Sozialgericht Aachen Urteil, 28. Juni 2016 - S 18 SB 114/16

ECLI:ECLI:DE:SGAC:2016:0628.S18SB114.16.00
bei uns veröffentlicht am28.06.2016

Tenor

Der Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 wird aufgehoben. Kosten sind nicht zu erstatten.


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Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Aachen Urteil, 28. Juni 2016 - S 18 SB 114/16

Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Aachen Urteil, 28. Juni 2016 - S 18 SB 114/16

Referenzen - Gesetze

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
Sozialgericht Aachen Urteil, 28. Juni 2016 - S 18 SB 114/16 zitiert 22 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 157 Auslegung von Verträgen


Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 183


Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 31 Begriff des Verwaltungsaktes


Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemei

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 86a


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung. (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt 1. bei der Entscheidung

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 99


(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. (2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änd

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 79


(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist 1. der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,2. der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält. (2) Der

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 95


Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 69 Kontinuität der Bemessungsgrundlage


Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnun

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 78


(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn 1. ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder2. der Verwaltungsakt v

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 78


(1) Die Klage ist zu richten 1. gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat; zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde,2

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 4 Leistungen zur Teilhabe


(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung 1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,2. Einschr

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 168


Klageänderungen und Beiladungen sind im Revisionsverfahren unzulässig. Dies gilt nicht für die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts nach § 75 Abs. 1 Satz 2 und, sofern der Beizuladende zustimmt

Schwerbehindertenausweisverordnung - SchwbAwV | § 6 Gültigkeitsdauer


(1) Auf der Rückseite des Ausweises ist als Beginn der Gültigkeit des Ausweises einzutragen: 1. in den Fällen des § 152 Absatz 1 und 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften,2. i

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(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,
3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.

(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist

1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,
2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.


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(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist

1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,
2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.

Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

(1) Die Klage ist zu richten

1.
gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat; zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde,
2.
sofern das Landesrecht dies bestimmt, gegen die Behörde selbst, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat.

(2) Wenn ein Widerspruchsbescheid erlassen ist, der erstmalig eine Beschwer enthält (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2), ist Behörde im Sinne des Absatzes 1 die Widerspruchsbehörde.

Klageänderungen und Beiladungen sind im Revisionsverfahren unzulässig. Dies gilt nicht für die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts nach § 75 Abs. 1 Satz 2 und, sofern der Beizuladende zustimmt, für Beiladungen nach § 75 Abs. 2.

(1) Auf der Rückseite des Ausweises ist als Beginn der Gültigkeit des Ausweises einzutragen:

1.
in den Fällen des § 152 Absatz 1 und 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften,
2.
in den Fällen des § 152 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Ausstellung des Ausweises nach § 152 Absatz 5 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch.

(2) Die Gültigkeit des Ausweises ist für die Dauer von längstens 5 Jahren vom Monat der Ausstellung an zu befristen. In den Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, nicht zu erwarten ist, kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden.

(3) Für schwerbehinderte Menschen unter 10 Jahren ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises bis längstens zum Ende des Kalendermonats zu befristen, in dem das 10. Lebensjahr vollendet wird.

(4) Für schwerbehinderte Menschen im Alter zwischen 10 und 15 Jahren ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises bis längstens zum Ende des Kalendermonats zu befristen, in dem das 20. Lebensjahr vollendet wird.

(5) Bei nichtdeutschen schwerbehinderten Menschen, deren Aufenthaltstitel, Aufenthaltsgestattung oder Arbeitserlaubnis befristet ist, ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises längstens bis zum Ablauf des Monats der Frist zu befristen.

(6) (weggefallen)

(7) Der Kalendermonat und das Kalenderjahr, bis zu deren Ende der Ausweis gültig sein soll, sind auf der Vorderseite des Ausweises einzutragen.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.

(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.

(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn

1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder
2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.

(2) (weggefallen)

(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.

(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.

(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist

1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,
2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.


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Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.07.2009 - S 9 AL 39/07 - abgeändert. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.01.2007 wird aufgehoben, soweit er den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 23.08.2006 als unzulässig verworfen hat.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) auch für den Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006.

2

Der 1966 geborene Kläger war zuletzt vom 05.04. bis 24.06.2005 als Sortierer bei der H GmbH und seit 29.06.2005 als Produktionshelfer bei der Firma S Industrie-Service (Arbeitgeber) beschäftigt. Mit Schreiben vom 27.06.2006 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 12.07.2006. In dem anschließenden Verfahren vor dem Arbeitsgericht Koblenz (5 Ca 1355/06) schlossen die Arbeitsvertragsparteien am 12.12.2006 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Kündigung vom 27.06.2006 beendet worden ist, sondern unbefristet fortbesteht.

3

Der Kläger war seit 03.05.2006 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt von der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland-Pfalz (AOK) ab 14.06.2006 Krankengeld. Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 24.07.2006 ausführte, dass eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum 30.07.2006 möglich sei, teilte die AOK dem Kläger mit Bescheid vom 25.07.2006 mit, dass er mit Ablauf des 30.07.2006 wieder in der Lage sei, seine letzte Tätigkeit als Hilfsarbeiter/Produktionsmitarbeiter aufzunehmen und dass die Krankengeldzahlung zu diesem Zeitpunkt ende. Der Kläger erhielt zusätzlich Aufstockungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

4

Der Kläger legte der ARGE als Träger nach dem SGB II am 01.06. (Zeitraum vom 31.05. bis 14.06.2006), am 20.06.2006 (Zeitraum vom 15.06. bis 03.07.2006) und am 04.07.2006 (Zeitraum vom 04.07. bis 14.07.2006) Kopien der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Am 30.06.2006 sprach er bei der ARGE vor und meldete sich zum 13.07.2006 arbeitslos (Vermerk vom 30.06.2006). Eine Mitarbeiterin der Beklagten wies ihn am 03.07.2006 auf das Erfordernis einer rechtzeitigen erneuten Arbeitslosmeldung bei einer Genesung hin; der Kläger legte zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Am 21.07.2006 gab er gegenüber der ARGE an, weiter arbeitsunfähig zu sein.

5

Am 09.08.2006 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte am 21.08.2006 die Gewährung von Alg. Am 21.08.2006 nahm der Kläger die Beschäftigung bei dem Arbeitgeber wieder auf.

6

Die Beklagte bewilligte mit Bescheiden vom 23.08. und 30.08.2006 Alg für den Zeitraum vom 09.08. bis 20.08.2006 nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 44,98 € und einem Leistungsbetrag von täglich 16,31 € (Bescheid vom 23.08.2006, Steuerklasse V) bzw. von 23,81 € (Bescheid vom 30.08.2006, Steuerklasse III). Der sechsseitige Bescheid vom 23.08.2006 enthielt auf den Seiten 2 bis 3 nach den dargestellten Berechnungsgrundlagen und vor den Hinweisen zur Höhe des Alg folgende Rechtsmittelbelehrung:

7

"Gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch zulässig. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der oben bezeichneten Agentur für Arbeit einzureichen, und zwar binnen eines Monats, nach dem der Bescheid Ihnen bekanntgegeben worden ist."

8

Bei dem fünfseitigen Bescheid vom 30.08.2006 befand sich die gleichlautende Rechtsmittelbelehrung nach den Berechnungsgrundlagen und dem Hinweis auf eine Änderung der Verhältnisse wegen der Lohnsteuerklasse auf Seite 3 vor den Hinweisen zu den zu beachtenden Gesichtspunkten.

9

Die als Zweitschrift in der Verwaltungsakte der Beklagten abgehefteten Bescheide enthalten keinen Vermerk über die Aufgabe zur Post und wurden vom BA-IT-Systemhaus der Beklagten in Nürnberg erstellt. Der Bescheid vom 23.08.2006 ist entweder am 23. oder 24.08.2006 und der Bescheid vom 30.08.2006 am 31.08.2006 bei der Post aufgeliefert worden (E-Mail des BA-IT-Systemhauses an die Beklagte vom 28.02.2007, Bl. 52 Gerichtsakte).

10

Der Kläger hat am 08.11.2006 Widerspruch gegen die Bescheide vom 23. und 30.08.2006 erhoben. Die Beklagte verwarf den Widerspruch am 18.01.2007 als unzulässig, da die Widerspruchsfrist nicht gewahrt und Wiedereinsetzungsgründe nicht erkennbar seien.

11

Der Kläger hat am 05.02.2007 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 29.07.2009 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Beklagte habe den Widerspruch des Klägers zu Recht wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig verworfen. Hinsichtlich der Bekanntgabe der Bescheide gelte die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), wobei die Bestätigung des BA-IT-Systemhauses über den Tag der Aufgabe zur Post ausreichend sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei zutreffend und es sei unschädlich, dass sich diese mittig in den Bescheiden befunden habe. Auch der Sitz der Behörde, bei der der Widerspruch anzubringen war, sei hinreichend bezeichnet.

12

Gegen das ihm am 12.08.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 14.09.2009 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass die Widerspruchsfrist nicht versäumt sei, da deren Lauf wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrungen nicht in Gang gesetzt worden sei. Die Rechtsmittelbelehrung habe sich in den Bescheidtexten an versteckter Stelle befunden, wo ein verständiger Leser sie nicht habe erwarten können. Auch sei diese inhaltlich unvollständig, da sie nicht die Angaben der Behörde, bei der der Widerspruch einzulegen ist und über deren Sitz enthalten habe. Ein Anspruch auf Alg sei gegeben, da er sich am 30.06.2006 arbeitslos gemeldet habe.

13

Der Kläger beantragt,

14

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.07.2009 - S 9 AL 39/07 - aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 23.08.2006 und 30.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 31.07. bis 08.08.2006 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie erachtet die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

18

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Das Urteil des SG sowie der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.01.2007 sind abzuändern. Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.08.2006 unzutreffend als unzulässig verworfen. Der Senat erachtet insoweit den Erlass eines Teilurteils (§ 202 Sozialgerichtsgesetz iVm § 301 Zivilprozessordnung) für zweckmäßig. Eine Entscheidung, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alg auch im Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006 zusteht, bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

20

Das SG hat die Klage zutreffend nicht wegen der von ihm angenommenen Versäumung der Widerspruchfrist (§ 84 SGG) als unzulässig abgewiesen (vgl. Bundessozialgericht , Urteil vom 12.10.1979 - 12 RK 19/78 -, SozR 2200 § 1422 Nr. 1). Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist zulässig und teilweise begründet. Hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen. Bzgl. des Bescheides vom 23.08.2006 war der Widerspruch zulässig und die Beklagte hätte in der Sache entscheiden müssen. Dieser Verwaltungsakt hat keine Bindungswirkung (§ 77 SGG) erlangt. Der Kläger hat die Widerspruchsfrist gewahrt.

21

1. Die Bescheide vom 23.08. und 30.08.2006 sind dem Kläger bekannt gegeben und damit wirksam (§ 39 Abs. 1 SGB X) geworden. Dass sie ihm nicht zugegangen sind, behauptet der Kläger nicht. Die Bekanntgabe erfolgte vorliegend durch Übersendung durch die Post (§ 37 Abs. 2 SGB X). Nach Satz 1 dieser Vorschrift gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt gemäß Satz 3 nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

22

Die Beklagte hat die Bescheide jeweils durch einfachen Brief versandt. Der Kläger hat keine Angaben zu dem Zeitpunkt gemacht, wann ihm die Bescheide zugegangen sind. Der Beweis für den Zeitpunkt der Bekanntgabe ist hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 durch die Vorlage der E-Mail des BA-IT-Systemhauses der Beklagten vom 28.02.2007 geführt. Danach wurde der Bescheid am 31.08.2006 bei der Post aufgegeben. Wann der Bescheid vom 23.08.2006 bei der Post aufgegeben worden ist, ist jedoch offen. Das BA-IT-Systemhaus hat angegeben, dass der Bescheid vom 23.08.2006 am 23.08. oder 24.08.2006 bei der Post aufgeliefert worden sei. Der Tag der Aufgabe zur Post steht damit aber gerade nicht fest.

23

Ausreichend für das Eingreifen der Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 SGB X als gesetzlich normierter Anscheinsbeweis ist, dass der Tag der Aufgabe zur Post nachweisbar ist. Ob der Tag der Aufgabe zur Post bei der Bekanntgabe durch Übersendung nach § 37 Abs. 2 SGB X in den Akten zu vermerken ist (so BSG, Urteil vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R -, SozR 4- 2700 § 136 Nr. 2 RdNr. 15), braucht nicht entschieden zu werden. Der Wortlaut der Vorschrift enthält ein derartiges Erfordernis jedenfalls nicht. Im übrigen bedeutet "vermerken" lediglich, dass der Vorgang in den betreffenden Akten so erwähnt wird, dass auch eine mit der Sache bisher nicht befasste Person ihn als geschehen erkennen kann. Dementsprechend reicht jeder in den Akten befindliche Hinweis, der Aufschluss über den Tag der Aufgabe des Briefes zur Post gibt, aus. Wann dieser Hinweis zu den Akten gelangt ist, ist ohne Bedeutung. Nicht erforderlich ist zudem, dass der Hinweis sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergibt bzw. ein Vermerk über die Aufgabe zur Post auf dem Verwaltungsakt angebracht ist (vgl. zur Regelung des § 4 Verwaltungszustellungsgesetz: BSG, Urteil vom 26.08.1997 - 5 RJ 6/96 -, SozR 3-1960 § 4 Nr. 3; Urteil vom 09.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R -, Juris). Bzgl. des Bescheides vom 30.08.2006 genügt die zu den Akten der Beklagten gelangte E-Mail des BA-IT-Systemshauses der Beklagten, um den Tag der Aufgabe zur Post - der 31.08.2006 - nachzuweisen. Erfolgte die Zustellung des Bescheides vom 30.08.2006 damit am Sonntag (die Zugangsvermutung gilt auch in diesem Fall: vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2008 aaO Rdnr. 13; Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 12/09 R -, Juris), dem 03.09.2006, begann die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) nach § 64 Abs. 1 SGG am 04.09.2006. Die Zugangsvermutung ist nicht durch entsprechenden Tatsachenvortrag des Klägers erschüttert worden, der einen späteren Zugang nicht konkret behauptet hat. Hinsichtlich des Bescheides vom 23.08.2006 gilt die Zugangsfiktion mangels der Nachweisbarkeit des Tags der Aufgabe dieses Bescheides zur Post hingegen nicht. Da die Monatsfrist insoweit nicht lief, war der Widerspruch des Klägers vom 08.11.2006 als fristgemäß anzusehen.

24

2. Bzgl. des Bescheides vom 30.08.2006 scheiterte der Beginn des Laufs der Monatsfrist nicht daran, dass die Rechtsbehelfsbelehrung gem. den §§ 84 Abs. 1 und 2 Satz 3, 66 Abs. 1 SGG und 36 SGB X unrichtig erteilt worden wäre. Die Jahresfrist (§ 66 Abs. 2 SGG) für die Einlegung des Widerspruchs galt damit nicht.

25

Unrichtig ist eine Rechtsbehelfsbelehrung, wenn diese Fehler enthält, die von einer sachgerechten Einlegung des gegebenen Rechtsmittels abhalten könnten. Davon ist das BSG bei Fehlern ausgegangen, die bei abstrakter Betrachtungsweise geeignet sein könnten, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder den Berechtigten von Erkundigungen über weitere Möglichkeiten abzuhalten und dadurch Einfluss auf die verspätete oder formwidrige Einlegung oder Begründung des Rechtsbehelfs gehabt haben könnten. Andererseits darf die Rechtsmittelbelehrung nicht so abgefasst sein, dass sie durch weitere Informationen inhaltlich überfrachtet wird und, statt Klarheit zu schaffen, wegen ihres Umfanges und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet. Sie soll deshalb so einfach und klar wie möglich gehalten werden und auch für einen juristischen Laien verständlich bleiben und nicht mit komplizierten rechtlichen Hinweisen überfrachtet werden. Sie muss in Folge dessen nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen, sondern den Beteiligten nur in die richtige Richtung lenken. Diese Funktion ist erfüllt, wenn sie einen Hinweis darauf gibt, welche ersten Schritte ein Beteiligter unternehmen muss (BSG, Beschluss vom 18.10.2007 - B 3 P 24/07 B -, SozR 4-1500 § 66 Nr. 1; Urteil vom 31.08.2000 - B 3 P 18/99 R -, Juris). Auf die Besonderheiten des Fristbeginns beim Eingreifen einer Zugangsvermutung - wie hier bei § 37 Abs. 2 SGB X - muss nicht hingewiesen werden (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1993 - 9/9a RV 17/92 - SozR 3-1500 § 66 Nr. 2); der vorliegende Hinweis "nach Bekanntgabe" (vgl. § 37 Abs. 1 und 2 SGB X) ist ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 -, Juris). Nicht erforderlich ist, dass die Belehrung von der Begründung des Beschlusses abgesetzt und mit einer gesonderten Überschrift versehen wird, allerdings darf diese nicht in einer vielseitigen Begründung irgendwo versteckt werden (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 30.04.2009 - 3 C 23/08 -, BVerwGE 134, 41).

26

Vorliegend konnte die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 30.08.2006 ihre Wegweiserfunktion erfüllen. Sie war auf Seite 3 des Bescheides nach der Darlegung des Leistungsanspruchs und der Berechnungsgrundlagen aufgeführt. Von den nachfolgenden (allgemeinen) Hinweisen war sie etwas abgesetzt. Damit wurde deutlich, dass der Bescheid in zwei Teile gegliedert war, dessen erster Teil die Leistungsvoraussetzungen und die Erläuterung der Höhe der Leistungen betraf und dessen zweiter Teil Hinweise zu vom Kläger zu beachtenden Gesichtspunkten, zu Rechtsgrundlagen sowie einen Leistungsnachweis enthielt. Die Rechtsbehelfsbelehrung war insofern nicht an einer unübersichtlichen Stelle des Bescheides versteckt, sondern schloss den die konkrete Leistung betreffenden Teil ab. Sie war nicht durch überflüssige Informationen überfrachtet und bezeichnete den Rechtsbehelf und die zutreffende Frist und Form der Einlegung (vgl. §§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG und 36 SGB X). Auch war die zuständige Verwaltungsstelle zu erkennen, da auf die "oben bezeichnete Agentur für Arbeit" Neuwied verwiesen wurde, die im Briefkopf mit Adressangabe genannt war. Es war daher ohne weiteres erkennbar (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2006 - L 8 AS 4314/05 -, Juris), welche Stelle dies ist.

27

Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 lief mit Ablauf des 04.10.2006 (§ 64 Abs. 2 und 3 SGG) ab. Der Kläger hat jedoch erst am 08.11.2006 Widerspruch bei der Beklagten eingelegt. Dieser ist verfristet. Wiedereinsetzungsgründe (§ 67 SGG) wurden vom Kläger nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Die Beklagte hat damit zu Recht den Widerspruch als unzulässig verworfen.

28

3. Dass der Bescheid vom 30.08.2006 in Bestandskraft erwachsen ist, steht einer Entscheidung in der Sache, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alg im Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006 zusteht, nicht entgegen. Im Bescheid vom 23.08.2006 hat die Beklagte Alg ab dem 09.08.2006 bewilligt und damit das Bestehen eines Anspruchs vor diesem Zeitpunkt abgelehnt. Mit dem Bescheid vom 30.08.2006 wurde der Leistungsbetrag ab dem 09.08.2006 wegen der Vorlage der Lohnsteuerkarte und der Berücksichtigung der dort aufgeführten Lohnsteuerklasse erhöht und hinsichtlich der Leistungsgewährung vor dem 09.08.2006 keine neue Sachprüfung durchgeführt und daher insoweit kein sogenannter Zweitbescheid erlassen. Allerdings ist diese Sachprüfung (zunächst) im - erneuten - Widerspruchsverfahren anzustellen und kann nicht im vorliegenden Gerichtsverfahren erfolgen.

29

Die Sachprüfung im Gerichtsverfahren wird bei einer von der Widerspruchsbehörde (hier § 85 Abs. 2 Nr. 3 SGG) ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Verfristung des Widerspruchs nur dann ermöglicht, wenn die Widerspruchsbehörde auch in der Sache entschieden hat. Aufgrund eines verspäteten Widerspruchs ist die Behörde zwar nicht mehr verpflichtet, in der Sache zu entscheiden; sie verliert aber nicht die Sachherrschaft über das Verfahren. In einem Widerspruchsverfahren darf die Widerspruchsbehörde damit auch über einen verspäteten Widerspruch sachlich entscheiden; eine sich über die Fristversäumung hinweg setzende Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde schließt dann für das spätere Gerichtsverfahren die Beachtlichkeit des Widerspruchs aus. Für eine Sachentscheidung genügt es nicht, wenn sich die Widerspruchsbehörde nur hilfsweise zur Sache äußert (BSG, Urteil vom 12.10.1979 - 12 RK 19/78 -, SozR 1500 § 84 Nr. 3; Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R -, SozR 4-3500 § 28 Nr. 3; BVerwG, Urteil vom 16.01.1964 - VIII C 72.62 -, DVBl. 1965, 89). Nur diese Sachentscheidung eröffnet den Weg zu einer gerichtlichen Sachprüfung. Weist die Widerspruchsbehörde den Widerspruch als unzulässig zurück und entscheidet sie nicht in der Sache, sind die Gerichte an einer sachlich-rechtlichen Überprüfung des Klagebegehrens gehindert (BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 -, Juris Rdnr. 29). Vorliegend hat sich die Widerspruchsstelle der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 18.01.2007 ausschließlich auf die Unzulässigkeit des Widerspruchs und damit auf die Bestandskraft des Bescheides vom 23.08.2006 berufen und keine Sachprüfung durchgeführt. Der Senat kann damit in eine Sachprüfung nicht eintreten.

30

Die - hier teilweise - isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2007 ist möglich, da er gegenüber dem Ausgangsbescheid eine zusätzliche, selbständige Beschwer enthält und jedenfalls der Rechtsgedanke des § 79 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) heranzuziehen ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 95 RdNr. 3 ff. mwN). Die Voraussetzung einer zusätzlichen Beschwer ist im Fall der Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift im Widerspruchsverfahren erfüllt, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (vgl. bei einer unterbliebenen Anhörung: BSG, Urteil vom 15.08.1996 - 9 RV 10/95 -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 13; Urteil vom 25.03.1999 - B 9 SB 14/97 R -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 14), was bei der vorliegenden Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig anstelle einer Sachentscheidung der Fall ist. Zwar wird die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsschutzinteresse an einer isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides dann nicht gegeben ist, wenn es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung handelt (Leitherer a.a.O. RdNr. 3c; Behrend in Hennig, SGG, § 95 RdNr. 20; Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 79 RdNr. 19). Dies überzeugt jedoch nicht, da § 79 VwGO keinen Unterschied zwischen Ermessensentscheidungen und gebundener Verwaltung macht. Auch folgt aus dem Sinn und Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung, Verbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers, Schutz der Gerichte vor Überlastung) und aus der allgemeinen Stellung der Gerichte im gewaltenteiligen Staat, dass ein Gericht eine Sachentscheidung erst treffen soll, wenn die Verwaltung, dh die Widerspruchsbehörde, in einem einwandfreien Verfahren und ohne zusätzliche Rechtsfehler das letzte Wort in der Sache gesprochen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 79 RdNr. 5; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 79 RdNr. 9).

31

Auch Gründe der Prozessökonomie können eine solche Sachprüfung nicht ermöglichen. Im Widerspruchsverfahren wird die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG) nachgeprüft. Dies dient der Selbstkontrolle der Verwaltung und darüber hinaus soll der Schutz des betroffenen Bürgers verbessert und es sollen die Sozialgerichte vor unnötiger Arbeit bewahrt werden. Das Verfahren ist eine grundsätzlich unverzichtbare Sachurteils-(Prozess-)Voraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1999 - B 12 KR 8/98 R -, SozR 3-1500 § 78 Nr. 3). Dies schließt es auch bei "gebundenen", d.h. nicht im Ermessen der Verwaltung stehenden Entscheidungen - wie hier - aus, auf das Widerspruchsverfahren zu verzichten (BSG aaO). Die Möglichkeit einer positiven Entscheidung in der Sache scheidet vorliegend auch nicht von vornherein aus und der Senat kann jedenfalls derzeit keine für den Kläger günstige Sachentscheidung treffen, da noch weitere Ermittlungen anzustellen sind. Es ist u. a. zu prüfen (§§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 SGB III), ob sich der Kläger wirksam (§ 122 Abs. 1 SGB III) am 30.06.2006 arbeitslos gemeldet hat, was davon abhängen könnte, ob der Eintritt von Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Monaten prognostisch erwartet werden konnte, ob der Kläger aus seiner "Laiensphäre" davon ausgehen konnte, sich bei der zuständigen Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet zu haben (vgl. BSG, Urteil vom 19.01.2005 - B 11a/11 AL 41/04 R -, Juris; Urteil vom 06.04.2006 - B 7a AL 74/05 R -, SozR 4-4300 § 26 Nr. 4) und ob die Beklagte die Arbeitslosmeldung entgegengenommen und akzeptiert hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2010 - B 7 AL 49/08 R -, Juris). Auch ein arbeitsunfähig Erkrankter kann sich arbeitslos melden und muss nicht seine "Genesung" abwarten, um dann - erneut - die Agentur für Arbeit zur persönlichen Arbeitslosmeldung aufzusuchen. Sollte die Beklagte Ursachen für eine verspätete Arbeitslosmeldung geschaffen haben, könnte die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu erwägen sein (vgl. BSG, Urteil vom 19.01.2005 a.a.O.), da es nicht um die Ersetzung der Tatsache des persönlichen Erscheinens bei der Behörde geht. Ob der Kläger ab dem 31.07.2006 bereit war, alle seiner objektiven Leistungsfähigkeit entsprechenden und nach Art und Umfang zumutbaren Beschäftigungen aufzunehmen (Arbeitsbereitschaft, § 119 Abs. 5 Nr. 3 SGB III), ist ebenfalls zu prüfen.

32

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

33

Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

 Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte sein Recht verwirkt hat, die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers aufzuheben.

2

Beim Kläger wurde im Juni 1992 ein bösartiges Geschwür des rechten Hoden diagnostiziert, der ebenso wie die dazugehörigen Lymphknoten entfernt werden musste. Wegen dieser Krebserkrankung stellte das Versorgungsamt U. auf Antrag des Klägers dessen Grad der Behinderung (GdB) mit 50 seit dem 1.6.1992 fest (Bescheid vom 20.1.1993) und stellte dem Kläger einen bis zum 30.6.1997 befristen Schwerbehindertenausweis aus. Zugrunde lag eine versorgungsärztliche Stellungnahme die ua vermerkt hatte, im Juni 1997 sei eine Nachprüfung erforderlich.

3

Ein im Dezember 1994 wegen einer Knochenzyste gestellter Neufeststellungsantrag des Klägers blieb erfolglos (Bescheid vom 17.1.1995). Auch die in diesem Zusammenhang erstellte versorgungsärztliche Stellungnahme erinnerte daran, der GdB von 50 müsse im Juni 1997 wegen einer möglichen Heilungsbewährung überprüft werden. Trotzdem unterblieb die Nachprüfung. Stattdessen wurde der Schwerbehindertenausweis des Klägers jeweils am 18.6.1997 und am 3.7.2002 befristet und am 28.6.2007 unbefristet verlängert. Auf dem Formular der letzten internen Ausweisverfügung des Beklagten war "Nachprüfung nicht erforderlich" angekreuzt.

4

Am 21.12.2011 leitete das Landratsamt O. von Amts wegen eine Nachprüfung ein, hörte den Kläger dazu an und hob den Bescheid vom 20.1.1993 nach § 48 SGB X auf. Nach Heilungsbewährung liege seit dem 3.6.2012 kein GdB von mindestens 20 mehr vor (Bescheid vom 31.5.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2012). Das SG hat medizinisch ermittelt und auf dieser Grundlage den Aufhebungsbescheid des Beklagten (Land Baden-Württemberg) seinerseits aufgehoben. Zwar sei der GdB an sich nur noch mit weniger als 20 zu bemessen, weil der Zeitraum der Heilungsbewährung abgelaufen und keine nennenswerten Gesundheitsstörungen hinzugetreten seien. Der Beklagte habe aber sein Aufhebungsrecht verwirkt und sei daher an die ursprüngliche höhere Feststellung gebunden (Urteil vom 28.2.2014).

5

Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und die Klage gegen den Aufhebungsbescheid abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 1 SGB X lägen wegen der erfolgreichen Heilungsbewährung vor. § 48 Abs 4 S 1 SGB X iVm § 45 Abs 3 S 3 SGB X stehe der Aufhebung nicht entgegen, sondern schließe nach Ablauf von zehn Jahren lediglich eine rückwirkende Aufhebung aus. Der Senat folge insoweit der vom BSG (Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90) vertretenen Auffassung. Für sie spreche auch die inzwischen erfolgte Erweiterung des § 45 Abs 3 SGB X. Verwirkt habe der Beklagte das Aufhebungsrecht nicht; es fehle jedenfalls an der erforderlichen Vertrauensbetätigung des Klägers (Urteil vom 30.1.2015).

6

Mit seiner Revision macht der Kläger weiterhin geltend, der Beklagte habe sein Aufhebungsrecht verwirkt. Dieser habe in den Jahren 2002 und 2007 zweimal seine Schwerbehinderteneigenschaft bestätigt und danach den Schwerbehindertenausweis unbefristet verlängert. Er habe daher nicht mehr von einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ausgehen können, sondern auf das Fortbestehen seiner Eigenschaft als Schwerbehinderter vertrauen können. Sein Vertrauen verdiene Schutz, weil die Schwerbehinderteneigenschaft seinen Kündigungsschutz verstärkt, ihm einen steuerlichen Vorteil sowie die Option einer früheren Rente verschafft habe. Fehler habe allein der Beklagte begangen.

7

Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30. Januar 2015 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Ulm vom 28. Februar 2014 zurückzuweisen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er beruft sich auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§170 Abs 1 S 1 SGG), weil die vom Kläger nach § 54 Abs 1 Alt 1 SGG zulässig erhobene isolierte Anfechtungsklage gegen die Aufhebung seiner Schwerbehinderteneigenschaft unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 31.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2012 war rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte durfte seinen Aufhebungsbescheid auf § 48 SGB X stützen(1.); seine Aufhebungsbefugnis ist nicht verwirkt (2.).

11

1. Der Beklagte hat den Ausgangsbescheid vom 20.1.1993 zu Recht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X aufgehoben. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

12

Die erforderlichen formellen Voraussetzungen der Aufhebung hat der Beklagte erfüllt, indem er den Kläger vorab ordnungsgemäß schriftlich angehört und seinen Bescheid ausreichend begründet hat, § 24 Abs 1 und § 35 Abs 1 SGB X.

13

Auch die materiellen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 48 Abs 1 S 1 SGB X lagen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids als letzter maßgeblicher Verwaltungsentscheidung(vgl Zeihe, SGG, Stand April 2015, § 54 RdNr 2d; BSG Urteil vom 27.10.1976 - 2 RU 127/74 - SozR 2200 § 690 Nr 4 = BSGE 43, 1-9 = SozR 1500 § 131 Nr 4) vor. Bei der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Bescheid vom 20.1.1993 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung iS von § 48 SGB X(vgl BSG Urteil vom 12.11.1996 - 9 RVs 5/95 - BSGE 79, 223, 225 = SozR 3-1300 § 48 Nr 57 S 128 f mwN). Seine tatsächlichen Grundlagen hatten sich durch den erfolgreichen Ablauf der Periode der Heilungsbewährung beim Kläger im Sinne dieser Vorschrift entscheidungserheblich geändert.

14

Gemäß Nr 26.1 Abs 3 Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) bzw jetzt Teil B Nr 1 c der Anlage "Versorgungsmedizinische-Grundsätze" zur Versorgungsmedizin-Verordnung (Anl VersMedV) ist nach Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, insbesondere bei bösartigen Geschwulsterkrankungen, eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der Zeitraum der Heilungsbewährung beträgt in der Regel fünf Jahre, und zwar ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann. Die hinsichtlich der häufigsten und wichtigsten solcher Krankheiten angegebenen GdB/MdE/GdS-Anhaltswerte sind auf den "Zustand nach operativer oder anderweitiger Beseitigung der Geschwulst bezogen". Sie beziehen den "regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden ein". Außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung - zB langdauernde schwere Auswirkungen einer wiederholten Chemotherapie - sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen (BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 4/10 R - Juris RdNr 22). Wegen dieser Pflicht der Versorgungsbehörden, trotz der grundsätzlich vorgesehenen Pauschalierung besonders gelagerten Einzelfallkonstellationen zu Gunsten der Betroffenen Rechnung zu tragen (vgl BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 4/10 R - Juris; BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10), begegnen die Regeln über die Heilungsbewährung keinen grundsätzlichen gleichheitsrechtlichen Bedenken. Sie lassen den Versorgungsbehörden ausreichend Spielraum dafür, in jedem Einzelfall den Gleichheitsgrundsatz ausreichend zur Geltung zu bringen. Verfassungsrechtliche Erwägungen zwingen daher nicht dazu, das Modell der Heilungsbewährung zu überarbeiten.

15

Bestehen - wie beim Kläger - keine solchen außergewöhnlichen Folgen oder Begleiterscheinungen der Krebserkrankung, so legt die VersMedV die Höhe des GdB pauschal fest. Erst für die Zeit danach ist der GdB nach den konkreten Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bemessen (vgl dazu Teil A Nr 2 Anl VersMedV und BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - Juris RdNr 7). Beruht daher die Höhe des GdB auf einer Erkrankung, für welche die einschlägigen Normen einen erhöhten GdB-Wert während des Zeitraums der Heilungsbewährung ansetzen, ändert das Verstreichen dieses Zeitraums die wesentlichen, dh rechtserheblichen tatsächlichen Verhältnisse, die der Feststellung des GdB zugrunde lagen (vgl BSG Urteil vom 12.2.1997 - 9 RVs 12/95 - Juris RdNr 14 mwN).

16

So lag der Fall des Klägers. Der Beklagte hatte bei ihm wegen seiner durchlittenen Krebserkrankung (Hodentumor) nach Teil A Nr 26.13 AHP 1983 (vgl jetzt Teil B Nr 13.6., Teil B Nr 3.7 Anl VersMedV ) für die Zeit einer Heilungsbewährung von fünf Jahren einen pauschalen GdB von 50 angesetzt. Bereits 1997 war diese Zeitspanne abgelaufen. Die nunmehr anstelle pauschaler Bemessung zugrunde zu legenden tatsächlichen Umstände rechtfertigten beim Kläger nach den für den Senat bindenden Feststellungen der Instanzgerichte einen GdB-Wert von nur noch unter 20.

17

Die von § 48 Abs 4 S 1 SGB X angeordnete "entsprechende" Anwendung des § 45 Abs 3 S 3 SGB X steht einer Aufhebung der GdB-Feststellung wegen dieser Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht entgegen. Nach § 45 Abs 3 S 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch bei vorwerfbarem Verhalten des Begünstigten nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Das LSG hat unter Verweis auf die Rechtsprechung des Senats (BSG Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - SozR 3-1300 § 48 Nr 22 = BSGE 72, 1-7 = SozR 3-3100 § 61 Nr 1) zutreffend angenommen und im Einzelnen ausgeführt, dass die entsprechende Anwendung der Zehnjahresfrist nach Systematik sowie Sinn und Zweck nicht dazu dient, einer wesentlichen Änderung nach zehn Jahren jegliche Bedeutung abzusprechen. Vielmehr verbietet sie es lediglich nach Ablauf dieser Zeit, den Leistungsbescheid rückwirkend zu ändern und damit in abgeschlossene Lebensvorgänge einzugreifen. Andererseits besteht kein überzeugender Grund, die Aufhebung des Ausgangsbescheids für die Zukunft davon abhängig zu machen, wann die Änderung eingetreten ist. Unterbliebenen Verwaltungsakten, insbesondere dem Nichterlass eines Aufhebungsbescheides, kann - anders als den von § 45 SGB X geregelten, von Anfang an unrichtigen Bescheiden - keine Bestandskraft zukommen. Im Fall der Änderung der Verhältnisse fehlt es vielmehr hinsichtlich der neuen, nunmehr maßgebenden Sach- und Rechtslage an einer Verwaltungsentscheidung, die dem Betroffenen Anlass geben könnte, sich auf die Unerheblichkeit der eingetretenen Änderung zu verlassen. Sein Interesse wird dadurch nicht unzumutbar vernachlässigt. Bis der Aufhebungsbescheid wirksam wird, verbleibt ihm die Dauerleistung, die der Gesetzgeber ihm nach der materiellen Rechtslage nicht zugedacht hatte (BSG aaO).

18

Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, dieses vom Senat 1992 gefundene Ergebnis infrage zu stellen. Die vom LSG thematisierte Gesetzesänderung im Jahre 1998 (Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 6.4.1998 - BGBl I 1998, 688) hat die entscheidungserhebliche Vorschrift des § 45 Abs 3 S 3 SGB X unberührt gelassen und ihr lediglich zwei weitere, hier nicht einschlägige Sätze angefügt. Seitdem kann nach § 45 Abs 3 S 4 SGB X in den Fällen des § 45 Abs 3 S 3 SGB X - also bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit bzw im Falle eines Widerrufsvorbehalts - ein rechtswidriger Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung selbst noch nach Ablauf der Zehnjahresfrist zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Zehnjahresfrist am 15.4.1998 bereits abgelaufen, ist die Aufhebung nach Satz 4 der Vorschrift nur noch für die Zukunft möglich. Mit der Neuregelung wollte der Gesetzgeber die Rücknahme von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung auch für die Vergangenheit insbesondere in Fällen ermöglichen, in denen sich der Leistungsempfänger der Unrechtmäßigkeit der Zahlung bewusst war. Die Regelung sollte ausdrücklich auf laufende Geldleistungen beschränkt sein (BT-Drucks 13/10033 S 20). Aus dieser Ausweitung der Rücknahmemöglichkeiten ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Absicht des Gesetzgebers, die dem Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BSG und ihre Auslegung des Verweises von § 48 Abs 4 S 1 SGB X auf § 45 Abs 3 S 3 SGB X zu beseitigen und damit in bestimmten Konstellationen die Befugnisse der Behörden umgekehrt wieder einzuschränken.

19

Auch die Rechtsprechung der Landessozialgerichte (LSG für das Land Brandenburg Urteil vom 23.10.2003 - L 2 RJ 110/02 - Juris RdNr 38; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 1.4.2003 - L 3 U 66/01 - Juris RdNr 44 entgegen und unter Aufhebung von SG Mainz Urteil vom 30.1.2001 - S 6 U 217/98 - Juris; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil vom 7.11.2001 - L 10 SB 50/01 - Juris; LSG Hamburg Urteil vom 1.9.1999 - L 3 U 50/98 - Juris) sowie die vom LSG zitierte Literatur folgen der Senatsrechtsprechung inzwischen nahezu einhellig (aA Gagel, SGb 1990, S 252, 255).

20

Der Aufhebung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte nach Ablauf der Heilungsbewährung noch erhebliche Zeit - mehr als ein Jahrzehnt - hat verstreichen lassen, bevor er daraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse gezogen und das Überprüfungsverfahren eingeleitet hat. Denn § 48 Abs 1 S 1 SGB X verpflichtete den Beklagten auch noch lange Zeit nach Änderung der wesentlichen Verhältnisse zur Aufhebung des begünstigenden Bescheides. Im Gegensatz zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X bei atypischen Fällen ("soll") eröffnet § 48 Abs 1 S 1 SGB X nach seinem eindeutigen Wortlaut dem zuständigen Verwaltungsträger bei der Entscheidung über die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Zukunft kein Ermessen ("ist"). Sind daher die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 1 SGB X erfüllt, so ist der Verwaltungsakt zwingend mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben(BSG Urteil vom 2.4.2014 - B 6 KA 15/13 R - SozR 4-1300 § 47 Nr 1 RdNr 32; Brandenburg in jurisPK-SGB X, 2013, § 48 RdNr 113 mwN). Die Vorschrift räumt damit der Gesetzesbindung der Verwaltung Vorrang vor individuellem Vertrauensschutz ein. Gesichtspunkte wie zögerliches Handeln der Behörde oder Gutgläubigkeit des Empfängers spielen daher für die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung keine Rolle. Mit § 46 Abs 1 S 1 SGB X aF, der dem heutigen § 48 Abs 1 S 1 SGB X entspricht, wollte der Gesetzgeber - im Gegensatz zu der im allgemeinen Verwaltungsrecht geltenden Ermessensvorschrift des § 49 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz - im leistungsrechtlich geprägten Sozialrecht bewusst eine Pflicht schaffen, den Verwaltungsakt für die Zukunft aufzuheben, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen(BT-Drucks 8/2034 S 35).

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2. Der Beklagte hat seine Befugnis zur Korrektur der rechtswidrig gewordenen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht verwirkt.

22

Das richterrechtliche Institut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Sozialversicherungsrecht ebenso wie im allgemeinen Verwaltungsrecht und im Zivilrecht anerkannt (vgl BSGE 7, 199, 200; 34, 211, 213; 41, 275, 278; 59, 87, 94 = SozR 2200 § 245 Nr 4 S 22 f; BSGE 80, 41, 43 = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6 S 17 f). Eine solche Verwirkung setzt allgemein voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat, wie es der Beklagte über deutlich mehr als ein Jahrzehnt getan hat. Zum Zeitablauf müssen jedoch weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des einschlägigen Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (vgl BVerfGE 32, 305; BVerwGE 44, 339, 343; BFHE 129, 201, 202; BSGE 34, 211, 214; 35, 91, 95 mwN). Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete - erstens - infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dieser werde das Recht nicht mehr geltend machen (Vertrauensgrundlage), - zweitens - der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, das Recht werde nicht mehr ausgeübt (Vertrauenstatbestand), und - drittens - er sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl BSGE 47, 194, 196 = SozR 2200 § 1399 Nr 11 S 15 mwN; BSGE 80, 41, 43 = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6 S 18; BVerwGE 44, 339, 343 f).

23

Allerdings enthalten die §§ 45 ff SGB X in ihrem Anwendungsbereich eine spezielle und abschließend gedachte Regelung des Vertrauensschutzes bei der Aufhebung von Verwaltungsakten. Der Gesetzgeber hat damit ein abgestuftes Vertrauensschutzkonzept geschaffen, mit dem er ua zwischen rückwirkender und allein zukunftsgerichteter Aufhebung unterscheidet sowie enge Handlungsfristen für die Aufhebung vorsieht, vgl § 45 Abs 4 SGB X. Diese passgenaue gesetzliche Interessenabwägung können die Sozialgerichte nicht pauschal durch allgemeine, aus der Generalklausel von Treu und Glauben abgeleitete Vertrauensschutzerwägungen ersetzen. Zumindest im Fall der gebundenen Aufhebung einer Statusentscheidung im Schwerbehindertenrecht wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse muss die Annahme einer Verwirkung daher auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen eine wortgetreue Anwendung der gesetzlichen Vorschriften dazu führen würde, insbesondere grundrechtlich geschützte Positionen zu verletzen (allg vgl Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2000, S 23 ff; vgl BVerwG Urteil vom 20.12.1999 - 7 C 42/98 - BVerwGE 110, 226 ff). Da die Verwirkungsvoraussetzungen hier deshalb eng auszulegen sind, hat der Beklagte sein Aufhebungsrecht trotz seiner langen Untätigkeit nicht verwirkt. Dafür fehlt es schon an einer ausreichenden Verwirkungshandlung des Beklagten und damit auch an der erforderlichen Vertrauensgrundlage (a) sowie unabhängig davon an einem schützenswerten Vertrauensverhalten des Klägers (b).

24

a) Die lange Säumnis des Beklagten bei der erforderlichen Überprüfung des Gesundheitszustands des Klägers stellt - selbst in Verbindung mit der Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises - keine ausreichende Verwirkungshandlung dar.

25

Wie der Senat speziell für den Fall der Aufhebung einer Feststellung der Schwerbehinderung nach erfolgreicher Heilungsbewährung bereits entschieden hat, können Sozialbehörden aus einer Änderung der Verhältnisse für die Zukunft jedenfalls grundsätzlich zeitlich unbeschränkt Gestaltungsrechte ableiten (BSG Urteil vom 12.2.1997 - 9 RVs 12/95 - Juris RdNr 16). Dies fordert maßgeblich der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung, der die Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände und die Gleichbehandlung aller Antragsteller gebietet. Verwirken kann die zuständige Behörde ihr Recht, eine rechtswidrig gewordene Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft aufzuheben, allenfalls dann, wenn sie erkennbar auf das Verstreichen einer Phase der Heilungsbewährung Bezug nimmt und darauf hinweist, daraus auch in Zukunft keine Folgerungen mehr ziehen zu wollen (Verwirkungsverhalten, vgl BSG aaO). Bereits eine solche eindeutige Verwirkungshandlung des Beklagten hat das LSG indes nicht festgestellt. Sie liegt insbesondere nicht in der Verfügung vom 28.6.2007 über die unbefristete Verlängerung des Schwerbehindertenausweises mit dem fälschlicherweise angekreuzten Formularvermerk, eine Nachprüfung sei nicht erforderlich. Denn diese Verfügung ist nur ein behördeninterner Vorgang ohne Außenwirkung.

26

Die Umsetzung dieser Verfügung nach außen durch Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises an den Kläger stellt ebenfalls keine ausreichende Verwirkungshandlung des Beklagten dar; sie hat deshalb keine geeignete Vertrauensgrundlage für den Kläger geschaffen. Denn ein solcher Ausweis hat keine konstitutive Bedeutung für die darin verlautbarten Feststellungen (Oppermann in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand 8/2014, K § 69 RdNr 38; Goebel in jurisPK-SGB IX, 2. Aufl 2015, § 69 RdNr 25: "deklaratorische Bedeutung"). Vielmehr weist er gemäß § 69 Abs 5 S 2 SGB IX lediglich als öffentliche Urkunde die gesondert im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach(vgl BSG Urteil vom 26.2.1986 - 9a RVs 4/83 - SozR 3870 § 3 Nr 21 = BSGE 60, 11-18; BSG Urteil vom 11.5.2011 - B 5 R 56/10 R - Juris RdNr 25 mwN; Goebel aaO RdNr 65). Demgegenüber nahm der dem Kläger ausgestellte Ausweis weder auf das Verstreichen der Heilungsbewährung Bezug, noch wies er darauf hin, daraus auch in Zukunft keine Folgerungen ziehen zu wollen. Zwar darf nach § 6 Abs 2 S 2 Schwerbehindertenausweisverordnung der Ausweis entgegen der Sollvorschrift des § 69 Abs 5 S 3 SGB IX, die regelmäßig nur eine befristete Ausstellung vorsieht, an sich nur dann unbefristet ausgestellt werden, wenn eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen nicht zu erwarten ist. Insofern hat sich der Beklagte aber offenbar lediglich geirrt. Schützenswertes Vertrauen konnte der Kläger auf die Kundgabe dieses Irrtums nicht gründen, mag er sich auch in laienhafter Anschauung darauf verlassen haben, sich trotz der ihm bekannten Besserung seines Gesundheitszustands keiner Nachprüfung mehr stellen zu müssen. Denn nach § 69 Abs 5 S 4 SGB IX wird der Schwerbehindertenausweis eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises stand ebenso wie die zugrunde liegende Feststellung der Schwerbehinderung des Klägers von Anfang an unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bei Änderung der Verhältnisse. Dies gilt ohnehin für jede gesundheitliche Einschränkung, soweit sie einer Besserung zugänglich ist und erst recht für die Feststellung der Schwerbehinderung nach Ablauf der Zeitspanne der Heilungsbewährung.

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b) Zudem hat der Kläger sein subjektiv möglicherweise gefasstes, aber objektiv nicht gerechtfertigtes Vertrauen nicht schützenswert betätigt (Vertrauensverhalten). Auch dies hat das LSG für den Senat bindend festgestellt. Die dem Kläger in der Vergangenheit gewährten Steuer- bzw Statusvorteile verbleiben ihm. Für die Zukunft hat der Kläger keine Vertrauensdispositionen getroffen, die er nicht mehr oder nur noch unter unzumutbaren Anstrengungen und Kosten rückgängig machen könnte. Die Aufhebung der rechtswidrig gewordenen Statusentscheidung berührt insbesondere keine grundrechtlich geschützten Positionen des Klägers.

28

Insgesamt erschließt sich nicht, warum die Aufhebung der Schwerbehinderteneigenschaft den Kläger für die Zukunft unzumutbar belasten sollte, obwohl sein gesundheitlicher Zustand diese Feststellung schon seit langem in keiner Weise mehr rechtfertigt und er gleichwohl während der langen Untätigkeit des Beklagten von den an den Schwerbehindertenstatus geknüpften Vorteilen und Erleichterungen profitiert hat.

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Das LSG hat daher das stattgebende Urteil des SG zu Recht aufgehoben und die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Aufhebung der Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft abgewiesen.

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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Tenor

Die dem Kläger von der Beklagten am 14.09.2010 erteilte Aufenthaltserlaubnis in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.11.2010 sowie der dem Kläger am 14.09.2010 erteilte Reiseausweis für Ausländer in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.11.2010 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis und des Reiseausweises unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Zuziehung des Bevollmächtigten des Klägers für das Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand

 
Der 1969 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger. Er reiste im November 2000 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Aufgrund eines Urteil des Verwaltungsgerichts R. vom 30.07.2002 stellte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch Bescheid vom 22.11.2002 fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorlägen. Daraufhin erhielt der Kläger eine Aufenthaltsbefugnis. Am ...2004 heiratete er eine irakische Staatsangehörige, die sechs Kinder mit in die Ehe brachte. Ein weiteres Kind stammt von ihm.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerrief durch Bescheid vom 15.08.2005 die im Bescheid vom 22.11.2002 getroffene Feststellung und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorlägen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies die Klage gegen diesen Bescheid durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 30.05.2006 ab.
Die Beklagte erteilte dem Kläger am 31.10.2006 eine bis 30.10.2007 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Durch Verfügung vom 04.01.2007 widerrief die Beklagte die Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung vom 08.01.2007.
Der Kläger beantragte bei der Beklagten unter anderem die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Diese erteilte die Beklagte ihm am 15.03.2010 mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 14.09.2010.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragte durch Schreiben vom 02.06.2010, die Aufenthaltserlaubnis über den 14.09.2010 hinaus zu verlängern. Diesen Antrag wiederholte er durch Schreiben vom 31.08.2010 und wandte sich gegen die Befristung auf sechs Monate.
Am 14.09.2010 verlängerte die Beklagte die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bis zum 14.03.2011. Auch stellte sie ihm am 14.09.2010 einen bis 14.03.2011 gültigen Reiseausweis für Ausländer aus. Am 24.02.2011 erfolgte jeweils die Verlängerung bis zum 23.08.2011.
Der Kläger erhob am 28.09.2010 Widerspruch gegen die Befristung der Aufenthaltserlaubnis und gegen die Erteilung und Befristung des Reiseausweises für Ausländer. Er bezog sich auf sein früheres Vorbringen. Im Schriftsatz vom 31.08.2010 hatte sein Prozessbevollmächtigter vorgetragen, nach § 26 Abs. 1 AufenthG gelte die Befristung von 6 Monaten nur dann, solange der Ausländer sich noch nicht mindestens 18 Monate im Bundesgebiet rechtmäßig aufgehalten habe. Hier stehe nichts davon, dass er sich „seit“ 18 Monaten rechtmäßig aufgehalten haben müsse, sondern hier stehe nur ein rechtmäßiger Voraufenthalt von 18 Monaten. Beim Kläger habe ein rechtmäßiger Voraufenthalt von über 6 Jahren vorgelegen.
Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 als unbegründet zurück. Es führte dazu aus, gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG könne die Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 5 des AufenthG längstens für jeweils drei Jahre erteilt und verlängert werden, in den Fällen des § 25 Abs. 4 Satz 1 und Absatz 5 AufenthG jedoch für längstens 6 Monate, solange sich der Ausländer noch nicht mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Nr. 26.1.1 Satz 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG vom 26.10.2009 AufenthG- VwV- laute: „In den Fällen, in denen der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 oder § 25 Abs. 5 besitzt und sich noch nicht seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ist die Höchstgeltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis auf 6 Monate beschränkt“. Aus dieser Formulierung sei zu schließen, dass die im Gesetz gewählte Formulierung auslegungsbedürftig sei, also nicht dahingehend verstanden werden könne, dass ein rechtmäßiger Aufenthalt von mindestens 18 Monaten, der irgendwann in der Vergangenheit bestanden habe, bereits genüge, um eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit einer die Höchstgeltungsdauer von 6 Monaten überschreitenden Laufzeit beanspruchen zu können. Der Sinn und der Zweck der Regelung sprächen dafür, den Gesetzeswortlaut nach dem Wortlaut der AufenthG-VwV auszulegen. Da die Aufenthaltsgewährung in den Fällen des § 25 Abs. 4 Satz 1 und Absatz 5 AufenthG regelmäßig vorübergehender Natur sei, könne nur ein kurzfristiger Aufenthaltstitel in Betracht kommen, um frühzeitigen Verfestigungstendenzen entgegenzuwirken. Erst wenn sich aufgrund eines längeren rechtmäßigen Aufenthalts außerhalb eines Asylverfahrens gezeigt habe, dass die Prognose eines nur vorübergehenden Aufenthalts unrichtig gewesen sei, komme ein Aufenthaltstitel mit längerer Gültigkeitsdauer in Betracht. Demnach könne ein in der Vergangenheit liegender rechtmäßiger Aufenthalt, auch wenn er über 18 Monate hinausreiche, nicht dazu führen, dass die Höchstgeltungsdauer von 6 Monaten überschritten werde. Demnach sei die Höchstgeltungsdauer der nach einer vorangegangenen Geltungsdauer von 6 Monaten erstmals verlängerten Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 25 Abs. 5 AufenthG weiterhin auf 6 Monate beschränkt.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 AufenthV dürfe die Gültigkeitsdauer des Reiseausweises für Ausländer die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder die Aufenthaltsgestattung des Ausländers nicht überschreiten. Damit bleibe der Widerspruch auch insoweit erfolglos.
10 
Der Kläger erhob am 13.12.2010 Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart. Er macht geltend, er habe ein Recht auf Aufenthalt für die Aufenthaltszeit seiner Ehefrau und seiner Kinder, die Aufenthaltserlaubnisse für drei Jahre erhalten hätten. Die Aufenthaltserlaubnis müsse auch nach § 29 Abs. 2 AufenthG erteilt werden, und hier gebe es keine Befristung auf 6 Monate. Deshalb sei auch die Befristung des Reiseausweises rechtswidrig. Zudem stehe es von vornherein fest, dass die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nach Ablauf der 6 Monate auf jeden Fall verlängert werden müsse.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
die Aufenthaltserlaubnis der Beklagten vom 14.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.11.2010 aufzuheben sowie den Reiseausweis für Ausländer vom 14.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.11.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Verlängerung der Gültigkeitsdauer von Aufenthaltserlaubnis und Reiseausweis jeweils unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
die Klage abzuweisen.
15 
Sie nimmt auf den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart Bezug.
16 
Die einschlägigen Akten der Beklagten liegen dem Gericht vor. Auf sie sowie auf die Gerichtsakte wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
17 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten verhandeln und entscheiden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
18 
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Als integrierender Bestandteil einer Aufenthaltserlaubnis ist die strittige Befristung nicht isoliert anfechtbar (ebenso VG Stuttgart, Urt. v. 29.11.2010 - 11 K 1867/10 -, Juris). Dasselbe gilt für die Befristung des Reiseausweises, denn die isolierte Anfechtung einer Befristung ist rechtlich nicht möglich (vgl. Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 36 Rdnr. 91).
19 
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrages auf Festsetzung einer längeren Geltungsdauer der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis und des Reiseausweises.
20 
Die Befristung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG richtet sich nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 5 des AufenthG für jeweils längstens drei Jahre erteilt und verlängert werden, in den Fällen des § 25 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 AufenthG jedoch für längstens sechs Monate, solange sich der Ausländer noch nicht mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
21 
Unter den Beteiligten ist die Auslegung dieser Vorschrift strittig. Die Beklagte und das Regierungspräsidium Stuttgart stellen sich mit 26.1.1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AufenthG-VwV- (GMBl. 2009, 877) auf den Standpunkt, dass die Aufenthaltserlaubnis hier für längstens sechs Monate erteilt werden kann, weil der Kläger sich noch nicht seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält ; ein in der Vergangenheit rechtmäßiger Aufenthalt genüge nicht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers weist hingegen auf den Wortlaut der Vorschrift hin.
22 
Das erkennende Gericht teilt den Rechtsstandpunkt der Beklagten und des Regierungspräsidiums Stuttgart nicht. Der Wortlaut von § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (im Bundesgebiet aufgehalten hat ) verweist eindeutig auch auf die Vergangenheit. Dieser Wortlaut unterscheidet sich von anderen Formulierungen des AufenthG, die auf die Gegenwart abstellen, z. B. „besitzt“, § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, oder „mit Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhält“, § 9 a Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Spricht schon der klare Wortlaut der Vorschrift gegen die Meinung der Beklagten und des Regierungspräsidiums, so spricht auch nicht der Zweck der Vorschrift zwingend für deren Auffassung. Zwar ist es richtig, dass § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezweckt, frühzeitigen Verfestigungstendenzen entgegenzuwirken. Dieser Zweck wird aber auch dann erreicht, wenn der Ausländer in der Vergangenheit mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet war (und in der Zwischenzeit auch nicht die Bundesrepublik Deutschland verlassen hatte). Auch dann hat er sich nämlich nicht nur vorübergehend in Deutschland aufgehalten, sondern der Aufenthalt hat sich bereits verfestigt.
23 
So liegt der Fall auch beim Kläger: Nachdem das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch Bescheid vom 22.11.2002 festgestellt hatte, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorlägen, erhielt er eine Aufenthaltsbefugnis, und am 31.10.2006 erteilte die Beklagte ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG, die nach dem Widerruf noch bis 08.01.2007 gültig war. Der Kläger hat mithin die Voraussetzungen für einen mindestens 18 Monate dauernden rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet bei weitem erfüllt. Daher kann ihm die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bis zu drei Jahren erteilt werden. Die konkrete Befristung liegt im Ermessen der Beklagten, jedoch hat sie bisher noch keine Ermessensentscheidung getroffen, weil sie davon ausging, dass die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes auf längstens sechs Monate zu befristen war. Dieser Ermessensausfall (der einen Ermessensfehler nach § 114 Satz 1 VwGO darstellt) führt zur Aufhebung der Aufenthaltserlaubnis. Bei der Neubescheidung des Klägers wird die Beklagte zu beachten haben, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 2 AufenthG sind, welche eine Gültigkeitsdauer von drei Jahren haben. Da nicht ersichtlich ist, dass das Ausreisehindernis, welches zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG geführt hat, in absehbarer Zeit entfallen wird, liegt es nahe, die Aufenthaltserlaubnis für längere Zeit zu erteilen (mit der Höchstgrenze von drei Jahren).
24 
Die Gültigkeitsdauer des Reiseausweises für Ausländer richtet sich nach § 8 Abs. 1 Satz 1 AufenthV. Danach darf die Gültigkeitsdauer des Reiseausweises für Ausländer die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der Aufenthaltsgestattung des Ausländers nicht überschreiten. Da aber der Aufenthaltstitel des Klägers vom Gericht wegen Ermessensfehlern bei der Befristung aufgehoben worden ist, ist auch die vorgenommene Befristung des Reiseausweises und damit auch die Erteilung des Reiseausweises selbst davon erfasst und wegen Ermessensfehlers aufzuheben.
25 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Zuziehung des Bevollmächtigten des Klägers für das Vorverfahren war notwendig, weil die Sach- und Rechtslage nicht einfach ist (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
26 
Soweit die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt wurde, ergeht folgende

Gründe

 
17 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten verhandeln und entscheiden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
18 
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Als integrierender Bestandteil einer Aufenthaltserlaubnis ist die strittige Befristung nicht isoliert anfechtbar (ebenso VG Stuttgart, Urt. v. 29.11.2010 - 11 K 1867/10 -, Juris). Dasselbe gilt für die Befristung des Reiseausweises, denn die isolierte Anfechtung einer Befristung ist rechtlich nicht möglich (vgl. Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 36 Rdnr. 91).
19 
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrages auf Festsetzung einer längeren Geltungsdauer der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis und des Reiseausweises.
20 
Die Befristung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG richtet sich nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 5 des AufenthG für jeweils längstens drei Jahre erteilt und verlängert werden, in den Fällen des § 25 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 AufenthG jedoch für längstens sechs Monate, solange sich der Ausländer noch nicht mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
21 
Unter den Beteiligten ist die Auslegung dieser Vorschrift strittig. Die Beklagte und das Regierungspräsidium Stuttgart stellen sich mit 26.1.1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AufenthG-VwV- (GMBl. 2009, 877) auf den Standpunkt, dass die Aufenthaltserlaubnis hier für längstens sechs Monate erteilt werden kann, weil der Kläger sich noch nicht seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält ; ein in der Vergangenheit rechtmäßiger Aufenthalt genüge nicht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers weist hingegen auf den Wortlaut der Vorschrift hin.
22 
Das erkennende Gericht teilt den Rechtsstandpunkt der Beklagten und des Regierungspräsidiums Stuttgart nicht. Der Wortlaut von § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (im Bundesgebiet aufgehalten hat ) verweist eindeutig auch auf die Vergangenheit. Dieser Wortlaut unterscheidet sich von anderen Formulierungen des AufenthG, die auf die Gegenwart abstellen, z. B. „besitzt“, § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, oder „mit Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhält“, § 9 a Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Spricht schon der klare Wortlaut der Vorschrift gegen die Meinung der Beklagten und des Regierungspräsidiums, so spricht auch nicht der Zweck der Vorschrift zwingend für deren Auffassung. Zwar ist es richtig, dass § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezweckt, frühzeitigen Verfestigungstendenzen entgegenzuwirken. Dieser Zweck wird aber auch dann erreicht, wenn der Ausländer in der Vergangenheit mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet war (und in der Zwischenzeit auch nicht die Bundesrepublik Deutschland verlassen hatte). Auch dann hat er sich nämlich nicht nur vorübergehend in Deutschland aufgehalten, sondern der Aufenthalt hat sich bereits verfestigt.
23 
So liegt der Fall auch beim Kläger: Nachdem das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch Bescheid vom 22.11.2002 festgestellt hatte, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorlägen, erhielt er eine Aufenthaltsbefugnis, und am 31.10.2006 erteilte die Beklagte ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG, die nach dem Widerruf noch bis 08.01.2007 gültig war. Der Kläger hat mithin die Voraussetzungen für einen mindestens 18 Monate dauernden rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet bei weitem erfüllt. Daher kann ihm die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bis zu drei Jahren erteilt werden. Die konkrete Befristung liegt im Ermessen der Beklagten, jedoch hat sie bisher noch keine Ermessensentscheidung getroffen, weil sie davon ausging, dass die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes auf längstens sechs Monate zu befristen war. Dieser Ermessensausfall (der einen Ermessensfehler nach § 114 Satz 1 VwGO darstellt) führt zur Aufhebung der Aufenthaltserlaubnis. Bei der Neubescheidung des Klägers wird die Beklagte zu beachten haben, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 2 AufenthG sind, welche eine Gültigkeitsdauer von drei Jahren haben. Da nicht ersichtlich ist, dass das Ausreisehindernis, welches zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG geführt hat, in absehbarer Zeit entfallen wird, liegt es nahe, die Aufenthaltserlaubnis für längere Zeit zu erteilen (mit der Höchstgrenze von drei Jahren).
24 
Die Gültigkeitsdauer des Reiseausweises für Ausländer richtet sich nach § 8 Abs. 1 Satz 1 AufenthV. Danach darf die Gültigkeitsdauer des Reiseausweises für Ausländer die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der Aufenthaltsgestattung des Ausländers nicht überschreiten. Da aber der Aufenthaltstitel des Klägers vom Gericht wegen Ermessensfehlern bei der Befristung aufgehoben worden ist, ist auch die vorgenommene Befristung des Reiseausweises und damit auch die Erteilung des Reiseausweises selbst davon erfasst und wegen Ermessensfehlers aufzuheben.
25 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Zuziehung des Bevollmächtigten des Klägers für das Vorverfahren war notwendig, weil die Sach- und Rechtslage nicht einfach ist (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
26 
Soweit die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt wurde, ergeht folgende

Tenor

Der Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 wird insoweit aufgehoben, wie er feststellt, dass die gesundheitli-chen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht mehr vorliegen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.


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Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Tenor

Der Bescheid vom 07.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 wird insoweit aufgehoben, wie er feststellt, dass die gesundheitli-chen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht mehr vorliegen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.


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Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.


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Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.07.2009 - S 9 AL 39/07 - abgeändert. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.01.2007 wird aufgehoben, soweit er den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 23.08.2006 als unzulässig verworfen hat.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) auch für den Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006.

2

Der 1966 geborene Kläger war zuletzt vom 05.04. bis 24.06.2005 als Sortierer bei der H GmbH und seit 29.06.2005 als Produktionshelfer bei der Firma S Industrie-Service (Arbeitgeber) beschäftigt. Mit Schreiben vom 27.06.2006 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 12.07.2006. In dem anschließenden Verfahren vor dem Arbeitsgericht Koblenz (5 Ca 1355/06) schlossen die Arbeitsvertragsparteien am 12.12.2006 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Kündigung vom 27.06.2006 beendet worden ist, sondern unbefristet fortbesteht.

3

Der Kläger war seit 03.05.2006 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt von der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland-Pfalz (AOK) ab 14.06.2006 Krankengeld. Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 24.07.2006 ausführte, dass eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum 30.07.2006 möglich sei, teilte die AOK dem Kläger mit Bescheid vom 25.07.2006 mit, dass er mit Ablauf des 30.07.2006 wieder in der Lage sei, seine letzte Tätigkeit als Hilfsarbeiter/Produktionsmitarbeiter aufzunehmen und dass die Krankengeldzahlung zu diesem Zeitpunkt ende. Der Kläger erhielt zusätzlich Aufstockungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

4

Der Kläger legte der ARGE als Träger nach dem SGB II am 01.06. (Zeitraum vom 31.05. bis 14.06.2006), am 20.06.2006 (Zeitraum vom 15.06. bis 03.07.2006) und am 04.07.2006 (Zeitraum vom 04.07. bis 14.07.2006) Kopien der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Am 30.06.2006 sprach er bei der ARGE vor und meldete sich zum 13.07.2006 arbeitslos (Vermerk vom 30.06.2006). Eine Mitarbeiterin der Beklagten wies ihn am 03.07.2006 auf das Erfordernis einer rechtzeitigen erneuten Arbeitslosmeldung bei einer Genesung hin; der Kläger legte zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Am 21.07.2006 gab er gegenüber der ARGE an, weiter arbeitsunfähig zu sein.

5

Am 09.08.2006 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte am 21.08.2006 die Gewährung von Alg. Am 21.08.2006 nahm der Kläger die Beschäftigung bei dem Arbeitgeber wieder auf.

6

Die Beklagte bewilligte mit Bescheiden vom 23.08. und 30.08.2006 Alg für den Zeitraum vom 09.08. bis 20.08.2006 nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 44,98 € und einem Leistungsbetrag von täglich 16,31 € (Bescheid vom 23.08.2006, Steuerklasse V) bzw. von 23,81 € (Bescheid vom 30.08.2006, Steuerklasse III). Der sechsseitige Bescheid vom 23.08.2006 enthielt auf den Seiten 2 bis 3 nach den dargestellten Berechnungsgrundlagen und vor den Hinweisen zur Höhe des Alg folgende Rechtsmittelbelehrung:

7

"Gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch zulässig. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der oben bezeichneten Agentur für Arbeit einzureichen, und zwar binnen eines Monats, nach dem der Bescheid Ihnen bekanntgegeben worden ist."

8

Bei dem fünfseitigen Bescheid vom 30.08.2006 befand sich die gleichlautende Rechtsmittelbelehrung nach den Berechnungsgrundlagen und dem Hinweis auf eine Änderung der Verhältnisse wegen der Lohnsteuerklasse auf Seite 3 vor den Hinweisen zu den zu beachtenden Gesichtspunkten.

9

Die als Zweitschrift in der Verwaltungsakte der Beklagten abgehefteten Bescheide enthalten keinen Vermerk über die Aufgabe zur Post und wurden vom BA-IT-Systemhaus der Beklagten in Nürnberg erstellt. Der Bescheid vom 23.08.2006 ist entweder am 23. oder 24.08.2006 und der Bescheid vom 30.08.2006 am 31.08.2006 bei der Post aufgeliefert worden (E-Mail des BA-IT-Systemhauses an die Beklagte vom 28.02.2007, Bl. 52 Gerichtsakte).

10

Der Kläger hat am 08.11.2006 Widerspruch gegen die Bescheide vom 23. und 30.08.2006 erhoben. Die Beklagte verwarf den Widerspruch am 18.01.2007 als unzulässig, da die Widerspruchsfrist nicht gewahrt und Wiedereinsetzungsgründe nicht erkennbar seien.

11

Der Kläger hat am 05.02.2007 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 29.07.2009 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Beklagte habe den Widerspruch des Klägers zu Recht wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig verworfen. Hinsichtlich der Bekanntgabe der Bescheide gelte die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), wobei die Bestätigung des BA-IT-Systemhauses über den Tag der Aufgabe zur Post ausreichend sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei zutreffend und es sei unschädlich, dass sich diese mittig in den Bescheiden befunden habe. Auch der Sitz der Behörde, bei der der Widerspruch anzubringen war, sei hinreichend bezeichnet.

12

Gegen das ihm am 12.08.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 14.09.2009 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass die Widerspruchsfrist nicht versäumt sei, da deren Lauf wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrungen nicht in Gang gesetzt worden sei. Die Rechtsmittelbelehrung habe sich in den Bescheidtexten an versteckter Stelle befunden, wo ein verständiger Leser sie nicht habe erwarten können. Auch sei diese inhaltlich unvollständig, da sie nicht die Angaben der Behörde, bei der der Widerspruch einzulegen ist und über deren Sitz enthalten habe. Ein Anspruch auf Alg sei gegeben, da er sich am 30.06.2006 arbeitslos gemeldet habe.

13

Der Kläger beantragt,

14

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.07.2009 - S 9 AL 39/07 - aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 23.08.2006 und 30.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 31.07. bis 08.08.2006 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie erachtet die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

18

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Das Urteil des SG sowie der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.01.2007 sind abzuändern. Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.08.2006 unzutreffend als unzulässig verworfen. Der Senat erachtet insoweit den Erlass eines Teilurteils (§ 202 Sozialgerichtsgesetz iVm § 301 Zivilprozessordnung) für zweckmäßig. Eine Entscheidung, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alg auch im Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006 zusteht, bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

20

Das SG hat die Klage zutreffend nicht wegen der von ihm angenommenen Versäumung der Widerspruchfrist (§ 84 SGG) als unzulässig abgewiesen (vgl. Bundessozialgericht , Urteil vom 12.10.1979 - 12 RK 19/78 -, SozR 2200 § 1422 Nr. 1). Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist zulässig und teilweise begründet. Hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen. Bzgl. des Bescheides vom 23.08.2006 war der Widerspruch zulässig und die Beklagte hätte in der Sache entscheiden müssen. Dieser Verwaltungsakt hat keine Bindungswirkung (§ 77 SGG) erlangt. Der Kläger hat die Widerspruchsfrist gewahrt.

21

1. Die Bescheide vom 23.08. und 30.08.2006 sind dem Kläger bekannt gegeben und damit wirksam (§ 39 Abs. 1 SGB X) geworden. Dass sie ihm nicht zugegangen sind, behauptet der Kläger nicht. Die Bekanntgabe erfolgte vorliegend durch Übersendung durch die Post (§ 37 Abs. 2 SGB X). Nach Satz 1 dieser Vorschrift gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt gemäß Satz 3 nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

22

Die Beklagte hat die Bescheide jeweils durch einfachen Brief versandt. Der Kläger hat keine Angaben zu dem Zeitpunkt gemacht, wann ihm die Bescheide zugegangen sind. Der Beweis für den Zeitpunkt der Bekanntgabe ist hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 durch die Vorlage der E-Mail des BA-IT-Systemhauses der Beklagten vom 28.02.2007 geführt. Danach wurde der Bescheid am 31.08.2006 bei der Post aufgegeben. Wann der Bescheid vom 23.08.2006 bei der Post aufgegeben worden ist, ist jedoch offen. Das BA-IT-Systemhaus hat angegeben, dass der Bescheid vom 23.08.2006 am 23.08. oder 24.08.2006 bei der Post aufgeliefert worden sei. Der Tag der Aufgabe zur Post steht damit aber gerade nicht fest.

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Ausreichend für das Eingreifen der Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 SGB X als gesetzlich normierter Anscheinsbeweis ist, dass der Tag der Aufgabe zur Post nachweisbar ist. Ob der Tag der Aufgabe zur Post bei der Bekanntgabe durch Übersendung nach § 37 Abs. 2 SGB X in den Akten zu vermerken ist (so BSG, Urteil vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R -, SozR 4- 2700 § 136 Nr. 2 RdNr. 15), braucht nicht entschieden zu werden. Der Wortlaut der Vorschrift enthält ein derartiges Erfordernis jedenfalls nicht. Im übrigen bedeutet "vermerken" lediglich, dass der Vorgang in den betreffenden Akten so erwähnt wird, dass auch eine mit der Sache bisher nicht befasste Person ihn als geschehen erkennen kann. Dementsprechend reicht jeder in den Akten befindliche Hinweis, der Aufschluss über den Tag der Aufgabe des Briefes zur Post gibt, aus. Wann dieser Hinweis zu den Akten gelangt ist, ist ohne Bedeutung. Nicht erforderlich ist zudem, dass der Hinweis sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergibt bzw. ein Vermerk über die Aufgabe zur Post auf dem Verwaltungsakt angebracht ist (vgl. zur Regelung des § 4 Verwaltungszustellungsgesetz: BSG, Urteil vom 26.08.1997 - 5 RJ 6/96 -, SozR 3-1960 § 4 Nr. 3; Urteil vom 09.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R -, Juris). Bzgl. des Bescheides vom 30.08.2006 genügt die zu den Akten der Beklagten gelangte E-Mail des BA-IT-Systemshauses der Beklagten, um den Tag der Aufgabe zur Post - der 31.08.2006 - nachzuweisen. Erfolgte die Zustellung des Bescheides vom 30.08.2006 damit am Sonntag (die Zugangsvermutung gilt auch in diesem Fall: vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2008 aaO Rdnr. 13; Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 12/09 R -, Juris), dem 03.09.2006, begann die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) nach § 64 Abs. 1 SGG am 04.09.2006. Die Zugangsvermutung ist nicht durch entsprechenden Tatsachenvortrag des Klägers erschüttert worden, der einen späteren Zugang nicht konkret behauptet hat. Hinsichtlich des Bescheides vom 23.08.2006 gilt die Zugangsfiktion mangels der Nachweisbarkeit des Tags der Aufgabe dieses Bescheides zur Post hingegen nicht. Da die Monatsfrist insoweit nicht lief, war der Widerspruch des Klägers vom 08.11.2006 als fristgemäß anzusehen.

24

2. Bzgl. des Bescheides vom 30.08.2006 scheiterte der Beginn des Laufs der Monatsfrist nicht daran, dass die Rechtsbehelfsbelehrung gem. den §§ 84 Abs. 1 und 2 Satz 3, 66 Abs. 1 SGG und 36 SGB X unrichtig erteilt worden wäre. Die Jahresfrist (§ 66 Abs. 2 SGG) für die Einlegung des Widerspruchs galt damit nicht.

25

Unrichtig ist eine Rechtsbehelfsbelehrung, wenn diese Fehler enthält, die von einer sachgerechten Einlegung des gegebenen Rechtsmittels abhalten könnten. Davon ist das BSG bei Fehlern ausgegangen, die bei abstrakter Betrachtungsweise geeignet sein könnten, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder den Berechtigten von Erkundigungen über weitere Möglichkeiten abzuhalten und dadurch Einfluss auf die verspätete oder formwidrige Einlegung oder Begründung des Rechtsbehelfs gehabt haben könnten. Andererseits darf die Rechtsmittelbelehrung nicht so abgefasst sein, dass sie durch weitere Informationen inhaltlich überfrachtet wird und, statt Klarheit zu schaffen, wegen ihres Umfanges und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet. Sie soll deshalb so einfach und klar wie möglich gehalten werden und auch für einen juristischen Laien verständlich bleiben und nicht mit komplizierten rechtlichen Hinweisen überfrachtet werden. Sie muss in Folge dessen nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen, sondern den Beteiligten nur in die richtige Richtung lenken. Diese Funktion ist erfüllt, wenn sie einen Hinweis darauf gibt, welche ersten Schritte ein Beteiligter unternehmen muss (BSG, Beschluss vom 18.10.2007 - B 3 P 24/07 B -, SozR 4-1500 § 66 Nr. 1; Urteil vom 31.08.2000 - B 3 P 18/99 R -, Juris). Auf die Besonderheiten des Fristbeginns beim Eingreifen einer Zugangsvermutung - wie hier bei § 37 Abs. 2 SGB X - muss nicht hingewiesen werden (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1993 - 9/9a RV 17/92 - SozR 3-1500 § 66 Nr. 2); der vorliegende Hinweis "nach Bekanntgabe" (vgl. § 37 Abs. 1 und 2 SGB X) ist ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 -, Juris). Nicht erforderlich ist, dass die Belehrung von der Begründung des Beschlusses abgesetzt und mit einer gesonderten Überschrift versehen wird, allerdings darf diese nicht in einer vielseitigen Begründung irgendwo versteckt werden (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 30.04.2009 - 3 C 23/08 -, BVerwGE 134, 41).

26

Vorliegend konnte die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 30.08.2006 ihre Wegweiserfunktion erfüllen. Sie war auf Seite 3 des Bescheides nach der Darlegung des Leistungsanspruchs und der Berechnungsgrundlagen aufgeführt. Von den nachfolgenden (allgemeinen) Hinweisen war sie etwas abgesetzt. Damit wurde deutlich, dass der Bescheid in zwei Teile gegliedert war, dessen erster Teil die Leistungsvoraussetzungen und die Erläuterung der Höhe der Leistungen betraf und dessen zweiter Teil Hinweise zu vom Kläger zu beachtenden Gesichtspunkten, zu Rechtsgrundlagen sowie einen Leistungsnachweis enthielt. Die Rechtsbehelfsbelehrung war insofern nicht an einer unübersichtlichen Stelle des Bescheides versteckt, sondern schloss den die konkrete Leistung betreffenden Teil ab. Sie war nicht durch überflüssige Informationen überfrachtet und bezeichnete den Rechtsbehelf und die zutreffende Frist und Form der Einlegung (vgl. §§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG und 36 SGB X). Auch war die zuständige Verwaltungsstelle zu erkennen, da auf die "oben bezeichnete Agentur für Arbeit" Neuwied verwiesen wurde, die im Briefkopf mit Adressangabe genannt war. Es war daher ohne weiteres erkennbar (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2006 - L 8 AS 4314/05 -, Juris), welche Stelle dies ist.

27

Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs hinsichtlich des Bescheides vom 30.08.2006 lief mit Ablauf des 04.10.2006 (§ 64 Abs. 2 und 3 SGG) ab. Der Kläger hat jedoch erst am 08.11.2006 Widerspruch bei der Beklagten eingelegt. Dieser ist verfristet. Wiedereinsetzungsgründe (§ 67 SGG) wurden vom Kläger nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Die Beklagte hat damit zu Recht den Widerspruch als unzulässig verworfen.

28

3. Dass der Bescheid vom 30.08.2006 in Bestandskraft erwachsen ist, steht einer Entscheidung in der Sache, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alg im Zeitraum vom 31.07. bis 08.08.2006 zusteht, nicht entgegen. Im Bescheid vom 23.08.2006 hat die Beklagte Alg ab dem 09.08.2006 bewilligt und damit das Bestehen eines Anspruchs vor diesem Zeitpunkt abgelehnt. Mit dem Bescheid vom 30.08.2006 wurde der Leistungsbetrag ab dem 09.08.2006 wegen der Vorlage der Lohnsteuerkarte und der Berücksichtigung der dort aufgeführten Lohnsteuerklasse erhöht und hinsichtlich der Leistungsgewährung vor dem 09.08.2006 keine neue Sachprüfung durchgeführt und daher insoweit kein sogenannter Zweitbescheid erlassen. Allerdings ist diese Sachprüfung (zunächst) im - erneuten - Widerspruchsverfahren anzustellen und kann nicht im vorliegenden Gerichtsverfahren erfolgen.

29

Die Sachprüfung im Gerichtsverfahren wird bei einer von der Widerspruchsbehörde (hier § 85 Abs. 2 Nr. 3 SGG) ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Verfristung des Widerspruchs nur dann ermöglicht, wenn die Widerspruchsbehörde auch in der Sache entschieden hat. Aufgrund eines verspäteten Widerspruchs ist die Behörde zwar nicht mehr verpflichtet, in der Sache zu entscheiden; sie verliert aber nicht die Sachherrschaft über das Verfahren. In einem Widerspruchsverfahren darf die Widerspruchsbehörde damit auch über einen verspäteten Widerspruch sachlich entscheiden; eine sich über die Fristversäumung hinweg setzende Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde schließt dann für das spätere Gerichtsverfahren die Beachtlichkeit des Widerspruchs aus. Für eine Sachentscheidung genügt es nicht, wenn sich die Widerspruchsbehörde nur hilfsweise zur Sache äußert (BSG, Urteil vom 12.10.1979 - 12 RK 19/78 -, SozR 1500 § 84 Nr. 3; Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R -, SozR 4-3500 § 28 Nr. 3; BVerwG, Urteil vom 16.01.1964 - VIII C 72.62 -, DVBl. 1965, 89). Nur diese Sachentscheidung eröffnet den Weg zu einer gerichtlichen Sachprüfung. Weist die Widerspruchsbehörde den Widerspruch als unzulässig zurück und entscheidet sie nicht in der Sache, sind die Gerichte an einer sachlich-rechtlichen Überprüfung des Klagebegehrens gehindert (BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 -, Juris Rdnr. 29). Vorliegend hat sich die Widerspruchsstelle der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 18.01.2007 ausschließlich auf die Unzulässigkeit des Widerspruchs und damit auf die Bestandskraft des Bescheides vom 23.08.2006 berufen und keine Sachprüfung durchgeführt. Der Senat kann damit in eine Sachprüfung nicht eintreten.

30

Die - hier teilweise - isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2007 ist möglich, da er gegenüber dem Ausgangsbescheid eine zusätzliche, selbständige Beschwer enthält und jedenfalls der Rechtsgedanke des § 79 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) heranzuziehen ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 95 RdNr. 3 ff. mwN). Die Voraussetzung einer zusätzlichen Beschwer ist im Fall der Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift im Widerspruchsverfahren erfüllt, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (vgl. bei einer unterbliebenen Anhörung: BSG, Urteil vom 15.08.1996 - 9 RV 10/95 -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 13; Urteil vom 25.03.1999 - B 9 SB 14/97 R -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 14), was bei der vorliegenden Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig anstelle einer Sachentscheidung der Fall ist. Zwar wird die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsschutzinteresse an einer isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides dann nicht gegeben ist, wenn es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung handelt (Leitherer a.a.O. RdNr. 3c; Behrend in Hennig, SGG, § 95 RdNr. 20; Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 79 RdNr. 19). Dies überzeugt jedoch nicht, da § 79 VwGO keinen Unterschied zwischen Ermessensentscheidungen und gebundener Verwaltung macht. Auch folgt aus dem Sinn und Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung, Verbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers, Schutz der Gerichte vor Überlastung) und aus der allgemeinen Stellung der Gerichte im gewaltenteiligen Staat, dass ein Gericht eine Sachentscheidung erst treffen soll, wenn die Verwaltung, dh die Widerspruchsbehörde, in einem einwandfreien Verfahren und ohne zusätzliche Rechtsfehler das letzte Wort in der Sache gesprochen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 79 RdNr. 5; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 79 RdNr. 9).

31

Auch Gründe der Prozessökonomie können eine solche Sachprüfung nicht ermöglichen. Im Widerspruchsverfahren wird die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG) nachgeprüft. Dies dient der Selbstkontrolle der Verwaltung und darüber hinaus soll der Schutz des betroffenen Bürgers verbessert und es sollen die Sozialgerichte vor unnötiger Arbeit bewahrt werden. Das Verfahren ist eine grundsätzlich unverzichtbare Sachurteils-(Prozess-)Voraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1999 - B 12 KR 8/98 R -, SozR 3-1500 § 78 Nr. 3). Dies schließt es auch bei "gebundenen", d.h. nicht im Ermessen der Verwaltung stehenden Entscheidungen - wie hier - aus, auf das Widerspruchsverfahren zu verzichten (BSG aaO). Die Möglichkeit einer positiven Entscheidung in der Sache scheidet vorliegend auch nicht von vornherein aus und der Senat kann jedenfalls derzeit keine für den Kläger günstige Sachentscheidung treffen, da noch weitere Ermittlungen anzustellen sind. Es ist u. a. zu prüfen (§§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 SGB III), ob sich der Kläger wirksam (§ 122 Abs. 1 SGB III) am 30.06.2006 arbeitslos gemeldet hat, was davon abhängen könnte, ob der Eintritt von Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Monaten prognostisch erwartet werden konnte, ob der Kläger aus seiner "Laiensphäre" davon ausgehen konnte, sich bei der zuständigen Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet zu haben (vgl. BSG, Urteil vom 19.01.2005 - B 11a/11 AL 41/04 R -, Juris; Urteil vom 06.04.2006 - B 7a AL 74/05 R -, SozR 4-4300 § 26 Nr. 4) und ob die Beklagte die Arbeitslosmeldung entgegengenommen und akzeptiert hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2010 - B 7 AL 49/08 R -, Juris). Auch ein arbeitsunfähig Erkrankter kann sich arbeitslos melden und muss nicht seine "Genesung" abwarten, um dann - erneut - die Agentur für Arbeit zur persönlichen Arbeitslosmeldung aufzusuchen. Sollte die Beklagte Ursachen für eine verspätete Arbeitslosmeldung geschaffen haben, könnte die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu erwägen sein (vgl. BSG, Urteil vom 19.01.2005 a.a.O.), da es nicht um die Ersetzung der Tatsache des persönlichen Erscheinens bei der Behörde geht. Ob der Kläger ab dem 31.07.2006 bereit war, alle seiner objektiven Leistungsfähigkeit entsprechenden und nach Art und Umfang zumutbaren Beschäftigungen aufzunehmen (Arbeitsbereitschaft, § 119 Abs. 5 Nr. 3 SGB III), ist ebenfalls zu prüfen.

32

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

33

Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung.

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt

1.
bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten,
2.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen,
3.
für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen,
4.
in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen,
5.
in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 kann die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 ist in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts die nächsthöhere Behörde zuständig, es sei denn, diese ist eine oberste Bundes- oder eine oberste Landesbehörde. Die Entscheidung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Die Stelle kann die Entscheidung jederzeit ändern oder aufheben.

(4) Die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn eine Erlaubnis nach Artikel 1 § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1852) geändert worden ist, aufgehoben oder nicht verlängert wird. Absatz 3 gilt entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.

(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.

(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.

(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.

(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.