Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 29. Sept. 2006 - 3 R 6/06

published on 29/09/2006 00:00
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 29. Sept. 2006 - 3 R 6/06
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Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, der irakischer Staatsangehöriger ist, wurde am ....1964 in der Region Sulaymania/Nordirak geboren. Er gehört der Volksgruppe der Kurden und der Religionsgruppe der Sunniten an. Nach einer Ausbildung als Kfz-Mechaniker und Wehrdienstableistung war er in Bagdad in einem staatlichen Betrieb als Industrielehrer tätig.

Am 29.11.1995 reiste er von Bagdad aus kommend in Deutschland auf dem Landweg ein und stellte unter Vorlage eines irakischen Personalausweises am 7.12.1995 einen Asylantrag.

Bei seiner persönlichen Anhörung am 13.12.1995 (Behördenakte Bl. 18 ff.) trug er zur Begründung im Wesentlichen vor, er habe nach Ableistung seines Militärdienstes von 1987 bis 1991 sodann in einem staatlichen Betrieb in Bagdad gearbeitet, und zwar ab 1993 als Industrielehrer. In diesem Betrieb seien Militärfahrzeuge wie Panzer und andere Fahrzeuge repariert worden. Über diese Fahrzeuge und Geräte habe er Leute der kurdischen Partei PUK im Nordirak informiert. Er sei nur Sympathisant dieser Partei und Mitglied einer Unterorganisation gewesen. Am 1.11.1995 sei er vom Sicherheitsbeauftragten des Betriebs gewarnt worden, dass wegen der Weitergabe militärischer Informationen an seine Leute im Nordirak von der PUK ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden sei. Er sei bereits während seiner Militärzeit im Jahr 1990 wegen des gleichen Grundes festgenommen und nach zwei Monaten mangels Beweisen freigelassen worden. Am 2.11.1995 habe er Bagdad verlassen und sei über die Türkei nach Deutschland gelangt. Im Falle seiner Rückkehr in den Irak befürchte er, wegen Hochverrats und Desertion hingerichtet zu werden.

Durch Bescheid vom 4.3.1996 (Behördenakte Bl. 32) wurde der Asylantrag des Klägers mit Blick auf die Drittstaatenregelung abgelehnt, indessen Abschiebungsschutz „aufgrund des von dem Antragsteller“ geschilderten Sachverhalts (Bescheid S. 3) bejaht, da bereits die Asylantragstellung zu Verfolgungsmaßnahmen durch das irakische Regime führe.

Nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 leitete die Beklagte mit Vermerk vom 30.8.2004 (Widerrufsakte Bl. 1) das Widerrufsverfahren mit Blick auf die neuen Verhältnisse im Irak ein und hörte den Kläger mit Schreiben vom 2.9.2004 zu dem beabsichtigten Widerruf an.

In dem Anhörungsverfahren machte der Kläger mit Schreiben vom 29.9.2004 (Widerrufsakte Bl. 13) geltend, auch nach der Entmachtung Saddam Husseins sei von dessen Anhängern bei einer heutigen Rückkehr in den Irak weiterhin politische Verfolgung wegen Landesverrats zu befürchten. Eine grundlegende Veränderung der politischen Situation liege im Irak nach wie vor nicht vor. Es widerspreche der humanitären Intention der Genfer Flüchtlingskonvention, bei nicht hinreichend stabiler Veränderung der Verhältnisse im Heimatland einen einmal gewährten Flüchtlingsstatus zu entziehen. Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft bedürfe eines Grundmaßes an Stabilität, wovon im Irak auch nach dem Sturz Saddam Husseins nicht die Rede sein könne. Auch bestehe keine ausreichende wirtschaftliche Existenzsicherung für Rückkehrer, was als zwingender Grund der Rückkehr entgegenstehe. Die Strukturen des ehemaligen Regimes Saddam Husseins seien bislang nicht zerschlagen.

Mit Bescheid vom 19.10.2004 (Widerrufsakte Bl. 18) widerrief die Beklagte die Flüchtlingsanerkennung in ihrem früheren Bescheid vom 4.3.1996 und stellte zusätzlich fest, Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG lägen nicht vor. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass sich die politische Situation im Irak grundlegend verändert habe und es keine Anhaltspunkte für eine Wiedererlangung der Macht durch das alte Regime gebe. Von der irakischen Übergangsregierung sei eine politische Verfolgung des Klägers nicht zu erwarten. Weiterhin sei es nicht nachvollziehbar, dass eine politisch motivierte Verfolgung des Klägers von Anhängern des alten Regimes ausgehe. Der Widerrufsbescheid wurde am 21.10.2004 zur Post gegeben.

Am 28.10.2004 hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Seine ursprüngliche Anerkennung beruhe auf seinem individuellen Verfolgungsschicksal. Bei seiner Anhörung am 13.12.1995 habe er militärischen Geheimnisverrat zugunsten der kurdischen PUK geltend gemacht. Wegen dieses Sachverhalts hätte der Kläger zum Zeitpunkt seiner Flucht aus dem Irak auf jeden Fall mit politisch geprägter Verfolgung durch das Regime von Saddam Hussein rechnen müssen. Auch jetzt gebe es Gegensätze zwischen Arabern und Kurden im Irak, so dass der Kläger bei einer heutigen Rückkehr in das Heimatland wegen des früher begangenen militärischen Geheimnisverrats weiterhin zur Rechenschaft gezogen werde. Dem stehe nicht entgegen, dass das frühere Regime nicht mehr an der Macht sei. Als Kurde, der militärischen Geheimnisverrat begangen habe, müsse er auch heute von den aktuell an der Macht Befindlichen Verfolgung befürchten. Dabei könne er auch nicht auf den Nordirak als inländische Fluchtalternative verwiesen werden, da er dort ein ausreichendes Existenzminimum nur bei familiärer Bindung zum Nordirak erhalten könnte, an der es aber fehle. Dagegen werde der Kläger im Zentralirak aufgrund des von ihm begangenen militärischen Geheimnisverrats an die Kurden als Kollaborateur der USA angesehen. Die anhaltenden Anschläge im Irak würden nach dem Widerrufsbescheid gerade denjenigen Personen gelten, die der Kollaboration mit den USA verdächtigt würden. Die Übergangsregierung sei nicht in der Lage, den erforderlichen Schutz zu gewähren.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 19.10.2004 aufzuheben,

hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 19.10.2004 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den angefochtenen Widerrufsbescheid schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 14.3.2006 – 2 K 35/06.A – die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse hätten sich nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erheblich und nicht nur vorübergehend verändert, sodass bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sei und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung drohe. Durch den allgemeinkundigen politischen Systemwechsel im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins durch die amerikanischen und britischen Truppen sei die früher von dessen Unrechtsregime ausgehende Gefahr einer politischen Verfolgung nunmehr eindeutig landesweit entfallen. Ungeachtet der nach wie vor schwierig abzuschätzenden künftigen Verhältnisse im Irak bestehe kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass das gestürzte Regime Saddam Hussein jemals wieder an die Macht kommen werde und staatliche Verfolgungsmaßnahmen veranlassen könne. Früheres Verhalten, das unter dem gestürzten Regime Saddam Hussein zu einer Gefährdung hätte führen können, habe seine asylrelevante Bedeutung verloren. Dies gelte auch dann, wenn man zugunsten des Klägers annehme, dass er tatsächlich zum Nachteil des früheren Regimes von Saddam Hussein militärische Informationen an die kurdische Opposition weitergegeben habe. Von den amtierenden Machthabern im Irak, die selbst in Gegnerschaft zu Saddam Hussein stünden und selbst verfolgt worden seien, habe er aus diesen Gründen keine Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten. Ebenso wenig sei feststellbar, dass er im Fall seiner Rückkehr in den Irak eine von nichtstaatlichen Akteuren nach Maßgabe des § 60 I 4 AufenthG ausgehende Verfolgung zu erwarten habe. Die Befürchtung des Klägers, dass er jetzt noch wegen des damaligen Geheimnisverrats von Anhängern des früheren Regimes als Kollaborateur der USA angesehen und verfolgt werde, stütze sich nicht auf konkrete Tatsachen.

Auch würden keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Insbesondere seien die Voraussetzungen einer Extremgefahr nach § 60 VII 1 AufenthG nicht einschlägig. Eine extreme Gefahrenlage liege im Irak nicht vor, ungeachtet der nach dem Sturz Saddam Husseins stark angestiegenen Kriminalität, verbunden mit Überfällen, Entführungen und täglich stattfindenden terroristischen Anschlägen, die auch zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung forderten. Auch wenn die zivilen Opfer der Terrorakte auf über 15.000, nach anderen Quellen auf 100.000 geschätzt würden, rechtfertige dies in der Relation zu der Bevölkerungszahl des Irak von rund 25 Millionen ersichtlich nicht die Annahme, jeder Iraker werde im Falle seiner Rückkehr unmittelbar und landesweit sehenden Auges Gefahr laufen, Opfer entsprechender terroristischer Anschläge zu werden. Überdies sei die Sicherheitslage im Nordirak im Allgemeinen besser als in Bagdad. Auch die allgemeine Versorgungslage rechtfertige keine Extremgefahr, denn es gebe keine konkreten Anhaltspunkte für eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder gar eine Hungerkatastrophe, zumal ein Großteil der Bevölkerung weiterhin Lebensmittelrationen aus einem Programm der Vereinten Nationen erhalte.

Das Urteil wurde dem Kläger am 22.3.2006 zugestellt.

Am 5.4.2006 hat der Kläger Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.

Mit Beschluss vom 10.5.2006 – 3 Q 103/06 – (Gerichtsakte Bl. 99) hat der Senat die Berufung wegen Grundsatzbedeutung zugelassen.

Der Kläger hat seine Berufung fristgemäß begründet.

Er trägt im Wesentlichen vor: Im Flüchtlingsrecht sei allgemein anerkannt, dass die politische Verfolgung des Bürgers eines Staates mit der Abwesenheit staatlichen Schutzes vor Verfolgung für den Betroffenen gleichzusetzen sei. Dies habe zur Konsequenz, dass ein Widerruf der Anerkennung als Flüchtling nur dann erfolgen könne, wenn für den Betroffenen in seinem Heimatland effektiver staatlicher Schutz wiederhergestellt sei und er unter Beachtung seiner Menschenwürde zurückkehren könne.

Dies setze zunächst einmal voraus, dass überhaupt funktionierende staatliche Strukturen bestünden. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 1.11.2005 – 1 C 21.04 – zu Afghanistan die Feststellungen des OVG Schleswig-Holstein hinsichtlich des Bestehens einer effektiven staatlichen oder staatsähnlichen Gewalt als nicht ausreichend angesehen; dies gelte auch für die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts zum Bestehen einer effektiven staatlichen Gewalt im Irak.

Das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Urteil allerdings noch nicht zu der Frage Stellung genommen, ob für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung die Wiederherstellung effektiven Schutzes durch den früheren Verfolgerstaat erforderlich sei und ebenso wenig dazu, ob dieser effektive Schutz im Irak wieder hergestellt sei.

Der Kläger begründet insbesondere mit Blick auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24.11.2005 seine Auffassung näher, dass das Regime Saddam Hussein zwar zwischenzeitlich gestürzt sei, effektiver staatlicher Schutz im Irak aber nicht wieder hergestellt sei. Die Regierung habe über die „grüne Zone“ Bagdads hinaus keinen Einfluss, während die Anhänger des früheren Diktators Saddam Hussein immer noch verfolgungsmächtig seien. Soweit sich die Regierung auf die Truppen der Allianz unter amerikanischer Führung stütze, reiche dies für die Wiederherstellung effektiven staatlichen Schutzes im Irak nicht aus, da vielmehr die Rückübertragung dieses Schutzes auf den Irak selbst erforderlich sei.

Unabhängig von der Frage des effektiven Schutzes habe sich die innenpolitische Situation im Irak nicht nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verändert. Die Änderung der maßgeblichen Verhältnisse müsse auf Dauer angelegt sein, und dafür sei eine Zukunftsprognose anzustellen. Das erstinstanzliche Gericht habe prognostiziert, dass Saddam Hussein nicht wieder an die Macht kommen werde und staatliche Verfolgungsmaßnahmen veranlassen könne; seine Prognose habe das Gericht aber nicht begründet. Demgegenüber sei festzuhalten, dass im Land immer noch eine starke Anhängerschaft des Regimes von Saddam Hussein vorhanden sei, die sich in zahlreichen, tagtäglich stattfindenden Anschlägen gegen die Besatzungstruppen sowie gegen die Sicherheitskräfte des aktuellen Regimes äußere. Die Herrschaft Saddam Husseins basiere auf einem Clan-System, das als solches weiter existiere und das auch ohne Saddam Hussein an der Spitze lebensfähig sei. Von einer hochgradig instabilen Lage gehe auch das VG Köln aus, das von dem OVG Münster bisher, etwa mit dem Beschluss vom 19.7.2005 – 9 A 2944/05.A – bestätigt worden sei. Auch das VG Sigmaringen halte mit Urteil vom 26.10.2005 – A 3 K 11212/04 – wegen der instabilen Verhältnisse eine hinreichend sichere Prognose über die politische Zukunft des Landes derzeit nicht für möglich. Mit Blick auf die Verschärfung der Lage habe etwa der Politiker Allawi ausweislich der Nachrichten des Deutschlandfunks vom 19.3.2006 davon gesprochen, dass sich das Land im Bürgerkrieg befinde. Herrsche aber Bürgerkrieg, so sei die Zukunft offen und es sei dann nicht auszuschließen, dass die Kräfte um den früheren Diktator Saddam Hussein wieder an die Macht gelangten. Der Machtclan könne sich auch, wie der Vietnamkrieg zeige, gegen eine Weltmacht durchsetzen. Die Zukunft des Irak sei auch dann offen, wenn man nicht von einem Bürgerkrieg ausgehe, sondern von einem Kampfgeschehen im Sinne eines Krieges von niedriger Intensität.

Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts sei auch derzeit vom Bestehen einer extremen allgemeinen Gefährdungslage im Sinne der verfassungskonformen Auslegung von § 60 VII AufenthG für den Irak auszugehen. Die irakischen Behörden seien derzeit nicht im Stande, den Bürgern des Landes auch nur ein Minimum an Schutz vor gewalttätigen Übergriffen zu gewähren; dies gelte nach Auffassung von UNHCR landesweit, so dass keine Region des Irak als hinreichend sicher angesehen werden könne. Auch insoweit könne auf das Urteil des VG Sigmaringen vom 26.10.2005 – A 3 K 11212/04 – verwiesen werden. Die irakischen Behörden seien danach nach wie vor nicht im Stande, die Zivilbevölkerung wirksam vor der hohen Zahl gezielter Anschläge und gewalttätiger Übergriffe zu schützen. Im Irak bestehe die realistische Gefahr, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen. Auch habe das Auswärtige Amt am 29.7.2005 eine Reisewarnung für den Irak herausgegeben, und dabei insbesondere darauf hingewiesen, Überfälle mit Waffengewalt seien an der Tagesordnung und das Risiko von Entführungen sei sehr hoch.

Gehe man davon aus, dass sich der Irak im Bürgerkrieg befinde oder gehe man zumindest davon aus, dass derzeit im Irak ein Krieg von niedriger Intensität stattfinde, müsse man auch vom Bestehen einer extremen allgemeinen Gefährdungslage im Sinne von § 60 VII AufenthG ausgehen. Nach allem sei der Berufung stattzugeben.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 14.3.2006 – 2 K 35/06.A – den Bescheid der Beklagten vom 19.10.2004 aufzuheben,

hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 19.10.2004 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt in der mündlichen Verhandlung den ergangenen Bescheid. Sie sieht sich nach Analyse des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.11.2005 – 1 C 21.04 – in ihrer Rechtsauffassung bestätigt; danach komme es auf effektiven Schutz bietende staatliche Strukturen nicht an, vielmehr nur darauf, ob mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen sei. Die Terroranschläge bedrohten alle Iraker und müssten als allgemein drohende Gefahren beim Widerruf außer Betracht bleiben. Den ursprünglichen Verfolgungsvortrag des Klägers bestreitet die Beklagte.

Den Beteiligten ist die Dokumentationsliste des Senats für den Irak mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung sowie eine Ergänzung dazu zugesandt worden. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Behördenakten der Beklagten F 2 056007, der Widerrufsakte der Beklagten 511 83 87-438 sowie der Ausländerakte Bezug genommen und auf das in der Dokumentationsliste und der Ergänzung aufgeführte Erkenntnismaterial.

Entscheidungsgründe

Die zugelassene und auch ansonsten zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 19.10.2004 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (§ 77 I 1 AsylVfG) als rechtmäßig (unten I.). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die - hilfsweise begehrte - Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von sonstigen Abschiebungsverboten im Sinne von § 60 II bis VII AufenthG (unten II.)

I.

Der mit Blick auf den Systemwechsel im Irak ergangene Widerrufsbescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Das Aufhebungsbegehren des Klägers ist mangels einschlägiger Übergangsregelungen nach der neuen, durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 geänderten Rechtslage zu beurteilen.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -, für Widerrufsfälle.

Rechtsgrundlage ist mithin § 73 I 1 AsylVfG in der ab 1.1.2005 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 1950). Die Vorschrift lautet:

Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen, sind unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.

In der Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, liegen die Widerrufsvoraussetzungen dann vor, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, zitiert nach Juris; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -, ähnlich Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 73 AsylVfG Rdnr. 7, im Sinne eines Wegfalls der asylrelevanten Umstände als Beseitigung der Verfolgungsgefahr; weiter gehend im Sinne einer grundlegenden und dauerhaften Änderung der Verhältnisse und nicht nur eines spiegelbildlichen Wegfalls der ursprünglich die Verfolgung begründenden Umstände VG Köln, nicht rechtskräftiges Urteil vom 21.9.2005 - 18 K 3217/04.A -; Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 73 Rdnr. 77 und 79, im Sinne einer Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland von grundlegender Natur und Dauer mit dem Ergebnis einer eingetretenen relativen politischen und wirtschaftlichen Stabilität.

Eine wesentliche Weichenstellung für die hier einschlägige Beurteilung eines politischen Systemwechsels liegt darin, ob nur die Beseitigung des Unrechtsregimes und seiner Verfolgungsmaßnahmen selbst endgültig sein muss oder ob zusätzlich in dem Land effektiver Schutz vor Verfolgung und allgemeinen Gefahren durch stabile Verhältnisse vorherrschen muss. Das Bundesverwaltungsgericht, dem der Senat folgt, stellt allein darauf ab, dass die Beseitigung des Regimes dauerhaft ist.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, dort für Afghanistan; ebenso BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22/03 -, für den Irak, wobei das Bundesverwaltungsgericht im Wege eigener Tatsachenwürdigung es als ausreichend ansieht, dass das Regime von Saddam Hussein durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden ist und damit Asylberechtigte offenkundig nicht mehr mit politischer Verfolgung zu rechnen haben; ebenso OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -, S. 11 des amtl. Umdruck, das es genügen lässt, dass das Regime Saddam Hussein seine politische und militärische Herrschaft über den Irak endgültig verloren hat und eine Rückkehr des alten Regimes nach den aktuellen Machtverhältnissen ausgeschlossen ist.

Bereits die Beseitigung eines Unrechtsregimes hat damit entscheidende Bedeutung für den Widerruf, wenn dadurch die Gefahr einer wiederholten Verfolgung wegfällt, und dies hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich für den Irak unter Billigung des Widerrufs entschieden.

BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 – 1 C 22/03 – zitiert nach Juris.

Der Kläger hält dem eine – in der mündlichen Verhandlung vertiefte - grundsätzliche Betrachtung zur Existenz effektiver staatlicher Gewalt und effektiven staatlichen Schutzes vor denkbarer Verfolgung bereits als Widerrufsvoraussetzung entgegen. Im Flüchtlingsrecht sei anerkannt, dass die politische Verfolgung des Bürgers eines Staates mit der Abwesenheit staatlichen Schutzes vor Verfolgung gleichzusetzen sei. Dies setze funktionierende staatliche Strukturen voraus, die aber im Irak nicht vorhanden seien. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.11.2005 – 1 C 21.04 – sei bereits das Bestehen einer effektiven staatlichen oder staatsähnlichen Gewalt im Irak in Frage zu stellen, zumindest sei dies vom Verwaltungsgericht nicht ausreichend festgestellt. Die Regierung des Irak habe über die grüne Zone Bagdads hinaus keinen Einfluss auf die Wiederherstellung eines effektiven staatlichen Schutzes im Irak, und zwar auch nicht durch die Truppen der Allianz, da für die Wiederherstellung effektiven staatlichen Schutzes eine Rückübertragung an das Herkunftsland erforderlich sei. Die aufgeworfene Frage der Wiederherstellung effektiven Schutzes durch den früheren Verfolgungsstaat sei durch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht entschieden.

Die Beklagte widerspricht dem und meint, auf effektiven Schutz bietende staatliche Strukturen im Sinne einer stabilen Schutzmacht komme es bei fehlender Verfolgung rechtlich nicht an.

Klar auseinander zu halten sind die Fragen, ob ein Staat überhaupt besteht und dafür das Erfordernis der Ausübung staatlicher Gewalt prinzipiell erfüllt, und ob in dem Land effektiver Schutz vor Verfolgung sowie vor allgemeinen Gefahren bestehen muss. Damit hat der Kläger Grundsatzfragen mit weit reichender – länderübergreifender - Bedeutung aufgeworfen. Die Fragen sind indes vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 - entschieden, und zwar nicht im Sinne des Klägers.

Was zunächst die Frage der Existenz eines Staates angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 – im Gegensatz zur Vorinstanz, dem OVG Schleswig-Holstein, die Existenz von Afghanistan als Staat nicht ernsthaft in Frage gestellt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Seite 9 des Juris-Ausdrucks) genügt es, dass eine Übergangsregierung Gebietsgewalt im Sinne einer übergreifenden prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Ordnung ausübt; dem stehe nicht entgegen, dass sich die Regierungsgewalt auch auf internationale Truppen stütze. Auch ein ausgesprochen schwacher Staat ist nach diesen Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts ein Staat und die internationalen Truppen werden dem Staat zugerechnet. Dies stimmt überein mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der es im Asylrecht weniger auf abstrakte staatstheoretische Begriffsmerkmale ankommt und zugunsten des Flüchtlings nur geringe Anforderungen an das Vorliegen eines Staates zu stellen sind, wobei in Bürgerkriegsfällen bereits ein Kernterritorium genügt.

BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 – 2 BvR 260/98 -.

Danach ist der Irak eindeutig ein Staat.

Der Irakkrieg von 2003 zielte zwar darauf ab, das Unrechtsregime von Saddam Hussein zu beseitigen, indessen nicht auf die Beseitigung des irakischen Staates. Vielmehr wurde nach Ablauf der Besatzungszeit die irakische Souveränität am 28.6.2004 wiederhergestellt, wie in Rechtsprechung und Erkenntnismaterial anerkannt ist.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.9.2004 – A 2 S 51/01 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 – A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 – 9 A 3590/05.A -; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, Seite 1; ebenso unterscheidet die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrer Auskunft vom 27.1.2006 (Seite 3) klar erkennbar zwischen der bejahten Existenz des irakischen Staates und der verneinten Frage, ob der irakische Staat die Bürger schützen könne, die nachweislich Verfolgung befürchten müssten.

Die nur erforderliche prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtige Gebietsgewalt unter Einbeziehung der internationalen Truppen ist zu bejahen, da der irakische Staat mit deren Hilfe zumindest in der Lage ist, dem bisherigen Regime von Saddam Hussein den Prozess zu machen, dadurch seine Unrechtsmaßnahmen zu beenden und den neuen Untergrundkrieg mit den Terroristen mit allerdings nur einzelnen Erfolgen aufgenommen hat und dabei den sunnitischen Widerstand verfolgt, mithin nicht etwa prinzipiell ohne Macht ist. Auch die kritische Organisation UNHCR, der sich amnesty international angeschlossen hat, stellt die effektive Herrschaft der irakischen Übergangsregierung lediglich für einzelne Teile des irakischen Staatsgebiets, vor allem im Zentralirak, in Frage.

UNHCR, Hinweise von April 2005; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Ebenso geht das VG Sigmaringen in seiner kritischen Rechtsprechung nicht von einer fehlenden Staatsmacht aus, sondern nimmt an, der Übergangsregierung sei es noch nicht gelungen, ihre Macht im gesamten Irak zu etablieren.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005 – A 3 K 11212/04 -, S. 8 des Umdrucks.

Auf das gesamte Territorium kommt es aber nicht an.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt bereits ein Kernterritorium.

BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 – 2 BvR 260/98 -.

Weiterhin muss gesehen werden, dass der irakische Widerstand seit der von ihm verlorenen zweiten Schlacht um Falludscha im November 2004 angesichts der Übermacht der US-Truppen nicht mehr bestimmte Gebiete verteidigen, sondern mit Anschlägen den Wiederaufbau des Landes nachhaltig stören will.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006.

Nach den dargelegten Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts kann unter Einbeziehung der internationalen Truppen die Existenz des Staates Irak mit der prinzipiellen Ausübung von Staatsgewalt nach Ansicht des Senats nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden.

Von der Frage der Existenz des Staates Iraks ist die weitere Frage eines effektiven Schutzes durch den Staat Irak als stabile Schutzmacht vor möglicher Verfolgung und allgemeinen Gefahren zu unterscheiden.

Der Kläger zieht die Effektivitätsfrage gewissermaßen vor die Klammer der Verfolgungsprüfung. Vorrangig wird effektiver Schutz geprüft. Fehlt es daran, steht die Verfolgung fest und der Widerruf scheitert. Letztlich hat der effektive Schutz dann absolute Bedeutung für den Widerruf. Der Kläger meint weiter, die Frage des effektiven staatlichen Schutzes sei von dem Bundesverwaltungsgericht noch nicht, auch nicht in seinem Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21.04 –, entschieden; dem hat die Beklagte widersprochen.

Diese Auslegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Kläger überzeugt nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem zu Afghanistan ergangenen Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21.04 – die nur relative Bedeutung eines effektiven Verfolgungsschutzes herausgestellt, diese Rechtsauffassung jedenfalls konkludent bereits in seinen beiden zuvor zum Irak ergangenen Entscheidungen vom 11.2.2004 – 1 C 23/02 – und vom 25.8.2004 – 1 C 22.03 – zugrunde gelegt und sodann die Frage einer stabilen Schutzmacht im Beschluss

vom 26.1.2006 – 1 B 135.05 –

ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich bei fehlender Verfolgung behandelt.

In seinem zu Afghanistan ergangenen Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 – (Juris-Ausdruck Seite 6) hat das Bundesverwaltungsgericht für die Prüfung von Widerrufsfällen entschieden, dass nach der auch beim Widerruf anzuwendenden Vorschrift des § 60 I 4 AufenthG

eine Verfolgung nunmehr auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (kann), sofern der Staat, wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Fehlender effektiver staatlicher Schutz vor Verfolgung hat nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht die gewissermaßen absolute Bedeutung, dass ein Widerruf ausscheidet. Ein fehlender effektiver staatlicher Schutz vor Verfolgung hat in Widerrufsfällen vielmehr nur die relative Bedeutung, dass vorrangig tatsächliche Verfolgungsmaßnahmen durch nichtstaatliche Akteure zu prüfen sind. Die dargelegte Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet, dass effektiver staatlicher Schutz nicht bereits eine Widerrufsvoraussetzung ist; der Widerruf scheitert nicht von vornherein an fehlendem effektivem staatlichen Schutz durch eine stabile Schutzmacht.

Dieselbe Rechtsauffassung hat das Bundesverwaltungsgericht auch schon konkludent in einem unmittelbar den Irak betreffenden Urteil vom 25.8.2004 – 1 C 22.03 – in einem Widerrufsverfahren zugrunde gelegt. Auch dort wird die Frage der effektiven Schutzfähigkeit nicht als Widerrufshindernis geprüft. Vielmehr ist ausgeführt (Seite 3 des Juris-Ausdrucks):

Der Kläger hat bei einer Rückkehr in den Irak inzwischen offenkundig nicht mehr mit politischer Verfolgung zu rechnen.

Es werden also nur Verfolgungsmaßnahmen ausgeschlossen. Dazu wird dargelegt, das irakische Regime sei durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden und andere Gründe, aus denen der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland politischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein könnte, seien nicht ersichtlich. Die effektive Schutzfähigkeit durch den irakischen Staat prüft das Bundesverwaltungsgericht nicht. Der Irak war im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (25.8.2004) gerade erst (am 28.6.2004) aus dem Besatzungsstatut in die Souveränität entlassen worden und vergleichbar schwach wie heute. Die fehlende effektive Schutzfähigkeit des Irak kann also kein absolutes Widerrufshindernis sein. Weiterhin hat das Bundesverwaltungsgericht in eigener Revisionswürdigung schon während der Besatzungszeit des Iraks eine Verfolgungsgefahr ausgeschlossen, ohne die effektive Schutzfähigkeit des Irak zu prüfen.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 – 1 C 23/02 -, dort betreffend einen Anerkennungsfall.

In den drei vom Senat aufgeführten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts aus 2004 und 2005 zum Irak und zu Afghanistan ist als gemeinsame klare Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entnehmen, dass in keinem der Fälle die effektive Schutzfähigkeit des Staates gewissermaßen als absolute Anforderung vor die Klammer gezogen wird und der Flüchtling bereits deshalb Verfolgter ist, weil sein Heimatstaat keinen effektiven Schutz durch eine stabile Schutzmacht gegen denkbare Verfolgungen bietet. Vielmehr ist vorrangig für das Bundesverwaltungsgericht, ob asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen nach den maßgebenden Kriterien der Rechtsprechung überhaupt zu befürchten sind. Für den Irak hat das Bundesverwaltungsgericht eine solche Verfolgungsgefahr verneint und bereits deshalb nicht die effektive Schutzfähigkeit des Staates vor denkbarer Verfolgung geprüft. In dem zu Afghanistan ergangenen Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/05 – ist die nur relative Bedeutung des effektiven staatlichen Schutzes vor Verfolgung hervorgehoben.

Sodann hat das Bundesverwaltungsgericht die Frage nach der Notwendigkeit einer stabilen Schutzmacht in einem neueren Revisionszulassungsverfahren auch ausdrücklich erörtert.

Beschluss des BVerwG vom 26.1.2006 – 1 B 135.05 -.

Es hat die aufgeworfene Frage der stabilen Schutzmacht als nicht entscheidungserheblich bei fehlender Verfolgung behandelt.

Dem folgt auch der Senat.

Mithin ist die vom Kläger aufgeworfene Grundsatzfrage der Bedeutung des effektiven Schutzes des Staates als stabiler Schutzmacht vor Verfolgung übereinstimmend mit der Meinung der Beklagten bereits höchstrichterlich geklärt; der Senat schließt sich der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach diese Frage nur relative Bedeutung bei vorrangig festzustellender tatsächlicher Verfolgungsgefahr hat.

Sodann ist mit Blick auf die Auffassung des UNHCR die Frage zu erörtern, ob nach dem politischen Systemwechsel über den Ausschluss erneuter Verfolgung hinaus auch noch Schutz vor allgemeinen Gefahren durch eine stabile Lage verlangt werden kann. Die Stabilitätsfrage wird also nochmals gestellt, aber nunmehr nicht mit Blick auf die Verfolgung, sondern mit Blick auf allgemeine Gefahren. Auch diese Frage hat grundsätzliche und zugleich länderübergreifende Bedeutung, ist aber vom Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden.

Die Widerrufsregelung des Gesetzgebers zielte nach der ursprünglichen Gesetzesbegründung auf den Fall, dass in dem Verfolgungsland ein Wechsel des politischen Systems eingetreten ist, sodass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, unter Darstellung der Gesetzesmaterialien.

Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck bezieht sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich auf den Ausschluss erneuter Verfolgungsmaßnahmen, nicht auf Schutz vor allgemeinen Gefahren.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Die den Rechtsstandpunkt des Klägers stützende Gegenmeinung, die insbesondere von der Flüchtlingshilfeorganisation UNHCR näher begründet wird, geht über den Verfolgungsausschluss hinaus und verlangt für den Widerruf zusätzlich stabile Verhältnisse im Herkunftsland.

UNHCR-Hinweise zur Anwendung des Art. 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention auf irakische Flüchtlinge von April 2005, S. 2.

UNHCR nimmt dabei an, dass der internationale Flüchtlingsschutz nicht nur dem Schutz vor erlittener oder drohender Verfolgung diene, sondern auch der Schaffung dauerhafter Lösungen für Flüchtlinge; deshalb könnten Flüchtlinge nicht zur Rückkehr in die instabilen Verhältnisse des Irak gezwungen sein mit der Gefahr, dass immer neue Flüchtlingsströme entstehen.

UNHCR-Hinweise von April 2005, S. 2.

Dieser vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertiefte Gesichtspunkt leuchtet dem Senat durchaus rechtspolitisch ein.

Es geht um die Erweiterung des Schutzzwecks auf allgemeine Gefahren zur Vermeidung neuer Flüchtlingsströme. Unter Hinweis auf die Interessenwürdigung durch UNHCR verlangt auch Marx relative politische und wirtschaftliche Stabilität in dem Land nach dem Systemwechsel.

Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 73 Rdnr. 79.

Das VG Köln, auf das sich der Kläger beruft, ist dieser Auffassung gefolgt.

VG Köln, nicht rechtskräftiges Urteil vom 21.9.2005 - 18 K 3217/04.A -, wonach eine instabile beziehungsweise unsichere Lage im Herkunftsland Irak einem Widerruf entgegenstehe.

Besonders deutlich wird diese Rechtsposition durch das VG Sigmaringen dargestellt, auf das sich der Kläger ebenfalls beruft.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005 - A 3 K 11212/04 -.

Danach geht es bei dem Widerruf nicht nur um Verfolgungsschutz, sondern erweiternd um effektive Schutzgewährung, und ein wesentlicher Aspekt der effektiven Schutzgewährung ist die allgemeine Sicherheitslage.

Ungeachtet der rechtspolitischen Vorzüge der Ansicht von UNHCR folgt der Senat der systematisch begründeten Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Widerruf keinen Gefahrenausschluss durch stabile Verhältnisse voraussetzt. Diese Auslegung ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach Art. 16 a I GG dient das Asylrecht dem Schutz politisch Verfolgter

Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 7. Auflage 2004, Art. 16 a Rdnr. 1, wonach das Asylgrundrecht auf die Erfahrung mit dem Dritten Reich und den damals rassistisch und politisch Verfolgten zurückgeht und Menschen in einer ähnlichen politischen Lage in anderen Ländern helfen soll.

Dagegen ist das Grundrecht nach der Verfassungsrechtsprechung nicht in der Lage, auch einen effektiven Schutz vor politisch und wirtschaftlich instabilen Verhältnissen, oder sogar vor anarchischen Zuständen mit Auflösung der Staatsgewalt zu gewähren.

Zum Letzteren BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 – 2 BvR 260/98 -.

Ist dies aber der Fall, verbietet das Grundgesetz auch unter Einschluss des vom Kläger zitierten Art. 1 I GG nicht einen geminderten Flüchtlingsschutz für Fälle des Staatszerfalls.

Darüber hinaus ist die grundrechtskonforme Begrenzung des Gesetzeszwecks auf den Verfolgungsschutz nach der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowohl völkerrechtskonform als auch europarechtskonform.

Die Widerrufsvorschrift des deutschen Rechts geht zurück auf Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - vom 28.7.1951 (BGBl. 1953 II S. 560), wonach eine Person nicht mehr unter den Schutz des Flüchtlingsabkommens fällt,

wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wollte der deutsche Gesetzgeber mit seiner Widerrufsbestimmung die materiellen Anforderungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention übernehmen und hat dies auch getan.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Nach der Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet Wegfall der Umstände im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Unter Schutz im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK ist danach ausschließlich der Schutz vor zu erwartenden erneuten Verfolgungsmaßnahmen zu verstehen.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, zustimmend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/06 -.

Das Bundesverwaltungsgericht beruft sich für seine Rechtsauffassung auf eine systematische Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Begriff Schutz des Landes in dieser Wegfallbestimmung hat danach keine andere Bedeutung als der gleich lautende Begriff Schutz dieses Landes in Art. 1 A Nr. 2 GFK, der die Flüchtlingseigenschaft begründet. Nach dieser Vorschrift kommt es insbesondere darauf an, dass der Betroffene aus begründeter Furcht vor Verfolgung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann. Nach dem Zusammenhang dieser Definitionsvorschrift kann mit dem Schutz des Landes nur der Schutz vor den befürchteten Verfolgungsmaßnahmen gemeint sein; ein Schutz vor instabilen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen als Begründung der Flüchtlingseigenschaft ist ersichtlich nicht mit umfasst. Die instabile Lage begründet nicht die Verfolgteneigenschaft Dies gilt konsequent auch für den Wegfall der Flüchtlingseigenschaft, und deshalb beenden auch nicht erst stabile Verhältnisse die Verfolgteneigenschaft.

Der Senat folgt der systematischen Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts.

Zusätzlich ist noch auf folgenden in der mündlichen Verhandlung erörterten Auslegungsgesichtspunkt hinzuweisen:

Die unmittelbar anschließende völkerrechtliche Widerrufsregelung für Staatenlose in Art. 1 C Nr. 6 GFK enthält keine Schutzklausel. Dies kann schwerlich bedeuten, dass damit Staatenlosen der sonst zu gewährende effektive Schutz entzogen wird. Vielmehr spricht diese Regelung dafür, dass mit dem völkerrechtlichen Begriff „Schutz“ nur der prinzipielle Schutz des Herkunftsstaates für seine Staatsangehörigen gemeint ist, der naturgemäß nicht auf Staatenlose übertragen werden kann.

Auch dies spricht für die Auslegung des Völkerrechts durch das Bundesverwaltungsgericht.

Ergänzend zu berücksichtigen ist für die Auslegung des deutschen Rechts das Europarecht. Dabei geht es um die Vorwirkung der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie - bereits vor dem bevorstehenden Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006.

Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der Senat angeschlossen hat, ist nationales Recht schon vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist bereits erlassener Richtlinien so auszulegen, dass der Zweck der Richtlinie erreicht werden kann.

EuGH, Urteil vom 9.6.2005 - C 211/03 -, Rz 44; Urteil des Senats vom 3.2.2006 - 3 R 7/05 - Seite 49 des amtl. Umdrucks, beide Entscheidungen ergangen zum Arzneimittelrecht.

Inhaltlich führt die europäische Richtlinie aber zu keiner anderen Rechtslage als der bereits dargelegten völkerrechtlichen Regelung der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern sie bestätigt noch zusätzlich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Wesentlich ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass die völkerrechtliche Wegfallklausel der Genfer Flüchtlingskonvention in die Qualifikationsrichtlinie ebenso wörtlich übernommen ist wie der symmetrische Schutzbegriff sowohl bei der Begründung der Flüchtlingseigenschaft als auch bei dem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft. Nach Art. I e der Qualifikationsrichtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser nicht mehr Flüchtling, wenn er

nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft stellt Art. 2 c der Qualifikationsrichtlinie unter eigenständiger Formulierung der Verfolgungsmerkmale ebenso wie die Genfer Flüchtlingskonvention auf die begründete Furcht vor Verfolgung ab und verlangt sodann wörtlich übereinstimmend, dass der Flüchtling

sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann .....

Die vom Bundesverwaltungsgericht bereits im Zusammenhang mit dem Völkerrecht ausgelegten Parallelbegriffe „Schutz des Landes“ sowie „Schutz dieses Landes“ finden sich also wörtlich gleich lautend in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der umzusetzenden Qualifikationsrichtlinie der EG. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch konsequenterweise in einem Nichtzulassungsbeschluss bereits ausgeführt, die Annahme einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/83/EG führe nicht zu einem günstigeren Auslegungsergebnis der Widerrufsvorschrift.

BVerwG, Beschluss vom 15.2.2006 - 1 B 120/05 -, ohne eingehende Begründung; eben so Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -; a. A. das VG Köln in seinem Urteil vom 21.9.2005 - 18 K 3217/04.A -, das aus den übereinstimmenden Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Qualifikationsrichtlinie einen Schutz auch vor einer instabilen Lage in Anspruch nimmt.

Hinzu kommt, dass die europäische Richtlinie die Wegfallklausel in Art. 11 II über das Völkerrecht hinaus dahin gehend präzisiert, dass die Mitgliedstaaten zu untersuchen haben,

ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist.

Damit wird der Schwerpunkt der Prüfung auf die Veränderung selbst gelegt, nicht auf stabile Verhältnisse.

Dies entspricht exakt der Auslegung des deutschen Rechts durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die mithin durch das neue Europarecht bestätigt wird.

Zusammengefasst ergibt sich aus der dargelegten systematisch überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen der rechtspolitisch vorzugswürdigen Ansicht von UNHCR als grundsätzliche Weichenstellung der Widerrufsmaßstab, dass nur der Verfolgungsausschluss maßgebend ist. Die Gefahr von erneuten Verfolgungsmaßnahmen ist nach den Kriterien der Rechtsprechung zu prüfen. Allgemeine Gefahren etwa aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage bleiben bei dem Widerruf außer Betracht.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; zustimmend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -.

Bereits die Beseitigung eines Unrechtsregimes hat damit entscheidende Bedeutung für den Widerruf, wenn dadurch die Verfolgungsgefahr wegfällt.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 - 1 C 23/02 -, zitiert nach Juris.

Erweist sich die Beseitigung eines Regimes mit dessen spezifischen Verfolgungsmaßnahmen als endgültig, kann über den Wegfall der tatsächlichen Verfolgungsgefahr hinaus ein stabiler Staat weder zum Verfolgungsausschluss noch zum Gefahrenausschluss verlangt werden. Der Staat braucht also nicht stark zu sein. Die dargestellte Weichenstellung hinsichtlich stabiler Verhältnisse ist der Hauptgrund dafür, dass der Flüchtlingswiderruf in der Rechtsprechung einiger Instanzgerichte als rechtswidrig beurteilt wird; darauf ist noch einzugehen.

Die dargelegte erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Verhältnisse muss nach dem anzulegenden Maßstab dazu führen, dass die Verfolgungsmaßnahmen nicht mehr wiederholt werden. Mit Blick auf die Vorverfolgung des Klägers gilt dafür der herabgestufte Maßstab der hinreichenden Sicherheit.

BVerwG, Urteil vom 18.2.1997 - BVerwG 9 C 6.96 -, BVerwGE 104, 97; ebenso BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, zitiert nach Juris.

Dem bereits Vorverfolgten soll nicht das Risiko einer Wiederholung der Verfolgung aufgebürdet werden. Dabei braucht die Gefahr des Eintritts wiederholter Verfolgungsmaßnahmen nach diesem Maßstab nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden, so dass bereits geringe Zweifel dem Begehren zum Erfolg verhelfen würden. Vielmehr ist eine Wiederholungsgefahr der Verfolgung nach diesem Prognosemaßstab zu bejahen, wenn sich ernsthafte Bedenken nicht ausräumen lassen.

BVerwG, Urteil vom 18.2.1997 - BVerwG 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97.

Nach dem dargelegten Maßstab ist durch die Entmachtung Saddam Husseins eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der politischen Verhältnisse eingetreten, die nicht mehr umkehrbar ist. Dies steht mit hinreichender Sicherheit fest. Das Regime von Saddam Hussein ist gestürzt, seine Armee und seine Polizei sind aufgelöst, die Baath-Partei ist verboten, seine Verfolgungsmaßnahmen sind beendet, einige Mitglieder des Regimes sind getötet und Saddam Hussein und dem Kern seines Regimes wird im Irak der Prozess gemacht. Gerade darin liegt der Verfolgungsschutz des Klägers vor weiteren Unrechtsmaßnahmen des Regimes von Saddam Hussein, der keinen ernsthaften Bedenken unterliegt.

Dem hält der Kläger die eigene Einschätzung entgegen, angesichts der anerkannt labilen Sicherheitslage und der hohen Zahl der täglichen Anschläge sei in einem Bürgerkrieg oder jedenfalls einem Krieg von niedriger Intensität die Zukunft offen und es sei nicht auszuschließen, dass die Kräfte um den früheren Diktator Saddam Hussein wieder an die Macht gelangten, sein Machtclan sei noch vorhanden.

Dem Kläger ist zwar hinsichtlich der instabilen, manchmal eskalierenden Sicherheitslage, des hohen Gewaltniveaus durch tägliche Anschläge aus dem Untergrund im Sinne eines Untergrundkriegs und damit einer offenen Lage nach dem übereinstimmenden Erkenntnismaterial Recht zu geben.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005: amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005 und Jahresbericht 2006, UNHCR, Position von September 2005, vgl. auch UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Der Irak steht – wie es das OVG Koblenz prägnant formuliert – am Scheideweg zwischen Demokratie und Staatszerfall.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

Insofern ist die Zukunft offen. Sie schließt den offenen Ausbruch eines Bürgerkriegs und ein Auseinanderbrechen des Irak ein.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

In dem hier entscheidenden Punkt, ob der Sturz des Regimes von Saddam Hussein und seines Machtclans in absehbarer Zeit unumkehrbar ist, besteht aber entgegen der Meinung des Klägers in Rechtsprechung und im Erkenntnismaterial ungeachtet der unterschiedlich kritischen Beurteilung des Iraks die fast einhellige Überzeugung, dass die Entmachtung Saddam Husseins und seines Clans nicht mehr umkehrbar ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den während des Laufs mehrerer Revisionsverfahren 2003 eingetretenen Sturz von Saddam Hussein abschließend selbst beurteilt mit dem Ergebnis, dass mit einer Wiederholung der Verfolgung offenkundig nicht mehr zu rechnen sei.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 - 1 C 23.02 -; BVerwG Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, jeweils zitiert nach Juris.

Das Bundesverwaltungsgericht hält es also für offenkundig, dass Saddam Hussein und sein Clan nicht an die Macht zurückkehren.

Die Obergerichte teilen diesen Standpunkt. Nach der Auffassung des OVG Münster hat das bisherige Regime Saddam Husseins seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch den am 20.3.2003 begonnenen Militärschlag unter Führung der USA endgültig verloren und eine Rückkehr des alten Regimes ist nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Bildung einer Struktur, die eine vom früheren Regime gesehene Gegnerschaft als solche übernimmt und wiederholend verfolgt.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Der VGH Baden-Württemberg hält es mit hinreichender Sicherheit für ausgeschlossen, dass Anhänger des früheren Baath-Regimes bei realistischer Betrachtung wieder staatliche Herrschaftsgewalt ausüben könnten und zwar ungeachtet der äußerst angespannten Sicherheitslage.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -.

Nach der Einschätzung des OVG Lüneburg ist der Sturz des Regimes von Saddam Hussein nach allen vorliegenden Erkenntnissen eindeutig und unumkehrbar, und zwar trotz der problematischen und oft eskalierenden Sicherheitslage im Irak.

OVG Lüneburg, Urteil vom 13.2.2006 - 9 LB 75/03 -.

Nach der Beurteilung des Bayerischen VGH gibt es keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass Saddam Hussein oder Angehörige seines früheren Regimes in absehbarer Zeit in der Lage sein könnten, sich neu zu formieren und staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu veranlassen.

BayVGH, Urteil vom 13.11.2003 - 15 B 02.31751 -.

Nach der Einschätzung des OVG Koblenz ist die Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein vollständig; die tragenden Personen sind nicht nur durch das irakische Volk abgewählt, sondern zum Teil getötet oder außer Landes und ihm selbst und seinen führenden Helfern wird der Prozess gemacht, so dass eine weitere Verfolgung durch die persönliche Diktatur auszuschließen ist.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 107/95/05.OVG -.

Auch das OVG Schleswig-Holstein und das Sächsische OVG sehen den Machtverlust des diktatorischen Regimes von Saddam Hussein als endgültig an.

OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.5.2006 – 1 LB 117/05 -; Sächsisches OVG, Beschluss vom 28.8.2003 - A 4 B 573/02 -.

Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung einiger Instanzgerichte beruft, die für den Irak die Widerrufsvoraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung verneinen, werden bei vergleichbarer Tatsachenwürdigung die rechtlichen Weichen anders gestellt. Das VG Köln ist der Auffassung, dass der Wegfall der ursprünglich die Verfolgung begründenden Verhältnisse nicht genüge und deshalb der Sturz des Regimes von Saddam Hussein allein nicht ausreiche; vielmehr müsse der Charakter der Veränderungen selbst stabil sein, was angesichts der hochgradigen instabilen Lage im Irak nicht der Fall sei.

VG Köln, nicht rechtskräftiges Urteil vom 21.9.2005 - 18 K 3217/04.A -.

Allerdings ist die Rechtsprechung des VG Köln zur Rechtswidrigkeit des Widerrufs entgegen der Meinung des Klägers von dem OVG Münster nicht inhaltlich bestätigt worden. So hat das OVG Münster zwar in einem Beschluss vom 20.10.2005 (nicht: 19.7.2005) – 9 A 2944/05.A – ein entsprechendes Urteil des VG Köln aus prozessualen Gründen bestätigt. In seiner Rechtsprechung in der Sache selbst hat das OVG Münster aber wie dargelegt den Widerruf unter Abänderung einer Entscheidung des VG Köln als rechtmäßig angesehen.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 – 9 A 3590/05.A – unter Abänderung des Urteils des VG Köln vom 24.8.2005 – 18 K 5732/04.A -.

Besonders deutlich wird die unterschiedliche rechtliche Weichenstellung bei im Wesentlichen gleicher Tatsacheneinschätzung in der Beurteilung des VG Sigmaringen, auf das sich der Kläger beruft.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005 - A 3 K 11212/04 -.

Nach der Rechtsprechung des VG Sigmaringen wurde durch die Militäraktion ein grundlegender Systemwechsel bewirkt; eine Rückkehr zu den alten Machtverhältnissen ist ausgeschlossen. Bei der Widerrufsentscheidung darf dagegen nicht die allgemeine Sicherheitslage ausgeklammert werden und wegen der erheblichen Unsicherheit der politischen Entwicklung und der realistischen Gefahr von Terroranschlägen hat ein Widerruf zu unterbleiben. Die abweichende Rechtsauffassung des VG Sigmaringen beruht also bei grundsätzlich gleicher Lagebeurteilung auf einer Rechtsauffassung, die das Bundesverwaltungsgericht und dem folgend der Senat nicht teilt.

Der Einschätzung durch die Rechtsprechung entspricht grundsätzlich auch die Beurteilung durch das vorliegende Erkenntnismaterial. In dem aktuellen Erkenntnismaterial wird meist nicht einmal mehr die Frage aufgeworfen, ob Saddam Hussein oder sein Clan an die Macht zurückkehren könnte.

Das Auswärtige Amt stellt eine Umsetzung des politischen Prozesses durch demokratische Wahlen bei gleichzeitig hohem Gewaltniveau und einer Annäherung an bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen fest; es geht davon aus, dass in dem am 19.10.2005 eröffneten Strafverfahren gegen Saddam Hussein und sieben weitere Repräsentanten der Diktatur den Angeklagten die Todesstrafe droht, rechnet also ersichtlich nicht mit einer erneuten Machtergreifung von Saddam Hussein und seinem Clan.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe würdigt in ihrer Analyse den politischen Übergang des Iraks zur Demokratie bei gleichzeitig äußerst schlechter Sicherheitslage.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Nach der Einschätzung der kritischen Flüchtlingshilfeorganisation UNHCR hat der Sturz des Regimes von Saddam Hussein noch nicht überall im Land zur vollständigen Zerschlagung der ehemaligen Herrschaftsstrukturen geführt; nach dem Sturz bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass Saddam Hussein selbst wieder die Macht erlangen könnte. Die Zukunft sei insofern unsicher, als es zu Sezessionsbestrebungen kommen könne.

UNHCR, UNHCR-Hinweise zur Anwendung des Art. 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention auf irakische Flüchtlinge von April 2005.

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international hat sich der Beurteilung durch UNHCR angeschlossen, dass nach dem Wegfall der autoritären Zentralgewalt der Sturz der Regierung von Saddam Hussein noch nicht im gesamten Irak zur vollständigen Zerschlagung der ehemaligen Herrschaftsstrukturen geführt hat; die Frage einer Rückkehr wird nicht aufgeworfen.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Das Deutsche Orient-Institut sieht in den Terroranschlägen lediglich einen Versuch, die politische Entwicklung des Irak zu bestimmen; die Rückkehrfrage von Saddam Hussein oder seines Machtclans wird nicht gestellt.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 21.2.2006.

Bei einer Gesamtwürdigung ist erkennbar, dass die vorliegende Rechtsprechung explizit von der Unumkehrbarkeit des Sturzes von Saddam Hussein in absehbarer Zeit ausgeht, während das aktuelle Erkenntnismaterial überwiegend die Frage bereits nicht mehr aufwirft. Soweit ersichtlich enthält das Erkenntnismaterial keinen näher begründeten ernsthaften Anhaltspunkt dafür, Saddam Hussein oder sein Machtclan könnte die Herrschaft im Irak wieder ergreifen und die Verfolgung ihrer früheren Gegner fortsetzen.

Dem Kläger ist einzuräumen, dass die Tatsache des praktisch einhelligen Ergebnisses in Rechtsprechung und Erkenntnismaterial eine Begründung dieser Prognose nicht ersetzt. Er beanstandet es, dass das Verwaltungsgericht seine Prognose zur Unumkehrbarkeit der Verhältnisse nicht begründet hat.

In der Rechtsprechung findet sich indessen eine tragfähige Begründung der Unumkehrbarkeit der Verhältnisse, die auch gegenüber der Argumentation des Klägers mit Blick auf die offene Lage überzeugt.

Wesentliche Bedeutung für die Unumkehrbarkeit des Verlustes der Macht hat die Art der Entmachtung des Regimes. Das Bundesverwaltungsgericht hat Gewicht darauf gelegt, dass das Regime von Saddam Hussein durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden ist.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 - 1 C 23.02 -; BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -; jeweils zitiert nach Juris.

Ebenso hat das OVG Münster darauf abgestellt, dass das bisherige Regime von Saddam Hussein seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die am 20.3.2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren hat.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Das Regime von Saddam Hussein ist mithin nicht durch einen umkehrbaren Putsch oder durch die Intervention eines ähnlich starken Nachbarlandes entmachtet worden, sondern hat den Krieg gegen eine führende Macht der Welt endgültig verloren. In diesem Kriegsverlust liegt ein Unterschied zu dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung erwähnten Vietnamkrieg, in dem das nordvietnamesische Regime von den Amerikanern nicht besiegt und beseitigt wurde und sich erst danach neu etabliert hat. Ausdrückliches und erreichtes Kriegsziel im Irakkrieg war die Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein. Der Verlust eines solchen Krieges lässt sich realistischerweise nicht einfach umkehren. Auch der sunnitische Widerstand geht in seiner Einschätzung von einer Übermacht der US-Truppen im Irak und nicht von einem Kräftegleichgewicht aus.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands.

Die Kräfte sind zu ungleich, um mit dem Kläger insoweit eine offene Lage zu sehen. Deshalb bestehen auch keine ernsthaften Bedenken gegenüber der Unumkehrbarkeit des Sturzes von Saddam Hussein und seines Machtclans einschließlich seiner spezifischen Verfolgungsmaßnahmen.

Wenn der Kläger demgegenüber meint, die Herrschaftsstrukturen von Saddam Hussein seien nicht zerschlagen, da das Clan-System existiere und lebensfähig sei, überzeugt das nicht. Zu den Herrschaftsstrukturen von Saddam Hussein gehörten abgesehen von dem Clan vor allem seine Armee, seine Polizei und die Baath-Partei. Seine Armee und die Polizei sind zerschlagen worden, die Baath-Partei ist verboten. Die das Regime tragenden Personen des Machtclans sind vom irakischen Volk abgewählt, zum Teil getötet, und dem Kern des Regimes wird der Prozess gemacht, so dass bei einer Gesamtwürdigung von einer Beseitigung der persönlichen Herrschaftsstrukturen von Saddam Hussein auszugehen ist.

So überzeugend OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

Alle diese Herrschaftsstrukturen sind endgültig zerschlagen. Allenfalls kann man mit der Einschätzung von UNHCR und amnesty international annehmen, dass es noch nicht überall im Land zur vollständigen Zerschlagung der ehemaligen Herrschaftsstrukturen gekommen ist, aber auch UNHCR sieht darin keinen Gesichtspunkt dafür, Saddam Hussein könne wieder die Macht erlangen.

Von Bedeutung ist, dass das Clan-System von Saddam Hussein allein in einer Minderheitsgruppe verankert war. Das OVG Münster stützt seine Prognose darauf, dass es nicht wieder zu einer Ballung der Macht bei einer der Volksgruppen kommen werde, zumal nicht in der Hand der nur eine Minderheit darstellenden Gruppe der Sunniten, in der das Regime Saddam Husseins vor allem verankert war.

OVG Münster, Urteil vom 17.5.2004 - 20 H 1810/02.A -.

Die arabischen Sunnitinnen und Sunniten stellen im Irak einen Bevölkerungsanteil von etwa 17 bis 22 % dar.

Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2006.

Die gewaltsame Wiedererlangung der Macht einer diktatorischen sunnitischen Minderheit durch Bombenanschläge sowohl gegen die Mehrheit der großen Volksgruppen des Irak als auch gegen das erreichte Kriegsziel einer Weltmacht ist nicht realistisch.

Das bestätigt auch die bisherige demokratische Entwicklung des Irak, die durch einen Untergrundkrieg des Widerstands mit täglichen Bombenanschlägen nicht zu verhindern war. Die Entwicklung im Irak ist sowohl durch die demokratische Neugestaltung als auch den Untergrundkrieg mit Bombenanschlägen geprägt.

Die seit dem Irakkrieg 2003 eingetretene politische Entwicklung, insbesondere die demokratische Beteiligung der wesentlichen Gruppen des Iraks, der Schiiten, der arabischen Sunniten und der Kurden, lässt keinen Anhaltspunkt für eine nochmalige diktatorische Minderheitsherrschaft der Sunniten zu, wobei die von Saddam Hussein verfolgte Mehrheit der Schiiten realistischerweise auch nicht als Bündnispartner der Diktatur der Sunnitenminderheit bereit steht.

Am 28.6.2004 wurde unter Beendigung der amerikanisch-britischen Besatzung die Souveränität des Irak wieder hergestellt.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Die am 30.1.2005 erstmals durchgeführten demokratischen Wahlen führten zu einer demokratischen Legitimierung der irakischen Regierung.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005.

Aufgrund dieser ersten Wahlen stellten die Schiiten den Ministerpräsidenten und 16 Minister, die Kurden 8 Minister, die Sunniten 6 Minister und die Christen und Turkmenen je einen Minister. Zum Staatspräsidenten wurde am 6.4.2005 der Kurde Talabani gewählt. Seine Stellvertreter wurden ein Schiit und ein sunnitischer Araber. Am 15.10.2005 hat die irakische Bevölkerung in einem Referendum die neue irakische Verfassung entgegen den Bombenandrohungen mit einer Wahlbeteiligung von immerhin 63 % angenommen. Die Verfassung bestimmt, dass der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat ist. Der Islam ist eine Hauptquelle der Gesetzgebung; die Verfassung enthält einen umfassenden Menschenrechtskatalog und garantiert eine Frauenquote von 25 % im Parlament. Am 19.10.2005 hat ein irakisches Sondergericht zur Aufarbeitung der Verbrechen des ehemaligen Regimes das erste Verfahren gegen Saddam Hussein sowie sieben weitere Repräsentanten des früheren Regimes eröffnet.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005, amnesty international, Jahresbericht 2006.

Am 15.12.2005 fanden im Irak Parlamentswahlen mit einer Wahlbeteiligung von immerhin 75 % der Wahlberechtigten ungeachtet der Bombendrohungen statt. Von den 275 Parlamentssitzen errangen die religiöse Schiiten-Allianz 128, das kurdische Wahlbündnis 53 und die sunnitische Irakische Konsensfront 44 Sitze.

Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2006.

Die Regierungsbildung war sehr langwierig, da die Kurden und die Sunniten den bisherigen schiitischen Ministerpräsidenten Dschaafari ablehnten. Erst im Mai 2006 wurde eine neue Regierung durch das irakische Parlament bestätigt. Neuer Ministerpräsident ist der Schiit Al-Maliki. Der Ölminister ist Schiit, der Außenminister Kurde und der Vizepremier Sunnit.

Vgl. zur Regierungsbildung Süddeutsche Zeitung vom 22.5.2006.

Insgesamt spiegelt das vollständige Kabinett mit 20 Schiiten, 8 Kurden, 8 Sunniten und 4 Säkularen den ethnisch-konfessionellen Proporz des Irak wieder.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Der Kurde Talabani wurde am 22.4.2006 erneut zum Staatspräsidenten gewählt.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Angesichts der Entwicklung der Machtverhältnisse, die von einer Mehrheit der unter dem sunnitischen Regime unterdrückten schiitischen und kurdischen Bevölkerungsgruppen geprägt ist, hält es der Senat mit hinreichender Sicherheit für ausgeschlossen, dass Anhänger des früheren Baath-Regimes bei realistischer Betrachtung als Minderheitsgruppe wieder diktatorische Herrschaftsgewalt ausüben werden, dafür die zuvor von Saddam Hussein verfolgten Volksgruppen gewinnen und sodann die Verfolgung wieder aufnehmen.

Der Verlust des Krieges gegen eine Weltmacht kann realistischerweise nicht mehr umgekehrt werden und dies ist auch wie dargelegt im Vietnamkrieg nicht geschehen.

Nach allem liegt in der Entmachtung von Saddam Hussein und des Minderheitsregimes der arabischen Sunniten einschließlich der spezifischen Verfolgungsmaßnahmen des Regimes eine unumkehrbare Entwicklung. Der Kläger hat mithin offenkundig nicht mehr mit einer wiederholten politischen Verfolgung zu rechnen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Wegfall der politischen Verfolgung bereits im Jahr 2004 als offenkundig bezeichnet, BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, unter eigener Beurteilung der Entwicklung in der Revisionsinstanz.

Der Kläger ist also hinreichend sicher davor, dass der Clan um Saddam Hussein nach dem verlorenen Krieg gegen eine Weltmacht erneut eine sunnitische Minderheitsdiktatur begründet und die Verfolgung des Klägers gerade dort aufnimmt, wo sie 1995 beendet wurde, nämlich mit der vorgetragenen drohenden Verhaftung wegen der Übermittlung von Einzelheiten der Militärfahrzeuge Saddam Husseins an die kurdische Partei PUK im Nordirak. Nach dem herabgesetzten Prognosemaßstab ist der Kläger mithin vor einer solchen Wiederholung dieser spezifischen Verfolgungsmaßnahmen hinreichend sicher.

Nach diesem Maßstab droht dem Kläger keine erneute Verfolgung.

Allerdings befürchtet der Kläger dennoch, er werde ungeachtet des Regimewechsels wegen des plausibel vorgetragenen früher begangenen militärischen Geheimnisverrats zugunsten der kurdischen Partei PUK weiterhin zur Rechenschaft gezogen. Dieser in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten bestrittene Verfolgungsvortrag kann zugunsten des Klägers als richtig unterstellt werden. Auf Grund der vorgetragenen Verfolgung meint der Kläger nach seinem erstinstanzlichen Vorbringen, er müsse heute von den aktuell an der Macht Befindlichen Verfolgung befürchten, mithin von der irakischen Regierung.

Eine solche Individualverfolgung durch den – an sich verfolgungsfähigen - neuen irakischen Staat ist aber auszuschließen. Saddam Hussein ist durch die Militärmacht der Amerikaner und Engländer entmachtet worden. Die seinerzeit verfolgte und vom Kläger unterstützte kurdische Partei PUK wird nunmehr von Talabani geleitet, der selbst Staatspräsident des Irak ist.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die jetzige, demokratisch legitimierte Regierung des Irak setzt sich aus Gegnern Saddam Husseins zusammen. Insbesondere wurde der schiitische Ministerpräsident Al-Maliki unter Saddam Hussein zum Tode verurteilt; der Ölminister Al-Schahristani war unter Saddam Hussein inhaftiert und gefoltert worden, weil er sich weigerte, an der Entwicklung einer Atombombe und damit der militärischen Macht Saddam Husseins mitzuarbeiten.

Süddeutsche Zeitung vom 22.5.2006.

Ein nachträglicher Schutz einzelner Daten der Militärmacht Saddam Husseins nach dem Stand von 1995 durch die Strafgerichte des neuen irakischen Staats oder durch andere staatliche Maßnahmen liegt außerhalb jeder realen Möglichkeit. Im Visier der Regierungsmaßnahmen ist der sunnitisch-arabische Widerstand. Dazu gehört der Kläger eindeutig nicht, was keiner näheren Darlegung bedarf.

Weiterhin fürchtet der Kläger wegen der damaligen Weitergabe der Daten der Militärfahrzeuge eine Individualverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 60 I 4 c AufenthG), und zwar durch das sunnitische Terrorpotenzial, das den neuen irakischen Staat bekämpft. Der Kläger befürchtet einen individuellen Racheakt.

Eine solche Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen durch nichtstaatliche Akteure ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu prüfen, wenn der Staat beziehungsweise gebietsmächtige Organisationen einschließlich internationaler Organisationen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 -.

Nach der zutreffenden Einschätzung von UNHCR sind die Koalitionstruppen und die irakischen Sicherheitskräfte, die selbst immer wieder Ziel verheerender Anschläge werden, nicht im Stande, die Sicherheit vor Attentaten zu gewährleisten.

UNHCR, Hinweise von April 2005; Position von September 2005; ebenso UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Mithin ist die Gefahr eines individuellen Attentats auf den Kläger zu prüfen.

In der irakischen Wirklichkeit kommen individuelle Racheakte vor. Aus dem Erkenntnismaterial ergibt sich insbesondere, dass Repräsentanten des früheren Regimes, die inzwischen mit der Regierung zusammenarbeiten, mit Racheakten des bewaffneten sunnitischen Widerstands rechnen müssen.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und schon vom 24.11.2005; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 3.4.2006; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005 sowie vom 9.6.2004: frühere exponierte Parteimitglieder und Angehörige des früheren Regimes, die die Seite gewechselt haben; keine Berichterstattung über solche Fälle in amnesty international, Jahresbericht 2006.

So hat sich das Deutsche Orient-Institut insbesondere mit dem Fall eines Arztes befasst, der nach dem Ende des Saddam-Regimes einen Lagerwechsel vornahm, politisch gegen das ehemalige Regime arbeitete und dafür von dem sunnitischen Widerstand gezielt ermordet wurde; hier hat das Deutsche Orient-Institut eine individuelle Gefahr auch für den Bruder des ermordeten Arztes bejaht.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 3.4.2006.

Insofern werden Seitenwechsler als Verräter und Kollaborateure im Einzelfall von dem sunnitischen Widerstand durch Racheakte bestraft.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 3.4.2006.

Zu diesen Personen gehört der Kläger aber nicht, der als bereits ursprünglicher Gegner Saddam Husseins und Anhänger der kurdischen Sache zu keinem Zeitpunkt die Seite gewechselt hat. Vielmehr hat er nach seiner Erstanhörung vom 13.12.1995 die Zusammenarbeit mit der Baath-Partei von Saddam Hussein abgelehnt.

Im Einzelfall kommen auch Racheakte von ehemaligen Anti-Saddamisten an Saddamisten vor, wenn es auch im Irak keine „Nacht der langen Messer“ gegeben hat.

Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 3.4.2006.

Auch davon ist der Kläger nicht betroffen, da er kein Saddamist war.

Im Übrigen kommen auch individuelle Racheakte im Verhältnis von Schiiten und Sunniten vor, die sich gegenseitig die begangenen Morde vorrechnen; diejenigen, die sich für ihre Racheakte Opfer suchen, tun dies auf ganz direkte Weise und aus ganz direkten Gründen.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 21.2.2006.

Bezogen auf die Vergangenheit kommt es in Einzelfällen zu individuellen Racheakten aus dem ganz direkten Grund, dass jemand persönlich Blut an seinen Händen hat.

So das Deutsche Orient-Institut in seinen Gutachten vom 14.6.2005 und vom 31.3.2005.

Auch eine solche Individualgefahr von Racheakten betrifft den Kläger nicht, der bereits nach seinem ursprünglichen Vortrag bei seiner Erstanhörung in Deutschland vom 13.12.1995 bis einschließlich der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nichts über eine Verwicklung in eine Bluttat vorgetragen hat.

Indirekte Gründe begründen dagegen nicht die realistische Gefahr eines Racheaktes. Insbesondere haben selbst die früheren Kämpfe gegen die Kurden heute nicht mehr das Gewicht, das für einen Racheakt einer der beiden Seiten erforderlich wäre.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 14.6.2005, mit Ausnahme der persönlichen Verantwortlichkeit für ein Massaker, die hier aber ersichtlich nicht vorliegt.

Ist aber bereits die direkte Beteiligung an früheren Kämpfen zwischen Kurden und Arabern heute nicht mehr unter dem Gesichtspunkt von gegenseitigen individuellen Racheakten von Gewicht, gilt dies erst recht für die bloß indirekte Beteiligung an den Kämpfen durch Übermittlung von Fahrzeugdaten der Militärfahrzeuge Saddam Husseins nach dem Stand von 1995. Die damaligen Übermittlungen des Klägers von Fahrzeugdaten an die Kurden fanden acht Jahre vor dem entscheidenden Irak-Krieg von 2003 statt, durch den Saddam Hussein die Macht verloren hat. Zu diesem entscheidenden Irak-Krieg hat der Kläger, der in Deutschland war, nichts beigetragen. Die militärischen Einzelheiten von Armeefahrzeugen Saddam Husseins nach dem seinerzeitigen Stand von 1995 haben keine Bedeutung für den jetzigen sunnitischen Widerstand, der den aktuellen Staat aus dem Untergrund mit Autobomben und Selbstmordattentaten – und nicht etwa mit Panzern und Armeefahrzeugen - bekämpft. Deshalb ist der Kläger bei realistischer Betrachtung nicht in Gefahr, wegen seiner indirekten Unterstützung der kurdischen Sache im Jahr 1995 persönliche Zielscheibe eines Attentats des sunnitischen Widerstands zu werden.

Nach allem ist der Kläger hinreichend sicher vor einer Individualverfolgung wegen seiner vorgetragenen früheren indirekten Unterstützung der kurdischen Sache.

Auf den Streit der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung, ob der durchaus plausible ursprüngliche Verfolgungsvortrag des Klägers zutrifft, kommt es daher nicht an.

Sonstige Gesichtspunkte für eine Individualverfolgung des Klägers sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

Zu prüfen ist sodann die in der mündlichen Verhandlung erörterte mögliche Gruppenverfolgung des Klägers als Mitglied der kurdisch-sunnitischen Volksgruppe durch Terrorkräfte als private Akteure. Bei der ethnisch-religiösen Gruppenverfolgung durch Private handelt es sich um eine gänzlich anders geartete Verfolgung als bisher behandelt ohne jeden Zusammenhang mit der Vorverfolgung durch Saddam Hussein, und deshalb ist im Rahmen der Widerrufsreglung nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der allgemeine Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen.

BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 – BVerwG 1 C 15.05 -.

Ein Ereignis ist dann beachtlich wahrscheinlich, wenn die für den Eintritt sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen.

BVerwG, Urteil vom 14.12.1993 – 9 C 45.92 -.

Ausgehend von diesem Maßstab droht dem Kläger als Mitglied der kurdischen Volksgruppe landesweit keine Gruppenverfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Als tatsächlicher Grund für eine solche Verfolgung sind die Terroranschläge im Irak zu prüfen.

Das größte Risiko für alle Menschen im Irak ist die instabile, manchmal eskalierende Sicherheitslage durch die Terroranschläge aus dem Untergrund, die an der Tagesordnung sind.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005; Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005 und Jahresbericht 2006; zur landesweit anhaltenden Gewalt auch UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Im Irak gibt es täglich landesweit mehr als hundert Anschläge aus dem Untergrund.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -, S. 15; zu den Anschlagsarten SFH, Position vom 9.6.2004.

Das entspricht einem Untergrundkrieg, wie auch in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde.

Insgesamt hat die Sicherheitslage im Irak einen Tiefpunkt erreicht.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die Sicherheitslage ist nicht nur in Bagdad prekär, sondern auch in den anderen großen Städten des Zentral- und Südirak sehr angespannt.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Nach der zutreffenden Einschätzung von UNHCR sind die Koalitionstruppen und die irakischen Sicherheitskräfte, die selbst immer wieder Ziel verheerender Anschläge werden, nicht imstande, die Sicherheit der irakischen Bevölkerung vor Attentaten und Sprengstoffanschlägen zu garantieren.

UNHCR, Hinweise von April 2005, UNHCR, Position von September 2005; UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Die darzulegenden Gefahren sollen hier im Rahmen des rechtlichen Ansatzes des Senats nach dem Maßstab der landesweiten Gruppenverfolgung dahingehend betrachtet werden, ob sich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung zu Lasten des Klägers, der ein sunnitischer Kurde ist, begründen lässt; danach ist auf eine Fluchtalternative einzugehen.

Die den Untergrundkrieg führende bewaffnete Opposition im Irak setzt sich aus verschiedenen Gruppierungen zusammen mit einem harten Kern von ungefähr 12.000 bis 40.000 Mitgliedern, die teils einen islamistischen Hintergrund, teils einen arabisch-nationalistischen Hintergrund haben.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, wonach sich bei 20.000 Militanten eine klar Trennlinie zwischen baathistischen und islamistischen Rebellen nicht ziehen lässt.

Zwischenzeitlich besteht der bewaffnete Widerstand im Untergrund ganz überwiegend aus sunnitischen Arabern.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands, unter Hinweis darauf, dass etliche prominente und vor allem ausländische Mitglieder der Al-Qaida inzwischen durch den beträchtlichen Druck der amerikanischen Besatzungstruppen entweder festgenommen worden sind oder bereits im Kampf gefallen sind.

Der Hauptzweck des bewaffneten Widerstandes wird in dem Erkenntnismaterial praktisch einhellig darin gesehen, den Wiederaufbau des Landes zu verhindern oder wenigstens nachhaltig zu stören.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; Europäisches Zentrum für Kurdische Studien vom 4.2.2006; Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands; sinngemäß auch UNHCR, Hinweise von April 2005, dort in personalisierter Form des Ziels mit Blick auf die Personen des Wiederaufbaus.

Für den bewaffneten irakischen Widerstand stellt die schiitisch dominierte irakische Regierung derzeit den Hauptgegner dar, irakische Truppeneinheiten sind ein bevorzugtes Angriffsziel.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands.

Es gibt derzeit landesweit etwa 240.000 irakische Soldaten und Polizisten.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Im Erkenntnismaterial besteht im Wesentlichen Übereinstimmung, dass zu dem Hauptziel der Anschläge die irakische Regierung und die irakischen Sicherheitskräfte gehören.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, zu den irakischen Sicherheitskräften; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 6.9.2005, zu den irakischen Sicherheitskräften; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, zu den Regierungsmitgliedern; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 9.6.2004, zu den neuen irakischen Sicherheitskräften; UNHCR, Hinweise von April 2005, zu den Mitarbeitern der irakischen Regierung und zu Polizisten; amnesty international, Jahresbericht 2006.

Diese Personen sind als Zielscheibe des Terrors einem erhöhten Risiko ausgesetzt, durch Bombenanschläge in dem Untergrundkampf umzukommen. Nach der Einschätzung von amnesty international sind alle Personen, die bei den multinationalen Streitkräften oder bei der irakischen Polizei angestellt sind, in Gefahr, gezielt bei der Arbeit oder in ihrer Freizeit als Kollaborateur ermordet zu werden.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005; amnesty international, Jahresbericht 2006.

Der Kläger gehört eindeutig nicht zu diesem erhöht gefährdeten Personenkreis.

Entsprechend dem dargelegten Ziel des bewaffneten Widerstandes, den Wiederaufbau im Irak zu verhindern, gehören zu den engeren Anschlagszielen über Regierung und Sicherheitskräfte hinaus die öffentlichen Personen des Wiederaufbaus.

Zu den exponierten Personen gehören nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe Personen der Öffentlichkeit wie Intellektuelle, Ärzte, Anwälte, Richter, Menschenrechtsaktivisten, führende Persönlichkeiten irakischer Parteien, religiöse Würdenträger, Medienschaffende und irakische Unternehmer.

Vgl. die insgesamt sehr umfangreiche Auflistung erhöht gefährdeter Personen des Wiederaufbaus in den Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 9.6.2004 und vom 15.6.2005.

Damit vergleichbar sind nach der Einschätzung von UNHCR insbesondere Personen gefährdet, die sich um den Wiederaufbau im Irak bemühen, wie über Regierungsmitglieder und Polizisten hinaus Richter, Rechtsanwälte, Intellektuelle, Ärzte und Journalisten.

UNHCR, Hinweise von April 2005 und Positionspapier von Oktober 2004.

Anschlagsziele sind nach der vergleichbaren Darlegung von amnesty international auch Angestellte des öffentlichen Dienstes, Regierungsbeamte, Richter und Journalisten.

amnesty international, Jahresbericht 2006.

Auch nach der Würdigung des Auswärtigen Amtes richten sich die Anschläge zunächst vor allem gegen Personen, die mit dem politischen oder wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes verbunden werden.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, in der Zusammenfassung; im Einzelnen werden insbesondere Anschläge auf Politiker, Journalisten und Professoren sowie Ärzte dargestellt.

Der Senat legt für seine Rechtsprechung die im Wesentlichen übereinstimmende Einschätzung des Auswärtigen Amtes, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von UNHCR zugrunde, dass die Anschläge insbesondere auch öffentlichen Personen des Wiederaufbaus im Irak gelten.

Zur terminologischen Klarstellung sei noch darauf hingewiesen, dass teilweise die Personen, die lediglich gegenwärtig am Wiederaufbau teilnehmen, schon deshalb ohne weiteren Vergangenheitsbezug als Kollaborateure angesehen werden (im Gegensatz zu den bereits dargestellten Seitenwechslern). So sind nach der Einstufung von amnesty international alle Personen, die derzeit bei den multinationalen Streitkräften oder bei der irakischen Polizei angestellt sind, in Gefahr, gezielt als Kollaborateur ermordet zu werden.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005; für Angestellte der multinationalen Streitkräfte nochmals amnesty international, Jahresbericht 2006.

In diesem weiten Sinn gebraucht auch der vom Kläger herangezogene Widerrufsbescheid vom 19.10.2004, S. 8 (Widerrufsakte Bl. 25) den Begriff Kollaborateur, wonach die anhaltenden Anschläge im Irak in aller Regel zielorientiert den multinationalen Truppen gelten, den irakischen Polizeistationen sowie der Kollaboration verdächtigten Repräsentanten irakischer Institutionen sowie ausländischen Zivileinrichtungen.

Dieser weit gefasste Begriff der Kollaboration knüpft allein an die gegenwärtige Wiederaufbaubeteiligung an.

Ähnlich Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 21.2.2006, wonach kooperations- und beteiligungswillige arabische Sunniten von den gewalttätigen Kräften als Kollaborateure angesehen werden.

Nach allem ist der Senat mit Blick auf die übereinstimmende Würdigung des Auswärtigen Amts, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von UNHCR der Auffassung, dass engere Anschlagsziele über Regierung und Sicherheitskräfte hinaus die öffentlichen Personen des Wiederaufbaus mit einer daraus folgenden erhöhten Gefährdung sind.

Zu dieser Personengruppe gehört der Kläger nicht. Er ist bezogen auf den gegenwärtigen Wiederaufbau des Irak schon wegen seiner über zehnjährigen Abwesenheit seit 1995 keine öffentliche Person des Wiederaufbaus. Mithin kann realistischerweise ausgeschlossen werden, dass der Kläger nach einer Rückkehr in den Irak als öffentliche Person des Wiederaufbaus und in diesem Sinn als Kollaborateur zu den engeren Anschlagszielen des bewaffneten irakischen Widerstands gehört.

Da der sunnitische Widerstand vor allem die schiitisch dominierte Regierung als Hauptgegner ansieht, gerät die schiitische Volksgruppe insgesamt in das Blickfeld des Widerstands und kommt es im Sinne von weiter gestreuten Zielen auch zu Selbstmordattentaten insbesondere in schiitischen Vierteln Bagdads, die überwiegend der schiitischen Volksgruppe gelten.

Vgl. zu einem solchen Attentat mit 140 getöteten Zivilpersonen amnesty international, Jahresbericht 2006, S. 209; zur internen Diskussion von Anschlägen auf Schiiten vgl. Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstandes.

Auf die Bedrohung der schiitischen Volksgruppe ist noch einzugehen.

Solche Anschläge bedeuten aber zugleich eine Gefahr für alle Zivilpersonen, die sich – auch als Nichtschiiten wie der Kläger – zufällig in einem solchen schiitischen Stadtviertel aufhalten.

Im Falle einer Rückkehr in den Irak ist der Kläger auch als Kurde der landesweiten Gefahr von Terroranschlägen letztlich ebenso ausgesetzt wie die Zivilbevölkerung des Irak, und zwar ohne hinreichenden Schutz der Sicherheitskräfte. Als allgemeine Gefahr für die gesamte Zivilbevölkerung wird die Anschlagswelle auch im Erkenntnismaterial gesehen.

Das Auswärtige Amt würdigt die Anschläge ausdrücklich als enorme allgemeine Bedrohung.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Das Deutsche Orient-Institut sieht dies ebenso. Die zahlreichen Anschläge gelten danach insbesondere Institutionen der irakischen Sicherheitskräfte, von ihnen sind aber alle Irakerinnen und Iraker bedroht; die Terroristen nehmen den Tod völlig Unbeteiligter massenhaft in Kauf.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 6.9.2005.

Nach der Feststellung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden Zivilisten oft Opfer, wenn das eigentliche Ziel Soldaten sind.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Gutachten vom 9.6.2004.

Nach der Würdigung des Auswärtigen Amtes trägt die weitgehend ungeschützte Zivilbevölkerung den Großteil der Opferlast.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Passanten werden regelmäßig Opfer von Gewalt.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Nach Darlegung von amnesty international kommen Zivilpersonen ums Leben bei Autobomben oder Anschlägen von Selbstmordattentätern, die an sich der irakischen Polizei, Regierungstruppen, Militärkonvois und Stützpunkten der multinationalen Truppen gelten.

amnesty international, Jahresbericht 2006.

Bei den Sprengstoffanschlägen werden nach Darlegung von UNHCR unbeteiligte zivile Opfer von den Akteuren bewusst in Kauf genommen.

UNHCR, Hinweise von April 2005.

Ein Minimum an Schutz der Zivilbevölkerung vor den Bombenanschlägen besteht nicht.

UNHCR, Position von September 2005.

Der Senat geht sodann auf die landesweite Anschlagsdichte ein.

Entsprechend der Betrachtungsweise, dass die Zivilbevölkerung insgesamt Opfer der Terroranschläge ist, enthält das Erkenntnismaterial summierte Zahlen über die zivilen Opfer für den gesamten Irak.

Die Anschlagsopfer unter den Sicherheitskräften einerseits und unter der Zivilbevölkerung andererseits werden im Erkenntnismaterial verglichen. Besonders hohe Verluste haben die irakischen Sicherheitskräfte mit – allein 2005 – 4300 getöteten Polizisten und Soldaten.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Amnesty international hat sowohl die Opfer unter den amerikanischen Soldaten als auch unter der Zivilbevölkerung landesweit konkret dargelegt.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Danach wurden durch die Anschläge 1.572 US-Soldaten getötet und 12.174 verletzt. Bei den Anschlägen kamen 2.300 Zivilisten ums Leben und die Anzahl der zivilen Opfer insgesamt wird zwischen 21.239 und 24.106 eingeschätzt. Das Auswärtige Amt gibt eine – pauschale - höhere Zahl von Opfern unter den Zivilisten zwischen 30.000 und 100.000 wieder.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Bezogen auf die Zivilbevölkerung des Irak ist zunächst mit Blick auf das Gewicht der Verfolgungshandlungen von dem schwersten asylerheblichen Eingriff der Anschläge mit Todesfolge auszugehen und die Anschlagsdichte festzustellen.

Die – jährlich wachsende - Bevölkerung des Irak beträgt rund 27 Millionen Menschen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die mehrjährigen Todesopfer unter der Zivilbevölkerung durch Massenanschläge gibt amnesty international mit über 2.300 Menschen an.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, dort S. 10.

Die Anschlagsdichte der tödlichen Anschläge beträgt mithin für die gesamte Zivilbevölkerung des Irak im Durchschnitt 1:12.000.

Nach dem schwerstmöglichen Eingriff der Tötung ist auf die Verletzungsgefahr durch Massenanschläge abzustellen. Dafür liegen sowohl konkrete Zahlen als auch pauschale Abschätzungen vor. Nach den konkreten Zahlen von amnesty international wurden landesweit zwischen 21.239 und 24.106 zivile Opfer durch Anschläge geschätzt.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, S. 10.

Auszugehen ist von der Maximalzahl von 24.106 Opfern. Bezogen auf die Verletzungsgefahr ist damit die Anschlagsdichte auf der Grundlage der Zahlen von amnesty international 1:1100.

Eine nochmals viermal höhere pauschale Schätzung für die zivilen Opfer gibt das Auswärtige Amt mit 30.000 bis 100.000 Opfern wieder.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, dort S. 15.

Nach den derzeitigen Zahlen wurden jeden Monat 3.000 Iraker verletzt oder getötet.

Süddeutsche Zeitung vom 4.9.2006, S. 1, unter Wiedergabe einer Analyse des amerikanischen Verteidigungsministeriums.

Das entspricht auf das Jahr bezogen rund 36.000 Anschlagsopfern.

Geht man von der noch höheren Schätzung des Auswärtigen Amtes von 100.000 Anschlagsopfern aus, ergibt sich als Höchstabschätzung eine landesweite Anschlagsdichte von 1:270.

Zahlen liegen auch für Bagdad vor, die einen Vergleich von Tötungsrate und Entführungsrate ermöglichen. So beträgt nach den Zahlen von amnesty international speziell die Tötungsrate in Bagdad, hier aber einschließlich der Kriminalität, 90 von 100.000 Einwohnern.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, dort S. 10; zu einer Gewalteskalation in Bagdad mit 1091 Tötungen im April 2006 vgl. Süddeutsche Zeitung von 11.5.2006, S. 7.

Auf dieser Grundlage besteht die Gefahr, in Bagdad durch Anschläge oder anschlagsunabhängig durch Kriminelle getötet zu werden, rund 1:1.100.

Ähnlich groß ist in Bagdad die Entführungsgefahr. Ausgehend von täglich 10 bis 15 meist kriminellen Entführungsfällen

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/005.OVG -, S. 15

ergeben sich bei täglich 15 Fällen im Jahr rund 5500 Entführungen und damit bezogen auf die 5-Millionen-Stadt eine Entführungsrate von rund 1:900.

Die Entführungsrate ist also der Tötungsrate vergleichbar.

Die dargelegten Zahlen belegen die äußerst problematische und manchmal eskalierende Sicherheitslage im Irak und die Gefahr der Zivilbevölkerung, durch einen Anschlag verletzt oder getötet oder entführt zu werden. Ein vollständiges Ausweichen vor den Anschlägen ist der Zivilbevölkerung des Irak landesweit nicht möglich, auch wenn im kurdisch verwalteten Nordirak die Anschlagsdichte insgesamt geringer ist.

Vgl. zu Letzterem übereinstimmend Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006 sowie Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, wonach die Sicherheitslage im Nordirak mit Ausnahme von wenigen Anschlägen stabil ist, und UNHCR, Position von September 2005, wonach deutlich weniger Gewalttaten verübt werden.

Mithin liegt eine allgemeine Gefahr für die Zivilbevölkerung vor, der sie landesweit nicht vollständig ausweichen kann. Es ist verständlich, dass der Kläger in ein solches Land nicht zurückkehren möchte, in dem er sich nach seinem persönlichen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung überdies als Ausländer fühlt.

Für den Widerruf entscheidend ist aber nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr, nicht einer allgemeinen Gefahr. Deshalb muss der Senat prüfen, ob sich die Gefahr zugunsten des Klägers rechtlich als Gruppenverfolgungsgefahr würdigen lässt.

Als Gruppenverfolgung kommt hier die private Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure, insbesondere den sunnitischen Untergrund, in Betracht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner neuen Rechtsprechung klargestellt, dass für die private Gruppenverfolgung grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie für eine staatliche Gruppenverfolgung gelten.

BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 – 1 C 15.05 -.

Diesem Maßstab schließt sich der Senat an.

Der Senat prüft im Folgenden als generelle Verfolgungsmuster im Irak nacheinander eine Gruppenverfolgung der Zivilbevölkerung und dann der großen Volksgruppen.

Die allgemeine Anschlagsgefahr kann zugunsten des Klägers nicht bereits als Gruppenverfolgung der Zivilbevölkerung des Irak insgesamt angesehen werden. Das ergibt sich sowohl aus dem erforderlichen Ausgrenzungsgesichtspunkt der Verfolgung als auch aus dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet die politische Verfolgung grundrechtlich eine Ausgrenzung durch intensive Rechtsverletzungen.

BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216, 231.

Die Zivilbevölkerung des Irak kann nicht im Ganzen aus dem irakischen Volk ausgegrenzt werden.

Das Europarecht führt mit Eindeutigkeit zu demselben Ergebnis. Nach Art. 10 I d der neuen als Auslegungshilfe heranziehbaren europäischen Qualifikationsrichtlinie muss eine verfolgte Gruppe eine deutlich abgegrenzte Identität haben und von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden. Dies scheidet bei der Zivilbevölkerung des Irak aus, denn für sie existiert keine sie umgebende Gesellschaft.

Weiterhin fehlt es selbst bei unterstellter Ausgrenzung an dem Merkmal der Verfolgungsdichte. Die Gruppenverfolgung bedeutet eine Regelvermutung der eigenen Verfolgung.

BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 – 1 C 15.05 -.

Eine Gruppenverfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein muss; die eigene bisherige Verschonung von ausgrenzenden Rechtsgutbeeinträchtigungen muss als eher zufällig anzusehen sein.

Zu diesen Merkmalen BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216-231 und 232.

Bei der Verfolgungsdichte ist sodann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwischen großen und kleinen Gruppen zu unterscheiden, da eine bestimmte absolute Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe als bedrohlich erweist, eine große Gruppe nicht im Ganzen bedroht.

BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158/94 -, zitiert nach Juris.

Als große Gruppe hat das Bundesverwaltungsgericht insbesondere eine Gruppe von knapp 2 Millionen Kosovo-Albanern sowie eine Gruppe von 4 Millionen Kurden in bestimmten Gebieten der Türkei angesehen, als kleine Gruppe insbesondere eine Gruppe syrisch-orthodoxer Christen in der Türkei von etwa 1.300 Personen.

Zu den großen Gruppen BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158/94 -; Urteil vom 30.4.1996 - 9 C 170/95 -; zu der kleinen Gruppe Beschluss vom 22.5.1996 - 9 B 136/96 -.

Bei der Zivilbevölkerung des Irak von 27 Millionen Menschen läge im Sinne der Rechtsprechung zur Verfolgungsdichte eine große Gruppe vor. Einen Anhaltspunkt für die erforderliche Verfolgungsdichte ergibt sich aus der dargelegten Verfassungsrechtsprechung, wonach die eigene bisherige Verschonung eher zufällig sein muss. Dies erfordert zwar nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit von Eingriffen, da auch eine qualitative Betrachtung erforderlich ist. Bezogen auf eine große Gruppe hat das Bundesverwaltungsgericht eine Verfolgungsdichte von etwa einem Drittel als im Ansatz ausreichend angesehen, die aber auf entsprechender Tatsachengrundlage belegt werden muss.

BVerwG, Urteil vom 30.4.1996 - 9 C 170/95 -, wonach der Ansatz des Berufungsgerichts von 1,5 Millionen Eingriffen gegenüber 4 Millionen Kurden mit Blick auf die erforderliche Verfolgungsdichte nicht beanstandet wird, wohl aber mit Blick auf die Belegung durch Tatsachenfeststellungen.

Die genaue Grenzziehung kann offen bleiben. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird die notwendige Verfolgungsdichte bei einer großen Gruppe allenfalls noch bei einer Verfolgungsdichte von 1:10 erreicht; dann könnte noch von einer Regelvermutung der eigenen Verfolgung gesprochen werden. Positiv gewendet überleben bei dieser Verfolgungsdichte 90 % der Mitglieder der großen Volksgruppe die Anschläge unverletzt. In diesem Fall kann es im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr als Zufall angesehen werden, dass ein einzelnes Mitglied der Volksgruppe unverletzt überlebt.

Die dargelegte Anschlagsdichte für die Zivilbevölkerung nach den konkreten Zahlen von amnesty international für Verletzungsopfer von 1:1100 und selbst nach den höheren pauschalen Zahlen des Auswärtigen Amtes von 1:270 wahrt einen sicheren Abstand von der kritischen Verfolgungsdichte von 1:10. Bei der festgestellten landesweiten Anschlagsdichte im Irak kann es ungeachtet der Furchtbarkeit der Einzelschicksale nicht mehr als bloßer Zufall angesehen werden, dass ein Gruppenmitglied bisher selbst von einem Anschlag verschont worden ist und im Irak unverletzt überlebt. Vielmehr ist es ein Zufall, selbst von einem Anschlag getroffen zu werden. Die Tötungs- und Entführungsgefahr ist wie dargelegt geringer als die Verletzungsgefahr. Bei einer qualitativen Wertung kann ausgeschlossen werden, dass entsprechend den Verfolgungsvoraussetzungen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die gesamte Zivilbevölkerung des Irak gezwungen wäre, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage ihr Land zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.

Zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216, 230.

Ungeachtet der landesweit ungewöhnlich hohen Anschlagszahlen im Irak und der problematischen Sicherheitslage besteht nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass jedes Mitglied der Zivilbevölkerung allenfalls noch zufällig ohne Entführung und unverletzt überleben kann, in eine ausweglose Lage gebracht wird und das Land verlassen muss.

Bei der Frage der Gruppenverfolgung ist nach der Zivilbevölkerung als größtmöglicher Gruppe auch die Aufgliederung des Irak in große Bevölkerungsgruppen als generelles Verfolgungsmuster in den Blick zu nehmen.

Die größte Bevölkerungsgruppe bilden die arabischen Schiitinnen und Schiiten, die rund 60 % bis 65 % der Bevölkerung ausmachen und vor allem im Südosten und Süden des Landes wohnen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe sind die arabischen Sunnitinnen und Sunniten mit etwa 17 bis 22 % der Bevölkerung und damit rund 5 Millionen, die ihren Schwerpunkt im Zentralirak und Westirak haben.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend ebenfalls sunnitischen Kurdinnen und Kurden machen mit 15 bis 20 % der Bevölkerung rund 5 Millionen aus.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

In Bagdad leben unterschiedliche Bevölkerungsgruppen teilweise in eigenen Vierteln.

Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005; amnesty international, Jahresbericht 2006 für schiitische Viertel.

Engeres Ziel der Anschläge des irakischen Widerstandes sind die irakischen Sicherheitskräfte, d.h. die irakischen Truppeneinheiten und die neue irakische Polizei. Der Truppen- und Polizeieinsatz der irakischen Sicherheitskräfte erfolgt landesweit. Da diese Sicherheitskräfte Zielscheibe des Terrors sind, erfolgen die Anschläge nach dem Erkenntnismaterial landesweit und sind nicht etwa auf den Zentralirak begrenzt.

Zu den landesweiten Anschlägen eingehend Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005, ebenfalls zu den landesweiten Anschlägen amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, zur Gefahr für jeden Iraker Deutsches Orient-Institut vom 6.9.2005.

Auch im Nordirak erfolgen Anschläge etwa auf Polizeirekruten.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005.

Ungeachtet der Binnenströme der Bevölkerung jeweils zu ihren eigenen Hochburgen

vgl. zu Binnenvertreibungen aus den Hochburgen anderer Bevölkerungsgruppen außerhalb Bagdads insbesondere Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; zu Binnenvertreibungen von 35.000 Menschen aufgrund des Anschlags auf die schiitische Moschee von Samarra Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

treffen bei einer Gesamtbetrachtung die landesweiten Bombenanschläge im Irak neben dem eigentlichen Ziel der irakischen Sicherheitskräfte auch immer die Zivilbevölkerung jedes Geschlechts und Alters in ihrer jeweiligen Volksgruppenprägung. Die Terroristen nehmen den Tod völlig unpolitisch-unbeteiligter Irakerinnen und Iraker massenhaft in Kauf, und Zivilpersonen werden oft Opfer, wenn das eigentliche Ziel Soldaten sind.

Amnesty international, Jahresbericht 2006; Deutsches Orient-Institut vom 6.9.2005 und Schweizerische Flüchtlingshilfe, Position vom 9.6.2004, UNHCR, Hinweise von April 2005.

Die Zivilbevölkerung trägt den Großteil der Opferlast der Anschläge.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Dieser Zusammenhang von Operationen gegen die irakischen Polizei- und Militärkräfte und gegen die Zivilbevölkerung ist auch dem bewaffneten irakischen Widerstand bewusst und führt dort zu Differenzen.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands.

Solange der Tod der unpolitisch-unbeteiligten Zivilbevölkerung massenhaft in Kauf genommen wird, ist jede Irakerin und jeder Iraker, ungeachtet der Religionszugehörigkeit, von diesen Anschlägen bedroht.

So überzeugend Deutsches Orient-Institut vom 6.9.2005.

Nach der demografischen Zusammensetzung des Irak sind rund 60 % der Bevölkerung Frauen – also etwa 17 Millionen – und 50 % der Bevölkerung – also etwa 13,5 Millionen – sind unter 18 Jahren alt.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die gewaltsamen Anschläge können gleichsam blind jeden treffen.

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.10.2003 - 1 LB 39/03 -.

Auch Kinder sind Opfer der Bombenanschläge.

Amnesty international, Jahresbericht 2006.

Bei dieser Sachlage fehlt es aber bei den Anschlägen an einer Ausgrenzung jedenfalls der großen Volksgruppen mit Ausnahme allenfalls der schiitischen Volksgruppe. Nach der Verfassungsrechtsprechung knüpft die Gruppenverfolgung an kollektive Merkmale einer Gruppe an.

BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216, 231.

Die dargelegten Terroranschläge, die eigentlich auf die Sicherheitskräfte und auf öffentliche Personen des Wiederaufbaus zielen, treffen wegen des Terrormittels der Bombenexplosionen je nach dem Wohnviertel immer auch die jeweilige unbeteiligte Zivilbevölkerung, in einem schiitischen Wohnviertel mithin vor allem Schiiten. Der Kampf des sunnitischen Widerstandes gegen die schiitisch dominierte Regierung kann allerdings auch die große schiitische Volksgruppe in den Blick nehmen und im Weiteren etwa auch schiitische Stadtviertel Bagdads einschließen.

Zur Vorgehensweise amnesty international, Jahresbericht 2006; zu den Widerstandszielen einschließlich der kontrovers diskutierten Anschläge auf Schiiten Le Monde diplomatique vom 12.5.2006.

Bei solchen Selbstmordanschlägen und Autobomben wird aber zugleich die unbeteiligte Zivilbevölkerung auch von Sunniten und Kurden mit betroffen.

Allenfalls bei Anschlägen in Form gezielter Erschießungen nach Kontrolle der Volkszugehörigkeit an Hand der Ausweise kann es vorkommen, dass bei demselben Attentat nach dem Gruppenmerkmal Schiiten getötet und Sunniten verschont werden.

Vgl. den in der NZZ vom 6.6.2006, S. 1, geschilderten Busüberfall mit der Erschießung von 24 Schiiten und der Verschonung von Sunniten; der Jahresbericht 2006 von amnesty international enthält nur einen allgemeinen, nicht konkretisierten Hinweis auf Anschläge wegen Zugehörigkeit zu religiösen oder ethnischen Gruppen.

Über derart gezielte Anschläge speziell nach dem Gruppenmerkmal der kurdischen Volkszugehörigkeit wird nicht berichtet. Vielmehr kann insofern nur auf arabisch-kurdische Spannungen in den – nicht unter kurdischer Verwaltung stehenden – multiethnischen Städten Mosul und Kirkuk hingewiesen werden, die sich insbesondere in Autobombenanschlägen zu Lasten der Zivilbevölkerung entladen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, wonach es in Kirkuk 2005 zu über 70 Autobombenanschlägen gekommen ist.

Davon abgesehen steht die kurdische Volksgruppe landesweit nicht derart im Blickfeld des sunnitischen Widerstands wie die schiitische Volksgruppe.

Die unmenschliche Anschlagswirklichkeit im Untergrundkampf wird durch die landesweiten Bombenanschläge insbesondere in Form von Selbstmordattentaten und Autobomben geprägt, die die Zivilbevölkerung insgesamt blind treffen. So wird die Wirkung der Anschläge ersichtlich auch im Erkenntnismaterial gesehen. Das Auswärtige Amt gliedert seine pauschale Schätzung der Opfer nicht nach Volksgruppen auf.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, und methodisch ebenso Lagebericht vom 24.11.2005.

Das Auswärtige Amt hält Passanten für regelmäßige Opfer der Gewalt und sieht den Großteil der Opferlast bei der Zivilbevölkerung.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die Organisation amnesty international gibt bei den Anschlägen die landesweite Zahl der zivilen Opfer wieder, gibt sie konkret mit 21.239 bis 24.106 an und gliedert sie ebenfalls nicht nach Bevölkerungsgruppen auf.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Das Auswärtige Amt berichtet über den Anschlag auf die schiitische Moschee in Samarra am 22.2.2006 und über Gegenanschläge auf sunnitische Moscheen und gibt die Opfer dieser konfessionell motivierten gegenseitigen Gewalt mit über 1000 Menschen an, gliedert sie aber nicht nach Schiiten und Sunniten auf.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Bezogen auf Volksgruppen als Anschlagsopfer referiert amnesty international einen konkreten Bombenanschlag auf vorwiegend Schiiten mit 114 getöteten Zivilpersonen, bezieht aber die landesweit aufsummierten Opferzahlen allein auf Zivilpersonen ohne Aufspaltung auf die Volksgruppen.

Vgl. zum Ersteren amnesty international, Jahresbericht 2006; zum Letzteren allgemeine Zahlen im Gutachten vom 16.8.2005.

Das Deutsche Orient-Institut hält wie dargelegt jede Irakerin und jeden Iraker ungeachtet seiner Religionszugehörigkeit durch die Anschläge der Terroristen für bedroht. Die Anschläge sind also weder auf den Zentralirak noch auf bestimmte Gruppen begrenzt.

Deutsches Orient-Institut vom 6.9.2005.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe sieht den Zusammenhang, dass irakische Zivilisten oft Opfer sind, wenn das eigentliche Ziel Soldaten sind; Zivilpersonen können bei Anschlägen nicht geschützt werden.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Position vom 9.6.2004.

Übereinstimmend damit ist auch die Sichtweise von UNHCR, wonach im Irak tägliche Attentate und Sprengstoffanschläge vor allem gegen Polizisten und Polizeirekruten sowie Mitarbeiter der Regierung verübt werden und unbeteiligte zivile Opfer dabei von den Akteuren bewusst in Kauf genommen werden.

UNHCR, Hinweise von April 2005, zu Opfern unter Christen UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Nach den dargelegten Kriterien der Gruppenverfolgung in der Verfassungsrechtsprechung und den Ausgrenzungskriterien des Europarechts kann schwerlich angenommen werden, alle großen Volksgruppen – Schiiten, Sunniten und Kurden – und damit insgesamt fast alle der 27 Millionen Iraker würden von dem Untergrundkrieg aus der umgebenden verbleibenden Gesellschaft ausgegrenzt. Insbesondere spricht nichts für eine Ausgrenzung der Kurden, und zwar weder landesweit noch für den Zentralirak. Am ehesten könnte eine Ausgrenzung der größten schiitischen Volksgruppe von rund 17 Millionen Irakern durch den sunnitisch geprägten Widerstand angenommen werden. Das rechtlich erforderliche Ausgrenzungsmerkmal spricht aber letztlich gegen eine Ausgrenzung der großen Volksgruppen.

Andererseits kann nach der zu beachtenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine tatsächlich stattfindende Gruppenverfolgung nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, auch andere Bevölkerungsgruppen oder Minderheiten würden in ähnlicher Weise drangsaliert.

BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 – 1 C 15.05 -.

Deshalb unterstellt der Senat landesweit eine Ausgrenzung der großen Bevölkerungsgruppen und geht auf den Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte ein. Die Anschlagsopfer sind also nunmehr auf diese Bevölkerungsgruppen zu beziehen.

Die mehrjährigen Todesopfer unter der Bevölkerung des Iraks durch Massenanschläge betragen wie dargelegt nach den zugrunde zu legenden konkreten Zahlen von amnesty international über 2.300 Menschen, die Verletzten maximal 24.106 Menschen.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Sie sind der Wiedergabe pauschaler Schätzungen durch das Auswärtige Amt vorzuziehen, die im Übrigen nicht zu einem qualitativ anderen Ergebnis führen würden und keine ausweglose Lage der großen Volksgruppen begründen könnten. Zugrunde zu legen sind nunmehr die konkreten Zahlen von amnesty international. Danach geht der Senat von einer unterstellten Maximalabschätzung aus, bei der die aufsummierten konkreten Anschlagsopfer im Irak nur jeweils einer Volksgruppe als Opfer zugerechnet werden. In Relation gesetzt werden die gesamten Anschlagszahlen jetzt nicht zu der Gesamtbevölkerung des Irak von 27 Millionen, sondern nacheinander zu den größeren Bevölkerungsgruppen der arabischen Schiiten mit rund 17 Millionen, der arabischen Sunniten mit rund 5 Millionen und der Kurden mit rund 5 Millionen.

Zunächst ist auf die Schiiten einzugehen.

Da das Erkenntnismaterial die Opfer der schiitischen Volksgruppe nicht konkret summiert, geht der Senat bei diesem Schritt der unterstellten Maximalbetrachtung davon aus, dass alle Anschläge im Irak den Schiiten gelten. Bei der schiitischen Volksgruppe als unterstelltem alleinigem Anschlagsziel ergäbe sich dann eine Anschlagsdichte mit tödlichen Opfern von durchschnittlich 1:7400. Für die Entführungsgefahr ist wie dargelegt von einer vergleichbaren Größenordnung wie für Tötungen wie dargelegt von 1:7400 auszugehen. Sodann ergäbe sich mit Blick auf die Zahl der verletzten zivilen Opfer nach amnesty international von 24.106 Menschen eine höhere Anschlagsdichte mit Verletzten von 1:700 für die Schiiten.

Unterstellt man als nächsten Schritt, dass alle Anschläge im Irak den rund 5 Millionen Sunniten gelten, ergibt sich eine Anschlagsdichte bei den Todesopfern von rund 1:2000, ähnlich hoch für Entführungen und bei den Verletzungsopfern von rund 1:200. Die gleichen Zahlen ergeben sich landesweit für die hier betroffene Volksgruppe der Kurden.

Eine derart große Anschlagsdichte bezogen auf eine einzige große Volksgruppe – insbesondere die Kurden – wie in der Maximalabschätzung des Senats wird soweit ersichtlich nirgends im Erkenntnismaterial angenommen. Im Erkenntnismaterial wird auch nicht – wie vom Kläger vorgeschlagen – eine allein auf den Zentralirak bezogene Gruppenverfolgung von Kurden angenommen. Entscheidend ist, dass selbst bei dieser unterstellten Maximalabschätzung die landesweite Anschlagsdichte im Sinne einer Anschlagsverletzung von Kurden nach den Zahlen von amnesty international äußerstenfalls 1:200 beträgt. Tötungs- und Entführungsgefahr sind geringer. Positiv gewendet bleiben bei dieser Anschlagsdichte 99,5 % aller Menschen der kurdischen Volksgruppe unverletzt. Selbst nach den pauschalen Zahlen des Auswärtigen Amtes würde die äußerste Anschlagsdichte 1:50 betragen; positiv gewendet würden immerhin 98 % der kurdischen Volksgruppe die Anschläge unverletzt überleben. Eine Regelvermutung der eigenen Verfolgung kann nicht aufgestellt werden. Die Angehören der kurdischen Volksgruppe überleben landesweit betrachtet in keinem Fall nur durch Zufall unverletzt und werden nicht in eine ausweglose Lage gebracht, in der sie das Land verlassen müssen.

Dasselbe gilt für die sunnitische und erst recht die schiitische Volksgruppe.

Unabhängig von der dargelegten Maximalabschätzung ist für die hier maßgebende Volksgruppe der Kurden konkret festzustellen, dass die gewaltsamen Auseinandersetzungen vor allem die Volksgruppen der arabischen Sunniten und der arabischen Schiiten untereinander betreffen; an diesen Auseinandersetzungen sind die sunnitischen Kurden jedenfalls nicht unmittelbar beteiligt.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -; zur Auseinandersetzung (nur) zwischen Sunniten und Schiiten Le Monde diplomatique vom 12.5.2006; vgl. auch den Jahresbericht 2006 von amnesty international, der für den Nordirak nur einzelne Menschenrechtsverletzungen auflistet, aber keine Gruppenverfolgung einer Volksgruppe.

Auch das Auswärtige Amt legt das Schwergewicht auf die Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen und sunnitischen Konfessionen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Lediglich die Mäßigungsaufrufe der schiitischen und sunnitischen religiösen Führer haben bisher den Ausbruch eines offenen Bürgerkriegs zwischen diesen Konfessionen verhindern können.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die Volksgruppe der Kurdinnen und Kurden ist mithin nicht Zielscheibe, sondern landesweit im Wesentlichen Zufallsopfer der Anschläge im Irak. Ausgehend davon ist die Anschlagsdichte für Kurden realistischerweise wesentlich geringer anzusetzen, als es der Maximalabschätzung des Senats mit 1:200 entspricht. Eine landesweite oder auf den Zentralirak bezogene Gruppenverfolgung der Kurden als großer Bevölkerungsgruppe von 5 Millionen Menschen wird im Erkenntnismaterial soweit ersichtlich nicht angenommen.

Nach dem dargelegten Ergebnis der Prüfung des Senats besteht für den Kläger als Gruppenmitglied der Kurden unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte landesweit keine Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Unabhängig von dieser landesweiten Betrachtung bejaht der Senat als selbstständige Entscheidungsgrundlage auch die Voraussetzungen einer Fluchtalternative des Klägers in den kurdisch verwalteten Nordirak, in dem seine Geburtsregion Sulaymania liegt.

Die Bejahung einer Fluchtalternative setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass die Zurückkehrenden am erreichbaren Ort der Fluchtalternative nach dem herabgestuften Prognosemaßstab hinreichend sicher vor politischer Verfolgung leben können und dass ihnen dort nach dem allgemeinen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch keine unzumutbaren Nachteile drohen, die an ihrem Herkunftsort so nicht bestünden.

BVerwG, zusammenfassend Beschluss vom 5.10.1999 - BVerwG 9 C 15.99 -.

Weiterhin muss dem Rückkehrer dort das wirtschaftliche Existenzminimum in dem Sinn zustehen, dass er nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann.

BVerwG, Beschluss vom 17.5.2006 – 1 B 101/05 -.

Diese Voraussetzungen sind hier insgesamt zu bejahen.

Die Sicherheitslage in dem kurdisch kontrollierten Nordirak ist nach der praktisch einheitlichen Einschätzung im Erkenntnismaterial bezogen auf Anschläge besser als im Irak insgesamt, insbesondere in Bagdad. Dies gilt zunächst nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005.

Anschläge auf besonders gefährdete Personengruppen wie etwa Polizeirekruten finden statt, insgesamt ist aber die Wahrscheinlichkeit, durch einen gegen Dritte gerichteten Anschlag getötet zu werden, im Nordirak geringer.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Für die kurdisch verwalteten Städte Arbil und Sulaimaniya referiert das Auswärtige Amt für das Jahr 2005 jeweils ein Attentat mit der Tötung von 50 beziehungsweise neun Menschen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, S. 17.

In dem hier maßgebenden kurdisch verwalteten Nordirak wird die Sicherheitslage auch im kritischen Erkenntnismaterial als insgesamt stabil betrachtet.

Nach Einschätzung von UNHCR ist die allgemeine politische Situation im kurdischen Nordirak durch ein gewisses Maß an Stabilität gekennzeichnet; es werden dort deutlich weniger Gewalttaten verübt.

UNHCR, Position von September 2005; zu den stabileren Verhältnissen auch UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Nach der Beurteilung von amnesty international ist die Sicherheitslage in den kurdischen Gebieten im Vergleich zu anderen Landesteilen relativ stabil.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Nach Darlegung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist die Sicherheitslage im kurdisch kontrollierten Nordirak mit Ausnahme von wenigen Anschlägen in Arbil und Dohuk stabil, wenn auch nicht voraussehbar, und ein engmaschiges Sicherheitsnetz von etwa 80.000 kurdischen Milizionären gewährleistet dort die Sicherheit.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Diese Milizen sollen nicht aufgelöst, sondern sollen staatliche Sicherheitskräfte werden.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann der Schutz bereits von nichtstaatlichen Organisationen ausgehen.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 -, S. 6 des Juris-Ausdrucks.

Nach allem ist die Verfolgung der kurdischen Volksgruppe im kurdisch verwalteten und durch kurdische Milizen gesicherten Nordteil des Landes unwahrscheinlich und zwar nach dem Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit.

Ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

Die hinreichende Verfolgungssicherheit des Klägers am Ort der Fluchtalternative im Nordirak ist mithin uneingeschränkt zu bejahen.

Der kurdisch verwaltete Nordirak ist auch abgesehen von dem möglichen Landweg von Bagdad aus unmittelbar - ohne Aufenthalt in Bagdad – auf dem Luftweg über Arbil (auch: Erbil) seit September 2005 erreichbar.

Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, zu einer Flugverbindung von Frankfurt nach Arbil/Nordirak, sowie zur Einreise durch die Türkei.

Damit lassen sich auch Bedenken von UNHCR gegen einen innerirakischen Wohnsitzwechsel auf dem Landweg wegen der Sicherheitslage ausräumen.

Zu diesen Bedenken UNHCR, Position von September 2005.

Weiterhin muss auch das Existenzminimum am Ort der Fluchtalternative einhaltbar sein.

Diesen Gesichtspunkt stellt der Kläger in seinem erstinstanzlichen Vortrag in Frage. Er trägt vor, es gelte der Grundsatz, dass Kurden im Nordirak nur dann über ein ausreichendes Existenzminimum verfügen könnten, wenn sie an die dortige Clan-Gesellschaft familiär angebunden seien. An einer solchen familiären oder sonstigen Bindung zum Nordirak fehle es hier, und ihm nütze es deshalb wenig, dass er zu früheren Zeiten militärische Daten des Regimes von Saddam Hussein an die Kurden verraten habe.

Das überzeugt so nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits nach den neuen politischen Verhältnissen die Fluchtalternative eines Kurden aus dem Zentralirak in den Nordirak bejaht einschließlich der Frage der Existenzsicherung, ohne dabei auf Familienanbindung abzustellen.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 - 1 C 23.02 -, dort mit Blick auf die Situation in Flüchtlingslagern und die Möglichkeit, für arbeitsfähige Männer einen Job zu bekommen.

Aus dem Erkenntnismaterial ergibt sich, dass für Rückkehrer sowohl die Aufnahme und Versorgung durch die Familie als auch Parteiverbindungen von erheblichem Vorteil für die die Existenzsicherung sind.

Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes können Rückkehrer im Irak auf Aufnahme und Versorgung durch Familie oder Stammesstrukturen und Sippe zählen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

UNHCR hält eine Einbindung in familiäre oder soziale Strukturen für erforderlich, allerdings nach dem – strengeren - Maßstab einer vollständigen Eingliederung, der das Maß des Existenzminimums übersteigt.

UNHCR, Position von September 2005.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe stellt auf mehrere Gesichtspunkte ab. Personen im Nordirak bedürfen danach zur Existenzsicherung eines sozialen Netzes.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Position vom 9.6.2004.

Personen ohne Parteiverbindungen haben Probleme bei der Eröffnung von Geschäften mit der kurdischen Verwaltung.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Nach der Einschätzung von amnesty international sind die wirtschaftlichen Existenzbedingungen im Nordirak nicht garantiert, vielmehr wird der Zugang zu großen Teilen des Arbeitsmarktes durch persönliche oder familiäre Beziehungen erleichtert beziehungsweise erst ermöglicht.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Daran gemessen mag der Kläger nach seinem Vortrag zwar keine gegenwärtigen familiären Bindungen zum Nordirak haben, immerhin hat er aber bei einer Gesamtbetrachtung eine Chance auf eine Arbeitsmöglichkeit, jedenfalls aber eine Existenzmöglichkeit. Der Kläger war ursprünglich in der Region Sulaymania im Nordirak beheimatet. Er kann seinen Geburtsort im Nordirak und damit ein gewisses Maß an Zugehörigkeit zum Nordirak durch seinen Ausweis jederzeit beweisen. Zwar muss seine vorgetragene Unterstützungstätigkeit für die kurdische Partei PUK, der auch der Staatspräsident Talabani angehört, gänzlich außer Betracht bleiben, da sie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestritten worden ist und der plausible Verfolgungsvortrag des Klägers jedenfalls nicht erwiesen ist. Eine Unterstellung zu Lasten des Klägers scheidet aus.

Zugunsten des Klägers spricht aber weiter, dass der unstreitig erlernte Beruf eines Kraftfahrzeug-Mechanikers wenn auch nach Anfangsschwierigkeiten eine nützliche Tätigkeit ist und damit bei realistischer Betrachtung nach Anfangsschwierigkeiten eine Existenz ermöglicht.

Vor allem muss mit Blick auf die Existenzsicherheit berücksichtigt werden, dass 96 % aller irakischen Haushalte Lebensmittelhilfe beziehen.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, dort ohne eine Einschränkung für den Nordirak; nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2006 stammt ein wesentlicher Teil der Lebensmittelrationen, nämlich für 60 % der Bevölkerung, aus einem Programm der Vereinten Nationen.

Nach der Einschätzung des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien ist im Nordirak trotz einer prekären wirtschaftlichen Lage insgesamt mit einem Rutschen unterhalb des Existenzminimums derzeit eher selten zu rechnen.

Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Gutachten vom 6.3.2006.

Da der Kläger zumindest positive Gesichtspunkte für eine Berufstätigkeit aufzuweisen hat, spricht kein vernünftiger Grund dafür, dass er entgegen der allgemeinen Lage im Nordirak unter das Existenzminimum abrutschen wird. Mithin ist davon auszugehen, dass der Kläger nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige im Nordirak erlangen kann.

Weiterhin setzt die innerstaatliche Fluchtalternative nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass dem Kläger an dem Ort der Fluchtalternative keine anderen unzumutbaren Nachteile mit asylerheblicher Intensität drohen, die an seinem Herkunftsort im Sinne des Ausreiseortes so nicht bestünden. Im Nordirak dürfen mithin keine unzumutbaren Nachteile für den Kläger bestehen, die so in Bagdad nicht bestehen würden. Auch dies ist zu bejahen.

Nach Einschätzung von UNHCR heben sich die Lebensbedingungen im Nordirak positiv gegenüber denen im übrigen Staatsgebiet ab.

UNHCR, Position von Oktober 2004.

Das Auswärtige Amt kommt zu derselben Beurteilung wie UNHCR.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Auch die Schweizerischen Flüchtlingshilfe zieht eine positive Gesamtbilanz für den Nordirak: Die Sicherheitslage und sozioökonomische Situation im Nordirak stellen sich danach besser dar als in den übrigen Landesteilen.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Position vom 9.6.2004.

Das Europäische Zentrum für Kurdische Studien würdigt einen Wechsel von dem Zentralirak in den Nordirak insgesamt positiv.

Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Gutachten vom 6.3.2006, dort sogar für die hier nicht zur Entscheidung stehende sehr kleine Gruppe der Mandäer.

Nach allem ist der Kläger bei einer Fluchtalternative in den Nordirak keinen unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt, denen er nicht bereits in seinem Ausreiseort Bagdad ausgesetzt wäre.

Im Ergebnis sind damit alle Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative in den kurdisch verwalteten Nordirak nach den Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts zu bejahen.

Im Rahmen der hier maßgebenden Prüfung der Widerrufsentscheidung ist der Kläger vor erneuter Verfolgung landesweit aus denselben Verfolgungsgründen hinreichend sicher und andersartige Verfolgungsmaßnahmen drohen ihm landesweit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit; unabhängig davon besitzt er mit hinreichender Verfolgungssicherheit die inländische Fluchtalternative in den Nordirak, die für ihn vorzugswürdig ist. Beide Gesichtspunkte führen unabhängig voneinander zur Verneinung der asylerheblichen Verfolgungsgefahr.

Dagegen kommt es, wie noch einmal hervorzuheben ist, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, hier nicht auf einen effektiven Schutz vor allgemeinen Gefahren wie Krieg, Naturkatastrophen oder schlechte Wirtschaftslage oder eine stabile Schutzmacht an.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; Beschluss vom 26.1.2006 – 1 B 135/05 -.

Der Untergrundkrieg des sunnitischen Widerstands steht damit dem Widerruf rechtlich nicht entgegen.

Damit ist der materielle Teil des Widerrufstatbestandes des § 73 I 1 AsylVfG erfüllt.

Indessen muss in diesem Fall die materielle Ausnahmevorschrift des § 73 3 AsylVfG geprüft werden, die nach der Normstruktur zu einem Absehen von dem Widerruf führt. Vorausgesetzt wird dafür, dass sich der Ausländer

auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Inhaltlich entspricht diese deutsche Regelung der entsprechenden Ausnahmevorschrift für den Widerruf in Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GFK, wonach der Widerruf auf einen Flüchtling keine Anwendung findet,

der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Dagegen enthält die als Auslegungsmaßstab zu beachtende Wegfallklausel in Art. 11 der Europäischen Qualifikationsrichtlinie keine Ausnahmevorschrift von einem Widerruf. Diese für den Flüchtling ungünstige europäische Regelung hat aber keinen entscheidenden Einfluss auf die Auslegung der günstigeren deutschen Regelung, da die EU-Richtlinie nach Art. 1 lediglich Mindestnormen zugunsten der Flüchtlinge enthält und die Mitgliedstaaten nach Art. 3 der EU-Richtlinie grundsätzlich günstigere Normen zur Flüchtlingseigenschaft beibehalten können.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die dargelegte Ausnahmevorschrift in seinem Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 - unter ausdrücklicher Beachtung des völkerrechtlichen Zusammenhangs mit der Genfer Flüchtlingskonvention dahingehend ausgelegt, sie enthalte eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft. Sie schütze weder vor allgemeinen Gefahren noch könne sie nach allgemeinen Zumutbarkeitskriterien ausgelegt werden. Vielmehr trage sie nach ihrer historischen Entstehung der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hätten und denen es deshalb selbst lange Zeit danach - auch ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar sei, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren. Bei der Schaffung von Art. 1 c Nr. 5 Satz 2 GFK hatten danach die beteiligten Staaten das Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland vor Augen gehabt.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, Juris-Ausdruck, S. 12.

Der Senat stimmt dieser Rechtsprechung zu.

Dieser Auslegung haben sich sowohl der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg als auch das OVG Münster in neueren Entscheidungen angeschlossen.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Auch Renner, den der Kläger für eine weiter gehende Auslegung im Sinne einer aktuellen Existenzsicherung zitiert, handelt zwar eingehend die Auslegungsmöglichkeiten ab, schließt sich aber abschließend der Auffassung an, es werde den besonderen Belastungen schwer Verfolgter Rechnung getragen.

Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 73 AsylVfG, Rdnrn. 10 bis 12 sowie abschließend Rdnr. 13.

Auch Marx stellt auf eine besonders schwere, nachhaltig wirkende Verfolgung ab und sieht einen Unzumutbarkeitsfall etwa darin, dass der Verfolgte vor der Ausreise Jahre lang inhaftiert gewesen und dadurch physisch zerstört ist.

Marx, Asylverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2005, § 73 Rdnrn. 127 und 135.

Ein solch fortwirkend schweres Schicksal, insbesondere eine langjährige Inhaftierung, hat der Kläger bei seiner Erstanhörung vom 13.12.1995 nicht vorgetragen und auch im Verwaltungsgerichtsprozess einschließlich der mündlichen Verhandlung ein derartiges Schicksal nicht behauptet.

Bei seiner Anhörung im Widerrufsverfahren hat der Kläger mit Schreiben vom 29.9.2004 (Widerrufsakte Bl. 13/14) die Anwendung dieser Vorschrift auf sich bejaht und dazu die Rechtsmeinung zugrunde gelegt, es genüge, wenn dem früher Verfolgten nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland eine Rückkehr in das Heimatland aus aktuellen Gründen der wirtschaftlichen Existenzsicherung nicht mehr zugemutet werden könne. Soweit er für seine Auffassung die Kommentierung von Renner in Anspruch nimmt, trifft dies wie dargelegt nicht zu. Entscheidend ist aber, dass die Auslegung des Klägers der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Sinn der Ausnahmevorschrift eindeutig widerspricht. Nach der Ausnahmevorschrift kommt es nicht auf allgemeine Zumutbarkeitskriterien an wie hier den geltend gemachten langen Aufenthalt in Deutschland und auf Existenzsicherungsprobleme. Die Ausnahmevorschrift greift zu seinen Gunsten nicht ein. Mithin ist ohne Ermessensspielraum nach § 73 I 1 AsylVfG der Widerruf zwingend auszusprechen.

Materiell ist der Widerrufsbescheid nach dem Prüfungsergebnis des Senats rechtmäßig.

Die angefochtene Widerrufsentscheidung des Bundesamts ist auch in verwaltungsverfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Ob der Widerruf unverzüglich erfolgt ist, wie § 73 I 1 AsylVfG es verlangt, bedarf keiner Entscheidung, da das Gebot des unverzüglichen Widerrufs ausschließlich öffentliche Interessen schützt, so dass ein Verstoß hiergegen keine subjektiven Rechte des betroffenen Ausländers verletzen kann.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Unabhängig davon war das Abwarten des Bundesamtes von rund anderthalb Jahren nach dem Kriegsende sinnvoll, um den Machtwechsel im Irak als hinreichend gefestigt zu beurteilen, und deshalb auch noch unverzüglich.

Weiterhin ist aus dem mit Wirkung vom 1.1.2005 eingeführten mehrstufigen Prüfungsverfahren nach § 73 II a AsylVfG kein Rechtsfehler herzuleiten. § 73 II a Satz 1 AsylVfG lautet:

Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 1 oder eine Rücknahme nach Absatz 2 vorliegen, hat spätestens nach Ablauf von 3 Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen (gemeint ist die Anerkennungsentscheidung).

Bei der neu eingeführten Dreijahresfrist handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um einen in die Zukunft gerichteten Prüfungsauftrag an das Bundesamt.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; zustimmend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Wegen der Zukunftsgerichtetheit des Prüfungsauftrags hat eine Prüfung vorhandener Anerkennungsfälle spätestens bis zum 1.1.2008 zu erfolgen.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Der hier zur Prüfung anstehende Widerrufsbescheid der Flüchtlingsanerkennung von 1996 ist am 19.10.2004 ergangen und damit noch vor dem Inkrafttreten des gesetzgeberischen Prüfungsauftrags am 1.1.2005. An einer rückwirkenden Einführung des Verfahrens durch eine entsprechende Übergangsvorschrift fehlt es hier.

BVerwG, Urteil vom 1.12.2005 - 1 C 21/04 -.

Damit ist die dreijährige Prüfungsfrist im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

Keiner Entscheidung bedarf die Frage, ob verwaltungsverfahrensrechtlich die Jahresfrist nach § 49 II 2, § 48 IV VwVfG auch bei Widerrufsverfügungen nach § 73 I 1 VwVfG zu beachten ist.

Offen gelassen in dem Urteil des BVerwG vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Denn die Jahresfrist beginnt frühestens nach Anhörung des Klägers mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme zu laufen, und zwar mit dem behördlichen Anhörungsschreiben.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Danach ist die Einjahresfrist, sofern sie anwendbar ist, hier eingehalten. Die Anhörungsverfügung der Behörde datiert vom 2.9.2004 (Widerrufsakte Bl. 7) und der Widerrufsbescheid erging am 19.10.2004 (Widerrufsakte Bl. 18).

Nach dem Prüfungsergebnis des Senats ist mithin der Widerrufsbescheid weder materiellrechtlich noch verfahrensrechtlich zu beanstanden. Er ist insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der als Hauptantrag gestellte Aufhebungsantrag des Klägers hat mithin auch im Rahmen des Berufungsverfahrens keinen Erfolg.

II.

Auch hinsichtlich des Hilfsantrags hat die Berufung keinen Erfolg.

Der Kläger hat nicht den gegen die Beklagte hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses mit Blick auf konkrete Gefahren nach § 60 II bis VII AufenthG.

Der Kläger ist weder der konkreten Gefahr der Folter (§ 60 II AufenthG) noch der Todesstrafe (§ 60 III AufenthG) oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (§ 60 V AufenthG) ausgesetzt.

Der vom Gesetzgeber verwendete Maßstab der konkreten Gefahr (vgl. § 60 II, 60 VII 1 AufenthG) ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 53 AuslG bereits geklärt. Danach ist für die Feststellung der Gefahr der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit maßgebend, ohne eine Herabstufung für Vorverfolgte, da die Gefahren hier außerhalb des Verfolgungstatbestandes betrachtet werden.

BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324-330.

Einzubeziehen in die Gefahr sind nunmehr auch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 I 4 c AufenthG. Die Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure auch in konkrete Gefahren nach § 60 II ff. AufenthG ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der deutschen gesetzlichen Regelung. Indessen folgt sie aus der für die Auslegung zu beachtenden Vorwirkung von Art. 6 der europäischen Qualifikationsrichtlinie, der die Einbeziehung der nichtstaatlichen Akteure gleichmäßig sowohl für die Verfolgung als auch für den ernsthaften Schaden und mit Letzterem die konkrete Gefahr im Sinne des deutschen Rechts fordert.

So überzeugend Renner, § 60 AufenthG Rdnr. 36; offen gelassen im Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -.

Dem Kläger droht hier weder von staatlicher noch von nichtstaatlicher Seite die konkrete Gefahr der Folter. Der Senat hat bereits im Rahmen des Widerrufssachverhalts dargelegt, dass der Kläger hinreichend sicher ist vor individuellen Racheakten mit Blick auf seine indirekte Unterstützung der kurdischen Kämpfe im Jahr 1995; dies gilt erst recht für einen zugespitzten Racheakt in Form der Folter, für den sich eine konkrete Gefahr – mit überdies beachtlicher Wahrscheinlichkeit - nicht herleiten lässt. Das Gleiche gilt für die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.

Für die Gefahr der Verhängung der Todesstrafe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure fehlt es gänzlich an einem Anhaltspunkt; der Kläger hat die Gefahr der Todesstrafe auch selbst nicht behauptet.

Sodann fehlt es an der zwischen den Beteiligten streitigen allgemeinen Extremgefahr nach § 60 VII AufenthG.

Der Kläger stützt sich in seiner Berufungsbegründung und in der mündlichen Verhandlung auf eine extreme allgemeine Gefährdungslage im Irak. Er beruft sich dabei insbesondere auf die landesweite Gefahr von Terroranschlägen auf die Zivilbevölkerung; gehe man davon aus, dass sich der Irak im Bürgerkrieg befinde oder jedenfalls ein Krieg von niedriger Intensität stattfinde, müsse man auch vom Bestehen einer extremen allgemeinen Gefährdungslage im Sinne von § 60 VII AufenthG ausgehen.

Mit Blick auf die vorgetragene landesweite Extremgefahr hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses in verfassungskonformer Anwendung des § 60 VII AufenthG.

§ 60 VII 2 AufenthG verweist für Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist, auf einen allgemeinen ausländerbehördlichen Abschiebungsstopp nach § 60 a I 1 AufenthG als Schutz des Ausländers. Dies führt aber hier nicht weiter, da nach der Auskunft des Saarländischen Innenministeriums vom 26.5.2006 (Gerichtsakte Bl. 104) im Saarland derzeit keine behördliche Regelung zur Aussetzung von Abschiebungen in den Irak besteht. Die in anderen Bundesländern bestehenden Abschiebestoppregelungen beruhen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darauf, dass bis vor kurzem die Flugverbindungen unterbrochen waren und noch derzeit kein Rücknahmeabkommen mit dem Irak besteht.

BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 – 1 C 14.09 -.

Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz von Ausländern vor Extremgefahren ist in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

Eingehend Urteil des BVerwG vom 12.7.2001 - 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379, 384 bis 386, dort für die inhaltsgleiche Vorgängerregelung des § 53 VI AuslG.

Nach dieser Rechtsprechung kommt es sowohl auf die rechtliche als auch die tatsächliche Schutzbedürftigkeit des Ausländers an.

Was zunächst die Frage der rechtlichen Schutzbedürftigkeit angeht, ist eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 VII AufenthG nur dann geboten, wenn der einzelne Asylbewerber sonst schutzlos bliebe. Ein Schutz vor einer extremen Gefahrenlage kann zum einen durch einen allgemein ausländerbehördlichen Abschiebungsstopp im Sinne einer Duldung bestehen, an dem es aber hier im Saarland fehlt. Es genügt aber nach dieser Rechtsprechung auch ein anderer gleichwertiger Schutztitel vor Abschiebung, wenn dieser tatsächlich besteht. So genügt es, wenn der Ausländer im entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung oder mindestens einer Duldung ist, die vom Asylverfahren unabhängig erteilt worden ist. Ein solcher Aufenthaltstitel muss indessen bestehen, nicht genügend sind unentschiedene Duldungsansprüche. Davon ausgehend lässt der VGH Baden-Württemberg eine Aufenthaltserlaubnis nach neuem Recht zum Schutz des Ausländers genügen.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -, der aber diesen Schutz in bedenklicher Weise sogar auf eine widerrufene Aufenthaltserlaubnis wegen des Suspensiveffekts erstreckt, was der vom Bundesverwaltungsgericht verworfenen Schwebelage entspricht.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Kläger besitzt nach der Ausländerakte seit dem 18.11.2004 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis ursprünglich nach § 35 AuslG, nach neuem Recht nach § 26 AufenthG. Darüber hinaus hat die Ausländerbehörde, die Landeshauptstadt A-Stadt, bereits mit Schreiben vom 2.9.2004 in Kenntnis des Widerrufverfahrens erklärt, es sei auch bei einem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung momentan nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen. Angesichts der langjährigen Integration des Klägers in Deutschland ist dies auch vernünftig. Mithin ist der Kläger derzeit noch im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, wie die Stadt A-Stadt nochmals mit Schreiben vom 13.9.2006 bestätigt hat, und damit nicht schutzlos.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat ein Anspruch auf Feststellung des Abschiebungshindernisses der Extremgefahr nur dann Erfolg, wenn rechtliche und tatsächliche Schutzbedürftigkeit vorliegt.

BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379 - 385.

Das Gericht ist nicht gehindert im Sinne selbständiger Entscheidungsgrundlagen festzustellen, dass unabhängig voneinander hinreichender rechtlicher Schutz vor Abschiebung vorhanden ist und eine extreme Gefahrenlage nicht besteht.

So ist das OVG Münster vorgegangen in seinem Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

So liegt der Fall hier. Zum einen besitzt der Kläger wie dargelegt einen unwiderrufenen Schutztitel. Zum anderen ist aber auch eine Extremgefahr im Irak zu verneinen.

Ebenso OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Bei der erforderlichen Prüfung einer Extremgefahr ist zunächst der Prognosemaßstab klarzustellen. Maßgebend ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der allgemeine Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der auch bei Vorverfolgung nicht herabgestuft wird.

BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 - 330.

Inhaltlich hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung den Rechtsbegriff der Extremgefahr mit der Formulierung geprägt, es müsse vermieden werden, dass der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde.

BVerwG, Urteil vom 16.6.2004 - BVerwG 1 C 27.03 -; BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 5.01 -; BVerwG, Beschluss vom 26.1.1999 - BVerwG 9 B 617.98 -; BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -; BVerwG, Urteil vom 2.9.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -; BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -.

In zeitlicher Hinsicht muss sich die Extremgefahr nicht sofort nach Rückkehr in den Heimatstaat, sondern bald verwirklichen.

BVerwG, Beschluss vom 26.1.1999 - BVerwG 9 B 617.98 -.

Im Gegensatz zu der sicher verständlichen – in der mündlichen Verhandlung erörterten - Rechtsansicht des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung die Extremgefahr nicht bereits an die Existenz eines Bürgerkriegs geknüpft, sondern an qualifizierte Voraussetzungen. Folglich würde die vom Kläger erstrebte Bejahung eines Bürgerkriegs nicht schon die Extremgefahr begründen. Auch das vom Senat bejahte Vorliegen eines Untergrundkriegs begründet nicht automatisch eine Extremgefahr.

In den beurteilten Bürgerkriegsfällen hat das Bundesverwaltungsgericht die Extremgefahr konkret dann bejaht, wenn die Bürgerkriegskämpfe bereits am Ankunftsort stattfinden und sich der Ausländer ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes mithin nicht entziehen kann.

BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -; BVerwG, Urteil vom 2.9.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -.

So hat das Bundesverwaltungsgericht die konkrete Bürgerkriegssituation in Afghanistan im Jahr 1995 als Extremgefahr für Rückkehrer anerkannt. Dort war eine Abschiebung nur über den Flughafen Kabul möglich, der Bürgerkrieg tobte aber nach den seinerzeitigen Tatsachenfeststellungen hauptsächlich im Bereich dieser Stadt, die größere Teile der Bevölkerung bereits wegen der unerträglichen Lebensverhältnisse verlassen hatten.

BVerwG, Urteil vom 17.1.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 - 330.

Eine Extremgefahr hat das Bundesverwaltungsgericht weiter für die konkrete Bürgerkriegssituation 1997 in Somalia bejaht. Dort kam nur eine Abschiebung über den Flughafen in Mogadischu in Betracht. Nach den zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen wäre der dortige Kläger bei einer Abschiebung über den Flughafen von Mogadischu in die dort besonders heftigen Kämpfe hineingeraten; er wäre sehenden Auges der extremen Gefahr ausgesetzt worden, entweder am Flughafen sofort getötet oder schwer verletzt zu werden oder in Mogadischu an Hunger oder Krankheit zu sterben, ohne überhaupt noch sichere Landesteile erreichen zu können.

BVerwG, Urteil vom 2.9.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -.

Weiterhin hat das Bundesverwaltungsgericht ergänzend zu der Bürgerkriegsrechtsprechung in zwei Afghanistan betreffenden Fällen eine Extremgefahr bejaht, da der Ausländer dort dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert worden wäre.

BVerwG, Beschluss vom 26.1.1999 - BVerwG 9 B 617.98 - sowie Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 2.01 -, wobei im letzteren Fall die Gefahr eines sicheren Hungertodes zwar bejaht wurde, die dortige Klägerin aber anderweitigen Abschiebungsschutz besaß.

Bezogen auf Armenien hat das Bundesverwaltungsgericht eine Extremgefahr verneint, wenn eine katastrophale wirtschaftliche und soziale Situation mit Obdachlosigkeit, Unterernährung und unzureichender medizinischer Versorgung vorliegt, den Rückkehrer aber nicht der sichere Tod oder schwerste Beeinträchtigungen alsbald nach seiner Ankunft erwarten.

BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -.

Auch desolate hygienische Verhältnisse und ein praktisch kaum leistungsfähiges Gesundheitssystem in Angola mit hoher statistischer Kindersterblichkeit reichen als Extremgefahr nicht aus, soweit die betroffenen Rückkehrer nicht nach tragfähiger Feststellung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden.

BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 5.01 -.

Weiterhin begründen besondere existenzielle Schwierigkeiten in Nigeria für eine allein stehende Mutter keine Extremgefahr, solange die Klägerin nicht gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde.

BVerwG, Urteil vom 16.6.2004 - 1 C 27.03 -.

Aufgrund der dargelegten Rechtsprechung zu Bürgerkriegs- und Hungerfällen ist die landesweite Situation im Irak mit Blick auf eine allgemeine Extremgefahr im Einzelnen zu würdigen.

Auszugehen ist nach praktisch allgemeiner Ansicht von einer instabilen, manchmal eskalierenden Sicherheitslage mit täglich etwa 100 terroristischen Anschlägen.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006 im Sinne eines Tiefpunkts der Sicherheitslage; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, dort betreffend die allgemeine Sicherheitslage; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005, dort zur allgemeinen Sicherheitslage; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; UNHCR, Hinweise von April 2005; sowie UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006; zum bewaffneten Widerstand auch Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands; zur Gewaltwelle gegen Zivilisten NZZ vom 6.6.2006, Seite 1.

Der Kläger sieht die Situation übereinstimmend mit einer dargelegten Äußerung des Politikers Allawi vom 19.3.2006 im Deutschlandfunk so, dass sich das Land im Bürgerkrieg befinde, zumindest aber ein Krieg von niedriger Intensität stattfinde. Der seinerzeitige Interimsministerpräsident Allawi war am 17.4.2005 selbst einem Attentat nur knapp entgangen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005.

Die Situation im Irak würdigt der Senat nicht als einen offenen Bürgerkrieg, sondern einen Untergrundkrieg durch tägliche Bombenanschläge. Er kommt damit der Beurteilung des Klägers nahe.

Die nichtstaatlichen Akteure bleiben im Verborgenen; ein Bürgerkrieg mit offenen Frontlinien besteht nicht. Das Erkenntnismaterial ist – auch mit Blick auf kritische Organisationen – zurückhaltend und nimmt einen offenen Bürgerkrieg derzeit nicht an.

Das Auswärtige Amt kommt der Auffassung des Klägers wie der Senat nahe. Es verneint einen offenen Bürgerkrieg, sieht aber eine Annäherung an offene bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen und sunnitischen Konfessionen im Anschluss an den Anschlag vom 22.2.2006 auf das schiitische Heiligtum in Samarra.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, S. 19/20.

UNHCR sieht einen teilweise gewaltsam ausgetragenen Machtkampf im Irak.

UNHCR, Hinweise von April 2005; ähnlich Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Auch amnesty international spricht von einem teilweise gewaltsamen ausgetragenen Machtkampf und in einer neueren Beurteilung zurückhaltend von der anhaltend unsicheren Lage.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005; sowie zur neueren Beurteilung amnesty international, Jahresbericht 2006.

Das Deutsche Orient-Institut sieht die Sicherheitslage im Sinne eines Untergrundkampfes.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005.

Dies spricht für die vom Senat vorgenommene Einordnung als Untergrundkrieg.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe würdigt die Sicherheitslage dahingehend, der bewaffnete Widerstand versuche unvermindert, den politischen Wiederaufbau mit Bomben- und Mordkampagnen zu hintertreiben und alle Aktivitäten zur Anstachelung eines offenen Bürgerkrieges hielten an.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Die Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe bedeutet, dass die Gefahr eines offenen Bürgerkrieges gesehen, ein tatsächlicher offener Bürgerkrieg aber nicht angenommen wird.

Der bewaffnete Widerstand im Irak ist seit der von ihm verlorenen Schlacht um Falludscha im November 2004 zu dem Ergebnis gekommen, dass er angesichts der Übermacht der US-Truppen nicht mehr bestimmte Gebiete verteidigen kann, vielmehr soll mit einer flexiblen Taktik der Anschläge der Wiederaufbau des Landes nachhaltig gestört werden.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstandes.

In Falludscha kam es im Frühjahr und im Herbst 2004 zu offenen Kämpfen zwischen den US-Streitkräften und den Aufständischen; im November 2004 floh ein Großteil der Zivilbevölkerung der 250.000 Einwohner von Falludscha.

Auswärtiges Amt, Lagebericht 24.11.2005.

Für die dargelegte Situation in Falludscha selbst waren die qualifizierten Voraussetzungen einer bürgerkriegsbezogenen Extremgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfüllt. Die Kämpfe hatten nämlich ein Ausmaß erreicht, dass größere Teile der Bevölkerung die Stadt verlassen mussten.

Vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -.

Die dargelegten seinerzeitigen Verhältnisse in Falludscha 2004 entsprechen aber nicht der jetzigen landesweiten Gewaltsituation im Irak, insbesondere nicht bei einer Betrachtung des Luftweges an den Ankunftsorten, der 5-Millionen-Stadt Bagdad in Zentralirak oder der Stadt Arbil (Erbil) im kurdisch verwalteten Nordirak. Insgesamt sind ausgedehnte offene Kampfhandlungen zwischenzeitlich landesweit zurückgegangen.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -; zum Kampf des Widerstandes im Verborgenen OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG; vgl. noch zu einem Luftangriff auf die sunnitische Hochburg al-Ramadi amnesty international, Jahresbericht 2006.

Ungeachtet der täglichen Bombenanschläge gerade auch in schiitischen Stadtvierteln ist in Bagdad nach Auswertung des Erkenntnismaterials klar erkennbar nicht eine Lage entstanden, in der größere Teile der Bevölkerung die 5-Millionen-Stadt verlassen haben. Es kann also nicht festgestellt werden, dass eine Rückkehr nach Bagdad eine Irakerin oder einen Iraker sehenden Auges dem baldigen sicheren Tod oder schwersten Verletzungen überliefern würde. Dies gilt, wie ausdrücklich klarzustellen ist, nach der eindeutigen Gefahrenformel unabhängig davon, ob ein Bürgerkrieg, eine bürgerkriegsähnliche Situation oder wie hier ein Untergrundkrieg von dem Gericht angenommen wird.

Hinzu kommt, dass Bagdad nicht die einzige Einreisemöglichkeit ist und für Kurden sich eine Einreise in den Irak wie dargelegt auf dem Luftweg über Arbil (Erbil) anbietet. Nach der Einschätzung von amnesty international ist die Sicherheitslage in den kurdischen Gebieten im Nordirak im Vergleich zu anderen Landesteilen relativ stabil.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Nach Darlegung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist die Sicherheitslage im kurdisch kontrollierten Nordirak stabil, wenn auch nicht voraussehbar, und ein engmaschiges Sicherheitsnetz von etwa 80.000 kurdischen Milizionären gewährleistet dort die Sicherheit.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist die Sicherheitslage in dem kurdisch kontrollierten Nordirak besser bezogen auf Anschläge als im Irak insgesamt, insbesondere in Bagdad.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Zu nennenswerten offenen Kämpfen im Nordirak kommt es nach dem Erkenntnismaterial nicht.

Auch amnesty international berichtet im Jahresbericht 2006 von Menschenrechtsverletzungen im Nordirak, aber nicht durch offene Kämpfe.

Insgesamt besteht landesweit keine Lage im Irak, die den Rückkehrer bereits am Ankunftsort in Bagdad oder im nordirakischen Arbil (Erbil) in heftige Kämpfe verwickeln würde, was im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Bürgerkriegssituationen eine allgemeine Extremgefahr bedeuten würde.

Mit Blick auf die allgemeine Extremgefahr sind nochmals die täglich etwa 100 Bombenanschläge landesweit im Irak zu würdigen. Sie stellen eine enorme allgemeine Bedrohung da.

So ausdrücklich Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, S. 18.

Der Kläger beruft sich mit Blick auf die Extremgefahr auf das Urteil des VG Sigmaringen vom 26.10.2005 - A 3 K 11212/04 -. Das VG Sigmaringen hat sich in diesem Urteil zwar nicht unmittelbar mit der Extremgefahr befasst, aber im Rahmen der Prüfung eines Widerrufsbescheides eine realistische Gefahr von Terroranschlägen festgestellt.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005, Seite 9 des amtl. Umdrucks.

Das VG Sigmaringen geht wie der Senat ebenfalls von einer Größenordnung von mehreren Tausend Menschen aus, die bei Anschlägen ums Leben gekommen sind. Es setzt diese Zahlen aber nicht in Beziehung zu der irakischen Gesamtbevölkerung von rund 27 Millionen Menschen. Ungeachtet der Furchtbarkeit der Anschläge im Einzelfall kommt es aber im Rahmen der Extremgefahr wiederum auf die Anschlagsdichte an.

Zutreffend OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Nach den konkreten Zahlen von amnesty international werden die zivilen Opfer der Anschläge zwischen 21.239 und 24.106 geschätzt.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Auf der Grundlage der Höchstzahl von 24.106 Opfern beträgt die Anschlagsdichte mithin rund 1:1100. Geht man von der – pauschalen – noch höheren Zahl von Opfern unter den Zivilisten von äußerstenfalls 100.000 aus, die das Auswärtige Amt wiedergibt,

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005,

ergibt sich landesweit äußerstenfalls eine Verletzungsgefahr durch die Anschläge von 1:270. Damit lässt sich aber nicht - zudem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - feststellen, ein einzelner Rückkehrer werde alsbald sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert.

Zu einem anderen Ergebnis führen auch nicht Reisewarnungen des Auswärtigen Amts für Reisende. Der Kläger hat sich mit dem VG Sigmaringen darauf berufen, das Auswärtige Amt habe seine Reisewarnung vom 29.7.2005 auf die Anschlagsopfer sowie die Entführungen gestützt.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005 - A 3 K 11212/04 -, Seite 9 des amtl. Umdrucks.

In einer solchen Warnung für Touristen und Geschäftsreisende liegt kein Wertungswiderspruch zur Verneinung einer Extremgefahr. Die Warnungen enthalten keine verbindliche Regelung im Sinne eines Schutzes der Menschenwürde, sondern eine unverbindliche Information. Ein Informationsbedürfnis besteht schon wesentlich früher als erst bei einer Situation, in der Reisende sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert werden. Die Schwelle für eine Reisewarnung ist wesentlich niedriger und bedeutet als solche keine Extremgefahr.

Auch die mit dem Untergrundkrieg einhergehende angespannte Versorgungslage einschließlich der medizinischen Versorgung im Irak führt nicht zur Bejahung einer Extremgefahr, zumal keine Hungergefahr besteht.

Die Versorgungslage im Irak ist zwar angespannt.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; zur prekären wirtschaftlichen Lage auch Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Gutachten vom 6.3.2006; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Indessen beziehen 96 % aller irakischen Haushalte Lebensmittelhilfe.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Für eine extreme Verknappung der Lebensmittel oder gar eine Hungerkatastrophe oder eine Wasserkatastrophe fehlt jeder Anhaltspunkt.

Schon mit Blick auf die bestehende Lebensmittelhilfe kann realistischerweise nicht angenommen werden, der Kläger würde im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach seiner Rückkehr dem baldigen sicheren Hungertod ausgesetzt. Selbst eine katastrophale wirtschaftliche Situation mit Obdachlosigkeit und Unterernährung bedeutet dann keine Extremgefahr, wenn Rückkehrer nicht dem baldigen sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden.

BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -.

Auch mit Blick auf die medizinische Versorgung ist eine allgemeine Extremgefahr zu verneinen. Die medizinische Versorgung ist allerdings angespannt.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 9.6.2006 und vom 24.11.2005.

Die Situation im Gesundheitswesen wird als extrem schwierig angesehen.

Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Gutachten vom 4.2.2006.

Nach der Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist das irakische Gesundheitssystem schlechter als vor dem Krieg, bedarf dringend der Erneuerung, indessen ist die medizinische Grundversorgung zumeist gewährleistet.

So der zusammengefasste Inhalt der Position der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 9.6.2004 sowie des Updates der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 15.6.2005.

Nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Extremgefahr begründen eine unzureichende medizinische Versorgung und eine kaum leistungsfähige Gesundheitsversorgung nicht bereits eine allgemeine Extremgefahr.

BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -, zu Armenien sowie BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 5.01 -, zu einer kaum leistungsfähigen Gesundheitsversorgung in Angola mit desolaten hygienischen Verhältnissen.

Auch bei einer Gesamtwürdigung der sozioökonomischen Situation des Iraks

vgl. dazu Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, Abschnitt sozioökonomische Situation, Seite 11/12

ist ungeachtet der unzulänglichen Sicherheits- und Versorgungssituation nicht eine allgemeine Extremgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dem Ausmaß zu bejahen, dass ein Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem baldigen sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Mithin ist im Irak der Tatbestand einer allgemeinen Extremgefahr zu verneinen.

Ebenso OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -; sowie bereits BayVGH, Urteil vom 13.11.2003 - 15 B 02.31751 -; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.10.2003 - 1 LB 39/03 -.

Nach dem vom Senat gefundenen Gesamtergebnis bleiben Hauptantrag und Hilfsantrag des Klägers erfolglos; die Berufung ist mithin zurückzuweisen.

Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung über die außergerichtlichen Kosten ergibt sich aus § 154 II VwGO.

Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

Gründe

Die zugelassene und auch ansonsten zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 19.10.2004 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (§ 77 I 1 AsylVfG) als rechtmäßig (unten I.). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die - hilfsweise begehrte - Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von sonstigen Abschiebungsverboten im Sinne von § 60 II bis VII AufenthG (unten II.)

I.

Der mit Blick auf den Systemwechsel im Irak ergangene Widerrufsbescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Das Aufhebungsbegehren des Klägers ist mangels einschlägiger Übergangsregelungen nach der neuen, durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 geänderten Rechtslage zu beurteilen.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -, für Widerrufsfälle.

Rechtsgrundlage ist mithin § 73 I 1 AsylVfG in der ab 1.1.2005 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 1950). Die Vorschrift lautet:

Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen, sind unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.

In der Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, liegen die Widerrufsvoraussetzungen dann vor, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, zitiert nach Juris; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -, ähnlich Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 73 AsylVfG Rdnr. 7, im Sinne eines Wegfalls der asylrelevanten Umstände als Beseitigung der Verfolgungsgefahr; weiter gehend im Sinne einer grundlegenden und dauerhaften Änderung der Verhältnisse und nicht nur eines spiegelbildlichen Wegfalls der ursprünglich die Verfolgung begründenden Umstände VG Köln, nicht rechtskräftiges Urteil vom 21.9.2005 - 18 K 3217/04.A -; Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 73 Rdnr. 77 und 79, im Sinne einer Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland von grundlegender Natur und Dauer mit dem Ergebnis einer eingetretenen relativen politischen und wirtschaftlichen Stabilität.

Eine wesentliche Weichenstellung für die hier einschlägige Beurteilung eines politischen Systemwechsels liegt darin, ob nur die Beseitigung des Unrechtsregimes und seiner Verfolgungsmaßnahmen selbst endgültig sein muss oder ob zusätzlich in dem Land effektiver Schutz vor Verfolgung und allgemeinen Gefahren durch stabile Verhältnisse vorherrschen muss. Das Bundesverwaltungsgericht, dem der Senat folgt, stellt allein darauf ab, dass die Beseitigung des Regimes dauerhaft ist.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, dort für Afghanistan; ebenso BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22/03 -, für den Irak, wobei das Bundesverwaltungsgericht im Wege eigener Tatsachenwürdigung es als ausreichend ansieht, dass das Regime von Saddam Hussein durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden ist und damit Asylberechtigte offenkundig nicht mehr mit politischer Verfolgung zu rechnen haben; ebenso OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -, S. 11 des amtl. Umdruck, das es genügen lässt, dass das Regime Saddam Hussein seine politische und militärische Herrschaft über den Irak endgültig verloren hat und eine Rückkehr des alten Regimes nach den aktuellen Machtverhältnissen ausgeschlossen ist.

Bereits die Beseitigung eines Unrechtsregimes hat damit entscheidende Bedeutung für den Widerruf, wenn dadurch die Gefahr einer wiederholten Verfolgung wegfällt, und dies hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich für den Irak unter Billigung des Widerrufs entschieden.

BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 – 1 C 22/03 – zitiert nach Juris.

Der Kläger hält dem eine – in der mündlichen Verhandlung vertiefte - grundsätzliche Betrachtung zur Existenz effektiver staatlicher Gewalt und effektiven staatlichen Schutzes vor denkbarer Verfolgung bereits als Widerrufsvoraussetzung entgegen. Im Flüchtlingsrecht sei anerkannt, dass die politische Verfolgung des Bürgers eines Staates mit der Abwesenheit staatlichen Schutzes vor Verfolgung gleichzusetzen sei. Dies setze funktionierende staatliche Strukturen voraus, die aber im Irak nicht vorhanden seien. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.11.2005 – 1 C 21.04 – sei bereits das Bestehen einer effektiven staatlichen oder staatsähnlichen Gewalt im Irak in Frage zu stellen, zumindest sei dies vom Verwaltungsgericht nicht ausreichend festgestellt. Die Regierung des Irak habe über die grüne Zone Bagdads hinaus keinen Einfluss auf die Wiederherstellung eines effektiven staatlichen Schutzes im Irak, und zwar auch nicht durch die Truppen der Allianz, da für die Wiederherstellung effektiven staatlichen Schutzes eine Rückübertragung an das Herkunftsland erforderlich sei. Die aufgeworfene Frage der Wiederherstellung effektiven Schutzes durch den früheren Verfolgungsstaat sei durch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht entschieden.

Die Beklagte widerspricht dem und meint, auf effektiven Schutz bietende staatliche Strukturen im Sinne einer stabilen Schutzmacht komme es bei fehlender Verfolgung rechtlich nicht an.

Klar auseinander zu halten sind die Fragen, ob ein Staat überhaupt besteht und dafür das Erfordernis der Ausübung staatlicher Gewalt prinzipiell erfüllt, und ob in dem Land effektiver Schutz vor Verfolgung sowie vor allgemeinen Gefahren bestehen muss. Damit hat der Kläger Grundsatzfragen mit weit reichender – länderübergreifender - Bedeutung aufgeworfen. Die Fragen sind indes vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 - entschieden, und zwar nicht im Sinne des Klägers.

Was zunächst die Frage der Existenz eines Staates angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 – im Gegensatz zur Vorinstanz, dem OVG Schleswig-Holstein, die Existenz von Afghanistan als Staat nicht ernsthaft in Frage gestellt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Seite 9 des Juris-Ausdrucks) genügt es, dass eine Übergangsregierung Gebietsgewalt im Sinne einer übergreifenden prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Ordnung ausübt; dem stehe nicht entgegen, dass sich die Regierungsgewalt auch auf internationale Truppen stütze. Auch ein ausgesprochen schwacher Staat ist nach diesen Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts ein Staat und die internationalen Truppen werden dem Staat zugerechnet. Dies stimmt überein mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der es im Asylrecht weniger auf abstrakte staatstheoretische Begriffsmerkmale ankommt und zugunsten des Flüchtlings nur geringe Anforderungen an das Vorliegen eines Staates zu stellen sind, wobei in Bürgerkriegsfällen bereits ein Kernterritorium genügt.

BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 – 2 BvR 260/98 -.

Danach ist der Irak eindeutig ein Staat.

Der Irakkrieg von 2003 zielte zwar darauf ab, das Unrechtsregime von Saddam Hussein zu beseitigen, indessen nicht auf die Beseitigung des irakischen Staates. Vielmehr wurde nach Ablauf der Besatzungszeit die irakische Souveränität am 28.6.2004 wiederhergestellt, wie in Rechtsprechung und Erkenntnismaterial anerkannt ist.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.9.2004 – A 2 S 51/01 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 – A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 – 9 A 3590/05.A -; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, Seite 1; ebenso unterscheidet die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrer Auskunft vom 27.1.2006 (Seite 3) klar erkennbar zwischen der bejahten Existenz des irakischen Staates und der verneinten Frage, ob der irakische Staat die Bürger schützen könne, die nachweislich Verfolgung befürchten müssten.

Die nur erforderliche prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtige Gebietsgewalt unter Einbeziehung der internationalen Truppen ist zu bejahen, da der irakische Staat mit deren Hilfe zumindest in der Lage ist, dem bisherigen Regime von Saddam Hussein den Prozess zu machen, dadurch seine Unrechtsmaßnahmen zu beenden und den neuen Untergrundkrieg mit den Terroristen mit allerdings nur einzelnen Erfolgen aufgenommen hat und dabei den sunnitischen Widerstand verfolgt, mithin nicht etwa prinzipiell ohne Macht ist. Auch die kritische Organisation UNHCR, der sich amnesty international angeschlossen hat, stellt die effektive Herrschaft der irakischen Übergangsregierung lediglich für einzelne Teile des irakischen Staatsgebiets, vor allem im Zentralirak, in Frage.

UNHCR, Hinweise von April 2005; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Ebenso geht das VG Sigmaringen in seiner kritischen Rechtsprechung nicht von einer fehlenden Staatsmacht aus, sondern nimmt an, der Übergangsregierung sei es noch nicht gelungen, ihre Macht im gesamten Irak zu etablieren.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005 – A 3 K 11212/04 -, S. 8 des Umdrucks.

Auf das gesamte Territorium kommt es aber nicht an.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt bereits ein Kernterritorium.

BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 – 2 BvR 260/98 -.

Weiterhin muss gesehen werden, dass der irakische Widerstand seit der von ihm verlorenen zweiten Schlacht um Falludscha im November 2004 angesichts der Übermacht der US-Truppen nicht mehr bestimmte Gebiete verteidigen, sondern mit Anschlägen den Wiederaufbau des Landes nachhaltig stören will.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006.

Nach den dargelegten Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts kann unter Einbeziehung der internationalen Truppen die Existenz des Staates Irak mit der prinzipiellen Ausübung von Staatsgewalt nach Ansicht des Senats nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden.

Von der Frage der Existenz des Staates Iraks ist die weitere Frage eines effektiven Schutzes durch den Staat Irak als stabile Schutzmacht vor möglicher Verfolgung und allgemeinen Gefahren zu unterscheiden.

Der Kläger zieht die Effektivitätsfrage gewissermaßen vor die Klammer der Verfolgungsprüfung. Vorrangig wird effektiver Schutz geprüft. Fehlt es daran, steht die Verfolgung fest und der Widerruf scheitert. Letztlich hat der effektive Schutz dann absolute Bedeutung für den Widerruf. Der Kläger meint weiter, die Frage des effektiven staatlichen Schutzes sei von dem Bundesverwaltungsgericht noch nicht, auch nicht in seinem Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21.04 –, entschieden; dem hat die Beklagte widersprochen.

Diese Auslegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Kläger überzeugt nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem zu Afghanistan ergangenen Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21.04 – die nur relative Bedeutung eines effektiven Verfolgungsschutzes herausgestellt, diese Rechtsauffassung jedenfalls konkludent bereits in seinen beiden zuvor zum Irak ergangenen Entscheidungen vom 11.2.2004 – 1 C 23/02 – und vom 25.8.2004 – 1 C 22.03 – zugrunde gelegt und sodann die Frage einer stabilen Schutzmacht im Beschluss

vom 26.1.2006 – 1 B 135.05 –

ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich bei fehlender Verfolgung behandelt.

In seinem zu Afghanistan ergangenen Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 – (Juris-Ausdruck Seite 6) hat das Bundesverwaltungsgericht für die Prüfung von Widerrufsfällen entschieden, dass nach der auch beim Widerruf anzuwendenden Vorschrift des § 60 I 4 AufenthG

eine Verfolgung nunmehr auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (kann), sofern der Staat, wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Fehlender effektiver staatlicher Schutz vor Verfolgung hat nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht die gewissermaßen absolute Bedeutung, dass ein Widerruf ausscheidet. Ein fehlender effektiver staatlicher Schutz vor Verfolgung hat in Widerrufsfällen vielmehr nur die relative Bedeutung, dass vorrangig tatsächliche Verfolgungsmaßnahmen durch nichtstaatliche Akteure zu prüfen sind. Die dargelegte Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet, dass effektiver staatlicher Schutz nicht bereits eine Widerrufsvoraussetzung ist; der Widerruf scheitert nicht von vornherein an fehlendem effektivem staatlichen Schutz durch eine stabile Schutzmacht.

Dieselbe Rechtsauffassung hat das Bundesverwaltungsgericht auch schon konkludent in einem unmittelbar den Irak betreffenden Urteil vom 25.8.2004 – 1 C 22.03 – in einem Widerrufsverfahren zugrunde gelegt. Auch dort wird die Frage der effektiven Schutzfähigkeit nicht als Widerrufshindernis geprüft. Vielmehr ist ausgeführt (Seite 3 des Juris-Ausdrucks):

Der Kläger hat bei einer Rückkehr in den Irak inzwischen offenkundig nicht mehr mit politischer Verfolgung zu rechnen.

Es werden also nur Verfolgungsmaßnahmen ausgeschlossen. Dazu wird dargelegt, das irakische Regime sei durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden und andere Gründe, aus denen der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland politischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein könnte, seien nicht ersichtlich. Die effektive Schutzfähigkeit durch den irakischen Staat prüft das Bundesverwaltungsgericht nicht. Der Irak war im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (25.8.2004) gerade erst (am 28.6.2004) aus dem Besatzungsstatut in die Souveränität entlassen worden und vergleichbar schwach wie heute. Die fehlende effektive Schutzfähigkeit des Irak kann also kein absolutes Widerrufshindernis sein. Weiterhin hat das Bundesverwaltungsgericht in eigener Revisionswürdigung schon während der Besatzungszeit des Iraks eine Verfolgungsgefahr ausgeschlossen, ohne die effektive Schutzfähigkeit des Irak zu prüfen.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 – 1 C 23/02 -, dort betreffend einen Anerkennungsfall.

In den drei vom Senat aufgeführten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts aus 2004 und 2005 zum Irak und zu Afghanistan ist als gemeinsame klare Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entnehmen, dass in keinem der Fälle die effektive Schutzfähigkeit des Staates gewissermaßen als absolute Anforderung vor die Klammer gezogen wird und der Flüchtling bereits deshalb Verfolgter ist, weil sein Heimatstaat keinen effektiven Schutz durch eine stabile Schutzmacht gegen denkbare Verfolgungen bietet. Vielmehr ist vorrangig für das Bundesverwaltungsgericht, ob asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen nach den maßgebenden Kriterien der Rechtsprechung überhaupt zu befürchten sind. Für den Irak hat das Bundesverwaltungsgericht eine solche Verfolgungsgefahr verneint und bereits deshalb nicht die effektive Schutzfähigkeit des Staates vor denkbarer Verfolgung geprüft. In dem zu Afghanistan ergangenen Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/05 – ist die nur relative Bedeutung des effektiven staatlichen Schutzes vor Verfolgung hervorgehoben.

Sodann hat das Bundesverwaltungsgericht die Frage nach der Notwendigkeit einer stabilen Schutzmacht in einem neueren Revisionszulassungsverfahren auch ausdrücklich erörtert.

Beschluss des BVerwG vom 26.1.2006 – 1 B 135.05 -.

Es hat die aufgeworfene Frage der stabilen Schutzmacht als nicht entscheidungserheblich bei fehlender Verfolgung behandelt.

Dem folgt auch der Senat.

Mithin ist die vom Kläger aufgeworfene Grundsatzfrage der Bedeutung des effektiven Schutzes des Staates als stabiler Schutzmacht vor Verfolgung übereinstimmend mit der Meinung der Beklagten bereits höchstrichterlich geklärt; der Senat schließt sich der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach diese Frage nur relative Bedeutung bei vorrangig festzustellender tatsächlicher Verfolgungsgefahr hat.

Sodann ist mit Blick auf die Auffassung des UNHCR die Frage zu erörtern, ob nach dem politischen Systemwechsel über den Ausschluss erneuter Verfolgung hinaus auch noch Schutz vor allgemeinen Gefahren durch eine stabile Lage verlangt werden kann. Die Stabilitätsfrage wird also nochmals gestellt, aber nunmehr nicht mit Blick auf die Verfolgung, sondern mit Blick auf allgemeine Gefahren. Auch diese Frage hat grundsätzliche und zugleich länderübergreifende Bedeutung, ist aber vom Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden.

Die Widerrufsregelung des Gesetzgebers zielte nach der ursprünglichen Gesetzesbegründung auf den Fall, dass in dem Verfolgungsland ein Wechsel des politischen Systems eingetreten ist, sodass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, unter Darstellung der Gesetzesmaterialien.

Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck bezieht sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich auf den Ausschluss erneuter Verfolgungsmaßnahmen, nicht auf Schutz vor allgemeinen Gefahren.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Die den Rechtsstandpunkt des Klägers stützende Gegenmeinung, die insbesondere von der Flüchtlingshilfeorganisation UNHCR näher begründet wird, geht über den Verfolgungsausschluss hinaus und verlangt für den Widerruf zusätzlich stabile Verhältnisse im Herkunftsland.

UNHCR-Hinweise zur Anwendung des Art. 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention auf irakische Flüchtlinge von April 2005, S. 2.

UNHCR nimmt dabei an, dass der internationale Flüchtlingsschutz nicht nur dem Schutz vor erlittener oder drohender Verfolgung diene, sondern auch der Schaffung dauerhafter Lösungen für Flüchtlinge; deshalb könnten Flüchtlinge nicht zur Rückkehr in die instabilen Verhältnisse des Irak gezwungen sein mit der Gefahr, dass immer neue Flüchtlingsströme entstehen.

UNHCR-Hinweise von April 2005, S. 2.

Dieser vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertiefte Gesichtspunkt leuchtet dem Senat durchaus rechtspolitisch ein.

Es geht um die Erweiterung des Schutzzwecks auf allgemeine Gefahren zur Vermeidung neuer Flüchtlingsströme. Unter Hinweis auf die Interessenwürdigung durch UNHCR verlangt auch Marx relative politische und wirtschaftliche Stabilität in dem Land nach dem Systemwechsel.

Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 73 Rdnr. 79.

Das VG Köln, auf das sich der Kläger beruft, ist dieser Auffassung gefolgt.

VG Köln, nicht rechtskräftiges Urteil vom 21.9.2005 - 18 K 3217/04.A -, wonach eine instabile beziehungsweise unsichere Lage im Herkunftsland Irak einem Widerruf entgegenstehe.

Besonders deutlich wird diese Rechtsposition durch das VG Sigmaringen dargestellt, auf das sich der Kläger ebenfalls beruft.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005 - A 3 K 11212/04 -.

Danach geht es bei dem Widerruf nicht nur um Verfolgungsschutz, sondern erweiternd um effektive Schutzgewährung, und ein wesentlicher Aspekt der effektiven Schutzgewährung ist die allgemeine Sicherheitslage.

Ungeachtet der rechtspolitischen Vorzüge der Ansicht von UNHCR folgt der Senat der systematisch begründeten Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Widerruf keinen Gefahrenausschluss durch stabile Verhältnisse voraussetzt. Diese Auslegung ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach Art. 16 a I GG dient das Asylrecht dem Schutz politisch Verfolgter

Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 7. Auflage 2004, Art. 16 a Rdnr. 1, wonach das Asylgrundrecht auf die Erfahrung mit dem Dritten Reich und den damals rassistisch und politisch Verfolgten zurückgeht und Menschen in einer ähnlichen politischen Lage in anderen Ländern helfen soll.

Dagegen ist das Grundrecht nach der Verfassungsrechtsprechung nicht in der Lage, auch einen effektiven Schutz vor politisch und wirtschaftlich instabilen Verhältnissen, oder sogar vor anarchischen Zuständen mit Auflösung der Staatsgewalt zu gewähren.

Zum Letzteren BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 – 2 BvR 260/98 -.

Ist dies aber der Fall, verbietet das Grundgesetz auch unter Einschluss des vom Kläger zitierten Art. 1 I GG nicht einen geminderten Flüchtlingsschutz für Fälle des Staatszerfalls.

Darüber hinaus ist die grundrechtskonforme Begrenzung des Gesetzeszwecks auf den Verfolgungsschutz nach der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowohl völkerrechtskonform als auch europarechtskonform.

Die Widerrufsvorschrift des deutschen Rechts geht zurück auf Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - vom 28.7.1951 (BGBl. 1953 II S. 560), wonach eine Person nicht mehr unter den Schutz des Flüchtlingsabkommens fällt,

wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wollte der deutsche Gesetzgeber mit seiner Widerrufsbestimmung die materiellen Anforderungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention übernehmen und hat dies auch getan.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Nach der Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet Wegfall der Umstände im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Unter Schutz im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK ist danach ausschließlich der Schutz vor zu erwartenden erneuten Verfolgungsmaßnahmen zu verstehen.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, zustimmend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/06 -.

Das Bundesverwaltungsgericht beruft sich für seine Rechtsauffassung auf eine systematische Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Begriff Schutz des Landes in dieser Wegfallbestimmung hat danach keine andere Bedeutung als der gleich lautende Begriff Schutz dieses Landes in Art. 1 A Nr. 2 GFK, der die Flüchtlingseigenschaft begründet. Nach dieser Vorschrift kommt es insbesondere darauf an, dass der Betroffene aus begründeter Furcht vor Verfolgung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann. Nach dem Zusammenhang dieser Definitionsvorschrift kann mit dem Schutz des Landes nur der Schutz vor den befürchteten Verfolgungsmaßnahmen gemeint sein; ein Schutz vor instabilen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen als Begründung der Flüchtlingseigenschaft ist ersichtlich nicht mit umfasst. Die instabile Lage begründet nicht die Verfolgteneigenschaft Dies gilt konsequent auch für den Wegfall der Flüchtlingseigenschaft, und deshalb beenden auch nicht erst stabile Verhältnisse die Verfolgteneigenschaft.

Der Senat folgt der systematischen Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts.

Zusätzlich ist noch auf folgenden in der mündlichen Verhandlung erörterten Auslegungsgesichtspunkt hinzuweisen:

Die unmittelbar anschließende völkerrechtliche Widerrufsregelung für Staatenlose in Art. 1 C Nr. 6 GFK enthält keine Schutzklausel. Dies kann schwerlich bedeuten, dass damit Staatenlosen der sonst zu gewährende effektive Schutz entzogen wird. Vielmehr spricht diese Regelung dafür, dass mit dem völkerrechtlichen Begriff „Schutz“ nur der prinzipielle Schutz des Herkunftsstaates für seine Staatsangehörigen gemeint ist, der naturgemäß nicht auf Staatenlose übertragen werden kann.

Auch dies spricht für die Auslegung des Völkerrechts durch das Bundesverwaltungsgericht.

Ergänzend zu berücksichtigen ist für die Auslegung des deutschen Rechts das Europarecht. Dabei geht es um die Vorwirkung der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie - bereits vor dem bevorstehenden Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006.

Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der Senat angeschlossen hat, ist nationales Recht schon vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist bereits erlassener Richtlinien so auszulegen, dass der Zweck der Richtlinie erreicht werden kann.

EuGH, Urteil vom 9.6.2005 - C 211/03 -, Rz 44; Urteil des Senats vom 3.2.2006 - 3 R 7/05 - Seite 49 des amtl. Umdrucks, beide Entscheidungen ergangen zum Arzneimittelrecht.

Inhaltlich führt die europäische Richtlinie aber zu keiner anderen Rechtslage als der bereits dargelegten völkerrechtlichen Regelung der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern sie bestätigt noch zusätzlich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Wesentlich ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass die völkerrechtliche Wegfallklausel der Genfer Flüchtlingskonvention in die Qualifikationsrichtlinie ebenso wörtlich übernommen ist wie der symmetrische Schutzbegriff sowohl bei der Begründung der Flüchtlingseigenschaft als auch bei dem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft. Nach Art. I e der Qualifikationsrichtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser nicht mehr Flüchtling, wenn er

nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft stellt Art. 2 c der Qualifikationsrichtlinie unter eigenständiger Formulierung der Verfolgungsmerkmale ebenso wie die Genfer Flüchtlingskonvention auf die begründete Furcht vor Verfolgung ab und verlangt sodann wörtlich übereinstimmend, dass der Flüchtling

sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann .....

Die vom Bundesverwaltungsgericht bereits im Zusammenhang mit dem Völkerrecht ausgelegten Parallelbegriffe „Schutz des Landes“ sowie „Schutz dieses Landes“ finden sich also wörtlich gleich lautend in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der umzusetzenden Qualifikationsrichtlinie der EG. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch konsequenterweise in einem Nichtzulassungsbeschluss bereits ausgeführt, die Annahme einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/83/EG führe nicht zu einem günstigeren Auslegungsergebnis der Widerrufsvorschrift.

BVerwG, Beschluss vom 15.2.2006 - 1 B 120/05 -, ohne eingehende Begründung; eben so Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -; a. A. das VG Köln in seinem Urteil vom 21.9.2005 - 18 K 3217/04.A -, das aus den übereinstimmenden Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Qualifikationsrichtlinie einen Schutz auch vor einer instabilen Lage in Anspruch nimmt.

Hinzu kommt, dass die europäische Richtlinie die Wegfallklausel in Art. 11 II über das Völkerrecht hinaus dahin gehend präzisiert, dass die Mitgliedstaaten zu untersuchen haben,

ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist.

Damit wird der Schwerpunkt der Prüfung auf die Veränderung selbst gelegt, nicht auf stabile Verhältnisse.

Dies entspricht exakt der Auslegung des deutschen Rechts durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die mithin durch das neue Europarecht bestätigt wird.

Zusammengefasst ergibt sich aus der dargelegten systematisch überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen der rechtspolitisch vorzugswürdigen Ansicht von UNHCR als grundsätzliche Weichenstellung der Widerrufsmaßstab, dass nur der Verfolgungsausschluss maßgebend ist. Die Gefahr von erneuten Verfolgungsmaßnahmen ist nach den Kriterien der Rechtsprechung zu prüfen. Allgemeine Gefahren etwa aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage bleiben bei dem Widerruf außer Betracht.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; zustimmend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -.

Bereits die Beseitigung eines Unrechtsregimes hat damit entscheidende Bedeutung für den Widerruf, wenn dadurch die Verfolgungsgefahr wegfällt.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 - 1 C 23/02 -, zitiert nach Juris.

Erweist sich die Beseitigung eines Regimes mit dessen spezifischen Verfolgungsmaßnahmen als endgültig, kann über den Wegfall der tatsächlichen Verfolgungsgefahr hinaus ein stabiler Staat weder zum Verfolgungsausschluss noch zum Gefahrenausschluss verlangt werden. Der Staat braucht also nicht stark zu sein. Die dargestellte Weichenstellung hinsichtlich stabiler Verhältnisse ist der Hauptgrund dafür, dass der Flüchtlingswiderruf in der Rechtsprechung einiger Instanzgerichte als rechtswidrig beurteilt wird; darauf ist noch einzugehen.

Die dargelegte erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Verhältnisse muss nach dem anzulegenden Maßstab dazu führen, dass die Verfolgungsmaßnahmen nicht mehr wiederholt werden. Mit Blick auf die Vorverfolgung des Klägers gilt dafür der herabgestufte Maßstab der hinreichenden Sicherheit.

BVerwG, Urteil vom 18.2.1997 - BVerwG 9 C 6.96 -, BVerwGE 104, 97; ebenso BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, zitiert nach Juris.

Dem bereits Vorverfolgten soll nicht das Risiko einer Wiederholung der Verfolgung aufgebürdet werden. Dabei braucht die Gefahr des Eintritts wiederholter Verfolgungsmaßnahmen nach diesem Maßstab nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden, so dass bereits geringe Zweifel dem Begehren zum Erfolg verhelfen würden. Vielmehr ist eine Wiederholungsgefahr der Verfolgung nach diesem Prognosemaßstab zu bejahen, wenn sich ernsthafte Bedenken nicht ausräumen lassen.

BVerwG, Urteil vom 18.2.1997 - BVerwG 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97.

Nach dem dargelegten Maßstab ist durch die Entmachtung Saddam Husseins eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der politischen Verhältnisse eingetreten, die nicht mehr umkehrbar ist. Dies steht mit hinreichender Sicherheit fest. Das Regime von Saddam Hussein ist gestürzt, seine Armee und seine Polizei sind aufgelöst, die Baath-Partei ist verboten, seine Verfolgungsmaßnahmen sind beendet, einige Mitglieder des Regimes sind getötet und Saddam Hussein und dem Kern seines Regimes wird im Irak der Prozess gemacht. Gerade darin liegt der Verfolgungsschutz des Klägers vor weiteren Unrechtsmaßnahmen des Regimes von Saddam Hussein, der keinen ernsthaften Bedenken unterliegt.

Dem hält der Kläger die eigene Einschätzung entgegen, angesichts der anerkannt labilen Sicherheitslage und der hohen Zahl der täglichen Anschläge sei in einem Bürgerkrieg oder jedenfalls einem Krieg von niedriger Intensität die Zukunft offen und es sei nicht auszuschließen, dass die Kräfte um den früheren Diktator Saddam Hussein wieder an die Macht gelangten, sein Machtclan sei noch vorhanden.

Dem Kläger ist zwar hinsichtlich der instabilen, manchmal eskalierenden Sicherheitslage, des hohen Gewaltniveaus durch tägliche Anschläge aus dem Untergrund im Sinne eines Untergrundkriegs und damit einer offenen Lage nach dem übereinstimmenden Erkenntnismaterial Recht zu geben.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005: amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005 und Jahresbericht 2006, UNHCR, Position von September 2005, vgl. auch UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Der Irak steht – wie es das OVG Koblenz prägnant formuliert – am Scheideweg zwischen Demokratie und Staatszerfall.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

Insofern ist die Zukunft offen. Sie schließt den offenen Ausbruch eines Bürgerkriegs und ein Auseinanderbrechen des Irak ein.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

In dem hier entscheidenden Punkt, ob der Sturz des Regimes von Saddam Hussein und seines Machtclans in absehbarer Zeit unumkehrbar ist, besteht aber entgegen der Meinung des Klägers in Rechtsprechung und im Erkenntnismaterial ungeachtet der unterschiedlich kritischen Beurteilung des Iraks die fast einhellige Überzeugung, dass die Entmachtung Saddam Husseins und seines Clans nicht mehr umkehrbar ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den während des Laufs mehrerer Revisionsverfahren 2003 eingetretenen Sturz von Saddam Hussein abschließend selbst beurteilt mit dem Ergebnis, dass mit einer Wiederholung der Verfolgung offenkundig nicht mehr zu rechnen sei.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 - 1 C 23.02 -; BVerwG Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, jeweils zitiert nach Juris.

Das Bundesverwaltungsgericht hält es also für offenkundig, dass Saddam Hussein und sein Clan nicht an die Macht zurückkehren.

Die Obergerichte teilen diesen Standpunkt. Nach der Auffassung des OVG Münster hat das bisherige Regime Saddam Husseins seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch den am 20.3.2003 begonnenen Militärschlag unter Führung der USA endgültig verloren und eine Rückkehr des alten Regimes ist nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Bildung einer Struktur, die eine vom früheren Regime gesehene Gegnerschaft als solche übernimmt und wiederholend verfolgt.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Der VGH Baden-Württemberg hält es mit hinreichender Sicherheit für ausgeschlossen, dass Anhänger des früheren Baath-Regimes bei realistischer Betrachtung wieder staatliche Herrschaftsgewalt ausüben könnten und zwar ungeachtet der äußerst angespannten Sicherheitslage.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -.

Nach der Einschätzung des OVG Lüneburg ist der Sturz des Regimes von Saddam Hussein nach allen vorliegenden Erkenntnissen eindeutig und unumkehrbar, und zwar trotz der problematischen und oft eskalierenden Sicherheitslage im Irak.

OVG Lüneburg, Urteil vom 13.2.2006 - 9 LB 75/03 -.

Nach der Beurteilung des Bayerischen VGH gibt es keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass Saddam Hussein oder Angehörige seines früheren Regimes in absehbarer Zeit in der Lage sein könnten, sich neu zu formieren und staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu veranlassen.

BayVGH, Urteil vom 13.11.2003 - 15 B 02.31751 -.

Nach der Einschätzung des OVG Koblenz ist die Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein vollständig; die tragenden Personen sind nicht nur durch das irakische Volk abgewählt, sondern zum Teil getötet oder außer Landes und ihm selbst und seinen führenden Helfern wird der Prozess gemacht, so dass eine weitere Verfolgung durch die persönliche Diktatur auszuschließen ist.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 107/95/05.OVG -.

Auch das OVG Schleswig-Holstein und das Sächsische OVG sehen den Machtverlust des diktatorischen Regimes von Saddam Hussein als endgültig an.

OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.5.2006 – 1 LB 117/05 -; Sächsisches OVG, Beschluss vom 28.8.2003 - A 4 B 573/02 -.

Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung einiger Instanzgerichte beruft, die für den Irak die Widerrufsvoraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung verneinen, werden bei vergleichbarer Tatsachenwürdigung die rechtlichen Weichen anders gestellt. Das VG Köln ist der Auffassung, dass der Wegfall der ursprünglich die Verfolgung begründenden Verhältnisse nicht genüge und deshalb der Sturz des Regimes von Saddam Hussein allein nicht ausreiche; vielmehr müsse der Charakter der Veränderungen selbst stabil sein, was angesichts der hochgradigen instabilen Lage im Irak nicht der Fall sei.

VG Köln, nicht rechtskräftiges Urteil vom 21.9.2005 - 18 K 3217/04.A -.

Allerdings ist die Rechtsprechung des VG Köln zur Rechtswidrigkeit des Widerrufs entgegen der Meinung des Klägers von dem OVG Münster nicht inhaltlich bestätigt worden. So hat das OVG Münster zwar in einem Beschluss vom 20.10.2005 (nicht: 19.7.2005) – 9 A 2944/05.A – ein entsprechendes Urteil des VG Köln aus prozessualen Gründen bestätigt. In seiner Rechtsprechung in der Sache selbst hat das OVG Münster aber wie dargelegt den Widerruf unter Abänderung einer Entscheidung des VG Köln als rechtmäßig angesehen.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 – 9 A 3590/05.A – unter Abänderung des Urteils des VG Köln vom 24.8.2005 – 18 K 5732/04.A -.

Besonders deutlich wird die unterschiedliche rechtliche Weichenstellung bei im Wesentlichen gleicher Tatsacheneinschätzung in der Beurteilung des VG Sigmaringen, auf das sich der Kläger beruft.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005 - A 3 K 11212/04 -.

Nach der Rechtsprechung des VG Sigmaringen wurde durch die Militäraktion ein grundlegender Systemwechsel bewirkt; eine Rückkehr zu den alten Machtverhältnissen ist ausgeschlossen. Bei der Widerrufsentscheidung darf dagegen nicht die allgemeine Sicherheitslage ausgeklammert werden und wegen der erheblichen Unsicherheit der politischen Entwicklung und der realistischen Gefahr von Terroranschlägen hat ein Widerruf zu unterbleiben. Die abweichende Rechtsauffassung des VG Sigmaringen beruht also bei grundsätzlich gleicher Lagebeurteilung auf einer Rechtsauffassung, die das Bundesverwaltungsgericht und dem folgend der Senat nicht teilt.

Der Einschätzung durch die Rechtsprechung entspricht grundsätzlich auch die Beurteilung durch das vorliegende Erkenntnismaterial. In dem aktuellen Erkenntnismaterial wird meist nicht einmal mehr die Frage aufgeworfen, ob Saddam Hussein oder sein Clan an die Macht zurückkehren könnte.

Das Auswärtige Amt stellt eine Umsetzung des politischen Prozesses durch demokratische Wahlen bei gleichzeitig hohem Gewaltniveau und einer Annäherung an bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen fest; es geht davon aus, dass in dem am 19.10.2005 eröffneten Strafverfahren gegen Saddam Hussein und sieben weitere Repräsentanten der Diktatur den Angeklagten die Todesstrafe droht, rechnet also ersichtlich nicht mit einer erneuten Machtergreifung von Saddam Hussein und seinem Clan.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe würdigt in ihrer Analyse den politischen Übergang des Iraks zur Demokratie bei gleichzeitig äußerst schlechter Sicherheitslage.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Nach der Einschätzung der kritischen Flüchtlingshilfeorganisation UNHCR hat der Sturz des Regimes von Saddam Hussein noch nicht überall im Land zur vollständigen Zerschlagung der ehemaligen Herrschaftsstrukturen geführt; nach dem Sturz bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass Saddam Hussein selbst wieder die Macht erlangen könnte. Die Zukunft sei insofern unsicher, als es zu Sezessionsbestrebungen kommen könne.

UNHCR, UNHCR-Hinweise zur Anwendung des Art. 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention auf irakische Flüchtlinge von April 2005.

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international hat sich der Beurteilung durch UNHCR angeschlossen, dass nach dem Wegfall der autoritären Zentralgewalt der Sturz der Regierung von Saddam Hussein noch nicht im gesamten Irak zur vollständigen Zerschlagung der ehemaligen Herrschaftsstrukturen geführt hat; die Frage einer Rückkehr wird nicht aufgeworfen.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Das Deutsche Orient-Institut sieht in den Terroranschlägen lediglich einen Versuch, die politische Entwicklung des Irak zu bestimmen; die Rückkehrfrage von Saddam Hussein oder seines Machtclans wird nicht gestellt.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 21.2.2006.

Bei einer Gesamtwürdigung ist erkennbar, dass die vorliegende Rechtsprechung explizit von der Unumkehrbarkeit des Sturzes von Saddam Hussein in absehbarer Zeit ausgeht, während das aktuelle Erkenntnismaterial überwiegend die Frage bereits nicht mehr aufwirft. Soweit ersichtlich enthält das Erkenntnismaterial keinen näher begründeten ernsthaften Anhaltspunkt dafür, Saddam Hussein oder sein Machtclan könnte die Herrschaft im Irak wieder ergreifen und die Verfolgung ihrer früheren Gegner fortsetzen.

Dem Kläger ist einzuräumen, dass die Tatsache des praktisch einhelligen Ergebnisses in Rechtsprechung und Erkenntnismaterial eine Begründung dieser Prognose nicht ersetzt. Er beanstandet es, dass das Verwaltungsgericht seine Prognose zur Unumkehrbarkeit der Verhältnisse nicht begründet hat.

In der Rechtsprechung findet sich indessen eine tragfähige Begründung der Unumkehrbarkeit der Verhältnisse, die auch gegenüber der Argumentation des Klägers mit Blick auf die offene Lage überzeugt.

Wesentliche Bedeutung für die Unumkehrbarkeit des Verlustes der Macht hat die Art der Entmachtung des Regimes. Das Bundesverwaltungsgericht hat Gewicht darauf gelegt, dass das Regime von Saddam Hussein durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden ist.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 - 1 C 23.02 -; BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -; jeweils zitiert nach Juris.

Ebenso hat das OVG Münster darauf abgestellt, dass das bisherige Regime von Saddam Hussein seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die am 20.3.2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren hat.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Das Regime von Saddam Hussein ist mithin nicht durch einen umkehrbaren Putsch oder durch die Intervention eines ähnlich starken Nachbarlandes entmachtet worden, sondern hat den Krieg gegen eine führende Macht der Welt endgültig verloren. In diesem Kriegsverlust liegt ein Unterschied zu dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung erwähnten Vietnamkrieg, in dem das nordvietnamesische Regime von den Amerikanern nicht besiegt und beseitigt wurde und sich erst danach neu etabliert hat. Ausdrückliches und erreichtes Kriegsziel im Irakkrieg war die Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein. Der Verlust eines solchen Krieges lässt sich realistischerweise nicht einfach umkehren. Auch der sunnitische Widerstand geht in seiner Einschätzung von einer Übermacht der US-Truppen im Irak und nicht von einem Kräftegleichgewicht aus.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands.

Die Kräfte sind zu ungleich, um mit dem Kläger insoweit eine offene Lage zu sehen. Deshalb bestehen auch keine ernsthaften Bedenken gegenüber der Unumkehrbarkeit des Sturzes von Saddam Hussein und seines Machtclans einschließlich seiner spezifischen Verfolgungsmaßnahmen.

Wenn der Kläger demgegenüber meint, die Herrschaftsstrukturen von Saddam Hussein seien nicht zerschlagen, da das Clan-System existiere und lebensfähig sei, überzeugt das nicht. Zu den Herrschaftsstrukturen von Saddam Hussein gehörten abgesehen von dem Clan vor allem seine Armee, seine Polizei und die Baath-Partei. Seine Armee und die Polizei sind zerschlagen worden, die Baath-Partei ist verboten. Die das Regime tragenden Personen des Machtclans sind vom irakischen Volk abgewählt, zum Teil getötet, und dem Kern des Regimes wird der Prozess gemacht, so dass bei einer Gesamtwürdigung von einer Beseitigung der persönlichen Herrschaftsstrukturen von Saddam Hussein auszugehen ist.

So überzeugend OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

Alle diese Herrschaftsstrukturen sind endgültig zerschlagen. Allenfalls kann man mit der Einschätzung von UNHCR und amnesty international annehmen, dass es noch nicht überall im Land zur vollständigen Zerschlagung der ehemaligen Herrschaftsstrukturen gekommen ist, aber auch UNHCR sieht darin keinen Gesichtspunkt dafür, Saddam Hussein könne wieder die Macht erlangen.

Von Bedeutung ist, dass das Clan-System von Saddam Hussein allein in einer Minderheitsgruppe verankert war. Das OVG Münster stützt seine Prognose darauf, dass es nicht wieder zu einer Ballung der Macht bei einer der Volksgruppen kommen werde, zumal nicht in der Hand der nur eine Minderheit darstellenden Gruppe der Sunniten, in der das Regime Saddam Husseins vor allem verankert war.

OVG Münster, Urteil vom 17.5.2004 - 20 H 1810/02.A -.

Die arabischen Sunnitinnen und Sunniten stellen im Irak einen Bevölkerungsanteil von etwa 17 bis 22 % dar.

Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2006.

Die gewaltsame Wiedererlangung der Macht einer diktatorischen sunnitischen Minderheit durch Bombenanschläge sowohl gegen die Mehrheit der großen Volksgruppen des Irak als auch gegen das erreichte Kriegsziel einer Weltmacht ist nicht realistisch.

Das bestätigt auch die bisherige demokratische Entwicklung des Irak, die durch einen Untergrundkrieg des Widerstands mit täglichen Bombenanschlägen nicht zu verhindern war. Die Entwicklung im Irak ist sowohl durch die demokratische Neugestaltung als auch den Untergrundkrieg mit Bombenanschlägen geprägt.

Die seit dem Irakkrieg 2003 eingetretene politische Entwicklung, insbesondere die demokratische Beteiligung der wesentlichen Gruppen des Iraks, der Schiiten, der arabischen Sunniten und der Kurden, lässt keinen Anhaltspunkt für eine nochmalige diktatorische Minderheitsherrschaft der Sunniten zu, wobei die von Saddam Hussein verfolgte Mehrheit der Schiiten realistischerweise auch nicht als Bündnispartner der Diktatur der Sunnitenminderheit bereit steht.

Am 28.6.2004 wurde unter Beendigung der amerikanisch-britischen Besatzung die Souveränität des Irak wieder hergestellt.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Die am 30.1.2005 erstmals durchgeführten demokratischen Wahlen führten zu einer demokratischen Legitimierung der irakischen Regierung.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005.

Aufgrund dieser ersten Wahlen stellten die Schiiten den Ministerpräsidenten und 16 Minister, die Kurden 8 Minister, die Sunniten 6 Minister und die Christen und Turkmenen je einen Minister. Zum Staatspräsidenten wurde am 6.4.2005 der Kurde Talabani gewählt. Seine Stellvertreter wurden ein Schiit und ein sunnitischer Araber. Am 15.10.2005 hat die irakische Bevölkerung in einem Referendum die neue irakische Verfassung entgegen den Bombenandrohungen mit einer Wahlbeteiligung von immerhin 63 % angenommen. Die Verfassung bestimmt, dass der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat ist. Der Islam ist eine Hauptquelle der Gesetzgebung; die Verfassung enthält einen umfassenden Menschenrechtskatalog und garantiert eine Frauenquote von 25 % im Parlament. Am 19.10.2005 hat ein irakisches Sondergericht zur Aufarbeitung der Verbrechen des ehemaligen Regimes das erste Verfahren gegen Saddam Hussein sowie sieben weitere Repräsentanten des früheren Regimes eröffnet.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005, amnesty international, Jahresbericht 2006.

Am 15.12.2005 fanden im Irak Parlamentswahlen mit einer Wahlbeteiligung von immerhin 75 % der Wahlberechtigten ungeachtet der Bombendrohungen statt. Von den 275 Parlamentssitzen errangen die religiöse Schiiten-Allianz 128, das kurdische Wahlbündnis 53 und die sunnitische Irakische Konsensfront 44 Sitze.

Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2006.

Die Regierungsbildung war sehr langwierig, da die Kurden und die Sunniten den bisherigen schiitischen Ministerpräsidenten Dschaafari ablehnten. Erst im Mai 2006 wurde eine neue Regierung durch das irakische Parlament bestätigt. Neuer Ministerpräsident ist der Schiit Al-Maliki. Der Ölminister ist Schiit, der Außenminister Kurde und der Vizepremier Sunnit.

Vgl. zur Regierungsbildung Süddeutsche Zeitung vom 22.5.2006.

Insgesamt spiegelt das vollständige Kabinett mit 20 Schiiten, 8 Kurden, 8 Sunniten und 4 Säkularen den ethnisch-konfessionellen Proporz des Irak wieder.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Der Kurde Talabani wurde am 22.4.2006 erneut zum Staatspräsidenten gewählt.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Angesichts der Entwicklung der Machtverhältnisse, die von einer Mehrheit der unter dem sunnitischen Regime unterdrückten schiitischen und kurdischen Bevölkerungsgruppen geprägt ist, hält es der Senat mit hinreichender Sicherheit für ausgeschlossen, dass Anhänger des früheren Baath-Regimes bei realistischer Betrachtung als Minderheitsgruppe wieder diktatorische Herrschaftsgewalt ausüben werden, dafür die zuvor von Saddam Hussein verfolgten Volksgruppen gewinnen und sodann die Verfolgung wieder aufnehmen.

Der Verlust des Krieges gegen eine Weltmacht kann realistischerweise nicht mehr umgekehrt werden und dies ist auch wie dargelegt im Vietnamkrieg nicht geschehen.

Nach allem liegt in der Entmachtung von Saddam Hussein und des Minderheitsregimes der arabischen Sunniten einschließlich der spezifischen Verfolgungsmaßnahmen des Regimes eine unumkehrbare Entwicklung. Der Kläger hat mithin offenkundig nicht mehr mit einer wiederholten politischen Verfolgung zu rechnen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Wegfall der politischen Verfolgung bereits im Jahr 2004 als offenkundig bezeichnet, BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, unter eigener Beurteilung der Entwicklung in der Revisionsinstanz.

Der Kläger ist also hinreichend sicher davor, dass der Clan um Saddam Hussein nach dem verlorenen Krieg gegen eine Weltmacht erneut eine sunnitische Minderheitsdiktatur begründet und die Verfolgung des Klägers gerade dort aufnimmt, wo sie 1995 beendet wurde, nämlich mit der vorgetragenen drohenden Verhaftung wegen der Übermittlung von Einzelheiten der Militärfahrzeuge Saddam Husseins an die kurdische Partei PUK im Nordirak. Nach dem herabgesetzten Prognosemaßstab ist der Kläger mithin vor einer solchen Wiederholung dieser spezifischen Verfolgungsmaßnahmen hinreichend sicher.

Nach diesem Maßstab droht dem Kläger keine erneute Verfolgung.

Allerdings befürchtet der Kläger dennoch, er werde ungeachtet des Regimewechsels wegen des plausibel vorgetragenen früher begangenen militärischen Geheimnisverrats zugunsten der kurdischen Partei PUK weiterhin zur Rechenschaft gezogen. Dieser in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten bestrittene Verfolgungsvortrag kann zugunsten des Klägers als richtig unterstellt werden. Auf Grund der vorgetragenen Verfolgung meint der Kläger nach seinem erstinstanzlichen Vorbringen, er müsse heute von den aktuell an der Macht Befindlichen Verfolgung befürchten, mithin von der irakischen Regierung.

Eine solche Individualverfolgung durch den – an sich verfolgungsfähigen - neuen irakischen Staat ist aber auszuschließen. Saddam Hussein ist durch die Militärmacht der Amerikaner und Engländer entmachtet worden. Die seinerzeit verfolgte und vom Kläger unterstützte kurdische Partei PUK wird nunmehr von Talabani geleitet, der selbst Staatspräsident des Irak ist.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die jetzige, demokratisch legitimierte Regierung des Irak setzt sich aus Gegnern Saddam Husseins zusammen. Insbesondere wurde der schiitische Ministerpräsident Al-Maliki unter Saddam Hussein zum Tode verurteilt; der Ölminister Al-Schahristani war unter Saddam Hussein inhaftiert und gefoltert worden, weil er sich weigerte, an der Entwicklung einer Atombombe und damit der militärischen Macht Saddam Husseins mitzuarbeiten.

Süddeutsche Zeitung vom 22.5.2006.

Ein nachträglicher Schutz einzelner Daten der Militärmacht Saddam Husseins nach dem Stand von 1995 durch die Strafgerichte des neuen irakischen Staats oder durch andere staatliche Maßnahmen liegt außerhalb jeder realen Möglichkeit. Im Visier der Regierungsmaßnahmen ist der sunnitisch-arabische Widerstand. Dazu gehört der Kläger eindeutig nicht, was keiner näheren Darlegung bedarf.

Weiterhin fürchtet der Kläger wegen der damaligen Weitergabe der Daten der Militärfahrzeuge eine Individualverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 60 I 4 c AufenthG), und zwar durch das sunnitische Terrorpotenzial, das den neuen irakischen Staat bekämpft. Der Kläger befürchtet einen individuellen Racheakt.

Eine solche Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen durch nichtstaatliche Akteure ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu prüfen, wenn der Staat beziehungsweise gebietsmächtige Organisationen einschließlich internationaler Organisationen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 -.

Nach der zutreffenden Einschätzung von UNHCR sind die Koalitionstruppen und die irakischen Sicherheitskräfte, die selbst immer wieder Ziel verheerender Anschläge werden, nicht im Stande, die Sicherheit vor Attentaten zu gewährleisten.

UNHCR, Hinweise von April 2005; Position von September 2005; ebenso UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Mithin ist die Gefahr eines individuellen Attentats auf den Kläger zu prüfen.

In der irakischen Wirklichkeit kommen individuelle Racheakte vor. Aus dem Erkenntnismaterial ergibt sich insbesondere, dass Repräsentanten des früheren Regimes, die inzwischen mit der Regierung zusammenarbeiten, mit Racheakten des bewaffneten sunnitischen Widerstands rechnen müssen.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und schon vom 24.11.2005; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 3.4.2006; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005 sowie vom 9.6.2004: frühere exponierte Parteimitglieder und Angehörige des früheren Regimes, die die Seite gewechselt haben; keine Berichterstattung über solche Fälle in amnesty international, Jahresbericht 2006.

So hat sich das Deutsche Orient-Institut insbesondere mit dem Fall eines Arztes befasst, der nach dem Ende des Saddam-Regimes einen Lagerwechsel vornahm, politisch gegen das ehemalige Regime arbeitete und dafür von dem sunnitischen Widerstand gezielt ermordet wurde; hier hat das Deutsche Orient-Institut eine individuelle Gefahr auch für den Bruder des ermordeten Arztes bejaht.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 3.4.2006.

Insofern werden Seitenwechsler als Verräter und Kollaborateure im Einzelfall von dem sunnitischen Widerstand durch Racheakte bestraft.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 3.4.2006.

Zu diesen Personen gehört der Kläger aber nicht, der als bereits ursprünglicher Gegner Saddam Husseins und Anhänger der kurdischen Sache zu keinem Zeitpunkt die Seite gewechselt hat. Vielmehr hat er nach seiner Erstanhörung vom 13.12.1995 die Zusammenarbeit mit der Baath-Partei von Saddam Hussein abgelehnt.

Im Einzelfall kommen auch Racheakte von ehemaligen Anti-Saddamisten an Saddamisten vor, wenn es auch im Irak keine „Nacht der langen Messer“ gegeben hat.

Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 3.4.2006.

Auch davon ist der Kläger nicht betroffen, da er kein Saddamist war.

Im Übrigen kommen auch individuelle Racheakte im Verhältnis von Schiiten und Sunniten vor, die sich gegenseitig die begangenen Morde vorrechnen; diejenigen, die sich für ihre Racheakte Opfer suchen, tun dies auf ganz direkte Weise und aus ganz direkten Gründen.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 21.2.2006.

Bezogen auf die Vergangenheit kommt es in Einzelfällen zu individuellen Racheakten aus dem ganz direkten Grund, dass jemand persönlich Blut an seinen Händen hat.

So das Deutsche Orient-Institut in seinen Gutachten vom 14.6.2005 und vom 31.3.2005.

Auch eine solche Individualgefahr von Racheakten betrifft den Kläger nicht, der bereits nach seinem ursprünglichen Vortrag bei seiner Erstanhörung in Deutschland vom 13.12.1995 bis einschließlich der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nichts über eine Verwicklung in eine Bluttat vorgetragen hat.

Indirekte Gründe begründen dagegen nicht die realistische Gefahr eines Racheaktes. Insbesondere haben selbst die früheren Kämpfe gegen die Kurden heute nicht mehr das Gewicht, das für einen Racheakt einer der beiden Seiten erforderlich wäre.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 14.6.2005, mit Ausnahme der persönlichen Verantwortlichkeit für ein Massaker, die hier aber ersichtlich nicht vorliegt.

Ist aber bereits die direkte Beteiligung an früheren Kämpfen zwischen Kurden und Arabern heute nicht mehr unter dem Gesichtspunkt von gegenseitigen individuellen Racheakten von Gewicht, gilt dies erst recht für die bloß indirekte Beteiligung an den Kämpfen durch Übermittlung von Fahrzeugdaten der Militärfahrzeuge Saddam Husseins nach dem Stand von 1995. Die damaligen Übermittlungen des Klägers von Fahrzeugdaten an die Kurden fanden acht Jahre vor dem entscheidenden Irak-Krieg von 2003 statt, durch den Saddam Hussein die Macht verloren hat. Zu diesem entscheidenden Irak-Krieg hat der Kläger, der in Deutschland war, nichts beigetragen. Die militärischen Einzelheiten von Armeefahrzeugen Saddam Husseins nach dem seinerzeitigen Stand von 1995 haben keine Bedeutung für den jetzigen sunnitischen Widerstand, der den aktuellen Staat aus dem Untergrund mit Autobomben und Selbstmordattentaten – und nicht etwa mit Panzern und Armeefahrzeugen - bekämpft. Deshalb ist der Kläger bei realistischer Betrachtung nicht in Gefahr, wegen seiner indirekten Unterstützung der kurdischen Sache im Jahr 1995 persönliche Zielscheibe eines Attentats des sunnitischen Widerstands zu werden.

Nach allem ist der Kläger hinreichend sicher vor einer Individualverfolgung wegen seiner vorgetragenen früheren indirekten Unterstützung der kurdischen Sache.

Auf den Streit der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung, ob der durchaus plausible ursprüngliche Verfolgungsvortrag des Klägers zutrifft, kommt es daher nicht an.

Sonstige Gesichtspunkte für eine Individualverfolgung des Klägers sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

Zu prüfen ist sodann die in der mündlichen Verhandlung erörterte mögliche Gruppenverfolgung des Klägers als Mitglied der kurdisch-sunnitischen Volksgruppe durch Terrorkräfte als private Akteure. Bei der ethnisch-religiösen Gruppenverfolgung durch Private handelt es sich um eine gänzlich anders geartete Verfolgung als bisher behandelt ohne jeden Zusammenhang mit der Vorverfolgung durch Saddam Hussein, und deshalb ist im Rahmen der Widerrufsreglung nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der allgemeine Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen.

BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 – BVerwG 1 C 15.05 -.

Ein Ereignis ist dann beachtlich wahrscheinlich, wenn die für den Eintritt sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen.

BVerwG, Urteil vom 14.12.1993 – 9 C 45.92 -.

Ausgehend von diesem Maßstab droht dem Kläger als Mitglied der kurdischen Volksgruppe landesweit keine Gruppenverfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Als tatsächlicher Grund für eine solche Verfolgung sind die Terroranschläge im Irak zu prüfen.

Das größte Risiko für alle Menschen im Irak ist die instabile, manchmal eskalierende Sicherheitslage durch die Terroranschläge aus dem Untergrund, die an der Tagesordnung sind.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005; Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005 und Jahresbericht 2006; zur landesweit anhaltenden Gewalt auch UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Im Irak gibt es täglich landesweit mehr als hundert Anschläge aus dem Untergrund.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -, S. 15; zu den Anschlagsarten SFH, Position vom 9.6.2004.

Das entspricht einem Untergrundkrieg, wie auch in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde.

Insgesamt hat die Sicherheitslage im Irak einen Tiefpunkt erreicht.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die Sicherheitslage ist nicht nur in Bagdad prekär, sondern auch in den anderen großen Städten des Zentral- und Südirak sehr angespannt.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Nach der zutreffenden Einschätzung von UNHCR sind die Koalitionstruppen und die irakischen Sicherheitskräfte, die selbst immer wieder Ziel verheerender Anschläge werden, nicht imstande, die Sicherheit der irakischen Bevölkerung vor Attentaten und Sprengstoffanschlägen zu garantieren.

UNHCR, Hinweise von April 2005, UNHCR, Position von September 2005; UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Die darzulegenden Gefahren sollen hier im Rahmen des rechtlichen Ansatzes des Senats nach dem Maßstab der landesweiten Gruppenverfolgung dahingehend betrachtet werden, ob sich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung zu Lasten des Klägers, der ein sunnitischer Kurde ist, begründen lässt; danach ist auf eine Fluchtalternative einzugehen.

Die den Untergrundkrieg führende bewaffnete Opposition im Irak setzt sich aus verschiedenen Gruppierungen zusammen mit einem harten Kern von ungefähr 12.000 bis 40.000 Mitgliedern, die teils einen islamistischen Hintergrund, teils einen arabisch-nationalistischen Hintergrund haben.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, wonach sich bei 20.000 Militanten eine klar Trennlinie zwischen baathistischen und islamistischen Rebellen nicht ziehen lässt.

Zwischenzeitlich besteht der bewaffnete Widerstand im Untergrund ganz überwiegend aus sunnitischen Arabern.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands, unter Hinweis darauf, dass etliche prominente und vor allem ausländische Mitglieder der Al-Qaida inzwischen durch den beträchtlichen Druck der amerikanischen Besatzungstruppen entweder festgenommen worden sind oder bereits im Kampf gefallen sind.

Der Hauptzweck des bewaffneten Widerstandes wird in dem Erkenntnismaterial praktisch einhellig darin gesehen, den Wiederaufbau des Landes zu verhindern oder wenigstens nachhaltig zu stören.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; Europäisches Zentrum für Kurdische Studien vom 4.2.2006; Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands; sinngemäß auch UNHCR, Hinweise von April 2005, dort in personalisierter Form des Ziels mit Blick auf die Personen des Wiederaufbaus.

Für den bewaffneten irakischen Widerstand stellt die schiitisch dominierte irakische Regierung derzeit den Hauptgegner dar, irakische Truppeneinheiten sind ein bevorzugtes Angriffsziel.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands.

Es gibt derzeit landesweit etwa 240.000 irakische Soldaten und Polizisten.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Im Erkenntnismaterial besteht im Wesentlichen Übereinstimmung, dass zu dem Hauptziel der Anschläge die irakische Regierung und die irakischen Sicherheitskräfte gehören.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, zu den irakischen Sicherheitskräften; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 6.9.2005, zu den irakischen Sicherheitskräften; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, zu den Regierungsmitgliedern; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 9.6.2004, zu den neuen irakischen Sicherheitskräften; UNHCR, Hinweise von April 2005, zu den Mitarbeitern der irakischen Regierung und zu Polizisten; amnesty international, Jahresbericht 2006.

Diese Personen sind als Zielscheibe des Terrors einem erhöhten Risiko ausgesetzt, durch Bombenanschläge in dem Untergrundkampf umzukommen. Nach der Einschätzung von amnesty international sind alle Personen, die bei den multinationalen Streitkräften oder bei der irakischen Polizei angestellt sind, in Gefahr, gezielt bei der Arbeit oder in ihrer Freizeit als Kollaborateur ermordet zu werden.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005; amnesty international, Jahresbericht 2006.

Der Kläger gehört eindeutig nicht zu diesem erhöht gefährdeten Personenkreis.

Entsprechend dem dargelegten Ziel des bewaffneten Widerstandes, den Wiederaufbau im Irak zu verhindern, gehören zu den engeren Anschlagszielen über Regierung und Sicherheitskräfte hinaus die öffentlichen Personen des Wiederaufbaus.

Zu den exponierten Personen gehören nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe Personen der Öffentlichkeit wie Intellektuelle, Ärzte, Anwälte, Richter, Menschenrechtsaktivisten, führende Persönlichkeiten irakischer Parteien, religiöse Würdenträger, Medienschaffende und irakische Unternehmer.

Vgl. die insgesamt sehr umfangreiche Auflistung erhöht gefährdeter Personen des Wiederaufbaus in den Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 9.6.2004 und vom 15.6.2005.

Damit vergleichbar sind nach der Einschätzung von UNHCR insbesondere Personen gefährdet, die sich um den Wiederaufbau im Irak bemühen, wie über Regierungsmitglieder und Polizisten hinaus Richter, Rechtsanwälte, Intellektuelle, Ärzte und Journalisten.

UNHCR, Hinweise von April 2005 und Positionspapier von Oktober 2004.

Anschlagsziele sind nach der vergleichbaren Darlegung von amnesty international auch Angestellte des öffentlichen Dienstes, Regierungsbeamte, Richter und Journalisten.

amnesty international, Jahresbericht 2006.

Auch nach der Würdigung des Auswärtigen Amtes richten sich die Anschläge zunächst vor allem gegen Personen, die mit dem politischen oder wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes verbunden werden.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, in der Zusammenfassung; im Einzelnen werden insbesondere Anschläge auf Politiker, Journalisten und Professoren sowie Ärzte dargestellt.

Der Senat legt für seine Rechtsprechung die im Wesentlichen übereinstimmende Einschätzung des Auswärtigen Amtes, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von UNHCR zugrunde, dass die Anschläge insbesondere auch öffentlichen Personen des Wiederaufbaus im Irak gelten.

Zur terminologischen Klarstellung sei noch darauf hingewiesen, dass teilweise die Personen, die lediglich gegenwärtig am Wiederaufbau teilnehmen, schon deshalb ohne weiteren Vergangenheitsbezug als Kollaborateure angesehen werden (im Gegensatz zu den bereits dargestellten Seitenwechslern). So sind nach der Einstufung von amnesty international alle Personen, die derzeit bei den multinationalen Streitkräften oder bei der irakischen Polizei angestellt sind, in Gefahr, gezielt als Kollaborateur ermordet zu werden.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005; für Angestellte der multinationalen Streitkräfte nochmals amnesty international, Jahresbericht 2006.

In diesem weiten Sinn gebraucht auch der vom Kläger herangezogene Widerrufsbescheid vom 19.10.2004, S. 8 (Widerrufsakte Bl. 25) den Begriff Kollaborateur, wonach die anhaltenden Anschläge im Irak in aller Regel zielorientiert den multinationalen Truppen gelten, den irakischen Polizeistationen sowie der Kollaboration verdächtigten Repräsentanten irakischer Institutionen sowie ausländischen Zivileinrichtungen.

Dieser weit gefasste Begriff der Kollaboration knüpft allein an die gegenwärtige Wiederaufbaubeteiligung an.

Ähnlich Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 21.2.2006, wonach kooperations- und beteiligungswillige arabische Sunniten von den gewalttätigen Kräften als Kollaborateure angesehen werden.

Nach allem ist der Senat mit Blick auf die übereinstimmende Würdigung des Auswärtigen Amts, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von UNHCR der Auffassung, dass engere Anschlagsziele über Regierung und Sicherheitskräfte hinaus die öffentlichen Personen des Wiederaufbaus mit einer daraus folgenden erhöhten Gefährdung sind.

Zu dieser Personengruppe gehört der Kläger nicht. Er ist bezogen auf den gegenwärtigen Wiederaufbau des Irak schon wegen seiner über zehnjährigen Abwesenheit seit 1995 keine öffentliche Person des Wiederaufbaus. Mithin kann realistischerweise ausgeschlossen werden, dass der Kläger nach einer Rückkehr in den Irak als öffentliche Person des Wiederaufbaus und in diesem Sinn als Kollaborateur zu den engeren Anschlagszielen des bewaffneten irakischen Widerstands gehört.

Da der sunnitische Widerstand vor allem die schiitisch dominierte Regierung als Hauptgegner ansieht, gerät die schiitische Volksgruppe insgesamt in das Blickfeld des Widerstands und kommt es im Sinne von weiter gestreuten Zielen auch zu Selbstmordattentaten insbesondere in schiitischen Vierteln Bagdads, die überwiegend der schiitischen Volksgruppe gelten.

Vgl. zu einem solchen Attentat mit 140 getöteten Zivilpersonen amnesty international, Jahresbericht 2006, S. 209; zur internen Diskussion von Anschlägen auf Schiiten vgl. Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstandes.

Auf die Bedrohung der schiitischen Volksgruppe ist noch einzugehen.

Solche Anschläge bedeuten aber zugleich eine Gefahr für alle Zivilpersonen, die sich – auch als Nichtschiiten wie der Kläger – zufällig in einem solchen schiitischen Stadtviertel aufhalten.

Im Falle einer Rückkehr in den Irak ist der Kläger auch als Kurde der landesweiten Gefahr von Terroranschlägen letztlich ebenso ausgesetzt wie die Zivilbevölkerung des Irak, und zwar ohne hinreichenden Schutz der Sicherheitskräfte. Als allgemeine Gefahr für die gesamte Zivilbevölkerung wird die Anschlagswelle auch im Erkenntnismaterial gesehen.

Das Auswärtige Amt würdigt die Anschläge ausdrücklich als enorme allgemeine Bedrohung.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Das Deutsche Orient-Institut sieht dies ebenso. Die zahlreichen Anschläge gelten danach insbesondere Institutionen der irakischen Sicherheitskräfte, von ihnen sind aber alle Irakerinnen und Iraker bedroht; die Terroristen nehmen den Tod völlig Unbeteiligter massenhaft in Kauf.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 6.9.2005.

Nach der Feststellung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden Zivilisten oft Opfer, wenn das eigentliche Ziel Soldaten sind.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Gutachten vom 9.6.2004.

Nach der Würdigung des Auswärtigen Amtes trägt die weitgehend ungeschützte Zivilbevölkerung den Großteil der Opferlast.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Passanten werden regelmäßig Opfer von Gewalt.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Nach Darlegung von amnesty international kommen Zivilpersonen ums Leben bei Autobomben oder Anschlägen von Selbstmordattentätern, die an sich der irakischen Polizei, Regierungstruppen, Militärkonvois und Stützpunkten der multinationalen Truppen gelten.

amnesty international, Jahresbericht 2006.

Bei den Sprengstoffanschlägen werden nach Darlegung von UNHCR unbeteiligte zivile Opfer von den Akteuren bewusst in Kauf genommen.

UNHCR, Hinweise von April 2005.

Ein Minimum an Schutz der Zivilbevölkerung vor den Bombenanschlägen besteht nicht.

UNHCR, Position von September 2005.

Der Senat geht sodann auf die landesweite Anschlagsdichte ein.

Entsprechend der Betrachtungsweise, dass die Zivilbevölkerung insgesamt Opfer der Terroranschläge ist, enthält das Erkenntnismaterial summierte Zahlen über die zivilen Opfer für den gesamten Irak.

Die Anschlagsopfer unter den Sicherheitskräften einerseits und unter der Zivilbevölkerung andererseits werden im Erkenntnismaterial verglichen. Besonders hohe Verluste haben die irakischen Sicherheitskräfte mit – allein 2005 – 4300 getöteten Polizisten und Soldaten.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Amnesty international hat sowohl die Opfer unter den amerikanischen Soldaten als auch unter der Zivilbevölkerung landesweit konkret dargelegt.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Danach wurden durch die Anschläge 1.572 US-Soldaten getötet und 12.174 verletzt. Bei den Anschlägen kamen 2.300 Zivilisten ums Leben und die Anzahl der zivilen Opfer insgesamt wird zwischen 21.239 und 24.106 eingeschätzt. Das Auswärtige Amt gibt eine – pauschale - höhere Zahl von Opfern unter den Zivilisten zwischen 30.000 und 100.000 wieder.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Bezogen auf die Zivilbevölkerung des Irak ist zunächst mit Blick auf das Gewicht der Verfolgungshandlungen von dem schwersten asylerheblichen Eingriff der Anschläge mit Todesfolge auszugehen und die Anschlagsdichte festzustellen.

Die – jährlich wachsende - Bevölkerung des Irak beträgt rund 27 Millionen Menschen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die mehrjährigen Todesopfer unter der Zivilbevölkerung durch Massenanschläge gibt amnesty international mit über 2.300 Menschen an.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, dort S. 10.

Die Anschlagsdichte der tödlichen Anschläge beträgt mithin für die gesamte Zivilbevölkerung des Irak im Durchschnitt 1:12.000.

Nach dem schwerstmöglichen Eingriff der Tötung ist auf die Verletzungsgefahr durch Massenanschläge abzustellen. Dafür liegen sowohl konkrete Zahlen als auch pauschale Abschätzungen vor. Nach den konkreten Zahlen von amnesty international wurden landesweit zwischen 21.239 und 24.106 zivile Opfer durch Anschläge geschätzt.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, S. 10.

Auszugehen ist von der Maximalzahl von 24.106 Opfern. Bezogen auf die Verletzungsgefahr ist damit die Anschlagsdichte auf der Grundlage der Zahlen von amnesty international 1:1100.

Eine nochmals viermal höhere pauschale Schätzung für die zivilen Opfer gibt das Auswärtige Amt mit 30.000 bis 100.000 Opfern wieder.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, dort S. 15.

Nach den derzeitigen Zahlen wurden jeden Monat 3.000 Iraker verletzt oder getötet.

Süddeutsche Zeitung vom 4.9.2006, S. 1, unter Wiedergabe einer Analyse des amerikanischen Verteidigungsministeriums.

Das entspricht auf das Jahr bezogen rund 36.000 Anschlagsopfern.

Geht man von der noch höheren Schätzung des Auswärtigen Amtes von 100.000 Anschlagsopfern aus, ergibt sich als Höchstabschätzung eine landesweite Anschlagsdichte von 1:270.

Zahlen liegen auch für Bagdad vor, die einen Vergleich von Tötungsrate und Entführungsrate ermöglichen. So beträgt nach den Zahlen von amnesty international speziell die Tötungsrate in Bagdad, hier aber einschließlich der Kriminalität, 90 von 100.000 Einwohnern.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, dort S. 10; zu einer Gewalteskalation in Bagdad mit 1091 Tötungen im April 2006 vgl. Süddeutsche Zeitung von 11.5.2006, S. 7.

Auf dieser Grundlage besteht die Gefahr, in Bagdad durch Anschläge oder anschlagsunabhängig durch Kriminelle getötet zu werden, rund 1:1.100.

Ähnlich groß ist in Bagdad die Entführungsgefahr. Ausgehend von täglich 10 bis 15 meist kriminellen Entführungsfällen

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/005.OVG -, S. 15

ergeben sich bei täglich 15 Fällen im Jahr rund 5500 Entführungen und damit bezogen auf die 5-Millionen-Stadt eine Entführungsrate von rund 1:900.

Die Entführungsrate ist also der Tötungsrate vergleichbar.

Die dargelegten Zahlen belegen die äußerst problematische und manchmal eskalierende Sicherheitslage im Irak und die Gefahr der Zivilbevölkerung, durch einen Anschlag verletzt oder getötet oder entführt zu werden. Ein vollständiges Ausweichen vor den Anschlägen ist der Zivilbevölkerung des Irak landesweit nicht möglich, auch wenn im kurdisch verwalteten Nordirak die Anschlagsdichte insgesamt geringer ist.

Vgl. zu Letzterem übereinstimmend Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006 sowie Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, wonach die Sicherheitslage im Nordirak mit Ausnahme von wenigen Anschlägen stabil ist, und UNHCR, Position von September 2005, wonach deutlich weniger Gewalttaten verübt werden.

Mithin liegt eine allgemeine Gefahr für die Zivilbevölkerung vor, der sie landesweit nicht vollständig ausweichen kann. Es ist verständlich, dass der Kläger in ein solches Land nicht zurückkehren möchte, in dem er sich nach seinem persönlichen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung überdies als Ausländer fühlt.

Für den Widerruf entscheidend ist aber nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr, nicht einer allgemeinen Gefahr. Deshalb muss der Senat prüfen, ob sich die Gefahr zugunsten des Klägers rechtlich als Gruppenverfolgungsgefahr würdigen lässt.

Als Gruppenverfolgung kommt hier die private Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure, insbesondere den sunnitischen Untergrund, in Betracht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner neuen Rechtsprechung klargestellt, dass für die private Gruppenverfolgung grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie für eine staatliche Gruppenverfolgung gelten.

BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 – 1 C 15.05 -.

Diesem Maßstab schließt sich der Senat an.

Der Senat prüft im Folgenden als generelle Verfolgungsmuster im Irak nacheinander eine Gruppenverfolgung der Zivilbevölkerung und dann der großen Volksgruppen.

Die allgemeine Anschlagsgefahr kann zugunsten des Klägers nicht bereits als Gruppenverfolgung der Zivilbevölkerung des Irak insgesamt angesehen werden. Das ergibt sich sowohl aus dem erforderlichen Ausgrenzungsgesichtspunkt der Verfolgung als auch aus dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet die politische Verfolgung grundrechtlich eine Ausgrenzung durch intensive Rechtsverletzungen.

BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216, 231.

Die Zivilbevölkerung des Irak kann nicht im Ganzen aus dem irakischen Volk ausgegrenzt werden.

Das Europarecht führt mit Eindeutigkeit zu demselben Ergebnis. Nach Art. 10 I d der neuen als Auslegungshilfe heranziehbaren europäischen Qualifikationsrichtlinie muss eine verfolgte Gruppe eine deutlich abgegrenzte Identität haben und von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden. Dies scheidet bei der Zivilbevölkerung des Irak aus, denn für sie existiert keine sie umgebende Gesellschaft.

Weiterhin fehlt es selbst bei unterstellter Ausgrenzung an dem Merkmal der Verfolgungsdichte. Die Gruppenverfolgung bedeutet eine Regelvermutung der eigenen Verfolgung.

BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 – 1 C 15.05 -.

Eine Gruppenverfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein muss; die eigene bisherige Verschonung von ausgrenzenden Rechtsgutbeeinträchtigungen muss als eher zufällig anzusehen sein.

Zu diesen Merkmalen BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216-231 und 232.

Bei der Verfolgungsdichte ist sodann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwischen großen und kleinen Gruppen zu unterscheiden, da eine bestimmte absolute Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe als bedrohlich erweist, eine große Gruppe nicht im Ganzen bedroht.

BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158/94 -, zitiert nach Juris.

Als große Gruppe hat das Bundesverwaltungsgericht insbesondere eine Gruppe von knapp 2 Millionen Kosovo-Albanern sowie eine Gruppe von 4 Millionen Kurden in bestimmten Gebieten der Türkei angesehen, als kleine Gruppe insbesondere eine Gruppe syrisch-orthodoxer Christen in der Türkei von etwa 1.300 Personen.

Zu den großen Gruppen BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158/94 -; Urteil vom 30.4.1996 - 9 C 170/95 -; zu der kleinen Gruppe Beschluss vom 22.5.1996 - 9 B 136/96 -.

Bei der Zivilbevölkerung des Irak von 27 Millionen Menschen läge im Sinne der Rechtsprechung zur Verfolgungsdichte eine große Gruppe vor. Einen Anhaltspunkt für die erforderliche Verfolgungsdichte ergibt sich aus der dargelegten Verfassungsrechtsprechung, wonach die eigene bisherige Verschonung eher zufällig sein muss. Dies erfordert zwar nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit von Eingriffen, da auch eine qualitative Betrachtung erforderlich ist. Bezogen auf eine große Gruppe hat das Bundesverwaltungsgericht eine Verfolgungsdichte von etwa einem Drittel als im Ansatz ausreichend angesehen, die aber auf entsprechender Tatsachengrundlage belegt werden muss.

BVerwG, Urteil vom 30.4.1996 - 9 C 170/95 -, wonach der Ansatz des Berufungsgerichts von 1,5 Millionen Eingriffen gegenüber 4 Millionen Kurden mit Blick auf die erforderliche Verfolgungsdichte nicht beanstandet wird, wohl aber mit Blick auf die Belegung durch Tatsachenfeststellungen.

Die genaue Grenzziehung kann offen bleiben. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird die notwendige Verfolgungsdichte bei einer großen Gruppe allenfalls noch bei einer Verfolgungsdichte von 1:10 erreicht; dann könnte noch von einer Regelvermutung der eigenen Verfolgung gesprochen werden. Positiv gewendet überleben bei dieser Verfolgungsdichte 90 % der Mitglieder der großen Volksgruppe die Anschläge unverletzt. In diesem Fall kann es im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr als Zufall angesehen werden, dass ein einzelnes Mitglied der Volksgruppe unverletzt überlebt.

Die dargelegte Anschlagsdichte für die Zivilbevölkerung nach den konkreten Zahlen von amnesty international für Verletzungsopfer von 1:1100 und selbst nach den höheren pauschalen Zahlen des Auswärtigen Amtes von 1:270 wahrt einen sicheren Abstand von der kritischen Verfolgungsdichte von 1:10. Bei der festgestellten landesweiten Anschlagsdichte im Irak kann es ungeachtet der Furchtbarkeit der Einzelschicksale nicht mehr als bloßer Zufall angesehen werden, dass ein Gruppenmitglied bisher selbst von einem Anschlag verschont worden ist und im Irak unverletzt überlebt. Vielmehr ist es ein Zufall, selbst von einem Anschlag getroffen zu werden. Die Tötungs- und Entführungsgefahr ist wie dargelegt geringer als die Verletzungsgefahr. Bei einer qualitativen Wertung kann ausgeschlossen werden, dass entsprechend den Verfolgungsvoraussetzungen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die gesamte Zivilbevölkerung des Irak gezwungen wäre, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage ihr Land zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.

Zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216, 230.

Ungeachtet der landesweit ungewöhnlich hohen Anschlagszahlen im Irak und der problematischen Sicherheitslage besteht nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass jedes Mitglied der Zivilbevölkerung allenfalls noch zufällig ohne Entführung und unverletzt überleben kann, in eine ausweglose Lage gebracht wird und das Land verlassen muss.

Bei der Frage der Gruppenverfolgung ist nach der Zivilbevölkerung als größtmöglicher Gruppe auch die Aufgliederung des Irak in große Bevölkerungsgruppen als generelles Verfolgungsmuster in den Blick zu nehmen.

Die größte Bevölkerungsgruppe bilden die arabischen Schiitinnen und Schiiten, die rund 60 % bis 65 % der Bevölkerung ausmachen und vor allem im Südosten und Süden des Landes wohnen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe sind die arabischen Sunnitinnen und Sunniten mit etwa 17 bis 22 % der Bevölkerung und damit rund 5 Millionen, die ihren Schwerpunkt im Zentralirak und Westirak haben.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend ebenfalls sunnitischen Kurdinnen und Kurden machen mit 15 bis 20 % der Bevölkerung rund 5 Millionen aus.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

In Bagdad leben unterschiedliche Bevölkerungsgruppen teilweise in eigenen Vierteln.

Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005; amnesty international, Jahresbericht 2006 für schiitische Viertel.

Engeres Ziel der Anschläge des irakischen Widerstandes sind die irakischen Sicherheitskräfte, d.h. die irakischen Truppeneinheiten und die neue irakische Polizei. Der Truppen- und Polizeieinsatz der irakischen Sicherheitskräfte erfolgt landesweit. Da diese Sicherheitskräfte Zielscheibe des Terrors sind, erfolgen die Anschläge nach dem Erkenntnismaterial landesweit und sind nicht etwa auf den Zentralirak begrenzt.

Zu den landesweiten Anschlägen eingehend Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005, ebenfalls zu den landesweiten Anschlägen amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, zur Gefahr für jeden Iraker Deutsches Orient-Institut vom 6.9.2005.

Auch im Nordirak erfolgen Anschläge etwa auf Polizeirekruten.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005.

Ungeachtet der Binnenströme der Bevölkerung jeweils zu ihren eigenen Hochburgen

vgl. zu Binnenvertreibungen aus den Hochburgen anderer Bevölkerungsgruppen außerhalb Bagdads insbesondere Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; zu Binnenvertreibungen von 35.000 Menschen aufgrund des Anschlags auf die schiitische Moschee von Samarra Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

treffen bei einer Gesamtbetrachtung die landesweiten Bombenanschläge im Irak neben dem eigentlichen Ziel der irakischen Sicherheitskräfte auch immer die Zivilbevölkerung jedes Geschlechts und Alters in ihrer jeweiligen Volksgruppenprägung. Die Terroristen nehmen den Tod völlig unpolitisch-unbeteiligter Irakerinnen und Iraker massenhaft in Kauf, und Zivilpersonen werden oft Opfer, wenn das eigentliche Ziel Soldaten sind.

Amnesty international, Jahresbericht 2006; Deutsches Orient-Institut vom 6.9.2005 und Schweizerische Flüchtlingshilfe, Position vom 9.6.2004, UNHCR, Hinweise von April 2005.

Die Zivilbevölkerung trägt den Großteil der Opferlast der Anschläge.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Dieser Zusammenhang von Operationen gegen die irakischen Polizei- und Militärkräfte und gegen die Zivilbevölkerung ist auch dem bewaffneten irakischen Widerstand bewusst und führt dort zu Differenzen.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands.

Solange der Tod der unpolitisch-unbeteiligten Zivilbevölkerung massenhaft in Kauf genommen wird, ist jede Irakerin und jeder Iraker, ungeachtet der Religionszugehörigkeit, von diesen Anschlägen bedroht.

So überzeugend Deutsches Orient-Institut vom 6.9.2005.

Nach der demografischen Zusammensetzung des Irak sind rund 60 % der Bevölkerung Frauen – also etwa 17 Millionen – und 50 % der Bevölkerung – also etwa 13,5 Millionen – sind unter 18 Jahren alt.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die gewaltsamen Anschläge können gleichsam blind jeden treffen.

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.10.2003 - 1 LB 39/03 -.

Auch Kinder sind Opfer der Bombenanschläge.

Amnesty international, Jahresbericht 2006.

Bei dieser Sachlage fehlt es aber bei den Anschlägen an einer Ausgrenzung jedenfalls der großen Volksgruppen mit Ausnahme allenfalls der schiitischen Volksgruppe. Nach der Verfassungsrechtsprechung knüpft die Gruppenverfolgung an kollektive Merkmale einer Gruppe an.

BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216, 231.

Die dargelegten Terroranschläge, die eigentlich auf die Sicherheitskräfte und auf öffentliche Personen des Wiederaufbaus zielen, treffen wegen des Terrormittels der Bombenexplosionen je nach dem Wohnviertel immer auch die jeweilige unbeteiligte Zivilbevölkerung, in einem schiitischen Wohnviertel mithin vor allem Schiiten. Der Kampf des sunnitischen Widerstandes gegen die schiitisch dominierte Regierung kann allerdings auch die große schiitische Volksgruppe in den Blick nehmen und im Weiteren etwa auch schiitische Stadtviertel Bagdads einschließen.

Zur Vorgehensweise amnesty international, Jahresbericht 2006; zu den Widerstandszielen einschließlich der kontrovers diskutierten Anschläge auf Schiiten Le Monde diplomatique vom 12.5.2006.

Bei solchen Selbstmordanschlägen und Autobomben wird aber zugleich die unbeteiligte Zivilbevölkerung auch von Sunniten und Kurden mit betroffen.

Allenfalls bei Anschlägen in Form gezielter Erschießungen nach Kontrolle der Volkszugehörigkeit an Hand der Ausweise kann es vorkommen, dass bei demselben Attentat nach dem Gruppenmerkmal Schiiten getötet und Sunniten verschont werden.

Vgl. den in der NZZ vom 6.6.2006, S. 1, geschilderten Busüberfall mit der Erschießung von 24 Schiiten und der Verschonung von Sunniten; der Jahresbericht 2006 von amnesty international enthält nur einen allgemeinen, nicht konkretisierten Hinweis auf Anschläge wegen Zugehörigkeit zu religiösen oder ethnischen Gruppen.

Über derart gezielte Anschläge speziell nach dem Gruppenmerkmal der kurdischen Volkszugehörigkeit wird nicht berichtet. Vielmehr kann insofern nur auf arabisch-kurdische Spannungen in den – nicht unter kurdischer Verwaltung stehenden – multiethnischen Städten Mosul und Kirkuk hingewiesen werden, die sich insbesondere in Autobombenanschlägen zu Lasten der Zivilbevölkerung entladen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, wonach es in Kirkuk 2005 zu über 70 Autobombenanschlägen gekommen ist.

Davon abgesehen steht die kurdische Volksgruppe landesweit nicht derart im Blickfeld des sunnitischen Widerstands wie die schiitische Volksgruppe.

Die unmenschliche Anschlagswirklichkeit im Untergrundkampf wird durch die landesweiten Bombenanschläge insbesondere in Form von Selbstmordattentaten und Autobomben geprägt, die die Zivilbevölkerung insgesamt blind treffen. So wird die Wirkung der Anschläge ersichtlich auch im Erkenntnismaterial gesehen. Das Auswärtige Amt gliedert seine pauschale Schätzung der Opfer nicht nach Volksgruppen auf.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, und methodisch ebenso Lagebericht vom 24.11.2005.

Das Auswärtige Amt hält Passanten für regelmäßige Opfer der Gewalt und sieht den Großteil der Opferlast bei der Zivilbevölkerung.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die Organisation amnesty international gibt bei den Anschlägen die landesweite Zahl der zivilen Opfer wieder, gibt sie konkret mit 21.239 bis 24.106 an und gliedert sie ebenfalls nicht nach Bevölkerungsgruppen auf.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Das Auswärtige Amt berichtet über den Anschlag auf die schiitische Moschee in Samarra am 22.2.2006 und über Gegenanschläge auf sunnitische Moscheen und gibt die Opfer dieser konfessionell motivierten gegenseitigen Gewalt mit über 1000 Menschen an, gliedert sie aber nicht nach Schiiten und Sunniten auf.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Bezogen auf Volksgruppen als Anschlagsopfer referiert amnesty international einen konkreten Bombenanschlag auf vorwiegend Schiiten mit 114 getöteten Zivilpersonen, bezieht aber die landesweit aufsummierten Opferzahlen allein auf Zivilpersonen ohne Aufspaltung auf die Volksgruppen.

Vgl. zum Ersteren amnesty international, Jahresbericht 2006; zum Letzteren allgemeine Zahlen im Gutachten vom 16.8.2005.

Das Deutsche Orient-Institut hält wie dargelegt jede Irakerin und jeden Iraker ungeachtet seiner Religionszugehörigkeit durch die Anschläge der Terroristen für bedroht. Die Anschläge sind also weder auf den Zentralirak noch auf bestimmte Gruppen begrenzt.

Deutsches Orient-Institut vom 6.9.2005.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe sieht den Zusammenhang, dass irakische Zivilisten oft Opfer sind, wenn das eigentliche Ziel Soldaten sind; Zivilpersonen können bei Anschlägen nicht geschützt werden.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Position vom 9.6.2004.

Übereinstimmend damit ist auch die Sichtweise von UNHCR, wonach im Irak tägliche Attentate und Sprengstoffanschläge vor allem gegen Polizisten und Polizeirekruten sowie Mitarbeiter der Regierung verübt werden und unbeteiligte zivile Opfer dabei von den Akteuren bewusst in Kauf genommen werden.

UNHCR, Hinweise von April 2005, zu Opfern unter Christen UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Nach den dargelegten Kriterien der Gruppenverfolgung in der Verfassungsrechtsprechung und den Ausgrenzungskriterien des Europarechts kann schwerlich angenommen werden, alle großen Volksgruppen – Schiiten, Sunniten und Kurden – und damit insgesamt fast alle der 27 Millionen Iraker würden von dem Untergrundkrieg aus der umgebenden verbleibenden Gesellschaft ausgegrenzt. Insbesondere spricht nichts für eine Ausgrenzung der Kurden, und zwar weder landesweit noch für den Zentralirak. Am ehesten könnte eine Ausgrenzung der größten schiitischen Volksgruppe von rund 17 Millionen Irakern durch den sunnitisch geprägten Widerstand angenommen werden. Das rechtlich erforderliche Ausgrenzungsmerkmal spricht aber letztlich gegen eine Ausgrenzung der großen Volksgruppen.

Andererseits kann nach der zu beachtenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine tatsächlich stattfindende Gruppenverfolgung nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, auch andere Bevölkerungsgruppen oder Minderheiten würden in ähnlicher Weise drangsaliert.

BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 – 1 C 15.05 -.

Deshalb unterstellt der Senat landesweit eine Ausgrenzung der großen Bevölkerungsgruppen und geht auf den Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte ein. Die Anschlagsopfer sind also nunmehr auf diese Bevölkerungsgruppen zu beziehen.

Die mehrjährigen Todesopfer unter der Bevölkerung des Iraks durch Massenanschläge betragen wie dargelegt nach den zugrunde zu legenden konkreten Zahlen von amnesty international über 2.300 Menschen, die Verletzten maximal 24.106 Menschen.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Sie sind der Wiedergabe pauschaler Schätzungen durch das Auswärtige Amt vorzuziehen, die im Übrigen nicht zu einem qualitativ anderen Ergebnis führen würden und keine ausweglose Lage der großen Volksgruppen begründen könnten. Zugrunde zu legen sind nunmehr die konkreten Zahlen von amnesty international. Danach geht der Senat von einer unterstellten Maximalabschätzung aus, bei der die aufsummierten konkreten Anschlagsopfer im Irak nur jeweils einer Volksgruppe als Opfer zugerechnet werden. In Relation gesetzt werden die gesamten Anschlagszahlen jetzt nicht zu der Gesamtbevölkerung des Irak von 27 Millionen, sondern nacheinander zu den größeren Bevölkerungsgruppen der arabischen Schiiten mit rund 17 Millionen, der arabischen Sunniten mit rund 5 Millionen und der Kurden mit rund 5 Millionen.

Zunächst ist auf die Schiiten einzugehen.

Da das Erkenntnismaterial die Opfer der schiitischen Volksgruppe nicht konkret summiert, geht der Senat bei diesem Schritt der unterstellten Maximalbetrachtung davon aus, dass alle Anschläge im Irak den Schiiten gelten. Bei der schiitischen Volksgruppe als unterstelltem alleinigem Anschlagsziel ergäbe sich dann eine Anschlagsdichte mit tödlichen Opfern von durchschnittlich 1:7400. Für die Entführungsgefahr ist wie dargelegt von einer vergleichbaren Größenordnung wie für Tötungen wie dargelegt von 1:7400 auszugehen. Sodann ergäbe sich mit Blick auf die Zahl der verletzten zivilen Opfer nach amnesty international von 24.106 Menschen eine höhere Anschlagsdichte mit Verletzten von 1:700 für die Schiiten.

Unterstellt man als nächsten Schritt, dass alle Anschläge im Irak den rund 5 Millionen Sunniten gelten, ergibt sich eine Anschlagsdichte bei den Todesopfern von rund 1:2000, ähnlich hoch für Entführungen und bei den Verletzungsopfern von rund 1:200. Die gleichen Zahlen ergeben sich landesweit für die hier betroffene Volksgruppe der Kurden.

Eine derart große Anschlagsdichte bezogen auf eine einzige große Volksgruppe – insbesondere die Kurden – wie in der Maximalabschätzung des Senats wird soweit ersichtlich nirgends im Erkenntnismaterial angenommen. Im Erkenntnismaterial wird auch nicht – wie vom Kläger vorgeschlagen – eine allein auf den Zentralirak bezogene Gruppenverfolgung von Kurden angenommen. Entscheidend ist, dass selbst bei dieser unterstellten Maximalabschätzung die landesweite Anschlagsdichte im Sinne einer Anschlagsverletzung von Kurden nach den Zahlen von amnesty international äußerstenfalls 1:200 beträgt. Tötungs- und Entführungsgefahr sind geringer. Positiv gewendet bleiben bei dieser Anschlagsdichte 99,5 % aller Menschen der kurdischen Volksgruppe unverletzt. Selbst nach den pauschalen Zahlen des Auswärtigen Amtes würde die äußerste Anschlagsdichte 1:50 betragen; positiv gewendet würden immerhin 98 % der kurdischen Volksgruppe die Anschläge unverletzt überleben. Eine Regelvermutung der eigenen Verfolgung kann nicht aufgestellt werden. Die Angehören der kurdischen Volksgruppe überleben landesweit betrachtet in keinem Fall nur durch Zufall unverletzt und werden nicht in eine ausweglose Lage gebracht, in der sie das Land verlassen müssen.

Dasselbe gilt für die sunnitische und erst recht die schiitische Volksgruppe.

Unabhängig von der dargelegten Maximalabschätzung ist für die hier maßgebende Volksgruppe der Kurden konkret festzustellen, dass die gewaltsamen Auseinandersetzungen vor allem die Volksgruppen der arabischen Sunniten und der arabischen Schiiten untereinander betreffen; an diesen Auseinandersetzungen sind die sunnitischen Kurden jedenfalls nicht unmittelbar beteiligt.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -; zur Auseinandersetzung (nur) zwischen Sunniten und Schiiten Le Monde diplomatique vom 12.5.2006; vgl. auch den Jahresbericht 2006 von amnesty international, der für den Nordirak nur einzelne Menschenrechtsverletzungen auflistet, aber keine Gruppenverfolgung einer Volksgruppe.

Auch das Auswärtige Amt legt das Schwergewicht auf die Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen und sunnitischen Konfessionen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Lediglich die Mäßigungsaufrufe der schiitischen und sunnitischen religiösen Führer haben bisher den Ausbruch eines offenen Bürgerkriegs zwischen diesen Konfessionen verhindern können.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Die Volksgruppe der Kurdinnen und Kurden ist mithin nicht Zielscheibe, sondern landesweit im Wesentlichen Zufallsopfer der Anschläge im Irak. Ausgehend davon ist die Anschlagsdichte für Kurden realistischerweise wesentlich geringer anzusetzen, als es der Maximalabschätzung des Senats mit 1:200 entspricht. Eine landesweite oder auf den Zentralirak bezogene Gruppenverfolgung der Kurden als großer Bevölkerungsgruppe von 5 Millionen Menschen wird im Erkenntnismaterial soweit ersichtlich nicht angenommen.

Nach dem dargelegten Ergebnis der Prüfung des Senats besteht für den Kläger als Gruppenmitglied der Kurden unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte landesweit keine Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Unabhängig von dieser landesweiten Betrachtung bejaht der Senat als selbstständige Entscheidungsgrundlage auch die Voraussetzungen einer Fluchtalternative des Klägers in den kurdisch verwalteten Nordirak, in dem seine Geburtsregion Sulaymania liegt.

Die Bejahung einer Fluchtalternative setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass die Zurückkehrenden am erreichbaren Ort der Fluchtalternative nach dem herabgestuften Prognosemaßstab hinreichend sicher vor politischer Verfolgung leben können und dass ihnen dort nach dem allgemeinen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch keine unzumutbaren Nachteile drohen, die an ihrem Herkunftsort so nicht bestünden.

BVerwG, zusammenfassend Beschluss vom 5.10.1999 - BVerwG 9 C 15.99 -.

Weiterhin muss dem Rückkehrer dort das wirtschaftliche Existenzminimum in dem Sinn zustehen, dass er nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann.

BVerwG, Beschluss vom 17.5.2006 – 1 B 101/05 -.

Diese Voraussetzungen sind hier insgesamt zu bejahen.

Die Sicherheitslage in dem kurdisch kontrollierten Nordirak ist nach der praktisch einheitlichen Einschätzung im Erkenntnismaterial bezogen auf Anschläge besser als im Irak insgesamt, insbesondere in Bagdad. Dies gilt zunächst nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.6.2006 und vom 24.11.2005.

Anschläge auf besonders gefährdete Personengruppen wie etwa Polizeirekruten finden statt, insgesamt ist aber die Wahrscheinlichkeit, durch einen gegen Dritte gerichteten Anschlag getötet zu werden, im Nordirak geringer.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Für die kurdisch verwalteten Städte Arbil und Sulaimaniya referiert das Auswärtige Amt für das Jahr 2005 jeweils ein Attentat mit der Tötung von 50 beziehungsweise neun Menschen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, S. 17.

In dem hier maßgebenden kurdisch verwalteten Nordirak wird die Sicherheitslage auch im kritischen Erkenntnismaterial als insgesamt stabil betrachtet.

Nach Einschätzung von UNHCR ist die allgemeine politische Situation im kurdischen Nordirak durch ein gewisses Maß an Stabilität gekennzeichnet; es werden dort deutlich weniger Gewalttaten verübt.

UNHCR, Position von September 2005; zu den stabileren Verhältnissen auch UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Nach der Beurteilung von amnesty international ist die Sicherheitslage in den kurdischen Gebieten im Vergleich zu anderen Landesteilen relativ stabil.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Nach Darlegung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist die Sicherheitslage im kurdisch kontrollierten Nordirak mit Ausnahme von wenigen Anschlägen in Arbil und Dohuk stabil, wenn auch nicht voraussehbar, und ein engmaschiges Sicherheitsnetz von etwa 80.000 kurdischen Milizionären gewährleistet dort die Sicherheit.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Diese Milizen sollen nicht aufgelöst, sondern sollen staatliche Sicherheitskräfte werden.

OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann der Schutz bereits von nichtstaatlichen Organisationen ausgehen.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 – 1 C 21/04 -, S. 6 des Juris-Ausdrucks.

Nach allem ist die Verfolgung der kurdischen Volksgruppe im kurdisch verwalteten und durch kurdische Milizen gesicherten Nordteil des Landes unwahrscheinlich und zwar nach dem Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit.

Ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG -.

Die hinreichende Verfolgungssicherheit des Klägers am Ort der Fluchtalternative im Nordirak ist mithin uneingeschränkt zu bejahen.

Der kurdisch verwaltete Nordirak ist auch abgesehen von dem möglichen Landweg von Bagdad aus unmittelbar - ohne Aufenthalt in Bagdad – auf dem Luftweg über Arbil (auch: Erbil) seit September 2005 erreichbar.

Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, zu einer Flugverbindung von Frankfurt nach Arbil/Nordirak, sowie zur Einreise durch die Türkei.

Damit lassen sich auch Bedenken von UNHCR gegen einen innerirakischen Wohnsitzwechsel auf dem Landweg wegen der Sicherheitslage ausräumen.

Zu diesen Bedenken UNHCR, Position von September 2005.

Weiterhin muss auch das Existenzminimum am Ort der Fluchtalternative einhaltbar sein.

Diesen Gesichtspunkt stellt der Kläger in seinem erstinstanzlichen Vortrag in Frage. Er trägt vor, es gelte der Grundsatz, dass Kurden im Nordirak nur dann über ein ausreichendes Existenzminimum verfügen könnten, wenn sie an die dortige Clan-Gesellschaft familiär angebunden seien. An einer solchen familiären oder sonstigen Bindung zum Nordirak fehle es hier, und ihm nütze es deshalb wenig, dass er zu früheren Zeiten militärische Daten des Regimes von Saddam Hussein an die Kurden verraten habe.

Das überzeugt so nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits nach den neuen politischen Verhältnissen die Fluchtalternative eines Kurden aus dem Zentralirak in den Nordirak bejaht einschließlich der Frage der Existenzsicherung, ohne dabei auf Familienanbindung abzustellen.

BVerwG, Urteil vom 11.2.2004 - 1 C 23.02 -, dort mit Blick auf die Situation in Flüchtlingslagern und die Möglichkeit, für arbeitsfähige Männer einen Job zu bekommen.

Aus dem Erkenntnismaterial ergibt sich, dass für Rückkehrer sowohl die Aufnahme und Versorgung durch die Familie als auch Parteiverbindungen von erheblichem Vorteil für die die Existenzsicherung sind.

Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes können Rückkehrer im Irak auf Aufnahme und Versorgung durch Familie oder Stammesstrukturen und Sippe zählen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

UNHCR hält eine Einbindung in familiäre oder soziale Strukturen für erforderlich, allerdings nach dem – strengeren - Maßstab einer vollständigen Eingliederung, der das Maß des Existenzminimums übersteigt.

UNHCR, Position von September 2005.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe stellt auf mehrere Gesichtspunkte ab. Personen im Nordirak bedürfen danach zur Existenzsicherung eines sozialen Netzes.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Position vom 9.6.2004.

Personen ohne Parteiverbindungen haben Probleme bei der Eröffnung von Geschäften mit der kurdischen Verwaltung.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Nach der Einschätzung von amnesty international sind die wirtschaftlichen Existenzbedingungen im Nordirak nicht garantiert, vielmehr wird der Zugang zu großen Teilen des Arbeitsmarktes durch persönliche oder familiäre Beziehungen erleichtert beziehungsweise erst ermöglicht.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Daran gemessen mag der Kläger nach seinem Vortrag zwar keine gegenwärtigen familiären Bindungen zum Nordirak haben, immerhin hat er aber bei einer Gesamtbetrachtung eine Chance auf eine Arbeitsmöglichkeit, jedenfalls aber eine Existenzmöglichkeit. Der Kläger war ursprünglich in der Region Sulaymania im Nordirak beheimatet. Er kann seinen Geburtsort im Nordirak und damit ein gewisses Maß an Zugehörigkeit zum Nordirak durch seinen Ausweis jederzeit beweisen. Zwar muss seine vorgetragene Unterstützungstätigkeit für die kurdische Partei PUK, der auch der Staatspräsident Talabani angehört, gänzlich außer Betracht bleiben, da sie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestritten worden ist und der plausible Verfolgungsvortrag des Klägers jedenfalls nicht erwiesen ist. Eine Unterstellung zu Lasten des Klägers scheidet aus.

Zugunsten des Klägers spricht aber weiter, dass der unstreitig erlernte Beruf eines Kraftfahrzeug-Mechanikers wenn auch nach Anfangsschwierigkeiten eine nützliche Tätigkeit ist und damit bei realistischer Betrachtung nach Anfangsschwierigkeiten eine Existenz ermöglicht.

Vor allem muss mit Blick auf die Existenzsicherheit berücksichtigt werden, dass 96 % aller irakischen Haushalte Lebensmittelhilfe beziehen.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, dort ohne eine Einschränkung für den Nordirak; nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2006 stammt ein wesentlicher Teil der Lebensmittelrationen, nämlich für 60 % der Bevölkerung, aus einem Programm der Vereinten Nationen.

Nach der Einschätzung des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien ist im Nordirak trotz einer prekären wirtschaftlichen Lage insgesamt mit einem Rutschen unterhalb des Existenzminimums derzeit eher selten zu rechnen.

Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Gutachten vom 6.3.2006.

Da der Kläger zumindest positive Gesichtspunkte für eine Berufstätigkeit aufzuweisen hat, spricht kein vernünftiger Grund dafür, dass er entgegen der allgemeinen Lage im Nordirak unter das Existenzminimum abrutschen wird. Mithin ist davon auszugehen, dass der Kläger nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige im Nordirak erlangen kann.

Weiterhin setzt die innerstaatliche Fluchtalternative nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass dem Kläger an dem Ort der Fluchtalternative keine anderen unzumutbaren Nachteile mit asylerheblicher Intensität drohen, die an seinem Herkunftsort im Sinne des Ausreiseortes so nicht bestünden. Im Nordirak dürfen mithin keine unzumutbaren Nachteile für den Kläger bestehen, die so in Bagdad nicht bestehen würden. Auch dies ist zu bejahen.

Nach Einschätzung von UNHCR heben sich die Lebensbedingungen im Nordirak positiv gegenüber denen im übrigen Staatsgebiet ab.

UNHCR, Position von Oktober 2004.

Das Auswärtige Amt kommt zu derselben Beurteilung wie UNHCR.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Auch die Schweizerischen Flüchtlingshilfe zieht eine positive Gesamtbilanz für den Nordirak: Die Sicherheitslage und sozioökonomische Situation im Nordirak stellen sich danach besser dar als in den übrigen Landesteilen.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Position vom 9.6.2004.

Das Europäische Zentrum für Kurdische Studien würdigt einen Wechsel von dem Zentralirak in den Nordirak insgesamt positiv.

Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Gutachten vom 6.3.2006, dort sogar für die hier nicht zur Entscheidung stehende sehr kleine Gruppe der Mandäer.

Nach allem ist der Kläger bei einer Fluchtalternative in den Nordirak keinen unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt, denen er nicht bereits in seinem Ausreiseort Bagdad ausgesetzt wäre.

Im Ergebnis sind damit alle Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative in den kurdisch verwalteten Nordirak nach den Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts zu bejahen.

Im Rahmen der hier maßgebenden Prüfung der Widerrufsentscheidung ist der Kläger vor erneuter Verfolgung landesweit aus denselben Verfolgungsgründen hinreichend sicher und andersartige Verfolgungsmaßnahmen drohen ihm landesweit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit; unabhängig davon besitzt er mit hinreichender Verfolgungssicherheit die inländische Fluchtalternative in den Nordirak, die für ihn vorzugswürdig ist. Beide Gesichtspunkte führen unabhängig voneinander zur Verneinung der asylerheblichen Verfolgungsgefahr.

Dagegen kommt es, wie noch einmal hervorzuheben ist, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, hier nicht auf einen effektiven Schutz vor allgemeinen Gefahren wie Krieg, Naturkatastrophen oder schlechte Wirtschaftslage oder eine stabile Schutzmacht an.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; Beschluss vom 26.1.2006 – 1 B 135/05 -.

Der Untergrundkrieg des sunnitischen Widerstands steht damit dem Widerruf rechtlich nicht entgegen.

Damit ist der materielle Teil des Widerrufstatbestandes des § 73 I 1 AsylVfG erfüllt.

Indessen muss in diesem Fall die materielle Ausnahmevorschrift des § 73 3 AsylVfG geprüft werden, die nach der Normstruktur zu einem Absehen von dem Widerruf führt. Vorausgesetzt wird dafür, dass sich der Ausländer

auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Inhaltlich entspricht diese deutsche Regelung der entsprechenden Ausnahmevorschrift für den Widerruf in Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GFK, wonach der Widerruf auf einen Flüchtling keine Anwendung findet,

der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Dagegen enthält die als Auslegungsmaßstab zu beachtende Wegfallklausel in Art. 11 der Europäischen Qualifikationsrichtlinie keine Ausnahmevorschrift von einem Widerruf. Diese für den Flüchtling ungünstige europäische Regelung hat aber keinen entscheidenden Einfluss auf die Auslegung der günstigeren deutschen Regelung, da die EU-Richtlinie nach Art. 1 lediglich Mindestnormen zugunsten der Flüchtlinge enthält und die Mitgliedstaaten nach Art. 3 der EU-Richtlinie grundsätzlich günstigere Normen zur Flüchtlingseigenschaft beibehalten können.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die dargelegte Ausnahmevorschrift in seinem Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 - unter ausdrücklicher Beachtung des völkerrechtlichen Zusammenhangs mit der Genfer Flüchtlingskonvention dahingehend ausgelegt, sie enthalte eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft. Sie schütze weder vor allgemeinen Gefahren noch könne sie nach allgemeinen Zumutbarkeitskriterien ausgelegt werden. Vielmehr trage sie nach ihrer historischen Entstehung der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hätten und denen es deshalb selbst lange Zeit danach - auch ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar sei, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren. Bei der Schaffung von Art. 1 c Nr. 5 Satz 2 GFK hatten danach die beteiligten Staaten das Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland vor Augen gehabt.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, Juris-Ausdruck, S. 12.

Der Senat stimmt dieser Rechtsprechung zu.

Dieser Auslegung haben sich sowohl der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg als auch das OVG Münster in neueren Entscheidungen angeschlossen.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Auch Renner, den der Kläger für eine weiter gehende Auslegung im Sinne einer aktuellen Existenzsicherung zitiert, handelt zwar eingehend die Auslegungsmöglichkeiten ab, schließt sich aber abschließend der Auffassung an, es werde den besonderen Belastungen schwer Verfolgter Rechnung getragen.

Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 73 AsylVfG, Rdnrn. 10 bis 12 sowie abschließend Rdnr. 13.

Auch Marx stellt auf eine besonders schwere, nachhaltig wirkende Verfolgung ab und sieht einen Unzumutbarkeitsfall etwa darin, dass der Verfolgte vor der Ausreise Jahre lang inhaftiert gewesen und dadurch physisch zerstört ist.

Marx, Asylverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2005, § 73 Rdnrn. 127 und 135.

Ein solch fortwirkend schweres Schicksal, insbesondere eine langjährige Inhaftierung, hat der Kläger bei seiner Erstanhörung vom 13.12.1995 nicht vorgetragen und auch im Verwaltungsgerichtsprozess einschließlich der mündlichen Verhandlung ein derartiges Schicksal nicht behauptet.

Bei seiner Anhörung im Widerrufsverfahren hat der Kläger mit Schreiben vom 29.9.2004 (Widerrufsakte Bl. 13/14) die Anwendung dieser Vorschrift auf sich bejaht und dazu die Rechtsmeinung zugrunde gelegt, es genüge, wenn dem früher Verfolgten nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland eine Rückkehr in das Heimatland aus aktuellen Gründen der wirtschaftlichen Existenzsicherung nicht mehr zugemutet werden könne. Soweit er für seine Auffassung die Kommentierung von Renner in Anspruch nimmt, trifft dies wie dargelegt nicht zu. Entscheidend ist aber, dass die Auslegung des Klägers der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Sinn der Ausnahmevorschrift eindeutig widerspricht. Nach der Ausnahmevorschrift kommt es nicht auf allgemeine Zumutbarkeitskriterien an wie hier den geltend gemachten langen Aufenthalt in Deutschland und auf Existenzsicherungsprobleme. Die Ausnahmevorschrift greift zu seinen Gunsten nicht ein. Mithin ist ohne Ermessensspielraum nach § 73 I 1 AsylVfG der Widerruf zwingend auszusprechen.

Materiell ist der Widerrufsbescheid nach dem Prüfungsergebnis des Senats rechtmäßig.

Die angefochtene Widerrufsentscheidung des Bundesamts ist auch in verwaltungsverfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Ob der Widerruf unverzüglich erfolgt ist, wie § 73 I 1 AsylVfG es verlangt, bedarf keiner Entscheidung, da das Gebot des unverzüglichen Widerrufs ausschließlich öffentliche Interessen schützt, so dass ein Verstoß hiergegen keine subjektiven Rechte des betroffenen Ausländers verletzen kann.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Unabhängig davon war das Abwarten des Bundesamtes von rund anderthalb Jahren nach dem Kriegsende sinnvoll, um den Machtwechsel im Irak als hinreichend gefestigt zu beurteilen, und deshalb auch noch unverzüglich.

Weiterhin ist aus dem mit Wirkung vom 1.1.2005 eingeführten mehrstufigen Prüfungsverfahren nach § 73 II a AsylVfG kein Rechtsfehler herzuleiten. § 73 II a Satz 1 AsylVfG lautet:

Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 1 oder eine Rücknahme nach Absatz 2 vorliegen, hat spätestens nach Ablauf von 3 Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen (gemeint ist die Anerkennungsentscheidung).

Bei der neu eingeführten Dreijahresfrist handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um einen in die Zukunft gerichteten Prüfungsauftrag an das Bundesamt.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -; zustimmend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Wegen der Zukunftsgerichtetheit des Prüfungsauftrags hat eine Prüfung vorhandener Anerkennungsfälle spätestens bis zum 1.1.2008 zu erfolgen.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Der hier zur Prüfung anstehende Widerrufsbescheid der Flüchtlingsanerkennung von 1996 ist am 19.10.2004 ergangen und damit noch vor dem Inkrafttreten des gesetzgeberischen Prüfungsauftrags am 1.1.2005. An einer rückwirkenden Einführung des Verfahrens durch eine entsprechende Übergangsvorschrift fehlt es hier.

BVerwG, Urteil vom 1.12.2005 - 1 C 21/04 -.

Damit ist die dreijährige Prüfungsfrist im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

Keiner Entscheidung bedarf die Frage, ob verwaltungsverfahrensrechtlich die Jahresfrist nach § 49 II 2, § 48 IV VwVfG auch bei Widerrufsverfügungen nach § 73 I 1 VwVfG zu beachten ist.

Offen gelassen in dem Urteil des BVerwG vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Denn die Jahresfrist beginnt frühestens nach Anhörung des Klägers mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme zu laufen, und zwar mit dem behördlichen Anhörungsschreiben.

BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 -.

Danach ist die Einjahresfrist, sofern sie anwendbar ist, hier eingehalten. Die Anhörungsverfügung der Behörde datiert vom 2.9.2004 (Widerrufsakte Bl. 7) und der Widerrufsbescheid erging am 19.10.2004 (Widerrufsakte Bl. 18).

Nach dem Prüfungsergebnis des Senats ist mithin der Widerrufsbescheid weder materiellrechtlich noch verfahrensrechtlich zu beanstanden. Er ist insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der als Hauptantrag gestellte Aufhebungsantrag des Klägers hat mithin auch im Rahmen des Berufungsverfahrens keinen Erfolg.

II.

Auch hinsichtlich des Hilfsantrags hat die Berufung keinen Erfolg.

Der Kläger hat nicht den gegen die Beklagte hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses mit Blick auf konkrete Gefahren nach § 60 II bis VII AufenthG.

Der Kläger ist weder der konkreten Gefahr der Folter (§ 60 II AufenthG) noch der Todesstrafe (§ 60 III AufenthG) oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (§ 60 V AufenthG) ausgesetzt.

Der vom Gesetzgeber verwendete Maßstab der konkreten Gefahr (vgl. § 60 II, 60 VII 1 AufenthG) ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 53 AuslG bereits geklärt. Danach ist für die Feststellung der Gefahr der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit maßgebend, ohne eine Herabstufung für Vorverfolgte, da die Gefahren hier außerhalb des Verfolgungstatbestandes betrachtet werden.

BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324-330.

Einzubeziehen in die Gefahr sind nunmehr auch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 I 4 c AufenthG. Die Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure auch in konkrete Gefahren nach § 60 II ff. AufenthG ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der deutschen gesetzlichen Regelung. Indessen folgt sie aus der für die Auslegung zu beachtenden Vorwirkung von Art. 6 der europäischen Qualifikationsrichtlinie, der die Einbeziehung der nichtstaatlichen Akteure gleichmäßig sowohl für die Verfolgung als auch für den ernsthaften Schaden und mit Letzterem die konkrete Gefahr im Sinne des deutschen Rechts fordert.

So überzeugend Renner, § 60 AufenthG Rdnr. 36; offen gelassen im Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -.

Dem Kläger droht hier weder von staatlicher noch von nichtstaatlicher Seite die konkrete Gefahr der Folter. Der Senat hat bereits im Rahmen des Widerrufssachverhalts dargelegt, dass der Kläger hinreichend sicher ist vor individuellen Racheakten mit Blick auf seine indirekte Unterstützung der kurdischen Kämpfe im Jahr 1995; dies gilt erst recht für einen zugespitzten Racheakt in Form der Folter, für den sich eine konkrete Gefahr – mit überdies beachtlicher Wahrscheinlichkeit - nicht herleiten lässt. Das Gleiche gilt für die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.

Für die Gefahr der Verhängung der Todesstrafe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure fehlt es gänzlich an einem Anhaltspunkt; der Kläger hat die Gefahr der Todesstrafe auch selbst nicht behauptet.

Sodann fehlt es an der zwischen den Beteiligten streitigen allgemeinen Extremgefahr nach § 60 VII AufenthG.

Der Kläger stützt sich in seiner Berufungsbegründung und in der mündlichen Verhandlung auf eine extreme allgemeine Gefährdungslage im Irak. Er beruft sich dabei insbesondere auf die landesweite Gefahr von Terroranschlägen auf die Zivilbevölkerung; gehe man davon aus, dass sich der Irak im Bürgerkrieg befinde oder jedenfalls ein Krieg von niedriger Intensität stattfinde, müsse man auch vom Bestehen einer extremen allgemeinen Gefährdungslage im Sinne von § 60 VII AufenthG ausgehen.

Mit Blick auf die vorgetragene landesweite Extremgefahr hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses in verfassungskonformer Anwendung des § 60 VII AufenthG.

§ 60 VII 2 AufenthG verweist für Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist, auf einen allgemeinen ausländerbehördlichen Abschiebungsstopp nach § 60 a I 1 AufenthG als Schutz des Ausländers. Dies führt aber hier nicht weiter, da nach der Auskunft des Saarländischen Innenministeriums vom 26.5.2006 (Gerichtsakte Bl. 104) im Saarland derzeit keine behördliche Regelung zur Aussetzung von Abschiebungen in den Irak besteht. Die in anderen Bundesländern bestehenden Abschiebestoppregelungen beruhen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darauf, dass bis vor kurzem die Flugverbindungen unterbrochen waren und noch derzeit kein Rücknahmeabkommen mit dem Irak besteht.

BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 – 1 C 14.09 -.

Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz von Ausländern vor Extremgefahren ist in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

Eingehend Urteil des BVerwG vom 12.7.2001 - 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379, 384 bis 386, dort für die inhaltsgleiche Vorgängerregelung des § 53 VI AuslG.

Nach dieser Rechtsprechung kommt es sowohl auf die rechtliche als auch die tatsächliche Schutzbedürftigkeit des Ausländers an.

Was zunächst die Frage der rechtlichen Schutzbedürftigkeit angeht, ist eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 VII AufenthG nur dann geboten, wenn der einzelne Asylbewerber sonst schutzlos bliebe. Ein Schutz vor einer extremen Gefahrenlage kann zum einen durch einen allgemein ausländerbehördlichen Abschiebungsstopp im Sinne einer Duldung bestehen, an dem es aber hier im Saarland fehlt. Es genügt aber nach dieser Rechtsprechung auch ein anderer gleichwertiger Schutztitel vor Abschiebung, wenn dieser tatsächlich besteht. So genügt es, wenn der Ausländer im entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung oder mindestens einer Duldung ist, die vom Asylverfahren unabhängig erteilt worden ist. Ein solcher Aufenthaltstitel muss indessen bestehen, nicht genügend sind unentschiedene Duldungsansprüche. Davon ausgehend lässt der VGH Baden-Württemberg eine Aufenthaltserlaubnis nach neuem Recht zum Schutz des Ausländers genügen.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -, der aber diesen Schutz in bedenklicher Weise sogar auf eine widerrufene Aufenthaltserlaubnis wegen des Suspensiveffekts erstreckt, was der vom Bundesverwaltungsgericht verworfenen Schwebelage entspricht.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Kläger besitzt nach der Ausländerakte seit dem 18.11.2004 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis ursprünglich nach § 35 AuslG, nach neuem Recht nach § 26 AufenthG. Darüber hinaus hat die Ausländerbehörde, die Landeshauptstadt A-Stadt, bereits mit Schreiben vom 2.9.2004 in Kenntnis des Widerrufverfahrens erklärt, es sei auch bei einem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung momentan nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen. Angesichts der langjährigen Integration des Klägers in Deutschland ist dies auch vernünftig. Mithin ist der Kläger derzeit noch im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, wie die Stadt A-Stadt nochmals mit Schreiben vom 13.9.2006 bestätigt hat, und damit nicht schutzlos.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat ein Anspruch auf Feststellung des Abschiebungshindernisses der Extremgefahr nur dann Erfolg, wenn rechtliche und tatsächliche Schutzbedürftigkeit vorliegt.

BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379 - 385.

Das Gericht ist nicht gehindert im Sinne selbständiger Entscheidungsgrundlagen festzustellen, dass unabhängig voneinander hinreichender rechtlicher Schutz vor Abschiebung vorhanden ist und eine extreme Gefahrenlage nicht besteht.

So ist das OVG Münster vorgegangen in seinem Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

So liegt der Fall hier. Zum einen besitzt der Kläger wie dargelegt einen unwiderrufenen Schutztitel. Zum anderen ist aber auch eine Extremgefahr im Irak zu verneinen.

Ebenso OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Bei der erforderlichen Prüfung einer Extremgefahr ist zunächst der Prognosemaßstab klarzustellen. Maßgebend ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der allgemeine Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der auch bei Vorverfolgung nicht herabgestuft wird.

BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 - 330.

Inhaltlich hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung den Rechtsbegriff der Extremgefahr mit der Formulierung geprägt, es müsse vermieden werden, dass der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde.

BVerwG, Urteil vom 16.6.2004 - BVerwG 1 C 27.03 -; BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 5.01 -; BVerwG, Beschluss vom 26.1.1999 - BVerwG 9 B 617.98 -; BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -; BVerwG, Urteil vom 2.9.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -; BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -.

In zeitlicher Hinsicht muss sich die Extremgefahr nicht sofort nach Rückkehr in den Heimatstaat, sondern bald verwirklichen.

BVerwG, Beschluss vom 26.1.1999 - BVerwG 9 B 617.98 -.

Im Gegensatz zu der sicher verständlichen – in der mündlichen Verhandlung erörterten - Rechtsansicht des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung die Extremgefahr nicht bereits an die Existenz eines Bürgerkriegs geknüpft, sondern an qualifizierte Voraussetzungen. Folglich würde die vom Kläger erstrebte Bejahung eines Bürgerkriegs nicht schon die Extremgefahr begründen. Auch das vom Senat bejahte Vorliegen eines Untergrundkriegs begründet nicht automatisch eine Extremgefahr.

In den beurteilten Bürgerkriegsfällen hat das Bundesverwaltungsgericht die Extremgefahr konkret dann bejaht, wenn die Bürgerkriegskämpfe bereits am Ankunftsort stattfinden und sich der Ausländer ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes mithin nicht entziehen kann.

BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -; BVerwG, Urteil vom 2.9.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -.

So hat das Bundesverwaltungsgericht die konkrete Bürgerkriegssituation in Afghanistan im Jahr 1995 als Extremgefahr für Rückkehrer anerkannt. Dort war eine Abschiebung nur über den Flughafen Kabul möglich, der Bürgerkrieg tobte aber nach den seinerzeitigen Tatsachenfeststellungen hauptsächlich im Bereich dieser Stadt, die größere Teile der Bevölkerung bereits wegen der unerträglichen Lebensverhältnisse verlassen hatten.

BVerwG, Urteil vom 17.1.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 - 330.

Eine Extremgefahr hat das Bundesverwaltungsgericht weiter für die konkrete Bürgerkriegssituation 1997 in Somalia bejaht. Dort kam nur eine Abschiebung über den Flughafen in Mogadischu in Betracht. Nach den zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen wäre der dortige Kläger bei einer Abschiebung über den Flughafen von Mogadischu in die dort besonders heftigen Kämpfe hineingeraten; er wäre sehenden Auges der extremen Gefahr ausgesetzt worden, entweder am Flughafen sofort getötet oder schwer verletzt zu werden oder in Mogadischu an Hunger oder Krankheit zu sterben, ohne überhaupt noch sichere Landesteile erreichen zu können.

BVerwG, Urteil vom 2.9.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -.

Weiterhin hat das Bundesverwaltungsgericht ergänzend zu der Bürgerkriegsrechtsprechung in zwei Afghanistan betreffenden Fällen eine Extremgefahr bejaht, da der Ausländer dort dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert worden wäre.

BVerwG, Beschluss vom 26.1.1999 - BVerwG 9 B 617.98 - sowie Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 2.01 -, wobei im letzteren Fall die Gefahr eines sicheren Hungertodes zwar bejaht wurde, die dortige Klägerin aber anderweitigen Abschiebungsschutz besaß.

Bezogen auf Armenien hat das Bundesverwaltungsgericht eine Extremgefahr verneint, wenn eine katastrophale wirtschaftliche und soziale Situation mit Obdachlosigkeit, Unterernährung und unzureichender medizinischer Versorgung vorliegt, den Rückkehrer aber nicht der sichere Tod oder schwerste Beeinträchtigungen alsbald nach seiner Ankunft erwarten.

BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -.

Auch desolate hygienische Verhältnisse und ein praktisch kaum leistungsfähiges Gesundheitssystem in Angola mit hoher statistischer Kindersterblichkeit reichen als Extremgefahr nicht aus, soweit die betroffenen Rückkehrer nicht nach tragfähiger Feststellung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden.

BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 5.01 -.

Weiterhin begründen besondere existenzielle Schwierigkeiten in Nigeria für eine allein stehende Mutter keine Extremgefahr, solange die Klägerin nicht gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde.

BVerwG, Urteil vom 16.6.2004 - 1 C 27.03 -.

Aufgrund der dargelegten Rechtsprechung zu Bürgerkriegs- und Hungerfällen ist die landesweite Situation im Irak mit Blick auf eine allgemeine Extremgefahr im Einzelnen zu würdigen.

Auszugehen ist nach praktisch allgemeiner Ansicht von einer instabilen, manchmal eskalierenden Sicherheitslage mit täglich etwa 100 terroristischen Anschlägen.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006 im Sinne eines Tiefpunkts der Sicherheitslage; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005, dort betreffend die allgemeine Sicherheitslage; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005, dort zur allgemeinen Sicherheitslage; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005; UNHCR, Hinweise von April 2005; sowie UNHCR, Hintergrundinformation vom 5.7.2006; zum bewaffneten Widerstand auch Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstands; zur Gewaltwelle gegen Zivilisten NZZ vom 6.6.2006, Seite 1.

Der Kläger sieht die Situation übereinstimmend mit einer dargelegten Äußerung des Politikers Allawi vom 19.3.2006 im Deutschlandfunk so, dass sich das Land im Bürgerkrieg befinde, zumindest aber ein Krieg von niedriger Intensität stattfinde. Der seinerzeitige Interimsministerpräsident Allawi war am 17.4.2005 selbst einem Attentat nur knapp entgangen.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005.

Die Situation im Irak würdigt der Senat nicht als einen offenen Bürgerkrieg, sondern einen Untergrundkrieg durch tägliche Bombenanschläge. Er kommt damit der Beurteilung des Klägers nahe.

Die nichtstaatlichen Akteure bleiben im Verborgenen; ein Bürgerkrieg mit offenen Frontlinien besteht nicht. Das Erkenntnismaterial ist – auch mit Blick auf kritische Organisationen – zurückhaltend und nimmt einen offenen Bürgerkrieg derzeit nicht an.

Das Auswärtige Amt kommt der Auffassung des Klägers wie der Senat nahe. Es verneint einen offenen Bürgerkrieg, sieht aber eine Annäherung an offene bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen und sunnitischen Konfessionen im Anschluss an den Anschlag vom 22.2.2006 auf das schiitische Heiligtum in Samarra.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, S. 19/20.

UNHCR sieht einen teilweise gewaltsam ausgetragenen Machtkampf im Irak.

UNHCR, Hinweise von April 2005; ähnlich Hintergrundinformation vom 5.7.2006.

Auch amnesty international spricht von einem teilweise gewaltsamen ausgetragenen Machtkampf und in einer neueren Beurteilung zurückhaltend von der anhaltend unsicheren Lage.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005; sowie zur neueren Beurteilung amnesty international, Jahresbericht 2006.

Das Deutsche Orient-Institut sieht die Sicherheitslage im Sinne eines Untergrundkampfes.

Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 31.1.2005.

Dies spricht für die vom Senat vorgenommene Einordnung als Untergrundkrieg.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe würdigt die Sicherheitslage dahingehend, der bewaffnete Widerstand versuche unvermindert, den politischen Wiederaufbau mit Bomben- und Mordkampagnen zu hintertreiben und alle Aktivitäten zur Anstachelung eines offenen Bürgerkrieges hielten an.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Die Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe bedeutet, dass die Gefahr eines offenen Bürgerkrieges gesehen, ein tatsächlicher offener Bürgerkrieg aber nicht angenommen wird.

Der bewaffnete Widerstand im Irak ist seit der von ihm verlorenen Schlacht um Falludscha im November 2004 zu dem Ergebnis gekommen, dass er angesichts der Übermacht der US-Truppen nicht mehr bestimmte Gebiete verteidigen kann, vielmehr soll mit einer flexiblen Taktik der Anschläge der Wiederaufbau des Landes nachhaltig gestört werden.

Le Monde diplomatique vom 12.5.2006, Anatomie des irakischen Widerstandes.

In Falludscha kam es im Frühjahr und im Herbst 2004 zu offenen Kämpfen zwischen den US-Streitkräften und den Aufständischen; im November 2004 floh ein Großteil der Zivilbevölkerung der 250.000 Einwohner von Falludscha.

Auswärtiges Amt, Lagebericht 24.11.2005.

Für die dargelegte Situation in Falludscha selbst waren die qualifizierten Voraussetzungen einer bürgerkriegsbezogenen Extremgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfüllt. Die Kämpfe hatten nämlich ein Ausmaß erreicht, dass größere Teile der Bevölkerung die Stadt verlassen mussten.

Vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -.

Die dargelegten seinerzeitigen Verhältnisse in Falludscha 2004 entsprechen aber nicht der jetzigen landesweiten Gewaltsituation im Irak, insbesondere nicht bei einer Betrachtung des Luftweges an den Ankunftsorten, der 5-Millionen-Stadt Bagdad in Zentralirak oder der Stadt Arbil (Erbil) im kurdisch verwalteten Nordirak. Insgesamt sind ausgedehnte offene Kampfhandlungen zwischenzeitlich landesweit zurückgegangen.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -; zum Kampf des Widerstandes im Verborgenen OVG Koblenz, Urteil vom 19.5.2006 – 10 A 10795/05.OVG; vgl. noch zu einem Luftangriff auf die sunnitische Hochburg al-Ramadi amnesty international, Jahresbericht 2006.

Ungeachtet der täglichen Bombenanschläge gerade auch in schiitischen Stadtvierteln ist in Bagdad nach Auswertung des Erkenntnismaterials klar erkennbar nicht eine Lage entstanden, in der größere Teile der Bevölkerung die 5-Millionen-Stadt verlassen haben. Es kann also nicht festgestellt werden, dass eine Rückkehr nach Bagdad eine Irakerin oder einen Iraker sehenden Auges dem baldigen sicheren Tod oder schwersten Verletzungen überliefern würde. Dies gilt, wie ausdrücklich klarzustellen ist, nach der eindeutigen Gefahrenformel unabhängig davon, ob ein Bürgerkrieg, eine bürgerkriegsähnliche Situation oder wie hier ein Untergrundkrieg von dem Gericht angenommen wird.

Hinzu kommt, dass Bagdad nicht die einzige Einreisemöglichkeit ist und für Kurden sich eine Einreise in den Irak wie dargelegt auf dem Luftweg über Arbil (Erbil) anbietet. Nach der Einschätzung von amnesty international ist die Sicherheitslage in den kurdischen Gebieten im Nordirak im Vergleich zu anderen Landesteilen relativ stabil.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Nach Darlegung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist die Sicherheitslage im kurdisch kontrollierten Nordirak stabil, wenn auch nicht voraussehbar, und ein engmaschiges Sicherheitsnetz von etwa 80.000 kurdischen Milizionären gewährleistet dort die Sicherheit.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist die Sicherheitslage in dem kurdisch kontrollierten Nordirak besser bezogen auf Anschläge als im Irak insgesamt, insbesondere in Bagdad.

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006.

Zu nennenswerten offenen Kämpfen im Nordirak kommt es nach dem Erkenntnismaterial nicht.

Auch amnesty international berichtet im Jahresbericht 2006 von Menschenrechtsverletzungen im Nordirak, aber nicht durch offene Kämpfe.

Insgesamt besteht landesweit keine Lage im Irak, die den Rückkehrer bereits am Ankunftsort in Bagdad oder im nordirakischen Arbil (Erbil) in heftige Kämpfe verwickeln würde, was im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Bürgerkriegssituationen eine allgemeine Extremgefahr bedeuten würde.

Mit Blick auf die allgemeine Extremgefahr sind nochmals die täglich etwa 100 Bombenanschläge landesweit im Irak zu würdigen. Sie stellen eine enorme allgemeine Bedrohung da.

So ausdrücklich Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006, S. 18.

Der Kläger beruft sich mit Blick auf die Extremgefahr auf das Urteil des VG Sigmaringen vom 26.10.2005 - A 3 K 11212/04 -. Das VG Sigmaringen hat sich in diesem Urteil zwar nicht unmittelbar mit der Extremgefahr befasst, aber im Rahmen der Prüfung eines Widerrufsbescheides eine realistische Gefahr von Terroranschlägen festgestellt.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005, Seite 9 des amtl. Umdrucks.

Das VG Sigmaringen geht wie der Senat ebenfalls von einer Größenordnung von mehreren Tausend Menschen aus, die bei Anschlägen ums Leben gekommen sind. Es setzt diese Zahlen aber nicht in Beziehung zu der irakischen Gesamtbevölkerung von rund 27 Millionen Menschen. Ungeachtet der Furchtbarkeit der Anschläge im Einzelfall kommt es aber im Rahmen der Extremgefahr wiederum auf die Anschlagsdichte an.

Zutreffend OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -.

Nach den konkreten Zahlen von amnesty international werden die zivilen Opfer der Anschläge zwischen 21.239 und 24.106 geschätzt.

amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005.

Auf der Grundlage der Höchstzahl von 24.106 Opfern beträgt die Anschlagsdichte mithin rund 1:1100. Geht man von der – pauschalen – noch höheren Zahl von Opfern unter den Zivilisten von äußerstenfalls 100.000 aus, die das Auswärtige Amt wiedergibt,

Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.11.2005,

ergibt sich landesweit äußerstenfalls eine Verletzungsgefahr durch die Anschläge von 1:270. Damit lässt sich aber nicht - zudem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - feststellen, ein einzelner Rückkehrer werde alsbald sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert.

Zu einem anderen Ergebnis führen auch nicht Reisewarnungen des Auswärtigen Amts für Reisende. Der Kläger hat sich mit dem VG Sigmaringen darauf berufen, das Auswärtige Amt habe seine Reisewarnung vom 29.7.2005 auf die Anschlagsopfer sowie die Entführungen gestützt.

VG Sigmaringen, Urteil vom 26.10.2005 - A 3 K 11212/04 -, Seite 9 des amtl. Umdrucks.

In einer solchen Warnung für Touristen und Geschäftsreisende liegt kein Wertungswiderspruch zur Verneinung einer Extremgefahr. Die Warnungen enthalten keine verbindliche Regelung im Sinne eines Schutzes der Menschenwürde, sondern eine unverbindliche Information. Ein Informationsbedürfnis besteht schon wesentlich früher als erst bei einer Situation, in der Reisende sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert werden. Die Schwelle für eine Reisewarnung ist wesentlich niedriger und bedeutet als solche keine Extremgefahr.

Auch die mit dem Untergrundkrieg einhergehende angespannte Versorgungslage einschließlich der medizinischen Versorgung im Irak führt nicht zur Bejahung einer Extremgefahr, zumal keine Hungergefahr besteht.

Die Versorgungslage im Irak ist zwar angespannt.

OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.6.2006; zur prekären wirtschaftlichen Lage auch Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Gutachten vom 6.3.2006; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Indessen beziehen 96 % aller irakischen Haushalte Lebensmittelhilfe.

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005.

Für eine extreme Verknappung der Lebensmittel oder gar eine Hungerkatastrophe oder eine Wasserkatastrophe fehlt jeder Anhaltspunkt.

Schon mit Blick auf die bestehende Lebensmittelhilfe kann realistischerweise nicht angenommen werden, der Kläger würde im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach seiner Rückkehr dem baldigen sicheren Hungertod ausgesetzt. Selbst eine katastrophale wirtschaftliche Situation mit Obdachlosigkeit und Unterernährung bedeutet dann keine Extremgefahr, wenn Rückkehrer nicht dem baldigen sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden.

BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -.

Auch mit Blick auf die medizinische Versorgung ist eine allgemeine Extremgefahr zu verneinen. Die medizinische Versorgung ist allerdings angespannt.

Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 9.6.2006 und vom 24.11.2005.

Die Situation im Gesundheitswesen wird als extrem schwierig angesehen.

Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Gutachten vom 4.2.2006.

Nach der Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist das irakische Gesundheitssystem schlechter als vor dem Krieg, bedarf dringend der Erneuerung, indessen ist die medizinische Grundversorgung zumeist gewährleistet.

So der zusammengefasste Inhalt der Position der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 9.6.2004 sowie des Updates der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 15.6.2005.

Nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Extremgefahr begründen eine unzureichende medizinische Versorgung und eine kaum leistungsfähige Gesundheitsversorgung nicht bereits eine allgemeine Extremgefahr.

BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -, zu Armenien sowie BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 5.01 -, zu einer kaum leistungsfähigen Gesundheitsversorgung in Angola mit desolaten hygienischen Verhältnissen.

Auch bei einer Gesamtwürdigung der sozioökonomischen Situation des Iraks

vgl. dazu Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 15.6.2005, Abschnitt sozioökonomische Situation, Seite 11/12

ist ungeachtet der unzulänglichen Sicherheits- und Versorgungssituation nicht eine allgemeine Extremgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dem Ausmaß zu bejahen, dass ein Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem baldigen sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Mithin ist im Irak der Tatbestand einer allgemeinen Extremgefahr zu verneinen.

Ebenso OVG Münster, Urteil vom 4.4.2006 - 9 A 3590/05.A -; sowie bereits BayVGH, Urteil vom 13.11.2003 - 15 B 02.31751 -; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.10.2003 - 1 LB 39/03 -.

Nach dem vom Senat gefundenen Gesamtergebnis bleiben Hauptantrag und Hilfsantrag des Klägers erfolglos; die Berufung ist mithin zurückzuweisen.

Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung über die außergerichtlichen Kosten ergibt sich aus § 154 II VwGO.

Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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published on 03/02/2006 00:00

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand Die Klägerin
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Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen.Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Revision wird nicht zugelassen. Tat
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Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen.Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Revision wird nicht zugelassen. Tat
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Tenor Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 13.10.2006 – 2 K 189/06.A – wird zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens
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Tenor Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 13.10.2006 – 2 K 219/06.A – wird zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens
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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt kann für jeweils längstens drei Jahre erteilt und verlängert werden, in den Fällen des § 25 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 jedoch für längstens sechs Monate, solange sich der Ausländer noch nicht mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Asylberechtigten und Ausländern, denen die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt worden ist, wird die Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre erteilt. Subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes wird die Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr erteilt, bei Verlängerung für zwei weitere Jahre. Ausländern, die die Voraussetzungen des § 25 Absatz 3 erfüllen, wird die Aufenthaltserlaubnis für mindestens ein Jahr erteilt. Die Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Absatz 4a Satz 1 und Absatz 4b werden jeweils für ein Jahr, Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Absatz 4a Satz 3 jeweils für zwei Jahre erteilt und verlängert; in begründeten Einzelfällen ist eine längere Geltungsdauer zulässig.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis darf nicht verlängert werden, wenn das Ausreisehindernis oder die sonstigen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe entfallen sind.

(3) Einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 1 oder 2 Satz 1 erste Alternative besitzt, ist eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
er die Aufenthaltserlaubnis seit fünf Jahren besitzt, wobei die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens abweichend von § 55 Absatz 3 des Asylgesetzes auf die für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis erforderliche Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis angerechnet wird,
2.
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht nach § 73b Absatz 3 des Asylgesetzes mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme vorliegen,
3.
sein Lebensunterhalt überwiegend gesichert ist,
4.
er über hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt und
5.
die Voraussetzungen des § 9 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 bis 6, 8 und 9 vorliegen.
§ 9 Absatz 2 Satz 2 bis 6, § 9 Absatz 3 Satz 1 und § 9 Absatz 4 finden entsprechend Anwendung; von der Voraussetzung in Satz 1 Nummer 3 wird auch abgesehen, wenn der Ausländer die Regelaltersgrenze nach § 35 Satz 2 oder § 235 Absatz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch erreicht hat. Abweichend von Satz 1 und 2 ist einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 1 oder 2 Satz 1 erste Alternative besitzt, eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn
1.
er die Aufenthaltserlaubnis seit drei Jahren besitzt, wobei die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens abweichend von § 55 Absatz 3 des Asylgesetzes auf die für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis erforderliche Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis angerechnet wird,
2.
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht nach § 73b Absatz 3 des Asylgesetzes mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme vorliegen,
3.
er die deutsche Sprache beherrscht,
4.
sein Lebensunterhalt weit überwiegend gesichert ist und
5.
die Voraussetzungen des § 9 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 bis 6, 8 und 9 vorliegen.
In den Fällen des Satzes 3 finden § 9 Absatz 3 Satz 1 und § 9 Absatz 4 entsprechend Anwendung. Für Kinder, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres nach Deutschland eingereist sind, kann § 35 entsprechend angewandt werden. Die Sätze 1 bis 5 gelten auch für einen Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4 besitzt, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme vor.

(4) Im Übrigen kann einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6 gilt entsprechend. Die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens wird abweichend von § 55 Abs. 3 des Asylgesetzes auf die Frist angerechnet. Für Kinder, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres nach Deutschland eingereist sind, kann § 35 entsprechend angewandt werden.

(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.

(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt kann für jeweils längstens drei Jahre erteilt und verlängert werden, in den Fällen des § 25 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 jedoch für längstens sechs Monate, solange sich der Ausländer noch nicht mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Asylberechtigten und Ausländern, denen die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt worden ist, wird die Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre erteilt. Subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes wird die Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr erteilt, bei Verlängerung für zwei weitere Jahre. Ausländern, die die Voraussetzungen des § 25 Absatz 3 erfüllen, wird die Aufenthaltserlaubnis für mindestens ein Jahr erteilt. Die Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Absatz 4a Satz 1 und Absatz 4b werden jeweils für ein Jahr, Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Absatz 4a Satz 3 jeweils für zwei Jahre erteilt und verlängert; in begründeten Einzelfällen ist eine längere Geltungsdauer zulässig.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis darf nicht verlängert werden, wenn das Ausreisehindernis oder die sonstigen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe entfallen sind.

(3) Einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 1 oder 2 Satz 1 erste Alternative besitzt, ist eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
er die Aufenthaltserlaubnis seit fünf Jahren besitzt, wobei die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens abweichend von § 55 Absatz 3 des Asylgesetzes auf die für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis erforderliche Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis angerechnet wird,
2.
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht nach § 73b Absatz 3 des Asylgesetzes mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme vorliegen,
3.
sein Lebensunterhalt überwiegend gesichert ist,
4.
er über hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt und
5.
die Voraussetzungen des § 9 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 bis 6, 8 und 9 vorliegen.
§ 9 Absatz 2 Satz 2 bis 6, § 9 Absatz 3 Satz 1 und § 9 Absatz 4 finden entsprechend Anwendung; von der Voraussetzung in Satz 1 Nummer 3 wird auch abgesehen, wenn der Ausländer die Regelaltersgrenze nach § 35 Satz 2 oder § 235 Absatz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch erreicht hat. Abweichend von Satz 1 und 2 ist einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 1 oder 2 Satz 1 erste Alternative besitzt, eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn
1.
er die Aufenthaltserlaubnis seit drei Jahren besitzt, wobei die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens abweichend von § 55 Absatz 3 des Asylgesetzes auf die für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis erforderliche Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis angerechnet wird,
2.
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht nach § 73b Absatz 3 des Asylgesetzes mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme vorliegen,
3.
er die deutsche Sprache beherrscht,
4.
sein Lebensunterhalt weit überwiegend gesichert ist und
5.
die Voraussetzungen des § 9 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 bis 6, 8 und 9 vorliegen.
In den Fällen des Satzes 3 finden § 9 Absatz 3 Satz 1 und § 9 Absatz 4 entsprechend Anwendung. Für Kinder, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres nach Deutschland eingereist sind, kann § 35 entsprechend angewandt werden. Die Sätze 1 bis 5 gelten auch für einen Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4 besitzt, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme vor.

(4) Im Übrigen kann einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6 gilt entsprechend. Die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens wird abweichend von § 55 Abs. 3 des Asylgesetzes auf die Frist angerechnet. Für Kinder, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres nach Deutschland eingereist sind, kann § 35 entsprechend angewandt werden.

(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.

(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.