Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 26. Sept. 2011 - 3 A 356/11

bei uns veröffentlicht am26.09.2011

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 49/09 - wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Gründe

I.

Der 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Sein ursprünglicher Asylantrag vom 3.6.2002 wurde vom Bundesamt der Beklagten abgelehnt. Mit Urteil vom 12.12.2003 - A 15 K 11001/03 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG vorliegen. Zur Begründung war in dem Urteil ausgeführt, dass der Kläger in der Türkei verdächtigt worden sei, sich aktiv für die kurdische Sache einzusetzen, dass er deshalb erheblichen staatlichen Schikanen ausgesetzt gewesen sei und bei Rückkehr in das Heimatland mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse. Mit Bescheid vom 29.3.2004 stellte daraufhin das Bundesamt fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich einer Abschiebung des Klägers in die Türkei vorliegen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 8.1.2009 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 29.3.2004 getroffenen Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen. Außerdem stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht gegeben sind. Zur Begründung war in dem Bescheid ausgeführt, seit der Ausreise des Klägers hätten sich Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei deutlich zum Positiven verändert. Aufgrund dieser Veränderungen seien die Gründe für die damalige Schutzgewährung heute entfallen.

Hiergegen erhob der Kläger Klage, zu deren Begründung er sich im Wesentlichen darauf berief, dass sich entgegen der Ansicht der Beklagten die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei nicht erheblich geändert hätten. Nach wie vor sei er im Falle einer Rückkehr der Gefahr ausgesetzt, schwere Eingriffe in elementare Rechtsgüter zu erleiden und unmenschlich behandelt zu werden. Darüber hinaus wies er darauf hin, sich in der Bundesrepublik Deutschland exilpolitisch zu betätigen. Insbesondere sei er am 24.2.2008 zum stellvertretenden Vorsitzenden der e.V. gewählt worden. Bei dieser Funktion handele es sich um eine exponierte Betätigung. Im Übrigen sei er im Rahmen seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der K. e.V. auch in der Öffentlichkeit aufgetreten.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28.7.2011 ergangenem Urteil - 6 K 49/09 - hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist in dem Urteil im Wesentlichen ausgeführt, dass nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Widerrufsverfahren bei der Gefahrenprognose nunmehr von einem einheitlichen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auszugehen sei. Dies zugrunde legend ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass in der Türkei im letzten Jahrzehnt hinsichtlich der die Flüchtlingsanerkennung des Klägers begründenden Umstände eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung stattgefunden habe, die im konkreten Fall des Klägers - auch unter Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten - zur Folge habe, dass keine beachtliche Gefahr einer politischen Verfolgung mehr bestehe.

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG sowie einen Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des Grundsatzes auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 VwGO geltend.

II.

Der gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.7.2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 49/09 -, mit dem seine auf Aufhebung des Widerrufsbescheides der Beklagten vom 8.1.2009 gerichtete Klage abgewiesen wurde, ist unbegründet.

Das den Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzende Vorbringen des Klägers in der Antragsbegründung vom 1.9.2011 rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.

Weder liegen die ausdrücklich geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG bzw. eines Verfahrensfehlers in Gestalt eines Gehörsverstoßes im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 VwGO vor, noch kann dem Vorbringen des Klägers ein anderer Zulassungsgrund entnommen werden.

Nach Auffassung des Klägers stellt sich zunächst die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, welcher Prognosemaßstab in asylrechtlichen Widerrufsverfahren Anwendung findet. Darüber hinaus erachtet er die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die Veränderung der Umstände in der Türkei so erheblich und nicht nur vorübergehend sei, dass eine Furcht vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden könne. Hierzu vertritt er die Auffassung, dass keine Rede von einer deutlichen und wesentlichen - zudem dauerhaften - Veränderung der politischen Verhältnisse in der Türkei sein könne, wenn das erstinstanzliche Gericht wie vorliegend - ungeachtet der angenommenen Verbesserung der Verhältnisse in der Türkei - nach wie vor Defizite im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die türkischen Sicherheitsbehörden feststelle und auch konstatiere, dass Folter und Misshandlung nicht vollständig unterbunden seien, die gesetzgeberischen Schutzinstrumentarien vielmehr zuweilen unbeachtet blieben und teilweise sogar unterlaufen würden. Des Weiteren misst er der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, unter welchen Voraussetzungen für einen Asylbewerber aufgrund exilpolitischer Aktivitäten ein relevanter Nachfluchtgrund zur Seite steht.

Diese vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Fragen rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die Berufungsentscheidung erhebliche, klärungsfähige, höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärte rechtliche oder tatsächliche Frage allgemeiner, fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder ihrer Fortentwicklung der berufungsgerichtlichen Klärung bedarf.

Ausgehend davon bietet die erste Frage, welcher Prognosemaßstab in asylrechtlichen Widerrufsverfahren Anwendung findet, schon deshalb keinen Anlass zur Zulassung der Berufung, weil diese Frage in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt ist und keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

Mit Urteilen vom 1.6.2011 - 10 C 10.10 und 10 C 25.10 - (juris) hat das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass sich die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung verhalte. Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft könne seit Umsetzung der in Art. 11 und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Das in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelte materiell-rechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose sei der Richtlinie 2004/83/EG fremd. Sie verfolge vielmehr bei einheitlichem Prognosemaßstab für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der Nachweispflicht der Mitgliedsstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck komme. Demzufolge gelte unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten habe. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiere sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und entspreche dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.

Dieser neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich auch das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Urteilen vom 25.8.2011 - 3 A 34/10 -und - 3 A 35/10 - angeschlossen.

Eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der dargestellten neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ebenfalls nicht erkennbar; vielmehr hat das Verwaltungsgericht diese dem angefochtenen Urteil ausdrücklich zugrunde gelegt, auch wenn es sich dazu im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nur auf die damals erst veröffentlichte Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts stützen konnte.

Die vom Kläger des Weiteren als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, ob die Veränderung der Umstände in der Türkei so erheblich und nicht nur vorübergehend ist, dass eine Furcht vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann, rechtfertigt eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht. Denn die vorgenannte Frage würde sich in dieser Form und Allgemeinheit in dem angestrebten Berufungsverfahren nicht stellen. In einem nach Zulassung der Berufung durchzuführenden Rechtsmittelverfahren wäre vielmehr zu prüfen, ob gerade mit Blick auf die konkreten Umstände, die zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers geführt haben, die Voraussetzungen für einen Widerruf gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorliegen.

Nach den entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben müssen sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben und als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 - C 175/08 u.a. -; juris.

Der anzuwendende Maßstab ist somit ein individueller, d.h. bezogen auf den konkreten Ausländer, der als Flüchtling anerkannt worden ist, und dem dieser Status entzogen werden soll. Das bedeutet: In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Verhältnisse im Heimatstaat und die Frage der Gefährdung im Falle einer Rückkehr im Grundsatz individuell unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen

vgl. Urteile des Senats vom 25.8.2011 - 3 A 34/10 und 3 A 35/10 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 4.11.2010 - 4 Bf 113/09.AZ -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.11.2009 - 4 LA 78/09 - und vom 22.6.2009 - 7 LA 132/08 -; OVG Schleswig, Beschluss vom 5.10.2009 - 4 LA 73/09; OVG Greifswald, Beschluss vom 20.11.2007 - 2 L 152/07 -; jeweils juris; sowie Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Oktober 2010, § 73 Rz 19.

Demzufolge geht es auch im vorliegenden Verfahren nicht darum, ob der Reformprozess in der Türkei durchgängig zu einer solchen Verbesserung der Menschenrechtslage geführt hat, dass vorverfolgt ausgereiste Asylbewerber generell bei einer Rückkehr in die Türkei keine weitere Verfolgung mehr zu befürchten haben, sondern um die Frage, ob sich die Verhältnisse, die die Verfolgungsfurcht gerade des Klägers begründeten, erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls in seinem Falle keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. So hat der Senat auch bereits in seinen Urteilen vom 25.8.2011 - 3 A 34/10 und 3 A 35/10 – betreffend Widerrufsverfahren türkischer Staatsangehöriger im Einzelnen ausgeführt, dass für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung nicht die Feststellung erforderlich ist, dass im Heimatland des betroffenen Ausländers - hier der Türkei - seit der Anerkennung derartige Veränderungen stattgefunden haben, dass es dort nunmehr ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt.

Der anzuwendende individuelle Prüfungsmaßstab schließt es allerdings nicht aus, dass unter besonderen Umständen eine Individualprüfung des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung unter Würdigung der allgemeinen Entwicklung in einem Herkunftsstaat für eine größere Zahl von gleich liegenden Fällen verallgemeinerungsfähig ist, wenn und soweit in all diesen Fällen gleich liegende Umstände zur Gewährung des Flüchtlingsstatus geführt haben und personenbezogene Besonderheiten daneben nicht entscheidungsrelevant sind.

Das Vorliegen einer solchen Konstellation hat der Kläger jedoch nicht dargetan und ist auch nicht erkennbar. Die oben genannte, als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage bezieht sich vielmehr ganz allgemein darauf, ob sich die Verhältnisse in der Türkei generell derart verändert haben, dass eine Furcht vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Im vorliegenden Verfahren kommt es aber allein darauf an, ob angesichts der Verbesserung der Menschenrechts- und Sicherheitslage in der Türkei dem Kläger weiterhin eine Gefährdung wegen seines vor seiner Ausreise aus der Türkei gezeigten Einsatzes für die kurdische Sache bzw. mit Blick auf die von ihm konkret angeführten exilpolitischen Aktivitäten droht. Dabei handelt es sich aber - wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist - um eine individuell zu beantwortende Frage.

Auch die dritte vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, unter welchen Voraussetzungen für einen Asylbewerber aufgrund exilpolitischer Aktivitäten ein relevanter Nachfluchtgrund zur Seite stehe, bietet keinen Anlass, die Berufung zuzulassen. In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes ist nämlich geklärt, dass nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, insbesondere eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr begründet

vgl. etwa Urteile vom 25.8.2011 - 3 A 34/10 - und - 3 A 35/10 -; vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 - und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -.

Ob für den jeweiligen Asyl suchenden Ausländer nach den konkreten Umständen seiner Betätigung mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass er sich derart exilpolitisch exponiert hat, dass erwartet werden kann, seine eigene Betätigung sei von der türkischen Auslandsbeobachtung als türkeikritisch - d.h. als kurdisch-separatistisch oder linksextremistisch - angesehen und erfasst worden, sowie ob auch eine genügende Identifizierung als beachtlich wahrscheinlich erscheint, ist dabei nicht weiter allgemein klärungsfähig, vielmehr eine Frage der Einzelfallwertung

vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 sowie Beschlüsse vom 29.4.2003 - 2 Q 116/03 und vom 10.4.2003 - 2 Q 110/03.

Die vom Kläger angeführten Angaben des Zeugen A. in der mündlichen Verhandlung vom 16.6.2011 vor dem Verwaltungsgericht im Verfahren 6 K 1645/08 bieten keinen Anlass, diese Rechtsprechung nochmals einer grundsätzlichen Überprüfung in einem Berufungsverfahren zuzuführen. Vielmehr bestätigen diese die bisherige Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts.

Auch erlaubt die Aussage des Zeugen A. keine weitergehende Konkretisierung der bisherigen Rechtsprechung. Insbesondere lässt sich ihr entgegen der Auffassung des Klägers nicht entnehmen, dass allein schon die zeitweilige Mitgliedschaft im Vorstand der K. e.V. bzw. einer ihrer Vorgängerorganisationen im Falle einer Rückkehr die beachtliche Gefahr politischer Verfolgung begründet.

Eine Divergenz der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes ist insoweit ebenfalls nicht erkennbar, so dass eine Zulassung der Berufung auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht davon ausgegangen, dass eine Vorstandsmitgliedschaft in der K. e.V. bzw. in einer ihrer Vorgängerorganisationen per se stets bereits eine exponierte exilpolitische Betätigung darstellt, die bei Rückkehr eines kurdischen Klägers in die Türkei zu politischer Verfolgung führen kann. Einen entsprechenden allgemeinen Grundsatz hat das Oberverwaltungsgericht weder in den vom Kläger zitierten Entscheidungen vom 28.9.2005 - 2 R 2/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 -, vom 3.4.2008 - 2 A 312/07-, vom 26.3.2010 - 2 A 333/09 -, vom 29.4.2003 - 2 Q 116/03 - oder vom 10.4.2003 - 2 Q 110/03 - (welche teilweise nicht einmal asylrechtliche, sondern lediglich ausländerrechtliche Fragestellungen beinhalten) noch sonst aufgestellt. Vielmehr ist das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - wie bereits dargestellt - im Grundsatz allgemein davon ausgegangen, dass kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, die sich exilpolitisch exponiert haben, bei ihrer Rückkehr in die Türkei asylrelevante Verfolgung droht und hat darüber hinaus ( insbesondere auch in den vom Kläger zitierten Entscheidungen 2 R 1/04, 2 Q 110/03, 2 Q 116/03) stets betont, dass es jeweils eine Frage der Einzelfallwertung ist, ob für den jeweiligen Asyl suchenden Ausländer nach den konkreten Umständen eine exilpolitische Exponiertheit angenommen werden kann.

Dem entspricht der Sache nach auch der vom Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung formulierte Grundsatz, wonach eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung wegen politischer Auslandsaktivitäten nur für Personen besteht, die sich in besonderem Maße exilpolitisch in herausgehobener Funktion und publizitätsträchtig namentlich für die PKK oder ihr nahestehende Organisationen exponiert haben. Im Übrigen räumt selbst der Kläger ein, dass das Verwaltungsgericht „formal“ bei seinen bisherigen Kriterien „geblieben“ sei. Ausgehend von dem dargestellten - der Sache nach unverändert gebliebenen - allgemeinen Grundsatz ist das Verwaltungsgericht lediglich im Rahmen der vorzunehmenden konkreten Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Beweiserhebung aus dem Verfahren 6 K 1645/08 im Falle des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, dass dessen exilpolitische Aktivitäten ungeachtet seiner Mitgliedschaft im Vorstand der K. e.V. nicht als exponiert zu erachten sind.

Lediglich ergänzend wird insoweit darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht des Saarlandes auch früher bereits in einzelnen Fällen türkischer Staatsangehöriger, die Mitglied im Vorstand kurdischer Exilorganisationen waren, im Rahmen von Einzelfallbewertungen ein Vorliegen exponierter exilpolitischer Aktivitäten verneint hat

vgl. etwa Urteil vom 24.11.2006 - 6 K 26/06.A -.

Inwiefern die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz, insbesondere dem wiedergegebenen Auszug aus dem Urteil vom 7.11.1999 - 10 A 12044/98 OVG - abweichen soll, erschließt sich nicht.

Auch soweit der Kläger sich auf eine Verletzung des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO beruft, rechtfertigt dies die Zulassung der Berufung nicht.

Der Kläger macht insoweit geltend, ausweislich des Verpflichtungsurteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.12.2003 sei die Flüchtlingsanerkennung vor dem Hintergrund des klägerischen Vortrags erfolgt, in der Türkei gefoltert worden zu sein. Aufgrund dessen komme bei ihm jedenfalls § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG zum Tragen. Zwar habe das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG thematisiert und in den rechtlichen Grundsätzen zutreffend dargestellt. Nicht gefolgt werden könne dem erstinstanzlichen Gericht aber, soweit es unter Subsumtion des klägerischen Vorbringens unter die Vorschrift zu dem Ergebnis gelange, diese sei im Einzelfall nicht einschlägig. Die vom Kläger geschilderten Misshandlungen erfüllten ohne weiteres die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG. Zu seinem abweichenden Ergebnis habe das erstinstanzliche Gericht nur dadurch gelangen können, dass es den klägerischen Vortrag im Asylerstverfahren, wonach er gefoltert und unmenschlich behandelt worden sei, außer Betracht gelassen habe.

Der vom Kläger behauptete Gehörsverstoß ist nicht erkennbar.

Der durch Art. 103 Abs. 1 GG grundgesetzlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das angerufene Gericht dazu, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Er soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben, gewährleistet jedoch nicht, dass die angegriffene Entscheidung in jeder Hinsicht frei von materiellen Rechtsfehlern ergeht. Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen.

Regelmäßig genügt es dem Gehörsgebot, wenn sich das Verwaltungsgericht in seinem Urteil mit dem nach seiner Auffassung für seine Entscheidung primär relevanten Beteiligtenvorbringen auseinandergesetzt hat. Nur dann, wenn das Verwaltungsgericht erhebliches Vorbringen eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, eindeutig übersehen hat oder in den Entscheidungsgründen nicht darauf eingegangen ist, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach den vom Gericht vertretenen Rechtsstandpunkt ohnehin unerheblich war

vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 2.5.1998 - 2 BvR 378/98 -, NVwZ-RR 1999, 217 m.w.N. sowie Beschluss vom 23.7.2003 - BvR 624/01 -, NVwZ-RR 2004, 3.

Gemessen an diesen Maßstäben liegt der behauptete Gehörsverstoß nicht vor.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht anzunehmen, dass das Verwaltungsgericht sein Vorbringen, gefoltert worden zu sein, außer Acht gelassen hat. Vielmehr ist im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausdrücklich ausgeführt, dass der Kläger zur Begründung seines Asylbegehrens angegeben habe, in der Türkei die HADEP unterstützt zu haben und aufgrund seiner Parteiarbeit wiederholt festgenommen und gefoltert worden zu sein. Auch hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen die in § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG enthaltene humanitäre Klausel, wonach von einem Widerruf abzusehen ist, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in seinem Heimatstaat abzulehnen, ausdrücklich problematisiert. Dies spricht dafür, dass das Verwaltungsgericht die dem Kläger nach eigenem Vorbringen vor seiner Ausreise aus der Türkei widerfahrenen Geschehnisse zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Das Verwaltungsgericht ist lediglich bei der Subsumtion des konkreten Falles des Klägers unter die Vorschrift zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Kläger es gerne gesehen hätte. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bei erlittenen Misshandlungen bzw. Folter stets ein Ausnahmefall im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG anzunehmen sei. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist vielmehr, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in das Heimatland auch dann führen, wenn eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 - in DVBl. 2006, Seite 511; OVG des Saarlandes, Urteil vom 25.8.2011 - 3 A 35/10 -, juris.

Dementsprechend ist im Einzelfall jeweils anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände festzustellen, ob ein Ausnahmefall im Sinne der humanitären Klausel gegeben ist.

Der Sache nach wendet sich der Kläger letztlich gegen das Ergebnis der dem Verwaltungsgericht obliegenden Würdigung seines konkreten Falles. Mit Blick auf den abschließenden Katalog der Zulassungsgründe im Asylverfahren (§ 73 Abs. 3 Nr. 1 - 3 AsylVfG) vermag dies eine Rechtsmittelzulassung jedoch nicht zu rechtfertigen. Wie die im Vergleich zu § 124 Abs. 2 VwVO eingeschränkte Aufzählung von Gründen für die Zulassung der Berufung in § 78 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AsylVfG verdeutlicht, hat der Gesetzgeber den gerichtlichen Rechtsschutz in Asylverfahren hinsichtlich der Sachverhaltsbeurteilung grundsätzlich auf eine Instanz beschränkt

vgl. auch Beschlüsse des Senats vom 26.11.2009 - 3 A 268/09 - und vom 3.3.2010 - 3 A 6/10 -.

Für die erstrebte Rechtsmittelzulassung ist nach allem kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 26. Sept. 2011 - 3 A 356/11

Urteilsbesprechungen zu Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 26. Sept. 2011 - 3 A 356/11

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 138


Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn1.das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,2.bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes aus

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 30 Gegenstandswert in gerichtlichen Verfahren nach dem Asylgesetz


(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselb
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 26. Sept. 2011 - 3 A 356/11 zitiert 5 §§.

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 26. Sept. 2011 - 3 A 356/11 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

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Tenor Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit der Kläger seinen Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
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Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 26. März 2014 - 3 A 54/11

bei uns veröffentlicht am 26.03.2014

Tenor Der Beklagte wird – insoweit unter Aufhebung seines Bescheides vom 26.10.2010 und seines Widerspruchsbescheides vom 13.11.2010 – verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung einer weitergehenden Extensivierungsprämie (ohne Kürzung

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 31. Okt. 2011 - 3 A 200/11

bei uns veröffentlicht am 31.10.2011

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes – 6 K 518/10 – wird zurückgewiesen.Die außergerichtlichen Kosten des ge

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 6.6.1995 mit einem Lkw in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 12.6.1995 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung seines Asylantrags gab er an, anlässlich des Newrozfestes 1994 von Soldaten bei einer Kontrolle festgenommen worden zu sein, wobei man ihm vorgeworfen habe, mit seinem Minibus PKK-Anhänger und Lebensmittel für diese zu transportieren. Man habe ihn zu einer Militärstation gebracht und zwei Tage lang verhört, wobei er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Dabei habe er einen Bruch der Wangenknochen davongetragen. Mangels konkreter Beweise sei er wieder freigelassen worden. Anlässlich der Verhaftung seien seine Personalien registriert worden. In den darauffolgenden Monaten sei er- wie auch die anderen männlichen Bewohner seines Heimatdorfes - unter massiven Drohungen aufgefordert worden, das Amt eines Dorfschützers zu übernehmen. Da er nicht Dorfschützer habe werden wollen und keinen anderen Ausweg gesehen habe, habe er sich zur Ausreise entschlossen. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Mit Bescheid vom 27.6.1995 lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen. Im Anschluss an die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Beklagte mit Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - festzustellen, dass der Abschiebung des Klägers in die Türkei ein Abschiebungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 AuslG entgegensteht. Zur Begründung war in dem Urteil ausgeführt, der Kläger habe glaubhaft machen können, in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert worden zu sein. Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten linksorientierter und separatistischer kurdischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden Verdacht geraten seien, müssten im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen. Bei einer Rückkehr in die Türkei bestehe im Falle des Klägers die Gefahr, erneut festgenommen und dabei auch Foltermaßnahmen unterworfen zu werden.

Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 10.3.2000 fest, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen.

Mit Verfügung vom 27.5.2008 wurde ein Widerrufsverfahren eingeleitet. Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 28.5.2008, zugestellt am 29.5.2008, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, wovon dieser mit Schriftsatz vom 19.6.2008 Gebrauch machte. Mit Bescheid vom 17.7.2008 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Ergänzend wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde in dem Bescheid ausgeführt, seit der Ausreise des Klägers hätten sich Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei deutlich zum Positiven verändert. Die Gründe für die frühere Schutzgewährung seien daher heute entfallen. Türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung o.ä., oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes, dem Zwang zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften oder sonstigen Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen und in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor Verfolgung erhalten hätten, seien heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, aus denen der Kläger die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ablehnen könnte, lägen nicht vor.

Gegen diesen Widerrufsbescheid, der am 18.7.2008 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, hat der Kläger am 4.8.2008 Klage erhoben. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, die Verhältnisse in der Türkei hätten sich nicht so wesentlich geändert, dass sich die Prognose drohender politischer Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in die Türkei nicht mehr treffen ließe. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in dem Urteil vom 20.12.1999 habe er die Türkei vorverfolgt verlassen, so dass vorliegend der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab gelte. Die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung könnten dementsprechend nur dann wegfallen, wenn er vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher sei. Ungeachtet dessen, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei in Teilen verbessert haben möge, sei der Reformprozess keineswegs so weit fortgeschritten, dass eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Soweit überhaupt von einem Mentalitätswandel gesprochen werden könne, habe dieser nicht alle Teile von Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Nach wie vor werde Folter angewandt, was insbesondere damit zusammenhänge, dass es an einer effizienten Strafverfolgung gegenüber folternden Beamten fehle. Auch würden erfolterte Geständnisse weiterhin in Gerichtsverfahren als Beweis verwertet. Von einer verfestigten und nachhaltigen Veränderung der Menschenrechtssituation in der Türkei, welche Voraussetzung für einen Widerruf sei, könne daher nicht ausgegangen werden. Hinzu komme, dass im Zuge des aktuellen Widererstarkens von PKK-Aktivitäten entschiedenere Maßnahmen zu deren Bekämpfung gefordert würden. Im Falle des Klägers stehe rechtskräftig fest, dass er vor seiner Ausreise in seiner Heimatregion der Unterstützung der PKK verdächtigt worden und deswegen dort registriert gewesen sei. Selbst in Istanbul sei er deshalb festgenommen und mehrstündigen Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Vor erneuten Übergriffen durch die Sicherheitskräfte, insbesondere vor Verhören, die mit Misshandlungen verbunden seien, sei er keineswegs hinreichend sicher. Da er seinerzeit verdächtigt worden sei, die PKK zu unterstützen, würde auch heute noch der Verdacht bestehen, dass er sich während seines langen Auslandsaufenthalts für die PKK betätigt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gab der Kläger ergänzend an, in der Bundesrepublik Deutschland wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen zu haben.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17.7.2008 aufzuheben.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen in ihrem angefochtenen Bescheid beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.5.2009 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es im Wesentlichen, das Bundesamt habe zu Recht angenommen, dass die in dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 hinsichtlich des Klägers für die Türkei bejahten Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zwischenzeitlich entfallen seien. Zwar sei der Kläger nach den Feststellungen in dem genannten Urteil vorverfolgt ausgereist; indes sei er nunmehr vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher. Der Kläger habe wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu vergegenwärtigen. Insoweit hätten sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei seit dem Erlass des nunmehr aufgehobenen Bescheides maßgeblich zugunsten des Klägers geändert. Allerdings müssten Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten bzw. Unterstützer linksorientierter oder separatistischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden ernsthaften Verdacht geraten seien, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen und die dem türkischen Staat auch zurechenbar seien. Ein individualisierter, d.h. konkret auf die Person des Klägers bezogener Verdacht der PKK-Unterstützung von Seiten der türkischen Sicherheitskräfte liege jedoch nicht vor. Insoweit sei zunächst maßgeblich, dass der Kläger selbst nie behauptet habe, die PKK unterstützt zu haben. Allein deshalb, weil ihm vor seiner Ausreise im Jahr 1995 wegen der Ablehnung des ihm angetragenen Dorfschützeramtes - wie vielen anderen auch - pauschal unterstellt worden sei, die PKK zu unterstützen, müsse der Kläger heute nicht mehr befürchten, im Falle einer Rückkehr als „Separatist“ behandelt und deshalb Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Von Bedeutung sei hierbei, dass Personen, die das Dorfschützeramt abgelehnt hätten, mangels strafrechtlicher Relevanz nicht mit Fahndungsmaßnahmen zu rechnen hätten. Hinzu komme, dass mittlerweile - aufgrund einer Anordnung des türkischen Innenministeriums aus dem Jahr 2000 - keine Dorfschützer mehr rekrutiert würden und sich die Lage auch insofern geändert habe. Unter diesen veränderten Umständen und unter Berücksichtigung des langen Zeitablaufs seit seiner Ausreise rechtfertige allein die damalige Weigerung des Klägers, das Dorfschützeramt zu übernehmen, nicht die Annahme, für ihn bestehe die konkrete Gefahr, in einem polizeilichen Verhör Misshandlungen ausgesetzt zu werden, weil man ihn verdächtigen würde, die PKK zu unterstützen. Ein gegen den Kläger selbst gerichteter, hinreichend konkreter Verdacht einer Unterstützung der PKK ergebe sich auch nicht aus seinem sonstigen Vorbringen. Soweit er vorgetragen habe, ihm sei anlässlich des Newrozfestes 1994 vorgeworfen worden, mit seinem Minibus PKK-Anhänger zu transportieren, sei dies - ebenso wie die Versuche, die Bevölkerung zu der Übernahme des Dorfschützeramtes zu bewegen - im Zusammenhang mit dem allgemeinen und im Südosten der Türkei weit verbreiteten Druck auf die Bevölkerung bei der Bekämpfung der PKK zu sehen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinerzeit von den Heimatbehörden als Sympathisant bzw. Unterstützer der PKK registriert worden sei, seien diesem Vorbringen nicht zu entnehmen.

Gegen das ihm am 25.5.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.6.2009 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat mit Beschluss vom 16.2.2010 - 3 A 383/09 - entsprochen hat.

Zur Begründung der Berufung führte der Kläger mit am 9.3.2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) seien nicht entfallen. Aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 stehe rechtskräftig fest, dass er in seiner Heimatregion der Unterstützung der PKK verdächtigt worden und deshalb dort registriert gewesen sei. Selbst in Istanbul sei er deshalb festgenommen und mehrstündigen Misshandlungen ausgesetzt worden. Demgemäß sei er auch im Westen der Türkei latent der Gefahr erneuter Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Demzufolge gelte bei der Beurteilung der Frage, ob die Anerkennungsvoraussetzungen entfallen seien, der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Zu Unrecht habe sich das angegriffene Urteil darauf beschränkt, die Voraussetzungen der Anerkennung als deshalb entfallen anzusehen, weil der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, keine politische Verfolgung mehr zu vergegenwärtigen habe. Im Hinblick darauf, dass gegenüber dem Kläger ein individualisierter, d.h. konkret auf seine Person bezogener Verdacht der PKK-Unterstützung auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte vorgelegen habe, sei auch heute noch davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher sei. Auch heute noch müssten Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten bzw. Unterstützer linksorientierter oder separatistischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden ernsthaften Verdacht geraten seien, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen und die dem türkischen Staat auch zurechenbar seien. Von einer nachhaltigen und verfestigten Verbesserung der Menschenrechtslage könne in der Türkei nach wie vor nicht ausgegangen werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.5.2009 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 742/08 - den Bescheid der Beklagten vom 17.7.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, nach dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2009 sei davon auszugehen, dass der als vorverfolgt geltende Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung sei. Nach diesem Lagebericht sei dem Auswärtigen Amt in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei ebenfalls kein Fall benannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Dies entspreche auch den Auskünften zahlreicher anderer europäischer Staaten.

Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 dürften keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Angaben türkischer Behörden zufolge seien Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht worden.

Nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung sei zudem zu berücksichtigten, dass bei Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf das richterrechtlich entwickelte Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe abzustellen sei, vielmehr darauf, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QualRL widerlegt sei. Diese könne im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Umgekehrt gelte allerdings weiter, dass in jedem Fall, in dem hinreichende Sicherheit festzustellen sei, immer auch das Kriterium der Widerlegung der durch Art. 4 Abs. 4 QualRL ausgelösten Vermutung erfüllt sei, weil in diesem Fall entsprechend stichhaltige Gründe vorlägen.

Gemäß Beschlüssen vom 16.7.2010 und 10.9.2010 hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung von Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, von amnesty international sowie des Sachverständigen Kamil Taylan. Wegen der Einzelheiten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die vorgenannten Beschlüsse sowie die entsprechenden Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 13.10.2010, von amnesty international vom 31.1.2011 und von Kamil Taylan vom 11.2.2011 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 6 K 136/98.A des Verwaltungsgerichts des Saarlandes sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Ausländerbehörde Bezug genommen, welcher ebenso wie die bei Gericht geführte Dokumentation Türkei, insbesondere hinsichtlich der in der Anlage zur Sitzungsniederschrift bezeichneten Teile, Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17.7.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. Das Bundesamt hat auch zu Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die – hier streitgegenständliche - Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. bis zum 1.1.2005 des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere ist die beabsichtigte Entscheidung über den Widerruf entsprechend § 73 Abs. 4 AsylVfG dem Kläger zuvor schriftlich mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Auch begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt

vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier - die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird

vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2007 - 10 C 24.07 -, Buchholz 204.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N..

Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG ist in Fällen wie dem vorliegenden keine Ermessensentscheidung erforderlich

Vgl. ausführlich BVerwG, Urteile v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – u.a. sowie Urteile v. 1.6.2011 – 10 C 10.10 – u. – 10 C 25.10 -, juris.

Das Bundesamt hat im Ergebnis auch zu Recht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bejaht, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“) und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2.3.2010 (Rs C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist und zwar auch in Fällen, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss

vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 –, a.a.O..

In seinen jüngsten Urteilen vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 und 10 C 25.10 – hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit nochmals hervorgehoben, dass eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände im vorgenannten Sinne voraussetzt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht

vgl. zu letzterem auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 -1 C 21/04 -, DVBl. 2006, 511.

Es muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen, soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dabei dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweisen muss, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbarer Zeit kann indes nicht verlangt werden.

Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland verhält sich grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit des Weiteren ausgeführt, dass wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit der Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden kann, vielmehr unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Die Richtlinie 2004/83/EG kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird

vgl. zu allem Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 – m.w.N. sowie EuGH, Urt. vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., juris.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist demnach bei der Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf den Maßstab einer hinreichenden Sicherheit vor weiterer Verfolgung abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in den vorgenannten Entscheidungen vielmehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt wurde, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen war, ausdrücklich abgerückt.

Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, juris.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung hiervon erfasst wird, etwa auch Veränderungen in der Person des Begünstigten

vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Die zuständigen Behörden und Gerichte müssen sich mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 a.a.O.;

Dementsprechend ist bei der nach den vorgenannten Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist die Feststellung, dass sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls im Falle des konkret betroffenen Flüchtlings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. Hingegen ist für den Widerruf nicht erforderlich, dass im Herkunftsland des betroffenen Ausländers nunmehr umfassender Schutz vor Verfolgung gewährt wird oder es zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt

vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Ist eine grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände im vorgenannten Sinne zu bejahen, so ist es für den Widerruf des Weiteren unerheblich, ob die Flüchtlingsanerkennung zu Recht erfolgt war

vgl. BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89.

Ausgehend davon ist ein Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Der Kläger wurde mit Bescheid vom 10.3.2000 als Flüchtling anerkannt, weil das Verwaltungsgericht des Saarlandes in dem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - davon ausgegangen war, dass der Kläger in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt worden und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert gewesen sei. Im Jahre 1994 sei er anlässlich des Newrozfestes bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und unter dem Vorwurf, mit seinem Minibus PKK-Mitglieder und Lebensmittel für diese transportiert zu haben, zwei Tage lang verhört worden. Er sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, so dass er einen Bruch der Wangenknochen davon getragen habe. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Diese die Verfolgungsfurcht des Klägers begründenden Umstände können als dauerhaft beseitigt angesehen werden.

Seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers im März 2000 haben sich - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven verändert, so dass im konkreten Fall des Klägers – auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten – keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung mehr besteht.

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt

vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Lagebericht) vom 8.4.2011.

Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetzte verabschiedet

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Abgesehen von der Beendigung des Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt waren, sind insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, den Zugang zu einem Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen

vgl. Fortschrittsbericht der EU vom 6.11.2007; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Bericht vom 6.9.2006, S. 11 f., http://www.cpt.coe.int/documents/tur/2006-30-inf-eng.pdf.

Zu dem Reformpaket gehören auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung von Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 17.7.2008 verwiesen.

Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen

vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Türkei vom 8.4.2011

Im Jahr 2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsieht. Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 6.

Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren

vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 11.1.2007 und vom 3.5.2005.

Die türkische Regierung hat erkannt, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur demokratischen Öffnung, das derzeit allerdings zum Stillstand gekommen ist, der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf kurdisch und Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 11, 12.

Allerdings wird in den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen übereinstimmend nach wie vor von Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen unbeachtet bleiben. Die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht zufriedenstellend

vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.4.2011, S. 7 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Helmut Oberdiek, Türkei, update: Aktuelle Entwicklungen, 9.10.2008; Fortschrittsbericht Türkei der EU vom 6.11.2007; ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010; U.S. Departement of State, 2010, Human Rights Report: Turkey vom 8.4.2011, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrtt/2010/eur/154455.htm.

So berichtet etwa das Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen. Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten würden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Des Weiteren sei es der türkischen Regierung trotz zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verhinderung von Folter (etwa auch der Erhöhung der Strafandrohung) und trotz nachweisbarer Verbesserungen bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen sei. Nach Angaben von Menschenrechtsverbänden sei jedoch die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die in Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- und Misshandlungsfällen stehen, 2010 landesweit zurückgegangen. So seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 (2009: 252, 2088: 269) Personen registriert worden, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden seien. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es würden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt würden. Des Weiteren sei es 2010 zu über 27 sog. extra-legalen Tötungen durch Sicherheitskräfte gekommen

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Die vorstehend dargestellten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes stimmen in den Grundzügen mit denjenigen von amnesty international überein, wenn auch etwa die Anzahl der im Jahr 2010 verzeichneten Folteropfer von der vom Auswärtigen Amt mitgeteilten Zahl abweicht und ai die mitgeteilten Fakten etwas kritischer bewertet. Auch nach Angaben von ai gab es in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt sei. Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen, der notwendige grundlegende Wandel sei damit jedoch nicht vollzogen worden. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien noch immer ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte eingeschränkt.

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Ähnlich wie ai äußert sich auch Helmut Oberdiek für die Schweizerische Flüchtlingshilfe

vgl. Oberdiek, Türkei, Zur aktuellen Situation – Oktober 2007.

Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Zur Entwicklung in den letzten Jahren sowie der Stellung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen kann zunächst auf die entsprechenden ausführlichen Darlegungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch aus den neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Ergodan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“ (zuvor „Kurdischen Öffnung“), die auf eine Lösung der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir, aus der der Kläger stammt, auch in jüngerer Zeit Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen kritisch bewertete (Massen)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im Vergleich zu den 90er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in den 90er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert.

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; sowie zusammenfassendes Protokoll der Gesprächsreise von Rechtsanwalt Tahir Elci im Juni 2010.

Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bieten keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass in der Türkei seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers tiefgreifende Reformen stattgefunden haben und die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten 10 Jahre im Hinblick auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener Hinsicht nicht denen Westeuropas entsprechen. Der Reformprozess dauert inzwischen schon ca. ein Jahrzehnt an und wird prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und hat sich daher den sog. Kopenhagener Kriterien unterworfen. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und den Fortschrittsbericht veröffentlicht. Von daher sind die seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers in der Türkei stattgefundenen Veränderungen durchaus als dauerhaft einzustufen, auch wenn es – wie ai und Helmut Oberdiek anmerken – in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte gegeben hat und der Reformprozess, was die Lösung der Kurdenfrage betrifft, seit Mai 2010 stagniert.

Ob angesichts der dargestellten Verhältnisse in der Türkei allerdings generell die Feststellung getroffen werden kann, dass - wie im angefochtenen Bescheid angenommen - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung oder ähnlichem, oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes oder sonstiger Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen hatten, heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt sind, erscheint fraglich. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Denn für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung ist - wie dargelegt - nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt. Vielmehr ist in Abhängigkeit von den konkreten Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, festzustellen, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und dass deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hat

vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 - sowie Beschluss vom 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. v. 24.2 2011 – 10 C 5/10 -, juris, wonach sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.

Bezogen auf die individuelle Situation des Klägers haben die vorstehend dargestellten Änderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei und die damit einhergehende Entspannung der Verhältnisse auch im Südosten des Landes seit der Flüchtlingsanerkennung aber jedenfalls eine solche Auswirkung, dass nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vorgängen, die 1994 und 1995 zu Misshandlungen führten, weiterhin bzw. erneut polizeiliche oder sonstige behördliche Maßnahmen von asylerheblicher Intensität befürchten muss. Als Flüchtling anerkannt wurde der Kläger – wie ausgeführt - vor allem im Hinblick auf die Annahme, dass er 1994 bei den Heimatbehörden als möglicher Sympathisant der PKK registriert war, weil man ihn verdächtigte, für diese Transporte durchzuführen. Bei der anzustellenden Prognose einer dem Kläger heute noch drohenden Verfolgungsgefahr fällt zunächst ins Gewicht, dass die dem Kläger im Jahr 1994 vorgehaltenen vermeintlichen Unterstützungshandlungen für die PKK in Gestalt gelegentlicher Transportfahrten nur untergeordneter Natur waren und es – da der Vorwurf eigenen Angaben des Klägers zufolge unbegründet war - dafür auch keinerlei Beweise gab, weshalb man ihn jeweils nach kurzer Zeit auch wieder freigelassen habe. Zudem liegen die Vorwürfe mittlerweile mehr als sechzehn Jahre zurück. Darüber hinaus wäre die dem Kläger ehemals vorgeworfene Unterstützung der PKK durch gelegentliche Transportfahrten heute nach türkischem Strafrecht ohnehin nicht mehr zu verfolgen. In Betracht gekommen wäre zur vermeintlichen Tatzeit insoweit eine Bestrafung gemäß Art. 169 Türkisches StGB (TStGB) von 1926 wegen Unterstützung einer bewaffneten Organisation und zwar mit einer Strafe von 4,5 bis 7,5 Jahren (Art. 159 i.V.m. Art. 4, 5 Antiterrorgesetz). Diese Tat wäre aber unter die Amnestie vom 21.12.2000 durch das Gesetz Nr. 4616 (betreffend bedingte Freilassungen und die Aussetzung von Strafverfahren sowie von der Vollstreckung von Strafen im Falle von bis zum 23. April 1999 begangener Straftaten) gefallen. Diese gewährte einen Straferlass von zehn Jahren, was bei Straftaten mit einer Strafe unter zehn Jahren eine Straffreistellung bedeutete

vgl. Gutachten Dr. Silvia Tellenbach an das VG Osnabrück vom 26.11.2006 sowie an das VG Freiburg vom 4.6.2007; Serafettin Kaya an VG Berlin vom 9.8.2006 und an OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Auch nach Angaben des Sachverständigen Kamil Taylan in seinem Gutachten für den Senat vom 11.2.2011 ist die vom Kläger in diesem Verfahren berichtete tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergung von PKK-Aktivisten o.ä. in den 90er Jahren heute als Delikt im Sinne des TStGB verjährt. Diese Verjährung betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die Ablehnung eines Dorfschützeramtes bzw. einer Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitskräften, „auch durch Flucht ins Ausland“.

Damit wären die dem Kläger im Jahr 1994 unterstellten gelegentlichen Transporte von PKK-Anhängern bzw. Lebensmitteln für die PKK mittlerweile jedenfalls straffrei.

Auch sind dem Gutachter Kamil Taylan keine aktuellen Verfahren gegen in die Türkei zurückgekehrte Personen bekannt, die, wie der Kläger, bis Ende der 90er Jahre in den Verdacht geraten sind, die PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergungen oder ähnlichem unterstützt zu haben und deswegen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren

vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das OVG des Saarlandes vom 11.2.2011.

Damit vergleichbar hält auch der Gutachter Serafettin Kaya die Gefahr für eine im Jahr 1995 wegen der Unterstützung der TDKP in Verdacht geratene Person, die, ebenso wie vorliegend der Kläger, nicht verurteilt worden war, im Falle einer Rückkehr nicht für beachtlich wahrscheinlich

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Soweit der Kläger darüber hinaus als mitursächlich für seine Ausreise angegeben hat, dass er sich dem auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützer-amtes habe entziehen wollen, was allerdings ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 für die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht von Bedeutung war, droht ihm in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr ebenfalls keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ablehnung der Übernahme des Dorfschützeramtes keine strafrechtliche Relevanz besitzt

vgl. ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Darüber hinaus haben sich die Verhältnisse in der Türkei seit der Ausreise des Klägers auch betreffend die Dorfschützerproblematik grundlegend geändert, so dass nicht angenommen werden kann, dass der Kläger heute insoweit nochmals Beeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das System der Dorfschützer in der zuvor praktizierten Form nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursämter der Provinzen vom 24.4.2000 wurde angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten vom 28.1. 2007 an das VG Aachen; ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem ersichtlich auch eingehalten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerseits geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich - wie oben bereits ausgeführt - inzwischen wesentlich geändert. Das Mitte der 80er Jahre geschaffene und in den 90er Jahren weiter ausgebaute System diente u. a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt) und später - entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung als „verlängerten Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten. Seit der Entspannung der Situation und dem Rückgang der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei und der von der türkischen Regierung verfolgten Politik der sog. „demokratischen Öffnung“ wurden neue Dorfschützer nicht mehr benötigt, so dass die türkischen Sicherheitskräfte auch keinen Druck mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben brauchten, auch wenn das Dorfschützersystem nicht insgesamt abgeschafft wurde. Letzteres liegt u.a. daran, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den kurdischen Provinzen mit sich brächte, weil damit viele - zudem bisher staatsloyale - Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb bis hin zu ihrer Rentenberechtigung verlören.

vgl. ai, Gutachten vom 18.7.2003 an VG Frankfurt; vgl. zu alledem auch ausführlich OVG Koblenz, Urteil vom 17.12.2010 - 10 A 10911/10 -, juris.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu befürchten hat.

Nichts anderes ist im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers anzunehmen, welche sich nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf beschränkten, wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Dabei handelt es sich eindeutig um eine Betätigung niedrigen Profils. Die bloße Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen stellt kein Verhalten dar, das sich von demjenigen der meisten in Deutschland lebenden Kurden aus der Türkei unterscheidet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes begründet jedoch nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, d. h. eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr

vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteile vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 -, juris und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris; sowie Beschluss vom 21.12.2009 - 3 A 275/09 -.

Neuere Erkenntnisse, die Anlass zu einer anderen Beurteilung böten, liegen nicht vor. Vielmehr führt etwa das Auswärtige Amt in seinem jüngsten Lagebericht vom 8.4.2011 ebenso wie bereits in verschiedenen vorangegangenen Lageberichten bzw. Stellungnahmen aus, dass (nur) türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit Ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würden, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten, was vorliegend jedoch nicht erkennbar ist.

Ist somit bereits nach den vorangegangenen Ausführungen nicht zu erwarten, dass die türkischen Sicherheitskräfte heute noch ein Interesse an der Person des Klägers haben, so findet dies eine weitere Bestätigung in den vom Senat eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von Kamil Taylan.

So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13.10.2010 zu den im Beweisbeschluss des Senats vom 16.7.2010 gestellten Fragen mitgeteilt, dass Nachforschungen eines beauftragten Vertrauensanwalts im Falle des Klägers ergeben hätten, dass an den maßgeblichen Orten, nämlich am Ort der personenstandsamtlichen Registrierung und am letzten Wohnort des Klägers keine behördlichen Vorgänge gegen ihn vorhanden seien. Auch bei der Sicherheitsdirektion Istanbul und der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sei der Kläger nicht aktenkundig. Es habe auch kein Fahndungsersuchen nach ihm festgestellt werden können. Im Hinblick darauf seien keine Hinweise dafür vorhanden, dass der Kläger bei Rückkehr in die Türkei in den Fokus der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte bzw. mit staatlichen Repressalien wegen der behaupteten früheren Aktivitäten zu rechnen hätte.

Auch der Sachverständige Taylan bestätigt in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, über türkische Anwälte in Erfahrung gebracht zu haben, dass über den Kläger in zentralen Fahndungsregistern keine Einträge vorhanden seien, d. h., dass der Kläger nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei, auch kein Haftbefehl gegen ihn existiere und derzeit auch kein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei wegen seiner Aktivitäten in den 90er Jahren politisch verfolgt werde. Es sei auch derzeit kein einziges Verfahren in der Türkei bekannt, worin ein Rückkehrer wegen Verfehlungen, wie sie dem Kläger vorgeworfen worden seien, angeklagt sei oder sich in U-Haft befinde bzw. deswegen sonstigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Ein Verfahren gegen einen zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1994 in den Verdacht geraten war, die PKK durch Transportfahrten unterstützt zu haben, hält der Gutachter wegen der Verjährung dieser Taten für ausgeschlossen, auch wenn die betroffene Person damals kurzfristig festgenommen und misshandelt worden sowie in ihrer Heimatregion als Verdächtiger registriert war.

Dafür, dass – wie das Auswärtige Amt und Kamil Taylan festgestellt haben – der Kläger in der Türkei tatsächlich nicht mehr als Verdächtiger bzw. Sympathisant der PKK registriert ist, spricht im Übrigen auch, dass aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 keine Suchvermerke mehr ins Personenstandregister eingetragen werden und Angaben türkischer Behörden zufolge Mitte Februar 2009 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregister gelöscht wurden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Der darüber hinausgehenden Anmerkung des Sachverständigen Taylan in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, wonach mit Blick darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Unterstützer und Sympathisant der PKK aktiv gewesen sei, die Gefahr einer politischen Verfolgung „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden könne, lässt sich die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger weiterhin drohenden politischen Verfolgung ebenfalls nicht entnehmen. Die Gefahr einer solchen Verfolgung erachtet auch Kamil Taylan wörtlich als „sehr gering“ bzw. „verschwindend klein“; er vermag sie angesichts der seiner Meinung nach „chaotischen Verhältnisse in der türkischen Justiz“ nur nicht ganz auszuschließen. Eine so hohe Prognosesicherheit, dass eine Verfolgungsgefahr ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden kann, was letztlich einen kaum zu gewährleistenden Schutzstandard bedeutete, wird jedoch für die Annahme eines Wegfalls der Anerkennungsvoraussetzungen nicht gefordert. Vielmehr hätte bei dem vom Gutachter umschriebenen Wahrscheinlichkeitsgrad nach der früheren Rechtsprechung sogar eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht werden können. Nach dieser Rechtsprechung konnte vom Fehlen hinreichender Sicherheit vor der Wiederholung von Verfolgungshandlungen nicht schon bei jeder noch so geringen Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts ausgegangen werden. Vielmehr war über eine „theoretische“ Möglichkeit hinaus erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus „reale“ Möglichkeit erscheinen ließen

vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1992 – 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 f.

Auch amnesty international hält zumindest eine gerichtliche Verfolgung aufgrund der dem Kläger früher vorgeworfenen Aktivitäten für nicht wahrscheinlich. Auch ansonsten lässt sich der Stellungnahme vom 31.1.2011 an den Senat, welche sich auf allgemeine Ausführungen zur Gefährdungslage von Rückkehrern beschränkt, ohne jedoch die individuelle Situation des Klägers näher zu beleuchten, eine dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt zunächst, soweit ai ganz allgemein die Gefahr sieht, dass einreisende ehemalige Asylsuchende bereits während der Dauer der im Regelfall erfolgenden Erkundigungen bei den Heimatbehörden misshandelt werden. Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer solchen allen Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, drohenden Gefahr steht entgegen, dass in den letzten Jahren konkrete derartige Fälle nicht verzeichnet wurden.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist diesem in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in den ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei; dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei kein Fall genannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder oder führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Nach Auskunft der Vertretungen von EU-Mitgliedstaaten in Ankara (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie von Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2011 sei auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt gewesen seien

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Konkrete Fälle, die den vorgenannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes entgegen stehen, hat auch ai nicht benannt. Von daher kann jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger schon allein während einer routinemäßigen Nachfrage bei den Behörden seines Heimatortes Misshandlungen drohen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach zurückkehrende Asylbewerber jedenfalls nicht routinemäßig - d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert bzw. asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt werden

vgl. etwa Urteil vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris.

Soweit ai darüber hinaus die Gefahr eines Verhörs - und in diesem Zusammenhang auch von Folter - sieht, sobald gegen den Rückkehrer ein Eintrag oder ein polizeiinterner Suchbefehl vorliegt, ist eine diesbezüglich beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers ebenfalls nicht anzunehmen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - nach entsprechenden überzeugenden Angaben des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan in der Türkei derzeit nicht aktenkundig ist und keine behördlichen Vorgänge über ihn existieren. Die von ai lediglich in theoretischer Weise in den Blick genommen Risikofaktoren eines noch bestehenden Suchinteresses sind nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan im Falle des Klägers vielmehr zu verneinen.

Nach alledem ist ein aktuelles Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger (und damit einhergehend die Gefahr weiterer Ermittlungen und Misshandlungen) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, vielmehr nahezu auszuschließen.

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass die türkischen Sicherheitskräfte gegen eine in der jüngeren Zeit wieder verstärkt militärisch operierende PKK nochmals nachhaltig vorgehen und dies zu einer erneuten Verschlechterung der Verhältnisse in seiner Heimatregion führen könnte, bietet dies keinen Anlass zu der Annahme, dass eine langjährig zurückliegende Unterstützung der PKK relativ geringfügiger Art, wie sie bei dem Kläger vermutet wurde, im Falle einer Rückkehr Anlass für weitergehende Behelligungen sein könnte, nachdem in diesem Zusammenhang keinerlei behördliche Vorgänge und Registrierungen hinsichtlich des Klägers mehr vorliegen.

Schließlich droht dem Kläger auch im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr keine Gefährdung. Eine Gruppenverfolgung von Kurden lag weder im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung des Klägers vor noch kann hiervon aktuell ausgegangen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Urteile vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - und vom 29.3.2000 - 9 R 10/98 -, juris.

und auch aller weiteren Obergerichte, welche im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt wurde. Auf diesen wird insoweit Bezug genommen. Weiterer Darlegungen bedarf dies nicht, da sich der Kläger im anhängigen Verfahren auch nicht auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Kurden berufen hat.

Haben sich nach alledem im Falle des Klägers die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse seither erheblich verändert, steht der Annahme des nachträglichen Wegfalls der die Flüchtlingsanerkennung begründenden Umstände schließlich auch nicht die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anwendbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG entgegen, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., juris.

Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten.

Zwar hat der Senat keinen Anlass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers in Zweifel zu ziehen, wonach er im Rahmen einer zweitägigen Festnahme im Jahr 1994 mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde, dabei einen Bruch der Wangenknochen erlitt und auch anlässlich eines mehrstündigen Verhörs in Istanbul im Jahre 1995 erneut misshandelt wurde, wovon auch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - ausgegangen ist. Von daher liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG formulierten Vermutung vor. Ausgehend von den vorstehend dargestellten Veränderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den oben dargestellten, dem Kläger zu Gute kommenden Amnestie- bzw Verjährungsregelungen sowie der Tatsache, dass derzeit in der Türkei bezüglich des Klägers keinerlei Fahndungsersuchen, Registereintragungen oder sonstige behördliche Vorgänge wegen des Verdachts einer Unterstützung der PKK mehr existieren, sprechen jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die in der Türkei trotz der durchgeführten Reformen im Einzelfall nicht auszuschließende Gefahr der Folter besteht vor allem bei Ermittlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen bestimmte Personen wegen der Verdächtigung, politische Straftaten begangen zu haben. Für solche Ermittlungen gegen den Kläger besteht nach dem Vorgesagten aber kein Anlass mehr.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch ohne Weiteres anzunehmen, dass die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur ist, vielmehr die Faktoren, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Angesichts der dem Kläger zugute kommenden Amnestie- bzw. Verjährungsregelungen sowie des im Zuge der Beweiserhebung des Senats zu Tage getretenen gänzlich fehlenden aktuellen Interesses der türkischen Behörden an der Person des Klägers ist nicht erkennbar, dass diesem auf absehbare Zeit erneute Verfolgung drohen könnte. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren geeignete Schritte unternommen hat, um die der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen (insbesondere der Amnestie- und Verjährungsregelungen sowie des Beseitigens von Registereintragungen) ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei nunmehr vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen nachhaltig geschützt ist.

Sind danach aufgrund einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse in der Türkei diejenigen Umstände weggefallen, auf denen die begründete Furcht vor Verfolgung und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruhten, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils einem Widerruf nicht entgegensteht. Denn bei einer solchen wesentlichen Veränderung der Sachlage endet auch die Rechtskraft des Urteils.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, hat dieser nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Hat die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger wegen einer erheblichen und dauerhaften Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände keine begründete Furcht vor Verfolgung mehr haben muss, war vom Widerruf auch nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen zwingender auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe abzusehen. Solche zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe, um eine Rückkehr in die Türkei abzulehnen, liegen im Falle des Klägers nicht vor. Mit § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird insbesondere der psychischen Sondersituation Rechnung getragen, in dem sich ein Asylberechtigter befindet, welcher ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse im Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgungsstaat zurückzukehren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist demnach, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei auch dann führen, wenn - wie hier - eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 in DVBl. 2006, S. 511.

Eine derartige Sachlage ist im Falle des Klägers nicht gegeben. Zwar ist der Kläger vor seiner Ausreise körperlich misshandelt worden. Jedoch hat er weder vorgetragen noch ist erkennbar, dass er dabei derart schwere physische oder psychische Schäden davon getragen hat, dass diese auch derzeit noch in einem erheblichen Umfang nachwirken, so dass ihm eine Rückkehr nicht angesonnen werden könnte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zwar angegeben, die erlittenen Misshandlungen nicht vergessen zu können. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei nicht aus, zumal der Kläger sich offenkundig vorrangig um die Zukunft seiner Kinder und auch die wirtschaftliche Lage der Familie sorgte.

Hat die Beklagte demnach die im Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen, ist auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen des Klägers ebenfalls nur mit Blick auf die geäußerte Befürchtung erneuter staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit den Vorgängen vor der Ausreise in Betracht. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, kann insoweit jedoch nicht von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden.

Schließlich ist auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 17.7.2008 erhobene Anfechtungsklage auch gegen diese Feststellung gerichtet ist. Ungeachtet der Frage des richtigen Rechtsbehelfs kann auch hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Ergänzend wird folgendes hinzugefügt: Auch bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist stets der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

vgl. BVerwG, Urteile vom 24.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -.

Ausgehend vom Sachvortrag des Klägers kommt auch hier lediglich eine ihm im Rückkehrfalle drohende Gefahr erneuter Folter bzw. Misshandlung durch türkische Sicherheitskräfte in Betracht. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende derartige Gefahr ist jedoch nach den vorangegangenen Darlegungen, auf die auch hier Bezug genommen werden kann, nicht anzunehmen. Die Vermutungsregelung des auch im Rahmen der Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG wirkt sich auch hier nicht zugunsten es Klägers aus, da - wie ausgeführt - stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dementsprechend liegt weder ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG noch ein solches im Sinne des nachrangig zu prüfenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Für sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 AufenthG, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG oder § 60 Abs. 4 AufenthG sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17.7.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. Das Bundesamt hat auch zu Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die – hier streitgegenständliche - Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. bis zum 1.1.2005 des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere ist die beabsichtigte Entscheidung über den Widerruf entsprechend § 73 Abs. 4 AsylVfG dem Kläger zuvor schriftlich mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Auch begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt

vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier - die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird

vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2007 - 10 C 24.07 -, Buchholz 204.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N..

Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG ist in Fällen wie dem vorliegenden keine Ermessensentscheidung erforderlich

Vgl. ausführlich BVerwG, Urteile v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – u.a. sowie Urteile v. 1.6.2011 – 10 C 10.10 – u. – 10 C 25.10 -, juris.

Das Bundesamt hat im Ergebnis auch zu Recht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bejaht, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“) und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2.3.2010 (Rs C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist und zwar auch in Fällen, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss

vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 –, a.a.O..

In seinen jüngsten Urteilen vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 und 10 C 25.10 – hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit nochmals hervorgehoben, dass eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände im vorgenannten Sinne voraussetzt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht

vgl. zu letzterem auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 -1 C 21/04 -, DVBl. 2006, 511.

Es muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen, soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dabei dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweisen muss, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbarer Zeit kann indes nicht verlangt werden.

Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland verhält sich grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit des Weiteren ausgeführt, dass wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit der Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden kann, vielmehr unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Die Richtlinie 2004/83/EG kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird

vgl. zu allem Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 – m.w.N. sowie EuGH, Urt. vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., juris.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist demnach bei der Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf den Maßstab einer hinreichenden Sicherheit vor weiterer Verfolgung abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in den vorgenannten Entscheidungen vielmehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt wurde, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen war, ausdrücklich abgerückt.

Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, juris.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung hiervon erfasst wird, etwa auch Veränderungen in der Person des Begünstigten

vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Die zuständigen Behörden und Gerichte müssen sich mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 a.a.O.;

Dementsprechend ist bei der nach den vorgenannten Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist die Feststellung, dass sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls im Falle des konkret betroffenen Flüchtlings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. Hingegen ist für den Widerruf nicht erforderlich, dass im Herkunftsland des betroffenen Ausländers nunmehr umfassender Schutz vor Verfolgung gewährt wird oder es zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt

vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Ist eine grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände im vorgenannten Sinne zu bejahen, so ist es für den Widerruf des Weiteren unerheblich, ob die Flüchtlingsanerkennung zu Recht erfolgt war

vgl. BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89.

Ausgehend davon ist ein Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Der Kläger wurde mit Bescheid vom 10.3.2000 als Flüchtling anerkannt, weil das Verwaltungsgericht des Saarlandes in dem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - davon ausgegangen war, dass der Kläger in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt worden und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert gewesen sei. Im Jahre 1994 sei er anlässlich des Newrozfestes bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und unter dem Vorwurf, mit seinem Minibus PKK-Mitglieder und Lebensmittel für diese transportiert zu haben, zwei Tage lang verhört worden. Er sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, so dass er einen Bruch der Wangenknochen davon getragen habe. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Diese die Verfolgungsfurcht des Klägers begründenden Umstände können als dauerhaft beseitigt angesehen werden.

Seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers im März 2000 haben sich - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven verändert, so dass im konkreten Fall des Klägers – auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten – keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung mehr besteht.

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt

vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Lagebericht) vom 8.4.2011.

Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetzte verabschiedet

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Abgesehen von der Beendigung des Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt waren, sind insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, den Zugang zu einem Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen

vgl. Fortschrittsbericht der EU vom 6.11.2007; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Bericht vom 6.9.2006, S. 11 f., http://www.cpt.coe.int/documents/tur/2006-30-inf-eng.pdf.

Zu dem Reformpaket gehören auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung von Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 17.7.2008 verwiesen.

Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen

vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Türkei vom 8.4.2011

Im Jahr 2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsieht. Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 6.

Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren

vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 11.1.2007 und vom 3.5.2005.

Die türkische Regierung hat erkannt, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur demokratischen Öffnung, das derzeit allerdings zum Stillstand gekommen ist, der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf kurdisch und Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 11, 12.

Allerdings wird in den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen übereinstimmend nach wie vor von Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen unbeachtet bleiben. Die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht zufriedenstellend

vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.4.2011, S. 7 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Helmut Oberdiek, Türkei, update: Aktuelle Entwicklungen, 9.10.2008; Fortschrittsbericht Türkei der EU vom 6.11.2007; ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010; U.S. Departement of State, 2010, Human Rights Report: Turkey vom 8.4.2011, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrtt/2010/eur/154455.htm.

So berichtet etwa das Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen. Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten würden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Des Weiteren sei es der türkischen Regierung trotz zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verhinderung von Folter (etwa auch der Erhöhung der Strafandrohung) und trotz nachweisbarer Verbesserungen bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen sei. Nach Angaben von Menschenrechtsverbänden sei jedoch die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die in Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- und Misshandlungsfällen stehen, 2010 landesweit zurückgegangen. So seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 (2009: 252, 2088: 269) Personen registriert worden, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden seien. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es würden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt würden. Des Weiteren sei es 2010 zu über 27 sog. extra-legalen Tötungen durch Sicherheitskräfte gekommen

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Die vorstehend dargestellten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes stimmen in den Grundzügen mit denjenigen von amnesty international überein, wenn auch etwa die Anzahl der im Jahr 2010 verzeichneten Folteropfer von der vom Auswärtigen Amt mitgeteilten Zahl abweicht und ai die mitgeteilten Fakten etwas kritischer bewertet. Auch nach Angaben von ai gab es in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt sei. Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen, der notwendige grundlegende Wandel sei damit jedoch nicht vollzogen worden. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien noch immer ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte eingeschränkt.

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Ähnlich wie ai äußert sich auch Helmut Oberdiek für die Schweizerische Flüchtlingshilfe

vgl. Oberdiek, Türkei, Zur aktuellen Situation – Oktober 2007.

Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Zur Entwicklung in den letzten Jahren sowie der Stellung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen kann zunächst auf die entsprechenden ausführlichen Darlegungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch aus den neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Ergodan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“ (zuvor „Kurdischen Öffnung“), die auf eine Lösung der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir, aus der der Kläger stammt, auch in jüngerer Zeit Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen kritisch bewertete (Massen)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im Vergleich zu den 90er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in den 90er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert.

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; sowie zusammenfassendes Protokoll der Gesprächsreise von Rechtsanwalt Tahir Elci im Juni 2010.

Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bieten keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass in der Türkei seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers tiefgreifende Reformen stattgefunden haben und die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten 10 Jahre im Hinblick auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener Hinsicht nicht denen Westeuropas entsprechen. Der Reformprozess dauert inzwischen schon ca. ein Jahrzehnt an und wird prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und hat sich daher den sog. Kopenhagener Kriterien unterworfen. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und den Fortschrittsbericht veröffentlicht. Von daher sind die seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers in der Türkei stattgefundenen Veränderungen durchaus als dauerhaft einzustufen, auch wenn es – wie ai und Helmut Oberdiek anmerken – in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte gegeben hat und der Reformprozess, was die Lösung der Kurdenfrage betrifft, seit Mai 2010 stagniert.

Ob angesichts der dargestellten Verhältnisse in der Türkei allerdings generell die Feststellung getroffen werden kann, dass - wie im angefochtenen Bescheid angenommen - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung oder ähnlichem, oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes oder sonstiger Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen hatten, heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt sind, erscheint fraglich. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Denn für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung ist - wie dargelegt - nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt. Vielmehr ist in Abhängigkeit von den konkreten Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, festzustellen, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und dass deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hat

vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 - sowie Beschluss vom 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. v. 24.2 2011 – 10 C 5/10 -, juris, wonach sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.

Bezogen auf die individuelle Situation des Klägers haben die vorstehend dargestellten Änderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei und die damit einhergehende Entspannung der Verhältnisse auch im Südosten des Landes seit der Flüchtlingsanerkennung aber jedenfalls eine solche Auswirkung, dass nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vorgängen, die 1994 und 1995 zu Misshandlungen führten, weiterhin bzw. erneut polizeiliche oder sonstige behördliche Maßnahmen von asylerheblicher Intensität befürchten muss. Als Flüchtling anerkannt wurde der Kläger – wie ausgeführt - vor allem im Hinblick auf die Annahme, dass er 1994 bei den Heimatbehörden als möglicher Sympathisant der PKK registriert war, weil man ihn verdächtigte, für diese Transporte durchzuführen. Bei der anzustellenden Prognose einer dem Kläger heute noch drohenden Verfolgungsgefahr fällt zunächst ins Gewicht, dass die dem Kläger im Jahr 1994 vorgehaltenen vermeintlichen Unterstützungshandlungen für die PKK in Gestalt gelegentlicher Transportfahrten nur untergeordneter Natur waren und es – da der Vorwurf eigenen Angaben des Klägers zufolge unbegründet war - dafür auch keinerlei Beweise gab, weshalb man ihn jeweils nach kurzer Zeit auch wieder freigelassen habe. Zudem liegen die Vorwürfe mittlerweile mehr als sechzehn Jahre zurück. Darüber hinaus wäre die dem Kläger ehemals vorgeworfene Unterstützung der PKK durch gelegentliche Transportfahrten heute nach türkischem Strafrecht ohnehin nicht mehr zu verfolgen. In Betracht gekommen wäre zur vermeintlichen Tatzeit insoweit eine Bestrafung gemäß Art. 169 Türkisches StGB (TStGB) von 1926 wegen Unterstützung einer bewaffneten Organisation und zwar mit einer Strafe von 4,5 bis 7,5 Jahren (Art. 159 i.V.m. Art. 4, 5 Antiterrorgesetz). Diese Tat wäre aber unter die Amnestie vom 21.12.2000 durch das Gesetz Nr. 4616 (betreffend bedingte Freilassungen und die Aussetzung von Strafverfahren sowie von der Vollstreckung von Strafen im Falle von bis zum 23. April 1999 begangener Straftaten) gefallen. Diese gewährte einen Straferlass von zehn Jahren, was bei Straftaten mit einer Strafe unter zehn Jahren eine Straffreistellung bedeutete

vgl. Gutachten Dr. Silvia Tellenbach an das VG Osnabrück vom 26.11.2006 sowie an das VG Freiburg vom 4.6.2007; Serafettin Kaya an VG Berlin vom 9.8.2006 und an OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Auch nach Angaben des Sachverständigen Kamil Taylan in seinem Gutachten für den Senat vom 11.2.2011 ist die vom Kläger in diesem Verfahren berichtete tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergung von PKK-Aktivisten o.ä. in den 90er Jahren heute als Delikt im Sinne des TStGB verjährt. Diese Verjährung betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die Ablehnung eines Dorfschützeramtes bzw. einer Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitskräften, „auch durch Flucht ins Ausland“.

Damit wären die dem Kläger im Jahr 1994 unterstellten gelegentlichen Transporte von PKK-Anhängern bzw. Lebensmitteln für die PKK mittlerweile jedenfalls straffrei.

Auch sind dem Gutachter Kamil Taylan keine aktuellen Verfahren gegen in die Türkei zurückgekehrte Personen bekannt, die, wie der Kläger, bis Ende der 90er Jahre in den Verdacht geraten sind, die PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergungen oder ähnlichem unterstützt zu haben und deswegen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren

vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das OVG des Saarlandes vom 11.2.2011.

Damit vergleichbar hält auch der Gutachter Serafettin Kaya die Gefahr für eine im Jahr 1995 wegen der Unterstützung der TDKP in Verdacht geratene Person, die, ebenso wie vorliegend der Kläger, nicht verurteilt worden war, im Falle einer Rückkehr nicht für beachtlich wahrscheinlich

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Soweit der Kläger darüber hinaus als mitursächlich für seine Ausreise angegeben hat, dass er sich dem auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützer-amtes habe entziehen wollen, was allerdings ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 für die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht von Bedeutung war, droht ihm in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr ebenfalls keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ablehnung der Übernahme des Dorfschützeramtes keine strafrechtliche Relevanz besitzt

vgl. ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Darüber hinaus haben sich die Verhältnisse in der Türkei seit der Ausreise des Klägers auch betreffend die Dorfschützerproblematik grundlegend geändert, so dass nicht angenommen werden kann, dass der Kläger heute insoweit nochmals Beeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das System der Dorfschützer in der zuvor praktizierten Form nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursämter der Provinzen vom 24.4.2000 wurde angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten vom 28.1. 2007 an das VG Aachen; ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem ersichtlich auch eingehalten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerseits geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich - wie oben bereits ausgeführt - inzwischen wesentlich geändert. Das Mitte der 80er Jahre geschaffene und in den 90er Jahren weiter ausgebaute System diente u. a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt) und später - entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung als „verlängerten Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten. Seit der Entspannung der Situation und dem Rückgang der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei und der von der türkischen Regierung verfolgten Politik der sog. „demokratischen Öffnung“ wurden neue Dorfschützer nicht mehr benötigt, so dass die türkischen Sicherheitskräfte auch keinen Druck mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben brauchten, auch wenn das Dorfschützersystem nicht insgesamt abgeschafft wurde. Letzteres liegt u.a. daran, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den kurdischen Provinzen mit sich brächte, weil damit viele - zudem bisher staatsloyale - Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb bis hin zu ihrer Rentenberechtigung verlören.

vgl. ai, Gutachten vom 18.7.2003 an VG Frankfurt; vgl. zu alledem auch ausführlich OVG Koblenz, Urteil vom 17.12.2010 - 10 A 10911/10 -, juris.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu befürchten hat.

Nichts anderes ist im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers anzunehmen, welche sich nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf beschränkten, wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Dabei handelt es sich eindeutig um eine Betätigung niedrigen Profils. Die bloße Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen stellt kein Verhalten dar, das sich von demjenigen der meisten in Deutschland lebenden Kurden aus der Türkei unterscheidet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes begründet jedoch nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, d. h. eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr

vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteile vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 -, juris und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris; sowie Beschluss vom 21.12.2009 - 3 A 275/09 -.

Neuere Erkenntnisse, die Anlass zu einer anderen Beurteilung böten, liegen nicht vor. Vielmehr führt etwa das Auswärtige Amt in seinem jüngsten Lagebericht vom 8.4.2011 ebenso wie bereits in verschiedenen vorangegangenen Lageberichten bzw. Stellungnahmen aus, dass (nur) türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit Ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würden, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten, was vorliegend jedoch nicht erkennbar ist.

Ist somit bereits nach den vorangegangenen Ausführungen nicht zu erwarten, dass die türkischen Sicherheitskräfte heute noch ein Interesse an der Person des Klägers haben, so findet dies eine weitere Bestätigung in den vom Senat eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von Kamil Taylan.

So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13.10.2010 zu den im Beweisbeschluss des Senats vom 16.7.2010 gestellten Fragen mitgeteilt, dass Nachforschungen eines beauftragten Vertrauensanwalts im Falle des Klägers ergeben hätten, dass an den maßgeblichen Orten, nämlich am Ort der personenstandsamtlichen Registrierung und am letzten Wohnort des Klägers keine behördlichen Vorgänge gegen ihn vorhanden seien. Auch bei der Sicherheitsdirektion Istanbul und der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sei der Kläger nicht aktenkundig. Es habe auch kein Fahndungsersuchen nach ihm festgestellt werden können. Im Hinblick darauf seien keine Hinweise dafür vorhanden, dass der Kläger bei Rückkehr in die Türkei in den Fokus der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte bzw. mit staatlichen Repressalien wegen der behaupteten früheren Aktivitäten zu rechnen hätte.

Auch der Sachverständige Taylan bestätigt in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, über türkische Anwälte in Erfahrung gebracht zu haben, dass über den Kläger in zentralen Fahndungsregistern keine Einträge vorhanden seien, d. h., dass der Kläger nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei, auch kein Haftbefehl gegen ihn existiere und derzeit auch kein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei wegen seiner Aktivitäten in den 90er Jahren politisch verfolgt werde. Es sei auch derzeit kein einziges Verfahren in der Türkei bekannt, worin ein Rückkehrer wegen Verfehlungen, wie sie dem Kläger vorgeworfen worden seien, angeklagt sei oder sich in U-Haft befinde bzw. deswegen sonstigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Ein Verfahren gegen einen zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1994 in den Verdacht geraten war, die PKK durch Transportfahrten unterstützt zu haben, hält der Gutachter wegen der Verjährung dieser Taten für ausgeschlossen, auch wenn die betroffene Person damals kurzfristig festgenommen und misshandelt worden sowie in ihrer Heimatregion als Verdächtiger registriert war.

Dafür, dass – wie das Auswärtige Amt und Kamil Taylan festgestellt haben – der Kläger in der Türkei tatsächlich nicht mehr als Verdächtiger bzw. Sympathisant der PKK registriert ist, spricht im Übrigen auch, dass aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 keine Suchvermerke mehr ins Personenstandregister eingetragen werden und Angaben türkischer Behörden zufolge Mitte Februar 2009 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregister gelöscht wurden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Der darüber hinausgehenden Anmerkung des Sachverständigen Taylan in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, wonach mit Blick darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Unterstützer und Sympathisant der PKK aktiv gewesen sei, die Gefahr einer politischen Verfolgung „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden könne, lässt sich die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger weiterhin drohenden politischen Verfolgung ebenfalls nicht entnehmen. Die Gefahr einer solchen Verfolgung erachtet auch Kamil Taylan wörtlich als „sehr gering“ bzw. „verschwindend klein“; er vermag sie angesichts der seiner Meinung nach „chaotischen Verhältnisse in der türkischen Justiz“ nur nicht ganz auszuschließen. Eine so hohe Prognosesicherheit, dass eine Verfolgungsgefahr ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden kann, was letztlich einen kaum zu gewährleistenden Schutzstandard bedeutete, wird jedoch für die Annahme eines Wegfalls der Anerkennungsvoraussetzungen nicht gefordert. Vielmehr hätte bei dem vom Gutachter umschriebenen Wahrscheinlichkeitsgrad nach der früheren Rechtsprechung sogar eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht werden können. Nach dieser Rechtsprechung konnte vom Fehlen hinreichender Sicherheit vor der Wiederholung von Verfolgungshandlungen nicht schon bei jeder noch so geringen Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts ausgegangen werden. Vielmehr war über eine „theoretische“ Möglichkeit hinaus erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus „reale“ Möglichkeit erscheinen ließen

vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1992 – 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 f.

Auch amnesty international hält zumindest eine gerichtliche Verfolgung aufgrund der dem Kläger früher vorgeworfenen Aktivitäten für nicht wahrscheinlich. Auch ansonsten lässt sich der Stellungnahme vom 31.1.2011 an den Senat, welche sich auf allgemeine Ausführungen zur Gefährdungslage von Rückkehrern beschränkt, ohne jedoch die individuelle Situation des Klägers näher zu beleuchten, eine dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt zunächst, soweit ai ganz allgemein die Gefahr sieht, dass einreisende ehemalige Asylsuchende bereits während der Dauer der im Regelfall erfolgenden Erkundigungen bei den Heimatbehörden misshandelt werden. Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer solchen allen Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, drohenden Gefahr steht entgegen, dass in den letzten Jahren konkrete derartige Fälle nicht verzeichnet wurden.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist diesem in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in den ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei; dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei kein Fall genannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder oder führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Nach Auskunft der Vertretungen von EU-Mitgliedstaaten in Ankara (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie von Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2011 sei auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt gewesen seien

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Konkrete Fälle, die den vorgenannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes entgegen stehen, hat auch ai nicht benannt. Von daher kann jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger schon allein während einer routinemäßigen Nachfrage bei den Behörden seines Heimatortes Misshandlungen drohen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach zurückkehrende Asylbewerber jedenfalls nicht routinemäßig - d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert bzw. asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt werden

vgl. etwa Urteil vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris.

Soweit ai darüber hinaus die Gefahr eines Verhörs - und in diesem Zusammenhang auch von Folter - sieht, sobald gegen den Rückkehrer ein Eintrag oder ein polizeiinterner Suchbefehl vorliegt, ist eine diesbezüglich beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers ebenfalls nicht anzunehmen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - nach entsprechenden überzeugenden Angaben des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan in der Türkei derzeit nicht aktenkundig ist und keine behördlichen Vorgänge über ihn existieren. Die von ai lediglich in theoretischer Weise in den Blick genommen Risikofaktoren eines noch bestehenden Suchinteresses sind nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan im Falle des Klägers vielmehr zu verneinen.

Nach alledem ist ein aktuelles Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger (und damit einhergehend die Gefahr weiterer Ermittlungen und Misshandlungen) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, vielmehr nahezu auszuschließen.

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass die türkischen Sicherheitskräfte gegen eine in der jüngeren Zeit wieder verstärkt militärisch operierende PKK nochmals nachhaltig vorgehen und dies zu einer erneuten Verschlechterung der Verhältnisse in seiner Heimatregion führen könnte, bietet dies keinen Anlass zu der Annahme, dass eine langjährig zurückliegende Unterstützung der PKK relativ geringfügiger Art, wie sie bei dem Kläger vermutet wurde, im Falle einer Rückkehr Anlass für weitergehende Behelligungen sein könnte, nachdem in diesem Zusammenhang keinerlei behördliche Vorgänge und Registrierungen hinsichtlich des Klägers mehr vorliegen.

Schließlich droht dem Kläger auch im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr keine Gefährdung. Eine Gruppenverfolgung von Kurden lag weder im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung des Klägers vor noch kann hiervon aktuell ausgegangen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Urteile vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - und vom 29.3.2000 - 9 R 10/98 -, juris.

und auch aller weiteren Obergerichte, welche im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt wurde. Auf diesen wird insoweit Bezug genommen. Weiterer Darlegungen bedarf dies nicht, da sich der Kläger im anhängigen Verfahren auch nicht auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Kurden berufen hat.

Haben sich nach alledem im Falle des Klägers die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse seither erheblich verändert, steht der Annahme des nachträglichen Wegfalls der die Flüchtlingsanerkennung begründenden Umstände schließlich auch nicht die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anwendbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG entgegen, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., juris.

Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten.

Zwar hat der Senat keinen Anlass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers in Zweifel zu ziehen, wonach er im Rahmen einer zweitägigen Festnahme im Jahr 1994 mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde, dabei einen Bruch der Wangenknochen erlitt und auch anlässlich eines mehrstündigen Verhörs in Istanbul im Jahre 1995 erneut misshandelt wurde, wovon auch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - ausgegangen ist. Von daher liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG formulierten Vermutung vor. Ausgehend von den vorstehend dargestellten Veränderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den oben dargestellten, dem Kläger zu Gute kommenden Amnestie- bzw Verjährungsregelungen sowie der Tatsache, dass derzeit in der Türkei bezüglich des Klägers keinerlei Fahndungsersuchen, Registereintragungen oder sonstige behördliche Vorgänge wegen des Verdachts einer Unterstützung der PKK mehr existieren, sprechen jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die in der Türkei trotz der durchgeführten Reformen im Einzelfall nicht auszuschließende Gefahr der Folter besteht vor allem bei Ermittlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen bestimmte Personen wegen der Verdächtigung, politische Straftaten begangen zu haben. Für solche Ermittlungen gegen den Kläger besteht nach dem Vorgesagten aber kein Anlass mehr.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch ohne Weiteres anzunehmen, dass die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur ist, vielmehr die Faktoren, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Angesichts der dem Kläger zugute kommenden Amnestie- bzw. Verjährungsregelungen sowie des im Zuge der Beweiserhebung des Senats zu Tage getretenen gänzlich fehlenden aktuellen Interesses der türkischen Behörden an der Person des Klägers ist nicht erkennbar, dass diesem auf absehbare Zeit erneute Verfolgung drohen könnte. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren geeignete Schritte unternommen hat, um die der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen (insbesondere der Amnestie- und Verjährungsregelungen sowie des Beseitigens von Registereintragungen) ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei nunmehr vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen nachhaltig geschützt ist.

Sind danach aufgrund einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse in der Türkei diejenigen Umstände weggefallen, auf denen die begründete Furcht vor Verfolgung und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruhten, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils einem Widerruf nicht entgegensteht. Denn bei einer solchen wesentlichen Veränderung der Sachlage endet auch die Rechtskraft des Urteils.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, hat dieser nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Hat die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger wegen einer erheblichen und dauerhaften Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände keine begründete Furcht vor Verfolgung mehr haben muss, war vom Widerruf auch nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen zwingender auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe abzusehen. Solche zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe, um eine Rückkehr in die Türkei abzulehnen, liegen im Falle des Klägers nicht vor. Mit § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird insbesondere der psychischen Sondersituation Rechnung getragen, in dem sich ein Asylberechtigter befindet, welcher ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse im Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgungsstaat zurückzukehren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist demnach, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei auch dann führen, wenn - wie hier - eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 in DVBl. 2006, S. 511.

Eine derartige Sachlage ist im Falle des Klägers nicht gegeben. Zwar ist der Kläger vor seiner Ausreise körperlich misshandelt worden. Jedoch hat er weder vorgetragen noch ist erkennbar, dass er dabei derart schwere physische oder psychische Schäden davon getragen hat, dass diese auch derzeit noch in einem erheblichen Umfang nachwirken, so dass ihm eine Rückkehr nicht angesonnen werden könnte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zwar angegeben, die erlittenen Misshandlungen nicht vergessen zu können. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei nicht aus, zumal der Kläger sich offenkundig vorrangig um die Zukunft seiner Kinder und auch die wirtschaftliche Lage der Familie sorgte.

Hat die Beklagte demnach die im Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen, ist auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen des Klägers ebenfalls nur mit Blick auf die geäußerte Befürchtung erneuter staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit den Vorgängen vor der Ausreise in Betracht. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, kann insoweit jedoch nicht von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden.

Schließlich ist auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 17.7.2008 erhobene Anfechtungsklage auch gegen diese Feststellung gerichtet ist. Ungeachtet der Frage des richtigen Rechtsbehelfs kann auch hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Ergänzend wird folgendes hinzugefügt: Auch bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist stets der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

vgl. BVerwG, Urteile vom 24.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -.

Ausgehend vom Sachvortrag des Klägers kommt auch hier lediglich eine ihm im Rückkehrfalle drohende Gefahr erneuter Folter bzw. Misshandlung durch türkische Sicherheitskräfte in Betracht. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende derartige Gefahr ist jedoch nach den vorangegangenen Darlegungen, auf die auch hier Bezug genommen werden kann, nicht anzunehmen. Die Vermutungsregelung des auch im Rahmen der Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG wirkt sich auch hier nicht zugunsten es Klägers aus, da - wie ausgeführt - stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dementsprechend liegt weder ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG noch ein solches im Sinne des nachrangig zu prüfenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Für sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 AufenthG, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG oder § 60 Abs. 4 AufenthG sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.

2

Der 1982 in Kirkuk (Zentralirak) geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und moslemischen Glaubens. Er reiste im April 2001 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung berief er sich auf Probleme mit zwei Mitgliedern der regierenden Baath-Partei. Mit bestandskräftigem Bescheid lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - im Mai 2001 die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter ab, stellte aber fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen. Der Kläger habe glaubhaft gemacht, dass ihm bei einer Rückkehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung wegen Sabotage drohe.

3

Im November 2004 leitete das Bundesamt wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak ein Widerrufsverfahren ein. Nach Anhörung des Klägers widerrief es mit Bescheid vom 22. August 2005 die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Nr. 1 des Bescheids), und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 2 des Bescheids) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Nr. 3 des Bescheids) nicht vorliegen.

4

Im Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 19. Oktober 2005 den Widerrufsbescheid des Bundesamtes aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 27. Juli 2006 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig. Es könne auf sich beruhen, ob der Kläger den Irak unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung durch das Baath-Regime Saddam Husseins verlassen habe. Denn er sei vor einer solchen Verfolgung jetzt hinreichend sicher. Das Regime Saddam Husseins habe seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die im März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren. Eine Rückkehr des Regimes sei nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Herausbildung einer Struktur, die vom früheren Regime als Gegner angesehene Personen erneut (wiederholend) verfolge. Dem Kläger drohe auch nicht aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine - wie auch immer geartete - Verfolgung. Greifbare Anhaltspunkte für asylerhebliche Übergriffe von Seiten der neu gebildeten irakischen Regierung oder dem irakischen Staat sonst zurechenbarer Kräfte einschließlich der multinationalen Streitkräfte und der kurdischen Parteien im Nordirak ließen sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen. Dabei könne auf sich beruhen, ob mit der neuen Regierung ein zu politischer Verfolgung fähiges Machtgebilde in dem Sinne entstanden sei, dass es eine gewisse Stabilität aufweise und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitze. Auch für eine nichtstaatliche Verfolgung gebe das Vorbringen des Klägers nichts Tragfähiges her. Soweit es nach wie vor insbesondere zu Anschlägen und Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition sowie regulären Streitkräften und Koalitionsstreitkräften komme, sei nicht erkennbar, dass dieses Geschehen - bezogen auf den Kläger - an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Die Richtlinie 2004/83/EG entfalte vor Ablauf der Umsetzungsfrist keine unmittelbare Wirkung, außerdem ändere sie § 60 Abs. 1 AufenthG nicht in seinem Kerngehalt. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, die eine Rückkehr in den Irak unzumutbar erscheinen ließen, seien weder geltend gemacht noch ersichtlich. § 73 Abs. 2a AsylVfG sei vorliegend weder direkt noch analog anwendbar. Ob das Bundesamt den Widerruf unverzüglich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ausgesprochen habe, sei nicht entscheidungserheblich. Dahinstehen könne, ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG bei Widerrufsentscheidungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG zu beachten sei, da sie eingehalten wäre. Der Kläger könne auch nicht die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG beanspruchen.

5

Mit der vom Senat beschränkt auf den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung zugelassenen Revision erstrebt der Kläger insoweit die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Mit Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Klärung der Voraussetzungen für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG eingeholt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 2. März 2010 beantwortet.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Widerrufsentscheidung bestätigende Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet (1.) und der angefochtene Bescheid nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - kein Ermessen ausgeübt hat (2.). Das Berufungsurteil verstößt aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen gegen § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG, der seinerseits im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist (3.). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend in der Sache entscheiden. Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte. Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen (vgl. Urteil des Senats vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen m.w.N.).

8

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Insbesondere begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken (vgl. Urteil des Senats vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10 m.w.N.).

9

2. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Die für die Zulassung der Revision ausschlaggebende Frage, ob der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung einer Ermessensentscheidung (bisher nach § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG; nunmehr nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG) bedurfte, ist durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG geklärt. Danach ist in Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, vor Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keine Ermessensentscheidung erforderlich (vgl. Urteil des Senats vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10 m.w.N.).

10

3. Das Berufungsurteil ist hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen aber nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der inzwischen umgesetzten Richtlinie 2004/83/EG und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) auszulegen ist. Danach ist - wie der Senat in seinem Urteil vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10 im Einzelnen ausgeführt hat - die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss.

11

Eine abschließende Prüfung dieser materiellen Widerrufsvoraussetzungen ist dem Senat im vorliegenden Verfahren auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht möglich. Danach haben sich die Verhältnisse im Irak inzwischen geändert. Dabei hat das Berufungsgericht es dahinstehen lassen, ob der Kläger den Irak unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung durch das Baath-Regime Saddam Husseins verlassen habe, denn er sei vor einem Wiederaufleben der Verfolgung durch dieses frühere Regime im Irak hinreichend sicher. Eine Rückkehr des alten Regimes sei nach den aktuellen Verhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Bildung einer Struktur, die eine vom früheren Regime gesehene Gegnerschaft als solche übernehme und erneut (wiederholend) verfolge (UA S. 8 f.).

12

Diese pauschalen Ausführungen genügen nicht den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union notwendig sind, um ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft festzustellen. Danach müssen sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 70 ff.). Hierzu fehlen vorliegend nähere Feststellungen. Der Kläger wurde vom Bundesamt mit Bescheid vom 8. Mai 2001 als Flüchtling anerkannt, weil das Bundesamt seinerzeit davon ausging, dass ihm im Irak Verfolgung in Form einer Bestrafung wegen Sabotage drohte. Mit diesem der Anerkennung konkret zugrunde liegenden Umstand hat sich das Berufungsgericht nicht auseinander gesetzt. Auch wenn nach dem Sturz des Regimes Saddam Husseins eine flüchtlingsrechtlich relevante Bestrafung wegen Sabotage gegen dieses Regime eher fernliegen dürfte, ist dem Revisionsgericht vorliegend eine eigene abschließende Entscheidung prozessrechtlich verwehrt.

13

4. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht in einem neuen Berufungsverfahren klären muss, ob die Faktoren, die nach der Einschätzung des Bundesamts in seinem Anerkennungsbescheid konkret die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, mit dem Wegfall des Regimes Saddam Husseins und den weiteren Veränderungen im Irak inzwischen als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Dies setzt voraus, dass der Kläger insoweit keine Verfolgung mehr zu befürchten hat und die Änderung von Dauer ist, weil der irakische Staat inzwischen ein Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um diese Verfolgung zu verhindern. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht insbesondere aufzuklären, ob gegen den Kläger seinerzeit ein Strafverfahren wegen Sabotage eingeleitet wurde. Sollte dies der Fall sein, wäre weiter zu prüfen, ob in einem solchen Strafverfahren auch heute noch die Gefahr einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung besteht und ob der Kläger hiergegen ggf. wirksamen Rechtsschutz erlangen kann.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 6.6.1995 mit einem Lkw in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 12.6.1995 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung seines Asylantrags gab er an, anlässlich des Newrozfestes 1994 von Soldaten bei einer Kontrolle festgenommen worden zu sein, wobei man ihm vorgeworfen habe, mit seinem Minibus PKK-Anhänger und Lebensmittel für diese zu transportieren. Man habe ihn zu einer Militärstation gebracht und zwei Tage lang verhört, wobei er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Dabei habe er einen Bruch der Wangenknochen davongetragen. Mangels konkreter Beweise sei er wieder freigelassen worden. Anlässlich der Verhaftung seien seine Personalien registriert worden. In den darauffolgenden Monaten sei er- wie auch die anderen männlichen Bewohner seines Heimatdorfes - unter massiven Drohungen aufgefordert worden, das Amt eines Dorfschützers zu übernehmen. Da er nicht Dorfschützer habe werden wollen und keinen anderen Ausweg gesehen habe, habe er sich zur Ausreise entschlossen. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Mit Bescheid vom 27.6.1995 lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen. Im Anschluss an die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Beklagte mit Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - festzustellen, dass der Abschiebung des Klägers in die Türkei ein Abschiebungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 AuslG entgegensteht. Zur Begründung war in dem Urteil ausgeführt, der Kläger habe glaubhaft machen können, in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert worden zu sein. Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten linksorientierter und separatistischer kurdischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden Verdacht geraten seien, müssten im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen. Bei einer Rückkehr in die Türkei bestehe im Falle des Klägers die Gefahr, erneut festgenommen und dabei auch Foltermaßnahmen unterworfen zu werden.

Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 10.3.2000 fest, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen.

Mit Verfügung vom 27.5.2008 wurde ein Widerrufsverfahren eingeleitet. Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 28.5.2008, zugestellt am 29.5.2008, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, wovon dieser mit Schriftsatz vom 19.6.2008 Gebrauch machte. Mit Bescheid vom 17.7.2008 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Ergänzend wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde in dem Bescheid ausgeführt, seit der Ausreise des Klägers hätten sich Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei deutlich zum Positiven verändert. Die Gründe für die frühere Schutzgewährung seien daher heute entfallen. Türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung o.ä., oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes, dem Zwang zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften oder sonstigen Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen und in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor Verfolgung erhalten hätten, seien heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, aus denen der Kläger die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ablehnen könnte, lägen nicht vor.

Gegen diesen Widerrufsbescheid, der am 18.7.2008 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, hat der Kläger am 4.8.2008 Klage erhoben. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, die Verhältnisse in der Türkei hätten sich nicht so wesentlich geändert, dass sich die Prognose drohender politischer Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in die Türkei nicht mehr treffen ließe. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in dem Urteil vom 20.12.1999 habe er die Türkei vorverfolgt verlassen, so dass vorliegend der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab gelte. Die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung könnten dementsprechend nur dann wegfallen, wenn er vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher sei. Ungeachtet dessen, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei in Teilen verbessert haben möge, sei der Reformprozess keineswegs so weit fortgeschritten, dass eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Soweit überhaupt von einem Mentalitätswandel gesprochen werden könne, habe dieser nicht alle Teile von Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Nach wie vor werde Folter angewandt, was insbesondere damit zusammenhänge, dass es an einer effizienten Strafverfolgung gegenüber folternden Beamten fehle. Auch würden erfolterte Geständnisse weiterhin in Gerichtsverfahren als Beweis verwertet. Von einer verfestigten und nachhaltigen Veränderung der Menschenrechtssituation in der Türkei, welche Voraussetzung für einen Widerruf sei, könne daher nicht ausgegangen werden. Hinzu komme, dass im Zuge des aktuellen Widererstarkens von PKK-Aktivitäten entschiedenere Maßnahmen zu deren Bekämpfung gefordert würden. Im Falle des Klägers stehe rechtskräftig fest, dass er vor seiner Ausreise in seiner Heimatregion der Unterstützung der PKK verdächtigt worden und deswegen dort registriert gewesen sei. Selbst in Istanbul sei er deshalb festgenommen und mehrstündigen Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Vor erneuten Übergriffen durch die Sicherheitskräfte, insbesondere vor Verhören, die mit Misshandlungen verbunden seien, sei er keineswegs hinreichend sicher. Da er seinerzeit verdächtigt worden sei, die PKK zu unterstützen, würde auch heute noch der Verdacht bestehen, dass er sich während seines langen Auslandsaufenthalts für die PKK betätigt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gab der Kläger ergänzend an, in der Bundesrepublik Deutschland wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen zu haben.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17.7.2008 aufzuheben.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen in ihrem angefochtenen Bescheid beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.5.2009 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es im Wesentlichen, das Bundesamt habe zu Recht angenommen, dass die in dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 hinsichtlich des Klägers für die Türkei bejahten Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zwischenzeitlich entfallen seien. Zwar sei der Kläger nach den Feststellungen in dem genannten Urteil vorverfolgt ausgereist; indes sei er nunmehr vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher. Der Kläger habe wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu vergegenwärtigen. Insoweit hätten sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei seit dem Erlass des nunmehr aufgehobenen Bescheides maßgeblich zugunsten des Klägers geändert. Allerdings müssten Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten bzw. Unterstützer linksorientierter oder separatistischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden ernsthaften Verdacht geraten seien, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen und die dem türkischen Staat auch zurechenbar seien. Ein individualisierter, d.h. konkret auf die Person des Klägers bezogener Verdacht der PKK-Unterstützung von Seiten der türkischen Sicherheitskräfte liege jedoch nicht vor. Insoweit sei zunächst maßgeblich, dass der Kläger selbst nie behauptet habe, die PKK unterstützt zu haben. Allein deshalb, weil ihm vor seiner Ausreise im Jahr 1995 wegen der Ablehnung des ihm angetragenen Dorfschützeramtes - wie vielen anderen auch - pauschal unterstellt worden sei, die PKK zu unterstützen, müsse der Kläger heute nicht mehr befürchten, im Falle einer Rückkehr als „Separatist“ behandelt und deshalb Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Von Bedeutung sei hierbei, dass Personen, die das Dorfschützeramt abgelehnt hätten, mangels strafrechtlicher Relevanz nicht mit Fahndungsmaßnahmen zu rechnen hätten. Hinzu komme, dass mittlerweile - aufgrund einer Anordnung des türkischen Innenministeriums aus dem Jahr 2000 - keine Dorfschützer mehr rekrutiert würden und sich die Lage auch insofern geändert habe. Unter diesen veränderten Umständen und unter Berücksichtigung des langen Zeitablaufs seit seiner Ausreise rechtfertige allein die damalige Weigerung des Klägers, das Dorfschützeramt zu übernehmen, nicht die Annahme, für ihn bestehe die konkrete Gefahr, in einem polizeilichen Verhör Misshandlungen ausgesetzt zu werden, weil man ihn verdächtigen würde, die PKK zu unterstützen. Ein gegen den Kläger selbst gerichteter, hinreichend konkreter Verdacht einer Unterstützung der PKK ergebe sich auch nicht aus seinem sonstigen Vorbringen. Soweit er vorgetragen habe, ihm sei anlässlich des Newrozfestes 1994 vorgeworfen worden, mit seinem Minibus PKK-Anhänger zu transportieren, sei dies - ebenso wie die Versuche, die Bevölkerung zu der Übernahme des Dorfschützeramtes zu bewegen - im Zusammenhang mit dem allgemeinen und im Südosten der Türkei weit verbreiteten Druck auf die Bevölkerung bei der Bekämpfung der PKK zu sehen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinerzeit von den Heimatbehörden als Sympathisant bzw. Unterstützer der PKK registriert worden sei, seien diesem Vorbringen nicht zu entnehmen.

Gegen das ihm am 25.5.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.6.2009 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat mit Beschluss vom 16.2.2010 - 3 A 383/09 - entsprochen hat.

Zur Begründung der Berufung führte der Kläger mit am 9.3.2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) seien nicht entfallen. Aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 stehe rechtskräftig fest, dass er in seiner Heimatregion der Unterstützung der PKK verdächtigt worden und deshalb dort registriert gewesen sei. Selbst in Istanbul sei er deshalb festgenommen und mehrstündigen Misshandlungen ausgesetzt worden. Demgemäß sei er auch im Westen der Türkei latent der Gefahr erneuter Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Demzufolge gelte bei der Beurteilung der Frage, ob die Anerkennungsvoraussetzungen entfallen seien, der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Zu Unrecht habe sich das angegriffene Urteil darauf beschränkt, die Voraussetzungen der Anerkennung als deshalb entfallen anzusehen, weil der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, keine politische Verfolgung mehr zu vergegenwärtigen habe. Im Hinblick darauf, dass gegenüber dem Kläger ein individualisierter, d.h. konkret auf seine Person bezogener Verdacht der PKK-Unterstützung auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte vorgelegen habe, sei auch heute noch davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher sei. Auch heute noch müssten Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten bzw. Unterstützer linksorientierter oder separatistischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden ernsthaften Verdacht geraten seien, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen und die dem türkischen Staat auch zurechenbar seien. Von einer nachhaltigen und verfestigten Verbesserung der Menschenrechtslage könne in der Türkei nach wie vor nicht ausgegangen werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.5.2009 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 742/08 - den Bescheid der Beklagten vom 17.7.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, nach dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2009 sei davon auszugehen, dass der als vorverfolgt geltende Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung sei. Nach diesem Lagebericht sei dem Auswärtigen Amt in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei ebenfalls kein Fall benannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Dies entspreche auch den Auskünften zahlreicher anderer europäischer Staaten.

Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 dürften keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Angaben türkischer Behörden zufolge seien Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht worden.

Nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung sei zudem zu berücksichtigten, dass bei Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf das richterrechtlich entwickelte Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe abzustellen sei, vielmehr darauf, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QualRL widerlegt sei. Diese könne im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Umgekehrt gelte allerdings weiter, dass in jedem Fall, in dem hinreichende Sicherheit festzustellen sei, immer auch das Kriterium der Widerlegung der durch Art. 4 Abs. 4 QualRL ausgelösten Vermutung erfüllt sei, weil in diesem Fall entsprechend stichhaltige Gründe vorlägen.

Gemäß Beschlüssen vom 16.7.2010 und 10.9.2010 hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung von Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, von amnesty international sowie des Sachverständigen Kamil Taylan. Wegen der Einzelheiten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die vorgenannten Beschlüsse sowie die entsprechenden Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 13.10.2010, von amnesty international vom 31.1.2011 und von Kamil Taylan vom 11.2.2011 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 6 K 136/98.A des Verwaltungsgerichts des Saarlandes sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Ausländerbehörde Bezug genommen, welcher ebenso wie die bei Gericht geführte Dokumentation Türkei, insbesondere hinsichtlich der in der Anlage zur Sitzungsniederschrift bezeichneten Teile, Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17.7.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. Das Bundesamt hat auch zu Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die – hier streitgegenständliche - Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. bis zum 1.1.2005 des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere ist die beabsichtigte Entscheidung über den Widerruf entsprechend § 73 Abs. 4 AsylVfG dem Kläger zuvor schriftlich mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Auch begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt

vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier - die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird

vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2007 - 10 C 24.07 -, Buchholz 204.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N..

Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG ist in Fällen wie dem vorliegenden keine Ermessensentscheidung erforderlich

Vgl. ausführlich BVerwG, Urteile v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – u.a. sowie Urteile v. 1.6.2011 – 10 C 10.10 – u. – 10 C 25.10 -, juris.

Das Bundesamt hat im Ergebnis auch zu Recht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bejaht, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“) und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2.3.2010 (Rs C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist und zwar auch in Fällen, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss

vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 –, a.a.O..

In seinen jüngsten Urteilen vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 und 10 C 25.10 – hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit nochmals hervorgehoben, dass eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände im vorgenannten Sinne voraussetzt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht

vgl. zu letzterem auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 -1 C 21/04 -, DVBl. 2006, 511.

Es muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen, soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dabei dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweisen muss, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbarer Zeit kann indes nicht verlangt werden.

Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland verhält sich grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit des Weiteren ausgeführt, dass wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit der Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden kann, vielmehr unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Die Richtlinie 2004/83/EG kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird

vgl. zu allem Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 – m.w.N. sowie EuGH, Urt. vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., juris.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist demnach bei der Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf den Maßstab einer hinreichenden Sicherheit vor weiterer Verfolgung abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in den vorgenannten Entscheidungen vielmehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt wurde, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen war, ausdrücklich abgerückt.

Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, juris.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung hiervon erfasst wird, etwa auch Veränderungen in der Person des Begünstigten

vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Die zuständigen Behörden und Gerichte müssen sich mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 a.a.O.;

Dementsprechend ist bei der nach den vorgenannten Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist die Feststellung, dass sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls im Falle des konkret betroffenen Flüchtlings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. Hingegen ist für den Widerruf nicht erforderlich, dass im Herkunftsland des betroffenen Ausländers nunmehr umfassender Schutz vor Verfolgung gewährt wird oder es zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt

vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Ist eine grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände im vorgenannten Sinne zu bejahen, so ist es für den Widerruf des Weiteren unerheblich, ob die Flüchtlingsanerkennung zu Recht erfolgt war

vgl. BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89.

Ausgehend davon ist ein Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Der Kläger wurde mit Bescheid vom 10.3.2000 als Flüchtling anerkannt, weil das Verwaltungsgericht des Saarlandes in dem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - davon ausgegangen war, dass der Kläger in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt worden und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert gewesen sei. Im Jahre 1994 sei er anlässlich des Newrozfestes bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und unter dem Vorwurf, mit seinem Minibus PKK-Mitglieder und Lebensmittel für diese transportiert zu haben, zwei Tage lang verhört worden. Er sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, so dass er einen Bruch der Wangenknochen davon getragen habe. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Diese die Verfolgungsfurcht des Klägers begründenden Umstände können als dauerhaft beseitigt angesehen werden.

Seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers im März 2000 haben sich - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven verändert, so dass im konkreten Fall des Klägers – auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten – keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung mehr besteht.

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt

vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Lagebericht) vom 8.4.2011.

Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetzte verabschiedet

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Abgesehen von der Beendigung des Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt waren, sind insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, den Zugang zu einem Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen

vgl. Fortschrittsbericht der EU vom 6.11.2007; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Bericht vom 6.9.2006, S. 11 f., http://www.cpt.coe.int/documents/tur/2006-30-inf-eng.pdf.

Zu dem Reformpaket gehören auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung von Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 17.7.2008 verwiesen.

Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen

vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Türkei vom 8.4.2011

Im Jahr 2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsieht. Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 6.

Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren

vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 11.1.2007 und vom 3.5.2005.

Die türkische Regierung hat erkannt, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur demokratischen Öffnung, das derzeit allerdings zum Stillstand gekommen ist, der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf kurdisch und Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 11, 12.

Allerdings wird in den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen übereinstimmend nach wie vor von Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen unbeachtet bleiben. Die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht zufriedenstellend

vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.4.2011, S. 7 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Helmut Oberdiek, Türkei, update: Aktuelle Entwicklungen, 9.10.2008; Fortschrittsbericht Türkei der EU vom 6.11.2007; ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010; U.S. Departement of State, 2010, Human Rights Report: Turkey vom 8.4.2011, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrtt/2010/eur/154455.htm.

So berichtet etwa das Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen. Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten würden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Des Weiteren sei es der türkischen Regierung trotz zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verhinderung von Folter (etwa auch der Erhöhung der Strafandrohung) und trotz nachweisbarer Verbesserungen bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen sei. Nach Angaben von Menschenrechtsverbänden sei jedoch die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die in Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- und Misshandlungsfällen stehen, 2010 landesweit zurückgegangen. So seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 (2009: 252, 2088: 269) Personen registriert worden, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden seien. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es würden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt würden. Des Weiteren sei es 2010 zu über 27 sog. extra-legalen Tötungen durch Sicherheitskräfte gekommen

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Die vorstehend dargestellten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes stimmen in den Grundzügen mit denjenigen von amnesty international überein, wenn auch etwa die Anzahl der im Jahr 2010 verzeichneten Folteropfer von der vom Auswärtigen Amt mitgeteilten Zahl abweicht und ai die mitgeteilten Fakten etwas kritischer bewertet. Auch nach Angaben von ai gab es in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt sei. Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen, der notwendige grundlegende Wandel sei damit jedoch nicht vollzogen worden. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien noch immer ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte eingeschränkt.

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Ähnlich wie ai äußert sich auch Helmut Oberdiek für die Schweizerische Flüchtlingshilfe

vgl. Oberdiek, Türkei, Zur aktuellen Situation – Oktober 2007.

Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Zur Entwicklung in den letzten Jahren sowie der Stellung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen kann zunächst auf die entsprechenden ausführlichen Darlegungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch aus den neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Ergodan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“ (zuvor „Kurdischen Öffnung“), die auf eine Lösung der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir, aus der der Kläger stammt, auch in jüngerer Zeit Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen kritisch bewertete (Massen)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im Vergleich zu den 90er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in den 90er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert.

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; sowie zusammenfassendes Protokoll der Gesprächsreise von Rechtsanwalt Tahir Elci im Juni 2010.

Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bieten keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass in der Türkei seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers tiefgreifende Reformen stattgefunden haben und die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten 10 Jahre im Hinblick auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener Hinsicht nicht denen Westeuropas entsprechen. Der Reformprozess dauert inzwischen schon ca. ein Jahrzehnt an und wird prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und hat sich daher den sog. Kopenhagener Kriterien unterworfen. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und den Fortschrittsbericht veröffentlicht. Von daher sind die seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers in der Türkei stattgefundenen Veränderungen durchaus als dauerhaft einzustufen, auch wenn es – wie ai und Helmut Oberdiek anmerken – in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte gegeben hat und der Reformprozess, was die Lösung der Kurdenfrage betrifft, seit Mai 2010 stagniert.

Ob angesichts der dargestellten Verhältnisse in der Türkei allerdings generell die Feststellung getroffen werden kann, dass - wie im angefochtenen Bescheid angenommen - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung oder ähnlichem, oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes oder sonstiger Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen hatten, heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt sind, erscheint fraglich. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Denn für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung ist - wie dargelegt - nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt. Vielmehr ist in Abhängigkeit von den konkreten Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, festzustellen, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und dass deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hat

vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 - sowie Beschluss vom 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. v. 24.2 2011 – 10 C 5/10 -, juris, wonach sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.

Bezogen auf die individuelle Situation des Klägers haben die vorstehend dargestellten Änderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei und die damit einhergehende Entspannung der Verhältnisse auch im Südosten des Landes seit der Flüchtlingsanerkennung aber jedenfalls eine solche Auswirkung, dass nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vorgängen, die 1994 und 1995 zu Misshandlungen führten, weiterhin bzw. erneut polizeiliche oder sonstige behördliche Maßnahmen von asylerheblicher Intensität befürchten muss. Als Flüchtling anerkannt wurde der Kläger – wie ausgeführt - vor allem im Hinblick auf die Annahme, dass er 1994 bei den Heimatbehörden als möglicher Sympathisant der PKK registriert war, weil man ihn verdächtigte, für diese Transporte durchzuführen. Bei der anzustellenden Prognose einer dem Kläger heute noch drohenden Verfolgungsgefahr fällt zunächst ins Gewicht, dass die dem Kläger im Jahr 1994 vorgehaltenen vermeintlichen Unterstützungshandlungen für die PKK in Gestalt gelegentlicher Transportfahrten nur untergeordneter Natur waren und es – da der Vorwurf eigenen Angaben des Klägers zufolge unbegründet war - dafür auch keinerlei Beweise gab, weshalb man ihn jeweils nach kurzer Zeit auch wieder freigelassen habe. Zudem liegen die Vorwürfe mittlerweile mehr als sechzehn Jahre zurück. Darüber hinaus wäre die dem Kläger ehemals vorgeworfene Unterstützung der PKK durch gelegentliche Transportfahrten heute nach türkischem Strafrecht ohnehin nicht mehr zu verfolgen. In Betracht gekommen wäre zur vermeintlichen Tatzeit insoweit eine Bestrafung gemäß Art. 169 Türkisches StGB (TStGB) von 1926 wegen Unterstützung einer bewaffneten Organisation und zwar mit einer Strafe von 4,5 bis 7,5 Jahren (Art. 159 i.V.m. Art. 4, 5 Antiterrorgesetz). Diese Tat wäre aber unter die Amnestie vom 21.12.2000 durch das Gesetz Nr. 4616 (betreffend bedingte Freilassungen und die Aussetzung von Strafverfahren sowie von der Vollstreckung von Strafen im Falle von bis zum 23. April 1999 begangener Straftaten) gefallen. Diese gewährte einen Straferlass von zehn Jahren, was bei Straftaten mit einer Strafe unter zehn Jahren eine Straffreistellung bedeutete

vgl. Gutachten Dr. Silvia Tellenbach an das VG Osnabrück vom 26.11.2006 sowie an das VG Freiburg vom 4.6.2007; Serafettin Kaya an VG Berlin vom 9.8.2006 und an OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Auch nach Angaben des Sachverständigen Kamil Taylan in seinem Gutachten für den Senat vom 11.2.2011 ist die vom Kläger in diesem Verfahren berichtete tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergung von PKK-Aktivisten o.ä. in den 90er Jahren heute als Delikt im Sinne des TStGB verjährt. Diese Verjährung betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die Ablehnung eines Dorfschützeramtes bzw. einer Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitskräften, „auch durch Flucht ins Ausland“.

Damit wären die dem Kläger im Jahr 1994 unterstellten gelegentlichen Transporte von PKK-Anhängern bzw. Lebensmitteln für die PKK mittlerweile jedenfalls straffrei.

Auch sind dem Gutachter Kamil Taylan keine aktuellen Verfahren gegen in die Türkei zurückgekehrte Personen bekannt, die, wie der Kläger, bis Ende der 90er Jahre in den Verdacht geraten sind, die PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergungen oder ähnlichem unterstützt zu haben und deswegen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren

vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das OVG des Saarlandes vom 11.2.2011.

Damit vergleichbar hält auch der Gutachter Serafettin Kaya die Gefahr für eine im Jahr 1995 wegen der Unterstützung der TDKP in Verdacht geratene Person, die, ebenso wie vorliegend der Kläger, nicht verurteilt worden war, im Falle einer Rückkehr nicht für beachtlich wahrscheinlich

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Soweit der Kläger darüber hinaus als mitursächlich für seine Ausreise angegeben hat, dass er sich dem auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützer-amtes habe entziehen wollen, was allerdings ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 für die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht von Bedeutung war, droht ihm in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr ebenfalls keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ablehnung der Übernahme des Dorfschützeramtes keine strafrechtliche Relevanz besitzt

vgl. ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Darüber hinaus haben sich die Verhältnisse in der Türkei seit der Ausreise des Klägers auch betreffend die Dorfschützerproblematik grundlegend geändert, so dass nicht angenommen werden kann, dass der Kläger heute insoweit nochmals Beeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das System der Dorfschützer in der zuvor praktizierten Form nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursämter der Provinzen vom 24.4.2000 wurde angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten vom 28.1. 2007 an das VG Aachen; ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem ersichtlich auch eingehalten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerseits geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich - wie oben bereits ausgeführt - inzwischen wesentlich geändert. Das Mitte der 80er Jahre geschaffene und in den 90er Jahren weiter ausgebaute System diente u. a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt) und später - entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung als „verlängerten Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten. Seit der Entspannung der Situation und dem Rückgang der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei und der von der türkischen Regierung verfolgten Politik der sog. „demokratischen Öffnung“ wurden neue Dorfschützer nicht mehr benötigt, so dass die türkischen Sicherheitskräfte auch keinen Druck mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben brauchten, auch wenn das Dorfschützersystem nicht insgesamt abgeschafft wurde. Letzteres liegt u.a. daran, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den kurdischen Provinzen mit sich brächte, weil damit viele - zudem bisher staatsloyale - Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb bis hin zu ihrer Rentenberechtigung verlören.

vgl. ai, Gutachten vom 18.7.2003 an VG Frankfurt; vgl. zu alledem auch ausführlich OVG Koblenz, Urteil vom 17.12.2010 - 10 A 10911/10 -, juris.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu befürchten hat.

Nichts anderes ist im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers anzunehmen, welche sich nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf beschränkten, wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Dabei handelt es sich eindeutig um eine Betätigung niedrigen Profils. Die bloße Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen stellt kein Verhalten dar, das sich von demjenigen der meisten in Deutschland lebenden Kurden aus der Türkei unterscheidet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes begründet jedoch nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, d. h. eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr

vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteile vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 -, juris und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris; sowie Beschluss vom 21.12.2009 - 3 A 275/09 -.

Neuere Erkenntnisse, die Anlass zu einer anderen Beurteilung böten, liegen nicht vor. Vielmehr führt etwa das Auswärtige Amt in seinem jüngsten Lagebericht vom 8.4.2011 ebenso wie bereits in verschiedenen vorangegangenen Lageberichten bzw. Stellungnahmen aus, dass (nur) türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit Ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würden, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten, was vorliegend jedoch nicht erkennbar ist.

Ist somit bereits nach den vorangegangenen Ausführungen nicht zu erwarten, dass die türkischen Sicherheitskräfte heute noch ein Interesse an der Person des Klägers haben, so findet dies eine weitere Bestätigung in den vom Senat eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von Kamil Taylan.

So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13.10.2010 zu den im Beweisbeschluss des Senats vom 16.7.2010 gestellten Fragen mitgeteilt, dass Nachforschungen eines beauftragten Vertrauensanwalts im Falle des Klägers ergeben hätten, dass an den maßgeblichen Orten, nämlich am Ort der personenstandsamtlichen Registrierung und am letzten Wohnort des Klägers keine behördlichen Vorgänge gegen ihn vorhanden seien. Auch bei der Sicherheitsdirektion Istanbul und der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sei der Kläger nicht aktenkundig. Es habe auch kein Fahndungsersuchen nach ihm festgestellt werden können. Im Hinblick darauf seien keine Hinweise dafür vorhanden, dass der Kläger bei Rückkehr in die Türkei in den Fokus der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte bzw. mit staatlichen Repressalien wegen der behaupteten früheren Aktivitäten zu rechnen hätte.

Auch der Sachverständige Taylan bestätigt in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, über türkische Anwälte in Erfahrung gebracht zu haben, dass über den Kläger in zentralen Fahndungsregistern keine Einträge vorhanden seien, d. h., dass der Kläger nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei, auch kein Haftbefehl gegen ihn existiere und derzeit auch kein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei wegen seiner Aktivitäten in den 90er Jahren politisch verfolgt werde. Es sei auch derzeit kein einziges Verfahren in der Türkei bekannt, worin ein Rückkehrer wegen Verfehlungen, wie sie dem Kläger vorgeworfen worden seien, angeklagt sei oder sich in U-Haft befinde bzw. deswegen sonstigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Ein Verfahren gegen einen zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1994 in den Verdacht geraten war, die PKK durch Transportfahrten unterstützt zu haben, hält der Gutachter wegen der Verjährung dieser Taten für ausgeschlossen, auch wenn die betroffene Person damals kurzfristig festgenommen und misshandelt worden sowie in ihrer Heimatregion als Verdächtiger registriert war.

Dafür, dass – wie das Auswärtige Amt und Kamil Taylan festgestellt haben – der Kläger in der Türkei tatsächlich nicht mehr als Verdächtiger bzw. Sympathisant der PKK registriert ist, spricht im Übrigen auch, dass aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 keine Suchvermerke mehr ins Personenstandregister eingetragen werden und Angaben türkischer Behörden zufolge Mitte Februar 2009 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregister gelöscht wurden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Der darüber hinausgehenden Anmerkung des Sachverständigen Taylan in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, wonach mit Blick darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Unterstützer und Sympathisant der PKK aktiv gewesen sei, die Gefahr einer politischen Verfolgung „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden könne, lässt sich die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger weiterhin drohenden politischen Verfolgung ebenfalls nicht entnehmen. Die Gefahr einer solchen Verfolgung erachtet auch Kamil Taylan wörtlich als „sehr gering“ bzw. „verschwindend klein“; er vermag sie angesichts der seiner Meinung nach „chaotischen Verhältnisse in der türkischen Justiz“ nur nicht ganz auszuschließen. Eine so hohe Prognosesicherheit, dass eine Verfolgungsgefahr ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden kann, was letztlich einen kaum zu gewährleistenden Schutzstandard bedeutete, wird jedoch für die Annahme eines Wegfalls der Anerkennungsvoraussetzungen nicht gefordert. Vielmehr hätte bei dem vom Gutachter umschriebenen Wahrscheinlichkeitsgrad nach der früheren Rechtsprechung sogar eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht werden können. Nach dieser Rechtsprechung konnte vom Fehlen hinreichender Sicherheit vor der Wiederholung von Verfolgungshandlungen nicht schon bei jeder noch so geringen Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts ausgegangen werden. Vielmehr war über eine „theoretische“ Möglichkeit hinaus erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus „reale“ Möglichkeit erscheinen ließen

vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1992 – 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 f.

Auch amnesty international hält zumindest eine gerichtliche Verfolgung aufgrund der dem Kläger früher vorgeworfenen Aktivitäten für nicht wahrscheinlich. Auch ansonsten lässt sich der Stellungnahme vom 31.1.2011 an den Senat, welche sich auf allgemeine Ausführungen zur Gefährdungslage von Rückkehrern beschränkt, ohne jedoch die individuelle Situation des Klägers näher zu beleuchten, eine dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt zunächst, soweit ai ganz allgemein die Gefahr sieht, dass einreisende ehemalige Asylsuchende bereits während der Dauer der im Regelfall erfolgenden Erkundigungen bei den Heimatbehörden misshandelt werden. Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer solchen allen Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, drohenden Gefahr steht entgegen, dass in den letzten Jahren konkrete derartige Fälle nicht verzeichnet wurden.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist diesem in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in den ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei; dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei kein Fall genannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder oder führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Nach Auskunft der Vertretungen von EU-Mitgliedstaaten in Ankara (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie von Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2011 sei auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt gewesen seien

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Konkrete Fälle, die den vorgenannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes entgegen stehen, hat auch ai nicht benannt. Von daher kann jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger schon allein während einer routinemäßigen Nachfrage bei den Behörden seines Heimatortes Misshandlungen drohen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach zurückkehrende Asylbewerber jedenfalls nicht routinemäßig - d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert bzw. asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt werden

vgl. etwa Urteil vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris.

Soweit ai darüber hinaus die Gefahr eines Verhörs - und in diesem Zusammenhang auch von Folter - sieht, sobald gegen den Rückkehrer ein Eintrag oder ein polizeiinterner Suchbefehl vorliegt, ist eine diesbezüglich beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers ebenfalls nicht anzunehmen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - nach entsprechenden überzeugenden Angaben des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan in der Türkei derzeit nicht aktenkundig ist und keine behördlichen Vorgänge über ihn existieren. Die von ai lediglich in theoretischer Weise in den Blick genommen Risikofaktoren eines noch bestehenden Suchinteresses sind nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan im Falle des Klägers vielmehr zu verneinen.

Nach alledem ist ein aktuelles Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger (und damit einhergehend die Gefahr weiterer Ermittlungen und Misshandlungen) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, vielmehr nahezu auszuschließen.

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass die türkischen Sicherheitskräfte gegen eine in der jüngeren Zeit wieder verstärkt militärisch operierende PKK nochmals nachhaltig vorgehen und dies zu einer erneuten Verschlechterung der Verhältnisse in seiner Heimatregion führen könnte, bietet dies keinen Anlass zu der Annahme, dass eine langjährig zurückliegende Unterstützung der PKK relativ geringfügiger Art, wie sie bei dem Kläger vermutet wurde, im Falle einer Rückkehr Anlass für weitergehende Behelligungen sein könnte, nachdem in diesem Zusammenhang keinerlei behördliche Vorgänge und Registrierungen hinsichtlich des Klägers mehr vorliegen.

Schließlich droht dem Kläger auch im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr keine Gefährdung. Eine Gruppenverfolgung von Kurden lag weder im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung des Klägers vor noch kann hiervon aktuell ausgegangen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Urteile vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - und vom 29.3.2000 - 9 R 10/98 -, juris.

und auch aller weiteren Obergerichte, welche im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt wurde. Auf diesen wird insoweit Bezug genommen. Weiterer Darlegungen bedarf dies nicht, da sich der Kläger im anhängigen Verfahren auch nicht auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Kurden berufen hat.

Haben sich nach alledem im Falle des Klägers die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse seither erheblich verändert, steht der Annahme des nachträglichen Wegfalls der die Flüchtlingsanerkennung begründenden Umstände schließlich auch nicht die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anwendbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG entgegen, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., juris.

Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten.

Zwar hat der Senat keinen Anlass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers in Zweifel zu ziehen, wonach er im Rahmen einer zweitägigen Festnahme im Jahr 1994 mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde, dabei einen Bruch der Wangenknochen erlitt und auch anlässlich eines mehrstündigen Verhörs in Istanbul im Jahre 1995 erneut misshandelt wurde, wovon auch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - ausgegangen ist. Von daher liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG formulierten Vermutung vor. Ausgehend von den vorstehend dargestellten Veränderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den oben dargestellten, dem Kläger zu Gute kommenden Amnestie- bzw Verjährungsregelungen sowie der Tatsache, dass derzeit in der Türkei bezüglich des Klägers keinerlei Fahndungsersuchen, Registereintragungen oder sonstige behördliche Vorgänge wegen des Verdachts einer Unterstützung der PKK mehr existieren, sprechen jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die in der Türkei trotz der durchgeführten Reformen im Einzelfall nicht auszuschließende Gefahr der Folter besteht vor allem bei Ermittlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen bestimmte Personen wegen der Verdächtigung, politische Straftaten begangen zu haben. Für solche Ermittlungen gegen den Kläger besteht nach dem Vorgesagten aber kein Anlass mehr.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch ohne Weiteres anzunehmen, dass die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur ist, vielmehr die Faktoren, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Angesichts der dem Kläger zugute kommenden Amnestie- bzw. Verjährungsregelungen sowie des im Zuge der Beweiserhebung des Senats zu Tage getretenen gänzlich fehlenden aktuellen Interesses der türkischen Behörden an der Person des Klägers ist nicht erkennbar, dass diesem auf absehbare Zeit erneute Verfolgung drohen könnte. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren geeignete Schritte unternommen hat, um die der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen (insbesondere der Amnestie- und Verjährungsregelungen sowie des Beseitigens von Registereintragungen) ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei nunmehr vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen nachhaltig geschützt ist.

Sind danach aufgrund einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse in der Türkei diejenigen Umstände weggefallen, auf denen die begründete Furcht vor Verfolgung und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruhten, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils einem Widerruf nicht entgegensteht. Denn bei einer solchen wesentlichen Veränderung der Sachlage endet auch die Rechtskraft des Urteils.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, hat dieser nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Hat die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger wegen einer erheblichen und dauerhaften Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände keine begründete Furcht vor Verfolgung mehr haben muss, war vom Widerruf auch nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen zwingender auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe abzusehen. Solche zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe, um eine Rückkehr in die Türkei abzulehnen, liegen im Falle des Klägers nicht vor. Mit § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird insbesondere der psychischen Sondersituation Rechnung getragen, in dem sich ein Asylberechtigter befindet, welcher ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse im Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgungsstaat zurückzukehren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist demnach, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei auch dann führen, wenn - wie hier - eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 in DVBl. 2006, S. 511.

Eine derartige Sachlage ist im Falle des Klägers nicht gegeben. Zwar ist der Kläger vor seiner Ausreise körperlich misshandelt worden. Jedoch hat er weder vorgetragen noch ist erkennbar, dass er dabei derart schwere physische oder psychische Schäden davon getragen hat, dass diese auch derzeit noch in einem erheblichen Umfang nachwirken, so dass ihm eine Rückkehr nicht angesonnen werden könnte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zwar angegeben, die erlittenen Misshandlungen nicht vergessen zu können. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei nicht aus, zumal der Kläger sich offenkundig vorrangig um die Zukunft seiner Kinder und auch die wirtschaftliche Lage der Familie sorgte.

Hat die Beklagte demnach die im Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen, ist auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen des Klägers ebenfalls nur mit Blick auf die geäußerte Befürchtung erneuter staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit den Vorgängen vor der Ausreise in Betracht. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, kann insoweit jedoch nicht von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden.

Schließlich ist auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 17.7.2008 erhobene Anfechtungsklage auch gegen diese Feststellung gerichtet ist. Ungeachtet der Frage des richtigen Rechtsbehelfs kann auch hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Ergänzend wird folgendes hinzugefügt: Auch bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist stets der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

vgl. BVerwG, Urteile vom 24.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -.

Ausgehend vom Sachvortrag des Klägers kommt auch hier lediglich eine ihm im Rückkehrfalle drohende Gefahr erneuter Folter bzw. Misshandlung durch türkische Sicherheitskräfte in Betracht. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende derartige Gefahr ist jedoch nach den vorangegangenen Darlegungen, auf die auch hier Bezug genommen werden kann, nicht anzunehmen. Die Vermutungsregelung des auch im Rahmen der Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG wirkt sich auch hier nicht zugunsten es Klägers aus, da - wie ausgeführt - stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dementsprechend liegt weder ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG noch ein solches im Sinne des nachrangig zu prüfenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Für sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 AufenthG, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG oder § 60 Abs. 4 AufenthG sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17.7.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. Das Bundesamt hat auch zu Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die – hier streitgegenständliche - Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. bis zum 1.1.2005 des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere ist die beabsichtigte Entscheidung über den Widerruf entsprechend § 73 Abs. 4 AsylVfG dem Kläger zuvor schriftlich mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Auch begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt

vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier - die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird

vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2007 - 10 C 24.07 -, Buchholz 204.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N..

Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG ist in Fällen wie dem vorliegenden keine Ermessensentscheidung erforderlich

Vgl. ausführlich BVerwG, Urteile v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – u.a. sowie Urteile v. 1.6.2011 – 10 C 10.10 – u. – 10 C 25.10 -, juris.

Das Bundesamt hat im Ergebnis auch zu Recht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bejaht, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“) und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2.3.2010 (Rs C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist und zwar auch in Fällen, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss

vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 –, a.a.O..

In seinen jüngsten Urteilen vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 und 10 C 25.10 – hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit nochmals hervorgehoben, dass eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände im vorgenannten Sinne voraussetzt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht

vgl. zu letzterem auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 -1 C 21/04 -, DVBl. 2006, 511.

Es muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen, soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dabei dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweisen muss, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbarer Zeit kann indes nicht verlangt werden.

Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland verhält sich grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit des Weiteren ausgeführt, dass wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit der Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden kann, vielmehr unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Die Richtlinie 2004/83/EG kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird

vgl. zu allem Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 – m.w.N. sowie EuGH, Urt. vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., juris.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist demnach bei der Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf den Maßstab einer hinreichenden Sicherheit vor weiterer Verfolgung abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in den vorgenannten Entscheidungen vielmehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt wurde, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen war, ausdrücklich abgerückt.

Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, juris.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung hiervon erfasst wird, etwa auch Veränderungen in der Person des Begünstigten

vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Die zuständigen Behörden und Gerichte müssen sich mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 a.a.O.;

Dementsprechend ist bei der nach den vorgenannten Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist die Feststellung, dass sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls im Falle des konkret betroffenen Flüchtlings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. Hingegen ist für den Widerruf nicht erforderlich, dass im Herkunftsland des betroffenen Ausländers nunmehr umfassender Schutz vor Verfolgung gewährt wird oder es zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt

vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Ist eine grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände im vorgenannten Sinne zu bejahen, so ist es für den Widerruf des Weiteren unerheblich, ob die Flüchtlingsanerkennung zu Recht erfolgt war

vgl. BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89.

Ausgehend davon ist ein Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Der Kläger wurde mit Bescheid vom 10.3.2000 als Flüchtling anerkannt, weil das Verwaltungsgericht des Saarlandes in dem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - davon ausgegangen war, dass der Kläger in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt worden und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert gewesen sei. Im Jahre 1994 sei er anlässlich des Newrozfestes bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und unter dem Vorwurf, mit seinem Minibus PKK-Mitglieder und Lebensmittel für diese transportiert zu haben, zwei Tage lang verhört worden. Er sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, so dass er einen Bruch der Wangenknochen davon getragen habe. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Diese die Verfolgungsfurcht des Klägers begründenden Umstände können als dauerhaft beseitigt angesehen werden.

Seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers im März 2000 haben sich - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven verändert, so dass im konkreten Fall des Klägers – auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten – keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung mehr besteht.

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt

vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Lagebericht) vom 8.4.2011.

Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetzte verabschiedet

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Abgesehen von der Beendigung des Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt waren, sind insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, den Zugang zu einem Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen

vgl. Fortschrittsbericht der EU vom 6.11.2007; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Bericht vom 6.9.2006, S. 11 f., http://www.cpt.coe.int/documents/tur/2006-30-inf-eng.pdf.

Zu dem Reformpaket gehören auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung von Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 17.7.2008 verwiesen.

Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen

vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Türkei vom 8.4.2011

Im Jahr 2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsieht. Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 6.

Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren

vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 11.1.2007 und vom 3.5.2005.

Die türkische Regierung hat erkannt, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur demokratischen Öffnung, das derzeit allerdings zum Stillstand gekommen ist, der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf kurdisch und Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 11, 12.

Allerdings wird in den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen übereinstimmend nach wie vor von Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen unbeachtet bleiben. Die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht zufriedenstellend

vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.4.2011, S. 7 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Helmut Oberdiek, Türkei, update: Aktuelle Entwicklungen, 9.10.2008; Fortschrittsbericht Türkei der EU vom 6.11.2007; ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010; U.S. Departement of State, 2010, Human Rights Report: Turkey vom 8.4.2011, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrtt/2010/eur/154455.htm.

So berichtet etwa das Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen. Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten würden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Des Weiteren sei es der türkischen Regierung trotz zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verhinderung von Folter (etwa auch der Erhöhung der Strafandrohung) und trotz nachweisbarer Verbesserungen bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen sei. Nach Angaben von Menschenrechtsverbänden sei jedoch die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die in Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- und Misshandlungsfällen stehen, 2010 landesweit zurückgegangen. So seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 (2009: 252, 2088: 269) Personen registriert worden, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden seien. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es würden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt würden. Des Weiteren sei es 2010 zu über 27 sog. extra-legalen Tötungen durch Sicherheitskräfte gekommen

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Die vorstehend dargestellten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes stimmen in den Grundzügen mit denjenigen von amnesty international überein, wenn auch etwa die Anzahl der im Jahr 2010 verzeichneten Folteropfer von der vom Auswärtigen Amt mitgeteilten Zahl abweicht und ai die mitgeteilten Fakten etwas kritischer bewertet. Auch nach Angaben von ai gab es in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt sei. Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen, der notwendige grundlegende Wandel sei damit jedoch nicht vollzogen worden. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien noch immer ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte eingeschränkt.

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Ähnlich wie ai äußert sich auch Helmut Oberdiek für die Schweizerische Flüchtlingshilfe

vgl. Oberdiek, Türkei, Zur aktuellen Situation – Oktober 2007.

Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Zur Entwicklung in den letzten Jahren sowie der Stellung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen kann zunächst auf die entsprechenden ausführlichen Darlegungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch aus den neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Ergodan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“ (zuvor „Kurdischen Öffnung“), die auf eine Lösung der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir, aus der der Kläger stammt, auch in jüngerer Zeit Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen kritisch bewertete (Massen)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im Vergleich zu den 90er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in den 90er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert.

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; sowie zusammenfassendes Protokoll der Gesprächsreise von Rechtsanwalt Tahir Elci im Juni 2010.

Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bieten keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass in der Türkei seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers tiefgreifende Reformen stattgefunden haben und die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten 10 Jahre im Hinblick auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener Hinsicht nicht denen Westeuropas entsprechen. Der Reformprozess dauert inzwischen schon ca. ein Jahrzehnt an und wird prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und hat sich daher den sog. Kopenhagener Kriterien unterworfen. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und den Fortschrittsbericht veröffentlicht. Von daher sind die seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers in der Türkei stattgefundenen Veränderungen durchaus als dauerhaft einzustufen, auch wenn es – wie ai und Helmut Oberdiek anmerken – in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte gegeben hat und der Reformprozess, was die Lösung der Kurdenfrage betrifft, seit Mai 2010 stagniert.

Ob angesichts der dargestellten Verhältnisse in der Türkei allerdings generell die Feststellung getroffen werden kann, dass - wie im angefochtenen Bescheid angenommen - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung oder ähnlichem, oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes oder sonstiger Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen hatten, heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt sind, erscheint fraglich. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Denn für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung ist - wie dargelegt - nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt. Vielmehr ist in Abhängigkeit von den konkreten Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, festzustellen, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und dass deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hat

vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 - sowie Beschluss vom 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. v. 24.2 2011 – 10 C 5/10 -, juris, wonach sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.

Bezogen auf die individuelle Situation des Klägers haben die vorstehend dargestellten Änderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei und die damit einhergehende Entspannung der Verhältnisse auch im Südosten des Landes seit der Flüchtlingsanerkennung aber jedenfalls eine solche Auswirkung, dass nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vorgängen, die 1994 und 1995 zu Misshandlungen führten, weiterhin bzw. erneut polizeiliche oder sonstige behördliche Maßnahmen von asylerheblicher Intensität befürchten muss. Als Flüchtling anerkannt wurde der Kläger – wie ausgeführt - vor allem im Hinblick auf die Annahme, dass er 1994 bei den Heimatbehörden als möglicher Sympathisant der PKK registriert war, weil man ihn verdächtigte, für diese Transporte durchzuführen. Bei der anzustellenden Prognose einer dem Kläger heute noch drohenden Verfolgungsgefahr fällt zunächst ins Gewicht, dass die dem Kläger im Jahr 1994 vorgehaltenen vermeintlichen Unterstützungshandlungen für die PKK in Gestalt gelegentlicher Transportfahrten nur untergeordneter Natur waren und es – da der Vorwurf eigenen Angaben des Klägers zufolge unbegründet war - dafür auch keinerlei Beweise gab, weshalb man ihn jeweils nach kurzer Zeit auch wieder freigelassen habe. Zudem liegen die Vorwürfe mittlerweile mehr als sechzehn Jahre zurück. Darüber hinaus wäre die dem Kläger ehemals vorgeworfene Unterstützung der PKK durch gelegentliche Transportfahrten heute nach türkischem Strafrecht ohnehin nicht mehr zu verfolgen. In Betracht gekommen wäre zur vermeintlichen Tatzeit insoweit eine Bestrafung gemäß Art. 169 Türkisches StGB (TStGB) von 1926 wegen Unterstützung einer bewaffneten Organisation und zwar mit einer Strafe von 4,5 bis 7,5 Jahren (Art. 159 i.V.m. Art. 4, 5 Antiterrorgesetz). Diese Tat wäre aber unter die Amnestie vom 21.12.2000 durch das Gesetz Nr. 4616 (betreffend bedingte Freilassungen und die Aussetzung von Strafverfahren sowie von der Vollstreckung von Strafen im Falle von bis zum 23. April 1999 begangener Straftaten) gefallen. Diese gewährte einen Straferlass von zehn Jahren, was bei Straftaten mit einer Strafe unter zehn Jahren eine Straffreistellung bedeutete

vgl. Gutachten Dr. Silvia Tellenbach an das VG Osnabrück vom 26.11.2006 sowie an das VG Freiburg vom 4.6.2007; Serafettin Kaya an VG Berlin vom 9.8.2006 und an OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Auch nach Angaben des Sachverständigen Kamil Taylan in seinem Gutachten für den Senat vom 11.2.2011 ist die vom Kläger in diesem Verfahren berichtete tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergung von PKK-Aktivisten o.ä. in den 90er Jahren heute als Delikt im Sinne des TStGB verjährt. Diese Verjährung betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die Ablehnung eines Dorfschützeramtes bzw. einer Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitskräften, „auch durch Flucht ins Ausland“.

Damit wären die dem Kläger im Jahr 1994 unterstellten gelegentlichen Transporte von PKK-Anhängern bzw. Lebensmitteln für die PKK mittlerweile jedenfalls straffrei.

Auch sind dem Gutachter Kamil Taylan keine aktuellen Verfahren gegen in die Türkei zurückgekehrte Personen bekannt, die, wie der Kläger, bis Ende der 90er Jahre in den Verdacht geraten sind, die PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergungen oder ähnlichem unterstützt zu haben und deswegen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren

vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das OVG des Saarlandes vom 11.2.2011.

Damit vergleichbar hält auch der Gutachter Serafettin Kaya die Gefahr für eine im Jahr 1995 wegen der Unterstützung der TDKP in Verdacht geratene Person, die, ebenso wie vorliegend der Kläger, nicht verurteilt worden war, im Falle einer Rückkehr nicht für beachtlich wahrscheinlich

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Soweit der Kläger darüber hinaus als mitursächlich für seine Ausreise angegeben hat, dass er sich dem auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützer-amtes habe entziehen wollen, was allerdings ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 für die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht von Bedeutung war, droht ihm in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr ebenfalls keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ablehnung der Übernahme des Dorfschützeramtes keine strafrechtliche Relevanz besitzt

vgl. ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Darüber hinaus haben sich die Verhältnisse in der Türkei seit der Ausreise des Klägers auch betreffend die Dorfschützerproblematik grundlegend geändert, so dass nicht angenommen werden kann, dass der Kläger heute insoweit nochmals Beeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das System der Dorfschützer in der zuvor praktizierten Form nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursämter der Provinzen vom 24.4.2000 wurde angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten vom 28.1. 2007 an das VG Aachen; ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem ersichtlich auch eingehalten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerseits geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich - wie oben bereits ausgeführt - inzwischen wesentlich geändert. Das Mitte der 80er Jahre geschaffene und in den 90er Jahren weiter ausgebaute System diente u. a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt) und später - entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung als „verlängerten Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten. Seit der Entspannung der Situation und dem Rückgang der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei und der von der türkischen Regierung verfolgten Politik der sog. „demokratischen Öffnung“ wurden neue Dorfschützer nicht mehr benötigt, so dass die türkischen Sicherheitskräfte auch keinen Druck mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben brauchten, auch wenn das Dorfschützersystem nicht insgesamt abgeschafft wurde. Letzteres liegt u.a. daran, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den kurdischen Provinzen mit sich brächte, weil damit viele - zudem bisher staatsloyale - Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb bis hin zu ihrer Rentenberechtigung verlören.

vgl. ai, Gutachten vom 18.7.2003 an VG Frankfurt; vgl. zu alledem auch ausführlich OVG Koblenz, Urteil vom 17.12.2010 - 10 A 10911/10 -, juris.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu befürchten hat.

Nichts anderes ist im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers anzunehmen, welche sich nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf beschränkten, wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Dabei handelt es sich eindeutig um eine Betätigung niedrigen Profils. Die bloße Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen stellt kein Verhalten dar, das sich von demjenigen der meisten in Deutschland lebenden Kurden aus der Türkei unterscheidet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes begründet jedoch nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, d. h. eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr

vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteile vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 -, juris und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris; sowie Beschluss vom 21.12.2009 - 3 A 275/09 -.

Neuere Erkenntnisse, die Anlass zu einer anderen Beurteilung böten, liegen nicht vor. Vielmehr führt etwa das Auswärtige Amt in seinem jüngsten Lagebericht vom 8.4.2011 ebenso wie bereits in verschiedenen vorangegangenen Lageberichten bzw. Stellungnahmen aus, dass (nur) türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit Ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würden, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten, was vorliegend jedoch nicht erkennbar ist.

Ist somit bereits nach den vorangegangenen Ausführungen nicht zu erwarten, dass die türkischen Sicherheitskräfte heute noch ein Interesse an der Person des Klägers haben, so findet dies eine weitere Bestätigung in den vom Senat eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von Kamil Taylan.

So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13.10.2010 zu den im Beweisbeschluss des Senats vom 16.7.2010 gestellten Fragen mitgeteilt, dass Nachforschungen eines beauftragten Vertrauensanwalts im Falle des Klägers ergeben hätten, dass an den maßgeblichen Orten, nämlich am Ort der personenstandsamtlichen Registrierung und am letzten Wohnort des Klägers keine behördlichen Vorgänge gegen ihn vorhanden seien. Auch bei der Sicherheitsdirektion Istanbul und der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sei der Kläger nicht aktenkundig. Es habe auch kein Fahndungsersuchen nach ihm festgestellt werden können. Im Hinblick darauf seien keine Hinweise dafür vorhanden, dass der Kläger bei Rückkehr in die Türkei in den Fokus der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte bzw. mit staatlichen Repressalien wegen der behaupteten früheren Aktivitäten zu rechnen hätte.

Auch der Sachverständige Taylan bestätigt in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, über türkische Anwälte in Erfahrung gebracht zu haben, dass über den Kläger in zentralen Fahndungsregistern keine Einträge vorhanden seien, d. h., dass der Kläger nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei, auch kein Haftbefehl gegen ihn existiere und derzeit auch kein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei wegen seiner Aktivitäten in den 90er Jahren politisch verfolgt werde. Es sei auch derzeit kein einziges Verfahren in der Türkei bekannt, worin ein Rückkehrer wegen Verfehlungen, wie sie dem Kläger vorgeworfen worden seien, angeklagt sei oder sich in U-Haft befinde bzw. deswegen sonstigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Ein Verfahren gegen einen zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1994 in den Verdacht geraten war, die PKK durch Transportfahrten unterstützt zu haben, hält der Gutachter wegen der Verjährung dieser Taten für ausgeschlossen, auch wenn die betroffene Person damals kurzfristig festgenommen und misshandelt worden sowie in ihrer Heimatregion als Verdächtiger registriert war.

Dafür, dass – wie das Auswärtige Amt und Kamil Taylan festgestellt haben – der Kläger in der Türkei tatsächlich nicht mehr als Verdächtiger bzw. Sympathisant der PKK registriert ist, spricht im Übrigen auch, dass aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 keine Suchvermerke mehr ins Personenstandregister eingetragen werden und Angaben türkischer Behörden zufolge Mitte Februar 2009 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregister gelöscht wurden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Der darüber hinausgehenden Anmerkung des Sachverständigen Taylan in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, wonach mit Blick darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Unterstützer und Sympathisant der PKK aktiv gewesen sei, die Gefahr einer politischen Verfolgung „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden könne, lässt sich die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger weiterhin drohenden politischen Verfolgung ebenfalls nicht entnehmen. Die Gefahr einer solchen Verfolgung erachtet auch Kamil Taylan wörtlich als „sehr gering“ bzw. „verschwindend klein“; er vermag sie angesichts der seiner Meinung nach „chaotischen Verhältnisse in der türkischen Justiz“ nur nicht ganz auszuschließen. Eine so hohe Prognosesicherheit, dass eine Verfolgungsgefahr ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden kann, was letztlich einen kaum zu gewährleistenden Schutzstandard bedeutete, wird jedoch für die Annahme eines Wegfalls der Anerkennungsvoraussetzungen nicht gefordert. Vielmehr hätte bei dem vom Gutachter umschriebenen Wahrscheinlichkeitsgrad nach der früheren Rechtsprechung sogar eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht werden können. Nach dieser Rechtsprechung konnte vom Fehlen hinreichender Sicherheit vor der Wiederholung von Verfolgungshandlungen nicht schon bei jeder noch so geringen Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts ausgegangen werden. Vielmehr war über eine „theoretische“ Möglichkeit hinaus erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus „reale“ Möglichkeit erscheinen ließen

vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1992 – 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 f.

Auch amnesty international hält zumindest eine gerichtliche Verfolgung aufgrund der dem Kläger früher vorgeworfenen Aktivitäten für nicht wahrscheinlich. Auch ansonsten lässt sich der Stellungnahme vom 31.1.2011 an den Senat, welche sich auf allgemeine Ausführungen zur Gefährdungslage von Rückkehrern beschränkt, ohne jedoch die individuelle Situation des Klägers näher zu beleuchten, eine dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt zunächst, soweit ai ganz allgemein die Gefahr sieht, dass einreisende ehemalige Asylsuchende bereits während der Dauer der im Regelfall erfolgenden Erkundigungen bei den Heimatbehörden misshandelt werden. Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer solchen allen Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, drohenden Gefahr steht entgegen, dass in den letzten Jahren konkrete derartige Fälle nicht verzeichnet wurden.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist diesem in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in den ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei; dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei kein Fall genannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder oder führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Nach Auskunft der Vertretungen von EU-Mitgliedstaaten in Ankara (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie von Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2011 sei auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt gewesen seien

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Konkrete Fälle, die den vorgenannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes entgegen stehen, hat auch ai nicht benannt. Von daher kann jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger schon allein während einer routinemäßigen Nachfrage bei den Behörden seines Heimatortes Misshandlungen drohen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach zurückkehrende Asylbewerber jedenfalls nicht routinemäßig - d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert bzw. asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt werden

vgl. etwa Urteil vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris.

Soweit ai darüber hinaus die Gefahr eines Verhörs - und in diesem Zusammenhang auch von Folter - sieht, sobald gegen den Rückkehrer ein Eintrag oder ein polizeiinterner Suchbefehl vorliegt, ist eine diesbezüglich beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers ebenfalls nicht anzunehmen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - nach entsprechenden überzeugenden Angaben des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan in der Türkei derzeit nicht aktenkundig ist und keine behördlichen Vorgänge über ihn existieren. Die von ai lediglich in theoretischer Weise in den Blick genommen Risikofaktoren eines noch bestehenden Suchinteresses sind nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan im Falle des Klägers vielmehr zu verneinen.

Nach alledem ist ein aktuelles Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger (und damit einhergehend die Gefahr weiterer Ermittlungen und Misshandlungen) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, vielmehr nahezu auszuschließen.

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass die türkischen Sicherheitskräfte gegen eine in der jüngeren Zeit wieder verstärkt militärisch operierende PKK nochmals nachhaltig vorgehen und dies zu einer erneuten Verschlechterung der Verhältnisse in seiner Heimatregion führen könnte, bietet dies keinen Anlass zu der Annahme, dass eine langjährig zurückliegende Unterstützung der PKK relativ geringfügiger Art, wie sie bei dem Kläger vermutet wurde, im Falle einer Rückkehr Anlass für weitergehende Behelligungen sein könnte, nachdem in diesem Zusammenhang keinerlei behördliche Vorgänge und Registrierungen hinsichtlich des Klägers mehr vorliegen.

Schließlich droht dem Kläger auch im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr keine Gefährdung. Eine Gruppenverfolgung von Kurden lag weder im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung des Klägers vor noch kann hiervon aktuell ausgegangen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Urteile vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - und vom 29.3.2000 - 9 R 10/98 -, juris.

und auch aller weiteren Obergerichte, welche im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt wurde. Auf diesen wird insoweit Bezug genommen. Weiterer Darlegungen bedarf dies nicht, da sich der Kläger im anhängigen Verfahren auch nicht auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Kurden berufen hat.

Haben sich nach alledem im Falle des Klägers die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse seither erheblich verändert, steht der Annahme des nachträglichen Wegfalls der die Flüchtlingsanerkennung begründenden Umstände schließlich auch nicht die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anwendbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG entgegen, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., juris.

Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten.

Zwar hat der Senat keinen Anlass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers in Zweifel zu ziehen, wonach er im Rahmen einer zweitägigen Festnahme im Jahr 1994 mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde, dabei einen Bruch der Wangenknochen erlitt und auch anlässlich eines mehrstündigen Verhörs in Istanbul im Jahre 1995 erneut misshandelt wurde, wovon auch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - ausgegangen ist. Von daher liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG formulierten Vermutung vor. Ausgehend von den vorstehend dargestellten Veränderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den oben dargestellten, dem Kläger zu Gute kommenden Amnestie- bzw Verjährungsregelungen sowie der Tatsache, dass derzeit in der Türkei bezüglich des Klägers keinerlei Fahndungsersuchen, Registereintragungen oder sonstige behördliche Vorgänge wegen des Verdachts einer Unterstützung der PKK mehr existieren, sprechen jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die in der Türkei trotz der durchgeführten Reformen im Einzelfall nicht auszuschließende Gefahr der Folter besteht vor allem bei Ermittlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen bestimmte Personen wegen der Verdächtigung, politische Straftaten begangen zu haben. Für solche Ermittlungen gegen den Kläger besteht nach dem Vorgesagten aber kein Anlass mehr.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch ohne Weiteres anzunehmen, dass die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur ist, vielmehr die Faktoren, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Angesichts der dem Kläger zugute kommenden Amnestie- bzw. Verjährungsregelungen sowie des im Zuge der Beweiserhebung des Senats zu Tage getretenen gänzlich fehlenden aktuellen Interesses der türkischen Behörden an der Person des Klägers ist nicht erkennbar, dass diesem auf absehbare Zeit erneute Verfolgung drohen könnte. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren geeignete Schritte unternommen hat, um die der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen (insbesondere der Amnestie- und Verjährungsregelungen sowie des Beseitigens von Registereintragungen) ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei nunmehr vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen nachhaltig geschützt ist.

Sind danach aufgrund einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse in der Türkei diejenigen Umstände weggefallen, auf denen die begründete Furcht vor Verfolgung und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruhten, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils einem Widerruf nicht entgegensteht. Denn bei einer solchen wesentlichen Veränderung der Sachlage endet auch die Rechtskraft des Urteils.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, hat dieser nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Hat die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger wegen einer erheblichen und dauerhaften Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände keine begründete Furcht vor Verfolgung mehr haben muss, war vom Widerruf auch nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen zwingender auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe abzusehen. Solche zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe, um eine Rückkehr in die Türkei abzulehnen, liegen im Falle des Klägers nicht vor. Mit § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird insbesondere der psychischen Sondersituation Rechnung getragen, in dem sich ein Asylberechtigter befindet, welcher ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse im Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgungsstaat zurückzukehren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist demnach, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei auch dann führen, wenn - wie hier - eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 in DVBl. 2006, S. 511.

Eine derartige Sachlage ist im Falle des Klägers nicht gegeben. Zwar ist der Kläger vor seiner Ausreise körperlich misshandelt worden. Jedoch hat er weder vorgetragen noch ist erkennbar, dass er dabei derart schwere physische oder psychische Schäden davon getragen hat, dass diese auch derzeit noch in einem erheblichen Umfang nachwirken, so dass ihm eine Rückkehr nicht angesonnen werden könnte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zwar angegeben, die erlittenen Misshandlungen nicht vergessen zu können. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei nicht aus, zumal der Kläger sich offenkundig vorrangig um die Zukunft seiner Kinder und auch die wirtschaftliche Lage der Familie sorgte.

Hat die Beklagte demnach die im Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen, ist auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen des Klägers ebenfalls nur mit Blick auf die geäußerte Befürchtung erneuter staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit den Vorgängen vor der Ausreise in Betracht. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, kann insoweit jedoch nicht von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden.

Schließlich ist auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 17.7.2008 erhobene Anfechtungsklage auch gegen diese Feststellung gerichtet ist. Ungeachtet der Frage des richtigen Rechtsbehelfs kann auch hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Ergänzend wird folgendes hinzugefügt: Auch bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist stets der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

vgl. BVerwG, Urteile vom 24.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -.

Ausgehend vom Sachvortrag des Klägers kommt auch hier lediglich eine ihm im Rückkehrfalle drohende Gefahr erneuter Folter bzw. Misshandlung durch türkische Sicherheitskräfte in Betracht. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende derartige Gefahr ist jedoch nach den vorangegangenen Darlegungen, auf die auch hier Bezug genommen werden kann, nicht anzunehmen. Die Vermutungsregelung des auch im Rahmen der Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG wirkt sich auch hier nicht zugunsten es Klägers aus, da - wie ausgeführt - stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dementsprechend liegt weder ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG noch ein solches im Sinne des nachrangig zu prüfenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Für sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 AufenthG, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG oder § 60 Abs. 4 AufenthG sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - 5. Kammer - vom 05.06.2007 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.

2

Das angefochtene Urteil weicht nicht von den in der Begründung des Zulassungsantrags genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.11.2005 - 1 C 21.04 - (E 124, 276) bzw. vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - (E 126, 243) ab.

3

Die Abweichung (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) muss grundsätzlicher Art sein. Da die Divergenzrüge einer Gefährdung der Rechtseinheit entgegenwirken soll, ist sie nicht bereits dann begründet, wenn das Gericht in dem angefochtenen Urteil einen Grundsatz, der in einer divergenzfähigen Entscheidung aufgestellt worden ist, lediglich im Einzelfall unrichtig anwendet (vgl. Beschl. des Senats v. 29.10.2004 - 2 L 396/04 -).

4

Danach erweist sich die Divergenzrüge als unbegründet. Zutreffend hat der Antragsteller allerdings herausgearbeitet, welche Maßstäbe das Bundesverwaltungsgericht in den von ihm zitierten Entscheidungen für den auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützten Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG entwickelt hat, nämlich dass "sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in sein Herkunftsland eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht". Davon ist aber das Verwaltungsgericht nicht abgewichen, es hat die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze ausdrücklich seiner eigenen Entscheidung zugrunde gelegt (siehe Seite 4 Urteilsabdruck). Soweit der Kläger meint, das Verwaltungsgericht habe das Bundesverwaltungsgericht lediglich zitiert, tatsächlich aber nicht ernsthaft eine Verbesserung der Lage in Togo geprüft, sondern sich "mit Vermutungen und Spekulationen begnügt", ist dies nicht nachvollziehbar. Bei der Prüfung der Frage, ob sich die Verhältnisse im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verbessert haben, geht es nicht um die allgemeine Situation in dem Verfolgerstaat, d.h. es kommt nicht darauf an, ob in dem betreffenden Land politische Verfolgung generell auszuschließen ist, der anzuwendende Maßstab ist vielmehr individuell, d.h. bezogen auf den konkreten Ausländer, der als Flüchtling anerkannt worden ist und dem dieser Status wieder entzogen werden soll. Dies bedeutet, dass je nachdem, wie gravierend die Umstände waren, die zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus geführt haben, auch unterschiedliche Anforderungen an die Verbesserung der Verhältnisse zu stellen sind.

5

Dies ist vom Verwaltungsgericht ersichtlich nicht verkannt worden. Es hat maßgeblich darauf abgestellt, dass dem Kläger der Flüchtlingsstatus wegen einer regimekritischen Presseveröffentlichung und wegen einer Auseinandersetzung mit einem Bruder des damaligen Staatspräsidenten zuerkannt worden sei; dieser Streit sei "nach dem eigenen Vorbringen des Klägers eher zufälliger Natur" gewesen und habe "keinerlei politischen Hintergrund" gehabt (siehe Seite 10 Urteilsabdruck). Folgerichtig konnte sich das Verwaltungsgericht darauf beschränken, zu prüfen, ob sich die Verhältnisse in Togo so verändert haben, dass aufgrund dieser Umstände Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sind und dem Kläger auch nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Dazu war es ersichtlich nicht erforderlich - was der Kläger aber anscheinend erwartet - festzustellen, dass es in Togo zu keinen asylrelevanten Übergriffen gegen Oppositionelle mehr kommt. Danach genügte es, dass das Verwaltungsgericht - wie geschehen - festgestellt hat, dass sich die Verhältnisse so verändert haben, dass der Kläger vor (erneuter) Verfolgung sicher ist.

6

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (vgl. §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) berufen.

7

Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Maßgebend für diese Pflicht des Gerichts ist der Gedanke, dass die Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit haben müssen, durch einen sachlich fundierten Vortrag die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Es ist als Regel davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind aber nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Das rechtliche Gehör kann auch dadurch verletzt werden, dass ein ausdrücklich gestellter Beweisantrag mit einer Begründung abgelehnt wird, die im Prozessrecht keine Stütze findet. In Asylverfahren darf ein Gericht die Einholung von (weiteren) Auskünften allerdings unter (substantiiertem) Hinweis auf die eigene Sachkunde ablehnen (vgl. Beschl. des Senats v. 29.01.2007 - 2 L 187/06 -).

8

Nach diesen Maßstäben ist hier ein Gehörverstoß nicht festzustellen.

9

Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag hat das Gericht - wie nach § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehen - durch einen in der Sitzung verkündeten und begründeten Beschluss abgelehnt. Die Begründung steht mit dem Prozessrecht in Einklang. Das Gericht hat sich darauf gestützt, dass es auf der Grundlage von zwei im Ablehnungsbeschluss konkret bezeichneten Auskünften in der Lage sei, die aufgeworfenen Fragen ausreichend zu beurteilen. Wenn der Kläger demgegenüber meint, das Gericht hätte weitere Auskünfte einholen müssen, berücksichtigt er nicht genügend, dass das Gericht - wie bereits festgestellt - einen auf den Einzelfall bezogenen Maßstab bei der Beurteilung der Widerrufsvoraussetzungen anzulegen hatte.

10

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass es nicht im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG grundsätzlich klärungsbedürftig ist, "ob sich die politische Lage in Togo nachträglich erheblich und auf Dauer in der Weise geändert hat, dass der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG gerechtfertigt ist".

11

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.

12

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 6.6.1995 mit einem Lkw in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 12.6.1995 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung seines Asylantrags gab er an, anlässlich des Newrozfestes 1994 von Soldaten bei einer Kontrolle festgenommen worden zu sein, wobei man ihm vorgeworfen habe, mit seinem Minibus PKK-Anhänger und Lebensmittel für diese zu transportieren. Man habe ihn zu einer Militärstation gebracht und zwei Tage lang verhört, wobei er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Dabei habe er einen Bruch der Wangenknochen davongetragen. Mangels konkreter Beweise sei er wieder freigelassen worden. Anlässlich der Verhaftung seien seine Personalien registriert worden. In den darauffolgenden Monaten sei er- wie auch die anderen männlichen Bewohner seines Heimatdorfes - unter massiven Drohungen aufgefordert worden, das Amt eines Dorfschützers zu übernehmen. Da er nicht Dorfschützer habe werden wollen und keinen anderen Ausweg gesehen habe, habe er sich zur Ausreise entschlossen. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Mit Bescheid vom 27.6.1995 lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen. Im Anschluss an die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Beklagte mit Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - festzustellen, dass der Abschiebung des Klägers in die Türkei ein Abschiebungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 AuslG entgegensteht. Zur Begründung war in dem Urteil ausgeführt, der Kläger habe glaubhaft machen können, in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert worden zu sein. Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten linksorientierter und separatistischer kurdischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden Verdacht geraten seien, müssten im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen. Bei einer Rückkehr in die Türkei bestehe im Falle des Klägers die Gefahr, erneut festgenommen und dabei auch Foltermaßnahmen unterworfen zu werden.

Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 10.3.2000 fest, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen.

Mit Verfügung vom 27.5.2008 wurde ein Widerrufsverfahren eingeleitet. Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 28.5.2008, zugestellt am 29.5.2008, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, wovon dieser mit Schriftsatz vom 19.6.2008 Gebrauch machte. Mit Bescheid vom 17.7.2008 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Ergänzend wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde in dem Bescheid ausgeführt, seit der Ausreise des Klägers hätten sich Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei deutlich zum Positiven verändert. Die Gründe für die frühere Schutzgewährung seien daher heute entfallen. Türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung o.ä., oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes, dem Zwang zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften oder sonstigen Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen und in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor Verfolgung erhalten hätten, seien heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, aus denen der Kläger die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ablehnen könnte, lägen nicht vor.

Gegen diesen Widerrufsbescheid, der am 18.7.2008 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, hat der Kläger am 4.8.2008 Klage erhoben. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, die Verhältnisse in der Türkei hätten sich nicht so wesentlich geändert, dass sich die Prognose drohender politischer Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in die Türkei nicht mehr treffen ließe. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in dem Urteil vom 20.12.1999 habe er die Türkei vorverfolgt verlassen, so dass vorliegend der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab gelte. Die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung könnten dementsprechend nur dann wegfallen, wenn er vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher sei. Ungeachtet dessen, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei in Teilen verbessert haben möge, sei der Reformprozess keineswegs so weit fortgeschritten, dass eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Soweit überhaupt von einem Mentalitätswandel gesprochen werden könne, habe dieser nicht alle Teile von Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Nach wie vor werde Folter angewandt, was insbesondere damit zusammenhänge, dass es an einer effizienten Strafverfolgung gegenüber folternden Beamten fehle. Auch würden erfolterte Geständnisse weiterhin in Gerichtsverfahren als Beweis verwertet. Von einer verfestigten und nachhaltigen Veränderung der Menschenrechtssituation in der Türkei, welche Voraussetzung für einen Widerruf sei, könne daher nicht ausgegangen werden. Hinzu komme, dass im Zuge des aktuellen Widererstarkens von PKK-Aktivitäten entschiedenere Maßnahmen zu deren Bekämpfung gefordert würden. Im Falle des Klägers stehe rechtskräftig fest, dass er vor seiner Ausreise in seiner Heimatregion der Unterstützung der PKK verdächtigt worden und deswegen dort registriert gewesen sei. Selbst in Istanbul sei er deshalb festgenommen und mehrstündigen Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Vor erneuten Übergriffen durch die Sicherheitskräfte, insbesondere vor Verhören, die mit Misshandlungen verbunden seien, sei er keineswegs hinreichend sicher. Da er seinerzeit verdächtigt worden sei, die PKK zu unterstützen, würde auch heute noch der Verdacht bestehen, dass er sich während seines langen Auslandsaufenthalts für die PKK betätigt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gab der Kläger ergänzend an, in der Bundesrepublik Deutschland wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen zu haben.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17.7.2008 aufzuheben.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen in ihrem angefochtenen Bescheid beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.5.2009 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es im Wesentlichen, das Bundesamt habe zu Recht angenommen, dass die in dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 hinsichtlich des Klägers für die Türkei bejahten Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zwischenzeitlich entfallen seien. Zwar sei der Kläger nach den Feststellungen in dem genannten Urteil vorverfolgt ausgereist; indes sei er nunmehr vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher. Der Kläger habe wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu vergegenwärtigen. Insoweit hätten sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei seit dem Erlass des nunmehr aufgehobenen Bescheides maßgeblich zugunsten des Klägers geändert. Allerdings müssten Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten bzw. Unterstützer linksorientierter oder separatistischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden ernsthaften Verdacht geraten seien, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen und die dem türkischen Staat auch zurechenbar seien. Ein individualisierter, d.h. konkret auf die Person des Klägers bezogener Verdacht der PKK-Unterstützung von Seiten der türkischen Sicherheitskräfte liege jedoch nicht vor. Insoweit sei zunächst maßgeblich, dass der Kläger selbst nie behauptet habe, die PKK unterstützt zu haben. Allein deshalb, weil ihm vor seiner Ausreise im Jahr 1995 wegen der Ablehnung des ihm angetragenen Dorfschützeramtes - wie vielen anderen auch - pauschal unterstellt worden sei, die PKK zu unterstützen, müsse der Kläger heute nicht mehr befürchten, im Falle einer Rückkehr als „Separatist“ behandelt und deshalb Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Von Bedeutung sei hierbei, dass Personen, die das Dorfschützeramt abgelehnt hätten, mangels strafrechtlicher Relevanz nicht mit Fahndungsmaßnahmen zu rechnen hätten. Hinzu komme, dass mittlerweile - aufgrund einer Anordnung des türkischen Innenministeriums aus dem Jahr 2000 - keine Dorfschützer mehr rekrutiert würden und sich die Lage auch insofern geändert habe. Unter diesen veränderten Umständen und unter Berücksichtigung des langen Zeitablaufs seit seiner Ausreise rechtfertige allein die damalige Weigerung des Klägers, das Dorfschützeramt zu übernehmen, nicht die Annahme, für ihn bestehe die konkrete Gefahr, in einem polizeilichen Verhör Misshandlungen ausgesetzt zu werden, weil man ihn verdächtigen würde, die PKK zu unterstützen. Ein gegen den Kläger selbst gerichteter, hinreichend konkreter Verdacht einer Unterstützung der PKK ergebe sich auch nicht aus seinem sonstigen Vorbringen. Soweit er vorgetragen habe, ihm sei anlässlich des Newrozfestes 1994 vorgeworfen worden, mit seinem Minibus PKK-Anhänger zu transportieren, sei dies - ebenso wie die Versuche, die Bevölkerung zu der Übernahme des Dorfschützeramtes zu bewegen - im Zusammenhang mit dem allgemeinen und im Südosten der Türkei weit verbreiteten Druck auf die Bevölkerung bei der Bekämpfung der PKK zu sehen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinerzeit von den Heimatbehörden als Sympathisant bzw. Unterstützer der PKK registriert worden sei, seien diesem Vorbringen nicht zu entnehmen.

Gegen das ihm am 25.5.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.6.2009 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat mit Beschluss vom 16.2.2010 - 3 A 383/09 - entsprochen hat.

Zur Begründung der Berufung führte der Kläger mit am 9.3.2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) seien nicht entfallen. Aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 stehe rechtskräftig fest, dass er in seiner Heimatregion der Unterstützung der PKK verdächtigt worden und deshalb dort registriert gewesen sei. Selbst in Istanbul sei er deshalb festgenommen und mehrstündigen Misshandlungen ausgesetzt worden. Demgemäß sei er auch im Westen der Türkei latent der Gefahr erneuter Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Demzufolge gelte bei der Beurteilung der Frage, ob die Anerkennungsvoraussetzungen entfallen seien, der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Zu Unrecht habe sich das angegriffene Urteil darauf beschränkt, die Voraussetzungen der Anerkennung als deshalb entfallen anzusehen, weil der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, keine politische Verfolgung mehr zu vergegenwärtigen habe. Im Hinblick darauf, dass gegenüber dem Kläger ein individualisierter, d.h. konkret auf seine Person bezogener Verdacht der PKK-Unterstützung auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte vorgelegen habe, sei auch heute noch davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher sei. Auch heute noch müssten Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten bzw. Unterstützer linksorientierter oder separatistischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden ernsthaften Verdacht geraten seien, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen und die dem türkischen Staat auch zurechenbar seien. Von einer nachhaltigen und verfestigten Verbesserung der Menschenrechtslage könne in der Türkei nach wie vor nicht ausgegangen werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.5.2009 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 742/08 - den Bescheid der Beklagten vom 17.7.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, nach dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2009 sei davon auszugehen, dass der als vorverfolgt geltende Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung sei. Nach diesem Lagebericht sei dem Auswärtigen Amt in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei ebenfalls kein Fall benannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Dies entspreche auch den Auskünften zahlreicher anderer europäischer Staaten.

Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 dürften keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Angaben türkischer Behörden zufolge seien Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht worden.

Nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung sei zudem zu berücksichtigten, dass bei Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf das richterrechtlich entwickelte Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe abzustellen sei, vielmehr darauf, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QualRL widerlegt sei. Diese könne im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Umgekehrt gelte allerdings weiter, dass in jedem Fall, in dem hinreichende Sicherheit festzustellen sei, immer auch das Kriterium der Widerlegung der durch Art. 4 Abs. 4 QualRL ausgelösten Vermutung erfüllt sei, weil in diesem Fall entsprechend stichhaltige Gründe vorlägen.

Gemäß Beschlüssen vom 16.7.2010 und 10.9.2010 hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung von Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, von amnesty international sowie des Sachverständigen Kamil Taylan. Wegen der Einzelheiten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die vorgenannten Beschlüsse sowie die entsprechenden Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 13.10.2010, von amnesty international vom 31.1.2011 und von Kamil Taylan vom 11.2.2011 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 6 K 136/98.A des Verwaltungsgerichts des Saarlandes sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Ausländerbehörde Bezug genommen, welcher ebenso wie die bei Gericht geführte Dokumentation Türkei, insbesondere hinsichtlich der in der Anlage zur Sitzungsniederschrift bezeichneten Teile, Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17.7.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. Das Bundesamt hat auch zu Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die – hier streitgegenständliche - Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. bis zum 1.1.2005 des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere ist die beabsichtigte Entscheidung über den Widerruf entsprechend § 73 Abs. 4 AsylVfG dem Kläger zuvor schriftlich mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Auch begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt

vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier - die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird

vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2007 - 10 C 24.07 -, Buchholz 204.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N..

Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG ist in Fällen wie dem vorliegenden keine Ermessensentscheidung erforderlich

Vgl. ausführlich BVerwG, Urteile v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – u.a. sowie Urteile v. 1.6.2011 – 10 C 10.10 – u. – 10 C 25.10 -, juris.

Das Bundesamt hat im Ergebnis auch zu Recht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bejaht, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“) und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2.3.2010 (Rs C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist und zwar auch in Fällen, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss

vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 –, a.a.O..

In seinen jüngsten Urteilen vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 und 10 C 25.10 – hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit nochmals hervorgehoben, dass eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände im vorgenannten Sinne voraussetzt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht

vgl. zu letzterem auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 -1 C 21/04 -, DVBl. 2006, 511.

Es muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen, soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dabei dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweisen muss, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbarer Zeit kann indes nicht verlangt werden.

Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland verhält sich grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit des Weiteren ausgeführt, dass wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit der Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden kann, vielmehr unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Die Richtlinie 2004/83/EG kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird

vgl. zu allem Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 – m.w.N. sowie EuGH, Urt. vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., juris.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist demnach bei der Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf den Maßstab einer hinreichenden Sicherheit vor weiterer Verfolgung abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in den vorgenannten Entscheidungen vielmehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt wurde, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen war, ausdrücklich abgerückt.

Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, juris.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung hiervon erfasst wird, etwa auch Veränderungen in der Person des Begünstigten

vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Die zuständigen Behörden und Gerichte müssen sich mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 a.a.O.;

Dementsprechend ist bei der nach den vorgenannten Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist die Feststellung, dass sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls im Falle des konkret betroffenen Flüchtlings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. Hingegen ist für den Widerruf nicht erforderlich, dass im Herkunftsland des betroffenen Ausländers nunmehr umfassender Schutz vor Verfolgung gewährt wird oder es zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt

vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Ist eine grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände im vorgenannten Sinne zu bejahen, so ist es für den Widerruf des Weiteren unerheblich, ob die Flüchtlingsanerkennung zu Recht erfolgt war

vgl. BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89.

Ausgehend davon ist ein Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Der Kläger wurde mit Bescheid vom 10.3.2000 als Flüchtling anerkannt, weil das Verwaltungsgericht des Saarlandes in dem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - davon ausgegangen war, dass der Kläger in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt worden und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert gewesen sei. Im Jahre 1994 sei er anlässlich des Newrozfestes bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und unter dem Vorwurf, mit seinem Minibus PKK-Mitglieder und Lebensmittel für diese transportiert zu haben, zwei Tage lang verhört worden. Er sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, so dass er einen Bruch der Wangenknochen davon getragen habe. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Diese die Verfolgungsfurcht des Klägers begründenden Umstände können als dauerhaft beseitigt angesehen werden.

Seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers im März 2000 haben sich - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven verändert, so dass im konkreten Fall des Klägers – auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten – keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung mehr besteht.

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt

vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Lagebericht) vom 8.4.2011.

Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetzte verabschiedet

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Abgesehen von der Beendigung des Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt waren, sind insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, den Zugang zu einem Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen

vgl. Fortschrittsbericht der EU vom 6.11.2007; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Bericht vom 6.9.2006, S. 11 f., http://www.cpt.coe.int/documents/tur/2006-30-inf-eng.pdf.

Zu dem Reformpaket gehören auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung von Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 17.7.2008 verwiesen.

Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen

vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Türkei vom 8.4.2011

Im Jahr 2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsieht. Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 6.

Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren

vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 11.1.2007 und vom 3.5.2005.

Die türkische Regierung hat erkannt, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur demokratischen Öffnung, das derzeit allerdings zum Stillstand gekommen ist, der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf kurdisch und Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 11, 12.

Allerdings wird in den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen übereinstimmend nach wie vor von Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen unbeachtet bleiben. Die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht zufriedenstellend

vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.4.2011, S. 7 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Helmut Oberdiek, Türkei, update: Aktuelle Entwicklungen, 9.10.2008; Fortschrittsbericht Türkei der EU vom 6.11.2007; ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010; U.S. Departement of State, 2010, Human Rights Report: Turkey vom 8.4.2011, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrtt/2010/eur/154455.htm.

So berichtet etwa das Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen. Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten würden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Des Weiteren sei es der türkischen Regierung trotz zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verhinderung von Folter (etwa auch der Erhöhung der Strafandrohung) und trotz nachweisbarer Verbesserungen bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen sei. Nach Angaben von Menschenrechtsverbänden sei jedoch die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die in Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- und Misshandlungsfällen stehen, 2010 landesweit zurückgegangen. So seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 (2009: 252, 2088: 269) Personen registriert worden, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden seien. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es würden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt würden. Des Weiteren sei es 2010 zu über 27 sog. extra-legalen Tötungen durch Sicherheitskräfte gekommen

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Die vorstehend dargestellten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes stimmen in den Grundzügen mit denjenigen von amnesty international überein, wenn auch etwa die Anzahl der im Jahr 2010 verzeichneten Folteropfer von der vom Auswärtigen Amt mitgeteilten Zahl abweicht und ai die mitgeteilten Fakten etwas kritischer bewertet. Auch nach Angaben von ai gab es in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt sei. Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen, der notwendige grundlegende Wandel sei damit jedoch nicht vollzogen worden. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien noch immer ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte eingeschränkt.

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Ähnlich wie ai äußert sich auch Helmut Oberdiek für die Schweizerische Flüchtlingshilfe

vgl. Oberdiek, Türkei, Zur aktuellen Situation – Oktober 2007.

Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Zur Entwicklung in den letzten Jahren sowie der Stellung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen kann zunächst auf die entsprechenden ausführlichen Darlegungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch aus den neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Ergodan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“ (zuvor „Kurdischen Öffnung“), die auf eine Lösung der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir, aus der der Kläger stammt, auch in jüngerer Zeit Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen kritisch bewertete (Massen)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im Vergleich zu den 90er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in den 90er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert.

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; sowie zusammenfassendes Protokoll der Gesprächsreise von Rechtsanwalt Tahir Elci im Juni 2010.

Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bieten keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass in der Türkei seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers tiefgreifende Reformen stattgefunden haben und die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten 10 Jahre im Hinblick auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener Hinsicht nicht denen Westeuropas entsprechen. Der Reformprozess dauert inzwischen schon ca. ein Jahrzehnt an und wird prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und hat sich daher den sog. Kopenhagener Kriterien unterworfen. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und den Fortschrittsbericht veröffentlicht. Von daher sind die seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers in der Türkei stattgefundenen Veränderungen durchaus als dauerhaft einzustufen, auch wenn es – wie ai und Helmut Oberdiek anmerken – in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte gegeben hat und der Reformprozess, was die Lösung der Kurdenfrage betrifft, seit Mai 2010 stagniert.

Ob angesichts der dargestellten Verhältnisse in der Türkei allerdings generell die Feststellung getroffen werden kann, dass - wie im angefochtenen Bescheid angenommen - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung oder ähnlichem, oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes oder sonstiger Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen hatten, heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt sind, erscheint fraglich. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Denn für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung ist - wie dargelegt - nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt. Vielmehr ist in Abhängigkeit von den konkreten Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, festzustellen, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und dass deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hat

vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 - sowie Beschluss vom 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. v. 24.2 2011 – 10 C 5/10 -, juris, wonach sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.

Bezogen auf die individuelle Situation des Klägers haben die vorstehend dargestellten Änderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei und die damit einhergehende Entspannung der Verhältnisse auch im Südosten des Landes seit der Flüchtlingsanerkennung aber jedenfalls eine solche Auswirkung, dass nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vorgängen, die 1994 und 1995 zu Misshandlungen führten, weiterhin bzw. erneut polizeiliche oder sonstige behördliche Maßnahmen von asylerheblicher Intensität befürchten muss. Als Flüchtling anerkannt wurde der Kläger – wie ausgeführt - vor allem im Hinblick auf die Annahme, dass er 1994 bei den Heimatbehörden als möglicher Sympathisant der PKK registriert war, weil man ihn verdächtigte, für diese Transporte durchzuführen. Bei der anzustellenden Prognose einer dem Kläger heute noch drohenden Verfolgungsgefahr fällt zunächst ins Gewicht, dass die dem Kläger im Jahr 1994 vorgehaltenen vermeintlichen Unterstützungshandlungen für die PKK in Gestalt gelegentlicher Transportfahrten nur untergeordneter Natur waren und es – da der Vorwurf eigenen Angaben des Klägers zufolge unbegründet war - dafür auch keinerlei Beweise gab, weshalb man ihn jeweils nach kurzer Zeit auch wieder freigelassen habe. Zudem liegen die Vorwürfe mittlerweile mehr als sechzehn Jahre zurück. Darüber hinaus wäre die dem Kläger ehemals vorgeworfene Unterstützung der PKK durch gelegentliche Transportfahrten heute nach türkischem Strafrecht ohnehin nicht mehr zu verfolgen. In Betracht gekommen wäre zur vermeintlichen Tatzeit insoweit eine Bestrafung gemäß Art. 169 Türkisches StGB (TStGB) von 1926 wegen Unterstützung einer bewaffneten Organisation und zwar mit einer Strafe von 4,5 bis 7,5 Jahren (Art. 159 i.V.m. Art. 4, 5 Antiterrorgesetz). Diese Tat wäre aber unter die Amnestie vom 21.12.2000 durch das Gesetz Nr. 4616 (betreffend bedingte Freilassungen und die Aussetzung von Strafverfahren sowie von der Vollstreckung von Strafen im Falle von bis zum 23. April 1999 begangener Straftaten) gefallen. Diese gewährte einen Straferlass von zehn Jahren, was bei Straftaten mit einer Strafe unter zehn Jahren eine Straffreistellung bedeutete

vgl. Gutachten Dr. Silvia Tellenbach an das VG Osnabrück vom 26.11.2006 sowie an das VG Freiburg vom 4.6.2007; Serafettin Kaya an VG Berlin vom 9.8.2006 und an OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Auch nach Angaben des Sachverständigen Kamil Taylan in seinem Gutachten für den Senat vom 11.2.2011 ist die vom Kläger in diesem Verfahren berichtete tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergung von PKK-Aktivisten o.ä. in den 90er Jahren heute als Delikt im Sinne des TStGB verjährt. Diese Verjährung betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die Ablehnung eines Dorfschützeramtes bzw. einer Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitskräften, „auch durch Flucht ins Ausland“.

Damit wären die dem Kläger im Jahr 1994 unterstellten gelegentlichen Transporte von PKK-Anhängern bzw. Lebensmitteln für die PKK mittlerweile jedenfalls straffrei.

Auch sind dem Gutachter Kamil Taylan keine aktuellen Verfahren gegen in die Türkei zurückgekehrte Personen bekannt, die, wie der Kläger, bis Ende der 90er Jahre in den Verdacht geraten sind, die PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergungen oder ähnlichem unterstützt zu haben und deswegen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren

vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das OVG des Saarlandes vom 11.2.2011.

Damit vergleichbar hält auch der Gutachter Serafettin Kaya die Gefahr für eine im Jahr 1995 wegen der Unterstützung der TDKP in Verdacht geratene Person, die, ebenso wie vorliegend der Kläger, nicht verurteilt worden war, im Falle einer Rückkehr nicht für beachtlich wahrscheinlich

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Soweit der Kläger darüber hinaus als mitursächlich für seine Ausreise angegeben hat, dass er sich dem auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützer-amtes habe entziehen wollen, was allerdings ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 für die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht von Bedeutung war, droht ihm in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr ebenfalls keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ablehnung der Übernahme des Dorfschützeramtes keine strafrechtliche Relevanz besitzt

vgl. ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Darüber hinaus haben sich die Verhältnisse in der Türkei seit der Ausreise des Klägers auch betreffend die Dorfschützerproblematik grundlegend geändert, so dass nicht angenommen werden kann, dass der Kläger heute insoweit nochmals Beeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das System der Dorfschützer in der zuvor praktizierten Form nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursämter der Provinzen vom 24.4.2000 wurde angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten vom 28.1. 2007 an das VG Aachen; ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem ersichtlich auch eingehalten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerseits geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich - wie oben bereits ausgeführt - inzwischen wesentlich geändert. Das Mitte der 80er Jahre geschaffene und in den 90er Jahren weiter ausgebaute System diente u. a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt) und später - entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung als „verlängerten Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten. Seit der Entspannung der Situation und dem Rückgang der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei und der von der türkischen Regierung verfolgten Politik der sog. „demokratischen Öffnung“ wurden neue Dorfschützer nicht mehr benötigt, so dass die türkischen Sicherheitskräfte auch keinen Druck mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben brauchten, auch wenn das Dorfschützersystem nicht insgesamt abgeschafft wurde. Letzteres liegt u.a. daran, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den kurdischen Provinzen mit sich brächte, weil damit viele - zudem bisher staatsloyale - Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb bis hin zu ihrer Rentenberechtigung verlören.

vgl. ai, Gutachten vom 18.7.2003 an VG Frankfurt; vgl. zu alledem auch ausführlich OVG Koblenz, Urteil vom 17.12.2010 - 10 A 10911/10 -, juris.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu befürchten hat.

Nichts anderes ist im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers anzunehmen, welche sich nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf beschränkten, wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Dabei handelt es sich eindeutig um eine Betätigung niedrigen Profils. Die bloße Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen stellt kein Verhalten dar, das sich von demjenigen der meisten in Deutschland lebenden Kurden aus der Türkei unterscheidet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes begründet jedoch nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, d. h. eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr

vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteile vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 -, juris und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris; sowie Beschluss vom 21.12.2009 - 3 A 275/09 -.

Neuere Erkenntnisse, die Anlass zu einer anderen Beurteilung böten, liegen nicht vor. Vielmehr führt etwa das Auswärtige Amt in seinem jüngsten Lagebericht vom 8.4.2011 ebenso wie bereits in verschiedenen vorangegangenen Lageberichten bzw. Stellungnahmen aus, dass (nur) türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit Ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würden, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten, was vorliegend jedoch nicht erkennbar ist.

Ist somit bereits nach den vorangegangenen Ausführungen nicht zu erwarten, dass die türkischen Sicherheitskräfte heute noch ein Interesse an der Person des Klägers haben, so findet dies eine weitere Bestätigung in den vom Senat eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von Kamil Taylan.

So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13.10.2010 zu den im Beweisbeschluss des Senats vom 16.7.2010 gestellten Fragen mitgeteilt, dass Nachforschungen eines beauftragten Vertrauensanwalts im Falle des Klägers ergeben hätten, dass an den maßgeblichen Orten, nämlich am Ort der personenstandsamtlichen Registrierung und am letzten Wohnort des Klägers keine behördlichen Vorgänge gegen ihn vorhanden seien. Auch bei der Sicherheitsdirektion Istanbul und der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sei der Kläger nicht aktenkundig. Es habe auch kein Fahndungsersuchen nach ihm festgestellt werden können. Im Hinblick darauf seien keine Hinweise dafür vorhanden, dass der Kläger bei Rückkehr in die Türkei in den Fokus der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte bzw. mit staatlichen Repressalien wegen der behaupteten früheren Aktivitäten zu rechnen hätte.

Auch der Sachverständige Taylan bestätigt in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, über türkische Anwälte in Erfahrung gebracht zu haben, dass über den Kläger in zentralen Fahndungsregistern keine Einträge vorhanden seien, d. h., dass der Kläger nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei, auch kein Haftbefehl gegen ihn existiere und derzeit auch kein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei wegen seiner Aktivitäten in den 90er Jahren politisch verfolgt werde. Es sei auch derzeit kein einziges Verfahren in der Türkei bekannt, worin ein Rückkehrer wegen Verfehlungen, wie sie dem Kläger vorgeworfen worden seien, angeklagt sei oder sich in U-Haft befinde bzw. deswegen sonstigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Ein Verfahren gegen einen zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1994 in den Verdacht geraten war, die PKK durch Transportfahrten unterstützt zu haben, hält der Gutachter wegen der Verjährung dieser Taten für ausgeschlossen, auch wenn die betroffene Person damals kurzfristig festgenommen und misshandelt worden sowie in ihrer Heimatregion als Verdächtiger registriert war.

Dafür, dass – wie das Auswärtige Amt und Kamil Taylan festgestellt haben – der Kläger in der Türkei tatsächlich nicht mehr als Verdächtiger bzw. Sympathisant der PKK registriert ist, spricht im Übrigen auch, dass aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 keine Suchvermerke mehr ins Personenstandregister eingetragen werden und Angaben türkischer Behörden zufolge Mitte Februar 2009 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregister gelöscht wurden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Der darüber hinausgehenden Anmerkung des Sachverständigen Taylan in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, wonach mit Blick darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Unterstützer und Sympathisant der PKK aktiv gewesen sei, die Gefahr einer politischen Verfolgung „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden könne, lässt sich die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger weiterhin drohenden politischen Verfolgung ebenfalls nicht entnehmen. Die Gefahr einer solchen Verfolgung erachtet auch Kamil Taylan wörtlich als „sehr gering“ bzw. „verschwindend klein“; er vermag sie angesichts der seiner Meinung nach „chaotischen Verhältnisse in der türkischen Justiz“ nur nicht ganz auszuschließen. Eine so hohe Prognosesicherheit, dass eine Verfolgungsgefahr ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden kann, was letztlich einen kaum zu gewährleistenden Schutzstandard bedeutete, wird jedoch für die Annahme eines Wegfalls der Anerkennungsvoraussetzungen nicht gefordert. Vielmehr hätte bei dem vom Gutachter umschriebenen Wahrscheinlichkeitsgrad nach der früheren Rechtsprechung sogar eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht werden können. Nach dieser Rechtsprechung konnte vom Fehlen hinreichender Sicherheit vor der Wiederholung von Verfolgungshandlungen nicht schon bei jeder noch so geringen Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts ausgegangen werden. Vielmehr war über eine „theoretische“ Möglichkeit hinaus erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus „reale“ Möglichkeit erscheinen ließen

vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1992 – 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 f.

Auch amnesty international hält zumindest eine gerichtliche Verfolgung aufgrund der dem Kläger früher vorgeworfenen Aktivitäten für nicht wahrscheinlich. Auch ansonsten lässt sich der Stellungnahme vom 31.1.2011 an den Senat, welche sich auf allgemeine Ausführungen zur Gefährdungslage von Rückkehrern beschränkt, ohne jedoch die individuelle Situation des Klägers näher zu beleuchten, eine dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt zunächst, soweit ai ganz allgemein die Gefahr sieht, dass einreisende ehemalige Asylsuchende bereits während der Dauer der im Regelfall erfolgenden Erkundigungen bei den Heimatbehörden misshandelt werden. Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer solchen allen Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, drohenden Gefahr steht entgegen, dass in den letzten Jahren konkrete derartige Fälle nicht verzeichnet wurden.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist diesem in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in den ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei; dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei kein Fall genannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder oder führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Nach Auskunft der Vertretungen von EU-Mitgliedstaaten in Ankara (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie von Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2011 sei auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt gewesen seien

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Konkrete Fälle, die den vorgenannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes entgegen stehen, hat auch ai nicht benannt. Von daher kann jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger schon allein während einer routinemäßigen Nachfrage bei den Behörden seines Heimatortes Misshandlungen drohen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach zurückkehrende Asylbewerber jedenfalls nicht routinemäßig - d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert bzw. asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt werden

vgl. etwa Urteil vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris.

Soweit ai darüber hinaus die Gefahr eines Verhörs - und in diesem Zusammenhang auch von Folter - sieht, sobald gegen den Rückkehrer ein Eintrag oder ein polizeiinterner Suchbefehl vorliegt, ist eine diesbezüglich beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers ebenfalls nicht anzunehmen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - nach entsprechenden überzeugenden Angaben des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan in der Türkei derzeit nicht aktenkundig ist und keine behördlichen Vorgänge über ihn existieren. Die von ai lediglich in theoretischer Weise in den Blick genommen Risikofaktoren eines noch bestehenden Suchinteresses sind nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan im Falle des Klägers vielmehr zu verneinen.

Nach alledem ist ein aktuelles Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger (und damit einhergehend die Gefahr weiterer Ermittlungen und Misshandlungen) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, vielmehr nahezu auszuschließen.

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass die türkischen Sicherheitskräfte gegen eine in der jüngeren Zeit wieder verstärkt militärisch operierende PKK nochmals nachhaltig vorgehen und dies zu einer erneuten Verschlechterung der Verhältnisse in seiner Heimatregion führen könnte, bietet dies keinen Anlass zu der Annahme, dass eine langjährig zurückliegende Unterstützung der PKK relativ geringfügiger Art, wie sie bei dem Kläger vermutet wurde, im Falle einer Rückkehr Anlass für weitergehende Behelligungen sein könnte, nachdem in diesem Zusammenhang keinerlei behördliche Vorgänge und Registrierungen hinsichtlich des Klägers mehr vorliegen.

Schließlich droht dem Kläger auch im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr keine Gefährdung. Eine Gruppenverfolgung von Kurden lag weder im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung des Klägers vor noch kann hiervon aktuell ausgegangen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Urteile vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - und vom 29.3.2000 - 9 R 10/98 -, juris.

und auch aller weiteren Obergerichte, welche im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt wurde. Auf diesen wird insoweit Bezug genommen. Weiterer Darlegungen bedarf dies nicht, da sich der Kläger im anhängigen Verfahren auch nicht auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Kurden berufen hat.

Haben sich nach alledem im Falle des Klägers die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse seither erheblich verändert, steht der Annahme des nachträglichen Wegfalls der die Flüchtlingsanerkennung begründenden Umstände schließlich auch nicht die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anwendbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG entgegen, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., juris.

Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten.

Zwar hat der Senat keinen Anlass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers in Zweifel zu ziehen, wonach er im Rahmen einer zweitägigen Festnahme im Jahr 1994 mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde, dabei einen Bruch der Wangenknochen erlitt und auch anlässlich eines mehrstündigen Verhörs in Istanbul im Jahre 1995 erneut misshandelt wurde, wovon auch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - ausgegangen ist. Von daher liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG formulierten Vermutung vor. Ausgehend von den vorstehend dargestellten Veränderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den oben dargestellten, dem Kläger zu Gute kommenden Amnestie- bzw Verjährungsregelungen sowie der Tatsache, dass derzeit in der Türkei bezüglich des Klägers keinerlei Fahndungsersuchen, Registereintragungen oder sonstige behördliche Vorgänge wegen des Verdachts einer Unterstützung der PKK mehr existieren, sprechen jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die in der Türkei trotz der durchgeführten Reformen im Einzelfall nicht auszuschließende Gefahr der Folter besteht vor allem bei Ermittlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen bestimmte Personen wegen der Verdächtigung, politische Straftaten begangen zu haben. Für solche Ermittlungen gegen den Kläger besteht nach dem Vorgesagten aber kein Anlass mehr.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch ohne Weiteres anzunehmen, dass die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur ist, vielmehr die Faktoren, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Angesichts der dem Kläger zugute kommenden Amnestie- bzw. Verjährungsregelungen sowie des im Zuge der Beweiserhebung des Senats zu Tage getretenen gänzlich fehlenden aktuellen Interesses der türkischen Behörden an der Person des Klägers ist nicht erkennbar, dass diesem auf absehbare Zeit erneute Verfolgung drohen könnte. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren geeignete Schritte unternommen hat, um die der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen (insbesondere der Amnestie- und Verjährungsregelungen sowie des Beseitigens von Registereintragungen) ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei nunmehr vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen nachhaltig geschützt ist.

Sind danach aufgrund einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse in der Türkei diejenigen Umstände weggefallen, auf denen die begründete Furcht vor Verfolgung und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruhten, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils einem Widerruf nicht entgegensteht. Denn bei einer solchen wesentlichen Veränderung der Sachlage endet auch die Rechtskraft des Urteils.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, hat dieser nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Hat die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger wegen einer erheblichen und dauerhaften Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände keine begründete Furcht vor Verfolgung mehr haben muss, war vom Widerruf auch nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen zwingender auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe abzusehen. Solche zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe, um eine Rückkehr in die Türkei abzulehnen, liegen im Falle des Klägers nicht vor. Mit § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird insbesondere der psychischen Sondersituation Rechnung getragen, in dem sich ein Asylberechtigter befindet, welcher ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse im Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgungsstaat zurückzukehren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist demnach, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei auch dann führen, wenn - wie hier - eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 in DVBl. 2006, S. 511.

Eine derartige Sachlage ist im Falle des Klägers nicht gegeben. Zwar ist der Kläger vor seiner Ausreise körperlich misshandelt worden. Jedoch hat er weder vorgetragen noch ist erkennbar, dass er dabei derart schwere physische oder psychische Schäden davon getragen hat, dass diese auch derzeit noch in einem erheblichen Umfang nachwirken, so dass ihm eine Rückkehr nicht angesonnen werden könnte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zwar angegeben, die erlittenen Misshandlungen nicht vergessen zu können. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei nicht aus, zumal der Kläger sich offenkundig vorrangig um die Zukunft seiner Kinder und auch die wirtschaftliche Lage der Familie sorgte.

Hat die Beklagte demnach die im Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen, ist auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen des Klägers ebenfalls nur mit Blick auf die geäußerte Befürchtung erneuter staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit den Vorgängen vor der Ausreise in Betracht. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, kann insoweit jedoch nicht von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden.

Schließlich ist auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 17.7.2008 erhobene Anfechtungsklage auch gegen diese Feststellung gerichtet ist. Ungeachtet der Frage des richtigen Rechtsbehelfs kann auch hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Ergänzend wird folgendes hinzugefügt: Auch bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist stets der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

vgl. BVerwG, Urteile vom 24.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -.

Ausgehend vom Sachvortrag des Klägers kommt auch hier lediglich eine ihm im Rückkehrfalle drohende Gefahr erneuter Folter bzw. Misshandlung durch türkische Sicherheitskräfte in Betracht. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende derartige Gefahr ist jedoch nach den vorangegangenen Darlegungen, auf die auch hier Bezug genommen werden kann, nicht anzunehmen. Die Vermutungsregelung des auch im Rahmen der Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG wirkt sich auch hier nicht zugunsten es Klägers aus, da - wie ausgeführt - stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dementsprechend liegt weder ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG noch ein solches im Sinne des nachrangig zu prüfenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Für sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 AufenthG, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG oder § 60 Abs. 4 AufenthG sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17.7.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. Das Bundesamt hat auch zu Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die – hier streitgegenständliche - Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. bis zum 1.1.2005 des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere ist die beabsichtigte Entscheidung über den Widerruf entsprechend § 73 Abs. 4 AsylVfG dem Kläger zuvor schriftlich mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Auch begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt

vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier - die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird

vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2007 - 10 C 24.07 -, Buchholz 204.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N..

Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG ist in Fällen wie dem vorliegenden keine Ermessensentscheidung erforderlich

Vgl. ausführlich BVerwG, Urteile v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – u.a. sowie Urteile v. 1.6.2011 – 10 C 10.10 – u. – 10 C 25.10 -, juris.

Das Bundesamt hat im Ergebnis auch zu Recht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bejaht, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“) und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2.3.2010 (Rs C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist und zwar auch in Fällen, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss

vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 –, a.a.O..

In seinen jüngsten Urteilen vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 und 10 C 25.10 – hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit nochmals hervorgehoben, dass eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände im vorgenannten Sinne voraussetzt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht

vgl. zu letzterem auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 -1 C 21/04 -, DVBl. 2006, 511.

Es muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen, soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dabei dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweisen muss, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbarer Zeit kann indes nicht verlangt werden.

Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland verhält sich grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit des Weiteren ausgeführt, dass wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit der Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden kann, vielmehr unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Die Richtlinie 2004/83/EG kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird

vgl. zu allem Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 – m.w.N. sowie EuGH, Urt. vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., juris.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist demnach bei der Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf den Maßstab einer hinreichenden Sicherheit vor weiterer Verfolgung abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in den vorgenannten Entscheidungen vielmehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt wurde, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen war, ausdrücklich abgerückt.

Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, juris.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung hiervon erfasst wird, etwa auch Veränderungen in der Person des Begünstigten

vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Die zuständigen Behörden und Gerichte müssen sich mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 a.a.O.;

Dementsprechend ist bei der nach den vorgenannten Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist die Feststellung, dass sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls im Falle des konkret betroffenen Flüchtlings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. Hingegen ist für den Widerruf nicht erforderlich, dass im Herkunftsland des betroffenen Ausländers nunmehr umfassender Schutz vor Verfolgung gewährt wird oder es zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt

vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Ist eine grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände im vorgenannten Sinne zu bejahen, so ist es für den Widerruf des Weiteren unerheblich, ob die Flüchtlingsanerkennung zu Recht erfolgt war

vgl. BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89.

Ausgehend davon ist ein Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Der Kläger wurde mit Bescheid vom 10.3.2000 als Flüchtling anerkannt, weil das Verwaltungsgericht des Saarlandes in dem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - davon ausgegangen war, dass der Kläger in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt worden und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert gewesen sei. Im Jahre 1994 sei er anlässlich des Newrozfestes bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und unter dem Vorwurf, mit seinem Minibus PKK-Mitglieder und Lebensmittel für diese transportiert zu haben, zwei Tage lang verhört worden. Er sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, so dass er einen Bruch der Wangenknochen davon getragen habe. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Diese die Verfolgungsfurcht des Klägers begründenden Umstände können als dauerhaft beseitigt angesehen werden.

Seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers im März 2000 haben sich - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven verändert, so dass im konkreten Fall des Klägers – auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten – keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung mehr besteht.

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt

vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Lagebericht) vom 8.4.2011.

Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetzte verabschiedet

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Abgesehen von der Beendigung des Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt waren, sind insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, den Zugang zu einem Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen

vgl. Fortschrittsbericht der EU vom 6.11.2007; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Bericht vom 6.9.2006, S. 11 f., http://www.cpt.coe.int/documents/tur/2006-30-inf-eng.pdf.

Zu dem Reformpaket gehören auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung von Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 17.7.2008 verwiesen.

Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen

vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Türkei vom 8.4.2011

Im Jahr 2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsieht. Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 6.

Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren

vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 11.1.2007 und vom 3.5.2005.

Die türkische Regierung hat erkannt, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur demokratischen Öffnung, das derzeit allerdings zum Stillstand gekommen ist, der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf kurdisch und Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 11, 12.

Allerdings wird in den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen übereinstimmend nach wie vor von Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen unbeachtet bleiben. Die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht zufriedenstellend

vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.4.2011, S. 7 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Helmut Oberdiek, Türkei, update: Aktuelle Entwicklungen, 9.10.2008; Fortschrittsbericht Türkei der EU vom 6.11.2007; ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010; U.S. Departement of State, 2010, Human Rights Report: Turkey vom 8.4.2011, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrtt/2010/eur/154455.htm.

So berichtet etwa das Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen. Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten würden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Des Weiteren sei es der türkischen Regierung trotz zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verhinderung von Folter (etwa auch der Erhöhung der Strafandrohung) und trotz nachweisbarer Verbesserungen bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen sei. Nach Angaben von Menschenrechtsverbänden sei jedoch die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die in Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- und Misshandlungsfällen stehen, 2010 landesweit zurückgegangen. So seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 (2009: 252, 2088: 269) Personen registriert worden, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden seien. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es würden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt würden. Des Weiteren sei es 2010 zu über 27 sog. extra-legalen Tötungen durch Sicherheitskräfte gekommen

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Die vorstehend dargestellten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes stimmen in den Grundzügen mit denjenigen von amnesty international überein, wenn auch etwa die Anzahl der im Jahr 2010 verzeichneten Folteropfer von der vom Auswärtigen Amt mitgeteilten Zahl abweicht und ai die mitgeteilten Fakten etwas kritischer bewertet. Auch nach Angaben von ai gab es in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt sei. Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen, der notwendige grundlegende Wandel sei damit jedoch nicht vollzogen worden. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien noch immer ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte eingeschränkt.

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Ähnlich wie ai äußert sich auch Helmut Oberdiek für die Schweizerische Flüchtlingshilfe

vgl. Oberdiek, Türkei, Zur aktuellen Situation – Oktober 2007.

Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Zur Entwicklung in den letzten Jahren sowie der Stellung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen kann zunächst auf die entsprechenden ausführlichen Darlegungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch aus den neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Ergodan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“ (zuvor „Kurdischen Öffnung“), die auf eine Lösung der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir, aus der der Kläger stammt, auch in jüngerer Zeit Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen kritisch bewertete (Massen)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im Vergleich zu den 90er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in den 90er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert.

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; sowie zusammenfassendes Protokoll der Gesprächsreise von Rechtsanwalt Tahir Elci im Juni 2010.

Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bieten keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass in der Türkei seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers tiefgreifende Reformen stattgefunden haben und die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten 10 Jahre im Hinblick auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener Hinsicht nicht denen Westeuropas entsprechen. Der Reformprozess dauert inzwischen schon ca. ein Jahrzehnt an und wird prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und hat sich daher den sog. Kopenhagener Kriterien unterworfen. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und den Fortschrittsbericht veröffentlicht. Von daher sind die seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers in der Türkei stattgefundenen Veränderungen durchaus als dauerhaft einzustufen, auch wenn es – wie ai und Helmut Oberdiek anmerken – in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte gegeben hat und der Reformprozess, was die Lösung der Kurdenfrage betrifft, seit Mai 2010 stagniert.

Ob angesichts der dargestellten Verhältnisse in der Türkei allerdings generell die Feststellung getroffen werden kann, dass - wie im angefochtenen Bescheid angenommen - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung oder ähnlichem, oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes oder sonstiger Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen hatten, heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt sind, erscheint fraglich. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Denn für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung ist - wie dargelegt - nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt. Vielmehr ist in Abhängigkeit von den konkreten Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, festzustellen, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und dass deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hat

vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 - sowie Beschluss vom 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. v. 24.2 2011 – 10 C 5/10 -, juris, wonach sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.

Bezogen auf die individuelle Situation des Klägers haben die vorstehend dargestellten Änderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei und die damit einhergehende Entspannung der Verhältnisse auch im Südosten des Landes seit der Flüchtlingsanerkennung aber jedenfalls eine solche Auswirkung, dass nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vorgängen, die 1994 und 1995 zu Misshandlungen führten, weiterhin bzw. erneut polizeiliche oder sonstige behördliche Maßnahmen von asylerheblicher Intensität befürchten muss. Als Flüchtling anerkannt wurde der Kläger – wie ausgeführt - vor allem im Hinblick auf die Annahme, dass er 1994 bei den Heimatbehörden als möglicher Sympathisant der PKK registriert war, weil man ihn verdächtigte, für diese Transporte durchzuführen. Bei der anzustellenden Prognose einer dem Kläger heute noch drohenden Verfolgungsgefahr fällt zunächst ins Gewicht, dass die dem Kläger im Jahr 1994 vorgehaltenen vermeintlichen Unterstützungshandlungen für die PKK in Gestalt gelegentlicher Transportfahrten nur untergeordneter Natur waren und es – da der Vorwurf eigenen Angaben des Klägers zufolge unbegründet war - dafür auch keinerlei Beweise gab, weshalb man ihn jeweils nach kurzer Zeit auch wieder freigelassen habe. Zudem liegen die Vorwürfe mittlerweile mehr als sechzehn Jahre zurück. Darüber hinaus wäre die dem Kläger ehemals vorgeworfene Unterstützung der PKK durch gelegentliche Transportfahrten heute nach türkischem Strafrecht ohnehin nicht mehr zu verfolgen. In Betracht gekommen wäre zur vermeintlichen Tatzeit insoweit eine Bestrafung gemäß Art. 169 Türkisches StGB (TStGB) von 1926 wegen Unterstützung einer bewaffneten Organisation und zwar mit einer Strafe von 4,5 bis 7,5 Jahren (Art. 159 i.V.m. Art. 4, 5 Antiterrorgesetz). Diese Tat wäre aber unter die Amnestie vom 21.12.2000 durch das Gesetz Nr. 4616 (betreffend bedingte Freilassungen und die Aussetzung von Strafverfahren sowie von der Vollstreckung von Strafen im Falle von bis zum 23. April 1999 begangener Straftaten) gefallen. Diese gewährte einen Straferlass von zehn Jahren, was bei Straftaten mit einer Strafe unter zehn Jahren eine Straffreistellung bedeutete

vgl. Gutachten Dr. Silvia Tellenbach an das VG Osnabrück vom 26.11.2006 sowie an das VG Freiburg vom 4.6.2007; Serafettin Kaya an VG Berlin vom 9.8.2006 und an OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Auch nach Angaben des Sachverständigen Kamil Taylan in seinem Gutachten für den Senat vom 11.2.2011 ist die vom Kläger in diesem Verfahren berichtete tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergung von PKK-Aktivisten o.ä. in den 90er Jahren heute als Delikt im Sinne des TStGB verjährt. Diese Verjährung betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die Ablehnung eines Dorfschützeramtes bzw. einer Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitskräften, „auch durch Flucht ins Ausland“.

Damit wären die dem Kläger im Jahr 1994 unterstellten gelegentlichen Transporte von PKK-Anhängern bzw. Lebensmitteln für die PKK mittlerweile jedenfalls straffrei.

Auch sind dem Gutachter Kamil Taylan keine aktuellen Verfahren gegen in die Türkei zurückgekehrte Personen bekannt, die, wie der Kläger, bis Ende der 90er Jahre in den Verdacht geraten sind, die PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergungen oder ähnlichem unterstützt zu haben und deswegen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren

vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das OVG des Saarlandes vom 11.2.2011.

Damit vergleichbar hält auch der Gutachter Serafettin Kaya die Gefahr für eine im Jahr 1995 wegen der Unterstützung der TDKP in Verdacht geratene Person, die, ebenso wie vorliegend der Kläger, nicht verurteilt worden war, im Falle einer Rückkehr nicht für beachtlich wahrscheinlich

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Soweit der Kläger darüber hinaus als mitursächlich für seine Ausreise angegeben hat, dass er sich dem auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützer-amtes habe entziehen wollen, was allerdings ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 für die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht von Bedeutung war, droht ihm in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr ebenfalls keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ablehnung der Übernahme des Dorfschützeramtes keine strafrechtliche Relevanz besitzt

vgl. ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Darüber hinaus haben sich die Verhältnisse in der Türkei seit der Ausreise des Klägers auch betreffend die Dorfschützerproblematik grundlegend geändert, so dass nicht angenommen werden kann, dass der Kläger heute insoweit nochmals Beeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das System der Dorfschützer in der zuvor praktizierten Form nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursämter der Provinzen vom 24.4.2000 wurde angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten vom 28.1. 2007 an das VG Aachen; ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem ersichtlich auch eingehalten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerseits geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich - wie oben bereits ausgeführt - inzwischen wesentlich geändert. Das Mitte der 80er Jahre geschaffene und in den 90er Jahren weiter ausgebaute System diente u. a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt) und später - entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung als „verlängerten Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten. Seit der Entspannung der Situation und dem Rückgang der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei und der von der türkischen Regierung verfolgten Politik der sog. „demokratischen Öffnung“ wurden neue Dorfschützer nicht mehr benötigt, so dass die türkischen Sicherheitskräfte auch keinen Druck mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben brauchten, auch wenn das Dorfschützersystem nicht insgesamt abgeschafft wurde. Letzteres liegt u.a. daran, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den kurdischen Provinzen mit sich brächte, weil damit viele - zudem bisher staatsloyale - Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb bis hin zu ihrer Rentenberechtigung verlören.

vgl. ai, Gutachten vom 18.7.2003 an VG Frankfurt; vgl. zu alledem auch ausführlich OVG Koblenz, Urteil vom 17.12.2010 - 10 A 10911/10 -, juris.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu befürchten hat.

Nichts anderes ist im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers anzunehmen, welche sich nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf beschränkten, wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Dabei handelt es sich eindeutig um eine Betätigung niedrigen Profils. Die bloße Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen stellt kein Verhalten dar, das sich von demjenigen der meisten in Deutschland lebenden Kurden aus der Türkei unterscheidet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes begründet jedoch nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, d. h. eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr

vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteile vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 -, juris und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris; sowie Beschluss vom 21.12.2009 - 3 A 275/09 -.

Neuere Erkenntnisse, die Anlass zu einer anderen Beurteilung böten, liegen nicht vor. Vielmehr führt etwa das Auswärtige Amt in seinem jüngsten Lagebericht vom 8.4.2011 ebenso wie bereits in verschiedenen vorangegangenen Lageberichten bzw. Stellungnahmen aus, dass (nur) türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit Ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würden, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten, was vorliegend jedoch nicht erkennbar ist.

Ist somit bereits nach den vorangegangenen Ausführungen nicht zu erwarten, dass die türkischen Sicherheitskräfte heute noch ein Interesse an der Person des Klägers haben, so findet dies eine weitere Bestätigung in den vom Senat eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von Kamil Taylan.

So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13.10.2010 zu den im Beweisbeschluss des Senats vom 16.7.2010 gestellten Fragen mitgeteilt, dass Nachforschungen eines beauftragten Vertrauensanwalts im Falle des Klägers ergeben hätten, dass an den maßgeblichen Orten, nämlich am Ort der personenstandsamtlichen Registrierung und am letzten Wohnort des Klägers keine behördlichen Vorgänge gegen ihn vorhanden seien. Auch bei der Sicherheitsdirektion Istanbul und der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sei der Kläger nicht aktenkundig. Es habe auch kein Fahndungsersuchen nach ihm festgestellt werden können. Im Hinblick darauf seien keine Hinweise dafür vorhanden, dass der Kläger bei Rückkehr in die Türkei in den Fokus der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte bzw. mit staatlichen Repressalien wegen der behaupteten früheren Aktivitäten zu rechnen hätte.

Auch der Sachverständige Taylan bestätigt in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, über türkische Anwälte in Erfahrung gebracht zu haben, dass über den Kläger in zentralen Fahndungsregistern keine Einträge vorhanden seien, d. h., dass der Kläger nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei, auch kein Haftbefehl gegen ihn existiere und derzeit auch kein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei wegen seiner Aktivitäten in den 90er Jahren politisch verfolgt werde. Es sei auch derzeit kein einziges Verfahren in der Türkei bekannt, worin ein Rückkehrer wegen Verfehlungen, wie sie dem Kläger vorgeworfen worden seien, angeklagt sei oder sich in U-Haft befinde bzw. deswegen sonstigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Ein Verfahren gegen einen zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1994 in den Verdacht geraten war, die PKK durch Transportfahrten unterstützt zu haben, hält der Gutachter wegen der Verjährung dieser Taten für ausgeschlossen, auch wenn die betroffene Person damals kurzfristig festgenommen und misshandelt worden sowie in ihrer Heimatregion als Verdächtiger registriert war.

Dafür, dass – wie das Auswärtige Amt und Kamil Taylan festgestellt haben – der Kläger in der Türkei tatsächlich nicht mehr als Verdächtiger bzw. Sympathisant der PKK registriert ist, spricht im Übrigen auch, dass aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 keine Suchvermerke mehr ins Personenstandregister eingetragen werden und Angaben türkischer Behörden zufolge Mitte Februar 2009 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregister gelöscht wurden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Der darüber hinausgehenden Anmerkung des Sachverständigen Taylan in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, wonach mit Blick darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Unterstützer und Sympathisant der PKK aktiv gewesen sei, die Gefahr einer politischen Verfolgung „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden könne, lässt sich die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger weiterhin drohenden politischen Verfolgung ebenfalls nicht entnehmen. Die Gefahr einer solchen Verfolgung erachtet auch Kamil Taylan wörtlich als „sehr gering“ bzw. „verschwindend klein“; er vermag sie angesichts der seiner Meinung nach „chaotischen Verhältnisse in der türkischen Justiz“ nur nicht ganz auszuschließen. Eine so hohe Prognosesicherheit, dass eine Verfolgungsgefahr ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden kann, was letztlich einen kaum zu gewährleistenden Schutzstandard bedeutete, wird jedoch für die Annahme eines Wegfalls der Anerkennungsvoraussetzungen nicht gefordert. Vielmehr hätte bei dem vom Gutachter umschriebenen Wahrscheinlichkeitsgrad nach der früheren Rechtsprechung sogar eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht werden können. Nach dieser Rechtsprechung konnte vom Fehlen hinreichender Sicherheit vor der Wiederholung von Verfolgungshandlungen nicht schon bei jeder noch so geringen Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts ausgegangen werden. Vielmehr war über eine „theoretische“ Möglichkeit hinaus erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus „reale“ Möglichkeit erscheinen ließen

vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1992 – 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 f.

Auch amnesty international hält zumindest eine gerichtliche Verfolgung aufgrund der dem Kläger früher vorgeworfenen Aktivitäten für nicht wahrscheinlich. Auch ansonsten lässt sich der Stellungnahme vom 31.1.2011 an den Senat, welche sich auf allgemeine Ausführungen zur Gefährdungslage von Rückkehrern beschränkt, ohne jedoch die individuelle Situation des Klägers näher zu beleuchten, eine dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt zunächst, soweit ai ganz allgemein die Gefahr sieht, dass einreisende ehemalige Asylsuchende bereits während der Dauer der im Regelfall erfolgenden Erkundigungen bei den Heimatbehörden misshandelt werden. Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer solchen allen Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, drohenden Gefahr steht entgegen, dass in den letzten Jahren konkrete derartige Fälle nicht verzeichnet wurden.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist diesem in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in den ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei; dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei kein Fall genannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder oder führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Nach Auskunft der Vertretungen von EU-Mitgliedstaaten in Ankara (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie von Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2011 sei auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt gewesen seien

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Konkrete Fälle, die den vorgenannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes entgegen stehen, hat auch ai nicht benannt. Von daher kann jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger schon allein während einer routinemäßigen Nachfrage bei den Behörden seines Heimatortes Misshandlungen drohen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach zurückkehrende Asylbewerber jedenfalls nicht routinemäßig - d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert bzw. asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt werden

vgl. etwa Urteil vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris.

Soweit ai darüber hinaus die Gefahr eines Verhörs - und in diesem Zusammenhang auch von Folter - sieht, sobald gegen den Rückkehrer ein Eintrag oder ein polizeiinterner Suchbefehl vorliegt, ist eine diesbezüglich beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers ebenfalls nicht anzunehmen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - nach entsprechenden überzeugenden Angaben des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan in der Türkei derzeit nicht aktenkundig ist und keine behördlichen Vorgänge über ihn existieren. Die von ai lediglich in theoretischer Weise in den Blick genommen Risikofaktoren eines noch bestehenden Suchinteresses sind nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan im Falle des Klägers vielmehr zu verneinen.

Nach alledem ist ein aktuelles Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger (und damit einhergehend die Gefahr weiterer Ermittlungen und Misshandlungen) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, vielmehr nahezu auszuschließen.

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass die türkischen Sicherheitskräfte gegen eine in der jüngeren Zeit wieder verstärkt militärisch operierende PKK nochmals nachhaltig vorgehen und dies zu einer erneuten Verschlechterung der Verhältnisse in seiner Heimatregion führen könnte, bietet dies keinen Anlass zu der Annahme, dass eine langjährig zurückliegende Unterstützung der PKK relativ geringfügiger Art, wie sie bei dem Kläger vermutet wurde, im Falle einer Rückkehr Anlass für weitergehende Behelligungen sein könnte, nachdem in diesem Zusammenhang keinerlei behördliche Vorgänge und Registrierungen hinsichtlich des Klägers mehr vorliegen.

Schließlich droht dem Kläger auch im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr keine Gefährdung. Eine Gruppenverfolgung von Kurden lag weder im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung des Klägers vor noch kann hiervon aktuell ausgegangen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Urteile vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - und vom 29.3.2000 - 9 R 10/98 -, juris.

und auch aller weiteren Obergerichte, welche im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt wurde. Auf diesen wird insoweit Bezug genommen. Weiterer Darlegungen bedarf dies nicht, da sich der Kläger im anhängigen Verfahren auch nicht auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Kurden berufen hat.

Haben sich nach alledem im Falle des Klägers die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse seither erheblich verändert, steht der Annahme des nachträglichen Wegfalls der die Flüchtlingsanerkennung begründenden Umstände schließlich auch nicht die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anwendbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG entgegen, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., juris.

Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten.

Zwar hat der Senat keinen Anlass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers in Zweifel zu ziehen, wonach er im Rahmen einer zweitägigen Festnahme im Jahr 1994 mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde, dabei einen Bruch der Wangenknochen erlitt und auch anlässlich eines mehrstündigen Verhörs in Istanbul im Jahre 1995 erneut misshandelt wurde, wovon auch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - ausgegangen ist. Von daher liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG formulierten Vermutung vor. Ausgehend von den vorstehend dargestellten Veränderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den oben dargestellten, dem Kläger zu Gute kommenden Amnestie- bzw Verjährungsregelungen sowie der Tatsache, dass derzeit in der Türkei bezüglich des Klägers keinerlei Fahndungsersuchen, Registereintragungen oder sonstige behördliche Vorgänge wegen des Verdachts einer Unterstützung der PKK mehr existieren, sprechen jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die in der Türkei trotz der durchgeführten Reformen im Einzelfall nicht auszuschließende Gefahr der Folter besteht vor allem bei Ermittlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen bestimmte Personen wegen der Verdächtigung, politische Straftaten begangen zu haben. Für solche Ermittlungen gegen den Kläger besteht nach dem Vorgesagten aber kein Anlass mehr.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch ohne Weiteres anzunehmen, dass die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur ist, vielmehr die Faktoren, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Angesichts der dem Kläger zugute kommenden Amnestie- bzw. Verjährungsregelungen sowie des im Zuge der Beweiserhebung des Senats zu Tage getretenen gänzlich fehlenden aktuellen Interesses der türkischen Behörden an der Person des Klägers ist nicht erkennbar, dass diesem auf absehbare Zeit erneute Verfolgung drohen könnte. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren geeignete Schritte unternommen hat, um die der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen (insbesondere der Amnestie- und Verjährungsregelungen sowie des Beseitigens von Registereintragungen) ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei nunmehr vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen nachhaltig geschützt ist.

Sind danach aufgrund einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse in der Türkei diejenigen Umstände weggefallen, auf denen die begründete Furcht vor Verfolgung und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruhten, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils einem Widerruf nicht entgegensteht. Denn bei einer solchen wesentlichen Veränderung der Sachlage endet auch die Rechtskraft des Urteils.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, hat dieser nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Hat die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger wegen einer erheblichen und dauerhaften Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände keine begründete Furcht vor Verfolgung mehr haben muss, war vom Widerruf auch nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen zwingender auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe abzusehen. Solche zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe, um eine Rückkehr in die Türkei abzulehnen, liegen im Falle des Klägers nicht vor. Mit § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird insbesondere der psychischen Sondersituation Rechnung getragen, in dem sich ein Asylberechtigter befindet, welcher ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse im Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgungsstaat zurückzukehren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist demnach, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei auch dann führen, wenn - wie hier - eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 in DVBl. 2006, S. 511.

Eine derartige Sachlage ist im Falle des Klägers nicht gegeben. Zwar ist der Kläger vor seiner Ausreise körperlich misshandelt worden. Jedoch hat er weder vorgetragen noch ist erkennbar, dass er dabei derart schwere physische oder psychische Schäden davon getragen hat, dass diese auch derzeit noch in einem erheblichen Umfang nachwirken, so dass ihm eine Rückkehr nicht angesonnen werden könnte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zwar angegeben, die erlittenen Misshandlungen nicht vergessen zu können. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei nicht aus, zumal der Kläger sich offenkundig vorrangig um die Zukunft seiner Kinder und auch die wirtschaftliche Lage der Familie sorgte.

Hat die Beklagte demnach die im Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen, ist auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen des Klägers ebenfalls nur mit Blick auf die geäußerte Befürchtung erneuter staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit den Vorgängen vor der Ausreise in Betracht. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, kann insoweit jedoch nicht von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden.

Schließlich ist auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 17.7.2008 erhobene Anfechtungsklage auch gegen diese Feststellung gerichtet ist. Ungeachtet der Frage des richtigen Rechtsbehelfs kann auch hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Ergänzend wird folgendes hinzugefügt: Auch bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist stets der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

vgl. BVerwG, Urteile vom 24.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -.

Ausgehend vom Sachvortrag des Klägers kommt auch hier lediglich eine ihm im Rückkehrfalle drohende Gefahr erneuter Folter bzw. Misshandlung durch türkische Sicherheitskräfte in Betracht. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende derartige Gefahr ist jedoch nach den vorangegangenen Darlegungen, auf die auch hier Bezug genommen werden kann, nicht anzunehmen. Die Vermutungsregelung des auch im Rahmen der Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG wirkt sich auch hier nicht zugunsten es Klägers aus, da - wie ausgeführt - stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dementsprechend liegt weder ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG noch ein solches im Sinne des nachrangig zu prüfenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Für sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 AufenthG, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG oder § 60 Abs. 4 AufenthG sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Tenor

Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit der Kläger seinen Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1964 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und alevitischer Religionszugehörigkeit aus M . Am 28.11.2002 hat er sein Heimatland seinen Angaben nach auf dem Luftweg verlassen und ist am selben Tag in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 11.12.2002 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter unter Vorlage eines Schreibens seiner Prozessbevollmächtigten vom 5.12.2002. Danach hat er von 1970 bis 1975 in seinem Heimatort in der Provinz A die Grundschule besucht. Dann sei die Familie in die Provinz M umgezogen. Im August 1994 habe er mit Ehefrau und Kindern sein Dorf verlassen müssen und sei nach M gezogen. Seit 1995 sei er in der HADEP engagiert, er habe sich für diese Partei in M an propagandistischen Aktionen wie Flugblattverteilungen und Demonstrationen beteiligt. Im Zusammenhang mit seiner politischen Betätigung sei er insgesamt viermal - jeweils in M - festgenommen und kurzfristig inhaftiert worden. Erstmals sei er am 1.5.1996 anlässlich der Maidemonstration festgenommen und nach drei Tagen Polizeihaft entlassen worden. Seine zweite Festnahme sei am 10.10.1997 erfolgt. Hintergrund sei eine Auseinandersetzung zwischen der türkischen Armee und Guerillakämpfern in M gewesen. Er sei damals zwei Tage lang festgehalten worden. Zur dritten Festnahme sei es am 3.7.1999 im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers an einer Unterschriftenaktion des Menschenrechtsvereins gegen das Todesurteil von PKK-Führer Öcalan gekommen. Damals sei er für drei Tage inhaftiert worden. Vor dem Staatssicherheitsgericht Adana sei seinerzeit ein Verfahren gegen ihn und andere Personen anhängig gewesen. In einem Beschluss dieses Gerichts, den er in Kopie vorlege, seien er unter Nummer 4 und sein Bruder S unter Nummer 5 als Beschuldigte genannt. Sein Bruder sei deswegen gemäß § 51 I AuslG anerkannt worden. Zuletzt sei er, der Kläger, am 20.2.2002 in einem Café verhaftet und mit zur Polizeiwache genommen worden, am Folgetag jedoch wieder entlassen worden. Am selben Tag sei auch seine Ehefrau zu Hause festgenommen worden. Diese sei von den Sicherheitskräften mitgenommen worden, da sie ihn nicht gefunden hätten; seine Ehefrau sei anschließend vergewaltigt worden. Anlass für seine Ausreise seien die Vorgänge um das Newrozfest 2002 in M gewesen. Dort sei es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen, in deren Verlauf eine große Anzahl von Demonstranten festgenommen worden sei. Er selbst habe entkommen können, seine Frau sei jedoch festgenommen und drei Tage lang inhaftiert worden. Er habe sich sofort nach A abgesetzt und sich dort in den folgenden acht Monaten bei einem Freund versteckt. Während seine Ehefrau im Zusammenhang mit den Newrozereignissen inhaftiert gewesen sei, sei nach ihm von den Sicherheitskräften in der Ehewohnung gesucht worden. Dabei hätten sie sein Auto zerstört, die Fensterscheiben eingeschlagen und vor allem seinen Vater verprügelt; bei diesem Vorfall sei auch seine Tochter auf der Treppe gestürzt und habe sich verletzt. Bis zum 25.11.2002 habe er sich in A aufgehalten und von dort seine Flucht aus der Türkei angetreten.

Bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung seines Asylbegehrens am 18.12.2002 hat der Kläger zu seinem Asylbegehren weiter ausgeführt: In der Türkei sei er unterdrückt und festgehalten worden. Sie hätten ein Komitee in ihrem Wohnort gebildet und das Newrozfest 2002 vorbereiten wollen. Am 20.2.2002 sei er in einem Café verhaftet und auf die Polizeiwache verbracht worden. Dort sei er gefoltert und misshandelt worden. Ihm sei gedroht worden, er solle die Hände von diesen Dingen lassen, ansonsten würde man ihn umbringen. Am folgenden Tag sei er freigelassen worden. Einen Monat später hätten sie dann am 21.3.2002 das Newrozfest gefeiert. Es sei zu Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen, bei denen ein Mann und zwei Kinder getötet worden seien. Er selbst sei geflüchtet, als es zu den Ausschreitungen gekommen sei. Alle Bewohner des Viertels seien bei der Feier anwesend gewesen, auch seine Ehefrau und seine Kinder. Sie hätten sich um ein Feuer versammelt gehabt. Er habe gewusst, dass ihm Schlimmes widerfahren würde, wenn man ihn festnähme, und sei dann in eine Markthalle geflüchtet. Anschließend habe er sich zu dem Freund nach A begeben und sich dort bis zu seiner Ausreise aufgehalten. Er sei aber bereits zuvor aus politischen Gründen festgenommen worden. Seit 1994 sei er Mitglied der HADEP, er habe Plakate geklebt und Slogans auf Wände geschrieben. 1999 hätten sie ein Komitee gegründet und er sei Vorsitzender geworden. Dieses Komitee habe sich für die Gleichberechtigung der Kurden eingesetzt. Der HADEP habe er sich angeschlossen, weil diese Partei erreichen wolle, dass die Kurden die gleichen Rechte hätten wie die Türken. Die Partei sei für Menschenrechte und die Rechte der Unterdrückten, auch für die Arbeiter und Bauern, sie sei die Partei für die Werktätigen. 1993 habe er es abgelehnt, das Amt des Dorfschützers zu übernehmen. Deshalb hätten sie 1994 das Dorf verlassen müssen. Am 1.5.1996 sei er anlässlich einer Maidemonstration festgenommen und einen Tag später freigelassen worden. Ihm sei vorgeworfen worden, die Sicherheit des Landes zu stören. Am 10.10.1997 sei es zur zweiten Verhaftung gekommen. Es habe eine Auseinandersetzung zwischen der Polizei und militanten Leuten gegeben, womit er eigentlich nichts zu tun gehabt habe. Trotzdem sei er zu Hause festgenommen und drei Tage festgehalten worden. Ihm sei vorgeworfen worden, die Guerillas zu unterstützen. Am 3.7.1999 sei es zu einer weiteren Festnahme gekommen. Es sei um die Unterschriftenaktion beim Menschenrechtsverein gegen das Todesurteil von Öcalan gegangen. Er habe tatsächlich daran teilgenommen und die Unterschriften bei sich aufbewahrt. Diese Unterschriften habe die Polizei beschlagnahmt. Menschen hätten sich bei ihm versammelt gehabt, um diese Unterschriften zu leisten. Durch den Eingriff der Polizei sei ihre Aktion erfolglos gewesen. Er selbst habe sich dem Gericht gegenüber damit herausreden können, dass die Leute, die sich bei ihm getroffen hätten, sich wegen eines Trauerfalls bzw. Beileidsbekundung bei ihm eingefunden hätten. Bei ihm selbst sei keine Liste gefunden worden, sondern ausschließlich bei seinen Freunden. Er selbst habe die Liste nicht unterschrieben gehabt. Dazu sei es nicht gekommen. Es habe sich bei der Unterschriftenaktion um eine gemeinsame Aktion seiner Partei mit dem Menschenrechtsverein gehandelt. Die Freunde, bei denen belastendes Material gefunden worden sei, seien erst nach 58 Tagen freigelassen worden. Zwischen diesen Ereignissen im Jahre 1999 und seiner Inhaftierung am 20.2.2002 habe es keinerlei Vorfälle mehr gegeben. Am 20.2.2002 sei er festgenommen worden, weil die Polizei die Veranstaltung des Newrozfestes habe unterbinden wollen. In der Türkei werde er gesucht; man werfe ihm vor, er habe andere Leute gegen den Staat aufgewiegelt. Bei dieser Demonstration seien viele Leute festgenommen worden wie in jedem Jahr. Angeblich solle er alles vorbereitet haben. Auf die Frage hin, ob er angesichts seiner Verhaftung zum 20.2.2002 und der Festnahme und Vergewaltigung seiner Ehefrau keine weitergehenden Befürchtungen für eine Teilnahme am Newrozfest 2002 gehabt habe, erklärte der Kläger, er habe sich nicht absondern können und mit seinem Volk für seine Freiheit kämpfen wollen. Wenn seine Frau in ihrem Asylverfahren angegeben habe, dass er selbst im Verlauf der Demonstration festgenommen worden sei, so könne dies nur daran liegen, dass seine Frau ihn nicht mehr gesehen habe und deshalb davon ausgegangen sei, dass er ebenfalls festgenommen worden sei wie andere. Er habe sie dann auch nicht mehr über seinen Verbleib informiert. Bei seiner Inhaftierung im Februar 2002 sei er schwer an den Hoden misshandelt worden und er habe dort immer noch Schmerzen.

Mit Bescheid vom 2.1.2003 hat die Beklagte den Asylantrag abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Unter Ausreiseaufforderung wurde dem Kläger angedroht, dass er, falls er die Ausreisefrist nicht einhalte, in die Türkei oder in einen anderen Staat abgeschoben werde, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Vorbringen des Klägers kein reeller Hintergrund beizumessen sei mit der Folge, dass irgendwie geartete Rückkehrbefürchtungen nicht zu hegen seien. Die im Asylverfahren der Ehefrau getroffene Einschätzung der Unglaubwürdigkeit bezüglich der angeblichen ausreiseauslösenden Ereignisse in der Türkei sei auch im Falle des Klägers zu treffen. Dies betreffe zunächst die Ausreisemodalitäten. Er habe aber auch keinen politischen Hintergrund dartun können, der die Annahme rechtfertigen könnte, er könnte seit 1994 Mitglied der HADEP und darüber ins Blickfeld türkischer Sicherheitsbehörden geraten sein. Widersprüche in seinem Vorbringen gebe es hinsichtlich der Dauer der Inhaftierungen, die im Anwaltsschriftsatz anders dargestellt worden seien. Widersprüche seien aber auch im Vergleich mit dem Vortrag der Ehefrau zu finden. Das vorgelegte Dokument über seinen angeblichen Freispruch durch das Staatssicherheitsgericht in Adana vom Vorwurf der Unterstützung einer illegalen Organisation sei in einer so schlecht leserlichen Kopie eingereicht worden, dass es nicht verwertbar sei. Das Verfahren habe jedenfalls mit einem Freispruch geendet und sei offensichtlich nicht ausreiseauslösend gewesen. Es bestünden jedoch auch Zweifel an der Echtheit des Dokumentes. Auch aus seiner kurdischen Volkszugehörigkeit könne er keinen Anerkennungsanspruch herleiten, da Kurden jedenfalls keine landesweite politische Verfolgung drohe und eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Ihm drohten folglich keine asylrelevanten Maßnahmen. Ein Anspruch gemäß § 53 AuslG bestehe nicht.

Die hiergegen erhobene Klage begründete der Kläger im Wesentlichen wie folgt: Die von der Beklagten hinsichtlich der vorgetragenen Reisemodalitäten und seines politischen Hintergrundes geäußerten Zweifel beruhten darauf, dass sie ihren Aussagen insoweit nicht den von ihm vorgetragenen Sachverhalt zugrunde gelegt habe. Die vermeintlichen Widersprüche in seinem Vorbringen seien eher geringfügig und ließen sich zudem leicht auflösen. Der erste der Widersprüche zwischen seinem Vorbringen und der Asylantragsschrift vom 5.12.2002 sei auf ein Missverständnis zwischen Kläger und Anwalt zurückzuführen. Der Widerspruch zu seiner zweiten Festnahme liege in der Berechnungsweise der Haftdauer. Auf die Widersprüche zum Sachvortrag der Ehefrau habe der Kläger gleich zu Beginn seines Asylverfahrens, nämlich mit der Asylantragsschrift hingewiesen. Da die Ehefrau beim Newrozfest 2002 zusammen mit ein paar hundert anderen Personen festgenommen worden sei und mitbekommen habe, wie Sicherheitskräfte auch auf ihren Ehemann zugegangen seien, um ihn festzunehmen, habe sie angenommen, dass er auch tatsächlich festgenommen worden sei. Sie habe nämlich nicht mitbekommen, dass ihr Ehemann habe entkommen können. Es wäre ihm auch ein Leichtes gewesen, seinen Vortrag im Asylverfahren dem seiner Ehefrau in ihrem anzupassen. Dass er dies nicht getan habe, spreche für seine Glaubwürdigkeit. Dagegen spreche auch nicht, dass er nach seinem Vortrag zusammen mit seiner Ehefrau einen Monat nach deren Vergewaltigung am Newrozfest 2002 teilgenommen habe. Denn bei jeder öffentlichen Protestaktion müsse mit dem Eingreifen der türkischen Polizei gerechnet werden und somit mit Auseinandersetzungen bzw. Festnahmen. Die Argumentation der Beklagten zu der vorgelegten Kopie des Dokuments des Staatssicherheitsgerichts sei nicht fair, da es ihr in besserer Form im Verfahren des Bruders des Klägers am 2.8.2001 übergeben worden sei. Dass dies der Beklagten bekannt sei, ergebe sich aus einem entsprechenden Aktenvermerk auf dem Anhörungsprotokoll vom 18.12.2002.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2.1.2003 zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG gegeben sind.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat schriftsätzlich Klageabweisung beantragt.

Der Beteiligte hat sich zu der Klage nicht geäußert.

Mit Urteil vom 17.6.2004 - 6 K 8/04.A - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe weder glaubhaft machen können, im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein noch befürchten zu müssen, im Falle einer Rückkehr in die Türkei politisch verfolgt zu werden. Es sei nicht ersichtlich, dass seitens der Sicherheitskräfte zielgerichtet seine Festnahme anlässlich des Newrozfestes im Jahre 2002 beabsichtigt gewesen sei. Vielmehr sei davon auszugehen, dass das Ziel der Polizeiaktion allein die Auflösung der Veranstaltung gewesen sei, da nach der Darstellung des Klägers insgesamt ein paar hundert Personen festgenommen worden seien. Auch die behauptete vorherige Festnahme im Februar 2002 könne ein derartiges Interesse der Sicherheitskräfte an seiner Person nicht belegen, da aufgrund der insgesamt unsubstantiierten und teilweise nicht plausiblen Angaben des Klägers im Zusammenhang mit diesem Ereignis bereits nicht unerhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Schilderungen bestünden. So sei schon nicht ersichtlich, warum der Kläger zu diesem Zeitpunkt in das Blickfeld der Sicherheitskräfte gelangt sein solle. Hätte die Polizei tatsächlich ernsthaft unterbinden wollen, dass sich der Kläger an der Organisation des Newrozfestes beteiligt, so wären sicherlich weitergehende Maßnahmen gegen ihn eingeleitet worden und man hätte ihn nicht am nächsten Tag ohne weitergehende Auflagen wieder freigelassen. Im Übrigen sei nicht plausibel, dass der Kläger trotz der behaupteten massiven Misshandlungen und Bedrohungen durch die Sicherheitskräfte während seiner Ingewahrsamnahme sowie der Tatsache, dass seine Ehefrau wegen der Suche nach ihm von den Sicherheitskräften vergewaltigt worden sein solle, sich unmittelbar nach seiner Freilassung weiterhin politisch betätigt und sogar Versammlungen in seinem eigenen Hause durchgeführt haben wolle, zumal er schon unmittelbar nach seiner Festnahme im Februar 2002 gegenüber seiner Ehefrau geäußert haben wolle, dass sie nicht länger in der Türkei bleiben könnten. Schließlich gebe es auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach seinem Untertauchen von März bis zu seiner Ausreise im November in irgendeiner Weise nach ihm gesucht worden sei. Auch aus seinem Vortrag, gegen ihn sei 1999 wegen der Teilnahme an einer Unterschriftenaktion Anklage vor dem Staatssicherheitsgericht in Adana erhoben worden, ergebe sich nichts für einen Asylanspruch. Der Kläger habe selbst nicht von irgendwelchen asylerheblichen Übergriffen gegen seine Person im Zusammenhang mit diesem strafrechtlichen Verfahren berichtet und sei darüber hinaus vom Vorwurf der Unterstützung einer verbotenen Organisation freigesprochen worden. Auch habe er vorgetragen, dass er bis zu seiner Verhaftung im Februar 2002 keinerlei Probleme mit den Sicherheitskräften gehabt habe. Aus den Vorfällen anlässlich der Kandidatur für das Amt des Dorfvorstehers im März 1999 ergebe sich ebenfalls keine asylrelevante Verfolgungsmaßnahme. Gleiches gelte unter dem Aspekt der Sippen- oder Geiselhaft hinsichtlich der Tatsache, dass bezüglich seines Bruders das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 51 I AuslG festgestellt worden sei. Auch aus seiner kurdischen Volkszugehörigkeit könne er nichts herleiten, da Kurden zumindest keiner landesweiten Gruppenverfolgung unterlägen und ihnen jedenfalls in den westlichen Teilen der Türkei eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Des Weiteren berge seine alevitische Religionszugehörigkeit für den Fall der Rückkehr keine beachtlich wahrscheinlichen Gefahren. Die Voraussetzungen des § 51 I AuslG und des § 53 AuslG lägen nicht vor.

Die auf Antrag des Klägers zugelassene Berufung begründet er damit, dass das Verwaltungsgericht fehlerhaft davon ausgegangen sei, dass sowohl er im hiesigen Verfahren als auch seine Ehefrau im Parallelverfahren von Nachstellungen nach dem Kläger noch nach dem Newrozfest 2002 nicht berichtet hätten. Tatsächlich hätten beide jedoch übereinstimmend erklärt, dass Sicherheitskräfte nach dem Kläger in der Ehewohnung gesucht, sein Auto zerstört, die Fensterscheiben eingeschlagen und insbesondere seinen Vater verprügelt hätten, und zwar zu der Zeit, als die Ehefrau anlässlich der Newrozfeierlichkeiten kurzfristig inhaftiert gewesen sei. Die Polizeiaktion habe zwar die Auflösung der Protestveranstaltung bezweckt, aber auch auf die Festnahme möglichst vieler Demonstranten abgezielt, da sich sonst die Polizei darauf beschränkt hätte, die Teilnehmer an den Protesten einfach auseinander zu treiben. Die Sicherheitskräfte hätten versucht, ihn bei den Newrozprotesten festzunehmen; diesem Versuch habe er sich durch Flucht entziehen können. Es sei jedoch davon auszugehen, dass sie ihn als Demonstrationsteilnehmer erkannt hätten, zumal er bereits vorher aus Sicht der Sicherheitskräfte einschlägig in Erscheinung getreten und seine Ehefrau bei den Newrozprotesten festgenommen worden sei. So erkläre sich, dass ihn die Sicherheitskräfte kurze Zeit später zu Hause gesucht hätten. Das Gericht verlange vom Kläger zuviel, wenn es erwarte, dass er darlege, weshalb die Sicherheitskräfte gerade 2002 hätten verhindern wollen, dass wie jedes Jahr das Newrozfest organisiert werde. Tatsache sei, dass in jenem Jahr die Polizei in besonders massiver Weise gegen die Newrozproteste in M vorgegangen sei. Es sei bei den Übergriffen der Polizei zur Festnahme einer dreistelligen Zahl von Personen gekommen. Außerdem liege nahe, dass die Polizei, wenn sie die Proteste unterbinden bzw. gegen die Teilnehmer und Organisatoren vorgehen wolle, schon bald im Vorfeld vorbeugende oder einschüchternde Maßnahmen gegen das verdächtige Umfeld ergriffen habe. Dafür sei der Kläger sicherlich keine Erklärung schuldig. Die weitere Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass nicht plausibel sei, wenn jemand, der in eigener Person oder im familiären Umfeld erhebliche staatliche Verfolgungsmaßnahmen habe erleiden müssen, sich weiterhin oppositionell betätige und sich erneuten Gefahren aussetze, verkenne, dass gerade solche Übergriffe zu einer Steigerung der Ablehnung der staatlichen Autorität, möglicherweise auch zunehmender Verbitterung beitrügen. Sie führten nicht zwangsläufig zu Resignation und Rückzug, sondern seien häufig Anlass zu verstärkter Aktivität. Der Entschluss zur Flucht entstehe auch nicht unbedingt aufgrund eines bestimmten Ereignisses, sondern könne auch Ergebnis eines längeren Prozesses der Überlegung sein, innerhalb dessen gegenläufige Tendenzen bestünden. Dass der Kläger gerade anlässlich des Newrozfestes untergetaucht sei, sei plausibel, da es entgegen der Annahme des Gerichts damals zu zielgerichteten Maßnahmen gegen ihn gekommen sei; man habe ihn zunächst schon bei den Protesten und anschließend zu Hause festzunehmen versucht. Auch aus dem Umstand, dass es nach den Ereignissen des Newrozfestes nicht zu Fahndungsmaßnahmen nach dem Kläger gekommen sei, könne nicht auf fehlendes Verfolgungsinteresse der Sicherheitskräfte an seiner Person geschlossen werden, da diese bereits bei ihrem vergeblichen Versuch anlässlich des Festes, ihn zu Hause festzunehmen, hätten feststellen müssen, dass er offensichtlich untergetaucht sei. Im Übrigen seien die Ereignisse des Jahres 1999 zwar nicht Flucht auslösend gewesen. Der spätere Freispruch habe die menschenrechtswidrige Behandlung im Zusammenhang mit seiner zweitägigen Inhaftierung aus Anlass der Unterschriftenaktion gegen das Todesurteil von Öcalan nicht ungeschehen gemacht. Diese Verfolgung verliere ihre politische Gerichtetheit nicht dadurch, dass er später vom Strafvorwurf freigesprochen worden sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 1.9.2005 hat der Kläger seinen Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, fallen lassen.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 I AufenthaltG vorliegen,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 II ff. AufenthaltG vorliegen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat schriftsätzlich Zurückweisung beantragt.

Der Beteiligte hat sich zu der Berufung nicht geäußert.

Der Senat hat den Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal und Oberarzt J G als seinen medizinischen Beistand informatorisch angehört.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten, der Gerichtsverfahrensakte der Ehefrau und der Kinder des Klägers nebst der dort beigezogenen Verwaltungsunterlagen sowie der in der dem Kläger überreichten Liste – Stand: 1. 8. 2005 - benannten Teile der Dokumentation Türkei, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Das Ausbleiben der Beklagten und des Beteiligten im Termin stehen einer Verhandlung und Entscheidung in der Sache nicht entgegen, da sie ordnungsgemäß und unter Hinweis auf § 102 II VwGO geladen worden waren.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Berufung – hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehrens - gemäß § 126 I VwGO zurückgenommen hat, war das Berufungsverfahren einzustellen und waren dem Kläger die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäß § 155 II VwGO aufzuerlegen.

Die Berufung im aufrecht erhaltenen Umfang ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die erhobene Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht zunächst kein Anspruch auf - die sinngemäß begehrte - Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG, der zum 1.1.2005 § 51 I AuslG ersetzt hat, zu.

Die Voraussetzungen für die Bejahung von Abschiebungsschutz im Sinne von § 60 I AufenthG sind deckungsgleich mit denjenigen des Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a I GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft – vorbehaltlich der Neuregelung in den Sätzen 3 (Anknüpfungspunkt „Geschlecht“ für Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) und 4 lit. c (nichtstaatliche Akteure) des § 60 I AufenthG.

Nach Art. 16a I GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch Verfolgter ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb seines Herkunftslandes befindet und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will. Art und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der menschlichen Würde. Soweit nicht eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit besteht, können politische Repressalien ein Asylrecht nur begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.

Politische Verfolgung ist grundsätzlich und typischerweise Verfolgung durch staatliche Organe und demnach dem jeweiligen Verfolgerstaat unmittelbar zuzurechnen. Der Herkunftsstaat hat indes auch politisch motivierte Übergriffe Dritter bei fehlender Schutzbereitschaft zu verantworten.

Als politisch verfolgt ist jeder Ausländer zu verstehen, der in eigener Person aus politischen Gründen im dargestellten Sinne Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet und daher in aussichtsloser Lage gezwungen ist, sein Herkunftsland zu verlassen, um Schutz und Zuflucht im Ausland zu suchen.

Vom Vorliegen begründet befürchteter unmittelbar drohender Gefahr eigener politischer Verfolgung ist dann auszugehen, wenn der Betroffene von gegen ihn gerichteten asylrelevanten Maßnahmen im Herkunftsland bisher verschont geblieben ist, ihn derartige Maßnahmen aber - weil der Verfolger ihn bereits im Blick hat - demnächst zu ereilen drohen. Eine drohende Gefahr in diesem Sinne muss also konkret und gegenwärtig zum Zeitpunkt der Flucht - d.h. als unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorstehend - zu erwarten sein.

Für die Beurteilung des Vorliegens politischer Verfolgung gelten unterschiedliche Maßstäbe, je nachdem, ob der asylsuchende Ausländer sein Herkunftsland auf der Flucht vor eingetretener oder konkret drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Bei festzustellender Vorverfolgung oder Ausreise wegen konkret drohender politischer Verfolgung ohne die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative im Herkunftsstaat erfordert die Anerkennung als Asylberechtigter, dass die fluchtbegründenden Umstände im Entscheidungszeitpunkt ohne wesentliche Änderungen fortbestehen oder mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist. Besteht hingegen hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung, scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aus. Das Fehlen hinreichender Sicherheit vor Verfolgung liegt bei vorverfolgt ausgereisten Asylsuchenden vor, wenn über die bloße Möglichkeit hinaus, Opfer eines erneuten Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte eine Wiederholung der ursprünglichen oder aber das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung als nicht ganz entfernte, d.h. reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dazu genügt nicht jede, noch so geringe Möglichkeit des abermaligen Verfolgungseintritts. Andererseits muss die Gefahr erneuter Übergriffe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.

Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, ist das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Droht dem Ausländer in einem Teil seines Heimatstaates regionale politische Verfolgung, so kann er auf andere Landesteile nur verwiesen werden, wenn diese den Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative entsprechen.

Politische Verfolgung vor der Ausreise ist rückschauend bezogen auf den letzten Wohn- und Aufenthaltsort des Asylsuchenden zu beurteilen. Die Frage einer drohenden politischen Verfolgung erfordert eine Prognose, die das jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick nimmt und auf die absehbare Zukunft ausgerichtet ist. Besteht die Gefahr nur in einem Teil des Herkunftslandes, kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, wenn ihm dort keine anderen nicht zumutbaren existenziellen Gefahren drohen.

Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht hat, dass er sein Heimatland aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen und für den Fall seiner Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu gewärtigen hat. Sein Vortrag ist in wesentlichen Teilen teils durch mangelnde Substantiiertheit und teils durch Widersprüche oder Ungereimtheiten gekennzeichnet.

Gegenüber dem Senat hat der Kläger seine Furcht vor einer Rückkehr in die Türkei damit begründet, dass ihm dort „viele Jahre im Gefängnis“ drohten. Nach dem Grund für die befürchtete Haft befragt, gab der Kläger pauschal an, politisch tätig gewesen zu sein, was den Behörden bekannt gewesen sei. Er habe sich dort zur Wahl gestellt; dass er gewählt worden sei, sei aber verhindert worden. Er sei für die HADEP, die spätere DEHAP tätig gewesen, und zwar im Jugendbereich.

Insofern kann zunächst davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt hatte, 1999 bei der Wahl zum Dorfvorsteher in seinem Stadtviertel von M kandidiert hat, wobei es sich nicht um eine Kandidatur für die Partei handelte, da dieses Amt nach Klägerangaben ein (partei-)neutrales Amt ist. Auch wenn die Wahl zu seinem Nachteil manipuliert worden sein sollte, so hat er wegen dieser Kandidatur nach seinem Vortrag in der Folge keine Verfolgung erlitten oder zu befürchten gehabt und eine solche ist auch für die Zukunft nicht zu erwarten.

Dass der Kläger tatsächlich seit 1994 Mitglied der HADEP war, bei der es sich bis zu ihrem Verbot im Jahre 2003 um eine legale Partei handelte, ist indes bereits fraglich. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten hat er ausweislich des Protokolls nichts Konkretes zu ihren ideologischen Zielen angeben können, sondern sich auf Aussagen wie „Partei für Menschenrechte“, „... ist für die Rechte der Unterdrückten“, „für die Leute, die durch ihrer Hände Arbeit ihr Geld verdienen" beschränkt. Auf die Frage des Senates nach dem Aufnahmeverfahren bei der HADEP hat er – offensichtlich ohne Kenntnis des eher förmlichen Aufnahmeverfahrens - angegeben, man werde dort dadurch registriert, dass man in ein Heft eingetragen werde.

Der Kläger, der sich auf erlittene politische Verfolgung beruft, ist nach seiner Darstellung insgesamt viermal festgenommen worden, einmal einer drohenden Festnahme entkommen und dann aus seinem Heimatland geflüchtet.

Danach habe die erste Festnahme am 1.5.1996 anlässlich einer von der Gewerkschaft organisierten und von HADEP-Mitgliedern durch ihre Teilnahme unterstützten Mai-Demonstration stattgefunden, bei der er nach einem Tag wieder freigelassen worden sei. Die zweite Festnahme am 10.10.1997 sei wegen einer Auseinandersetzung zwischen der Polizei und „militanten Leuten“ erfolgt, mit der er eigentlich nichts zu tun gehabt habe, und habe zu einer dreitägigen Inhaftierung geführt, bei der ihm vorgeworfen worden sei, die Guerilla unterstützt zu haben. Beide Festnahmen – die Richtigkeit des Vortrags unterstellt – dienten ersichtlich lediglich der Überprüfung, hatten nur eine relativ geringfügige Haftzeit zur Folge, die mangels entsprechender Hinweise durch den Kläger offensichtlich nicht von Übergriffen gegen ihn gekennzeichnet war. Eine Asylrelevanz ist insofern bei diesen Festnahmen, die auch nicht zu seiner späteren Ausreise führten, nicht feststellbar. In beiden Fällen ist es deshalb unerheblich, ob der Kläger die insoweit zwischen Inhalt seines anwaltlichen Schriftsatzes bei Asylantragstellung und dem seiner Ausführungen bei seiner Anhörung bestehenden Widersprüche – bei unsubstantiierter Darstellung im Übrigen - ausgeräumt hat.

Zur dritten Festnahme ist es nach dem Vortrag des Klägers am 3.7.1999 im Zusammenhang mit einer vom Menschenrechtsverein und der HADEP organisierten Unterschriftenaktion gegen das Todesurteil Öcalans gekommen; er sei beim Staatssicherheitsgericht Adana angeklagt, dann jedoch freigesprochen worden, weil man ihm nichts habe nachweisen können. Zum Beweis dieses Verfahrens hat er eine Kopie eines Beschlusses dieses Gerichts vorgelegt (Bl. 35 ff. VU = Bl. 56 ff. VU Ehefrau), das u.a. ihn und seinen Bruder als Beschuldigte nennt. Erstmals in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht hat der Kläger dann - ohne nähere Darlegungen - vorgetragen, „nach den Ereignissen nach der Festnahme Öcalans“ gefoltert worden zu sein. Auch in seinem Zulassungsantrag hat er lediglich darauf hingewiesen, dass er während der dreitägigen Haft menschenrechtswidrig behandelt worden sei. Der nicht hinreichend substantiierte Vortrag einer menschenrechtswidrigen Behandlung stellt sich daher jedenfalls als gesteigertes Vorbringen und damit als unglaubhaft dar. Das Gerichtsverfahren als solches ist, da der Kläger im Verdacht stand, gegen Straftatbestände verstoßen zu haben, und nach Entkräftung dieses Verdachts – der Kläger hat sich seiner Erklärung nach herausreden können – freigesprochen würde, keine politische Verfolgung und entgegen seiner Meinung nicht asylrelevant.

Im Zentrum des Vorbringens des Klägers stehen jedoch die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Newrozfest 2002, beginnend mit der behaupteten vierten Festnahme. Hierzu hat er bei seiner Anhörung am 18.12.2002 dargelegt, sie („wir“) hätten im Dorf ein Komitee gebildet, um sich auf das Newrozfest 2002 vorzubereiten; dieses Komitee, dessen Vorsitzender er sei, gebe es seit 1999. Am 20.2.2002 habe die Polizei ihn in einem Café verhaftet und für einen Tag auf die Polizeiwache gebracht. Man habe ihm gedroht, ihn umzubringen, wenn er von diesen Dingen nicht die Finger lasse. Die Polizei habe ihn festgenommen, um das Fest zu unterbinden. Er sei gefoltert und misshandelt worden; er sei an den Hoden schwer misshandelt worden und habe dort immer noch Schmerzen. Durch diese Behandlung fühle er sich nicht mehr als Mann. Außerdem habe man ihm gesagt, dass er in Zukunft für alles verantwortlich gemacht werde.

Diese Darstellung unterscheidet sich zunächst insoweit von der durch seinen Prozessbevollmächtigten im anwaltlichen Schreiben vom 5.12.2002 gegebenen, als in diesem Schreiben von einem so schwerwiegenden – eigenen - Erlebnis wie seiner Folterung keine Rede war, sondern nur die Vergewaltigung seiner Ehefrau erwähnt ist. Auch ist festzustellen, dass er bei seiner Anhörung keine näheren Einzelheiten schilderte, die den gesamten Vorfall – insbesondere zu seinem Hintergrund, aber auch seiner Zielsetzung nach - nachvollziehbar erscheinen lassen, dass sein Vortrag blaß wirkt.

Die Zweifel des Senats daran, dass die behauptete Festnahme tatsächlich stattgefunden hat, konnte der Kläger bei seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung nicht ausräumen. Zu seiner behaupteten politischen Betätigung als Grund für die angegebene Rückkehrgefährdung hat er erklärt, politisch sei er für die HADEP tätig gewesen, und zwar in der Jugendarbeit. Ihnen seien Arbeiten aufgegeben worden, die er dann durchgeführt habe. So hätten sie etwa Plakate geklebt und Flugblätter bei Wahlen verteilt. Auf die Frage, was er denn in der Jugendarbeit getan habe, hat er ausweichend geantwortet, dass er Mitglied in einer Kommission gewesen sei, die aus fünf bis sieben Personen bestanden habe, er sei im Vorstand gewesen. Auf die Aufforderung, sich genauer zu erklären, gab er an, in der Türkei gebe es viele Analphabeten, bei ihrer Arbeit hätten sie diesen das Anliegen der Partei übersetzt. Auf nochmalige Nachfrage hinsichtlich der Jugendarbeit erklärte der Kläger dann, dafür sei eine andere Kommission zuständig gewesen, dort habe er auch gearbeitet. Zu der – hiervon verschiedenen – Kommission erklärte er auf Befragen dann weiter, dass es noch andere Mitglieder gegeben habe und sie sich die Aufgaben bei der Durchführung des Newrozfestes geteilt hätten. Von seinen Vorgesetzten beim Kreisverband der Partei sei festgelegt worden, in welchem Viertel das Fest gefeiert werde, und ihnen habe die konkrete Organisation in ihrem Viertel oblegen. Gefeiert worden sei in etwa vier Vierteln von M . Auf Frage nach seinen Parteitätigkeiten und danach, ob er deshalb in der Türkei in Schwierigkeiten geraten sei, antwortete der Kläger zunächst nur mit Hinweisen auf seinen aktuellen Gesundheitszustand und auf Nachfrage, dass sie sehr vorsichtig hätten sein müssen und die Plakate im Dunkeln geklebt hätten; dabei sei er nicht aufgefallen. Zu seiner Festnahme im Café im Jahre 2002 gab er an, ihm sei vorgeworfen worden, die Leute aufzuwiegeln und das Newrozfest vorzubereiten; in den Jahren zuvor habe es keine Probleme mit den Sicherheitsbehörden gegeben. Ob die anderen Mitglieder der Kommission Probleme gehabt hätten, wisse er nicht. Er sei im Café als einziger mitgenommen worden, es könne aber auch sein, dass er nichts davon bemerkt habe, dass diese doch mitgenommen worden seien. Die anderen Mitglieder seien den Sicherheitskräften bekannt gewesen, sie hätten sie alle ja immer mitgenommen, alle zusammen 1999 im Zusammenhang mit Öcalan. Auf die Frage, ob der Kläger den anderen Mitgliedern etwas davon erzählt habe, dass die Sicherheitskräfte bei seiner Festnahme versucht hätten, ihn – mit Blick auf das Newrozfest - zu beeinflussen, gab er zunächst an, dass er niemandem, auch den anderen Mitgliedern der Kommission nicht davon erzählt habe, um sodann aber zu erklären, dass er ihnen alles erzählt habe, als sie ihn nach seiner Freilassung zu Hause besucht hätten und es ihm sichtlich schlecht gegangen sei. Diese hätten erklärt, sie würden das tun, was sie für richtig hielten und das Fest durchführen. Zu den Vorkommnissen bei der Festnahme selbst erklärte er, dass die Sicherheitskräfte auf ihn eingewirkt hätten, in Zukunft zu unterlassen, die Leute aufzuwiegeln, vielmehr zu den Leuten des Quartiers zu gehen und sie aufzufordern, kein Fest zu feiern. Er habe zwar hinsichtlich der Frage, ob das Fest stattfinden sollte, nichts zu sagen gehabt, hätte aber, da er im Viertel sehr beliebt gewesen sei, die Leute entsprechend auffordern können.

Ist ohnehin schon zweifelhaft, ob der Kläger, wie behauptet, HADEP-Mitglied war, so lassen diese Darlegungen insgesamt auch fraglich erscheinen, ob er überhaupt – etwa als Sympathisant – in die Arbeit der HADEP eingebunden war und – falls dies der Fall gewesen sein sollte – ob er dabei in das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten und festgenommen worden ist. Denn der Kläger war nicht einmal in der Lage, in seinen ohnehin vagen Ausführungen seine behaupteten beiden Aufgabenbereiche auseinanderzuhalten. Daher kann zunächst ausgeschlossen werden, dass es den erstmals gegenüber dem Senat behaupteten Einsatz in der Jugendarbeit, zu dem er sich auf Rückfragen dann nur noch ausweichend und nichtssagend geäußert hat, gegeben hat. Ob der Kläger für die HADEP Aufgaben wie Plakatekleben erfüllt hat, kann auch dahinstehen, denn dabei ist er jedenfalls seiner Aussage nach niemals aufgefallen. Auch bei der Organisation des Newrozfestes seit 1999, bei der ihm ausweislich seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung – trotz angeblicher Vorsitzendenstellung - keine maßgebende führende Rolle zukam, hatte er vor 2002 keine Probleme, obwohl alle Kommissionsmitglieder – wie er dem Senat erklärt hat - den Sicherheitskräften bekannt waren. Obwohl also fünf bis 7 Mitglieder der Kommission angehörten, soll er – soviel er wisse – als einziger im Café festgenommen und bedroht worden sein, dass er für alles verantwortlich gemacht werde, wenn das Fest stattfinde. Es musste für die Sicherheitskräfte aber auf der Hand liegen, dass er – wie er bestätigt hat – allein gar nicht verhindern konnte, dass das Fest durchgeführt würde, wenn die anderen Kommissionsmitglieder nicht auch bereit waren, die Organisation zu unterlassen. Auch wenn er im Viertel beliebt gewesen ist – was in der erhaltenen Stimmenzahl bei der angeblich zu seinem Nachteil manipulierten Wahl zum Ortsvorsteher zum Ausdruck gekommen sein kann - , hätte er lediglich versuchen können, möglichst viele Kurden dahingehend zu beeinflussen, nicht an dem Fest teilzunehmen, nicht aber hätte er das Fest selbst unterbinden können. Da dies für die Sicherheitskräfte offensichtlich war, ergibt die an ihn allein gerichtete Forderung ohne ausdrückliche Einbeziehung seiner ihnen bekannten Parteifreunde entweder dahingehend, dass er auch diese von der Festorganisation abhalten müsse, oder aber durch direkte Einwirkung der Sicherheitskräfte auf die anderen Kommissionsmitglieder keinen Sinn. Das zieht auch die Richtigkeit der behaupteten „dauerhaften Verletzungen im Genitalbereich als Folge einer Misshandlung“ durch Hodenquetschung zur Unterstreichung der angeblichen Forderung bzw. Drohung in Zweifel, für die sich im Übrigen Anhaltspunkte weder in dem ärztlichen Attest vom 25.4.2003 (Bl. 24 Gerichtsakte), das die Erkrankungen des Klägers einschließlich eines „Zustands nach Herniotomie linke Leiste“ aufführt, noch in dem Bericht seines medizinischen Beistands in der mündlichen Verhandlung finden lassen. Auch wenn Übergriffe, wie sie in der Türkei noch immer vorkommen, als Willkürmaßnahmen häufig eine rationale Begründbarkeit vermissen lassen und daher nicht unbedingt nachvollziehbar sein müssen, ist doch vorliegend auffällig, dass der Kläger in seinem gesamten Vorbringen nur selten konkrete Angaben machte, aber häufig – jedenfalls in der mündlichen Verhandlung - zumindest zunächst auf konkrete (Nach-) Fragen ausweichend antwortete. Auch muss erstaunen, dass er nicht wissen - und auch nicht nachträglich erfahren haben - will, ob auch die anderen Kommissionsmitglieder Probleme hatten oder ob er an jenem Tag als einziger der Kommissionsmitglieder festgenommen wurde; es ist indes nicht glaubhaft, dass ein Kreis von Parteifreunden, die alle 1999 zusammen - und danach Einzelne von ihnen - festgenommen worden sein sollen, nicht einmal bei ihrem Besuch bei dem sichtlich angeschlagenen Kläger nach dessen Freilassung über ihre eigenen Erfahrungen mit den Sicherheitskräften mit Blick auf die Vorbereitung des Newrozfestes gesprochen haben soll. Weiterhin lässt an der Glaubwürdigkeit des Klägers zweifeln, dass der Kläger zunächst auf Befragen dargelegt hatte, er selbst habe mit niemanden – auch nicht mit den Vorstandsmitgliedern der Kommission - über die versuchte Beeinflussung durch die Sicherheitskräfte gesprochen, dann aber im Widerspruch zu dem Vorhergesagten angab, er müsse sich berichtigen, er habe ihnen alles erzählt. Es erscheint weiter nicht nachvollziehbar, dass ein Beamter nach der Hodenquetschung von einer „letzten Warnung“ und einer „letzten Chance“ gesprochen haben soll, obwohl der Kläger seit den Ereignissen von 1999, die mit dem Newrozfest in keinem Zusammenhang standen, keinerlei Probleme mit den Sicherheitskräften gehabt haben will und auch nicht von einer früheren Warnung berichtet hat. Nach allem vermochte der Senat sich angesichts des gesamten Eindrucks, den der Kläger aufgrund seines Aussageverhaltens und – inhalts vermittelte, nicht von der Richtigkeit seines seine vierte Festnahme – und seinen Anteil an der Vorbereitung des Newrozfestes - betreffenden Vortrags zu überzeugen.

Nach seinen Darlegungen beim Verwaltungsgericht hat er sich auch in der Zeit zwischen der behaupteten Festnahme vom Februar 2002 und dem Newrozfest politisch betätigt, in dem er mit anderen („wir“) die Bewohner ihres Viertels aufgesucht und ständig an Versammlungen teilgenommen habe, die bei Nachbarn und auch bei ihm zu Hause stattgefunden hätten. Dass diese Betätigung den Behörden aufgefallen wäre, hat er nicht vorgetragen; jedenfalls hat sie – falls es sie als politische Betätigung gegeben hat - nicht zu Problemen geführt.

Als fluchtauslösend hat der Kläger die Geschehnisse beim Newrozfest 2002 bezeichnet. Alle Bewohner des Viertels, auch seine Ehefrau und seine vier Kinder, seien bei dem Fest gewesen. Als es jedoch zu "Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstranten" gekommen sei, bei denen ein Mann und zwei Kinder getötet worden seien, sei er erst in eine Markthalle und später nach A zu einem Freund geflüchtet. Seine Frau habe angenommen, dass er verhaftet worden sei, da sie gesehen habe, wie die Polizei sich auf ihn gestürzt habe, aber den Fortgang nicht mehr mitbekommen habe. Daraus erklärten sich die Widersprüche zwischen seinem eigenen Vortrag und dem seiner Frau. Die Polizei habe ihn bei dem Fest verhaften wollen. Es sei davon auszugehen, dass sie ihn als Demonstrationsteilnehmer erkannt hätten, zumal er bereits vorher aus Sicht der Sicherheitskräfte einschlägig in Erscheinung getreten sei und seine Ehefrau bei den Newrozprotesten festgenommen worden sei. So erkläre sich, dass die Sicherheitskräfte ihn kurze Zeit später zu Hause gesucht hätten. Seine Frau hat bei ihrer Anhörung angegeben, die Polizei sei, als sie – und der Kläger - bereits verhaftet gewesen sei, zu ihnen nach Hause gekommen und habe ihren Schwiegervater geschlagen, das Auto ihres Mannes kaputt gemacht und Fensterscheiben eingeschlagen. Auf entsprechende Frage nach dem Sinn der Aktion, da beide schon verhaftet gewesen seien, hat sie erklärt, die Newrozfeierlichkeiten hätten ganz in der Nähe ihres Hauses stattgefunden; die Sicherheitskräfte hätten das ganze Viertel durchsucht und dabei viel zerstört.

Davon, dass der Kläger am Newrozfest teilnahm, geht der Senat aus, auch wenn seine Ausführungen zur Teilnahme seiner Kinder an diesem Fest ungereimt erscheinen. So gab er zunächst an, seine Frau und seine vier Kinder hätten am Fest teilgenommen. Er wisse aber nicht genau, „ob sie da waren oder sie etwa weggegangen oder ins Haus gegangen waren“; sie seien an diesem Tag wegen des Festes nicht in die Schule gegangen. Während dies noch darauf schließen lassen könnte, dass er sie wegen des Festes nicht im Augen behalten habe, ging er dann aber auf die Nachfrage des Senats, ob er sie gesehen habe, nicht mehr ein, sondern schilderte das Verhalten der Sicherheitskräfte. Nach den Ausführungen seiner Ehefrau bei ihrer Anhörung waren aber zwei Kinder nicht bei dem Fest, sondern in der Schule, wo sie nach ihrer Festnahme von Sicherheitskräften herausgeholt worden seien.

Nach den Darlegungen des Klägers muss jedoch angenommen werden, dass er nicht vor einem ihm persönlich geltenden Zugriffsversuch der Sicherheitskräfte floh. So gab er bei seiner Anhörung an, als es beim Newrozfest zu Ausschreitungen gekommen sei, sei er geflüchtet. Es seien alle Bewohner des Viertels da gewesen. Viele Leute seien festgenommen worden, viele hätten auch fliehen können. Es sei ein völliges Durcheinander gewesen. Bei dieser Demonstration seien viele Leute wie jedes Jahr festgenommen worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er zunächst auf die Aufforderung, die näheren Umstände seiner Flucht am Newrozfest zu schildern, lediglich erklärt, es seien viele Teilnehmer am Fest gewesen und es habe große Unruhen gegeben. Erst auf eine im weiteren Verlauf der informatorischen Befragung gestellte Frage legte er dar, bei diesen Ereignissen geflohen zu sein aus Angst, dass man ihn wieder inhaftiere. Tausende Menschen hätten an dem Fest teilgenommen. Auch gegenüber dem Senat hat er erklärt, sehr viele seien geflüchtet, sehr viele aber auch festgenommen worden. Er habe auf der Straße gestanden und gesehen, wie die Militärfahrzeuge auf ihn zugekommen seien und dann auch noch viele Sicherheitskräfte mit Gummiknüppeln, die auf die Leute eingeschlagen hätten. Er sei dann weggelaufen, geflüchtet, weil er bedroht worden sei und bei einer erneuten Festnahme die Maßnahmen der Sicherheitskräfte gefürchtet habe. Der Kläger zeichnet somit im Ergebnis das Bild eines massiven Eingreifens durch Militär und Sicherheitskräfte bei einer kurdischen Massenveranstaltung anlässlich des Newrozfestes 2002, wie es in jenem Jahr mehrere aktenkundig gewordene Vorfälle in der Türkei gegeben hat; dem Senat ist bekannt, dass auch in M das Newrozfest durch Polizeieinsatz aufgelöst wurde. Dass er sich in dieser Situation bedroht gefühlt hat und hierzu wie jeder Festteilnehmer allen Grund hatte, drängt sich auf. Es geht aber aus seinen Ausführungen auch nicht ansatzweise hervor, dass er von einem der Sicherheitskräfte konkret erkannt worden sei und diese sodann gezielt ihn zu ergreifen gesucht hätten. Das ist angesichts des geschilderten „völligen Durcheinanders“ auch nicht anzunehmen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass er bei diesen Ereignissen hinsichtlich der Gefahr, von den Sicherheitskräften ergriffen zu werden, kein größeres Risiko lief als alle anderen Teilnehmer.

Auch der von seiner Ehefrau bei ihrer Anhörung geschilderte Umstand, dass während ihrer Festnahme die Polizisten zu ihnen nach Hause gekommen seien, ihren Schwiegervater geschlagen, das Auto ihres Mannes kaputt gemacht und ihre Fensterscheiben eingeschlagen hätten, stützt die Behauptung des Klägers, er sei gesucht worden, nicht. Denn zum einen wird aus ihm nicht deutlich, dass die Polizisten gezielt nach dem Kläger suchten, und zum anderen geht aus dem weiteren Vortrag der Ehefrau hervor, dass die Newrozfeierlichkeiten ganz in der Nähe ihres Hauses stattgefunden, die Sicherheitskräfte das ganze Viertel durchsucht und viel zerstört hätten. Diese Erläuterung spricht mit Gewicht dafür, dass die Durchsuchung nicht dem Kläger persönlich galt, sondern lediglich im Rahmen einer Razzia im Anschluss an die aufgelöste Feier stattfand.

Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Folgezeit von den Sicherheitskräften gesucht wurde. Zwar hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, er werde auch heute noch in der Türkei gesucht; er telefoniere gelegentlich mit seinen Nachbarn, die ihm berichteten, dass die Polizisten ständig nach ihm und seinem Bruder fragten. Seine Eltern hätten Angst und hielten sich nicht mehr ständig zu Hause auf. Ein Grund für die Suche sei nicht genannt worden. Wie er dem Senat auf die Frage, ob er nach seiner Flucht gesucht worden sei, jedoch darlegte, hat er am Telefon von seinem Freund und Nachbarn, der im hiesigen Verständnis sein Pate sei, erfahren, dass sehr viele Familien aufgesucht und bedroht worden seien; ob dies auch ihn betroffen habe, wisse er nicht. Im Weiteren führte er aus, dass seine Eltern – zum Teil über seinen Freund – berichtet hätten, dass sie nach seiner Flucht aufgesucht und nach ihm befragt worden seien. Daraus wird ersichtlich, dass eine Suche im eigentlichen Sinne nicht stattgefunden hat. Aus dem Umstand, dass nach ihm gefragt worden sein soll, kann nicht auf ein staatliches Verfolgungsinteresse geschlossen werden, da allein schon seine Abwesenheit Grund für entsprechende Nachfragen gewesen sein kann, zumal der Kläger über den Inhalt der Nachfragen nichts gesagt hat bzw. nichts sagen konnte.

Nach allem kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sein Heimatland vorverfolgt oder aus Furcht vor unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung verlassen hat.

Allerdings hat der Kläger einen Zwischenbericht (teilstationäre Behandlung) der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Wallerfangen vom 26.8.2005 vorgelegt, indem eine chronische komplexe posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wird. Zu den Auswirkungen dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung hat der Mitverfasser des Zwischenberichts, Oberarzt G , als Beistand des Klägers dargelegt, dass bei dem Kläger Phasen erkennbar gewesen seien, in denen er „klar“ gewesen sei, und andere Phasen mit Störungen. Anfangs seien sie davon ausgegangen, dass es sich dabei um Missverständnisse handelte. Heute sei aber die medizinische Erkenntnis, dass es sich um dissoziative Erlebniszustände handele, in die der Kläger hineinfalle. Wenn im Zusammenhang mit dem Kläger von posttraumatischen Belastungsstörungen die Rede sei, gehe er von seinem Beruf her davon aus, dass bei dem Hintergrund ein oder mehrere traumatische Erlebnisse vorlägen. Folterungen würden sich in diese Erlebniswelt einpassen. Ob solche tatsächlich vorgelegen hätten, sei für ihre Behandlung nicht von sonderlichem Interesse, da es hier darauf ankomme, wie der Patient das erlebt habe. Er sei sich sicher, dass dann, wenn der Kläger auf konkrete Fragen kontextfremd antworte, dies zu seinem Krankheitsbild gehöre. Bei widersprüchlichem Antworten vermöge er kein eindeutiges Bild zu zeichnen. Es könne damit zusammenhängen, dass die Kontaktaufnahme dann zu kurz sei. Er habe nämlich festgestellt, dass bei wiederholenden Kontakten solche Probleme weniger aufträten. Das auslösende Moment bei der posttraumatischen Belastungsstörung könne nicht nur körperliche Gewalt sein, es könne auch psychische Gewalt sein, in welcher Form sie auch ausgeübt werden möge.

Nach den Darlegungen des Beistands des Klägers ist ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass das Aussageverhalten und die unsubstantiierten und/ oder widersprüchlichen oder ungereimten Aussagen, die Letzterer in seinem gesamten Asylverfahren gezeigt hat, nicht darauf zurückzuführen sein könnten, dass das dargelegte Verfolgungsschicksal nicht authentisch ist, sondern dass gezeigte Schwächen krankheitsbedingt sind. Hiervon ausgehend ergibt sich jedoch die Schwierigkeit, dass das Wissen um krankheitsbedingte Auswirkungen die Lücken eines unsubstantiierten Vortrages nicht zu schließen vermag. Es lässt sich aus der Sicht des Senats im konkreten Einzelfall auch nicht hinreichend beurteilen, ob etwa eine kontextfremde Antwort des Klägers nicht doch bewusst erfolgt, um eine erkannte „Schwachstelle“ im Vortrag zu verdecken. Daher konnte der Senat auch nach umfassender Würdigung des Klägervortrags vor dem Hintergrund seiner Erkrankung nicht die Überzeugung von der Richtigkeit und nicht nur der Wahrscheinlichkeit seines Vortrags, wegen erlittener und unmittelbar drohender – weiterer – politischer Verfolgung sein Heimatland verlassen zu haben, gewinnen.

Dem Kläger droht für den Fall seiner Rückkehr in sein Heimatland nicht beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung.

Dies gilt zunächst für seine Einreise.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts werden zurückkehrende Asylbewerber nicht routinemäßig - das heißt ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt. Kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, bei denen festzustellen ist, dass sie landesweit gesucht werden oder sich exilpolitisch exponiert haben, droht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bei ihrer Rückkehr in die Türkei politische asylrelevante Verfolgung in Gestalt von Misshandlung in Polizeigewahrsam.

Zunächst rechtfertigt der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf seine Mitgliedschaft im Kurdischen Kulturverein nicht die Annahme, er habe sich in Deutschland exilpolitisch exponiert. Auch bietet der Klägervortrag – wie dargelegt - keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach ihm landesweit gesucht wird.

Der Kläger ist auch nicht wegen seines in Deutschland lebenden abschiebungsschutzberechtigten Bruders einer beachtlich wahrscheinlichen Foltergefahr bei seiner Einreise in die Türkei ausgesetzt. Zwar ist anzunehmen, dass bei der Einreisekontrolle auf EDV zurückgegriffen werden kann und dass eine familiäre Zuordnung dieses Bruders und des Klägers zu einer Familie bei der Einreise ohne weiteres bei Kenntnis des Namens der Eltern und des Geburtsortes möglich ist; dies setzte jedoch voraus, dass Ersterer in das EDV-gestützte Fahndungsregister eingetragen ist und sein Namen auch den Dienststellen an den Grenzübergängen mitgeteilt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn er per Haft- und Festnahmebefehl gesucht wird. Hierfür bietet der Vortrag des Klägers indes keinerlei Anhaltspunkte und dies ist auch ansonsten nicht konkret ersichtlich. Für den Fall jedoch, dass seine Verwandtschaft mit seinem Bruder bei seiner Einreise erkennbar würde, könnte davon ausgegangen werden, dass der Kläger einer – möglicherweise auch strengen – Befragung diesen betreffend, nicht aber einer Folter unterzogen wird. Da der Bruder, der ebenfalls vom Staatssicherheitsgericht Adana 1999 freigesprochen wurde und wegen Verteilens von HADEP-Flugblättern gemäß Bescheid der Beklagten vom 18.12.2001 Abschiebungsschutz genießt, kann der Kläger, ohne diesen zu gefährden, gegebenenfalls bei seiner Einreisebefragung Auskunft erteilen. Im Übrigen ist zu sehen, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seit Oktober 2000 kein Fall bekannt geworden ist, in dem Folter oder Misshandlung eines aus Deutschland in die Türkei Abgeschobenen nachgewiesen werden konnte, und seit zwei Jahren auch kein Fall mehr an das Auswärtige Amt zur Überprüfung mit der Behauptung herangetragen wurde, dass ein abgelehnter Asylbewerber nach Rückkehr misshandelt worden sei.

Der Rückkehr des Klägers steht auch nicht entgegen, dass gegen ihn ein Strafverfahren bei einem Staatssicherheitgericht anhängig war, denn zum einen ist dieses 1999 mit einem Freispruch abgeschlossen worden und zum anderen hat diese Tatsache auch in der Zeit bis 2002 nicht zu Problemen geführt. Ferner sind dem Vortrag des Klägers keine konkreten Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass er selbst deswegen Befürchtungen hegt.

Dies gilt auch hinsichtlich der vorgetragenen Aktivitäten für die HADEP. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die einfache Mitgliedschaft in der – ehemaligen, seit 2003 verbotenen - HADEP nach den Erkenntnissen des Senats nicht zu Repressionsmaßnahmen führt, solange nicht der Verdacht einer PKK-Unterstützung hinzutritt, wofür bei dem Kläger keine Anhaltspunkte bestehen. Da – wie dargelegt – nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger – falls er überhaupt Mitglied der HADEP war -, tatsächlich in der angegebenen Weise im Rahmen der Organisation des Newrozfestes in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden geraten ist, hat er insoweit keinesfalls beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung bei einer Rückkehr zu gewärtigen.

Der türkisch sprechende Kläger hat, wenn er eine Rückkehr nach M , wo seine Eltern zumindest zeitweise noch leben, für sich ausschließt, die Möglichkeit, auf eine inländische Fluchtalternative in einem anderen Teil der Türkei, z.B. Istanbul zurückzugreifen, ohne dass dies für ihn – wie ausgeführt - im Hinblick auf den aktenkundigen Freispruch durch das Staatssicherheitsgericht, seinen Bruder oder seine Betätigung für die HADEP unzumutbar wäre.

Kurden unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zwar möglicherweise in den - ehemaligen - Notstandsprovinzen einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung, ihnen steht jedoch, wenn sie politisch nicht auffällig geworden sind, im Westen der Türkei, insbesondere in den Großstädten dieses Landesteils, eine ihre Anerkennung als Asyl- und Abschiebungsschutzberechtigte unter diesem Aspekt ausschließende Fluchtalternative offen. Auch das in der Folge der Inhaftierung und Verurteilung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in der Türkei festzustellende härtere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Volkszugehörige auch im Westen der Türkei - verbunden mit der Duldung von Übergriffen Dritter gegenüber Kurden - hat sich danach erkennbar auf Demonstranten und sonstige Aktivisten für die kurdische Sache bezogen und nicht ohne Unterschied alle Kurden allein in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit ergriffen. So hat das Auswärtige Amt in seinem im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers noch aktuellen Lagebericht ausgeführt, dass Kurdischstämmige wie andere türkische Staatsangehörige grundsätzlich die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilten. In den Siedlungen, die Türken kurdischer Volkszugehörigkeit, die zunächst wegen des wirtschaftlichen Gefälles, in den letzten Jahren aber hauptsächlich in der Folge von PKK-Terror und staatlicher Repression ihre Dörfer im Südosten verlassen hätten, in einigen Großstädten der Türkei (z.B. Adana, Mersin, auch Istanbul) gebildet hätten, komme es zwar überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen, die Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten seien und immer wieder zu Übergriffen der beteiligten Sicherheitskräften führten. Diese Vorgänge seien Teil der - landesweit und ohne Unterschied der ethnischen Verhältnisse - menschenrechtlich bedenklichen Praktiken türkischer Sicherheitskräfte. Es gebe zahlreiche Beispiele von aus dem Notstandsgebiet ausgewichenen Kurden, die sich nicht in den Kurdenvierteln diverser Städte, sondern in anderen, weniger von Terror und Terrorbekämpfung betroffenen Regionen niedergelassen hätten. Zur wirtschaftlichen Situation von Kurden in west- und südtürkischen Städten könnten keine generalisierenden Aussagen gemacht werden. Manche Kurden hätten es dort zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, andere lebten hingegen in den Armutsquartieren an der Peripherie der Großstädte. Unterschiedlicher Bildungsstand, persönliche Beweglichkeit sowie Einbindung in soziale Strukturen wie Familie oder ehemalige Dorfgemeinschaft spielten dabei eine wichtige Rolle.

Rumpf geht bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative davon aus, dass es für die Folterproblematik schwierig sei, Alternativen zu bestimmen. Istanbul gehöre zwar zu den Provinzen, in denen – abgesehen vom Südosten – die meisten Vorfälle in dieser Hinsicht registriert würden. Allerdings sei Istanbul nicht nur mit zwischen 12 und 15 Millionen Einwohnern die größte, sondern auch in ihrer sozialen und ethnischen Vielfalt lebendigste Provinz, in der zudem die besten Möglichkeiten bestünden, sich weitgehend unerkannt und unbehelligt niederzulassen.

Auch die neueren Erkenntnisse geben keinen Anlass, das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative für den Kläger und seine Familie durchgreifend in Frage zu stellen. Noch im vorletzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird die in dem vorgenannten Lagebericht wiedergegebene Lage bestätigt. Demgegenüber geht das Auswärtige Amt im neuesten Lagebericht unter dem Aspekt „Ausweichmöglichkeiten“ davon aus, dass asylrelevante staatliche Repressionsmaßnahmen nur noch in Form von Übergriffen vereinzelt vorkommen können, nirgends in der Türkei bestandskräftig durchgesetzt werden können und kurdischstämmige Türken mit allen anderen türkischen Staatsangehörigen die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilen. Auch amnesty international hat keine Informationen, dass die jüngsten politischen Entwicklungen – nach Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands durch Öcalan - sich auf die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Westtürkei allgemein negativ ausgewirkt hätten, allerdings sei die soziale Situation sehr schwierig.

Dass es dem Kläger nicht möglich sein sollte, sich in Istanbul, wo seine Ehefrau und Kinder bereits drei Monate bis zu ihrer Ausreise bei einem Onkel gelebt haben, oder in einem anderen Bereich der westlichen Türkei mit seiner Familie niederzulassen, ist nicht ersichtlich. Umstände, die in Frage stellen können, dass sie gegebenenfalls in der West-Türkei wirtschaftlich ein Leben oberhalb des Existenzminimums führen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch angesichts der persönlichen Verhältnisse der Familie – die Eltern des Klägers sind nach Aussage seiner Ehefrau sehr reich, so dass sie sie ggf. wohl unterstützen könnten, und die gesamte Großfamilie außer dem Schwager lebt nach Erklärung des Klägers noch in der Türkei - ersichtlich.

Ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 I AufenthG steht dem Kläger folglich nicht zu.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die – offensichtlich hilfsweise begehrte – Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 II ff AufenthG, dessen Regelungen dem bis 31.12.2004 geltenden § 53 AuslG insgesamt betrachtet entsprechen, und insbesondere mit Blick auf die vorgetragenen und durch ärztliche Atteste belegten Krankheiten keinen Anspruch gemäß dem allein in Betracht kommenden § 60 VII AufenthG – zuvor § 53 VI AuslG -. Insofern wird zunächst auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. In dem ärztlichen Zwischenbericht vom 26.8.2005 wird auf die bei ihm diagnostizierte chronische komplexe posttraumatische Belastungsstörung hingewiesen, die bei Durchführung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu einer erheblichen und massiven, dauerhaften Verschlechterung der psychischen Konstitution des Klägers und letztlich zu einer hohen Suizidgefahr führen werde. Zu der Suizidgefahr hat sein ärztlicher Beistand in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er vor dem Hintergrund, dass der Kläger sehr schwer einzuschätzen sei, davon ausgehe, dass er insbesondere, was die Veränderung seines Aufenthaltsstatus angehe, ohne Vorankündigung mit Suizids reagieren könnte. Hierzu ist festzustellen, dass die Frage, ob der Gesundheitszustand des Klägers aufenthaltsbeendende Maßnahmen zulässt, zu gegebener Zeit von der insoweit zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen sein wird.

Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse liegen nach Auffassung des Senats nicht vor. Eine medizinische Versorgung des Klägers ist in der Türkei möglich. Psychisch kranke Menschen können in allen Krankenhäusern behandelt werden, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Allerdings ist die Situation psychisch Kranker in der Türkei gekennzeichnet durch eine Dominanz krankenhausorientierter Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter und komplementärer Versorgungsangebote. Psychiatrische Kliniken des Gesundheitsministeriums und Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen – unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller öffentlichen türkischen Institutionen – über mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Die Verweildauer der Patienten ist aufgrund der verfügbaren Kapazitäten (Psychiater/ Betten) in der Regel auf drei Monate beschränkt. Weiterführende Therapien können aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht immer angeboten werden. Für die Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung – PTBS - werden die international anerkannten Klassifikationssysteme angewandt. Zu den Behandlungskonzepten zählen wie in Westeuropa üblich u.a. Psychotherapie mit Relaxationtraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. In welchem Umfang für die Betroffenen auch tatsächlich eine therapeutische Weiterbehandlung und eine adäquate Betreuung einer PTBS möglich sind, kann oft nur im Einzelfall geklärt werden. Die Versorgung psychisch kranker Menschen ist dagegen im Privatsektor vergleichsweise günstig, so wurden in Istanbul in den letzten Jahren mehrere moderne psychiatrische Krankenhäuser mit differenziertem Behandlungsangebot und ambulanter Betreuungsmöglichkeit eingerichtet. Eine Behandlung bei einem der vielen niedergelassenen Ärzte oder der umfassend ausgebildeten Psychologen, Psychiater, psychotherapeutisch tätigen Ärzten oder Neurologen ist aber nur als Privatpatient möglich. Bei der Behandlung psychisch kranker Menschen ist ein ständig steigender Standard festzustellen.

Ausgehend von der Erklärung der Ehefrau des Klägers bei ihrer Anhörung, wonach ihr Schwiegervater sehr reich sei und sie im Dorf noch Land hätten, dürfte daher der Zugang zur medizinischen Versorgung für den Kläger gesichert sein. Ansonsten könnte er, sofern er mittellos ist, auf die „yesil kart“ zurückgreifen, die von der Gesundheitsverwaltung ausgestellt wird und zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt; seit 1.5.2005 werden – neben den Kosten für stationäre Behandlung - auch bei ambulanter Behandlung die Kosten der Medikamente übernommen.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 II VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

Gründe

Das Ausbleiben der Beklagten und des Beteiligten im Termin stehen einer Verhandlung und Entscheidung in der Sache nicht entgegen, da sie ordnungsgemäß und unter Hinweis auf § 102 II VwGO geladen worden waren.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Berufung – hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehrens - gemäß § 126 I VwGO zurückgenommen hat, war das Berufungsverfahren einzustellen und waren dem Kläger die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäß § 155 II VwGO aufzuerlegen.

Die Berufung im aufrecht erhaltenen Umfang ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die erhobene Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht zunächst kein Anspruch auf - die sinngemäß begehrte - Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG, der zum 1.1.2005 § 51 I AuslG ersetzt hat, zu.

Die Voraussetzungen für die Bejahung von Abschiebungsschutz im Sinne von § 60 I AufenthG sind deckungsgleich mit denjenigen des Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a I GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft – vorbehaltlich der Neuregelung in den Sätzen 3 (Anknüpfungspunkt „Geschlecht“ für Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) und 4 lit. c (nichtstaatliche Akteure) des § 60 I AufenthG.

Nach Art. 16a I GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch Verfolgter ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb seines Herkunftslandes befindet und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will. Art und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der menschlichen Würde. Soweit nicht eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit besteht, können politische Repressalien ein Asylrecht nur begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.

Politische Verfolgung ist grundsätzlich und typischerweise Verfolgung durch staatliche Organe und demnach dem jeweiligen Verfolgerstaat unmittelbar zuzurechnen. Der Herkunftsstaat hat indes auch politisch motivierte Übergriffe Dritter bei fehlender Schutzbereitschaft zu verantworten.

Als politisch verfolgt ist jeder Ausländer zu verstehen, der in eigener Person aus politischen Gründen im dargestellten Sinne Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet und daher in aussichtsloser Lage gezwungen ist, sein Herkunftsland zu verlassen, um Schutz und Zuflucht im Ausland zu suchen.

Vom Vorliegen begründet befürchteter unmittelbar drohender Gefahr eigener politischer Verfolgung ist dann auszugehen, wenn der Betroffene von gegen ihn gerichteten asylrelevanten Maßnahmen im Herkunftsland bisher verschont geblieben ist, ihn derartige Maßnahmen aber - weil der Verfolger ihn bereits im Blick hat - demnächst zu ereilen drohen. Eine drohende Gefahr in diesem Sinne muss also konkret und gegenwärtig zum Zeitpunkt der Flucht - d.h. als unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorstehend - zu erwarten sein.

Für die Beurteilung des Vorliegens politischer Verfolgung gelten unterschiedliche Maßstäbe, je nachdem, ob der asylsuchende Ausländer sein Herkunftsland auf der Flucht vor eingetretener oder konkret drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Bei festzustellender Vorverfolgung oder Ausreise wegen konkret drohender politischer Verfolgung ohne die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative im Herkunftsstaat erfordert die Anerkennung als Asylberechtigter, dass die fluchtbegründenden Umstände im Entscheidungszeitpunkt ohne wesentliche Änderungen fortbestehen oder mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist. Besteht hingegen hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung, scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aus. Das Fehlen hinreichender Sicherheit vor Verfolgung liegt bei vorverfolgt ausgereisten Asylsuchenden vor, wenn über die bloße Möglichkeit hinaus, Opfer eines erneuten Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte eine Wiederholung der ursprünglichen oder aber das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung als nicht ganz entfernte, d.h. reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dazu genügt nicht jede, noch so geringe Möglichkeit des abermaligen Verfolgungseintritts. Andererseits muss die Gefahr erneuter Übergriffe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.

Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, ist das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Droht dem Ausländer in einem Teil seines Heimatstaates regionale politische Verfolgung, so kann er auf andere Landesteile nur verwiesen werden, wenn diese den Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative entsprechen.

Politische Verfolgung vor der Ausreise ist rückschauend bezogen auf den letzten Wohn- und Aufenthaltsort des Asylsuchenden zu beurteilen. Die Frage einer drohenden politischen Verfolgung erfordert eine Prognose, die das jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick nimmt und auf die absehbare Zukunft ausgerichtet ist. Besteht die Gefahr nur in einem Teil des Herkunftslandes, kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, wenn ihm dort keine anderen nicht zumutbaren existenziellen Gefahren drohen.

Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht hat, dass er sein Heimatland aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen und für den Fall seiner Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu gewärtigen hat. Sein Vortrag ist in wesentlichen Teilen teils durch mangelnde Substantiiertheit und teils durch Widersprüche oder Ungereimtheiten gekennzeichnet.

Gegenüber dem Senat hat der Kläger seine Furcht vor einer Rückkehr in die Türkei damit begründet, dass ihm dort „viele Jahre im Gefängnis“ drohten. Nach dem Grund für die befürchtete Haft befragt, gab der Kläger pauschal an, politisch tätig gewesen zu sein, was den Behörden bekannt gewesen sei. Er habe sich dort zur Wahl gestellt; dass er gewählt worden sei, sei aber verhindert worden. Er sei für die HADEP, die spätere DEHAP tätig gewesen, und zwar im Jugendbereich.

Insofern kann zunächst davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt hatte, 1999 bei der Wahl zum Dorfvorsteher in seinem Stadtviertel von M kandidiert hat, wobei es sich nicht um eine Kandidatur für die Partei handelte, da dieses Amt nach Klägerangaben ein (partei-)neutrales Amt ist. Auch wenn die Wahl zu seinem Nachteil manipuliert worden sein sollte, so hat er wegen dieser Kandidatur nach seinem Vortrag in der Folge keine Verfolgung erlitten oder zu befürchten gehabt und eine solche ist auch für die Zukunft nicht zu erwarten.

Dass der Kläger tatsächlich seit 1994 Mitglied der HADEP war, bei der es sich bis zu ihrem Verbot im Jahre 2003 um eine legale Partei handelte, ist indes bereits fraglich. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten hat er ausweislich des Protokolls nichts Konkretes zu ihren ideologischen Zielen angeben können, sondern sich auf Aussagen wie „Partei für Menschenrechte“, „... ist für die Rechte der Unterdrückten“, „für die Leute, die durch ihrer Hände Arbeit ihr Geld verdienen" beschränkt. Auf die Frage des Senates nach dem Aufnahmeverfahren bei der HADEP hat er – offensichtlich ohne Kenntnis des eher förmlichen Aufnahmeverfahrens - angegeben, man werde dort dadurch registriert, dass man in ein Heft eingetragen werde.

Der Kläger, der sich auf erlittene politische Verfolgung beruft, ist nach seiner Darstellung insgesamt viermal festgenommen worden, einmal einer drohenden Festnahme entkommen und dann aus seinem Heimatland geflüchtet.

Danach habe die erste Festnahme am 1.5.1996 anlässlich einer von der Gewerkschaft organisierten und von HADEP-Mitgliedern durch ihre Teilnahme unterstützten Mai-Demonstration stattgefunden, bei der er nach einem Tag wieder freigelassen worden sei. Die zweite Festnahme am 10.10.1997 sei wegen einer Auseinandersetzung zwischen der Polizei und „militanten Leuten“ erfolgt, mit der er eigentlich nichts zu tun gehabt habe, und habe zu einer dreitägigen Inhaftierung geführt, bei der ihm vorgeworfen worden sei, die Guerilla unterstützt zu haben. Beide Festnahmen – die Richtigkeit des Vortrags unterstellt – dienten ersichtlich lediglich der Überprüfung, hatten nur eine relativ geringfügige Haftzeit zur Folge, die mangels entsprechender Hinweise durch den Kläger offensichtlich nicht von Übergriffen gegen ihn gekennzeichnet war. Eine Asylrelevanz ist insofern bei diesen Festnahmen, die auch nicht zu seiner späteren Ausreise führten, nicht feststellbar. In beiden Fällen ist es deshalb unerheblich, ob der Kläger die insoweit zwischen Inhalt seines anwaltlichen Schriftsatzes bei Asylantragstellung und dem seiner Ausführungen bei seiner Anhörung bestehenden Widersprüche – bei unsubstantiierter Darstellung im Übrigen - ausgeräumt hat.

Zur dritten Festnahme ist es nach dem Vortrag des Klägers am 3.7.1999 im Zusammenhang mit einer vom Menschenrechtsverein und der HADEP organisierten Unterschriftenaktion gegen das Todesurteil Öcalans gekommen; er sei beim Staatssicherheitsgericht Adana angeklagt, dann jedoch freigesprochen worden, weil man ihm nichts habe nachweisen können. Zum Beweis dieses Verfahrens hat er eine Kopie eines Beschlusses dieses Gerichts vorgelegt (Bl. 35 ff. VU = Bl. 56 ff. VU Ehefrau), das u.a. ihn und seinen Bruder als Beschuldigte nennt. Erstmals in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht hat der Kläger dann - ohne nähere Darlegungen - vorgetragen, „nach den Ereignissen nach der Festnahme Öcalans“ gefoltert worden zu sein. Auch in seinem Zulassungsantrag hat er lediglich darauf hingewiesen, dass er während der dreitägigen Haft menschenrechtswidrig behandelt worden sei. Der nicht hinreichend substantiierte Vortrag einer menschenrechtswidrigen Behandlung stellt sich daher jedenfalls als gesteigertes Vorbringen und damit als unglaubhaft dar. Das Gerichtsverfahren als solches ist, da der Kläger im Verdacht stand, gegen Straftatbestände verstoßen zu haben, und nach Entkräftung dieses Verdachts – der Kläger hat sich seiner Erklärung nach herausreden können – freigesprochen würde, keine politische Verfolgung und entgegen seiner Meinung nicht asylrelevant.

Im Zentrum des Vorbringens des Klägers stehen jedoch die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Newrozfest 2002, beginnend mit der behaupteten vierten Festnahme. Hierzu hat er bei seiner Anhörung am 18.12.2002 dargelegt, sie („wir“) hätten im Dorf ein Komitee gebildet, um sich auf das Newrozfest 2002 vorzubereiten; dieses Komitee, dessen Vorsitzender er sei, gebe es seit 1999. Am 20.2.2002 habe die Polizei ihn in einem Café verhaftet und für einen Tag auf die Polizeiwache gebracht. Man habe ihm gedroht, ihn umzubringen, wenn er von diesen Dingen nicht die Finger lasse. Die Polizei habe ihn festgenommen, um das Fest zu unterbinden. Er sei gefoltert und misshandelt worden; er sei an den Hoden schwer misshandelt worden und habe dort immer noch Schmerzen. Durch diese Behandlung fühle er sich nicht mehr als Mann. Außerdem habe man ihm gesagt, dass er in Zukunft für alles verantwortlich gemacht werde.

Diese Darstellung unterscheidet sich zunächst insoweit von der durch seinen Prozessbevollmächtigten im anwaltlichen Schreiben vom 5.12.2002 gegebenen, als in diesem Schreiben von einem so schwerwiegenden – eigenen - Erlebnis wie seiner Folterung keine Rede war, sondern nur die Vergewaltigung seiner Ehefrau erwähnt ist. Auch ist festzustellen, dass er bei seiner Anhörung keine näheren Einzelheiten schilderte, die den gesamten Vorfall – insbesondere zu seinem Hintergrund, aber auch seiner Zielsetzung nach - nachvollziehbar erscheinen lassen, dass sein Vortrag blaß wirkt.

Die Zweifel des Senats daran, dass die behauptete Festnahme tatsächlich stattgefunden hat, konnte der Kläger bei seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung nicht ausräumen. Zu seiner behaupteten politischen Betätigung als Grund für die angegebene Rückkehrgefährdung hat er erklärt, politisch sei er für die HADEP tätig gewesen, und zwar in der Jugendarbeit. Ihnen seien Arbeiten aufgegeben worden, die er dann durchgeführt habe. So hätten sie etwa Plakate geklebt und Flugblätter bei Wahlen verteilt. Auf die Frage, was er denn in der Jugendarbeit getan habe, hat er ausweichend geantwortet, dass er Mitglied in einer Kommission gewesen sei, die aus fünf bis sieben Personen bestanden habe, er sei im Vorstand gewesen. Auf die Aufforderung, sich genauer zu erklären, gab er an, in der Türkei gebe es viele Analphabeten, bei ihrer Arbeit hätten sie diesen das Anliegen der Partei übersetzt. Auf nochmalige Nachfrage hinsichtlich der Jugendarbeit erklärte der Kläger dann, dafür sei eine andere Kommission zuständig gewesen, dort habe er auch gearbeitet. Zu der – hiervon verschiedenen – Kommission erklärte er auf Befragen dann weiter, dass es noch andere Mitglieder gegeben habe und sie sich die Aufgaben bei der Durchführung des Newrozfestes geteilt hätten. Von seinen Vorgesetzten beim Kreisverband der Partei sei festgelegt worden, in welchem Viertel das Fest gefeiert werde, und ihnen habe die konkrete Organisation in ihrem Viertel oblegen. Gefeiert worden sei in etwa vier Vierteln von M . Auf Frage nach seinen Parteitätigkeiten und danach, ob er deshalb in der Türkei in Schwierigkeiten geraten sei, antwortete der Kläger zunächst nur mit Hinweisen auf seinen aktuellen Gesundheitszustand und auf Nachfrage, dass sie sehr vorsichtig hätten sein müssen und die Plakate im Dunkeln geklebt hätten; dabei sei er nicht aufgefallen. Zu seiner Festnahme im Café im Jahre 2002 gab er an, ihm sei vorgeworfen worden, die Leute aufzuwiegeln und das Newrozfest vorzubereiten; in den Jahren zuvor habe es keine Probleme mit den Sicherheitsbehörden gegeben. Ob die anderen Mitglieder der Kommission Probleme gehabt hätten, wisse er nicht. Er sei im Café als einziger mitgenommen worden, es könne aber auch sein, dass er nichts davon bemerkt habe, dass diese doch mitgenommen worden seien. Die anderen Mitglieder seien den Sicherheitskräften bekannt gewesen, sie hätten sie alle ja immer mitgenommen, alle zusammen 1999 im Zusammenhang mit Öcalan. Auf die Frage, ob der Kläger den anderen Mitgliedern etwas davon erzählt habe, dass die Sicherheitskräfte bei seiner Festnahme versucht hätten, ihn – mit Blick auf das Newrozfest - zu beeinflussen, gab er zunächst an, dass er niemandem, auch den anderen Mitgliedern der Kommission nicht davon erzählt habe, um sodann aber zu erklären, dass er ihnen alles erzählt habe, als sie ihn nach seiner Freilassung zu Hause besucht hätten und es ihm sichtlich schlecht gegangen sei. Diese hätten erklärt, sie würden das tun, was sie für richtig hielten und das Fest durchführen. Zu den Vorkommnissen bei der Festnahme selbst erklärte er, dass die Sicherheitskräfte auf ihn eingewirkt hätten, in Zukunft zu unterlassen, die Leute aufzuwiegeln, vielmehr zu den Leuten des Quartiers zu gehen und sie aufzufordern, kein Fest zu feiern. Er habe zwar hinsichtlich der Frage, ob das Fest stattfinden sollte, nichts zu sagen gehabt, hätte aber, da er im Viertel sehr beliebt gewesen sei, die Leute entsprechend auffordern können.

Ist ohnehin schon zweifelhaft, ob der Kläger, wie behauptet, HADEP-Mitglied war, so lassen diese Darlegungen insgesamt auch fraglich erscheinen, ob er überhaupt – etwa als Sympathisant – in die Arbeit der HADEP eingebunden war und – falls dies der Fall gewesen sein sollte – ob er dabei in das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten und festgenommen worden ist. Denn der Kläger war nicht einmal in der Lage, in seinen ohnehin vagen Ausführungen seine behaupteten beiden Aufgabenbereiche auseinanderzuhalten. Daher kann zunächst ausgeschlossen werden, dass es den erstmals gegenüber dem Senat behaupteten Einsatz in der Jugendarbeit, zu dem er sich auf Rückfragen dann nur noch ausweichend und nichtssagend geäußert hat, gegeben hat. Ob der Kläger für die HADEP Aufgaben wie Plakatekleben erfüllt hat, kann auch dahinstehen, denn dabei ist er jedenfalls seiner Aussage nach niemals aufgefallen. Auch bei der Organisation des Newrozfestes seit 1999, bei der ihm ausweislich seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung – trotz angeblicher Vorsitzendenstellung - keine maßgebende führende Rolle zukam, hatte er vor 2002 keine Probleme, obwohl alle Kommissionsmitglieder – wie er dem Senat erklärt hat - den Sicherheitskräften bekannt waren. Obwohl also fünf bis 7 Mitglieder der Kommission angehörten, soll er – soviel er wisse – als einziger im Café festgenommen und bedroht worden sein, dass er für alles verantwortlich gemacht werde, wenn das Fest stattfinde. Es musste für die Sicherheitskräfte aber auf der Hand liegen, dass er – wie er bestätigt hat – allein gar nicht verhindern konnte, dass das Fest durchgeführt würde, wenn die anderen Kommissionsmitglieder nicht auch bereit waren, die Organisation zu unterlassen. Auch wenn er im Viertel beliebt gewesen ist – was in der erhaltenen Stimmenzahl bei der angeblich zu seinem Nachteil manipulierten Wahl zum Ortsvorsteher zum Ausdruck gekommen sein kann - , hätte er lediglich versuchen können, möglichst viele Kurden dahingehend zu beeinflussen, nicht an dem Fest teilzunehmen, nicht aber hätte er das Fest selbst unterbinden können. Da dies für die Sicherheitskräfte offensichtlich war, ergibt die an ihn allein gerichtete Forderung ohne ausdrückliche Einbeziehung seiner ihnen bekannten Parteifreunde entweder dahingehend, dass er auch diese von der Festorganisation abhalten müsse, oder aber durch direkte Einwirkung der Sicherheitskräfte auf die anderen Kommissionsmitglieder keinen Sinn. Das zieht auch die Richtigkeit der behaupteten „dauerhaften Verletzungen im Genitalbereich als Folge einer Misshandlung“ durch Hodenquetschung zur Unterstreichung der angeblichen Forderung bzw. Drohung in Zweifel, für die sich im Übrigen Anhaltspunkte weder in dem ärztlichen Attest vom 25.4.2003 (Bl. 24 Gerichtsakte), das die Erkrankungen des Klägers einschließlich eines „Zustands nach Herniotomie linke Leiste“ aufführt, noch in dem Bericht seines medizinischen Beistands in der mündlichen Verhandlung finden lassen. Auch wenn Übergriffe, wie sie in der Türkei noch immer vorkommen, als Willkürmaßnahmen häufig eine rationale Begründbarkeit vermissen lassen und daher nicht unbedingt nachvollziehbar sein müssen, ist doch vorliegend auffällig, dass der Kläger in seinem gesamten Vorbringen nur selten konkrete Angaben machte, aber häufig – jedenfalls in der mündlichen Verhandlung - zumindest zunächst auf konkrete (Nach-) Fragen ausweichend antwortete. Auch muss erstaunen, dass er nicht wissen - und auch nicht nachträglich erfahren haben - will, ob auch die anderen Kommissionsmitglieder Probleme hatten oder ob er an jenem Tag als einziger der Kommissionsmitglieder festgenommen wurde; es ist indes nicht glaubhaft, dass ein Kreis von Parteifreunden, die alle 1999 zusammen - und danach Einzelne von ihnen - festgenommen worden sein sollen, nicht einmal bei ihrem Besuch bei dem sichtlich angeschlagenen Kläger nach dessen Freilassung über ihre eigenen Erfahrungen mit den Sicherheitskräften mit Blick auf die Vorbereitung des Newrozfestes gesprochen haben soll. Weiterhin lässt an der Glaubwürdigkeit des Klägers zweifeln, dass der Kläger zunächst auf Befragen dargelegt hatte, er selbst habe mit niemanden – auch nicht mit den Vorstandsmitgliedern der Kommission - über die versuchte Beeinflussung durch die Sicherheitskräfte gesprochen, dann aber im Widerspruch zu dem Vorhergesagten angab, er müsse sich berichtigen, er habe ihnen alles erzählt. Es erscheint weiter nicht nachvollziehbar, dass ein Beamter nach der Hodenquetschung von einer „letzten Warnung“ und einer „letzten Chance“ gesprochen haben soll, obwohl der Kläger seit den Ereignissen von 1999, die mit dem Newrozfest in keinem Zusammenhang standen, keinerlei Probleme mit den Sicherheitskräften gehabt haben will und auch nicht von einer früheren Warnung berichtet hat. Nach allem vermochte der Senat sich angesichts des gesamten Eindrucks, den der Kläger aufgrund seines Aussageverhaltens und – inhalts vermittelte, nicht von der Richtigkeit seines seine vierte Festnahme – und seinen Anteil an der Vorbereitung des Newrozfestes - betreffenden Vortrags zu überzeugen.

Nach seinen Darlegungen beim Verwaltungsgericht hat er sich auch in der Zeit zwischen der behaupteten Festnahme vom Februar 2002 und dem Newrozfest politisch betätigt, in dem er mit anderen („wir“) die Bewohner ihres Viertels aufgesucht und ständig an Versammlungen teilgenommen habe, die bei Nachbarn und auch bei ihm zu Hause stattgefunden hätten. Dass diese Betätigung den Behörden aufgefallen wäre, hat er nicht vorgetragen; jedenfalls hat sie – falls es sie als politische Betätigung gegeben hat - nicht zu Problemen geführt.

Als fluchtauslösend hat der Kläger die Geschehnisse beim Newrozfest 2002 bezeichnet. Alle Bewohner des Viertels, auch seine Ehefrau und seine vier Kinder, seien bei dem Fest gewesen. Als es jedoch zu "Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstranten" gekommen sei, bei denen ein Mann und zwei Kinder getötet worden seien, sei er erst in eine Markthalle und später nach A zu einem Freund geflüchtet. Seine Frau habe angenommen, dass er verhaftet worden sei, da sie gesehen habe, wie die Polizei sich auf ihn gestürzt habe, aber den Fortgang nicht mehr mitbekommen habe. Daraus erklärten sich die Widersprüche zwischen seinem eigenen Vortrag und dem seiner Frau. Die Polizei habe ihn bei dem Fest verhaften wollen. Es sei davon auszugehen, dass sie ihn als Demonstrationsteilnehmer erkannt hätten, zumal er bereits vorher aus Sicht der Sicherheitskräfte einschlägig in Erscheinung getreten sei und seine Ehefrau bei den Newrozprotesten festgenommen worden sei. So erkläre sich, dass die Sicherheitskräfte ihn kurze Zeit später zu Hause gesucht hätten. Seine Frau hat bei ihrer Anhörung angegeben, die Polizei sei, als sie – und der Kläger - bereits verhaftet gewesen sei, zu ihnen nach Hause gekommen und habe ihren Schwiegervater geschlagen, das Auto ihres Mannes kaputt gemacht und Fensterscheiben eingeschlagen. Auf entsprechende Frage nach dem Sinn der Aktion, da beide schon verhaftet gewesen seien, hat sie erklärt, die Newrozfeierlichkeiten hätten ganz in der Nähe ihres Hauses stattgefunden; die Sicherheitskräfte hätten das ganze Viertel durchsucht und dabei viel zerstört.

Davon, dass der Kläger am Newrozfest teilnahm, geht der Senat aus, auch wenn seine Ausführungen zur Teilnahme seiner Kinder an diesem Fest ungereimt erscheinen. So gab er zunächst an, seine Frau und seine vier Kinder hätten am Fest teilgenommen. Er wisse aber nicht genau, „ob sie da waren oder sie etwa weggegangen oder ins Haus gegangen waren“; sie seien an diesem Tag wegen des Festes nicht in die Schule gegangen. Während dies noch darauf schließen lassen könnte, dass er sie wegen des Festes nicht im Augen behalten habe, ging er dann aber auf die Nachfrage des Senats, ob er sie gesehen habe, nicht mehr ein, sondern schilderte das Verhalten der Sicherheitskräfte. Nach den Ausführungen seiner Ehefrau bei ihrer Anhörung waren aber zwei Kinder nicht bei dem Fest, sondern in der Schule, wo sie nach ihrer Festnahme von Sicherheitskräften herausgeholt worden seien.

Nach den Darlegungen des Klägers muss jedoch angenommen werden, dass er nicht vor einem ihm persönlich geltenden Zugriffsversuch der Sicherheitskräfte floh. So gab er bei seiner Anhörung an, als es beim Newrozfest zu Ausschreitungen gekommen sei, sei er geflüchtet. Es seien alle Bewohner des Viertels da gewesen. Viele Leute seien festgenommen worden, viele hätten auch fliehen können. Es sei ein völliges Durcheinander gewesen. Bei dieser Demonstration seien viele Leute wie jedes Jahr festgenommen worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er zunächst auf die Aufforderung, die näheren Umstände seiner Flucht am Newrozfest zu schildern, lediglich erklärt, es seien viele Teilnehmer am Fest gewesen und es habe große Unruhen gegeben. Erst auf eine im weiteren Verlauf der informatorischen Befragung gestellte Frage legte er dar, bei diesen Ereignissen geflohen zu sein aus Angst, dass man ihn wieder inhaftiere. Tausende Menschen hätten an dem Fest teilgenommen. Auch gegenüber dem Senat hat er erklärt, sehr viele seien geflüchtet, sehr viele aber auch festgenommen worden. Er habe auf der Straße gestanden und gesehen, wie die Militärfahrzeuge auf ihn zugekommen seien und dann auch noch viele Sicherheitskräfte mit Gummiknüppeln, die auf die Leute eingeschlagen hätten. Er sei dann weggelaufen, geflüchtet, weil er bedroht worden sei und bei einer erneuten Festnahme die Maßnahmen der Sicherheitskräfte gefürchtet habe. Der Kläger zeichnet somit im Ergebnis das Bild eines massiven Eingreifens durch Militär und Sicherheitskräfte bei einer kurdischen Massenveranstaltung anlässlich des Newrozfestes 2002, wie es in jenem Jahr mehrere aktenkundig gewordene Vorfälle in der Türkei gegeben hat; dem Senat ist bekannt, dass auch in M das Newrozfest durch Polizeieinsatz aufgelöst wurde. Dass er sich in dieser Situation bedroht gefühlt hat und hierzu wie jeder Festteilnehmer allen Grund hatte, drängt sich auf. Es geht aber aus seinen Ausführungen auch nicht ansatzweise hervor, dass er von einem der Sicherheitskräfte konkret erkannt worden sei und diese sodann gezielt ihn zu ergreifen gesucht hätten. Das ist angesichts des geschilderten „völligen Durcheinanders“ auch nicht anzunehmen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass er bei diesen Ereignissen hinsichtlich der Gefahr, von den Sicherheitskräften ergriffen zu werden, kein größeres Risiko lief als alle anderen Teilnehmer.

Auch der von seiner Ehefrau bei ihrer Anhörung geschilderte Umstand, dass während ihrer Festnahme die Polizisten zu ihnen nach Hause gekommen seien, ihren Schwiegervater geschlagen, das Auto ihres Mannes kaputt gemacht und ihre Fensterscheiben eingeschlagen hätten, stützt die Behauptung des Klägers, er sei gesucht worden, nicht. Denn zum einen wird aus ihm nicht deutlich, dass die Polizisten gezielt nach dem Kläger suchten, und zum anderen geht aus dem weiteren Vortrag der Ehefrau hervor, dass die Newrozfeierlichkeiten ganz in der Nähe ihres Hauses stattgefunden, die Sicherheitskräfte das ganze Viertel durchsucht und viel zerstört hätten. Diese Erläuterung spricht mit Gewicht dafür, dass die Durchsuchung nicht dem Kläger persönlich galt, sondern lediglich im Rahmen einer Razzia im Anschluss an die aufgelöste Feier stattfand.

Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Folgezeit von den Sicherheitskräften gesucht wurde. Zwar hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, er werde auch heute noch in der Türkei gesucht; er telefoniere gelegentlich mit seinen Nachbarn, die ihm berichteten, dass die Polizisten ständig nach ihm und seinem Bruder fragten. Seine Eltern hätten Angst und hielten sich nicht mehr ständig zu Hause auf. Ein Grund für die Suche sei nicht genannt worden. Wie er dem Senat auf die Frage, ob er nach seiner Flucht gesucht worden sei, jedoch darlegte, hat er am Telefon von seinem Freund und Nachbarn, der im hiesigen Verständnis sein Pate sei, erfahren, dass sehr viele Familien aufgesucht und bedroht worden seien; ob dies auch ihn betroffen habe, wisse er nicht. Im Weiteren führte er aus, dass seine Eltern – zum Teil über seinen Freund – berichtet hätten, dass sie nach seiner Flucht aufgesucht und nach ihm befragt worden seien. Daraus wird ersichtlich, dass eine Suche im eigentlichen Sinne nicht stattgefunden hat. Aus dem Umstand, dass nach ihm gefragt worden sein soll, kann nicht auf ein staatliches Verfolgungsinteresse geschlossen werden, da allein schon seine Abwesenheit Grund für entsprechende Nachfragen gewesen sein kann, zumal der Kläger über den Inhalt der Nachfragen nichts gesagt hat bzw. nichts sagen konnte.

Nach allem kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sein Heimatland vorverfolgt oder aus Furcht vor unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung verlassen hat.

Allerdings hat der Kläger einen Zwischenbericht (teilstationäre Behandlung) der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Wallerfangen vom 26.8.2005 vorgelegt, indem eine chronische komplexe posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wird. Zu den Auswirkungen dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung hat der Mitverfasser des Zwischenberichts, Oberarzt G , als Beistand des Klägers dargelegt, dass bei dem Kläger Phasen erkennbar gewesen seien, in denen er „klar“ gewesen sei, und andere Phasen mit Störungen. Anfangs seien sie davon ausgegangen, dass es sich dabei um Missverständnisse handelte. Heute sei aber die medizinische Erkenntnis, dass es sich um dissoziative Erlebniszustände handele, in die der Kläger hineinfalle. Wenn im Zusammenhang mit dem Kläger von posttraumatischen Belastungsstörungen die Rede sei, gehe er von seinem Beruf her davon aus, dass bei dem Hintergrund ein oder mehrere traumatische Erlebnisse vorlägen. Folterungen würden sich in diese Erlebniswelt einpassen. Ob solche tatsächlich vorgelegen hätten, sei für ihre Behandlung nicht von sonderlichem Interesse, da es hier darauf ankomme, wie der Patient das erlebt habe. Er sei sich sicher, dass dann, wenn der Kläger auf konkrete Fragen kontextfremd antworte, dies zu seinem Krankheitsbild gehöre. Bei widersprüchlichem Antworten vermöge er kein eindeutiges Bild zu zeichnen. Es könne damit zusammenhängen, dass die Kontaktaufnahme dann zu kurz sei. Er habe nämlich festgestellt, dass bei wiederholenden Kontakten solche Probleme weniger aufträten. Das auslösende Moment bei der posttraumatischen Belastungsstörung könne nicht nur körperliche Gewalt sein, es könne auch psychische Gewalt sein, in welcher Form sie auch ausgeübt werden möge.

Nach den Darlegungen des Beistands des Klägers ist ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass das Aussageverhalten und die unsubstantiierten und/ oder widersprüchlichen oder ungereimten Aussagen, die Letzterer in seinem gesamten Asylverfahren gezeigt hat, nicht darauf zurückzuführen sein könnten, dass das dargelegte Verfolgungsschicksal nicht authentisch ist, sondern dass gezeigte Schwächen krankheitsbedingt sind. Hiervon ausgehend ergibt sich jedoch die Schwierigkeit, dass das Wissen um krankheitsbedingte Auswirkungen die Lücken eines unsubstantiierten Vortrages nicht zu schließen vermag. Es lässt sich aus der Sicht des Senats im konkreten Einzelfall auch nicht hinreichend beurteilen, ob etwa eine kontextfremde Antwort des Klägers nicht doch bewusst erfolgt, um eine erkannte „Schwachstelle“ im Vortrag zu verdecken. Daher konnte der Senat auch nach umfassender Würdigung des Klägervortrags vor dem Hintergrund seiner Erkrankung nicht die Überzeugung von der Richtigkeit und nicht nur der Wahrscheinlichkeit seines Vortrags, wegen erlittener und unmittelbar drohender – weiterer – politischer Verfolgung sein Heimatland verlassen zu haben, gewinnen.

Dem Kläger droht für den Fall seiner Rückkehr in sein Heimatland nicht beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung.

Dies gilt zunächst für seine Einreise.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts werden zurückkehrende Asylbewerber nicht routinemäßig - das heißt ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt. Kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, bei denen festzustellen ist, dass sie landesweit gesucht werden oder sich exilpolitisch exponiert haben, droht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bei ihrer Rückkehr in die Türkei politische asylrelevante Verfolgung in Gestalt von Misshandlung in Polizeigewahrsam.

Zunächst rechtfertigt der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf seine Mitgliedschaft im Kurdischen Kulturverein nicht die Annahme, er habe sich in Deutschland exilpolitisch exponiert. Auch bietet der Klägervortrag – wie dargelegt - keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach ihm landesweit gesucht wird.

Der Kläger ist auch nicht wegen seines in Deutschland lebenden abschiebungsschutzberechtigten Bruders einer beachtlich wahrscheinlichen Foltergefahr bei seiner Einreise in die Türkei ausgesetzt. Zwar ist anzunehmen, dass bei der Einreisekontrolle auf EDV zurückgegriffen werden kann und dass eine familiäre Zuordnung dieses Bruders und des Klägers zu einer Familie bei der Einreise ohne weiteres bei Kenntnis des Namens der Eltern und des Geburtsortes möglich ist; dies setzte jedoch voraus, dass Ersterer in das EDV-gestützte Fahndungsregister eingetragen ist und sein Namen auch den Dienststellen an den Grenzübergängen mitgeteilt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn er per Haft- und Festnahmebefehl gesucht wird. Hierfür bietet der Vortrag des Klägers indes keinerlei Anhaltspunkte und dies ist auch ansonsten nicht konkret ersichtlich. Für den Fall jedoch, dass seine Verwandtschaft mit seinem Bruder bei seiner Einreise erkennbar würde, könnte davon ausgegangen werden, dass der Kläger einer – möglicherweise auch strengen – Befragung diesen betreffend, nicht aber einer Folter unterzogen wird. Da der Bruder, der ebenfalls vom Staatssicherheitsgericht Adana 1999 freigesprochen wurde und wegen Verteilens von HADEP-Flugblättern gemäß Bescheid der Beklagten vom 18.12.2001 Abschiebungsschutz genießt, kann der Kläger, ohne diesen zu gefährden, gegebenenfalls bei seiner Einreisebefragung Auskunft erteilen. Im Übrigen ist zu sehen, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seit Oktober 2000 kein Fall bekannt geworden ist, in dem Folter oder Misshandlung eines aus Deutschland in die Türkei Abgeschobenen nachgewiesen werden konnte, und seit zwei Jahren auch kein Fall mehr an das Auswärtige Amt zur Überprüfung mit der Behauptung herangetragen wurde, dass ein abgelehnter Asylbewerber nach Rückkehr misshandelt worden sei.

Der Rückkehr des Klägers steht auch nicht entgegen, dass gegen ihn ein Strafverfahren bei einem Staatssicherheitgericht anhängig war, denn zum einen ist dieses 1999 mit einem Freispruch abgeschlossen worden und zum anderen hat diese Tatsache auch in der Zeit bis 2002 nicht zu Problemen geführt. Ferner sind dem Vortrag des Klägers keine konkreten Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass er selbst deswegen Befürchtungen hegt.

Dies gilt auch hinsichtlich der vorgetragenen Aktivitäten für die HADEP. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die einfache Mitgliedschaft in der – ehemaligen, seit 2003 verbotenen - HADEP nach den Erkenntnissen des Senats nicht zu Repressionsmaßnahmen führt, solange nicht der Verdacht einer PKK-Unterstützung hinzutritt, wofür bei dem Kläger keine Anhaltspunkte bestehen. Da – wie dargelegt – nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger – falls er überhaupt Mitglied der HADEP war -, tatsächlich in der angegebenen Weise im Rahmen der Organisation des Newrozfestes in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden geraten ist, hat er insoweit keinesfalls beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung bei einer Rückkehr zu gewärtigen.

Der türkisch sprechende Kläger hat, wenn er eine Rückkehr nach M , wo seine Eltern zumindest zeitweise noch leben, für sich ausschließt, die Möglichkeit, auf eine inländische Fluchtalternative in einem anderen Teil der Türkei, z.B. Istanbul zurückzugreifen, ohne dass dies für ihn – wie ausgeführt - im Hinblick auf den aktenkundigen Freispruch durch das Staatssicherheitsgericht, seinen Bruder oder seine Betätigung für die HADEP unzumutbar wäre.

Kurden unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zwar möglicherweise in den - ehemaligen - Notstandsprovinzen einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung, ihnen steht jedoch, wenn sie politisch nicht auffällig geworden sind, im Westen der Türkei, insbesondere in den Großstädten dieses Landesteils, eine ihre Anerkennung als Asyl- und Abschiebungsschutzberechtigte unter diesem Aspekt ausschließende Fluchtalternative offen. Auch das in der Folge der Inhaftierung und Verurteilung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in der Türkei festzustellende härtere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Volkszugehörige auch im Westen der Türkei - verbunden mit der Duldung von Übergriffen Dritter gegenüber Kurden - hat sich danach erkennbar auf Demonstranten und sonstige Aktivisten für die kurdische Sache bezogen und nicht ohne Unterschied alle Kurden allein in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit ergriffen. So hat das Auswärtige Amt in seinem im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers noch aktuellen Lagebericht ausgeführt, dass Kurdischstämmige wie andere türkische Staatsangehörige grundsätzlich die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilten. In den Siedlungen, die Türken kurdischer Volkszugehörigkeit, die zunächst wegen des wirtschaftlichen Gefälles, in den letzten Jahren aber hauptsächlich in der Folge von PKK-Terror und staatlicher Repression ihre Dörfer im Südosten verlassen hätten, in einigen Großstädten der Türkei (z.B. Adana, Mersin, auch Istanbul) gebildet hätten, komme es zwar überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen, die Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten seien und immer wieder zu Übergriffen der beteiligten Sicherheitskräften führten. Diese Vorgänge seien Teil der - landesweit und ohne Unterschied der ethnischen Verhältnisse - menschenrechtlich bedenklichen Praktiken türkischer Sicherheitskräfte. Es gebe zahlreiche Beispiele von aus dem Notstandsgebiet ausgewichenen Kurden, die sich nicht in den Kurdenvierteln diverser Städte, sondern in anderen, weniger von Terror und Terrorbekämpfung betroffenen Regionen niedergelassen hätten. Zur wirtschaftlichen Situation von Kurden in west- und südtürkischen Städten könnten keine generalisierenden Aussagen gemacht werden. Manche Kurden hätten es dort zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, andere lebten hingegen in den Armutsquartieren an der Peripherie der Großstädte. Unterschiedlicher Bildungsstand, persönliche Beweglichkeit sowie Einbindung in soziale Strukturen wie Familie oder ehemalige Dorfgemeinschaft spielten dabei eine wichtige Rolle.

Rumpf geht bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative davon aus, dass es für die Folterproblematik schwierig sei, Alternativen zu bestimmen. Istanbul gehöre zwar zu den Provinzen, in denen – abgesehen vom Südosten – die meisten Vorfälle in dieser Hinsicht registriert würden. Allerdings sei Istanbul nicht nur mit zwischen 12 und 15 Millionen Einwohnern die größte, sondern auch in ihrer sozialen und ethnischen Vielfalt lebendigste Provinz, in der zudem die besten Möglichkeiten bestünden, sich weitgehend unerkannt und unbehelligt niederzulassen.

Auch die neueren Erkenntnisse geben keinen Anlass, das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative für den Kläger und seine Familie durchgreifend in Frage zu stellen. Noch im vorletzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird die in dem vorgenannten Lagebericht wiedergegebene Lage bestätigt. Demgegenüber geht das Auswärtige Amt im neuesten Lagebericht unter dem Aspekt „Ausweichmöglichkeiten“ davon aus, dass asylrelevante staatliche Repressionsmaßnahmen nur noch in Form von Übergriffen vereinzelt vorkommen können, nirgends in der Türkei bestandskräftig durchgesetzt werden können und kurdischstämmige Türken mit allen anderen türkischen Staatsangehörigen die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilen. Auch amnesty international hat keine Informationen, dass die jüngsten politischen Entwicklungen – nach Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands durch Öcalan - sich auf die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Westtürkei allgemein negativ ausgewirkt hätten, allerdings sei die soziale Situation sehr schwierig.

Dass es dem Kläger nicht möglich sein sollte, sich in Istanbul, wo seine Ehefrau und Kinder bereits drei Monate bis zu ihrer Ausreise bei einem Onkel gelebt haben, oder in einem anderen Bereich der westlichen Türkei mit seiner Familie niederzulassen, ist nicht ersichtlich. Umstände, die in Frage stellen können, dass sie gegebenenfalls in der West-Türkei wirtschaftlich ein Leben oberhalb des Existenzminimums führen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch angesichts der persönlichen Verhältnisse der Familie – die Eltern des Klägers sind nach Aussage seiner Ehefrau sehr reich, so dass sie sie ggf. wohl unterstützen könnten, und die gesamte Großfamilie außer dem Schwager lebt nach Erklärung des Klägers noch in der Türkei - ersichtlich.

Ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 I AufenthG steht dem Kläger folglich nicht zu.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die – offensichtlich hilfsweise begehrte – Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 II ff AufenthG, dessen Regelungen dem bis 31.12.2004 geltenden § 53 AuslG insgesamt betrachtet entsprechen, und insbesondere mit Blick auf die vorgetragenen und durch ärztliche Atteste belegten Krankheiten keinen Anspruch gemäß dem allein in Betracht kommenden § 60 VII AufenthG – zuvor § 53 VI AuslG -. Insofern wird zunächst auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. In dem ärztlichen Zwischenbericht vom 26.8.2005 wird auf die bei ihm diagnostizierte chronische komplexe posttraumatische Belastungsstörung hingewiesen, die bei Durchführung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu einer erheblichen und massiven, dauerhaften Verschlechterung der psychischen Konstitution des Klägers und letztlich zu einer hohen Suizidgefahr führen werde. Zu der Suizidgefahr hat sein ärztlicher Beistand in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er vor dem Hintergrund, dass der Kläger sehr schwer einzuschätzen sei, davon ausgehe, dass er insbesondere, was die Veränderung seines Aufenthaltsstatus angehe, ohne Vorankündigung mit Suizids reagieren könnte. Hierzu ist festzustellen, dass die Frage, ob der Gesundheitszustand des Klägers aufenthaltsbeendende Maßnahmen zulässt, zu gegebener Zeit von der insoweit zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen sein wird.

Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse liegen nach Auffassung des Senats nicht vor. Eine medizinische Versorgung des Klägers ist in der Türkei möglich. Psychisch kranke Menschen können in allen Krankenhäusern behandelt werden, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Allerdings ist die Situation psychisch Kranker in der Türkei gekennzeichnet durch eine Dominanz krankenhausorientierter Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter und komplementärer Versorgungsangebote. Psychiatrische Kliniken des Gesundheitsministeriums und Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen – unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller öffentlichen türkischen Institutionen – über mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Die Verweildauer der Patienten ist aufgrund der verfügbaren Kapazitäten (Psychiater/ Betten) in der Regel auf drei Monate beschränkt. Weiterführende Therapien können aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht immer angeboten werden. Für die Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung – PTBS - werden die international anerkannten Klassifikationssysteme angewandt. Zu den Behandlungskonzepten zählen wie in Westeuropa üblich u.a. Psychotherapie mit Relaxationtraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. In welchem Umfang für die Betroffenen auch tatsächlich eine therapeutische Weiterbehandlung und eine adäquate Betreuung einer PTBS möglich sind, kann oft nur im Einzelfall geklärt werden. Die Versorgung psychisch kranker Menschen ist dagegen im Privatsektor vergleichsweise günstig, so wurden in Istanbul in den letzten Jahren mehrere moderne psychiatrische Krankenhäuser mit differenziertem Behandlungsangebot und ambulanter Betreuungsmöglichkeit eingerichtet. Eine Behandlung bei einem der vielen niedergelassenen Ärzte oder der umfassend ausgebildeten Psychologen, Psychiater, psychotherapeutisch tätigen Ärzten oder Neurologen ist aber nur als Privatpatient möglich. Bei der Behandlung psychisch kranker Menschen ist ein ständig steigender Standard festzustellen.

Ausgehend von der Erklärung der Ehefrau des Klägers bei ihrer Anhörung, wonach ihr Schwiegervater sehr reich sei und sie im Dorf noch Land hätten, dürfte daher der Zugang zur medizinischen Versorgung für den Kläger gesichert sein. Ansonsten könnte er, sofern er mittellos ist, auf die „yesil kart“ zurückgreifen, die von der Gesundheitsverwaltung ausgestellt wird und zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt; seit 1.5.2005 werden – neben den Kosten für stationäre Behandlung - auch bei ambulanter Behandlung die Kosten der Medikamente übernommen.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 II VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

Sonstige Literatur

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser- Wilhelm-Straße 15, A-Stadt/Postanschrift: 66724 A-Stadt) einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist ebenfalls bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser-Wilhelm-Straße 15, A-Stadt/Postanschrift: 66724 A-Stadt) einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, bezeichnet werden.

Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten erfolgen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Tenor

Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit die Kläger ihren Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen, in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen haben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die 1973 geborene Klägerin zu 1) – nachfolgend: Klägerin - und ihre Kinder, die Kläger zu 2) bis 5), sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volks- und alevitischer Religionszugehörigkeit. Am 6.9.2002 verließen sie ihr Heimatland und beantragten am 24.9.2002 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Diesen Antrag begründeten sie mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 12.9.2002. Da ihr Ehemann – der Kläger des Verfahrens 2 R 1/05 – und sein persönliches Umfeld politisch oppositionell engagiert gewesen seien, sei auch die Klägerin politisiert worden und habe sich im Jahre 1998 der HADEP angeschlossen. Sie habe sich fortan an Newrozfesten und an propagandistischen Aktivitäten beteiligt. Sie sei einmal und zwar im Zusammenhang mit dem Newrozfest 2002 in Mersin festgenommen worden zusammen mit einer sehr großen Anzahl von Personen, darunter auch ihrem Ehemann. Während sie schon nach drei Tagen, in denen sie allerdings körperlich misshandelt worden sei, freigelassen worden sei, befinde sich ihr Ehemann noch immer in Haft. Dieser sei schon 1999 für die Dauer von drei Tagen inhaftiert gewesen. Damals sei gegen ihn ein Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht Adana anhängig gewesen, in dem sowohl er selbst als auch sein Bruder S - wie sich aus dem beigefügten Beschluss dieses Gerichtes ergebe - Beschuldigte gewesen seien. S sei inzwischen als politischer Flüchtling gemäß § 51 I AuslG anerkannt worden. Nach ihrer Freilassung habe sich die Klägerin entschlossen, aus ihrer Heimat zu fliehen, da sie sich nach wie vor durch die staatlichen Sicherheitskräfte bedroht gefühlt habe. Mittels Schlepper seien sie auf dem Luftweg von Istanbul nach Düsseldorf ausgereist.

Bei ihrer Anhörung im Rahmen der Vorprüfung ihres Asylbegehrens am 25.9.2002 begründeten die Kläger ihren Asylantrag im Wesentlichen wie folgt: In der Türkei habe die Klägerin sich politisch engagiert, sei aber nicht Mitglied einer Partei gewesen. Allerdings sei ihr Mann Mitglied der HADEP. Sie selbst habe ihn ab und zu, wenn es ihre Zeit erlaubt habe, begleitet. Außerdem hätten auch manchmal Versammlungen bei ihnen zu Hause stattgefunden. Die Letzte sei etwa 10 oder 15 Tage vor den Newrozfeiern in diesem Jahr gewesen. Sie hätten über die Feierlichkeiten gesprochen und befürchtet, dass die Feier verboten würde, dass sie aber dennoch Newroz feiern wollten. Ausgereist sei sie mit ihren Kindern wegen der Vorfälle beim Newrozfest 2002. An der Newrozfeier habe die ganze kurdische Bevölkerung ihres Stadtteils und auch noch von anderen Stadtteilen teilgenommen, bestimmt 1.000 Leute. Als sie dabei gewesen seien, Newroz zu feiern, hätten die Polizisten ihren Mann und sie mitgenommen. Sie sei vier Nächte und drei Tage in Haft gewesen. Zusammen mit ihnen seien viele Leute mitgenommen worden. Die Polizisten hätten mit Stöcken auf sie eingeschlagen. Sie hätten sie auch auf die Beine geschlagen und sie, als sie bei ihnen in Haft gewesen sei, misshandelt; sie hätten sie an den Haaren gezogen und in einem kalten Raum auf Beton schlafen lassen. Obwohl die Newrozfeiern offiziell erlaubt seien, wolle die Regierung nicht, dass diese gefeiert würden. Während ihrer Festnahme sei sie gefragt worden, warum die Kurden die Leute störten, indem sie Newroz feierten. Man habe auch zu ihr gesagt, dass ihr Mann bei der HADEP sei. Ihr Sohn M und ihre Tochter Z seien aus der Schule geworfen worden. Als ihr Mann und sie festgenommen worden seien während des Newrozfestes, seien die Polizisten in die Schule gegangen und hätten ihre Kinder dort herausgeholt und gesagt, dass sie die Schule nicht mehr besuchen dürften. Nach ihrer Freilassung sei sie so krank gewesen, dass sie einen Monat lang im Bett habe bleiben müssen. Dann sei sie noch einen Monat zu Hause geblieben und habe die Situation abgewartet. Als sie festgestellt habe, dass andere Leute, die mit ihrem Mann und ihr zusammen beim Newrozfest verhaftet worden und wieder freigelassen worden seien, erneut verhaftet worden seien, habe sie Angst gehabt, dass ihr das auch passieren könne. Sie sei dann zu ihrem Onkel nach Istanbul gegangen, habe sich aber auch dort nicht frei bewegen können. Sie habe aber auch schon einen Monat vor dem Newrozfest Schwierigkeiten mit staatlichen Sicherheitskräften gehabt. Drei Polizisten seien nämlich eines Abends zu ihr gekommen und hätten nach ihrem Mann gefragt und gesagt, dass sie ruhig zugeben könne, dass ihr Mann eine Versammlung durchführe. Sie habe gesagt, dass sie nicht wisse, wo er sich aufhalte. Sie hätten dann weiter gesagt, dass, wenn er nicht da sei, sie sie, die Klägerin, mitnehmen müssten. Im Bus hätten sie die Adresse ihres Schwagers wissen wollen. Sie habe ihnen aber gesagt, dass sie die nicht wisse, weil sie nicht lesen und nicht schreiben könne. Im Bus sei sie schlimm behandelt und dann wieder freigelassen worden. Mit „schlimm behandelt“ meine sie, dass sie alles mit ihr gemacht hätten, sie hätten sie sogar vergewaltigt. Am gleichen Abend hätten sie ihren Mann im Café verhaftet. Sie hätten ihn eine Nacht lang bis zum nächsten Mittag festgehalten und nach seinem Bruder gefragt. Sie hätten von ihm verlangt, dass er von den Newrozfeierlichkeiten fernbleiben solle, was er ihnen auch zugesagt habe. Deshalb sei er am nächsten Mittag freigelassen worden. Von der Vergewaltigung habe sie dreimal in einem Monat Blutungen gehabt und es habe auch eine schlimme Entzündung gegeben. Sie habe sich nicht behandeln lassen, weil sie sich so geschämt habe, und habe es auch niemandem erzählt. Wenn sie ins Krankenhaus gegangen wäre, hätte die Polizei bestimmt davon erfahren und dann weiter gemacht. An dem Tag, an dem ihr Mann und sie bei den Newrozfeierlichkeiten verhaftet worden seien, seien die Polizisten auch zu ihnen nach Hause gekommen, hätten ihren Schwiegervater geschlagen, das Auto ihres Mannes kaputt gemacht und ihre Fensterscheiben eingeschlagen. Die Newrozfeierlichkeiten hätten ganz in der Nähe ihres Hauses stattgefunden. Die Sicherheitskräfte hätten das ganze Viertel durchsucht und viel zerstört. Die Klägerin legte verschiedene Dokumente, darunter einen Haftbefehl von 1999 betreffend ihren Ehemann vor.

Mit Bescheid vom 18.10.2002 lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 I AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Unter Abschiebungsandrohung wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland einen Monat nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte hätten die Kläger nicht, da eine Einreise auf dem Luftweg nicht glaubhaft sei, weil die diesbezüglichen Angaben pauschal und unsubstantiiert gewesen seien. Es bestehe auch kein Abschiebungsverbot, da die Kläger nicht hätten glaubhaft machen können, in der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu seien und auch keine solche bei ihrer Rückkehr zu befürchten hätten. Selbst wenn gegen den Ehemann der Klägerin ein Strafverfahren in der Türkei anhängig sein sollte, wäre nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Sicherheitskräfte ein Interesse an ihr haben könnten. Eine Sippenhaft im rechtlichen Sinne gebe es in der Türkei nicht. Der Umstand allein, aus einer Familie zu stammen, in der Mitglieder „politisch-oppositionell“ tätig seien, führe deshalb zu keiner Strafverfolgung, sofern nicht für eigene Aktivitäten Anhaltspunkte vorlägen. Belästigungen der Klägerin durch örtliche Sicherheitskräfte könne diese sich jedenfalls durch eine Wohnsitznahme im Westen der Türkei entziehen. Gleiches gelte für ihre Berufung auf die behauptete kurdische Volkszugehörigkeit. Sie hätten grundsätzlich in anderen Teilen als im Südosten und Osten der Türkei eine inländische Fluchtalternative. Auch Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG lägen nicht vor. Eine konkrete Gefahr, der Folter oder einer anderen menschenrechtswidrigen Behandlung durch die türkischen Behörden im Falle einer Rückkehr unterzogen zu werden, sei für die Kläger nicht ersichtlich.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage begründeten die Kläger im Wesentlichen wie folgt: Ihrem Asylbegehren stehe die sog. Drittstaatenregelung nicht entgegen. Zwar könnten sie nicht anhand von Dokumenten beweisen, hätten jedoch im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung glaubhaft geschildert, unter welchen Umständen sie ins Bundesgebiet eingereist seien. Die Klägerin sei nur in sehr geringem Maße politisch aktiv gewesen. Wie sie bei der Anhörung berichtet habe, sei sie selbst jedoch kurz vor ihrer Ausreise zweimal in asylerheblicher Weise von Sicherheitskräften in Anspruch genommen worden. Die mit ihrer Vergewaltigung einhergehende kurzfristige Festnahme im Februar 2002 sei erfolgt, weil man ihren Ehemann zu Hause nicht angetroffen habe. Zur zweiten Festnahme, die vom 21. bis 25.3.2002 gedauert habe, sei es bei den Newrozfeierlichkeiten in Mersin gekommen, wo die Klägerin gemeinsam mit einer dreistelligen Zahl anderer Kurden von den Sicherheitskräften ergriffen worden sei. Es sei aber richtig zu stellen, dass ihr Ehemann entgegen ihrer Darstellung in der Asylantragschrift anlässlich der Newrozfeierlichkeiten nicht festgenommen worden sei. Die Klägerin habe damals erlebt, dass Polizisten sich auf ihren Mann gestürzt hätten, offenbar um ihn festzunehmen. Da sie selbst in dieser Situation weggezerrt worden sei, habe sie nicht mehr mitbekommen, dass ihr Mann den Polizisten habe entkommen können. Sie habe daher geglaubt, auch er sei festgenommen. Da sie seitdem keinen Kontakt mehr zu ihrem Mann gehabt und nichts mehr von seinem Schicksal erfahren habe, sei sie davon ausgegangen, dass er sich nach wie vor in Haft befinde. Tatsächlich habe sich der Ehemann unmittelbar nach den Newrozereignissen 2002 nach Adiyaman abgesetzt, wo er rund ein halbes Jahr lang bis zu seiner eigenen Flucht aus der Türkei versteckt geblieben sei. Die Sicherheitskräfte hätten zumindest zu jenem Zeitpunkt durchaus ein Interesse gehabt, seiner habhaft zu werden. Dies erkläre auch den von der Klägerin bei ihrer Anhörung erwähnten Besuch der Polizisten am Tat des Newrozfestes bei ihnen zu Hause und ihre Übergriffe. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bestehe in der Türkei die Gefahr einer sippenhaftähnlichen Inanspruchnahme durch staatliche Stellen bei enger Verwandtschaft zum politisch Verfolgten, wenn dieser aktuell gesucht werde und zwar wegen seiner Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer militant staatsfeindlichen Organisation. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt mit Ausnahme der Tatsache, dass es sich bei der HADEP nicht um eine militante Organisation handele. Allerdings werde die HADEP, der der Ehemann der Klägerin und Vater der übrigen Kläger angehöre und für die sich auch die Klägerin gelegentlich engagiert habe, von den türkischen Strafverfolgungsbehörden in die Nähe der PKK gerückt. Außerdem seien ihnen die eigenständigen Aktivitäten dieser Partei, die unter dem Verdacht separatistischer Bestrebungen stehe, ein Dorn im Auge. Das zeige, auch wenn die HADEP wiederholt an Wahlen teilgenommen habe, das massive Vorgehen der Sicherheitskräfte etwa gegen Parteibüros, Versammlungen und einzelne Mitglieder. Einzelne ihrer Mitglieder stünden oft im Verdacht der PKK-Nähe. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb die türkischen Behörden zu sippenhaftähnlichen Maßnahmen nur bei Angehörigen von PKK-Mitgliedern und nicht auch bei solchen von HADEP-Mitgliedern greifen sollten, zumal die Übergänge aus der Sicht türkischer Behörden fließend seien. Die Klägerin könne auch nicht mit Blick auf die Individualverfolgung – sei es aus Gründen eigener oppositioneller Betätigung oder wegen der Suche nach ihrem Ehemann – auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der türkische Staat seinen Verfolgungsanspruch gegenüber einer von ihm als staatsfeindlich eingestuften Person überall auf dem Staatsgebiet durchsetzen wolle. Hinzu komme, dass ein jüngerer Bruder der Klägerin während seiner Militärzeit von türkischen Sicherheitskräften umgebracht worden sei. Auch wegen dieses Vorfalls, der damals für starkes Aufsehen gesorgt habe, seien die Klägerin und ihre Familie schon lange im Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte, was die Gefahr, aus aktuellem Anlass, nämlich der Suche nach dem Ehemann verfolgt zu werden, noch erhöhe.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 18.10.2002 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass hinsichtlich einer Abschiebung in die Türkei die Voraussetzungen des § 51 I AuslG vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass einer Abschiebung in die Türkei Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG entgegenstehen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat schriftsätzlich Klageabweisung beantragt.

Der Beteiligte hat sich zu der Klage nicht geäußert.

Mit Urteil vom 17.6.2004 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es im Wesentlichen, einer Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte stünden bereits die Regelungen des Art. 16a II GG, § 26a AsylVfG entgegen. Sie hätten eine Einreise auf dem Luftweg nicht glaubhaft machen können. Ihnen stehe auch kein Anspruch nach § 51 I AuslG zu. Sie hätten weder glaubhaft machen können, im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein noch befürchten zu müssen, im Falle einer Rückkehr politisch verfolgt zu werden. Denn die Kläger hätten sich im Wesentlichen auf das Asylvorbringen ihres Ehemannes und Vaters berufen und sich nach eigenen Angaben nicht engagiert politisch betätigt. Dessen Asylbegehren sei jedoch ohne Erfolg geblieben. Soweit sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergänzend darauf berufen habe, sie sei am 20.2.2002 von Polizisten festgenommen und vergewaltigt worden, sei ein asylrelevanter Hintergrund nicht ersichtlich. Dies werde nachdrücklich durch den Umstand belegt, dass sie sich nach ihrer Freilassung noch zwei Monate in ihrem Haus im Heimatdorf aufgehalten habe, ohne von den Sicherheitskräften in dieser Zeit behelligt worden zu sein. Angesichts der Bewertungen im Verfahren ihres Ehemannes bzw. Vaters könnten die Kläger sich auch nicht mit Erfolg auf eine ihnen drohende politische Verfolgung im Falle der Rückkehr unter dem Gesichtspunkt der Sippen- oder Geiselhaft berufen. Einer erfolgreichen Berufung auf ihre kurdische Volkszugehörigkeit und die Situation der Kurden in der Türkei stehe entgegen, dass Kurden zumindest keiner landesweiten Gruppenverfolgung unterlägen, weil ihnen jedenfalls in den westlichen Teilen der Türkei, insbesondere in den dortigen Großstädten grundsätzlich ein Leben ohne Verfolgung möglich sei und sie dort auch regelmäßig eine – wenngleich bescheidene – Existenzgrundlage finden könnten. Es sei auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass Kurden bei der Wiedereinreise in die Türkei wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder einer Asylantragstellung asylerheblichen Maßnahmen unterworfen würden. Besondere Umstände in der Person der Kläger, die eine andere Beurteilung geböten, seien nicht ersichtlich. Auch der Antrag auf Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG bleibe ohne Erfolg.

Mit der Berufung machen die Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht „ergänzend“ darauf berufen habe, dass sie von Polizisten vergewaltigt worden sei. Vielmehr habe sie diesen Vorfall schon bei der Anhörung durch die Beklagte vorgetragen. Auch der asylrelevante Hintergrund der Vergewaltigung ergebe sich aus ihren Angaben bei der Anhörung. Sie habe nämlich darauf hingewiesen, dass die Polizisten, die zu ihr nach Hause gekommen seien, ihr vorgehalten hätten, ihr Mann würde eine Versammlung durchführen, weil er Newroz feiern wolle; wenn er nicht zu Hause sei, müssten sie sie mitnehmen. Die Klägerin mache auch gegen sie selbst gerichtete Verfolgung geltend, nämlich die erlittene Vergewaltigung und die einen Monat später erlittene mehrtägige Inhaftierung. Sie sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts in seiner Prozesskostenhilfeentscheidung kein Opfer eines Amtswalterexzesses geworden. Es sei allgemeinkundig, dass oppositionell Eingestellte, vor allem auch kurdische Frauen nach polizeilichen Festnahmen in der Türkei häufig sexuell beleidigt oder vergewaltigt würden. Deshalb sei es grundsätzlich falsch, „vereinzelten Exzesstaten“ von Amtswaltern die staatliche Zurechenbarkeit abzusprechen. Gerade in der Türkei sei zumindest in der Vergangenheit von staatlicher Seite nichts gegen Polizeibeamte und Gefängniswärter unternommen worden, die politische Gefangene sexuell misshandelten. Zwar würde vielfach behauptet, seit der Machtübernahme durch die AKP-Regierung und insbesondere seit dem Amtsantritt des Ministerpräsidenten Erdogan sei eine gewisse Liberalisierung mit der Folge eingetreten, dass jetzt besserer Schutz vor derartigen „Amtswalterexzessen“ bestehe. Die Übergriffe gegen die Klägerin hätten sich jedoch vor dieser Zeit ereignet. Das Argument des Gerichts, dass die Klägerin sich nach ihrer Freilassung noch zwei Monate unbehelligt in ihrem Haus aufgehalten habe, belege die fehlende Asylrelevanz der vorangegangenen Vergewaltigung, sei nicht nachvollziehbar; es sei auch mit Blick auf § 60 I 3 AufenthG überholt.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 17.6.2004 – 6 K 4/04.A – und den Bescheid der Beklagten vom 18.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,

festzustellen, dass bezüglich der Kläger die Voraussetzungen des § 60 I AufenthG vorliegen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat ihre Zurückweisung beantragt.

Der Beteiligte hat sich zu der Berufung nicht geäußert.

Der Senat hat die Klägerin zu ihrem Verfolgungsschicksal informatorisch angehört.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen sowie der in der Liste – Stand: 26.9. 2005 - benannten Teile der Dokumentation Türkei, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Das Ausbleiben der Beklagten und des Beteiligten im Termin standen einer Verhandlung und Entscheidung in der Sache nicht entgegen, da sie ordnungsgemäß und unter Hinweis auf § 102 II VwGO geladen worden waren.

Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung ihre Berufung – hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehrens - gemäß § 126 I VwGO zurückgenommen haben, war das Berufungsverfahren einzustellen und waren ihnen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäß §§ 155 II, 159 VwGO, 100 ZPO aufzuerlegen.

Die Berufung im aufrecht erhaltenen Umfang ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die erhobene Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Den Klägern steht zunächst kein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG, der zum 1.1.2005 § 51 I AuslG ersetzt hat, zu.

Die Voraussetzungen für die Bejahung von Abschiebungsschutz im Sinne von § 60 I AufenthG sind deckungsgleich mit denjenigen des Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a I GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft – vorbehaltlich der Neuregelung in den Sätzen 3 (Anknüpfungspunkt „Geschlecht“ für Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) und 4 lit. c (nichtstaatliche Akteure) des § 60 I AufenthG.

Nach Art. 16a I GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch Verfolgter ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb seines Herkunftslandes befindet und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will. Art und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der menschlichen Würde. Soweit nicht eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit besteht, können politische Repressalien ein Asylrecht nur begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.

Politische Verfolgung ist grundsätzlich und typischerweise Verfolgung durch staatliche Organe und demnach dem jeweiligen Verfolgerstaat unmittelbar zuzurechnen. Der Herkunftsstaat hat indes auch politisch motivierte Übergriffe Dritter bei fehlender Schutzbereitschaft zu verantworten.

Als politisch verfolgt ist jeder Ausländer zu verstehen, der in eigener Person aus politischen Gründen im dargestellten Sinne Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet und daher in aussichtsloser Lage gezwungen ist, sein Herkunftsland zu verlassen, um Schutz und Zuflucht im Ausland zu suchen.

Vom Vorliegen begründet befürchteter unmittelbar drohender Gefahr eigener politischer Verfolgung ist dann auszugehen, wenn der Betroffene von gegen ihn gerichteten asylrelevanten Maßnahmen im Herkunftsland bisher verschont geblieben ist, ihn derartige Maßnahmen aber - weil der Verfolger ihn bereits im Blick hat - demnächst zu ereilen drohen. Eine drohende Gefahr in diesem Sinne muss also konkret und gegenwärtig zum Zeitpunkt der Flucht - d.h. als unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorstehend - zu erwarten sein.

Für die Beurteilung des Vorliegens politischer Verfolgung gelten unterschiedliche Maßstäbe, je nachdem, ob der asylsuchende Ausländer sein Herkunftsland auf der Flucht vor eingetretener oder konkret drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Bei festzustellender Vorverfolgung oder Ausreise wegen konkret drohender politischer Verfolgung ohne die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative im Herkunftsstaat erfordert die Anerkennung als Asylberechtigter, dass die fluchtbegründenden Umstände im Entscheidungszeitpunkt ohne wesentliche Änderungen fortbestehen oder mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist. Besteht hingegen hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung, scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aus. Das Fehlen hinreichender Sicherheit vor Verfolgung liegt bei vorverfolgt ausgereisten Asylsuchenden vor, wenn über die bloße Möglichkeit hinaus, Opfer eines erneuten Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte eine Wiederholung der ursprünglichen oder aber das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung als nicht ganz entfernte, d.h. reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dazu genügt nicht jede, noch so geringe Möglichkeit des abermaligen Verfolgungseintritts. Andererseits muss die Gefahr erneuter Übergriffe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.

Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, ist das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Droht dem Ausländer in einem Teil seines Heimatstaates regionale politische Verfolgung, so kann er auf andere Landesteile nur verwiesen werden, wenn diese den Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative entsprechen.

Politische Verfolgung vor der Ausreise ist rückschauend bezogen auf den letzten Wohn- und Aufenthaltsort des Asylsuchenden zu beurteilen. Die Frage einer drohenden politischen Verfolgung erfordert eine Prognose, die das jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick nimmt und auf die absehbare Zukunft ausgerichtet ist. Besteht die Gefahr nur in einem Teil des Herkunftslandes, kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, wenn ihm dort keine anderen nicht zumutbaren existenziellen Gefahren drohen.

Die Klägerin hat ihre Berufung ausdrücklich zum einen mit ihrer erlittenen Vergewaltigung und zum anderen mit der 3-tägigen Haft, bei der sie gefoltert worden sei, im Anschluss an die Festnahme beim Newrozfest begründet.

Die Vergewaltigung habe einen politischen Hintergrund. An jenem Abend seien drei Polizisten abends gegen 10 – 11 Uhr zu ihr nach Hause gekommen und hätten gesagt, sie wüssten, dass ihr Mann eine Versammlung durchführe, weil er Newroz feiern wolle. Nachdem sie gesagt habe, sie wisse nicht, wo er sei, hätten sie erklärt, wenn er nicht da sei, müssten sie sie mitnehmen. In der Folge sei sie mit einem Bus mitgenommen, wegen Newroz beschimpft und nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes und dem ihres Schwagers gefragt worden. Dann sei sie vergewaltigt worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich die Klägerin darauf berufen, dass die erlittene Vergewaltigung eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 60 I AufenthG darstelle.

Ferner hat die Klägerin bei ihrer Anhörung zu den Geschehnissen nach ihrer Festnahme beim Newrozfest 2002 ausgeführt, dass sie während der vier Nächte und drei Tage andauernden Haft misshandelt worden sei. Sie sei in der Haft auf die Beine und mit Stöcken geschlagen und an den Haaren gezogen worden; sie hätten sie in einem kalten Raum auf Beton schlafen lassen. Nach ihrer Freilassung sei sie so krank gewesen, dass sie einen Monat lang im Bett habe bleiben müssen. Ausgereist sei sie mit ihren Kindern, als sie habe feststellen müssen, dass Personen, die mit ihr am Newrozfest verhaftet und wieder freigelassen worden seien, erneut verhaftet - nach Aussage beim Verwaltungsgericht indes: „erneut vorgeladen“ - worden seien; sie habe Angst gehabt, dass es auch ihr so ergehen könne.

Ob die Klägerin tatsächlich politische Verfolgung erlitten hat, kann durchaus fraglich sein. Es bestehen einige Ungereimtheiten in ihrem Vortrag und Widersprüche zu dem Vortrag ihres Ehemannes, die an dieser Stelle jedoch nicht im Einzelnen dargestellt zu werden brauchen. Auch stellen die behaupteten politischen Aktivitäten ihres Ehemannes den Hintergrund für das vorgetragene Verfolgungsschicksal der Klägerin hinsichtlich der Vergewaltigung dar; indes konnte sich der Senat von der Wahrheit des Vortrags ihres Ehemannes zu seiner politischen Tätigkeit, seiner erlittenen politischen Verfolgung und seiner Ausreise aus begründeter Furcht vor unmittelbar drohender weiterer politischer Verfolgung in dessen Verwaltungsrechtsstreit 2 R 1/05 nicht überzeugen; dies muss jedoch nicht vertieft werden. Denn auch wenn zu ihren Gunsten davon ausgegangen wird, dass sie ihr Heimatland vorverfolgt verlassen hat, ist ihre Berufung unbegründet, da eine erneute Verfolgung im Sinne des § 60 I AufenthG mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Dies gilt zunächst für ihre Einreise in ihr Heimatland.

Nach den Erkenntnissen des Gerichts werden zurückkehrende Asylbewerber nicht routinemäßig - das heißt ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt. Kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, bei denen festzustellen ist, dass sie landesweit gesucht werden oder sich exilpolitisch exponiert haben, droht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes bei ihrer Rückkehr in die Türkei politische asylrelevante Verfolgung in Gestalt von Misshandlung in Polizeigewahrsam.

Aus dem Vortrag der Klägerin ergeben sich keine Hinweise darauf, dass sie sich in Deutschland exilpolitisch exponiert hat. Auch bieten ihre Ausführungen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach ihr - gar landesweit - gesucht wird. Die Klägerin hat im Heimatland nach Überzeugung des Senats keine eigenen politischen Aktivitäten – abgesehen von der Teilnahme am Newrozfest - entfaltet. Zunächst hatte sie mit Schriftsatz ihres Rechtsanwaltes vom 12.9.2002 im Rahmen der Asylantragstellung vortragen lassen, dass sie, da ihr Ehemann und sein persönliches Umfeld politisch engagiert gewesen seien, auch politisiert worden sei und sich 1998 der HADEP angeschlossen sowie fortan an Newrozfesten und an propagandistischen Aktivitäten beteiligt habe. Bei ihrer Anhörung hat sie auf Befragen erklärt, sie habe sich politisch engagiert, sei aber nicht Mitglied der HADEP gewesen. Ihr Mann, der Mitglied in dieser Partei gewesen sei, sei dort ein und aus gegangen und sie habe ihn ab und zu mal, wenn es ihre Zeit erlaubt habe, begleitet; dies sei aber nicht sehr oft der Fall gewesen, da sie vier Kinder habe und außerdem ihre sehr alten Schwiegereltern versorgt habe. Außerdem hätten manchmal Versammlungen bei ihnen zu Hause stattgefunden, wie diejenige etwa 10 oder 15 Tage vor den Newrozfeiern in diesem Jahr, bei der sie darüber gesprochen hätten, was sie machen wollten, dass sie Angst vor einem Verbot der Feier gehabt hätten und dennoch hätten feiern wollen. Vor dem Verwaltungsgericht hat sie ausweislich der Sitzungsniederschrift auf Frage, ob sie sich politisch betätigt habe, dargelegt, dass sie durchweg Hausfrau und Mutter gewesen sei, hin und wieder mit ihrem Ehemann zu Veranstaltungen oder in Häuser gegangen sei, wo ihr Mann mit den Männern politische Gespräche geführt und sie sich dann immer mit den Frauen unterhalten habe. Die Klägerin hat somit ihre politischen Aktivitäten in ihren Ausführungen im Laufe ihres Asylverfahrens ständig reduziert und letztlich klargestellt, dass sie nicht als politisch engagiert angesehen werden kann. Aufgefallen und damit in den Blick der Sicherheitskräfte geraten – ihren Vortrag insofern als richtig unterstellt - ist sie selbst – auch wenn die Familie durch den Tod ihres Bruders während der Militärzeit in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sein sollte - nur dadurch, dass sie beim Newrozfest 2002 teilgenommen hat, verhaftet wurde und (vier Nächte bzw. ) drei Tage in Haft geblieben ist, wo sie misshandelt wurde. Die Teilnahme an diesem Fest, das nach der Erklärung der Klägerin etwa 1000 Kurden - nämlich die ganze kurdische Bevölkerung des Stadtviertels, darunter auch viele Frauen und Kinder - besucht haben, ist jedoch aus der maßgeblichen Sicht der Sicherheitsbehörden, die die missliebige Veranstaltung mit Gewalt auflösten, jedenfalls in Bezug auf ansonsten nicht erkennbar politisch engagierte Frauen zweifellos weniger als politische Meinungsäußerung, denn als Teilnahme an einem kulturellen Ereignis, dem kurdischen Neujahrsfest, anzusehen. Diese Teilnahme hat für die Klägerin in den folgenden zwei Monaten nach ihrer Freilassung, in denen sie noch in ihrem Haus gelebt hat, keine weiteren Folgen gehabt. Es ist auch weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass in der Folgezeit, als sie mit den Klägern zu 2) bis 5) bis zu ihrer Ausreise bei ihrem Onkel in Istanbul lebte, nach ihr gesucht worden wäre; auch ihr Ehemann, der mit einem befreundeten Nachbarn und – z.T. über diesen – mit seinen Eltern in Verbindung stand und steht, hat in seinem Verfahren nicht erwähnt, dass nach der Klägerin gesucht werde bzw. worden sei.

Die Klägerin hat wegen politischer Aktivitäten ihres Ehemannes – unabhängig von der Frage, inwieweit es diese tatsächlich gegeben hat - bei der Einreise und danach jedenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Übergriffe zu befürchten. Denn es ist davon auszugehen, dass eine Rückkehr ins Heimatland im Familienverbund erfolgen und ihr Ehemann dann den Sicherheitsbehörden selbst für eine – ggf. auch strenge – Befragung zur Verfügung stehen würde. Dass diese in dieser Situation von einer politisch nicht erkennbar engagierten Frau weitere Informationen sollten gewinnen wollen, ist deshalb äußerst unwahrscheinlich.

Gleiches gilt in Bezug auf ihren in Deutschland lebenden abschiebungsschutzberechtigten Schwager. Zwar ist anzunehmen, dass bei der Einreisekontrolle der Familie auf EDV zurückgegriffen werden kann und dass eine familiäre Zuordnung ihres Ehemannes und seines Bruders zu einer Familie bei der Einreise ohne weiteres bei Kenntnis des Namens der Eltern und des Geburtsortes möglich ist; dies setzte jedoch voraus, dass Letzterer in das EDV-gestützte Fahndungsregister eingetragen ist und sein Namen auch den Dienststellen an den Grenzübergängen mitgeteilt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn er per Haft- und Festnahmebefehl gesucht wird. Hierfür bietet der Vortrag der Klägerin und ihres Ehemannes indes keinerlei Anhaltspunkte und dies ist auch ansonsten nicht konkret ersichtlich. Der Umstand, dass die Klägerin von den Sicherheitsbehörden nach ihrem Schwager gefragt worden sein will, spricht jedenfalls nicht dafür, da ein Grund für eine Suche nicht mitgeteilt wurde und schon sein Verschwinden Anlass zu Nachfragen bietet. Für den Fall, dass die Verwandtschaft ihres Ehemannes mit seinem Bruder bei der Einreise der Familie erkennbar würde, kann davon ausgegangen werden, dass der Ehemann als naher männlicher Verwandter einer – möglicherweise auch strengen – Befragung diesen betreffend, nicht aber einer Folter unterzogen wird; dass die Klägerin als Schwägerin in dieser Situation überhaupt befragt würde, erscheint fernliegend. Da der Schwager Abschiebungsschutz genießt, könnte außerdem, ohne diesen zu gefährden, gegebenenfalls bei der Einreisebefragung über ihn Auskunft erteilt werden. Im Übrigen ist zu sehen, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seit Oktober 2000 kein Fall bekannt geworden ist, in dem Folter oder Misshandlung eines aus Deutschland in die Türkei Abgeschobenen nachgewiesen werden konnte, und seit zwei Jahren auch kein Fall mehr an das Auswärtige Amt zur Überprüfung mit der Behauptung herangetragen wurde, dass ein abgelehnter Asylbewerber nach Rückkehr misshandelt worden sei.

Ob die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Mersin, wo ihre Schwiegereltern zumindest zeitweise noch leben, Gefahr liefe, den Polizisten, die für die Vergewaltigung verantwortlich waren, erneut zu begegnen und – etwa um ihr Schweigen und damit die Vertuschung der von ihnen begangenen Straftat zu erreichen – asylerheblichen Repressionen ausgesetzt zu werden, ist unwahrscheinlich, da sie auch in den rund drei Monaten, die zwischen der Vergewaltigung und ihrer Abreise nach Istanbul lagen, deswegen nicht belästigt wurde und zwischenzeitlich mehr als dreieinhalb Jahre vergangen sind. Diese Frage kann aber letztlich offen bleiben, denn die türkisch sprechende Klägerin hat jedenfalls die Möglichkeit, derartigen Problemen mit der örtlichen Polizei dadurch aus dem Weg zu gehen, dass sie mit ihrer Familie auf eine inländische Fluchtalternative in einem anderen Teil der Türkei zurückgreift, z.B. Istanbul, wo sie bis zu ihrer Ausreise bereits drei Monate mit den anderen Klägern bei ihrem Onkel gelebt hat. Für diesen Teil ist die Klägerin bei Fortführung ihres bisherigen allem Anschein nach unpolitischen Lebens hinreichend sicher vor einer erneuten Verfolgung; ggf. ist ihr zumutbar, bei der Teilnahme an Veranstaltungen, die erfahrungsgemäß häufig von der Polizei aufgelöst werden, Zurückhaltung zu üben.

Kurden unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zwar möglicherweise in den - ehemaligen - Notstandsprovinzen einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung. Kurden steht jedoch, wenn sie politisch nicht auffällig geworden sind, im Westen der Türkei, insbesondere in den Großstädten dieses Landesteils, eine ihre Anerkennung als Asyl- und Abschiebungsschutzberechtigte unter diesem Aspekt ausschließende Fluchtalternative offen. Auch das in der Folge der Inhaftierung und Verurteilung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in der Türkei festzustellende härtere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Volkszugehörige auch im Westen der Türkei - verbunden mit der Duldung von Übergriffen Dritter gegenüber Kurden - hat sich danach erkennbar auf Demonstranten und sonstige Aktivisten für die kurdische Sache bezogen und nicht ohne Unterschied alle Kurden allein in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit ergriffen. So hat das Auswärtige Amt in seinem im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger aktuellen Lagebericht ausgeführt, dass Kurdischstämmige wie andere türkische Staatsangehörige grundsätzlich die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilten. In den Siedlungen, die Türken kurdischer Volkszugehörigkeit, die zunächst wegen des wirtschaftlichen Gefälles, in den letzten Jahren aber hauptsächlich in der Folge von PKK-Terror und staatlicher Repression ihre Dörfer im Südosten verlassen hätten, in einigen Großstädten der Türkei (z.B. Adana, Mersin, auch Istanbul) gebildet hätten, komme es zwar überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen, die Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten seien und immer wieder zu Übergriffen der beteiligten Sicherheitskräften führten. Diese Vorgänge seien Teil der - landesweit und ohne Unterschied der ethnischen Verhältnisse - menschenrechtlich bedenklichen Praktiken türkischer Sicherheitskräfte. Es gebe zahlreiche Beispiele von aus dem Notstandsgebiet ausgewichenen Kurden, die sich nicht in den Kurdenvierteln diverser Städte, sondern in anderen, weniger von Terror und Terrorbekämpfung betroffenen Regionen niedergelassen hätten. Zur wirtschaftlichen Situation von Kurden in west- und südtürkischen Städten könnten keine generalisierenden Aussagen gemacht werden. Manche Kurden hätten es dort zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, andere lebten hingegen in den Armutsquartieren an der Peripherie der Großstädte. Unterschiedlicher Bildungsstand, persönliche Beweglichkeit sowie Einbindung in soziale Strukturen wie Familie oder ehemalige Dorfgemeinschaft spielten dabei eine wichtige Rolle.

Rumpf geht bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative davon aus, dass es für die Folterproblematik schwierig sei, Alternativen zu bestimmen. Istanbul gehöre zwar zu den Provinzen, in denen – abgesehen vom Südosten – die meisten Vorfälle in dieser Hinsicht registriert würden. Allerdings sei Istanbul nicht nur mit zwischen 12 und 15 Millionen Einwohnern die größte, sondern auch in ihrer sozialen und ethnischen Vielfalt lebendigste Provinz, in der zudem die besten Möglichkeiten bestünden, sich weitgehend unerkannt und unbehelligt niederzulassen.

Auch die neueren Erkenntnisse geben keinen Anlass, das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative im Falle der Rückkehr der Klägerin und ihrer Familie durchgreifend in Frage zu stellen. Noch im vorletzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird die in dem früheren Lagebericht wiedergegebene Lage bestätigt. Demgegenüber geht das Auswärtige Amt im neuesten Lagebericht unter dem Aspekt „Ausweichmöglichkeiten“ davon aus, dass asylrelevante staatliche Repressionsmaßnahmen nur noch in Form von Übergriffen vereinzelt vorkommen können und nirgends in der Türkei bestandskräftig durchgesetzt werden können sowie kurdischstämmige Türken mit allen anderen türkischen Staatsangehörigen die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilen. Auch amnesty international hat keine Informationen, dass die jüngsten politischen Entwicklungen – nach Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands durch Öcalan - sich auf die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Westtürkei allgemein negativ ausgewirkt hätten, allerdings sei die soziale Situation sehr schwierig.

Dass es der Klägerin nicht möglich sein sollte, sich in Istanbul oder in einem anderen Bereich der westlichen Türkei mit ihrer Familie niederzulassen, ist nicht ersichtlich. Umstände, die in Frage stellen könnten, dass sie gegebenenfalls in der West-Türkei wirtschaftlich ein Leben oberhalb des Existenzminimums führen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch angesichts der persönlichen Verhältnisse der Familie – die Schwiegereltern sind nach Aussage der Klägerin sehr reich, so dass sie sie ggf. wohl unterstützen könnten, und die gesamte Großfamilie außer dem Schwager lebt nach Erklärung ihres Ehemannes noch in der Türkei - ersichtlich.

Die Klägerin hat nach allem keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG; gleiches gilt für die Kläger zu 2) bis 5), die keine eigenen Asylgründe vorgetragen und ersichtlich die Türkei nicht vorverfolgt oder wegen einer unmittelbar bevorstehenden politischen Verfolgung verlassen, sondern sich in ihrem Vortrag der Klägerin angeschlossen haben.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die – offensichtlich hilfsweise begehrte – Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 II ff AufenthG, dessen Regelungen dem bis 31.12.2004 geltenden § 53 AuslG insgesamt betrachtet entsprechen. Insbesondere hat sie mit Blick auf die durch die fachärztlichen Atteste vom 25.4.2005 – betreffend rezidivierende Unterbauchschmerzen und vaginales Missempfinden - und vom 29.8.2005 - betreffend depressive Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung (nachfolgend: PTBS) sei nicht auszuschließen - bzw. die psychologische Bescheinigung vom 26.8.2005 – betreffend dringender Verdacht auf PTBS - belegten Beschwerden keinen Anspruch gemäß § 60 VII AufenthG – zuvor § 53 VI AuslG -. Denn weder aus dem Vortrag der Klägerin noch aus den Attesten bzw. der Bescheinigung ergibt sich eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne dieser Vorschrift für den Fall der Abschiebung der Klägerin in die Türkei, so dass zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nicht vor liegen.

Im Übrigen ist eine medizinische Versorgung der Klägerin in der Türkei möglich. Psychisch kranke Menschen können in allen Krankenhäusern behandelt werden, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Allerdings ist die Situation psychisch Kranker in der Türkei gekennzeichnet durch eine Dominanz krankenhausorientierter Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter und komplementärer Versorgungsangebote. Psychiatrische Kliniken des Gesundheitsministeriums und Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen – unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller öffentlichen türkischen Institutionen – über mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Die Verweildauer der Patienten ist aufgrund der verfügbaren Kapazitäten (Psychiater/Betten) in der Regel auf drei Monate beschränkt. Weiterführende Therapien können aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht immer angeboten werden. Für die Behandlung der PTBS werden die international anerkannten Klassifikationssysteme angewandt. Zu den Behandlungskonzepten zählen wie in Westeuropa üblich u.a. Psychotherapie mit Relaxationtraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. In welchem Umfang für die Betroffenen auch tatsächlich eine therapeutische Weiterbehandlung und eine adäquate Betreuung einer PTBS möglich sind, kann oft nur im Einzelfall geklärt werden. Die Versorgung psychisch kranker Menschen ist dagegen im Privatsektor vergleichsweise günstig, so wurden in Istanbul in den letzten Jahren mehrere moderne psychiatrische Krankenhäuser mit differenziertem Behandlungsangebot und ambulanter Betreuungsmöglichkeit eingerichtet. Eine Behandlung bei einem der vielen niedergelassenen Ärzte oder der umfassend ausgebildeten Psychologen, Psychiater, psychotherapeutisch tätigen Ärzten oder Neurologen ist aber nur als Privatpatient möglich. Bei der Behandlung psychisch kranker Menschen ist ein ständig steigender Standard festzustellen.

Ausgehend von der Erklärung der Klägerin bei ihrer Anhörung, wonach ihr Schwiegervater sehr reich sei und sie im Dorf noch Land hätten, dürfte daher der Zugang zur medizinischen Versorgung für die Klägerin gesichert sein. Ansonsten könnte sie, sofern sie mittellos ist, auf die „yesil kart“ zurückgreifen, die von der Gesundheitsverwaltung ausgestellt wird und zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt; seit 1.5.2005 werden – neben den Kosten für stationäre Behandlung - auch bei ambulanter Behandlung die Kosten der Medikamente übernommen.

Für die Kläger zu 2) bis 5) ist nichts vorgetragen, was einen Anspruch nach §§ 60 II ff. AufenthG begründen könnte.

Die Berufung der Kläger war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 II, 159 VwGO, 100 ZPO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

Gründe

Das Ausbleiben der Beklagten und des Beteiligten im Termin standen einer Verhandlung und Entscheidung in der Sache nicht entgegen, da sie ordnungsgemäß und unter Hinweis auf § 102 II VwGO geladen worden waren.

Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung ihre Berufung – hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehrens - gemäß § 126 I VwGO zurückgenommen haben, war das Berufungsverfahren einzustellen und waren ihnen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäß §§ 155 II, 159 VwGO, 100 ZPO aufzuerlegen.

Die Berufung im aufrecht erhaltenen Umfang ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die erhobene Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Den Klägern steht zunächst kein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG, der zum 1.1.2005 § 51 I AuslG ersetzt hat, zu.

Die Voraussetzungen für die Bejahung von Abschiebungsschutz im Sinne von § 60 I AufenthG sind deckungsgleich mit denjenigen des Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a I GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft – vorbehaltlich der Neuregelung in den Sätzen 3 (Anknüpfungspunkt „Geschlecht“ für Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) und 4 lit. c (nichtstaatliche Akteure) des § 60 I AufenthG.

Nach Art. 16a I GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch Verfolgter ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb seines Herkunftslandes befindet und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will. Art und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der menschlichen Würde. Soweit nicht eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit besteht, können politische Repressalien ein Asylrecht nur begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.

Politische Verfolgung ist grundsätzlich und typischerweise Verfolgung durch staatliche Organe und demnach dem jeweiligen Verfolgerstaat unmittelbar zuzurechnen. Der Herkunftsstaat hat indes auch politisch motivierte Übergriffe Dritter bei fehlender Schutzbereitschaft zu verantworten.

Als politisch verfolgt ist jeder Ausländer zu verstehen, der in eigener Person aus politischen Gründen im dargestellten Sinne Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet und daher in aussichtsloser Lage gezwungen ist, sein Herkunftsland zu verlassen, um Schutz und Zuflucht im Ausland zu suchen.

Vom Vorliegen begründet befürchteter unmittelbar drohender Gefahr eigener politischer Verfolgung ist dann auszugehen, wenn der Betroffene von gegen ihn gerichteten asylrelevanten Maßnahmen im Herkunftsland bisher verschont geblieben ist, ihn derartige Maßnahmen aber - weil der Verfolger ihn bereits im Blick hat - demnächst zu ereilen drohen. Eine drohende Gefahr in diesem Sinne muss also konkret und gegenwärtig zum Zeitpunkt der Flucht - d.h. als unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorstehend - zu erwarten sein.

Für die Beurteilung des Vorliegens politischer Verfolgung gelten unterschiedliche Maßstäbe, je nachdem, ob der asylsuchende Ausländer sein Herkunftsland auf der Flucht vor eingetretener oder konkret drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Bei festzustellender Vorverfolgung oder Ausreise wegen konkret drohender politischer Verfolgung ohne die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative im Herkunftsstaat erfordert die Anerkennung als Asylberechtigter, dass die fluchtbegründenden Umstände im Entscheidungszeitpunkt ohne wesentliche Änderungen fortbestehen oder mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist. Besteht hingegen hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung, scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aus. Das Fehlen hinreichender Sicherheit vor Verfolgung liegt bei vorverfolgt ausgereisten Asylsuchenden vor, wenn über die bloße Möglichkeit hinaus, Opfer eines erneuten Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte eine Wiederholung der ursprünglichen oder aber das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung als nicht ganz entfernte, d.h. reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dazu genügt nicht jede, noch so geringe Möglichkeit des abermaligen Verfolgungseintritts. Andererseits muss die Gefahr erneuter Übergriffe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.

Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, ist das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Droht dem Ausländer in einem Teil seines Heimatstaates regionale politische Verfolgung, so kann er auf andere Landesteile nur verwiesen werden, wenn diese den Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative entsprechen.

Politische Verfolgung vor der Ausreise ist rückschauend bezogen auf den letzten Wohn- und Aufenthaltsort des Asylsuchenden zu beurteilen. Die Frage einer drohenden politischen Verfolgung erfordert eine Prognose, die das jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick nimmt und auf die absehbare Zukunft ausgerichtet ist. Besteht die Gefahr nur in einem Teil des Herkunftslandes, kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, wenn ihm dort keine anderen nicht zumutbaren existenziellen Gefahren drohen.

Die Klägerin hat ihre Berufung ausdrücklich zum einen mit ihrer erlittenen Vergewaltigung und zum anderen mit der 3-tägigen Haft, bei der sie gefoltert worden sei, im Anschluss an die Festnahme beim Newrozfest begründet.

Die Vergewaltigung habe einen politischen Hintergrund. An jenem Abend seien drei Polizisten abends gegen 10 – 11 Uhr zu ihr nach Hause gekommen und hätten gesagt, sie wüssten, dass ihr Mann eine Versammlung durchführe, weil er Newroz feiern wolle. Nachdem sie gesagt habe, sie wisse nicht, wo er sei, hätten sie erklärt, wenn er nicht da sei, müssten sie sie mitnehmen. In der Folge sei sie mit einem Bus mitgenommen, wegen Newroz beschimpft und nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes und dem ihres Schwagers gefragt worden. Dann sei sie vergewaltigt worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich die Klägerin darauf berufen, dass die erlittene Vergewaltigung eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 60 I AufenthG darstelle.

Ferner hat die Klägerin bei ihrer Anhörung zu den Geschehnissen nach ihrer Festnahme beim Newrozfest 2002 ausgeführt, dass sie während der vier Nächte und drei Tage andauernden Haft misshandelt worden sei. Sie sei in der Haft auf die Beine und mit Stöcken geschlagen und an den Haaren gezogen worden; sie hätten sie in einem kalten Raum auf Beton schlafen lassen. Nach ihrer Freilassung sei sie so krank gewesen, dass sie einen Monat lang im Bett habe bleiben müssen. Ausgereist sei sie mit ihren Kindern, als sie habe feststellen müssen, dass Personen, die mit ihr am Newrozfest verhaftet und wieder freigelassen worden seien, erneut verhaftet - nach Aussage beim Verwaltungsgericht indes: „erneut vorgeladen“ - worden seien; sie habe Angst gehabt, dass es auch ihr so ergehen könne.

Ob die Klägerin tatsächlich politische Verfolgung erlitten hat, kann durchaus fraglich sein. Es bestehen einige Ungereimtheiten in ihrem Vortrag und Widersprüche zu dem Vortrag ihres Ehemannes, die an dieser Stelle jedoch nicht im Einzelnen dargestellt zu werden brauchen. Auch stellen die behaupteten politischen Aktivitäten ihres Ehemannes den Hintergrund für das vorgetragene Verfolgungsschicksal der Klägerin hinsichtlich der Vergewaltigung dar; indes konnte sich der Senat von der Wahrheit des Vortrags ihres Ehemannes zu seiner politischen Tätigkeit, seiner erlittenen politischen Verfolgung und seiner Ausreise aus begründeter Furcht vor unmittelbar drohender weiterer politischer Verfolgung in dessen Verwaltungsrechtsstreit 2 R 1/05 nicht überzeugen; dies muss jedoch nicht vertieft werden. Denn auch wenn zu ihren Gunsten davon ausgegangen wird, dass sie ihr Heimatland vorverfolgt verlassen hat, ist ihre Berufung unbegründet, da eine erneute Verfolgung im Sinne des § 60 I AufenthG mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Dies gilt zunächst für ihre Einreise in ihr Heimatland.

Nach den Erkenntnissen des Gerichts werden zurückkehrende Asylbewerber nicht routinemäßig - das heißt ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt. Kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, bei denen festzustellen ist, dass sie landesweit gesucht werden oder sich exilpolitisch exponiert haben, droht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes bei ihrer Rückkehr in die Türkei politische asylrelevante Verfolgung in Gestalt von Misshandlung in Polizeigewahrsam.

Aus dem Vortrag der Klägerin ergeben sich keine Hinweise darauf, dass sie sich in Deutschland exilpolitisch exponiert hat. Auch bieten ihre Ausführungen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach ihr - gar landesweit - gesucht wird. Die Klägerin hat im Heimatland nach Überzeugung des Senats keine eigenen politischen Aktivitäten – abgesehen von der Teilnahme am Newrozfest - entfaltet. Zunächst hatte sie mit Schriftsatz ihres Rechtsanwaltes vom 12.9.2002 im Rahmen der Asylantragstellung vortragen lassen, dass sie, da ihr Ehemann und sein persönliches Umfeld politisch engagiert gewesen seien, auch politisiert worden sei und sich 1998 der HADEP angeschlossen sowie fortan an Newrozfesten und an propagandistischen Aktivitäten beteiligt habe. Bei ihrer Anhörung hat sie auf Befragen erklärt, sie habe sich politisch engagiert, sei aber nicht Mitglied der HADEP gewesen. Ihr Mann, der Mitglied in dieser Partei gewesen sei, sei dort ein und aus gegangen und sie habe ihn ab und zu mal, wenn es ihre Zeit erlaubt habe, begleitet; dies sei aber nicht sehr oft der Fall gewesen, da sie vier Kinder habe und außerdem ihre sehr alten Schwiegereltern versorgt habe. Außerdem hätten manchmal Versammlungen bei ihnen zu Hause stattgefunden, wie diejenige etwa 10 oder 15 Tage vor den Newrozfeiern in diesem Jahr, bei der sie darüber gesprochen hätten, was sie machen wollten, dass sie Angst vor einem Verbot der Feier gehabt hätten und dennoch hätten feiern wollen. Vor dem Verwaltungsgericht hat sie ausweislich der Sitzungsniederschrift auf Frage, ob sie sich politisch betätigt habe, dargelegt, dass sie durchweg Hausfrau und Mutter gewesen sei, hin und wieder mit ihrem Ehemann zu Veranstaltungen oder in Häuser gegangen sei, wo ihr Mann mit den Männern politische Gespräche geführt und sie sich dann immer mit den Frauen unterhalten habe. Die Klägerin hat somit ihre politischen Aktivitäten in ihren Ausführungen im Laufe ihres Asylverfahrens ständig reduziert und letztlich klargestellt, dass sie nicht als politisch engagiert angesehen werden kann. Aufgefallen und damit in den Blick der Sicherheitskräfte geraten – ihren Vortrag insofern als richtig unterstellt - ist sie selbst – auch wenn die Familie durch den Tod ihres Bruders während der Militärzeit in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sein sollte - nur dadurch, dass sie beim Newrozfest 2002 teilgenommen hat, verhaftet wurde und (vier Nächte bzw. ) drei Tage in Haft geblieben ist, wo sie misshandelt wurde. Die Teilnahme an diesem Fest, das nach der Erklärung der Klägerin etwa 1000 Kurden - nämlich die ganze kurdische Bevölkerung des Stadtviertels, darunter auch viele Frauen und Kinder - besucht haben, ist jedoch aus der maßgeblichen Sicht der Sicherheitsbehörden, die die missliebige Veranstaltung mit Gewalt auflösten, jedenfalls in Bezug auf ansonsten nicht erkennbar politisch engagierte Frauen zweifellos weniger als politische Meinungsäußerung, denn als Teilnahme an einem kulturellen Ereignis, dem kurdischen Neujahrsfest, anzusehen. Diese Teilnahme hat für die Klägerin in den folgenden zwei Monaten nach ihrer Freilassung, in denen sie noch in ihrem Haus gelebt hat, keine weiteren Folgen gehabt. Es ist auch weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass in der Folgezeit, als sie mit den Klägern zu 2) bis 5) bis zu ihrer Ausreise bei ihrem Onkel in Istanbul lebte, nach ihr gesucht worden wäre; auch ihr Ehemann, der mit einem befreundeten Nachbarn und – z.T. über diesen – mit seinen Eltern in Verbindung stand und steht, hat in seinem Verfahren nicht erwähnt, dass nach der Klägerin gesucht werde bzw. worden sei.

Die Klägerin hat wegen politischer Aktivitäten ihres Ehemannes – unabhängig von der Frage, inwieweit es diese tatsächlich gegeben hat - bei der Einreise und danach jedenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Übergriffe zu befürchten. Denn es ist davon auszugehen, dass eine Rückkehr ins Heimatland im Familienverbund erfolgen und ihr Ehemann dann den Sicherheitsbehörden selbst für eine – ggf. auch strenge – Befragung zur Verfügung stehen würde. Dass diese in dieser Situation von einer politisch nicht erkennbar engagierten Frau weitere Informationen sollten gewinnen wollen, ist deshalb äußerst unwahrscheinlich.

Gleiches gilt in Bezug auf ihren in Deutschland lebenden abschiebungsschutzberechtigten Schwager. Zwar ist anzunehmen, dass bei der Einreisekontrolle der Familie auf EDV zurückgegriffen werden kann und dass eine familiäre Zuordnung ihres Ehemannes und seines Bruders zu einer Familie bei der Einreise ohne weiteres bei Kenntnis des Namens der Eltern und des Geburtsortes möglich ist; dies setzte jedoch voraus, dass Letzterer in das EDV-gestützte Fahndungsregister eingetragen ist und sein Namen auch den Dienststellen an den Grenzübergängen mitgeteilt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn er per Haft- und Festnahmebefehl gesucht wird. Hierfür bietet der Vortrag der Klägerin und ihres Ehemannes indes keinerlei Anhaltspunkte und dies ist auch ansonsten nicht konkret ersichtlich. Der Umstand, dass die Klägerin von den Sicherheitsbehörden nach ihrem Schwager gefragt worden sein will, spricht jedenfalls nicht dafür, da ein Grund für eine Suche nicht mitgeteilt wurde und schon sein Verschwinden Anlass zu Nachfragen bietet. Für den Fall, dass die Verwandtschaft ihres Ehemannes mit seinem Bruder bei der Einreise der Familie erkennbar würde, kann davon ausgegangen werden, dass der Ehemann als naher männlicher Verwandter einer – möglicherweise auch strengen – Befragung diesen betreffend, nicht aber einer Folter unterzogen wird; dass die Klägerin als Schwägerin in dieser Situation überhaupt befragt würde, erscheint fernliegend. Da der Schwager Abschiebungsschutz genießt, könnte außerdem, ohne diesen zu gefährden, gegebenenfalls bei der Einreisebefragung über ihn Auskunft erteilt werden. Im Übrigen ist zu sehen, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seit Oktober 2000 kein Fall bekannt geworden ist, in dem Folter oder Misshandlung eines aus Deutschland in die Türkei Abgeschobenen nachgewiesen werden konnte, und seit zwei Jahren auch kein Fall mehr an das Auswärtige Amt zur Überprüfung mit der Behauptung herangetragen wurde, dass ein abgelehnter Asylbewerber nach Rückkehr misshandelt worden sei.

Ob die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Mersin, wo ihre Schwiegereltern zumindest zeitweise noch leben, Gefahr liefe, den Polizisten, die für die Vergewaltigung verantwortlich waren, erneut zu begegnen und – etwa um ihr Schweigen und damit die Vertuschung der von ihnen begangenen Straftat zu erreichen – asylerheblichen Repressionen ausgesetzt zu werden, ist unwahrscheinlich, da sie auch in den rund drei Monaten, die zwischen der Vergewaltigung und ihrer Abreise nach Istanbul lagen, deswegen nicht belästigt wurde und zwischenzeitlich mehr als dreieinhalb Jahre vergangen sind. Diese Frage kann aber letztlich offen bleiben, denn die türkisch sprechende Klägerin hat jedenfalls die Möglichkeit, derartigen Problemen mit der örtlichen Polizei dadurch aus dem Weg zu gehen, dass sie mit ihrer Familie auf eine inländische Fluchtalternative in einem anderen Teil der Türkei zurückgreift, z.B. Istanbul, wo sie bis zu ihrer Ausreise bereits drei Monate mit den anderen Klägern bei ihrem Onkel gelebt hat. Für diesen Teil ist die Klägerin bei Fortführung ihres bisherigen allem Anschein nach unpolitischen Lebens hinreichend sicher vor einer erneuten Verfolgung; ggf. ist ihr zumutbar, bei der Teilnahme an Veranstaltungen, die erfahrungsgemäß häufig von der Polizei aufgelöst werden, Zurückhaltung zu üben.

Kurden unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zwar möglicherweise in den - ehemaligen - Notstandsprovinzen einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung. Kurden steht jedoch, wenn sie politisch nicht auffällig geworden sind, im Westen der Türkei, insbesondere in den Großstädten dieses Landesteils, eine ihre Anerkennung als Asyl- und Abschiebungsschutzberechtigte unter diesem Aspekt ausschließende Fluchtalternative offen. Auch das in der Folge der Inhaftierung und Verurteilung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in der Türkei festzustellende härtere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Volkszugehörige auch im Westen der Türkei - verbunden mit der Duldung von Übergriffen Dritter gegenüber Kurden - hat sich danach erkennbar auf Demonstranten und sonstige Aktivisten für die kurdische Sache bezogen und nicht ohne Unterschied alle Kurden allein in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit ergriffen. So hat das Auswärtige Amt in seinem im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger aktuellen Lagebericht ausgeführt, dass Kurdischstämmige wie andere türkische Staatsangehörige grundsätzlich die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilten. In den Siedlungen, die Türken kurdischer Volkszugehörigkeit, die zunächst wegen des wirtschaftlichen Gefälles, in den letzten Jahren aber hauptsächlich in der Folge von PKK-Terror und staatlicher Repression ihre Dörfer im Südosten verlassen hätten, in einigen Großstädten der Türkei (z.B. Adana, Mersin, auch Istanbul) gebildet hätten, komme es zwar überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen, die Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten seien und immer wieder zu Übergriffen der beteiligten Sicherheitskräften führten. Diese Vorgänge seien Teil der - landesweit und ohne Unterschied der ethnischen Verhältnisse - menschenrechtlich bedenklichen Praktiken türkischer Sicherheitskräfte. Es gebe zahlreiche Beispiele von aus dem Notstandsgebiet ausgewichenen Kurden, die sich nicht in den Kurdenvierteln diverser Städte, sondern in anderen, weniger von Terror und Terrorbekämpfung betroffenen Regionen niedergelassen hätten. Zur wirtschaftlichen Situation von Kurden in west- und südtürkischen Städten könnten keine generalisierenden Aussagen gemacht werden. Manche Kurden hätten es dort zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, andere lebten hingegen in den Armutsquartieren an der Peripherie der Großstädte. Unterschiedlicher Bildungsstand, persönliche Beweglichkeit sowie Einbindung in soziale Strukturen wie Familie oder ehemalige Dorfgemeinschaft spielten dabei eine wichtige Rolle.

Rumpf geht bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative davon aus, dass es für die Folterproblematik schwierig sei, Alternativen zu bestimmen. Istanbul gehöre zwar zu den Provinzen, in denen – abgesehen vom Südosten – die meisten Vorfälle in dieser Hinsicht registriert würden. Allerdings sei Istanbul nicht nur mit zwischen 12 und 15 Millionen Einwohnern die größte, sondern auch in ihrer sozialen und ethnischen Vielfalt lebendigste Provinz, in der zudem die besten Möglichkeiten bestünden, sich weitgehend unerkannt und unbehelligt niederzulassen.

Auch die neueren Erkenntnisse geben keinen Anlass, das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative im Falle der Rückkehr der Klägerin und ihrer Familie durchgreifend in Frage zu stellen. Noch im vorletzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird die in dem früheren Lagebericht wiedergegebene Lage bestätigt. Demgegenüber geht das Auswärtige Amt im neuesten Lagebericht unter dem Aspekt „Ausweichmöglichkeiten“ davon aus, dass asylrelevante staatliche Repressionsmaßnahmen nur noch in Form von Übergriffen vereinzelt vorkommen können und nirgends in der Türkei bestandskräftig durchgesetzt werden können sowie kurdischstämmige Türken mit allen anderen türkischen Staatsangehörigen die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilen. Auch amnesty international hat keine Informationen, dass die jüngsten politischen Entwicklungen – nach Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands durch Öcalan - sich auf die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Westtürkei allgemein negativ ausgewirkt hätten, allerdings sei die soziale Situation sehr schwierig.

Dass es der Klägerin nicht möglich sein sollte, sich in Istanbul oder in einem anderen Bereich der westlichen Türkei mit ihrer Familie niederzulassen, ist nicht ersichtlich. Umstände, die in Frage stellen könnten, dass sie gegebenenfalls in der West-Türkei wirtschaftlich ein Leben oberhalb des Existenzminimums führen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch angesichts der persönlichen Verhältnisse der Familie – die Schwiegereltern sind nach Aussage der Klägerin sehr reich, so dass sie sie ggf. wohl unterstützen könnten, und die gesamte Großfamilie außer dem Schwager lebt nach Erklärung ihres Ehemannes noch in der Türkei - ersichtlich.

Die Klägerin hat nach allem keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG; gleiches gilt für die Kläger zu 2) bis 5), die keine eigenen Asylgründe vorgetragen und ersichtlich die Türkei nicht vorverfolgt oder wegen einer unmittelbar bevorstehenden politischen Verfolgung verlassen, sondern sich in ihrem Vortrag der Klägerin angeschlossen haben.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die – offensichtlich hilfsweise begehrte – Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 II ff AufenthG, dessen Regelungen dem bis 31.12.2004 geltenden § 53 AuslG insgesamt betrachtet entsprechen. Insbesondere hat sie mit Blick auf die durch die fachärztlichen Atteste vom 25.4.2005 – betreffend rezidivierende Unterbauchschmerzen und vaginales Missempfinden - und vom 29.8.2005 - betreffend depressive Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung (nachfolgend: PTBS) sei nicht auszuschließen - bzw. die psychologische Bescheinigung vom 26.8.2005 – betreffend dringender Verdacht auf PTBS - belegten Beschwerden keinen Anspruch gemäß § 60 VII AufenthG – zuvor § 53 VI AuslG -. Denn weder aus dem Vortrag der Klägerin noch aus den Attesten bzw. der Bescheinigung ergibt sich eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne dieser Vorschrift für den Fall der Abschiebung der Klägerin in die Türkei, so dass zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nicht vor liegen.

Im Übrigen ist eine medizinische Versorgung der Klägerin in der Türkei möglich. Psychisch kranke Menschen können in allen Krankenhäusern behandelt werden, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Allerdings ist die Situation psychisch Kranker in der Türkei gekennzeichnet durch eine Dominanz krankenhausorientierter Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter und komplementärer Versorgungsangebote. Psychiatrische Kliniken des Gesundheitsministeriums und Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen – unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller öffentlichen türkischen Institutionen – über mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Die Verweildauer der Patienten ist aufgrund der verfügbaren Kapazitäten (Psychiater/Betten) in der Regel auf drei Monate beschränkt. Weiterführende Therapien können aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht immer angeboten werden. Für die Behandlung der PTBS werden die international anerkannten Klassifikationssysteme angewandt. Zu den Behandlungskonzepten zählen wie in Westeuropa üblich u.a. Psychotherapie mit Relaxationtraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. In welchem Umfang für die Betroffenen auch tatsächlich eine therapeutische Weiterbehandlung und eine adäquate Betreuung einer PTBS möglich sind, kann oft nur im Einzelfall geklärt werden. Die Versorgung psychisch kranker Menschen ist dagegen im Privatsektor vergleichsweise günstig, so wurden in Istanbul in den letzten Jahren mehrere moderne psychiatrische Krankenhäuser mit differenziertem Behandlungsangebot und ambulanter Betreuungsmöglichkeit eingerichtet. Eine Behandlung bei einem der vielen niedergelassenen Ärzte oder der umfassend ausgebildeten Psychologen, Psychiater, psychotherapeutisch tätigen Ärzten oder Neurologen ist aber nur als Privatpatient möglich. Bei der Behandlung psychisch kranker Menschen ist ein ständig steigender Standard festzustellen.

Ausgehend von der Erklärung der Klägerin bei ihrer Anhörung, wonach ihr Schwiegervater sehr reich sei und sie im Dorf noch Land hätten, dürfte daher der Zugang zur medizinischen Versorgung für die Klägerin gesichert sein. Ansonsten könnte sie, sofern sie mittellos ist, auf die „yesil kart“ zurückgreifen, die von der Gesundheitsverwaltung ausgestellt wird und zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt; seit 1.5.2005 werden – neben den Kosten für stationäre Behandlung - auch bei ambulanter Behandlung die Kosten der Medikamente übernommen.

Für die Kläger zu 2) bis 5) ist nichts vorgetragen, was einen Anspruch nach §§ 60 II ff. AufenthG begründen könnte.

Die Berufung der Kläger war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 II, 159 VwGO, 100 ZPO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

Sonstige Literatur

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser- Wilhelm-Straße 15, A-Stadt/Postanschrift: 66724 A-Stadt) einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist ebenfalls bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser- Wilhelm-Straße 15, A-Stadt/Postanschrift: 66724 A-Stadt) einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, bezeichnet werden.

Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten erfolgen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 6.6.1995 mit einem Lkw in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 12.6.1995 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung seines Asylantrags gab er an, anlässlich des Newrozfestes 1994 von Soldaten bei einer Kontrolle festgenommen worden zu sein, wobei man ihm vorgeworfen habe, mit seinem Minibus PKK-Anhänger und Lebensmittel für diese zu transportieren. Man habe ihn zu einer Militärstation gebracht und zwei Tage lang verhört, wobei er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Dabei habe er einen Bruch der Wangenknochen davongetragen. Mangels konkreter Beweise sei er wieder freigelassen worden. Anlässlich der Verhaftung seien seine Personalien registriert worden. In den darauffolgenden Monaten sei er- wie auch die anderen männlichen Bewohner seines Heimatdorfes - unter massiven Drohungen aufgefordert worden, das Amt eines Dorfschützers zu übernehmen. Da er nicht Dorfschützer habe werden wollen und keinen anderen Ausweg gesehen habe, habe er sich zur Ausreise entschlossen. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Mit Bescheid vom 27.6.1995 lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen. Im Anschluss an die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Beklagte mit Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - festzustellen, dass der Abschiebung des Klägers in die Türkei ein Abschiebungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 AuslG entgegensteht. Zur Begründung war in dem Urteil ausgeführt, der Kläger habe glaubhaft machen können, in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert worden zu sein. Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten linksorientierter und separatistischer kurdischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden Verdacht geraten seien, müssten im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen. Bei einer Rückkehr in die Türkei bestehe im Falle des Klägers die Gefahr, erneut festgenommen und dabei auch Foltermaßnahmen unterworfen zu werden.

Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 10.3.2000 fest, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen.

Mit Verfügung vom 27.5.2008 wurde ein Widerrufsverfahren eingeleitet. Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 28.5.2008, zugestellt am 29.5.2008, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, wovon dieser mit Schriftsatz vom 19.6.2008 Gebrauch machte. Mit Bescheid vom 17.7.2008 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Ergänzend wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde in dem Bescheid ausgeführt, seit der Ausreise des Klägers hätten sich Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei deutlich zum Positiven verändert. Die Gründe für die frühere Schutzgewährung seien daher heute entfallen. Türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung o.ä., oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes, dem Zwang zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften oder sonstigen Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen und in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor Verfolgung erhalten hätten, seien heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, aus denen der Kläger die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ablehnen könnte, lägen nicht vor.

Gegen diesen Widerrufsbescheid, der am 18.7.2008 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, hat der Kläger am 4.8.2008 Klage erhoben. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, die Verhältnisse in der Türkei hätten sich nicht so wesentlich geändert, dass sich die Prognose drohender politischer Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in die Türkei nicht mehr treffen ließe. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in dem Urteil vom 20.12.1999 habe er die Türkei vorverfolgt verlassen, so dass vorliegend der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab gelte. Die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung könnten dementsprechend nur dann wegfallen, wenn er vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher sei. Ungeachtet dessen, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei in Teilen verbessert haben möge, sei der Reformprozess keineswegs so weit fortgeschritten, dass eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Soweit überhaupt von einem Mentalitätswandel gesprochen werden könne, habe dieser nicht alle Teile von Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Nach wie vor werde Folter angewandt, was insbesondere damit zusammenhänge, dass es an einer effizienten Strafverfolgung gegenüber folternden Beamten fehle. Auch würden erfolterte Geständnisse weiterhin in Gerichtsverfahren als Beweis verwertet. Von einer verfestigten und nachhaltigen Veränderung der Menschenrechtssituation in der Türkei, welche Voraussetzung für einen Widerruf sei, könne daher nicht ausgegangen werden. Hinzu komme, dass im Zuge des aktuellen Widererstarkens von PKK-Aktivitäten entschiedenere Maßnahmen zu deren Bekämpfung gefordert würden. Im Falle des Klägers stehe rechtskräftig fest, dass er vor seiner Ausreise in seiner Heimatregion der Unterstützung der PKK verdächtigt worden und deswegen dort registriert gewesen sei. Selbst in Istanbul sei er deshalb festgenommen und mehrstündigen Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Vor erneuten Übergriffen durch die Sicherheitskräfte, insbesondere vor Verhören, die mit Misshandlungen verbunden seien, sei er keineswegs hinreichend sicher. Da er seinerzeit verdächtigt worden sei, die PKK zu unterstützen, würde auch heute noch der Verdacht bestehen, dass er sich während seines langen Auslandsaufenthalts für die PKK betätigt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gab der Kläger ergänzend an, in der Bundesrepublik Deutschland wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen zu haben.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17.7.2008 aufzuheben.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen in ihrem angefochtenen Bescheid beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.5.2009 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es im Wesentlichen, das Bundesamt habe zu Recht angenommen, dass die in dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 hinsichtlich des Klägers für die Türkei bejahten Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zwischenzeitlich entfallen seien. Zwar sei der Kläger nach den Feststellungen in dem genannten Urteil vorverfolgt ausgereist; indes sei er nunmehr vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher. Der Kläger habe wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu vergegenwärtigen. Insoweit hätten sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei seit dem Erlass des nunmehr aufgehobenen Bescheides maßgeblich zugunsten des Klägers geändert. Allerdings müssten Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten bzw. Unterstützer linksorientierter oder separatistischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden ernsthaften Verdacht geraten seien, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen und die dem türkischen Staat auch zurechenbar seien. Ein individualisierter, d.h. konkret auf die Person des Klägers bezogener Verdacht der PKK-Unterstützung von Seiten der türkischen Sicherheitskräfte liege jedoch nicht vor. Insoweit sei zunächst maßgeblich, dass der Kläger selbst nie behauptet habe, die PKK unterstützt zu haben. Allein deshalb, weil ihm vor seiner Ausreise im Jahr 1995 wegen der Ablehnung des ihm angetragenen Dorfschützeramtes - wie vielen anderen auch - pauschal unterstellt worden sei, die PKK zu unterstützen, müsse der Kläger heute nicht mehr befürchten, im Falle einer Rückkehr als „Separatist“ behandelt und deshalb Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Von Bedeutung sei hierbei, dass Personen, die das Dorfschützeramt abgelehnt hätten, mangels strafrechtlicher Relevanz nicht mit Fahndungsmaßnahmen zu rechnen hätten. Hinzu komme, dass mittlerweile - aufgrund einer Anordnung des türkischen Innenministeriums aus dem Jahr 2000 - keine Dorfschützer mehr rekrutiert würden und sich die Lage auch insofern geändert habe. Unter diesen veränderten Umständen und unter Berücksichtigung des langen Zeitablaufs seit seiner Ausreise rechtfertige allein die damalige Weigerung des Klägers, das Dorfschützeramt zu übernehmen, nicht die Annahme, für ihn bestehe die konkrete Gefahr, in einem polizeilichen Verhör Misshandlungen ausgesetzt zu werden, weil man ihn verdächtigen würde, die PKK zu unterstützen. Ein gegen den Kläger selbst gerichteter, hinreichend konkreter Verdacht einer Unterstützung der PKK ergebe sich auch nicht aus seinem sonstigen Vorbringen. Soweit er vorgetragen habe, ihm sei anlässlich des Newrozfestes 1994 vorgeworfen worden, mit seinem Minibus PKK-Anhänger zu transportieren, sei dies - ebenso wie die Versuche, die Bevölkerung zu der Übernahme des Dorfschützeramtes zu bewegen - im Zusammenhang mit dem allgemeinen und im Südosten der Türkei weit verbreiteten Druck auf die Bevölkerung bei der Bekämpfung der PKK zu sehen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinerzeit von den Heimatbehörden als Sympathisant bzw. Unterstützer der PKK registriert worden sei, seien diesem Vorbringen nicht zu entnehmen.

Gegen das ihm am 25.5.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.6.2009 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat mit Beschluss vom 16.2.2010 - 3 A 383/09 - entsprochen hat.

Zur Begründung der Berufung führte der Kläger mit am 9.3.2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) seien nicht entfallen. Aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 stehe rechtskräftig fest, dass er in seiner Heimatregion der Unterstützung der PKK verdächtigt worden und deshalb dort registriert gewesen sei. Selbst in Istanbul sei er deshalb festgenommen und mehrstündigen Misshandlungen ausgesetzt worden. Demgemäß sei er auch im Westen der Türkei latent der Gefahr erneuter Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Demzufolge gelte bei der Beurteilung der Frage, ob die Anerkennungsvoraussetzungen entfallen seien, der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Zu Unrecht habe sich das angegriffene Urteil darauf beschränkt, die Voraussetzungen der Anerkennung als deshalb entfallen anzusehen, weil der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, keine politische Verfolgung mehr zu vergegenwärtigen habe. Im Hinblick darauf, dass gegenüber dem Kläger ein individualisierter, d.h. konkret auf seine Person bezogener Verdacht der PKK-Unterstützung auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte vorgelegen habe, sei auch heute noch davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher sei. Auch heute noch müssten Personen, die den türkischen Behörden als Sympathisanten bzw. Unterstützer linksorientierter oder separatistischer Organisationen bekannt geworden bzw. in einen entsprechenden ernsthaften Verdacht geraten seien, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen in der Türkei mit der Anwendung von Folterpraktiken rechnen, die darauf abzielten, sie wegen ihrer politischen Überzeugung zu treffen und die dem türkischen Staat auch zurechenbar seien. Von einer nachhaltigen und verfestigten Verbesserung der Menschenrechtslage könne in der Türkei nach wie vor nicht ausgegangen werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.5.2009 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 742/08 - den Bescheid der Beklagten vom 17.7.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, nach dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2009 sei davon auszugehen, dass der als vorverfolgt geltende Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung sei. Nach diesem Lagebericht sei dem Auswärtigen Amt in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei ebenfalls kein Fall benannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Dies entspreche auch den Auskünften zahlreicher anderer europäischer Staaten.

Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 dürften keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Angaben türkischer Behörden zufolge seien Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht worden.

Nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung sei zudem zu berücksichtigten, dass bei Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf das richterrechtlich entwickelte Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe abzustellen sei, vielmehr darauf, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QualRL widerlegt sei. Diese könne im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Umgekehrt gelte allerdings weiter, dass in jedem Fall, in dem hinreichende Sicherheit festzustellen sei, immer auch das Kriterium der Widerlegung der durch Art. 4 Abs. 4 QualRL ausgelösten Vermutung erfüllt sei, weil in diesem Fall entsprechend stichhaltige Gründe vorlägen.

Gemäß Beschlüssen vom 16.7.2010 und 10.9.2010 hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung von Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, von amnesty international sowie des Sachverständigen Kamil Taylan. Wegen der Einzelheiten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die vorgenannten Beschlüsse sowie die entsprechenden Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 13.10.2010, von amnesty international vom 31.1.2011 und von Kamil Taylan vom 11.2.2011 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 6 K 136/98.A des Verwaltungsgerichts des Saarlandes sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Ausländerbehörde Bezug genommen, welcher ebenso wie die bei Gericht geführte Dokumentation Türkei, insbesondere hinsichtlich der in der Anlage zur Sitzungsniederschrift bezeichneten Teile, Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17.7.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. Das Bundesamt hat auch zu Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die – hier streitgegenständliche - Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. bis zum 1.1.2005 des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere ist die beabsichtigte Entscheidung über den Widerruf entsprechend § 73 Abs. 4 AsylVfG dem Kläger zuvor schriftlich mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Auch begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt

vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier - die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird

vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2007 - 10 C 24.07 -, Buchholz 204.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N..

Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG ist in Fällen wie dem vorliegenden keine Ermessensentscheidung erforderlich

Vgl. ausführlich BVerwG, Urteile v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – u.a. sowie Urteile v. 1.6.2011 – 10 C 10.10 – u. – 10 C 25.10 -, juris.

Das Bundesamt hat im Ergebnis auch zu Recht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bejaht, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“) und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2.3.2010 (Rs C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist und zwar auch in Fällen, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss

vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 –, a.a.O..

In seinen jüngsten Urteilen vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 und 10 C 25.10 – hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit nochmals hervorgehoben, dass eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände im vorgenannten Sinne voraussetzt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht

vgl. zu letzterem auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 -1 C 21/04 -, DVBl. 2006, 511.

Es muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen, soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dabei dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweisen muss, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbarer Zeit kann indes nicht verlangt werden.

Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland verhält sich grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit des Weiteren ausgeführt, dass wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit der Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden kann, vielmehr unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Die Richtlinie 2004/83/EG kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird

vgl. zu allem Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 – m.w.N. sowie EuGH, Urt. vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., juris.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist demnach bei der Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf den Maßstab einer hinreichenden Sicherheit vor weiterer Verfolgung abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in den vorgenannten Entscheidungen vielmehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt wurde, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen war, ausdrücklich abgerückt.

Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, juris.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung hiervon erfasst wird, etwa auch Veränderungen in der Person des Begünstigten

vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Die zuständigen Behörden und Gerichte müssen sich mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 a.a.O.;

Dementsprechend ist bei der nach den vorgenannten Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist die Feststellung, dass sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls im Falle des konkret betroffenen Flüchtlings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. Hingegen ist für den Widerruf nicht erforderlich, dass im Herkunftsland des betroffenen Ausländers nunmehr umfassender Schutz vor Verfolgung gewährt wird oder es zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt

vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Ist eine grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände im vorgenannten Sinne zu bejahen, so ist es für den Widerruf des Weiteren unerheblich, ob die Flüchtlingsanerkennung zu Recht erfolgt war

vgl. BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89.

Ausgehend davon ist ein Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Der Kläger wurde mit Bescheid vom 10.3.2000 als Flüchtling anerkannt, weil das Verwaltungsgericht des Saarlandes in dem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - davon ausgegangen war, dass der Kläger in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt worden und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert gewesen sei. Im Jahre 1994 sei er anlässlich des Newrozfestes bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und unter dem Vorwurf, mit seinem Minibus PKK-Mitglieder und Lebensmittel für diese transportiert zu haben, zwei Tage lang verhört worden. Er sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, so dass er einen Bruch der Wangenknochen davon getragen habe. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Diese die Verfolgungsfurcht des Klägers begründenden Umstände können als dauerhaft beseitigt angesehen werden.

Seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers im März 2000 haben sich - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven verändert, so dass im konkreten Fall des Klägers – auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten – keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung mehr besteht.

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt

vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Lagebericht) vom 8.4.2011.

Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetzte verabschiedet

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Abgesehen von der Beendigung des Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt waren, sind insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, den Zugang zu einem Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen

vgl. Fortschrittsbericht der EU vom 6.11.2007; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Bericht vom 6.9.2006, S. 11 f., http://www.cpt.coe.int/documents/tur/2006-30-inf-eng.pdf.

Zu dem Reformpaket gehören auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung von Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 17.7.2008 verwiesen.

Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen

vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Türkei vom 8.4.2011

Im Jahr 2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsieht. Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 6.

Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren

vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 11.1.2007 und vom 3.5.2005.

Die türkische Regierung hat erkannt, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur demokratischen Öffnung, das derzeit allerdings zum Stillstand gekommen ist, der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf kurdisch und Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 11, 12.

Allerdings wird in den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen übereinstimmend nach wie vor von Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen unbeachtet bleiben. Die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht zufriedenstellend

vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.4.2011, S. 7 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Helmut Oberdiek, Türkei, update: Aktuelle Entwicklungen, 9.10.2008; Fortschrittsbericht Türkei der EU vom 6.11.2007; ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010; U.S. Departement of State, 2010, Human Rights Report: Turkey vom 8.4.2011, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrtt/2010/eur/154455.htm.

So berichtet etwa das Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen. Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten würden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Des Weiteren sei es der türkischen Regierung trotz zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verhinderung von Folter (etwa auch der Erhöhung der Strafandrohung) und trotz nachweisbarer Verbesserungen bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen sei. Nach Angaben von Menschenrechtsverbänden sei jedoch die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die in Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- und Misshandlungsfällen stehen, 2010 landesweit zurückgegangen. So seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 (2009: 252, 2088: 269) Personen registriert worden, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden seien. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es würden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt würden. Des Weiteren sei es 2010 zu über 27 sog. extra-legalen Tötungen durch Sicherheitskräfte gekommen

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Die vorstehend dargestellten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes stimmen in den Grundzügen mit denjenigen von amnesty international überein, wenn auch etwa die Anzahl der im Jahr 2010 verzeichneten Folteropfer von der vom Auswärtigen Amt mitgeteilten Zahl abweicht und ai die mitgeteilten Fakten etwas kritischer bewertet. Auch nach Angaben von ai gab es in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt sei. Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen, der notwendige grundlegende Wandel sei damit jedoch nicht vollzogen worden. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien noch immer ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte eingeschränkt.

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Ähnlich wie ai äußert sich auch Helmut Oberdiek für die Schweizerische Flüchtlingshilfe

vgl. Oberdiek, Türkei, Zur aktuellen Situation – Oktober 2007.

Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Zur Entwicklung in den letzten Jahren sowie der Stellung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen kann zunächst auf die entsprechenden ausführlichen Darlegungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch aus den neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Ergodan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“ (zuvor „Kurdischen Öffnung“), die auf eine Lösung der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir, aus der der Kläger stammt, auch in jüngerer Zeit Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen kritisch bewertete (Massen)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im Vergleich zu den 90er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in den 90er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert.

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; sowie zusammenfassendes Protokoll der Gesprächsreise von Rechtsanwalt Tahir Elci im Juni 2010.

Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bieten keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass in der Türkei seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers tiefgreifende Reformen stattgefunden haben und die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten 10 Jahre im Hinblick auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener Hinsicht nicht denen Westeuropas entsprechen. Der Reformprozess dauert inzwischen schon ca. ein Jahrzehnt an und wird prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und hat sich daher den sog. Kopenhagener Kriterien unterworfen. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und den Fortschrittsbericht veröffentlicht. Von daher sind die seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers in der Türkei stattgefundenen Veränderungen durchaus als dauerhaft einzustufen, auch wenn es – wie ai und Helmut Oberdiek anmerken – in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte gegeben hat und der Reformprozess, was die Lösung der Kurdenfrage betrifft, seit Mai 2010 stagniert.

Ob angesichts der dargestellten Verhältnisse in der Türkei allerdings generell die Feststellung getroffen werden kann, dass - wie im angefochtenen Bescheid angenommen - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung oder ähnlichem, oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes oder sonstiger Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen hatten, heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt sind, erscheint fraglich. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Denn für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung ist - wie dargelegt - nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt. Vielmehr ist in Abhängigkeit von den konkreten Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, festzustellen, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und dass deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hat

vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 - sowie Beschluss vom 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. v. 24.2 2011 – 10 C 5/10 -, juris, wonach sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.

Bezogen auf die individuelle Situation des Klägers haben die vorstehend dargestellten Änderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei und die damit einhergehende Entspannung der Verhältnisse auch im Südosten des Landes seit der Flüchtlingsanerkennung aber jedenfalls eine solche Auswirkung, dass nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vorgängen, die 1994 und 1995 zu Misshandlungen führten, weiterhin bzw. erneut polizeiliche oder sonstige behördliche Maßnahmen von asylerheblicher Intensität befürchten muss. Als Flüchtling anerkannt wurde der Kläger – wie ausgeführt - vor allem im Hinblick auf die Annahme, dass er 1994 bei den Heimatbehörden als möglicher Sympathisant der PKK registriert war, weil man ihn verdächtigte, für diese Transporte durchzuführen. Bei der anzustellenden Prognose einer dem Kläger heute noch drohenden Verfolgungsgefahr fällt zunächst ins Gewicht, dass die dem Kläger im Jahr 1994 vorgehaltenen vermeintlichen Unterstützungshandlungen für die PKK in Gestalt gelegentlicher Transportfahrten nur untergeordneter Natur waren und es – da der Vorwurf eigenen Angaben des Klägers zufolge unbegründet war - dafür auch keinerlei Beweise gab, weshalb man ihn jeweils nach kurzer Zeit auch wieder freigelassen habe. Zudem liegen die Vorwürfe mittlerweile mehr als sechzehn Jahre zurück. Darüber hinaus wäre die dem Kläger ehemals vorgeworfene Unterstützung der PKK durch gelegentliche Transportfahrten heute nach türkischem Strafrecht ohnehin nicht mehr zu verfolgen. In Betracht gekommen wäre zur vermeintlichen Tatzeit insoweit eine Bestrafung gemäß Art. 169 Türkisches StGB (TStGB) von 1926 wegen Unterstützung einer bewaffneten Organisation und zwar mit einer Strafe von 4,5 bis 7,5 Jahren (Art. 159 i.V.m. Art. 4, 5 Antiterrorgesetz). Diese Tat wäre aber unter die Amnestie vom 21.12.2000 durch das Gesetz Nr. 4616 (betreffend bedingte Freilassungen und die Aussetzung von Strafverfahren sowie von der Vollstreckung von Strafen im Falle von bis zum 23. April 1999 begangener Straftaten) gefallen. Diese gewährte einen Straferlass von zehn Jahren, was bei Straftaten mit einer Strafe unter zehn Jahren eine Straffreistellung bedeutete

vgl. Gutachten Dr. Silvia Tellenbach an das VG Osnabrück vom 26.11.2006 sowie an das VG Freiburg vom 4.6.2007; Serafettin Kaya an VG Berlin vom 9.8.2006 und an OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Auch nach Angaben des Sachverständigen Kamil Taylan in seinem Gutachten für den Senat vom 11.2.2011 ist die vom Kläger in diesem Verfahren berichtete tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergung von PKK-Aktivisten o.ä. in den 90er Jahren heute als Delikt im Sinne des TStGB verjährt. Diese Verjährung betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die Ablehnung eines Dorfschützeramtes bzw. einer Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitskräften, „auch durch Flucht ins Ausland“.

Damit wären die dem Kläger im Jahr 1994 unterstellten gelegentlichen Transporte von PKK-Anhängern bzw. Lebensmitteln für die PKK mittlerweile jedenfalls straffrei.

Auch sind dem Gutachter Kamil Taylan keine aktuellen Verfahren gegen in die Türkei zurückgekehrte Personen bekannt, die, wie der Kläger, bis Ende der 90er Jahre in den Verdacht geraten sind, die PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergungen oder ähnlichem unterstützt zu haben und deswegen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren

vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das OVG des Saarlandes vom 11.2.2011.

Damit vergleichbar hält auch der Gutachter Serafettin Kaya die Gefahr für eine im Jahr 1995 wegen der Unterstützung der TDKP in Verdacht geratene Person, die, ebenso wie vorliegend der Kläger, nicht verurteilt worden war, im Falle einer Rückkehr nicht für beachtlich wahrscheinlich

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Soweit der Kläger darüber hinaus als mitursächlich für seine Ausreise angegeben hat, dass er sich dem auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützer-amtes habe entziehen wollen, was allerdings ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 für die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht von Bedeutung war, droht ihm in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr ebenfalls keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ablehnung der Übernahme des Dorfschützeramtes keine strafrechtliche Relevanz besitzt

vgl. ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Darüber hinaus haben sich die Verhältnisse in der Türkei seit der Ausreise des Klägers auch betreffend die Dorfschützerproblematik grundlegend geändert, so dass nicht angenommen werden kann, dass der Kläger heute insoweit nochmals Beeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das System der Dorfschützer in der zuvor praktizierten Form nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursämter der Provinzen vom 24.4.2000 wurde angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten vom 28.1. 2007 an das VG Aachen; ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem ersichtlich auch eingehalten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerseits geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich - wie oben bereits ausgeführt - inzwischen wesentlich geändert. Das Mitte der 80er Jahre geschaffene und in den 90er Jahren weiter ausgebaute System diente u. a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt) und später - entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung als „verlängerten Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten. Seit der Entspannung der Situation und dem Rückgang der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei und der von der türkischen Regierung verfolgten Politik der sog. „demokratischen Öffnung“ wurden neue Dorfschützer nicht mehr benötigt, so dass die türkischen Sicherheitskräfte auch keinen Druck mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben brauchten, auch wenn das Dorfschützersystem nicht insgesamt abgeschafft wurde. Letzteres liegt u.a. daran, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den kurdischen Provinzen mit sich brächte, weil damit viele - zudem bisher staatsloyale - Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb bis hin zu ihrer Rentenberechtigung verlören.

vgl. ai, Gutachten vom 18.7.2003 an VG Frankfurt; vgl. zu alledem auch ausführlich OVG Koblenz, Urteil vom 17.12.2010 - 10 A 10911/10 -, juris.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu befürchten hat.

Nichts anderes ist im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers anzunehmen, welche sich nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf beschränkten, wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Dabei handelt es sich eindeutig um eine Betätigung niedrigen Profils. Die bloße Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen stellt kein Verhalten dar, das sich von demjenigen der meisten in Deutschland lebenden Kurden aus der Türkei unterscheidet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes begründet jedoch nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, d. h. eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr

vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteile vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 -, juris und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris; sowie Beschluss vom 21.12.2009 - 3 A 275/09 -.

Neuere Erkenntnisse, die Anlass zu einer anderen Beurteilung böten, liegen nicht vor. Vielmehr führt etwa das Auswärtige Amt in seinem jüngsten Lagebericht vom 8.4.2011 ebenso wie bereits in verschiedenen vorangegangenen Lageberichten bzw. Stellungnahmen aus, dass (nur) türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit Ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würden, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten, was vorliegend jedoch nicht erkennbar ist.

Ist somit bereits nach den vorangegangenen Ausführungen nicht zu erwarten, dass die türkischen Sicherheitskräfte heute noch ein Interesse an der Person des Klägers haben, so findet dies eine weitere Bestätigung in den vom Senat eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von Kamil Taylan.

So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13.10.2010 zu den im Beweisbeschluss des Senats vom 16.7.2010 gestellten Fragen mitgeteilt, dass Nachforschungen eines beauftragten Vertrauensanwalts im Falle des Klägers ergeben hätten, dass an den maßgeblichen Orten, nämlich am Ort der personenstandsamtlichen Registrierung und am letzten Wohnort des Klägers keine behördlichen Vorgänge gegen ihn vorhanden seien. Auch bei der Sicherheitsdirektion Istanbul und der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sei der Kläger nicht aktenkundig. Es habe auch kein Fahndungsersuchen nach ihm festgestellt werden können. Im Hinblick darauf seien keine Hinweise dafür vorhanden, dass der Kläger bei Rückkehr in die Türkei in den Fokus der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte bzw. mit staatlichen Repressalien wegen der behaupteten früheren Aktivitäten zu rechnen hätte.

Auch der Sachverständige Taylan bestätigt in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, über türkische Anwälte in Erfahrung gebracht zu haben, dass über den Kläger in zentralen Fahndungsregistern keine Einträge vorhanden seien, d. h., dass der Kläger nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei, auch kein Haftbefehl gegen ihn existiere und derzeit auch kein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei wegen seiner Aktivitäten in den 90er Jahren politisch verfolgt werde. Es sei auch derzeit kein einziges Verfahren in der Türkei bekannt, worin ein Rückkehrer wegen Verfehlungen, wie sie dem Kläger vorgeworfen worden seien, angeklagt sei oder sich in U-Haft befinde bzw. deswegen sonstigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Ein Verfahren gegen einen zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1994 in den Verdacht geraten war, die PKK durch Transportfahrten unterstützt zu haben, hält der Gutachter wegen der Verjährung dieser Taten für ausgeschlossen, auch wenn die betroffene Person damals kurzfristig festgenommen und misshandelt worden sowie in ihrer Heimatregion als Verdächtiger registriert war.

Dafür, dass – wie das Auswärtige Amt und Kamil Taylan festgestellt haben – der Kläger in der Türkei tatsächlich nicht mehr als Verdächtiger bzw. Sympathisant der PKK registriert ist, spricht im Übrigen auch, dass aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 keine Suchvermerke mehr ins Personenstandregister eingetragen werden und Angaben türkischer Behörden zufolge Mitte Februar 2009 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregister gelöscht wurden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Der darüber hinausgehenden Anmerkung des Sachverständigen Taylan in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, wonach mit Blick darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Unterstützer und Sympathisant der PKK aktiv gewesen sei, die Gefahr einer politischen Verfolgung „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden könne, lässt sich die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger weiterhin drohenden politischen Verfolgung ebenfalls nicht entnehmen. Die Gefahr einer solchen Verfolgung erachtet auch Kamil Taylan wörtlich als „sehr gering“ bzw. „verschwindend klein“; er vermag sie angesichts der seiner Meinung nach „chaotischen Verhältnisse in der türkischen Justiz“ nur nicht ganz auszuschließen. Eine so hohe Prognosesicherheit, dass eine Verfolgungsgefahr ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden kann, was letztlich einen kaum zu gewährleistenden Schutzstandard bedeutete, wird jedoch für die Annahme eines Wegfalls der Anerkennungsvoraussetzungen nicht gefordert. Vielmehr hätte bei dem vom Gutachter umschriebenen Wahrscheinlichkeitsgrad nach der früheren Rechtsprechung sogar eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht werden können. Nach dieser Rechtsprechung konnte vom Fehlen hinreichender Sicherheit vor der Wiederholung von Verfolgungshandlungen nicht schon bei jeder noch so geringen Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts ausgegangen werden. Vielmehr war über eine „theoretische“ Möglichkeit hinaus erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus „reale“ Möglichkeit erscheinen ließen

vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1992 – 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 f.

Auch amnesty international hält zumindest eine gerichtliche Verfolgung aufgrund der dem Kläger früher vorgeworfenen Aktivitäten für nicht wahrscheinlich. Auch ansonsten lässt sich der Stellungnahme vom 31.1.2011 an den Senat, welche sich auf allgemeine Ausführungen zur Gefährdungslage von Rückkehrern beschränkt, ohne jedoch die individuelle Situation des Klägers näher zu beleuchten, eine dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt zunächst, soweit ai ganz allgemein die Gefahr sieht, dass einreisende ehemalige Asylsuchende bereits während der Dauer der im Regelfall erfolgenden Erkundigungen bei den Heimatbehörden misshandelt werden. Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer solchen allen Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, drohenden Gefahr steht entgegen, dass in den letzten Jahren konkrete derartige Fälle nicht verzeichnet wurden.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist diesem in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in den ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei; dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei kein Fall genannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder oder führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Nach Auskunft der Vertretungen von EU-Mitgliedstaaten in Ankara (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie von Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2011 sei auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt gewesen seien

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Konkrete Fälle, die den vorgenannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes entgegen stehen, hat auch ai nicht benannt. Von daher kann jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger schon allein während einer routinemäßigen Nachfrage bei den Behörden seines Heimatortes Misshandlungen drohen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach zurückkehrende Asylbewerber jedenfalls nicht routinemäßig - d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert bzw. asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt werden

vgl. etwa Urteil vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris.

Soweit ai darüber hinaus die Gefahr eines Verhörs - und in diesem Zusammenhang auch von Folter - sieht, sobald gegen den Rückkehrer ein Eintrag oder ein polizeiinterner Suchbefehl vorliegt, ist eine diesbezüglich beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers ebenfalls nicht anzunehmen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - nach entsprechenden überzeugenden Angaben des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan in der Türkei derzeit nicht aktenkundig ist und keine behördlichen Vorgänge über ihn existieren. Die von ai lediglich in theoretischer Weise in den Blick genommen Risikofaktoren eines noch bestehenden Suchinteresses sind nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan im Falle des Klägers vielmehr zu verneinen.

Nach alledem ist ein aktuelles Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger (und damit einhergehend die Gefahr weiterer Ermittlungen und Misshandlungen) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, vielmehr nahezu auszuschließen.

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass die türkischen Sicherheitskräfte gegen eine in der jüngeren Zeit wieder verstärkt militärisch operierende PKK nochmals nachhaltig vorgehen und dies zu einer erneuten Verschlechterung der Verhältnisse in seiner Heimatregion führen könnte, bietet dies keinen Anlass zu der Annahme, dass eine langjährig zurückliegende Unterstützung der PKK relativ geringfügiger Art, wie sie bei dem Kläger vermutet wurde, im Falle einer Rückkehr Anlass für weitergehende Behelligungen sein könnte, nachdem in diesem Zusammenhang keinerlei behördliche Vorgänge und Registrierungen hinsichtlich des Klägers mehr vorliegen.

Schließlich droht dem Kläger auch im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr keine Gefährdung. Eine Gruppenverfolgung von Kurden lag weder im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung des Klägers vor noch kann hiervon aktuell ausgegangen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Urteile vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - und vom 29.3.2000 - 9 R 10/98 -, juris.

und auch aller weiteren Obergerichte, welche im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt wurde. Auf diesen wird insoweit Bezug genommen. Weiterer Darlegungen bedarf dies nicht, da sich der Kläger im anhängigen Verfahren auch nicht auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Kurden berufen hat.

Haben sich nach alledem im Falle des Klägers die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse seither erheblich verändert, steht der Annahme des nachträglichen Wegfalls der die Flüchtlingsanerkennung begründenden Umstände schließlich auch nicht die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anwendbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG entgegen, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., juris.

Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten.

Zwar hat der Senat keinen Anlass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers in Zweifel zu ziehen, wonach er im Rahmen einer zweitägigen Festnahme im Jahr 1994 mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde, dabei einen Bruch der Wangenknochen erlitt und auch anlässlich eines mehrstündigen Verhörs in Istanbul im Jahre 1995 erneut misshandelt wurde, wovon auch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - ausgegangen ist. Von daher liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG formulierten Vermutung vor. Ausgehend von den vorstehend dargestellten Veränderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den oben dargestellten, dem Kläger zu Gute kommenden Amnestie- bzw Verjährungsregelungen sowie der Tatsache, dass derzeit in der Türkei bezüglich des Klägers keinerlei Fahndungsersuchen, Registereintragungen oder sonstige behördliche Vorgänge wegen des Verdachts einer Unterstützung der PKK mehr existieren, sprechen jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die in der Türkei trotz der durchgeführten Reformen im Einzelfall nicht auszuschließende Gefahr der Folter besteht vor allem bei Ermittlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen bestimmte Personen wegen der Verdächtigung, politische Straftaten begangen zu haben. Für solche Ermittlungen gegen den Kläger besteht nach dem Vorgesagten aber kein Anlass mehr.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch ohne Weiteres anzunehmen, dass die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur ist, vielmehr die Faktoren, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Angesichts der dem Kläger zugute kommenden Amnestie- bzw. Verjährungsregelungen sowie des im Zuge der Beweiserhebung des Senats zu Tage getretenen gänzlich fehlenden aktuellen Interesses der türkischen Behörden an der Person des Klägers ist nicht erkennbar, dass diesem auf absehbare Zeit erneute Verfolgung drohen könnte. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren geeignete Schritte unternommen hat, um die der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen (insbesondere der Amnestie- und Verjährungsregelungen sowie des Beseitigens von Registereintragungen) ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei nunmehr vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen nachhaltig geschützt ist.

Sind danach aufgrund einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse in der Türkei diejenigen Umstände weggefallen, auf denen die begründete Furcht vor Verfolgung und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruhten, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils einem Widerruf nicht entgegensteht. Denn bei einer solchen wesentlichen Veränderung der Sachlage endet auch die Rechtskraft des Urteils.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, hat dieser nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Hat die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger wegen einer erheblichen und dauerhaften Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände keine begründete Furcht vor Verfolgung mehr haben muss, war vom Widerruf auch nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen zwingender auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe abzusehen. Solche zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe, um eine Rückkehr in die Türkei abzulehnen, liegen im Falle des Klägers nicht vor. Mit § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird insbesondere der psychischen Sondersituation Rechnung getragen, in dem sich ein Asylberechtigter befindet, welcher ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse im Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgungsstaat zurückzukehren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist demnach, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei auch dann führen, wenn - wie hier - eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 in DVBl. 2006, S. 511.

Eine derartige Sachlage ist im Falle des Klägers nicht gegeben. Zwar ist der Kläger vor seiner Ausreise körperlich misshandelt worden. Jedoch hat er weder vorgetragen noch ist erkennbar, dass er dabei derart schwere physische oder psychische Schäden davon getragen hat, dass diese auch derzeit noch in einem erheblichen Umfang nachwirken, so dass ihm eine Rückkehr nicht angesonnen werden könnte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zwar angegeben, die erlittenen Misshandlungen nicht vergessen zu können. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei nicht aus, zumal der Kläger sich offenkundig vorrangig um die Zukunft seiner Kinder und auch die wirtschaftliche Lage der Familie sorgte.

Hat die Beklagte demnach die im Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen, ist auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen des Klägers ebenfalls nur mit Blick auf die geäußerte Befürchtung erneuter staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit den Vorgängen vor der Ausreise in Betracht. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, kann insoweit jedoch nicht von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden.

Schließlich ist auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 17.7.2008 erhobene Anfechtungsklage auch gegen diese Feststellung gerichtet ist. Ungeachtet der Frage des richtigen Rechtsbehelfs kann auch hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Ergänzend wird folgendes hinzugefügt: Auch bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist stets der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

vgl. BVerwG, Urteile vom 24.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -.

Ausgehend vom Sachvortrag des Klägers kommt auch hier lediglich eine ihm im Rückkehrfalle drohende Gefahr erneuter Folter bzw. Misshandlung durch türkische Sicherheitskräfte in Betracht. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende derartige Gefahr ist jedoch nach den vorangegangenen Darlegungen, auf die auch hier Bezug genommen werden kann, nicht anzunehmen. Die Vermutungsregelung des auch im Rahmen der Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG wirkt sich auch hier nicht zugunsten es Klägers aus, da - wie ausgeführt - stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dementsprechend liegt weder ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG noch ein solches im Sinne des nachrangig zu prüfenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Für sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 AufenthG, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG oder § 60 Abs. 4 AufenthG sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17.7.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. Das Bundesamt hat auch zu Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die – hier streitgegenständliche - Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. bis zum 1.1.2005 des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere ist die beabsichtigte Entscheidung über den Widerruf entsprechend § 73 Abs. 4 AsylVfG dem Kläger zuvor schriftlich mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Auch begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt

vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier - die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird

vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2007 - 10 C 24.07 -, Buchholz 204.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N..

Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG ist in Fällen wie dem vorliegenden keine Ermessensentscheidung erforderlich

Vgl. ausführlich BVerwG, Urteile v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – u.a. sowie Urteile v. 1.6.2011 – 10 C 10.10 – u. – 10 C 25.10 -, juris.

Das Bundesamt hat im Ergebnis auch zu Recht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bejaht, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“) und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2.3.2010 (Rs C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist und zwar auch in Fällen, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss

vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 –, a.a.O..

In seinen jüngsten Urteilen vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 und 10 C 25.10 – hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit nochmals hervorgehoben, dass eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände im vorgenannten Sinne voraussetzt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht

vgl. zu letzterem auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 -1 C 21/04 -, DVBl. 2006, 511.

Es muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen, soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dabei dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweisen muss, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbarer Zeit kann indes nicht verlangt werden.

Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland verhält sich grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit des Weiteren ausgeführt, dass wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit der Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden kann, vielmehr unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Die Richtlinie 2004/83/EG kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird

vgl. zu allem Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 – 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 – m.w.N. sowie EuGH, Urt. vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., juris.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist demnach bei der Prüfung eines fortbestehenden Anspruchs auf die Flüchtlingsanerkennung nicht mehr auf den Maßstab einer hinreichenden Sicherheit vor weiterer Verfolgung abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in den vorgenannten Entscheidungen vielmehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt wurde, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen war, ausdrücklich abgerückt.

Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, juris.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG darstellt, die Anwendung dieser Bestimmung aber nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung hiervon erfasst wird, etwa auch Veränderungen in der Person des Begünstigten

vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Die zuständigen Behörden und Gerichte müssen sich mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 a.a.O.;

Dementsprechend ist bei der nach den vorgenannten Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist die Feststellung, dass sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls im Falle des konkret betroffenen Flüchtlings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. Hingegen ist für den Widerruf nicht erforderlich, dass im Herkunftsland des betroffenen Ausländers nunmehr umfassender Schutz vor Verfolgung gewährt wird oder es zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt

vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, juris.

Ist eine grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände im vorgenannten Sinne zu bejahen, so ist es für den Widerruf des Weiteren unerheblich, ob die Flüchtlingsanerkennung zu Recht erfolgt war

vgl. BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89.

Ausgehend davon ist ein Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Der Kläger wurde mit Bescheid vom 10.3.2000 als Flüchtling anerkannt, weil das Verwaltungsgericht des Saarlandes in dem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - davon ausgegangen war, dass der Kläger in seiner Heimatregion einer Unterstützung der PKK verdächtigt worden und bei den Heimatbehörden als Verdächtiger registriert gewesen sei. Im Jahre 1994 sei er anlässlich des Newrozfestes bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und unter dem Vorwurf, mit seinem Minibus PKK-Mitglieder und Lebensmittel für diese transportiert zu haben, zwei Tage lang verhört worden. Er sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, so dass er einen Bruch der Wangenknochen davon getragen habe. Kurz vor seiner Ausreise sei er bei einer allgemeinen Kontrolle in Istanbul erneut von Sicherheitskräften mitgenommen und nach einer Überprüfung seiner Personalien erheblich misshandelt worden.

Diese die Verfolgungsfurcht des Klägers begründenden Umstände können als dauerhaft beseitigt angesehen werden.

Seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers im März 2000 haben sich - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven verändert, so dass im konkreten Fall des Klägers – auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten – keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung mehr besteht.

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt

vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Lagebericht) vom 8.4.2011.

Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetzte verabschiedet

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Abgesehen von der Beendigung des Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt waren, sind insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, den Zugang zu einem Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen

vgl. Fortschrittsbericht der EU vom 6.11.2007; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Bericht vom 6.9.2006, S. 11 f., http://www.cpt.coe.int/documents/tur/2006-30-inf-eng.pdf.

Zu dem Reformpaket gehören auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung von Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 17.7.2008 verwiesen.

Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen

vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Türkei vom 8.4.2011

Im Jahr 2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsieht. Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 6.

Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren

vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 11.1.2007 und vom 3.5.2005.

Die türkische Regierung hat erkannt, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur demokratischen Öffnung, das derzeit allerdings zum Stillstand gekommen ist, der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf kurdisch und Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011, S. 11, 12.

Allerdings wird in den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen übereinstimmend nach wie vor von Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen unbeachtet bleiben. Die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht zufriedenstellend

vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.4.2011, S. 7 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Helmut Oberdiek, Türkei, update: Aktuelle Entwicklungen, 9.10.2008; Fortschrittsbericht Türkei der EU vom 6.11.2007; ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010; U.S. Departement of State, 2010, Human Rights Report: Turkey vom 8.4.2011, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrtt/2010/eur/154455.htm.

So berichtet etwa das Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen. Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten würden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Des Weiteren sei es der türkischen Regierung trotz zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verhinderung von Folter (etwa auch der Erhöhung der Strafandrohung) und trotz nachweisbarer Verbesserungen bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen sei. Nach Angaben von Menschenrechtsverbänden sei jedoch die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die in Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- und Misshandlungsfällen stehen, 2010 landesweit zurückgegangen. So seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 (2009: 252, 2088: 269) Personen registriert worden, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden seien. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es würden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt würden. Des Weiteren sei es 2010 zu über 27 sog. extra-legalen Tötungen durch Sicherheitskräfte gekommen

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Die vorstehend dargestellten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes stimmen in den Grundzügen mit denjenigen von amnesty international überein, wenn auch etwa die Anzahl der im Jahr 2010 verzeichneten Folteropfer von der vom Auswärtigen Amt mitgeteilten Zahl abweicht und ai die mitgeteilten Fakten etwas kritischer bewertet. Auch nach Angaben von ai gab es in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt sei. Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen, der notwendige grundlegende Wandel sei damit jedoch nicht vollzogen worden. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien noch immer ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte eingeschränkt.

vgl. ai, Länderbericht Türkei, Stand: Dezember 2010 sowie

ai Report 2011: zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Türkei).

Ähnlich wie ai äußert sich auch Helmut Oberdiek für die Schweizerische Flüchtlingshilfe

vgl. Oberdiek, Türkei, Zur aktuellen Situation – Oktober 2007.

Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Zur Entwicklung in den letzten Jahren sowie der Stellung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen kann zunächst auf die entsprechenden ausführlichen Darlegungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch aus den neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Ergodan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“ (zuvor „Kurdischen Öffnung“), die auf eine Lösung der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir, aus der der Kläger stammt, auch in jüngerer Zeit Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen kritisch bewertete (Massen)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im Vergleich zu den 90er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in den 90er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert.

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011; sowie zusammenfassendes Protokoll der Gesprächsreise von Rechtsanwalt Tahir Elci im Juni 2010.

Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bieten keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass in der Türkei seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers tiefgreifende Reformen stattgefunden haben und die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten 10 Jahre im Hinblick auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener Hinsicht nicht denen Westeuropas entsprechen. Der Reformprozess dauert inzwischen schon ca. ein Jahrzehnt an und wird prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und hat sich daher den sog. Kopenhagener Kriterien unterworfen. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und den Fortschrittsbericht veröffentlicht. Von daher sind die seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers in der Türkei stattgefundenen Veränderungen durchaus als dauerhaft einzustufen, auch wenn es – wie ai und Helmut Oberdiek anmerken – in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte gegeben hat und der Reformprozess, was die Lösung der Kurdenfrage betrifft, seit Mai 2010 stagniert.

Ob angesichts der dargestellten Verhältnisse in der Türkei allerdings generell die Feststellung getroffen werden kann, dass - wie im angefochtenen Bescheid angenommen - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher, unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla mit Bedarfsartikeln, Beherbergung oder ähnlichem, oder dem Zwang zur Übernahme eines Dorfschützeramtes oder sonstiger Repressalien im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften durch Flucht ins Ausland entzogen hatten, heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang mehr ausgesetzt sind, erscheint fraglich. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Denn für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung ist - wie dargelegt - nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt. Vielmehr ist in Abhängigkeit von den konkreten Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, festzustellen, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und dass deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hat

vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 11.8.2010 - 11 LB 405/08 - sowie Beschluss vom 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. v. 24.2 2011 – 10 C 5/10 -, juris, wonach sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.

Bezogen auf die individuelle Situation des Klägers haben die vorstehend dargestellten Änderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei und die damit einhergehende Entspannung der Verhältnisse auch im Südosten des Landes seit der Flüchtlingsanerkennung aber jedenfalls eine solche Auswirkung, dass nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vorgängen, die 1994 und 1995 zu Misshandlungen führten, weiterhin bzw. erneut polizeiliche oder sonstige behördliche Maßnahmen von asylerheblicher Intensität befürchten muss. Als Flüchtling anerkannt wurde der Kläger – wie ausgeführt - vor allem im Hinblick auf die Annahme, dass er 1994 bei den Heimatbehörden als möglicher Sympathisant der PKK registriert war, weil man ihn verdächtigte, für diese Transporte durchzuführen. Bei der anzustellenden Prognose einer dem Kläger heute noch drohenden Verfolgungsgefahr fällt zunächst ins Gewicht, dass die dem Kläger im Jahr 1994 vorgehaltenen vermeintlichen Unterstützungshandlungen für die PKK in Gestalt gelegentlicher Transportfahrten nur untergeordneter Natur waren und es – da der Vorwurf eigenen Angaben des Klägers zufolge unbegründet war - dafür auch keinerlei Beweise gab, weshalb man ihn jeweils nach kurzer Zeit auch wieder freigelassen habe. Zudem liegen die Vorwürfe mittlerweile mehr als sechzehn Jahre zurück. Darüber hinaus wäre die dem Kläger ehemals vorgeworfene Unterstützung der PKK durch gelegentliche Transportfahrten heute nach türkischem Strafrecht ohnehin nicht mehr zu verfolgen. In Betracht gekommen wäre zur vermeintlichen Tatzeit insoweit eine Bestrafung gemäß Art. 169 Türkisches StGB (TStGB) von 1926 wegen Unterstützung einer bewaffneten Organisation und zwar mit einer Strafe von 4,5 bis 7,5 Jahren (Art. 159 i.V.m. Art. 4, 5 Antiterrorgesetz). Diese Tat wäre aber unter die Amnestie vom 21.12.2000 durch das Gesetz Nr. 4616 (betreffend bedingte Freilassungen und die Aussetzung von Strafverfahren sowie von der Vollstreckung von Strafen im Falle von bis zum 23. April 1999 begangener Straftaten) gefallen. Diese gewährte einen Straferlass von zehn Jahren, was bei Straftaten mit einer Strafe unter zehn Jahren eine Straffreistellung bedeutete

vgl. Gutachten Dr. Silvia Tellenbach an das VG Osnabrück vom 26.11.2006 sowie an das VG Freiburg vom 4.6.2007; Serafettin Kaya an VG Berlin vom 9.8.2006 und an OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Auch nach Angaben des Sachverständigen Kamil Taylan in seinem Gutachten für den Senat vom 11.2.2011 ist die vom Kläger in diesem Verfahren berichtete tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergung von PKK-Aktivisten o.ä. in den 90er Jahren heute als Delikt im Sinne des TStGB verjährt. Diese Verjährung betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die Ablehnung eines Dorfschützeramtes bzw. einer Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitskräften, „auch durch Flucht ins Ausland“.

Damit wären die dem Kläger im Jahr 1994 unterstellten gelegentlichen Transporte von PKK-Anhängern bzw. Lebensmitteln für die PKK mittlerweile jedenfalls straffrei.

Auch sind dem Gutachter Kamil Taylan keine aktuellen Verfahren gegen in die Türkei zurückgekehrte Personen bekannt, die, wie der Kläger, bis Ende der 90er Jahre in den Verdacht geraten sind, die PKK mit Bedarfsartikeln, Beherbergungen oder ähnlichem unterstützt zu haben und deswegen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren

vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das OVG des Saarlandes vom 11.2.2011.

Damit vergleichbar hält auch der Gutachter Serafettin Kaya die Gefahr für eine im Jahr 1995 wegen der Unterstützung der TDKP in Verdacht geratene Person, die, ebenso wie vorliegend der Kläger, nicht verurteilt worden war, im Falle einer Rückkehr nicht für beachtlich wahrscheinlich

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.6.2009 und vom 22.7.2009.

Soweit der Kläger darüber hinaus als mitursächlich für seine Ausreise angegeben hat, dass er sich dem auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützer-amtes habe entziehen wollen, was allerdings ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.12.1999 für die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht von Bedeutung war, droht ihm in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr ebenfalls keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ablehnung der Übernahme des Dorfschützeramtes keine strafrechtliche Relevanz besitzt

vgl. ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Darüber hinaus haben sich die Verhältnisse in der Türkei seit der Ausreise des Klägers auch betreffend die Dorfschützerproblematik grundlegend geändert, so dass nicht angenommen werden kann, dass der Kläger heute insoweit nochmals Beeinträchtigungen ausgesetzt sein könnte. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das System der Dorfschützer in der zuvor praktizierten Form nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursämter der Provinzen vom 24.4.2000 wurde angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger Dorfschützer werden nicht mehr besetzt

vgl. Serafettin Kaya, Gutachten vom 28.1. 2007 an das VG Aachen; ai an OVG Münster vom 17.12.2004.

Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem ersichtlich auch eingehalten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das Dorfschützersystem seinerseits geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich - wie oben bereits ausgeführt - inzwischen wesentlich geändert. Das Mitte der 80er Jahre geschaffene und in den 90er Jahren weiter ausgebaute System diente u. a. dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt) und später - entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in weiteren Provinzen mit starker kurdischer Bevölkerung als „verlängerten Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten. Seit der Entspannung der Situation und dem Rückgang der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei und der von der türkischen Regierung verfolgten Politik der sog. „demokratischen Öffnung“ wurden neue Dorfschützer nicht mehr benötigt, so dass die türkischen Sicherheitskräfte auch keinen Druck mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben brauchten, auch wenn das Dorfschützersystem nicht insgesamt abgeschafft wurde. Letzteres liegt u.a. daran, dass eine vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den kurdischen Provinzen mit sich brächte, weil damit viele - zudem bisher staatsloyale - Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb bis hin zu ihrer Rentenberechtigung verlören.

vgl. ai, Gutachten vom 18.7.2003 an VG Frankfurt; vgl. zu alledem auch ausführlich OVG Koblenz, Urteil vom 17.12.2010 - 10 A 10911/10 -, juris.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger wegen seiner Weigerung, Dorfschützer zu werden, heute keine politische Verfolgung mehr zu befürchten hat.

Nichts anderes ist im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers anzunehmen, welche sich nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf beschränkten, wie alle anderen Kurden an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Dabei handelt es sich eindeutig um eine Betätigung niedrigen Profils. Die bloße Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen stellt kein Verhalten dar, das sich von demjenigen der meisten in Deutschland lebenden Kurden aus der Türkei unterscheidet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes begründet jedoch nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, d. h. eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr

vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteile vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 -, juris und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris; sowie Beschluss vom 21.12.2009 - 3 A 275/09 -.

Neuere Erkenntnisse, die Anlass zu einer anderen Beurteilung böten, liegen nicht vor. Vielmehr führt etwa das Auswärtige Amt in seinem jüngsten Lagebericht vom 8.4.2011 ebenso wie bereits in verschiedenen vorangegangenen Lageberichten bzw. Stellungnahmen aus, dass (nur) türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit Ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würden, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten, was vorliegend jedoch nicht erkennbar ist.

Ist somit bereits nach den vorangegangenen Ausführungen nicht zu erwarten, dass die türkischen Sicherheitskräfte heute noch ein Interesse an der Person des Klägers haben, so findet dies eine weitere Bestätigung in den vom Senat eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von Kamil Taylan.

So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13.10.2010 zu den im Beweisbeschluss des Senats vom 16.7.2010 gestellten Fragen mitgeteilt, dass Nachforschungen eines beauftragten Vertrauensanwalts im Falle des Klägers ergeben hätten, dass an den maßgeblichen Orten, nämlich am Ort der personenstandsamtlichen Registrierung und am letzten Wohnort des Klägers keine behördlichen Vorgänge gegen ihn vorhanden seien. Auch bei der Sicherheitsdirektion Istanbul und der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sei der Kläger nicht aktenkundig. Es habe auch kein Fahndungsersuchen nach ihm festgestellt werden können. Im Hinblick darauf seien keine Hinweise dafür vorhanden, dass der Kläger bei Rückkehr in die Türkei in den Fokus der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte bzw. mit staatlichen Repressalien wegen der behaupteten früheren Aktivitäten zu rechnen hätte.

Auch der Sachverständige Taylan bestätigt in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, über türkische Anwälte in Erfahrung gebracht zu haben, dass über den Kläger in zentralen Fahndungsregistern keine Einträge vorhanden seien, d. h., dass der Kläger nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei, auch kein Haftbefehl gegen ihn existiere und derzeit auch kein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei wegen seiner Aktivitäten in den 90er Jahren politisch verfolgt werde. Es sei auch derzeit kein einziges Verfahren in der Türkei bekannt, worin ein Rückkehrer wegen Verfehlungen, wie sie dem Kläger vorgeworfen worden seien, angeklagt sei oder sich in U-Haft befinde bzw. deswegen sonstigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Ein Verfahren gegen einen zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1994 in den Verdacht geraten war, die PKK durch Transportfahrten unterstützt zu haben, hält der Gutachter wegen der Verjährung dieser Taten für ausgeschlossen, auch wenn die betroffene Person damals kurzfristig festgenommen und misshandelt worden sowie in ihrer Heimatregion als Verdächtiger registriert war.

Dafür, dass – wie das Auswärtige Amt und Kamil Taylan festgestellt haben – der Kläger in der Türkei tatsächlich nicht mehr als Verdächtiger bzw. Sympathisant der PKK registriert ist, spricht im Übrigen auch, dass aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums vom 18.12.2004 keine Suchvermerke mehr ins Personenstandregister eingetragen werden und Angaben türkischer Behörden zufolge Mitte Februar 2009 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregister gelöscht wurden

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Der darüber hinausgehenden Anmerkung des Sachverständigen Taylan in seiner Stellungnahme vom 11.2.2011, wonach mit Blick darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Unterstützer und Sympathisant der PKK aktiv gewesen sei, die Gefahr einer politischen Verfolgung „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden könne, lässt sich die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger weiterhin drohenden politischen Verfolgung ebenfalls nicht entnehmen. Die Gefahr einer solchen Verfolgung erachtet auch Kamil Taylan wörtlich als „sehr gering“ bzw. „verschwindend klein“; er vermag sie angesichts der seiner Meinung nach „chaotischen Verhältnisse in der türkischen Justiz“ nur nicht ganz auszuschließen. Eine so hohe Prognosesicherheit, dass eine Verfolgungsgefahr ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden kann, was letztlich einen kaum zu gewährleistenden Schutzstandard bedeutete, wird jedoch für die Annahme eines Wegfalls der Anerkennungsvoraussetzungen nicht gefordert. Vielmehr hätte bei dem vom Gutachter umschriebenen Wahrscheinlichkeitsgrad nach der früheren Rechtsprechung sogar eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht werden können. Nach dieser Rechtsprechung konnte vom Fehlen hinreichender Sicherheit vor der Wiederholung von Verfolgungshandlungen nicht schon bei jeder noch so geringen Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts ausgegangen werden. Vielmehr war über eine „theoretische“ Möglichkeit hinaus erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus „reale“ Möglichkeit erscheinen ließen

vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1992 – 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 f.

Auch amnesty international hält zumindest eine gerichtliche Verfolgung aufgrund der dem Kläger früher vorgeworfenen Aktivitäten für nicht wahrscheinlich. Auch ansonsten lässt sich der Stellungnahme vom 31.1.2011 an den Senat, welche sich auf allgemeine Ausführungen zur Gefährdungslage von Rückkehrern beschränkt, ohne jedoch die individuelle Situation des Klägers näher zu beleuchten, eine dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt zunächst, soweit ai ganz allgemein die Gefahr sieht, dass einreisende ehemalige Asylsuchende bereits während der Dauer der im Regelfall erfolgenden Erkundigungen bei den Heimatbehörden misshandelt werden. Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer solchen allen Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, drohenden Gefahr steht entgegen, dass in den letzten Jahren konkrete derartige Fälle nicht verzeichnet wurden.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist diesem in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in den ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei; dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen sei kein Fall genannt worden, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder oder führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen seien. Nach Auskunft der Vertretungen von EU-Mitgliedstaaten in Ankara (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie von Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2011 sei auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt gewesen seien

vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 8.4.2011.

Konkrete Fälle, die den vorgenannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes entgegen stehen, hat auch ai nicht benannt. Von daher kann jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger schon allein während einer routinemäßigen Nachfrage bei den Behörden seines Heimatortes Misshandlungen drohen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach zurückkehrende Asylbewerber jedenfalls nicht routinemäßig - d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert bzw. asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt werden

vgl. etwa Urteil vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 - m.w.N., juris.

Soweit ai darüber hinaus die Gefahr eines Verhörs - und in diesem Zusammenhang auch von Folter - sieht, sobald gegen den Rückkehrer ein Eintrag oder ein polizeiinterner Suchbefehl vorliegt, ist eine diesbezüglich beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers ebenfalls nicht anzunehmen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - nach entsprechenden überzeugenden Angaben des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan in der Türkei derzeit nicht aktenkundig ist und keine behördlichen Vorgänge über ihn existieren. Die von ai lediglich in theoretischer Weise in den Blick genommen Risikofaktoren eines noch bestehenden Suchinteresses sind nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes und des Sachverständigen Taylan im Falle des Klägers vielmehr zu verneinen.

Nach alledem ist ein aktuelles Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger (und damit einhergehend die Gefahr weiterer Ermittlungen und Misshandlungen) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, vielmehr nahezu auszuschließen.

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass die türkischen Sicherheitskräfte gegen eine in der jüngeren Zeit wieder verstärkt militärisch operierende PKK nochmals nachhaltig vorgehen und dies zu einer erneuten Verschlechterung der Verhältnisse in seiner Heimatregion führen könnte, bietet dies keinen Anlass zu der Annahme, dass eine langjährig zurückliegende Unterstützung der PKK relativ geringfügiger Art, wie sie bei dem Kläger vermutet wurde, im Falle einer Rückkehr Anlass für weitergehende Behelligungen sein könnte, nachdem in diesem Zusammenhang keinerlei behördliche Vorgänge und Registrierungen hinsichtlich des Klägers mehr vorliegen.

Schließlich droht dem Kläger auch im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr keine Gefährdung. Eine Gruppenverfolgung von Kurden lag weder im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung des Klägers vor noch kann hiervon aktuell ausgegangen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Urteile vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 - und vom 29.3.2000 - 9 R 10/98 -, juris.

und auch aller weiteren Obergerichte, welche im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt wurde. Auf diesen wird insoweit Bezug genommen. Weiterer Darlegungen bedarf dies nicht, da sich der Kläger im anhängigen Verfahren auch nicht auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Kurden berufen hat.

Haben sich nach alledem im Falle des Klägers die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse seither erheblich verändert, steht der Annahme des nachträglichen Wegfalls der die Flüchtlingsanerkennung begründenden Umstände schließlich auch nicht die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anwendbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG entgegen, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., juris.

Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten.

Zwar hat der Senat keinen Anlass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers in Zweifel zu ziehen, wonach er im Rahmen einer zweitägigen Festnahme im Jahr 1994 mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde, dabei einen Bruch der Wangenknochen erlitt und auch anlässlich eines mehrstündigen Verhörs in Istanbul im Jahre 1995 erneut misshandelt wurde, wovon auch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Urteil vom 20.12.1999 - 6 K 136/98.A - ausgegangen ist. Von daher liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG formulierten Vermutung vor. Ausgehend von den vorstehend dargestellten Veränderungen der Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den oben dargestellten, dem Kläger zu Gute kommenden Amnestie- bzw Verjährungsregelungen sowie der Tatsache, dass derzeit in der Türkei bezüglich des Klägers keinerlei Fahndungsersuchen, Registereintragungen oder sonstige behördliche Vorgänge wegen des Verdachts einer Unterstützung der PKK mehr existieren, sprechen jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die in der Türkei trotz der durchgeführten Reformen im Einzelfall nicht auszuschließende Gefahr der Folter besteht vor allem bei Ermittlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen bestimmte Personen wegen der Verdächtigung, politische Straftaten begangen zu haben. Für solche Ermittlungen gegen den Kläger besteht nach dem Vorgesagten aber kein Anlass mehr.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch ohne Weiteres anzunehmen, dass die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur ist, vielmehr die Faktoren, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Angesichts der dem Kläger zugute kommenden Amnestie- bzw. Verjährungsregelungen sowie des im Zuge der Beweiserhebung des Senats zu Tage getretenen gänzlich fehlenden aktuellen Interesses der türkischen Behörden an der Person des Klägers ist nicht erkennbar, dass diesem auf absehbare Zeit erneute Verfolgung drohen könnte. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass die türkische Regierung in den letzten Jahren geeignete Schritte unternommen hat, um die der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen (insbesondere der Amnestie- und Verjährungsregelungen sowie des Beseitigens von Registereintragungen) ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei nunmehr vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen nachhaltig geschützt ist.

Sind danach aufgrund einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse in der Türkei diejenigen Umstände weggefallen, auf denen die begründete Furcht vor Verfolgung und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruhten, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils einem Widerruf nicht entgegensteht. Denn bei einer solchen wesentlichen Veränderung der Sachlage endet auch die Rechtskraft des Urteils.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, hat dieser nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Hat die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger wegen einer erheblichen und dauerhaften Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände keine begründete Furcht vor Verfolgung mehr haben muss, war vom Widerruf auch nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen zwingender auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe abzusehen. Solche zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe, um eine Rückkehr in die Türkei abzulehnen, liegen im Falle des Klägers nicht vor. Mit § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird insbesondere der psychischen Sondersituation Rechnung getragen, in dem sich ein Asylberechtigter befindet, welcher ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse im Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgungsstaat zurückzukehren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist demnach, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei auch dann führen, wenn - wie hier - eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 in DVBl. 2006, S. 511.

Eine derartige Sachlage ist im Falle des Klägers nicht gegeben. Zwar ist der Kläger vor seiner Ausreise körperlich misshandelt worden. Jedoch hat er weder vorgetragen noch ist erkennbar, dass er dabei derart schwere physische oder psychische Schäden davon getragen hat, dass diese auch derzeit noch in einem erheblichen Umfang nachwirken, so dass ihm eine Rückkehr nicht angesonnen werden könnte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zwar angegeben, die erlittenen Misshandlungen nicht vergessen zu können. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei nicht aus, zumal der Kläger sich offenkundig vorrangig um die Zukunft seiner Kinder und auch die wirtschaftliche Lage der Familie sorgte.

Hat die Beklagte demnach die im Bescheid vom 10.3.2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen, ist auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen des Klägers ebenfalls nur mit Blick auf die geäußerte Befürchtung erneuter staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit den Vorgängen vor der Ausreise in Betracht. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, kann insoweit jedoch nicht von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden.

Schließlich ist auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 17.7.2008 erhobene Anfechtungsklage auch gegen diese Feststellung gerichtet ist. Ungeachtet der Frage des richtigen Rechtsbehelfs kann auch hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Ergänzend wird folgendes hinzugefügt: Auch bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist stets der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

vgl. BVerwG, Urteile vom 24.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -.

Ausgehend vom Sachvortrag des Klägers kommt auch hier lediglich eine ihm im Rückkehrfalle drohende Gefahr erneuter Folter bzw. Misshandlung durch türkische Sicherheitskräfte in Betracht. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende derartige Gefahr ist jedoch nach den vorangegangenen Darlegungen, auf die auch hier Bezug genommen werden kann, nicht anzunehmen. Die Vermutungsregelung des auch im Rahmen der Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG wirkt sich auch hier nicht zugunsten es Klägers aus, da - wie ausgeführt - stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dementsprechend liegt weder ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG noch ein solches im Sinne des nachrangig zu prüfenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Für sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 AufenthG, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG oder § 60 Abs. 4 AufenthG sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.

(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.