellung im Bescheid vom 27.04.1998, liegt in der hier streitgegenständlichen Rege-lung danach kein actus contrarius zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H", sondern vielmehr ein Verstoß gegen das aus der materiellen Be-standkraft folgende Abweichungsverbot (vgl. dazu: Sachs, a.a.O., auch zur Wesentlichkeit der Auslegung bei der Abgrenzung zur Aufhebung; ebenso Seibert, Dies Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 195 ff.; Schroeder, Bindungswirkungen, 2006, Teil 2).
161. Der Bescheid vom 11.05.2012, dessen (teilweise) Aufhebung nach dem erkennbaren Willen der Beklagten mit der negativen Feststellung zum Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" eine regelungstechnische Einheit bildete, ent-hielt – entgegen der Auffassung der Beklagten - keine Regelung zum Merkzeichen "H". Der Bescheid hat im Feststellungsteil gem. § 69 Abs. 1, 3, 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) drei selbstständige Regelungen: Unter entsprechender Aufhebung des vorangegangenen Feststellungsbe-scheides vom 17.08.2000 wurde mit Bescheid vom 11.05.2012 ein GdB von 100 festge-stellt (1.). Darüber hinaus wurden die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzei-chen "G" (2.) und "B" (3.) erstmals festgestellt. Eine Regelung für den Nachteilsausgleich "H" erfolgte in keiner Weise. Insbesondere enthielt der Bescheid diesbezüglich keinen sog. Zweitbescheid, also eine erneute Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" mit Regelungswillen (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 35, Rn. 97), wie es der Auffassung der Beklagten entspräche. Die Beklagte geht zunächst in der Annahme fehl, mit ihrer ständigen Bescheidungspraxis hebe sie jeweils alle vorangegangen Feststellungen vollständig auf und treffe Feststellungen nach § 69 Abs. 1, 3, 4 SGB IX umfassend neu. Dies dürfte zwar in Bezug auf Feststellungen zum GdB zu-treffend sein. Hier zeigt der angefochtene Bescheid vom 07.10.2015, dass die Beklagte selbst einen bereits zuvor festgestellten GdB von 100 nochmals neu regeln wollte. Dafür und gegen die Annahme einer bloß wiederholenden Verfügung spricht die Formulierung "Ihr GdB beträgt". Gegensätzlich verfährt die Beklagte bezüglich weiter bestehen bleiben-der Feststellungen der gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen ("G" und "B"), zur der gerade keine erneute (positive) Aussage getroffen wird (vgl. auch die Bescheide vom 17.08.2000 und 11.05.2012, die keine erneute Aussage zum Vorliegen der gesund-heitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H", die bereits mit Bescheid vom 27.04.1998 festgestellt wurden, treffen). Korrespondierend formuliert die Beklagte im ers-ten Teil ihrer Regelungen auch jeweils, der nach Datum bezeichnete vorangegangene Bescheid werde "entsprechend" oder "wie folgt" aufgehoben.
172. Weiter kann den im jeweiligen Bescheid enthaltenen Darstellungen zum Ausweisinhalt – anders als die Beklagte meint - keine Regelungswirkung im Sinne einer Feststellung nach § 69 Abs. 1, 4 SGB IX zukommen. Es reicht daher für eine erneute Feststellung der ge-sundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" nicht aus, wenn die Beklagte im Bescheid vom 11.05.2012 unter der Überschrift "Ausweisinhalt" als enthaltene Eintragun-gen u.a. das Merkzeichen "H" aufführt. Jedenfalls soweit sich die Beklagte zu Eintragun-gen des GdB und von Merkzeichen verhält kommt dem keine Regelungswirkung zu (zur Befristung als Nebenbestimmung: SG Köln, Urteil vom 27.01. 2010 – S 21 SB 35/09 –, Rn. 18, juris). Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde i. S. einer verwaltungsrechtlichen Willenserklärung eine potentiell verbindliche Rechtsfolge setzt, d. h. durch ihre Maßnahme unmittelbar verbindliche Rechtsfolgen setzt (Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 31, Rn. 23 m. w. Nachw.). Davon ist hier nicht auszugehen, weil nach § 69 Abs. 5 S. 1 SGB IX (nur) auf Antrag auf Grund einer (erg. bereits vorausliegenden) Feststellung der Behinderung ein Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale (sog. Merkzeichen) ausgestellt wird. Eine separate (Zwischen)regelung zum Ausweisinhalt ist nicht vorgese-hen. Vielmehr hat der Ausweisinhalt nach § 69 Abs. 5 S. 1 SGB IX zwingend die zuvor nach § 69 Abs. 1, 3, 4 SGB IX getroffenen Feststellungen deklaratorisch abzubilden (vgl. BSG , Urteil vom 30.04.1979 - 8b RK 1/78 - BSGE 48, 167; BAG Urteil vom 28.01.1982 - 6 AZR 636/79 - AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG; BVerwG, Urteil vom 15.12.1988 - 5 C 67/85 - NZA 1989, 554; Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 69 SGB IX, Rn. 25). Seine Ausstellung ist ein Realakt, dem eine regelnde Entscheidung der Behörde zwar über die Ausgabe des Dokuments (acutus contrarius: Einziehung), nicht aber - über das mit entsprechenden Feststellungen abgeschlossene Verwaltungsverfahren nach § 69 Abs. 1, 3, 4 SGB IX hinaus – (nochmals) über dessen Inhalt vorauszugehen hat (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015 – B 9 SB 2/15 R –, SozR 4-1300 § 48 Nr 31, Rn. 26 m. w. Nachw.; vgl. für andere Ausweisdokumente: BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 1.03 - BVerwGE 120, 206, 218; Urteil vom 16.07.1996 - 1 C 30.93 - BVerwGE 101, 295, 307; VGH Mannheim, Urteil vom 29.08.1990 - 1 S 2648/89 –, Rn. 16, juris; VG Bremen, Urteil vom 06.11.2014 – 5 K 795/13 –, Rn. 11, juris). Zu einer konstitutiven Festlegung des GdB und der Voraussetzungen von Merkzeichen durch den Ausweisinhalt fehlt der Beklagten daher die Verwaltungsaktbefugnis (vgl. dazu BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 9 V 26/98 R –, SozR 3-3100 § 62 Nr 4, SozR 3-1300 § 48 Nr 69, Rn. 13 m. w. Nachw.). Gegen einen Regelungswillen der Beklagten, den Ausweisinhalt betreffend, spricht zudem, dass sie vor der Darlegung des Ausweisinhaltes unter Überschrift "Ausweisart" eine Anspruchsberechtigung für einen Ausweis nur erläutert, ohne die (von einem Antrag abhängige) Entscheidung über eine Ausstellung zu erkennen zu geben. Insofern erscheinen auch die darauf folgenden Darlegungen zum Ausweisinhalt als bloß informatorischen Charakters. Aber selbst wenn man dies anderes sehen und etwa auf-grund der folgenden, verbindlich erscheinenden Fixierung des Gültigkeitszeitraumes "des Ausweises" auch den Darlegungen seines Inhaltes einen Regelungswillen entnehmen wollte, wäre darin keine zweitbescheidene Feststellung der gesundheitlichen Vo-raussetzungen des Merkzeichens "H" nach § 69 Abs. 4 SGB IX zu erkennen. Die ggfs. rechtswidrige von den nach § 69 Abs. 1, 3, 4 SGB IX separierte Regelung bliebe eine Reglung zum Ausweisinhalt, nicht aber zur Feststellung der gesundheitlichen Voraus-setzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, die ordnungsgemäß im ersten Teil des Bescheides vom 11.05.2012 erfolgt (vgl. SG Köln, Urteil vom 27.01.2010 – S 21 SB 35/09 –, Rn. 18, juris; Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 69 SGB IX, Rn. 26).
183. Dem angefochtenen Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 kann auch nicht – entgegen seines auf den Bescheid vom 11.05.2012 gerichteten Wortlautes – im Wege der Auslegung gem. § 133, 157 BGB analog entnom-men werden, dass er die tatsächlich ausschließlich mit Bescheid vom 27.04.1998 getroff-ene Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzei-chen "H" aufheben wollte. Die Widersprüchlichkeit der Verknüpfung einer Aufhebung des Bescheides vom 11.05.2012 mit einer negativen Feststellung zu den Voraussetzungen des Merkzeichens "H" kann nicht überwunden werden.
19Eine solche "Korrektur" ist zwar nicht per se unmöglich, ist aber nur dort zutreffend und geboten, wo es sich um eine bloße Falschbezeichnung des Datums des aufzuhebenden Bescheides handelt, die nach dem allgemeinen Auslegungsgrundsatz "falsa demonstratio non nocet" (vgl. dazu: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 133, Rn. 8, 19) unschädlich ist. Dies entspricht der Situation einer offensichtlichen Unrichtigkeit im Sinne des § 38 SGB X (vgl. Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rn. 17 m. w. Nachw.; ferner: BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R -, juris, Rn. 18).
20Vorliegend müsste hiernach unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes (§ 33 Abs. 1 SGB X) der aufgrund ihrer inneren Bezugnahme einheitlichen Verfügung: "Von Amts we-gen hebe ich den Bescheid vom 11.05.2012 wie folgt auf: Die gesundheitlichen Voraus-setzungen für das Merkzeichen "H" liegen bei Ihnen nicht mehr vor"; für den verständigen Empfänger – ggf. in Verbindung mit der Begründung des Verwaltungsaktes, früher ergan-gener Verwaltungsakte oder vorausliegender Korrespondenz – vollständig, klar und un-zweideutig erkennbar sein, dass die Beklagte tatsächlich den Bescheid vom 27.04.1998 in Bezug auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" aufheben wollte (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R –, SozR 4-1300 § 33 Nr 2, SozR 4-1300 § 45 Nr 11, SozR 4-1300 § 48 Nr 25, Rn. 18, 19; BSG, Urteil vom 15.5.2002 - B 6 KA 25/01 R = BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 46 S 384, Rn. 23 m. w. Nachw.; BSG, Urteil vom 07.02.2012 – B 13 R 85/09 R – juris, Rn. 47; BSG vom 6.2.2007 - SozR 4-2600 § 96a Nr 9 Rn. 38; BSG vom 17.12.2009 - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2; Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rn. 15).
21a) Diesen Willen hatte die Beklagte jedoch bereits nach eigenem Bekunden, das in ihrer ständigen Bescheidungspraxis, immer den letzten Bescheid (teilweise) aufzuheben, mani-festen Ausdruck findet, gerade nicht. Es liegt kein Fall eines offenbaren Schreibfehlers i. S. d. § 38 SGB X bzw. eine "falsa demonstratio" vor (vgl. LSG Ba-Wü, Urteil vom 22. Feb-ruar 2007 – L 10 R 1780/06 –, Rn. 26, juris). Vielmehr wollte die Beklagte genau den Be-scheid betreffen, den sie auch bezeichnet hat. Denn sie war und ist der rechtsirrigen (vgl. oben, 1.und 2.) Ansicht, dass sie mit dem adressierten Bescheid vom 11.05.2012 die nunmehr aufzuhebende Feststellung von Neuem getroffen habe. Da dies, wie dargelegt, nicht der Fall ist, geht die Aufhebung insofern ins Leere.
22Von entscheidender Bedeutung ist insofern, dass für eine Auslegung gegen den wirklichen Willen des Erklärenden (vgl. § 133 BGB) aus dem Empfängerhorizont (vgl. §157 BGB) zu Lasten des Empfängers von vorneherein kein Raum besteht, weil die Auslegung aus der Sicht des verständigen, geboten sorgfältigen Empfängers dessen Schutz, nicht aber einer Verfälschung des wirklichen Willens zugunsten des Erklärenden dient (vgl.: Sieger, in: Staudinger, BGB AT 3, 2012, § 133, Rn. 11: "Es kommt grds. darauf an, wie der Erklärende seine Verlautbarung subjektiv verstanden hat. Dies gilt allerdings nur, wenn schutzwürdige Interessen des Erklärungsempfängers nicht entgegenstehen", weiter, Rn. 18; Busche, in: MüKo, BGB AT, 6. Aufl. 2012, § 133, Rn. 10, 12, 28; Ahrens, in: Prütting/ Wegen / Weinreich, BGB, 10. Aufl. 2015, § 133, Rn. 133 m. w. Nachw.).
23b) Ungeachtet dessen konnte bzw. musste ein Empfänger in der konkreten Situation des Klägers bei gebotener Sorgfalt auch nicht davon ausgehen, die Beklagte wolle tatsächlich eine Regelung aus dem Bescheid vom 27.04.1998 nicht aber aus dem Bescheid vom 11.05.2012 aufheben, zumal die Beklagte bereits im Anhörungsschreiben vom 04.08.2015 ihre Absicht auf den Bescheid vom 11.05.2012 bezogen hatte. Dem widerspricht nicht, dass für den Kläger eindeutig war, dass die Beklagte feststellen wollte, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht mehr vorliegen. Denn der insoweit verständliche zweite Teil der einheitlichen Aufhebungsverfügung verhielt sich zum ersten Teil gerade widersprüchlich. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Ausführungen, wie sich die Rechtslage darstellen würde, wenn die Beklagte den aufzuhebenden Bescheid gar nicht datumsmäßig bezeichnet (für eine aus § 33 SGB X abgeleitete Notwendigkeit einer datumsmäßigen Bezeichnung des aufzuhebenden Be-scheides vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R -, juris, Rn. 19; LSG NRW, Beschluss vom 01.07.2009 – L 7 B 92/09 AS NZB –, Rn. 10, juris; LSG Hamburg, Urteil vom 20.10.2011, Az.: L 5 AS 87/08 und Urteil vom 30.10.2012, Az.: L 4 AS 117/10; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 15.03.2012, Az.: L 15 AS 426/10; dagegen: SG Leip-zig v. 02.08.2010 - S 15 AS 3490/07 -, juris, Rn. 43; SG Berlin v. 18.01.2011 - S 148 AS 9049/09 - juris Rn. 19; vgl. insoweit auch BSG, Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 59/12 R –, juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 89/12 R –, SozR 4-4200 § 11 Nr 62, BSGE 114, 188-199, Rn. 16; zu weitgehend: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 48, Rn. 29), sondern lediglich eine Aufhebung der Feststellung der gesundheitlichen Vo-raussetzungen für das Merkzeichen "H" vorgenommen hätte. Denn jedenfalls dann, wenn die Beklagte den aufzuhebenden Bescheid genau bezeichnet, muss sie sich - von offen-sichtlichen Unrichtigkeiten, die, wie dargelegt, hier aber nicht vorliegen, abgesehen - an dieser Erklärung festhalten lassen, auch wenn sie sich auf Grund einer falschen Beurtei-lung der Sach- und Rechtslage - hier darüber, welcher Bescheid in Bezug auf den Nachteilsausgleich "H" Geltung beansprucht - irrt. Schließlich hat sie es in der Hand, durch klare und richtige Verfügungssätze die Rechtslage zu gestalten. Ergibt sich dann aber durch eine datumsmäßige Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides einerseits und die negative Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen eines Merkzeichens ein Widerspruch, ist es grds. nicht Sache des Bescheidadressaten, die für die Beklagte günstigste Deutung des Bescheides auszusuchen und die dem widersprechenden Teile des Verfügungssatzes als irrelevant zu betrachten. Denn diese Teile bilden nach dem Wil-len der Beklagten eine Einheit (vgl. LSG Ba-Wü, Urteil vom 22.02. 2007 – L 10 R 1780/06 –, Rn. 26, juris; vgl. insoweit auch: BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 59/12 R –, BSGE 113, 184-191, SozR 4-1300 § 45 Nr 13, Rn. 16).
24B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.
Tenor
Der Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 wird insoweit aufgehoben, wie er feststellt, dass die gesundheitli-chen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht mehr vorliegen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.
1
Tatbestand:
2Streitgegenstand ist eine negative Feststellung der Beklagten zum weiteren Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" bei dem Kläger.
3Bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 27.04.1998 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzun-gen für das Merkzeichen "H" ab dem 05.12.1997 festgestellt. Unter "entsprechender Auf-hebung" des Bescheides vom 27.04.1998 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 17.08.2000 beim Kläger einen GdB von 60 fest.
4Mit Bescheid vom 11.05.2012 schließlich stellte die Beklagte unter "entsprechender Auf-hebung" des Bescheides vom 17.08.2000 einen GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G und B bei dem Kläger fest. Es folgten zunächst Aus-führungen zur Ausweisart: "Es steht Ihnen einen Ausweis zu ( )", sodann zum Ausweis-inhalt: "Der Ausweis enthält folgende Eintragungen: - den festgestellten Grad der Behin-derung von 100; - die Merkzeichen G, B, H; - den Gültigkeitsbeginn 05.12.1997" ( ).
5Im Mai 2015 nahm die Beklagte eine Prüfung ihrer Feststellungen von Amts wegen auf. Nach entsprechender Anhörung unter dem 04.08.2015 verfügte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 07.10.2015 unter Bezugnahme auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X): "Von Amts wegen hebe ich den Bescheid vom 11.05.2012 wie folgt auf: Ihr Grad der Behinderung beträgt 100. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" liegen bei Ihnen nicht mehr vor". Nach einer Begründung dieser Entscheidung folgte unter der Über-schrift "Ausweis": "Die Feststellung, die ich in diesem Bescheid getroffen habe, können Sie mit einem Schwerbehindertenausweis nachweisen. ( ) Der Ausweis enthält folgende Einträge: - GdB 100; - Merkzeichen G, B ( )."
6Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 13.10.2015 wies die Bezirksre-gierung Münster mit Bescheid vom 09.12.2015 als unbegründet zurück.
7Hiergegen hat der Kläger am 16.12.2015 Klage erhoben.
8Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 insoweit aufzuheben, wie er feststellt, dass die gesundheitlichen Vo-raussetzungen für das Merkzeichen "H" bei ihm nicht mehr vorliegen.
9Die Vertreterin der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte ist der Auffassung, mit dem gewollt bezeichneten Bescheid vom 11.05.2012 den zutreffenden Bescheid in Bezug auf eine Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" aufgehoben zu haben. Zwar verhalte sich dieser Bescheid im Feststel-lungsteil nicht ausdrücklich zum Merkzeichen "H", jedoch hebe dieser Bescheid jenen vom 17.08.2000 und dieser wiederrum den Bescheid vom 27.04.1998, mit dem das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" festgestellt worden sei, vollständig auf. Aus den Festsetzungen zum Ausweisinhalt im Bescheid vom 11.05.2012 sei zu erkennen, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" (weiter) festgestellt würden. Die Beklagte hebe entsprechend in ständiger Praxis, unterstützt durch eine lan-desweit genutzte EDV, bei einer Neufeststellung immer und ausschließlich den letzten Bescheid vollständig auf und stelle alle weiter und/oder neu geltenden Feststellungen zum GdB und den Voraussetzungen von Merkzeichen auf eine neue Bescheidgrundlage. Hier-gegen hätten die Sozialgerichte bislang nichts zu erinnern gehabt.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Verwal-tungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.
12Entscheidungsgründe:
13Die zulässige Anfechtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, S. 2 Alt. 1 Sozialgerichtsge-setz – SGG) ist begründet. Die Verfügung der Beklagten zur Feststellung des Entfallens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" in dem Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
14A. Die angefochtene, selbstständige Regelung, dass die gesundheitlichen Voraussetzun-gen für das Merkzeichen "H" beim Kläger nicht mehr vorliegen ist rechtswidrig, weil sie der weiterhin bestandkräftigen Feststellung des Bescheides vom 27.04.1998 widerspricht, dass der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" erfüllt. Diese Regelung ist als Verwaltungsakt i. S. d. § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – So-zialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) solange und soweit wirksam und damit i. S. e. materiellen Bestandkraft bindend (vgl. hierzu: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 43, Rn. 14 ff., 40; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/ Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 43, Rn. 55 ff.; Bader/ Ronellenfitsch, VwVfG, 2009, § 43, Rn. 21 ff.) als sie nicht zurück-genommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben worden ist (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Aufhebungen von Feststellungen müssen das Spiegelbild der Feststellung sein, sich also auf die Verfügungssätze im Sinne von § 31 SGB X des Feststellungsbescheides beziehen (sog. actus contrarius, vgl. BVerwG v. 30.04.1992 - 5 C 29/88 - juris Rn. 10 - NDV 1992, 340-342); eine konfligierende Feststellung allein reicht nicht aus, soweit in ihr nicht zugleich – nach Auslegung gem. §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog (konkludent) – mit hinreichender Bestimmtheit i. S. d. § 33 SGB X eine Aufhebung zu erkennen ist (vgl. dazu: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/ Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 43, Rn. 41 ff., 47 f.). Der für die konkrete Feststellung maßgebliche Verfügungssatz muss beseitigt werden, damit dessen Bindungswirkung entfällt. Solange dies nicht der Fall ist, ist eine abweichende bzw. eine gegenteilige Feststellung gerade rechtswidrig (arg. § 39 Abs. 2 SGB X). Der Bestimmtheitsgrundsatz (§ 33 Abs. 1 SGB X) verlangt dabei, dass zumindest durch Auslegung, ausgehend vom tatsächlichen Regelungswillen des Beklagten, aus Sicht des Adressaten des Aufhebungsbescheids hinreichend deutlich wird, welche Verfügungssätze welchen Bescheides konkret aufgehoben werden. Widersprüche und Zweifel gehen zu Lasten der Behörde (vgl. Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rn. 16; ferner: BSG, Urteil vom 15.12. 2010 – B 14 AS 92/09 R –, Rn. 18, juris; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 20/09 R -, juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 15.5.2002 - B 6 KA 25/01 R = BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 46 S 384, Rn. 23 m. w. Nachw.; BSG, Urteil vom 07.02.2012 – B 13 R 85/09 R – juris, Rn. 47; BSG vom 6.2.2007 - SozR 4-2600 § 96a Nr 9 Rn. 38; BSG vom 17.12.2009 - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, Rn.13 m. w. Nachw.; Engelmann, in: von Wulffen/ Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 33, Rn. 6a ff.).
15Aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte die negative Feststellung zu den Vorausset-zungen des Merkzeichens "H" mit einer entsprechenden Aufhebung des Bescheides vom 11.05.2012 verknüpft, statt mit einer (entsprechenden) Aufhebung der konträren positiven Feststellung im Bescheid vom 27.04.1998, liegt in der hier streitgegenständlichen Rege-lung danach kein actus contrarius zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H", sondern vielmehr ein Verstoß gegen das aus der materiellen Be-standkraft folgende Abweichungsverbot (vgl. dazu: Sachs, a.a.O., auch zur Wesentlichkeit der Auslegung bei der Abgrenzung zur Aufhebung; ebenso Seibert, Dies Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 195 ff.; Schroeder, Bindungswirkungen, 2006, Teil 2).
161. Der Bescheid vom 11.05.2012, dessen (teilweise) Aufhebung nach dem erkennbaren Willen der Beklagten mit der negativen Feststellung zum Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" eine regelungstechnische Einheit bildete, ent-hielt – entgegen der Auffassung der Beklagten - keine Regelung zum Merkzeichen "H". Der Bescheid hat im Feststellungsteil gem. § 69 Abs. 1, 3, 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) drei selbstständige Regelungen: Unter entsprechender Aufhebung des vorangegangenen Feststellungsbe-scheides vom 17.08.2000 wurde mit Bescheid vom 11.05.2012 ein GdB von 100 festge-stellt (1.). Darüber hinaus wurden die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzei-chen "G" (2.) und "B" (3.) erstmals festgestellt. Eine Regelung für den Nachteilsausgleich "H" erfolgte in keiner Weise. Insbesondere enthielt der Bescheid diesbezüglich keinen sog. Zweitbescheid, also eine erneute Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" mit Regelungswillen (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 35, Rn. 97), wie es der Auffassung der Beklagten entspräche. Die Beklagte geht zunächst in der Annahme fehl, mit ihrer ständigen Bescheidungspraxis hebe sie jeweils alle vorangegangen Feststellungen vollständig auf und treffe Feststellungen nach § 69 Abs. 1, 3, 4 SGB IX umfassend neu. Dies dürfte zwar in Bezug auf Feststellungen zum GdB zu-treffend sein. Hier zeigt der angefochtene Bescheid vom 07.10.2015, dass die Beklagte selbst einen bereits zuvor festgestellten GdB von 100 nochmals neu regeln wollte. Dafür und gegen die Annahme einer bloß wiederholenden Verfügung spricht die Formulierung "Ihr GdB beträgt". Gegensätzlich verfährt die Beklagte bezüglich weiter bestehen bleiben-der Feststellungen der gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen ("G" und "B"), zur der gerade keine erneute (positive) Aussage getroffen wird (vgl. auch die Bescheide vom 17.08.2000 und 11.05.2012, die keine erneute Aussage zum Vorliegen der gesund-heitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H", die bereits mit Bescheid vom 27.04.1998 festgestellt wurden, treffen). Korrespondierend formuliert die Beklagte im ers-ten Teil ihrer Regelungen auch jeweils, der nach Datum bezeichnete vorangegangene Bescheid werde "entsprechend" oder "wie folgt" aufgehoben.
172. Weiter kann den im jeweiligen Bescheid enthaltenen Darstellungen zum Ausweisinhalt – anders als die Beklagte meint - keine Regelungswirkung im Sinne einer Feststellung nach § 69 Abs. 1, 4 SGB IX zukommen. Es reicht daher für eine erneute Feststellung der ge-sundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" nicht aus, wenn die Beklagte im Bescheid vom 11.05.2012 unter der Überschrift "Ausweisinhalt" als enthaltene Eintragun-gen u.a. das Merkzeichen "H" aufführt. Jedenfalls soweit sich die Beklagte zu Eintragun-gen des GdB und von Merkzeichen verhält kommt dem keine Regelungswirkung zu (zur Befristung als Nebenbestimmung: SG Köln, Urteil vom 27.01. 2010 – S 21 SB 35/09 –, Rn. 18, juris). Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde i. S. einer verwaltungsrechtlichen Willenserklärung eine potentiell verbindliche Rechtsfolge setzt, d. h. durch ihre Maßnahme unmittelbar verbindliche Rechtsfolgen setzt (Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 31, Rn. 23 m. w. Nachw.). Davon ist hier nicht auszugehen, weil nach § 69 Abs. 5 S. 1 SGB IX (nur) auf Antrag auf Grund einer (erg. bereits vorausliegenden) Feststellung der Behinderung ein Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale (sog. Merkzeichen) ausgestellt wird. Eine separate (Zwischen)regelung zum Ausweisinhalt ist nicht vorgese-hen. Vielmehr hat der Ausweisinhalt nach § 69 Abs. 5 S. 1 SGB IX zwingend die zuvor nach § 69 Abs. 1, 3, 4 SGB IX getroffenen Feststellungen deklaratorisch abzubilden (vgl. BSG , Urteil vom 30.04.1979 - 8b RK 1/78 - BSGE 48, 167; BAG Urteil vom 28.01.1982 - 6 AZR 636/79 - AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG; BVerwG, Urteil vom 15.12.1988 - 5 C 67/85 - NZA 1989, 554; Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 69 SGB IX, Rn. 25). Seine Ausstellung ist ein Realakt, dem eine regelnde Entscheidung der Behörde zwar über die Ausgabe des Dokuments (acutus contrarius: Einziehung), nicht aber - über das mit entsprechenden Feststellungen abgeschlossene Verwaltungsverfahren nach § 69 Abs. 1, 3, 4 SGB IX hinaus – (nochmals) über dessen Inhalt vorauszugehen hat (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015 – B 9 SB 2/15 R –, SozR 4-1300 § 48 Nr 31, Rn. 26 m. w. Nachw.; vgl. für andere Ausweisdokumente: BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 1.03 - BVerwGE 120, 206, 218; Urteil vom 16.07.1996 - 1 C 30.93 - BVerwGE 101, 295, 307; VGH Mannheim, Urteil vom 29.08.1990 - 1 S 2648/89 –, Rn. 16, juris; VG Bremen, Urteil vom 06.11.2014 – 5 K 795/13 –, Rn. 11, juris). Zu einer konstitutiven Festlegung des GdB und der Voraussetzungen von Merkzeichen durch den Ausweisinhalt fehlt der Beklagten daher die Verwaltungsaktbefugnis (vgl. dazu BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 9 V 26/98 R –, SozR 3-3100 § 62 Nr 4, SozR 3-1300 § 48 Nr 69, Rn. 13 m. w. Nachw.). Gegen einen Regelungswillen der Beklagten, den Ausweisinhalt betreffend, spricht zudem, dass sie vor der Darlegung des Ausweisinhaltes unter Überschrift "Ausweisart" eine Anspruchsberechtigung für einen Ausweis nur erläutert, ohne die (von einem Antrag abhängige) Entscheidung über eine Ausstellung zu erkennen zu geben. Insofern erscheinen auch die darauf folgenden Darlegungen zum Ausweisinhalt als bloß informatorischen Charakters. Aber selbst wenn man dies anderes sehen und etwa auf-grund der folgenden, verbindlich erscheinenden Fixierung des Gültigkeitszeitraumes "des Ausweises" auch den Darlegungen seines Inhaltes einen Regelungswillen entnehmen wollte, wäre darin keine zweitbescheidene Feststellung der gesundheitlichen Vo-raussetzungen des Merkzeichens "H" nach § 69 Abs. 4 SGB IX zu erkennen. Die ggfs. rechtswidrige von den nach § 69 Abs. 1, 3, 4 SGB IX separierte Regelung bliebe eine Reglung zum Ausweisinhalt, nicht aber zur Feststellung der gesundheitlichen Voraus-setzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, die ordnungsgemäß im ersten Teil des Bescheides vom 11.05.2012 erfolgt (vgl. SG Köln, Urteil vom 27.01.2010 – S 21 SB 35/09 –, Rn. 18, juris; Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 69 SGB IX, Rn. 26).
183. Dem angefochtenen Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 kann auch nicht – entgegen seines auf den Bescheid vom 11.05.2012 gerichteten Wortlautes – im Wege der Auslegung gem. § 133, 157 BGB analog entnom-men werden, dass er die tatsächlich ausschließlich mit Bescheid vom 27.04.1998 getroff-ene Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzei-chen "H" aufheben wollte. Die Widersprüchlichkeit der Verknüpfung einer Aufhebung des Bescheides vom 11.05.2012 mit einer negativen Feststellung zu den Voraussetzungen des Merkzeichens "H" kann nicht überwunden werden.
19Eine solche "Korrektur" ist zwar nicht per se unmöglich, ist aber nur dort zutreffend und geboten, wo es sich um eine bloße Falschbezeichnung des Datums des aufzuhebenden Bescheides handelt, die nach dem allgemeinen Auslegungsgrundsatz "falsa demonstratio non nocet" (vgl. dazu: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 133, Rn. 8, 19) unschädlich ist. Dies entspricht der Situation einer offensichtlichen Unrichtigkeit im Sinne des § 38 SGB X (vgl. Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rn. 17 m. w. Nachw.; ferner: BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R -, juris, Rn. 18).
20Vorliegend müsste hiernach unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes (§ 33 Abs. 1 SGB X) der aufgrund ihrer inneren Bezugnahme einheitlichen Verfügung: "Von Amts we-gen hebe ich den Bescheid vom 11.05.2012 wie folgt auf: Die gesundheitlichen Voraus-setzungen für das Merkzeichen "H" liegen bei Ihnen nicht mehr vor"; für den verständigen Empfänger – ggf. in Verbindung mit der Begründung des Verwaltungsaktes, früher ergan-gener Verwaltungsakte oder vorausliegender Korrespondenz – vollständig, klar und un-zweideutig erkennbar sein, dass die Beklagte tatsächlich den Bescheid vom 27.04.1998 in Bezug auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" aufheben wollte (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R –, SozR 4-1300 § 33 Nr 2, SozR 4-1300 § 45 Nr 11, SozR 4-1300 § 48 Nr 25, Rn. 18, 19; BSG, Urteil vom 15.5.2002 - B 6 KA 25/01 R = BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 46 S 384, Rn. 23 m. w. Nachw.; BSG, Urteil vom 07.02.2012 – B 13 R 85/09 R – juris, Rn. 47; BSG vom 6.2.2007 - SozR 4-2600 § 96a Nr 9 Rn. 38; BSG vom 17.12.2009 - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2; Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rn. 15).
21a) Diesen Willen hatte die Beklagte jedoch bereits nach eigenem Bekunden, das in ihrer ständigen Bescheidungspraxis, immer den letzten Bescheid (teilweise) aufzuheben, mani-festen Ausdruck findet, gerade nicht. Es liegt kein Fall eines offenbaren Schreibfehlers i. S. d. § 38 SGB X bzw. eine "falsa demonstratio" vor (vgl. LSG Ba-Wü, Urteil vom 22. Feb-ruar 2007 – L 10 R 1780/06 –, Rn. 26, juris). Vielmehr wollte die Beklagte genau den Be-scheid betreffen, den sie auch bezeichnet hat. Denn sie war und ist der rechtsirrigen (vgl. oben, 1.und 2.) Ansicht, dass sie mit dem adressierten Bescheid vom 11.05.2012 die nunmehr aufzuhebende Feststellung von Neuem getroffen habe. Da dies, wie dargelegt, nicht der Fall ist, geht die Aufhebung insofern ins Leere.
22Von entscheidender Bedeutung ist insofern, dass für eine Auslegung gegen den wirklichen Willen des Erklärenden (vgl. § 133 BGB) aus dem Empfängerhorizont (vgl. §157 BGB) zu Lasten des Empfängers von vorneherein kein Raum besteht, weil die Auslegung aus der Sicht des verständigen, geboten sorgfältigen Empfängers dessen Schutz, nicht aber einer Verfälschung des wirklichen Willens zugunsten des Erklärenden dient (vgl.: Sieger, in: Staudinger, BGB AT 3, 2012, § 133, Rn. 11: "Es kommt grds. darauf an, wie der Erklärende seine Verlautbarung subjektiv verstanden hat. Dies gilt allerdings nur, wenn schutzwürdige Interessen des Erklärungsempfängers nicht entgegenstehen", weiter, Rn. 18; Busche, in: MüKo, BGB AT, 6. Aufl. 2012, § 133, Rn. 10, 12, 28; Ahrens, in: Prütting/ Wegen / Weinreich, BGB, 10. Aufl. 2015, § 133, Rn. 133 m. w. Nachw.).
23b) Ungeachtet dessen konnte bzw. musste ein Empfänger in der konkreten Situation des Klägers bei gebotener Sorgfalt auch nicht davon ausgehen, die Beklagte wolle tatsächlich eine Regelung aus dem Bescheid vom 27.04.1998 nicht aber aus dem Bescheid vom 11.05.2012 aufheben, zumal die Beklagte bereits im Anhörungsschreiben vom 04.08.2015 ihre Absicht auf den Bescheid vom 11.05.2012 bezogen hatte. Dem widerspricht nicht, dass für den Kläger eindeutig war, dass die Beklagte feststellen wollte, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht mehr vorliegen. Denn der insoweit verständliche zweite Teil der einheitlichen Aufhebungsverfügung verhielt sich zum ersten Teil gerade widersprüchlich. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Ausführungen, wie sich die Rechtslage darstellen würde, wenn die Beklagte den aufzuhebenden Bescheid gar nicht datumsmäßig bezeichnet (für eine aus § 33 SGB X abgeleitete Notwendigkeit einer datumsmäßigen Bezeichnung des aufzuhebenden Be-scheides vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R -, juris, Rn. 19; LSG NRW, Beschluss vom 01.07.2009 – L 7 B 92/09 AS NZB –, Rn. 10, juris; LSG Hamburg, Urteil vom 20.10.2011, Az.: L 5 AS 87/08 und Urteil vom 30.10.2012, Az.: L 4 AS 117/10; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 15.03.2012, Az.: L 15 AS 426/10; dagegen: SG Leip-zig v. 02.08.2010 - S 15 AS 3490/07 -, juris, Rn. 43; SG Berlin v. 18.01.2011 - S 148 AS 9049/09 - juris Rn. 19; vgl. insoweit auch BSG, Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 59/12 R –, juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 89/12 R –, SozR 4-4200 § 11 Nr 62, BSGE 114, 188-199, Rn. 16; zu weitgehend: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 48, Rn. 29), sondern lediglich eine Aufhebung der Feststellung der gesundheitlichen Vo-raussetzungen für das Merkzeichen "H" vorgenommen hätte. Denn jedenfalls dann, wenn die Beklagte den aufzuhebenden Bescheid genau bezeichnet, muss sie sich - von offen-sichtlichen Unrichtigkeiten, die, wie dargelegt, hier aber nicht vorliegen, abgesehen - an dieser Erklärung festhalten lassen, auch wenn sie sich auf Grund einer falschen Beurtei-lung der Sach- und Rechtslage - hier darüber, welcher Bescheid in Bezug auf den Nachteilsausgleich "H" Geltung beansprucht - irrt. Schließlich hat sie es in der Hand, durch klare und richtige Verfügungssätze die Rechtslage zu gestalten. Ergibt sich dann aber durch eine datumsmäßige Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides einerseits und die negative Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen eines Merkzeichens ein Widerspruch, ist es grds. nicht Sache des Bescheidadressaten, die für die Beklagte günstigste Deutung des Bescheides auszusuchen und die dem widersprechenden Teile des Verfügungssatzes als irrelevant zu betrachten. Denn diese Teile bilden nach dem Wil-len der Beklagten eine Einheit (vgl. LSG Ba-Wü, Urteil vom 22.02. 2007 – L 10 R 1780/06 –, Rn. 26, juris; vgl. insoweit auch: BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 59/12 R –, BSGE 113, 184-191, SozR 4-1300 § 45 Nr 13, Rn. 16).
24B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
1
Gründe:
2I.
3Der Kläger bezog in Bedarfsgemeinschaft mit seiner eine bedarfsdeckende Rente beziehenden Ehefrau ("gemischte Bedarfsgemeinschaft") ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die mit vorläufigem Bescheid vom 22.10.2013 für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 i. H. v. 359,85 Euro bewilligt wurden. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.
4Auf die Mitteilung des Klägers vom 28.10.2013, er stelle die bisher ausgeübte Beschäftigung am 31.08.2013 ein, forderte der Beklagte den Kläger auf, die Kündigung und die letzte Verdienstabrechnung vorzulegen. Mit "Änderungsbescheid" vom 23.11.2013 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 30.04.2014 Leistungen in Höhe von monatlich 368,03 Euro (gegenüber zuvor 359,85 Euro nach dem Bescheid vom 22.10.2010) unter Berücksichtigung der Erhöhung des Regelbedarfssatzes zum 01.01.2014 von 382,00 Euro auf 391,00 Euro monatlich. Auch diese Entscheidung erging vorläufig. Der Bescheid enthielt u.a. folgende Formulierungen: "Der Berechnung der Leistungen liegen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu Grunde, wie sie bei der Antragstellung beziehungsweise im laufenden Leistungsbezug angegeben und nachgewiesen wurden. Wie sich die Leistungen im Einzelnen zusammensetzen, können Sie dem Berechnungsbogen entnehmen." Ein Berechnungsbogen war dem Bescheid beigefügt. Mit Schreiben vom 19.12.2013 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 23.11.2013 Widerspruch ein. Er wandte sich gegen die Einkommensanrechnung nach Beendigung der Beschäftigung. Am 07.01.2014 teilte der Kläger eine Arbeitsaufnahme ab dem 02.01.2014 mit. Der Beklagte bewilligte mit Änderungsbescheid vom 14.01.2014 für die Monate Februar 2014 bis April 2014 vorläufig Leistungen i. H. v. monatlich 280,03 Euro unter Berücksichtigung eines "fiktiven Einkommens" aus der nunmehr mitgeteilten neuen Beschäftigung.
5Mit Schreiben vom 23.01.2014 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 14.01.2014 Widerspruch ein.
6Mit Bescheid vom 28.01.2014 verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.11.2013 als unzulässig. Mit diesem Bescheid sei allein die Höhe der Regelbedarfe angepasst worden. Der Kläger habe seinen Widerspruch jedoch nicht gegen die Höhe des Regelbedarfs, sondern gegen die Anrechnung von Einkommen gerichtet. Soweit er sich gegen die im Bescheid vom 23.11.2013 (erneut) ausgewiesene Anrechnung des Einkommens wende, richte der Widerspruch sich nicht gegen einen Verwaltungsakt. Der Bescheid vom 23.11.2013 stelle insoweit lediglich eine wiederholende Verfügung der Regelung im Bewilligungsbescheid vom 22.10.2013 dar.
7Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 14.02.2014 Klage erhoben mit dem Antrag,
8die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 über den Widerspruch des Klägers vom 19.12.2013 hinsichtlich des Leistungsmonats Januar 2014 sachinhaltlich zu entscheiden.
9Mit Urteil vom 13.05.2014 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 über den Widerspruch des Klägers vom 19.12.2013 gegen den Bescheid vom 23.11.2013 hinsichtlich des Leistungsmonats Januar 2014 sachinhaltlich zu entscheiden. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Der Beklagte habe den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen. Bei dem Bescheid vom 23.11.2013 handele es sich hinsichtlich der gesamten Leistungshöhe um einen Verwaltungsakt.
10Gegen das dem Beklagten am 27.05.2014 zugestellte Urteil richtet sich dessen Nichtzulassungsbeschwerde vom 30.05.2014. Der Beklagte misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob der Bescheid vom 23.11.2013 abgesehen von der vom Kläger nicht angegriffenen Erhöhung des Regelbedarfs einen Verwaltungsakt darstelle oder lediglich eine wiederholende Verfügung zum Bewilligungsbescheid vom 22.10.2013 enthalte. Er meint, die Berechnungselemente zur Einkommensanrechnung seien mit dem Bescheid vom 22.10.2013 bestandskräftig geworden und nicht mehr anfechtbar.
11Der Kläger ist der Auffassung, der angefochtene Bescheid enthalte hinsichtlich der gesamten Höhe der Regelleistung eine Regelung. Eine Beschränkung der Regelungswirkung auf einzelne Berechnungselemente sei nicht zulässig.
12II.
13Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) ist statthaft. Die im Ergebnis allein die Höhe der Einkommensanrechnung für Januar 2014 betreffende Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung, weil der streitige Betrag nicht den Wert von mehr als 750,00 Euro (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) erreicht und die streitige Forderung auch nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).
14Der Senat lässt offen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist, insbesondere dem Beklagten ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Denn nach Mitteilung des Beklagten hat er mit Bescheid vom 27.01.2014 in Anwendung von § 44 SGB X eine neue Entscheidung für Januar 2014 getroffen. Sollte es sich bei dieser Entscheidung um einen endgültigen Bewilligungsbescheid handeln, hätte sich der isoliert angefochtene Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014 erledigt (§ 39 Abs. 2 SGG) und seine Aufhebung durch das Sozialgericht würde den Beklagten nicht beschweren.
15Jedenfalls ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet. Ein Zulassungsgrund liegt nicht vor.
16Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
171) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse genügt nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 Rn. 28; siehe auch BSG Beschluss vom 24.09.2012 - B 14 AS 36/12 B zu § 160 SGG; Beschluss des Senats vom 07.10.2013 - L 19 AS 1101/13 NZB). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. BSG Beschluss vom 15.09.1997 - 9 BVg 6/97 zu § 160 SGG). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Die bloße Klärung von Tatsachen- oder Auslegungsfragen begründet keine grundsätzliche Bedeutung (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 144 Rn. 29).
18Die vom Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage weist keine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne auf. Abgesehen davon, dass die Beurteilung der Frage, ob ein Schreiben ein Verwaltungsakt i. S. d. § 31 SGB X ist, eine Auslegungsfrage darstellt, die in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung hat, ist die Rechtsfrage anhand der Rechtsprechung des BSG ohne Weiteres zu beantworten.
19Die Auffassung des Beklagten, die Regelungswirkung des Bescheides beschränke sich auf die Anpassung der Regelleistung, ist mit der ständigen Rechtsprechung des BSG zum Streitgegenstand bei Höhenstreitigkeiten nach dem Recht des SGB II unvereinbar. Danach wird mit jedem Rechtsbehelf oder Rechtsmittel gegen die konkret bewilligte Regelleistung ihre Richtigkeit unter Berücksichtigung aller Berechnungselemente unter allen denkbaren rechtlichen Aspekten zur Prüfung gestellt. Berechnungsfaktoren bilden keinen eigenen materiell-rechtlichen Streitgegenstand (z.B. BSG Urteil vom 19.06.2012 - B 4 AS 163/11 R Rn.13). Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für die Regelungsmöglichkeiten in einem Verwaltungsakt. Es ist dem Beklagten verwehrt, in einem Bescheid die Regelungswirkung auf einzelne Berechnungselemente der Regelleistung zu beschränken (zur Unzulässigkeit, eine Regelung in einem Bescheid über die Bewilligung des Regelbedarfs weiter aufzuspalten BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R Rn. 11).
202) Es liegt kein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift kommt nur dann in Betracht, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die die obersten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (einheitliche Rechtsprechung der Gerichtshöfe des Bundes, z. B. BAG Beschluss vom 15.10.2012 - 5 AZN 1958/12; BGH Beschlüsse vom 27.03.2003 - V ZB 291/02 und 23.06.2012 - AnwZ (Brfg) 58/11; BFH Beschlüsse vom 12.10.2011 - III B 56/11 und 01.06.2012 - III B 3/11; BVerwG Beschlüsse vom 17.10.2012 - 8 B 42/12 und 25.10.2012 - 10 B 16/12; BSG Beschluss vom 19.07.2012 - B 1 KR 65/11 B, jeweils m. w. N.; aus der Kommentierung zum SGG: Frehse in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 4. Aufl., § 144 Rn. 18; Düring, a.a.O., § 160 Rn. 13 f; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auf., Rn. 30, § 160 Rn. 10 f.; Littmann in Hk-SGG, 4. Aufl. § 144 Rn. 17; Lüdtke, a. a. O. § 160 Rn. 12 f. jeweils m.w.N.). Das angefochtene Urteil und die vorgebliche Divergenzentscheidung müssen dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (BFH Beschlüsse vom 21.10. 2010 - VIII B 107/09 = BFH/NV 2011, 282 und 12.10.2011-III B 56/11). Die angegriffene Entscheidung weicht nicht in diesem Sinne von Rechtsprechung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte ab.
213) Schließlich ist auch der Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht gegeben. Insbesondere ist das Sozialgericht befugt gewesen, den Antrag des Klägers entsprechend dem Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014 isoliert aufzuheben. Die prozessualen Voraussetzungen für eine solche isolierte Aufhebung lagen vor. Nach § 79 Abs. 2 S. 1 und 2 VwGO kann der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. Diese Vorschrift ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (BSG Urteil vom 15.08.1996 - 9 RV 10/95; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 05.07.2012 - L 11 AS 759/11). Durch die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig hat der Beklagte - wie dargelegt - einen wesentlichen Verfahrensfehler begangen. Der Kläger verfügte auch über das für die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheides erforderliche Rechtsschutzinteresse. Bei - wie hier vorliegend - gebundenen Verwaltungsentscheidungen liegt das erforderliche Rechtsschutzinteresse jedenfalls dann vor, wenn der für den Betroffenen negative Widerspruchsbescheid auf dem Verfahrensfehler zumindest beruhen kann, also in der Sache eine andere Entscheidung zumindest möglich erscheint (ausführlich zum Rechtsschutzinteresse bei der isolierten Aufhebung eines Widerspruchsbescheides LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 05.07.2012 - L 11 AS 759/11 mit Darstellung des Meinungsstreits). Dies ist hier der Fall, wie sich aus den Bescheiden vom 14.07.2014 und 27.01.2014 ergibt.
22Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 S. 4 SGG).
23Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
24Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.07.2009 - S 9 AL 39/07 - abgeändert. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.01.2007 wird aufgehoben, soweit er den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 23.08.2006 als unzulässig verworfen hat.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) auch für den Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006.
- 2
Der 1966 geborene Kläger war zuletzt vom 05.04. bis 24.06.2005 als Sortierer bei der H GmbH und seit 29.06.2005 als Produktionshelfer bei der Firma S Industrie-Service (Arbeitgeber) beschäftigt. Mit Schreiben vom 27.06.2006 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 12.07.2006. In dem anschließenden Verfahren vor dem Arbeitsgericht Koblenz (5 Ca 1355/06) schlossen die Arbeitsvertragsparteien am 12.12.2006 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Kündigung vom 27.06.2006 beendet worden ist, sondern unbefristet fortbesteht.
- 3
Der Kläger war seit 03.05.2006 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt von der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland-Pfalz (AOK) ab 14.06.2006 Krankengeld. Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 24.07.2006 ausführte, dass eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum 30.07.2006 möglich sei, teilte die AOK dem Kläger mit Bescheid vom 25.07.2006 mit, dass er mit Ablauf des 30.07.2006 wieder in der Lage sei, seine letzte Tätigkeit als Hilfsarbeiter/Produktionsmitarbeiter aufzunehmen und dass die Krankengeldzahlung zu diesem Zeitpunkt ende. Der Kläger erhielt zusätzlich Aufstockungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
- 4
Der Kläger legte der ARGE als Träger nach dem SGB II am 01.06. (Zeitraum vom 31.05. bis 14.06.2006), am 20.06.2006 (Zeitraum vom 15.06. bis 03.07.2006) und am 04.07.2006 (Zeitraum vom 04.07. bis 14.07.2006) Kopien der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Am 30.06.2006 sprach er bei der ARGE vor und meldete sich zum 13.07.2006 arbeitslos (Vermerk vom 30.06.2006). Eine Mitarbeiterin der Beklagten wies ihn am 03.07.2006 auf das Erfordernis einer rechtzeitigen erneuten Arbeitslosmeldung bei einer Genesung hin; der Kläger legte zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Am 21.07.2006 gab er gegenüber der ARGE an, weiter arbeitsunfähig zu sein.
- 5
Am 09.08.2006 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte am 21.08.2006 die Gewährung von Alg. Am 21.08.2006 nahm der Kläger die Beschäftigung bei dem Arbeitgeber wieder auf.
- 6
Die Beklagte bewilligte mit Bescheiden vom 23.08. und 30.08.2006 Alg für den Zeitraum vom 09.08. bis 20.08.2006 nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 44,98 € und einem Leistungsbetrag von täglich 16,31 € (Bescheid vom 23.08.2006, Steuerklasse V) bzw. von 23,81 € (Bescheid vom 30.08.2006, Steuerklasse III). Der sechsseitige Bescheid vom 23.08.2006 enthielt auf den Seiten 2 bis 3 nach den dargestellten Berechnungsgrundlagen und vor den Hinweisen zur Höhe des Alg folgende Rechtsmittelbelehrung:
- 7
"Gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch zulässig. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der oben bezeichneten Agentur für Arbeit einzureichen, und zwar binnen eines Monats, nach dem der Bescheid Ihnen bekanntgegeben worden ist."
- 8
Bei dem fünfseitigen Bescheid vom 30.08.2006 befand sich die gleichlautende Rechtsmittelbelehrung nach den Berechnungsgrundlagen und dem Hinweis auf eine Änderung der Verhältnisse wegen der Lohnsteuerklasse auf Seite 3 vor den Hinweisen zu den zu beachtenden Gesichtspunkten.
- 9
Die als Zweitschrift in der Verwaltungsakte der Beklagten abgehefteten Bescheide enthalten keinen Vermerk über die Aufgabe zur Post und wurden vom BA-IT-Systemhaus der Beklagten in Nürnberg erstellt. Der Bescheid vom 23.08.2006 ist entweder am 23. oder 24.08.2006 und der Bescheid vom 30.08.2006 am 31.08.2006 bei der Post aufgeliefert worden (E-Mail des BA-IT-Systemhauses an die Beklagte vom 28.02.2007, Bl. 52 Gerichtsakte).
- 10
Der Kläger hat am 08.11.2006 Widerspruch gegen die Bescheide vom 23. und 30.08.2006 erhoben. Die Beklagte verwarf den Widerspruch am 18.01.2007 als unzulässig, da die Widerspruchsfrist nicht gewahrt und Wiedereinsetzungsgründe nicht erkennbar seien.
- 11
Der Kläger hat am 05.02.2007 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 29.07.2009 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Beklagte habe den Widerspruch des Klägers zu Recht wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig verworfen. Hinsichtlich der Bekanntgabe der Bescheide gelte die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), wobei die Bestätigung des BA-IT-Systemhauses über den Tag der Aufgabe zur Post ausreichend sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei zutreffend und es sei unschädlich, dass sich diese mittig in den Bescheiden befunden habe. Auch der Sitz der Behörde, bei der der Widerspruch anzubringen war, sei hinreichend bezeichnet.
- 12
Gegen das ihm am 12.08.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 14.09.2009 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass die Widerspruchsfrist nicht versäumt sei, da deren Lauf wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrungen nicht in Gang gesetzt worden sei. Die Rechtsmittelbelehrung habe sich in den Bescheidtexten an versteckter Stelle befunden, wo ein verständiger Leser sie nicht habe erwarten können. Auch sei diese inhaltlich unvollständig, da sie nicht die Angaben der Behörde, bei der der Widerspruch einzulegen ist und über deren Sitz enthalten habe. Ein Anspruch auf Alg sei gegeben, da er sich am 30.06.2006 arbeitslos gemeldet habe.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.07.2009 - S 9 AL 39/07 - aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 23.08.2006 und 30.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 31.07. bis 08.08.2006 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
- 15
Die Beklagte beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie erachtet die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
- 18
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe
- 19
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Das Urteil des SG sowie der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.01.2007 sind abzuändern. Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.08.2006 unzutreffend als unzulässig verworfen. Der Senat erachtet insoweit den Erlass eines Teilurteils (§ 202 Sozialgerichtsgesetz
iVm § 301 Zivilprozessordnung ) für zweckmäßig. Eine Entscheidung, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alg auch im Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006 zusteht, bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
- 20
Das SG hat die Klage zutreffend nicht wegen der von ihm angenommenen Versäumung der Widerspruchfrist (§ 84 SGG) als unzulässig abgewiesen (vgl. Bundessozialgericht
, Urteil vom 12.10.1979 - 12 RK 19/78 -, SozR 2200 § 1422 Nr. 1). Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist zulässig und teilweise begründet. Hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen. Bzgl. des Bescheides vom 23.08.2006 war der Widerspruch zulässig und die Beklagte hätte in der Sache entscheiden müssen. Dieser Verwaltungsakt hat keine Bindungswirkung (§ 77 SGG) erlangt. Der Kläger hat die Widerspruchsfrist gewahrt.
- 21
1. Die Bescheide vom 23.08. und 30.08.2006 sind dem Kläger bekannt gegeben und damit wirksam (§ 39 Abs. 1 SGB X) geworden. Dass sie ihm nicht zugegangen sind, behauptet der Kläger nicht. Die Bekanntgabe erfolgte vorliegend durch Übersendung durch die Post (§ 37 Abs. 2 SGB X). Nach Satz 1 dieser Vorschrift gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt gemäß Satz 3 nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
- 22
Die Beklagte hat die Bescheide jeweils durch einfachen Brief versandt. Der Kläger hat keine Angaben zu dem Zeitpunkt gemacht, wann ihm die Bescheide zugegangen sind. Der Beweis für den Zeitpunkt der Bekanntgabe ist hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 durch die Vorlage der E-Mail des BA-IT-Systemhauses der Beklagten vom 28.02.2007 geführt. Danach wurde der Bescheid am 31.08.2006 bei der Post aufgegeben. Wann der Bescheid vom 23.08.2006 bei der Post aufgegeben worden ist, ist jedoch offen. Das BA-IT-Systemhaus hat angegeben, dass der Bescheid vom 23.08.2006 am 23.08. oder 24.08.2006 bei der Post aufgeliefert worden sei. Der Tag der Aufgabe zur Post steht damit aber gerade nicht fest.
- 23
Ausreichend für das Eingreifen der Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 SGB X als gesetzlich normierter Anscheinsbeweis ist, dass der Tag der Aufgabe zur Post nachweisbar ist. Ob der Tag der Aufgabe zur Post bei der Bekanntgabe durch Übersendung nach § 37 Abs. 2 SGB X in den Akten zu vermerken ist (so BSG, Urteil vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R -, SozR 4- 2700 § 136 Nr. 2 RdNr. 15), braucht nicht entschieden zu werden. Der Wortlaut der Vorschrift enthält ein derartiges Erfordernis jedenfalls nicht. Im übrigen bedeutet "vermerken" lediglich, dass der Vorgang in den betreffenden Akten so erwähnt wird, dass auch eine mit der Sache bisher nicht befasste Person ihn als geschehen erkennen kann. Dementsprechend reicht jeder in den Akten befindliche Hinweis, der Aufschluss über den Tag der Aufgabe des Briefes zur Post gibt, aus. Wann dieser Hinweis zu den Akten gelangt ist, ist ohne Bedeutung. Nicht erforderlich ist zudem, dass der Hinweis sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergibt bzw. ein Vermerk über die Aufgabe zur Post auf dem Verwaltungsakt angebracht ist (vgl. zur Regelung des § 4 Verwaltungszustellungsgesetz
: BSG, Urteil vom 26.08.1997 - 5 RJ 6/96 -, SozR 3-1960 § 4 Nr. 3; Urteil vom 09.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R -, Juris). Bzgl. des Bescheides vom 30.08.2006 genügt die zu den Akten der Beklagten gelangte E-Mail des BA-IT-Systemshauses der Beklagten, um den Tag der Aufgabe zur Post - der 31.08.2006 - nachzuweisen. Erfolgte die Zustellung des Bescheides vom 30.08.2006 damit am Sonntag (die Zugangsvermutung gilt auch in diesem Fall: vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2008 aaO Rdnr. 13; Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 12/09 R -, Juris), dem 03.09.2006, begann die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) nach § 64 Abs. 1 SGG am 04.09.2006. Die Zugangsvermutung ist nicht durch entsprechenden Tatsachenvortrag des Klägers erschüttert worden, der einen späteren Zugang nicht konkret behauptet hat. Hinsichtlich des Bescheides vom 23.08.2006 gilt die Zugangsfiktion mangels der Nachweisbarkeit des Tags der Aufgabe dieses Bescheides zur Post hingegen nicht. Da die Monatsfrist insoweit nicht lief, war der Widerspruch des Klägers vom 08.11.2006 als fristgemäß anzusehen.
- 24
2. Bzgl. des Bescheides vom 30.08.2006 scheiterte der Beginn des Laufs der Monatsfrist nicht daran, dass die Rechtsbehelfsbelehrung gem. den §§ 84 Abs. 1 und 2 Satz 3, 66 Abs. 1 SGG und 36 SGB X unrichtig erteilt worden wäre. Die Jahresfrist (§ 66 Abs. 2 SGG) für die Einlegung des Widerspruchs galt damit nicht.
- 25
Unrichtig ist eine Rechtsbehelfsbelehrung, wenn diese Fehler enthält, die von einer sachgerechten Einlegung des gegebenen Rechtsmittels abhalten könnten. Davon ist das BSG bei Fehlern ausgegangen, die bei abstrakter Betrachtungsweise geeignet sein könnten, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder den Berechtigten von Erkundigungen über weitere Möglichkeiten abzuhalten und dadurch Einfluss auf die verspätete oder formwidrige Einlegung oder Begründung des Rechtsbehelfs gehabt haben könnten. Andererseits darf die Rechtsmittelbelehrung nicht so abgefasst sein, dass sie durch weitere Informationen inhaltlich überfrachtet wird und, statt Klarheit zu schaffen, wegen ihres Umfanges und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet. Sie soll deshalb so einfach und klar wie möglich gehalten werden und auch für einen juristischen Laien verständlich bleiben und nicht mit komplizierten rechtlichen Hinweisen überfrachtet werden. Sie muss in Folge dessen nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen, sondern den Beteiligten nur in die richtige Richtung lenken. Diese Funktion ist erfüllt, wenn sie einen Hinweis darauf gibt, welche ersten Schritte ein Beteiligter unternehmen muss (BSG, Beschluss vom 18.10.2007 - B 3 P 24/07 B -, SozR 4-1500 § 66 Nr. 1; Urteil vom 31.08.2000 - B 3 P 18/99 R -, Juris). Auf die Besonderheiten des Fristbeginns beim Eingreifen einer Zugangsvermutung - wie hier bei § 37 Abs. 2 SGB X - muss nicht hingewiesen werden (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1993 - 9/9a RV 17/92 - SozR 3-1500 § 66 Nr. 2); der vorliegende Hinweis "nach Bekanntgabe" (vgl. § 37 Abs. 1 und 2 SGB X) ist ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 -, Juris). Nicht erforderlich ist, dass die Belehrung von der Begründung des Beschlusses abgesetzt und mit einer gesonderten Überschrift versehen wird, allerdings darf diese nicht in einer vielseitigen Begründung irgendwo versteckt werden (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 30.04.2009 - 3 C 23/08 -, BVerwGE 134, 41).
- 26
Vorliegend konnte die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 30.08.2006 ihre Wegweiserfunktion erfüllen. Sie war auf Seite 3 des Bescheides nach der Darlegung des Leistungsanspruchs und der Berechnungsgrundlagen aufgeführt. Von den nachfolgenden (allgemeinen) Hinweisen war sie etwas abgesetzt. Damit wurde deutlich, dass der Bescheid in zwei Teile gegliedert war, dessen erster Teil die Leistungsvoraussetzungen und die Erläuterung der Höhe der Leistungen betraf und dessen zweiter Teil Hinweise zu vom Kläger zu beachtenden Gesichtspunkten, zu Rechtsgrundlagen sowie einen Leistungsnachweis enthielt. Die Rechtsbehelfsbelehrung war insofern nicht an einer unübersichtlichen Stelle des Bescheides versteckt, sondern schloss den die konkrete Leistung betreffenden Teil ab. Sie war nicht durch überflüssige Informationen überfrachtet und bezeichnete den Rechtsbehelf und die zutreffende Frist und Form der Einlegung (vgl. §§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG und 36 SGB X). Auch war die zuständige Verwaltungsstelle zu erkennen, da auf die "oben bezeichnete Agentur für Arbeit" Neuwied verwiesen wurde, die im Briefkopf mit Adressangabe genannt war. Es war daher ohne weiteres erkennbar (vgl. hierzu Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2006 - L 8 AS 4314/05 -, Juris), welche Stelle dies ist.
- 27
Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 lief mit Ablauf des 04.10.2006 (§ 64 Abs. 2 und 3 SGG) ab. Der Kläger hat jedoch erst am 08.11.2006 Widerspruch bei der Beklagten eingelegt. Dieser ist verfristet. Wiedereinsetzungsgründe (§ 67 SGG) wurden vom Kläger nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Die Beklagte hat damit zu Recht den Widerspruch als unzulässig verworfen.
- 28
3. Dass der Bescheid vom 30.08.2006 in Bestandskraft erwachsen ist, steht einer Entscheidung in der Sache, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alg im Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006 zusteht, nicht entgegen. Im Bescheid vom 23.08.2006 hat die Beklagte Alg ab dem 09.08.2006 bewilligt und damit das Bestehen eines Anspruchs vor diesem Zeitpunkt abgelehnt. Mit dem Bescheid vom 30.08.2006 wurde der Leistungsbetrag ab dem 09.08.2006 wegen der Vorlage der Lohnsteuerkarte und der Berücksichtigung der dort aufgeführten Lohnsteuerklasse erhöht und hinsichtlich der Leistungsgewährung vor dem 09.08.2006 keine neue Sachprüfung durchgeführt und daher insoweit kein sogenannter Zweitbescheid erlassen. Allerdings ist diese Sachprüfung (zunächst) im - erneuten - Widerspruchsverfahren anzustellen und kann nicht im vorliegenden Gerichtsverfahren erfolgen.
- 29
Die Sachprüfung im Gerichtsverfahren wird bei einer von der Widerspruchsbehörde (hier § 85 Abs. 2 Nr. 3 SGG) ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Verfristung des Widerspruchs nur dann ermöglicht, wenn die Widerspruchsbehörde auch in der Sache entschieden hat. Aufgrund eines verspäteten Widerspruchs ist die Behörde zwar nicht mehr verpflichtet, in der Sache zu entscheiden; sie verliert aber nicht die Sachherrschaft über das Verfahren. In einem Widerspruchsverfahren darf die Widerspruchsbehörde damit auch über einen verspäteten Widerspruch sachlich entscheiden; eine sich über die Fristversäumung hinweg setzende Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde schließt dann für das spätere Gerichtsverfahren die Beachtlichkeit des Widerspruchs aus. Für eine Sachentscheidung genügt es nicht, wenn sich die Widerspruchsbehörde nur hilfsweise zur Sache äußert (BSG, Urteil vom 12.10.1979 - 12 RK 19/78 -, SozR 1500 § 84 Nr. 3; Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R -, SozR 4-3500 § 28 Nr. 3; BVerwG, Urteil vom 16.01.1964 - VIII C 72.62 -, DVBl. 1965, 89). Nur diese Sachentscheidung eröffnet den Weg zu einer gerichtlichen Sachprüfung. Weist die Widerspruchsbehörde den Widerspruch als unzulässig zurück und entscheidet sie nicht in der Sache, sind die Gerichte an einer sachlich-rechtlichen Überprüfung des Klagebegehrens gehindert (BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 -, Juris Rdnr. 29). Vorliegend hat sich die Widerspruchsstelle der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 18.01.2007 ausschließlich auf die Unzulässigkeit des Widerspruchs und damit auf die Bestandskraft des Bescheides vom 23.08.2006 berufen und keine Sachprüfung durchgeführt. Der Senat kann damit in eine Sachprüfung nicht eintreten.
- 30
Die - hier teilweise - isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2007 ist möglich, da er gegenüber dem Ausgangsbescheid eine zusätzliche, selbständige Beschwer enthält und jedenfalls der Rechtsgedanke des § 79 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) heranzuziehen ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 95 RdNr. 3 ff. mwN). Die Voraussetzung einer zusätzlichen Beschwer ist im Fall der Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift im Widerspruchsverfahren erfüllt, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (vgl. bei einer unterbliebenen Anhörung: BSG, Urteil vom 15.08.1996 - 9 RV 10/95 -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 13; Urteil vom 25.03.1999 - B 9 SB 14/97 R -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 14), was bei der vorliegenden Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig anstelle einer Sachentscheidung der Fall ist. Zwar wird die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsschutzinteresse an einer isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides dann nicht gegeben ist, wenn es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung handelt (Leitherer a.a.O. RdNr. 3c; Behrend in Hennig, SGG, § 95 RdNr. 20; Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 79 RdNr. 19). Dies überzeugt jedoch nicht, da § 79 VwGO keinen Unterschied zwischen Ermessensentscheidungen und gebundener Verwaltung macht. Auch folgt aus dem Sinn und Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung, Verbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers, Schutz der Gerichte vor Überlastung) und aus der allgemeinen Stellung der Gerichte im gewaltenteiligen Staat, dass ein Gericht eine Sachentscheidung erst treffen soll, wenn die Verwaltung, dh die Widerspruchsbehörde, in einem einwandfreien Verfahren und ohne zusätzliche Rechtsfehler das letzte Wort in der Sache gesprochen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 79 RdNr. 5; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 79 RdNr. 9).
- 31
Auch Gründe der Prozessökonomie können eine solche Sachprüfung nicht ermöglichen. Im Widerspruchsverfahren wird die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG) nachgeprüft. Dies dient der Selbstkontrolle der Verwaltung und darüber hinaus soll der Schutz des betroffenen Bürgers verbessert und es sollen die Sozialgerichte vor unnötiger Arbeit bewahrt werden. Das Verfahren ist eine grundsätzlich unverzichtbare Sachurteils-(Prozess-)Voraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1999 - B 12 KR 8/98 R -, SozR 3-1500 § 78 Nr. 3). Dies schließt es auch bei "gebundenen", d.h. nicht im Ermessen der Verwaltung stehenden Entscheidungen - wie hier - aus, auf das Widerspruchsverfahren zu verzichten (BSG aaO). Die Möglichkeit einer positiven Entscheidung in der Sache scheidet vorliegend auch nicht von vornherein aus und der Senat kann jedenfalls derzeit keine für den Kläger günstige Sachentscheidung treffen, da noch weitere Ermittlungen anzustellen sind. Es ist u. a. zu prüfen (§§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 SGB III), ob sich der Kläger wirksam (§ 122 Abs. 1 SGB III) am 30.06.2006 arbeitslos gemeldet hat, was davon abhängen könnte, ob der Eintritt von Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Monaten prognostisch erwartet werden konnte, ob der Kläger aus seiner "Laiensphäre" davon ausgehen konnte, sich bei der zuständigen Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet zu haben (vgl. BSG, Urteil vom 19.01.2005 - B 11a/11 AL 41/04 R -, Juris; Urteil vom 06.04.2006 - B 7a AL 74/05 R -, SozR 4-4300 § 26 Nr. 4) und ob die Beklagte die Arbeitslosmeldung entgegengenommen und akzeptiert hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2010 - B 7 AL 49/08 R -, Juris). Auch ein arbeitsunfähig Erkrankter kann sich arbeitslos melden und muss nicht seine "Genesung" abwarten, um dann - erneut - die Agentur für Arbeit zur persönlichen Arbeitslosmeldung aufzusuchen. Sollte die Beklagte Ursachen für eine verspätete Arbeitslosmeldung geschaffen haben, könnte die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu erwägen sein (vgl. BSG, Urteil vom 19.01.2005 a.a.O.), da es nicht um die Ersetzung der Tatsache des persönlichen Erscheinens bei der Behörde geht. Ob der Kläger ab dem 31.07.2006 bereit war, alle seiner objektiven Leistungsfähigkeit entsprechenden und nach Art und Umfang zumutbaren Beschäftigungen aufzunehmen (Arbeitsbereitschaft, § 119 Abs. 5 Nr. 3 SGB III), ist ebenfalls zu prüfen.
- 32
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
- 33
Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung.
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt
- 1.
bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten, - 2.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen, - 3.
für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen, - 4.
in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen, - 5.
in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 kann die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 ist in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts die nächsthöhere Behörde zuständig, es sei denn, diese ist eine oberste Bundes- oder eine oberste Landesbehörde. Die Entscheidung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Die Stelle kann die Entscheidung jederzeit ändern oder aufheben.
(4) Die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn eine Erlaubnis nach Artikel 1 § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1852) geändert worden ist, aufgehoben oder nicht verlängert wird. Absatz 3 gilt entsprechend.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung
- 1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, - 2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern, - 3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder - 4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.
(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.
(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.
(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung
- 1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, - 2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern, - 3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder - 4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.
(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.
(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.
(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.