Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 14. Okt. 2015 - 12 B 968/15
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Landes, das seine Kosten selbst trägt.
1
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, nicht in Frage.
3Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass es an der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des mit dem Eilantrag verfolgten Anspruchs fehlt.
4Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
51. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
62. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
7Vorliegend ist zwar entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts das Vorliegen einer seelischen Störung anzunehmen. Dies gilt jedenfalls im Hinblick auf die attestierte „Emotionale Störung des Kindesalters“, wobei der Senat davon ausgeht, dass es sich bei der Angabe „ICD-10 F98.8“ um ein Schreibversehen der Kinder- und Jugendlichenpsychiaterin C. -T. handelt, da nach der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) „Emotionale Störungen des Kindesalters“ unter der Kodierung F93 kategorisiert sind.
8Zur Bedeutung der ICD-10-Kategorisierung vgl. auch: OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2010
9- 12 B 105/10 -, juris.
10Ob auch die Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität eine Abweichung der seelischen Gesundheit i.S.d. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII darstellt,
11für die einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ICD-10 F90.0) ohne Hinzutreten weiterer (sekundärer) seelischer Störungen verneinend etwa: OVG NRW, Beschluss vom 19. September 2011 - 12 B 1040/11 -, juris; Beschluss vom 2. März 2010 - 12 B 105/10 -, juris, jew. m.w.N.,
12kann offen bleiben. Zwar hat die Antragstellerin mit der Beschwerde hinreichend glaubhaft gemacht, dass sowohl die Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität als auch die emotionale Störung des Kindesalters selbständige, nicht im Zusammenhang mit der bei ihr diagnostizierten Kleinhirnhypoplasie stehende Erkrankungen sind, die Antragstellerin hat aber das Vorliegen einer auf diesen seelischen Störungen beruhenden (drohenden) Teilhabebeeinträchtigung nicht hinreichend dargelegt.
13Die Einschätzung, ob eine Teilhabebeeinträchtigung vorliegt, fällt in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.
14Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Juli 2011
15- 12 A 1168/11 -, juris, und vom 15. Oktober 2014
16- 12 B 870/14 -, juris, jew. m.w.N.
17Hierbei ist das Vorliegen einer Teilnahmebeeinträchtigung als unbestimmter Rechtsbegriff - anders als die Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Hilfemaßnahmen - gerichtlich voll überprüfbar; auf Seiten des Jugendamtes besteht kein Beurteilungsspielraum.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Juni 2014
19- 12 A 659/14 -, juris; Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 12 B 870/14 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 18. Februar 2013 - 12 CE 12.2104 -, juris, m.w.N.
20Die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gesellschaft ist im Sinne des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB VIII beeinträchtigt oder eine solche Beeinträch-tigung ist zu erwarten, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt.
21Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. August 2005 - 5 C 18.04 -, juris, vom 28. September 2000 - 5 C 29.99 -, juris, und vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, juris; HessVGH, Urteil vom 20. August 2009 - 10 A 1799/08 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -, juris; Urteil vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, juris, jew. m.w.N.
22Erforderlich ist daher, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betreffenden vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispiels-weise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, wie sie auch andere Kinder teilen.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12. Juni 2014 - 12 A 659/14 -, juris, m.w.N.
24Geht es - wie im Fall der Antragstellerin - um die Würdigung der aus dem Schulbesuch erwachsenden Belastungssituation eines Kindes oder Jugendlichen, sind Stellungnahmen der beteiligten Lehrkräfte regelmäßig ein gewichtiges Entscheidungskriterium, weil sie einen pädagogisch reflektierten Einblick „aus erster Hand“ vermitteln.
25Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2015
26- 12 B 598/15 -.
27Dies zugrunde gelegt besteht gegenwärtig keine überwiegende, geschweige denn hochgradige Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Beschulung auf der I. -Schule in N. hat.
28Zunächst kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin aufgrund der bei ihr diagnostizierten Aufmerksamkeitsstörung bis zum Schulwechsel an ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im von § 35a SGB VIII geforderten Maße beeinträchtigt war. Dem Schulbericht der S. -I1. -Schule vom 7. Januar 2015 lässt sich insoweit entnehmen, dass die Antragstellerin ihr Konzentrationsvermögen habe steigern können, wobei sie immer wieder daran habe erinnert werden müssen, sich nicht vom Geschehen innerhalb der Klasse ablenken zu lassen; es sei vorgekommen, dass sie vor sich hin geträumt habe. Im Bericht des Vereins zur G. in S1. e.V. vom 25. August 2015 heißt es zum Verhalten der Antragstellerin bei der Hausaufgabenerledigung im Rahmen der Offenen Ganztagsbetreuung, dass die Antragstellerin bei der Erledigung der Hausaufgaben eine auffällige Konzentrationsschwäche gezeigt habe. Alles, was sie in irgendeiner Weise habe ablenken können, sei ihr willkommen gewesen. Die Hausaufgaben habe sie in der dafür vorgesehenen Zeit nie vollständig erledigen können. Diesen Berichten kann aber nicht entnommen werden, dass diese Konzentrationsprobleme bei der Antragstellerin ein Ausmaß erreicht hatten, das an die oben beispielhaft genannten Beeinträchtigungen heranreichte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin die Teilnahme am Unterricht oder die Erledigung ihrer Hausaufgaben verweigert hat; vielmehr führt der Schulbericht vom 7. Januar 2015 aus, dass die Antragstellerin den gesamten Unterricht mit teilnehmendem Interesse verfolgt habe. Dies wird auch durch die Darstellung in der Stellungnahme der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin C. -T. vom 21. August 2015, dass die Antragstellerin bei der Hausaufgabenbewältigung Wutanfälle bekomme, um sich schlage und Angst vor Misserfolgen habe, nicht in Frage gestellt, da auch nach diesem Verhalten nicht von einer Schul- oder Leistungsverweigerung oder gleichzustellenden Schwierigkeiten auszugehen ist. Auch die von der Antragstellerin erzielten Noten von „gut“ bis „ausreichend“ sprechen gegen gravierende schulische Probleme im oben dargestellten Sinne. Dass die von der Antragstellerin geltend gemachten Probleme im Umgang mit anderen Schülerinnen und Schülern auf die Aufmerksamkeitsstörung zurückzuführen sein könnten, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
29Eine auf der Aufmerksamkeitsstörung der Antragstellerin beruhende Teilhabebeeinträchtigung ist im Rahmen der allein möglichen Prognose auf der Grundlage der bisherigen Verhältnisse jedoch auch für die Zukunft, insbesondere für einen Besuch einer weiterführenden Regelschule, nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit,
30vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998
31- 5 C 38.97 -, juris,
32zu erwarten. Dass sich die Konzentrationsschwierigkeiten der Antragstellerin in einer Regelschule mit einer größeren Klassenstärke in einem Maße verstärken würden, dass die oben dargestellte Schwelle erreicht würde, kann nicht mit der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Soweit die im Beschwerdeverfahren vorgelegte Stellungnahme der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin C. -T. vom 21. August 2015 angibt, dass bei einer Klassenstärke von über 28 Kindern der massiven Aufmerksamkeitsstörung der Antragstellerin nicht Rechnung getragen werden könne, Störungen im Lern- und Leistungsbereich, Versagensängste, Schul- und Lernverweigerung „sicher zu erwarten“ seien, mutet dies - unabhängig davon, dass die Feststellung der Beeinträchtigung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGBVIII grundsätzlich nicht Gegenstand der Stellungnahme nach § 35a Abs. 1a SGB VIII ist -,
33vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. August 2010
34- 12 A 1237/09 -, juris,
35vor dem Hintergrund, dass die Konzentrationsprobleme der Antragstellerin sich nach den vorliegenden Unterlagen in der größeren Gruppe der Offenen Ganztagsbetreuung und der wohl eher ablenkungsträchtigen Situation der Hausaufgabenerledigung nicht als wesentlich stärker als in der kleinen Lerngruppe der Förderschule dargestellt haben, zum jetzigen Zeitpunkt weitgehend spekulativ an. Das gleiche gilt für die Annahme der Antragstellerin, bei einer Klassenstärke, wie sie in einer Regelschule üblich sei, würde sie in ihrer Konzentrationsfähigkeit erheblich gestört, wodurch zwangsläufig ihre Leistungen drastisch abfallen und letztlich eine Leistungsverweigerung entstehen würde. Soweit in den vorgelegten ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen davon ausgegangen wird, dass die Antragstellerin unbedingt eine kleine Lerngruppe benötige und aufgrund der hohen Klassenstärke keine staatliche Schule besuchen könne, wird diese Annahme bereits dadurch erheblich in Zweifel gezogen, dass die Klassenlehrerin der Antragstellerin - als die Person, die die Antragstellerin unmittelbar im schulischen Umfeld erlebt hat - nach deren eigenen Angaben den Besuch einer Gesamtschule empfohlen hat.
36Ebenso kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin aufgrund der diagnostizierten Emotionalen Störung des Kindesalters an einer Teilhabebeeinträchtigung leidet bzw. von einer solchen bedroht ist. Den vorgelegten Unterlagen lässt sich schon nichts Konkretes zu dieser seelischen Beeinträchtigung der Antragstellerin, ihren Symptomen und Auswirkungen entnehmen. Soweit die Gutachten so zu verstehen sein sollten, dass die beschriebenen Kontakt- und Kommunikationsschwierigkeiten der Antragstellerin Ausdruck der Emotionalen Störung des Kindesalters - und nicht lediglich fehlender Erfahrung und Übung im Umgang mit Gleichaltrigen - sein sollten, ist aber ebenfalls keine (drohende) Teilhabebeeinträchtigung festzustellen. Im Schulbericht vom 7. Januar 2015 ist ausgeführt, dass die Antragstellerin ein überwiegend gut gelauntes und fröhliches Mädchen sei, das sich ihren Lehrerinnen und Mitschülern gegenüber meist freundlich verhalte. Von einer anfangs eher zurückhaltend abwartenden Haltung habe die Antragstellerin Fortschritte darin machen können, von sich aus Kontakte aufzunehmen und teilweise auch einzufordern. Zu einigen MitschülerInnen habe sie einen guten Kontakt aufgebaut, so dass sie sich manchmal auch außerhalb der Schule mit ihnen treffe. Häufig erzähle sie auch von Freundinnen, die sie aus anderen sozialen Zusammenhängen kenne. Soweit die Antragstellerin hierzu vorträgt, dass der Kontakt in der Schule sich auf ein Mädchen mit Asperger-Syndrom und einen stark verhaltensauffälligen Jungen konzentriert habe, können diesem Vorbringen - insbesondere unter Berücksichtigung des Vortrags, dass in der Klasse der Antragstellerin neben einem Mädchen (offenbar dem genannten) nur Jungen mit Verhaltensauffälligkeiten gewesen seien - keine Rückschlüsse auf Probleme bei der Sozialintegration der Antragstellerin entnommen werden. Die von der Antragstellerin geschilderten Schwierigkeiten, an Freizeitaktivitäten mit Gleichaltrigen teilzunehmen, stellen sich nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin als aus ihrer körperlichen Behinderung resultierend dar. Sie hat aber nach eigenen Angaben durchaus - wenn auch wenige - private Kontakte zu gleichaltrigen Kindern.
37Es kann aus den vorliegenden Unterlagen auch nicht mit der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Antragstellerin insoweit bei dem Wechsel auf eine Regelschule mit größeren Klassen eine Teilhabebeeinträchtigung droht. Soweit in der Stellungnahme der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin C. -T. vom 21. August 2015 angenommen wird, dass der Aufbau von sozialen Kontakten innerhalb einer größeren Gruppe für die Antragstellerin nicht möglich sei, wird dies durch die Stellungnahme des Vereins zur Förderung der Über-Mittag-Betreuung in S1. e.V. vom 25. August 2015 in Frage gestellt, nach der die Antragstellerin in der Situation der Offenen Ganztagsbetreuung jedenfalls Kontakt zu einem anderen Mädchen aufgebaut hat. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang vorträgt, dass es an der Sprachförderschule kein soziales Umfeld mit positiven Vorbildern gegeben habe, könnte sich insoweit die Situation durch den Besuch einer Regelschule unter Umständen sogar entspannen.
38Gegen eine drohende Teilhabebeeinträchtigung spricht im Übrigen auch der Umstand, dass das Schulamt für die Stadt E. eine sonderpädagogische Förderung der Antragstellerin generell nicht mehr für notwendig erachtet hat, wie aus dem Bescheid vom 31. März 2015 hervorgeht, demgemäß die Antragstellerin „ab 01.08.15 eine allgemeine Schule besuchen“ kann. Dem liegt zugrunde, dass die S. -I. -Schule, nachdem der Förderbedarf im Schwerpunkt „Sprache“ bei der Antragstelle-rin entfallen war, einen Wechsel des Förderschwerpunkts nicht für notwendig erachtet hat; anderenfalls wäre die Schulaufsichtsbehörde darüber zu unterrichten gewesen (vgl. § 18 Abs. 3 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke - Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung - AO-SF). Insofern lag nach der fachlichen Einschätzung der Förderschule kein anderweitig in Betracht kommender sonderpädagogischer Förderbedarf bei der Antragstellerin vor, wobei nach dem diagnostizierten Behinderungsbild der Antragstellerin namentlich auch an den Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung zu denken ist (§ 4 Abs. 4 AO-SF). Wenn bei der Antragstellerin aber auch in diesem Bereich keine gravierenden Einschränkungen vorliegen, die durch sonderpädagogische Förderung auszugleichen bzw. abzumildern sind, deutet das eher darauf hin, dass eine adäquate Teilhabe auch im Falle eines Regelschulbesuchs gewährleistet ist.
39Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
40Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 14. Okt. 2015 - 12 B 968/15
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(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.
(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
(5) u. (6) (weggefallen)
(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
- 1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und - 2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme
- 1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, - 2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder - 3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall
- 1.
in ambulanter Form, - 2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, - 3.
durch geeignete Pflegepersonen und - 4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.
(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.
(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem unter dem Aktenzeichen 11 K 1327/14 beim Verwal-tungsgericht Arnsberg anhängigen Hauptsacheverfahren Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer ABA-Therapie in dem aus dem Antrag der Mutter des Antragstellers vom 24. Oktober 2013 hervorgehenden Umfang zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, weil der Antragsteller mit seinem nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO der Prüfung zugrundezulegenden Beschwerdevorbringen glaubhaft gemacht hat, dass die erneute Aufnahme einer bereits in der Vergangenheit mit Mitteln der Jugendhilfe finanzierten ABA (Applied Behavior Analysis)-Therapie als Maßnahme der Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII bedarfsgerecht und unaufschiebbar ist.
3Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies erfordert die Glaubhaftmachung sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).
4Wird mit der begehrten Regelung die Hauptsache vorweggenommen, gelten gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, indem ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen muss, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
5Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 -, NVwZ 2013, 1344, juris; Beschlüsse vom 13. August 1999 - 2 VR 1.99 -, BVerwGE 109, 258, juris, und vom 14. Dezember 1989 - 2 ER 301.89 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15, juris; OVG NRW, Beschlüs-se vom 27. Januar 2014 - 12 B 1422/13 -, juris, vom 15. Januar 2014 - 12 B 1478/13 -, juris, Beschlüsse vom 14. Februar 2013 - 12 B 107/13 -, juris, vom 27. Juni 2012 - 12 B 426/12 -, juris, vom 21. Februar 2011 - 13 B 1722/10 -, juris, vom 8. Januar 2010
6- 19 B 1004/09 -, NWVBl 2010, 328, juris, und vom 16. März 2007 - 7 B 134/07 -, NVwZ-RR 2007, 661, juris.
7Überdies kommt eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in Betracht, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Januar 2014
9- 12 B 1422/13 -, juris, vom 15. Januar 2014
10- 12 B 1478/13 -, juris, vom 14. Juni 2012
11- 12 B 433/12 -, juris, vom 29. September 2011
12- 12 B 983/11 -, juris, und vom 20. Januar 2010
13- 12 B 1655/09 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, juris, m. w. N.
14Diese Voraussetzungen für eine zeitweilige Vorwegnahme der Hauptsache liegen in beiderlei Hinsicht vor, soweit der Antragsteller die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer ABA-Therapie begehrt.
15Der Senat sieht es als hochgradig wahrscheinlich an, dass der Antragsteller die Bewilligung dieser Therapie als Maßnahme der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII beanspruchen kann.
16Insoweit setzt § 35a Abs. 1 SGB VIII voraus, dass
171. die seelische Gesundheit des Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für seinen Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
182. daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
19Bei kumulativem Vorliegen beider Voraussetzungen geht das Gesetz von einer „seelischen Behinderung“ aus (vgl. § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII), wobei es ausreicht, wenn der Betreffende von einer solchen Behinderung bedroht ist.
20Nach Lage der Akten spricht zunächst deutlich Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller - unbeschadet der Frage des Vorliegens weiterer Diagnosen - jedenfalls am Asperger-Syndrom und damit an einer seelischen Störung i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII leidet. Das Asperger-Syndrom ist erstmals offenbar in 2005 und sodann über etliche Jahre hin mehrfach wiederholt für den Antragsteller fachärztlich diagnostiziert worden, so in der jüngeren Vergangenheit durch das Klinikum der K. X. H. -Universität G. (vgl. die Berichte vom 22. Dezember 2011 und vom 5. Juni 2012), den Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. T. (vgl. die Stellungnahme vom 13. März 2013) und das krankenhaus I. (vgl. den Entlassungsbrief vom 12. September 2013 und den Bericht vom 10. Dezember 2013). Demgegenüber fällt bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung nicht entscheidend ins Gewicht, dass die vereinzelt gebliebene - und mittlerweile auch schon vier Jahre zurückliegende - fachärztliche Einschätzung der Kinder- und Jugendklinik E. zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, zumal die seinerzeit durchgeführte Diagnostik zum Teil durchaus Hinweise auf das Vorliegen einer Störung aus dem Autismusspektrum erbracht hatte (vgl. S. 6 f. des Befundberichts vom 24. September 2010). Substantielle Einwendungen gegen die mutmaßliche Richtigkeit der Asperger-Diagnose, die - wie dargelegt - wiederholt bestätigt worden ist, hat der Antragsgegner nicht erhoben. Die vormals in dem unter dem Aktenzeichen F vor dem Amtsgericht M. geführten familiengerichtlichen Verfahren - allerdings ohne Darlegung eigener medizinischer Beurteilungskompetenz - artikulierten Bedenken des Antragsgegners gegen die Aussagekraft der aus den Jahren 2005/2006 stammenden ärztlichen Unterlagen (vgl. seine Stellungnahme vom 25. September 2012) sind schon angesichts der o. a. jüngeren Erkenntnisse als überholt anzusehen.
21Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist auch von einer durch die seelische Erkrankung hervorgerufenen Teilhabebeeinträchtigung des Antragstellers auszugehen.
22Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, an die § 35a Abs. 1 SGB VIII anknüpft, ist gekennzeichnet durch die aktive, selbstbestimmte und altersgemäße Ausübung sozialer Funktionen und Rollen in den das Kind oder den Jugendlichen betreffenden Lebensbereichen wie Familie, Schule/Ausbildung und Freizeit (Freundes- bzw. Bekanntenkreis), wobei eine Störung der Teilhabe bereits dann vorliegt, wenn sich die Störung in einem der Lebensbereiche auswirkt.
23Vgl. ThürOVG, Beschluss vom 10. Juni 2009 - 3 EO 136/09 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 23. Juli 2012 - 12 ZB 11.1742 -, juris, und Urteil vom 23. Februar 2011 - 12 B 10.1331 -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 7 K 623/12 -, juris; v. Koppenfels-Spies, jurisPK-SGB VIII, 1. Auflage 2014, § 35a Rn. 37; Wiesner, in: ders., SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 35a Rn. 19; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, 4. Auflage 2012, § 35a Rn. 11; Vondung, in: LPK-SGB VIII, 5. Auflage 2014, § 35a Rn. 19; Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand VI/14, § 35a Rn. 29; Kunkel, JAmt 2007, 17 (18).
24Eine (zu erwartende) Beeinträchtigung der Teilhabe setzt voraus, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betreffenden vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispielsweise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, wie sie auch andere Kinder teilen.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2007 - 12 A 457/06 -, vom 12. November 2008 - 12 A 2551/08 -, vom 29. Mai 2008 - 12 A 3841/06 -, juris, vom 19. Februar 2010 - 12 A 2745/09 - und vom 13. August 2010 - 12 A 1237/09 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, FEVS 58, 477, juris.
26Während die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, fällt die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit zunächst in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.
27Vgl. etwa Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 35a Rn. 34, 48; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Auflage 2012, § 35a Rn. 13.
28Dieser muss, weil er möglichst den gesamten Hilfebedarf abzudecken hat, der durch eine seelische Behinderung hervorgerufen wird, alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick nehmen.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012
30- 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1, juris.
31Hierbei ist das Vorliegen einer Teilnahmebeeinträchtigung als unbestimmter Rechtsbegriff - anders als die Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Hilfemaßnahmen - gerichtlich voll überprüfbar; auf Seiten des Jugendamtes besteht kein Beurteilungsspielraum.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Juni 2014 - 12 A 659/14 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 18. Februar 2013 - 12 CE 12.2104 -, juris, m. w. N.
33Ausgehend von diesen Grundsätzen spricht viel dafür, dass der Antragsgegner eine Teilhabebeeinträchtigung des Antragstellers zu Unrecht ausgeschlossen hat. Eine solche Beeinträchtigung, die beim Asperger-Autismus aufgrund des spezifischen Profils dieser seelischen Störung ohnehin nahe liegt,
34vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. Januar 2013 - 7 B 11154/12 -, JAmt 2013, 213, juris,
35dürfte jedenfalls im Lebensbereich der Familie bestehen, mit dem sich der Antragsgegner in seinem Ablehnungsbescheid vom 17. April 2014 nicht konkret befasst hat.
36Dass der Antragsteller ein beträchtliches Aggressions- und Konfliktpotential aufweist, welches sich in auffälliger Weise im familiärem Umfeld gegenüber dem jüngeren Bruder D. und der Mutter Bahn bricht und eine adäquate Teilnahme am Familienleben massiv beeinträchtigt, ist aus einer Vielzahl von ärztlichen und pädagogischen Stellungnahmen in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners abzuleiten. Hervorzuheben sind in diesem Kontext die folgenden Passagen:
37- Verlaufsbericht der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen vom 10. Dezember 2010: „Seit einiger Zeit ist aber vermehrt erkennbar, dass K1. zunehmend provokativ und abwehrendes Verhalten zeigt - sowohl seinem Bruder als auch seiner Mutter gegenüber.“ - „Die familiäre Situation ist weiterhin sehr angespannt. … Beide Kinder provozieren sich gegenseitig immer stärker, so dass bereits kleinere Situationen zur Eskalation führen können. Diese gegenseitige Abwehr führt häufig zu extremen Krisen.“
38- Verlaufsbericht der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2011:„K1. lebt seit Mai 2010 wieder bei seiner Mutter und seinem Bruder. Seitdem zeigt K1. zunehmend mehr Auffälligkeiten, vor allem durch seinen starken Macht- und Kontrollzwang. Er versucht immer wieder mit allem Mitteln die Oberhand zu behalten und vor allem gegenüber D. sich mit seinen Bedürfnissen durchzusetzen. Zunehmend gestaltete sich das Zusammenleben vor allem mit seinem Bruder sehr schwierig und ist kaum noch händelbar. … Jedoch ist er noch nicht dazu in der Lage, sich im normalen Familienleben zu integrieren und sich an familiäre Regeln und Grenzen zu halten. Außerhalb der Familie zeigt K1. wenig negatives Verhalten.“ - „Dies zeigt wieder sehr deutlich, dass er in belastenden oder überfordernden Situationen seine ‚Wut‘ gegen ihm vertraute Personen richtet. K1. hat gelernt, diese Situationen bewusst zu steuern, so dass er außerhalb der Familie nicht in negative Verhaltensweisen fällt. … Seine stark impulsgesteuerten Reaktionen (Schreien, Beschimpfen, Schlagen, etc.) kann und muss er schließlich im gewohnten, vertrauten Umfeld entladen, da er dem Druck nicht gewachsen ist.“ - „Insgesamt ist die familiäre Situation weiterhin sehr angespannt.“ - „Bereits im Laufe der Zeit hat sich gezeigt, dass gemeinsame Zeiten (z. B. bei den Mahlzeiten) der Kinder in der Regel zur Eskalation führten. Häufig endeten gegenseitige Provokationen im gegenseitigen ‚Zerstören‘“.
39- Bericht des Klinikums der K. X. H. -Universität G. vom 22. Dezember 2011: „Im Vordergrund der Schwierigkeiten, die die Mutter schildert, steht weiterhin das sehr aggressive Verhalten zuhause, das offensichtlich schon im Vorschulalter zu einer stationären kinderpsychiatrischen Behandlung geführt hat. … Durch die Trennungssituation und den Sorgerechtsstreit mit dem Vater sowie auch den offensichtlichen Wegfall von externen Hilfen ist die Situation akut erneut eskaliert. … Im weiteren Verlauf verschlechterte sich das Verhalten von K1. zuhause, indem er sowohl die Mutter als auch den Bruder aggressiv anging, so dass eine zeitnahe Aufnahme auf die Kinderstation in unserer Klinik geplant wurde.“
40- Bericht des Klinikums der K. X. H. -Universität G. vom 5. Juni 2012: „K1. kommt mit seiner Mutter zur elektiven Aufnahme auf unsere Kinderstation. Es gebe zu Hause heftige aggressive Impulsdurchbrüche gegenüber dem jüngeren Bruder D. . Auslöser seien meist Kleinigkeiten. Seit D. Geburt seien die Impulsdurchbrüche ein Problem, jedoch hätten diese in den letzten Wochen zugenommen und auch eine andere Qualität erreicht. Zuletzt habe K1. dabei in einem Erregungszustand durch eine verschlossene Tür eine Heckenschere gerammt.“ - „Nachdem auf Station insgesamt wenig Problemverhalten - gerade auch in der Interaktion mit dem Bruder - beobachtet werden konnte, sehen wir die bestehenden Schwierigkeiten zu Hause vermutlich mit durch die familiäre Dynamik verstärkt, d. h. K1. scheint zu Hause zum einen auf den Bruder fokussiert zu sein, zum anderen spielt sicher auch die Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung des Bruders eine Rolle sowie die psychische Belastung der Mutter durch die Konflikte der Geschwister untereinander und den Scheidungskrieg mit gerichtlichen Auseinandersetzungen.“
41- Stellungnahme des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. T. vom 13. März 2013: „Die Mutter stellte K1. gemeinsam mit einer ABA-Co-Therapeutin zur weiteren Behandlung vor. K1. sei zu Hause vor allem zu seinem jüngeren Bruder D. extrem aggressiv, bereits aus Nichtigkeiten oder Handbewegungen entstünde Streit, wobei K1. seinen Bruder dann trete, schlage, von mehreren Erwachsenen habe festgehalten werden müssen. Er habe Einrichtungsgegenstände zerstört, müsse letztlich wegen dieser Konfliktsituation, unter welcher der Bruder massiv leide, ständig betreut und beaufsichtigt werden. Außerhalb der Familie könne er sich besser anpassen, …“ - „Psychopathologischer Befund: … Er (K1. ) konnte äußern, in dem Gespräch zu sein, ‚weil ich mich streite‘, auf Nachfrage gab er massive aggressive Übergriffe auf seinen jüngeren Bruder zu, konnte jedoch keine Ursache dafür nennen.“
42- Entlassungsbrief des krankenhauses I. vom 12. September 2013: „Die Mutter beschreibt, dass K1. nur im häuslichen Kontext oft sehr aggressiv-impulsiv reagiere. Seine impulsiven Reaktionen seien nicht immer vorhersehbar, teilweise raste er unberechenbar aus. Danach tue ihm sein Verhalten sehr leid. Zu diesen Impulsdurchbrüchen komme es, wenn er sich durch seinen jüngeren Bruder provoziert fühle, oder die Mutter Anforderungen oder Grenzsetzungen an ihn stelle. In anderen Kontexten wie Schule oder dem Fußballverein könne er sich gut kontrollieren, dort habe er gelernt, sich sehr gut anzupassen. K1. selbst beschreibt, dass er dort keine Wut verspüre. Zwischen den Geschwistern sei es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen; als K1. erfahren habe, dass er hier aufgenommen werde, habe er regelrecht gewütet, Gegenstände zerstört und seine Mutter körperlich attackiert.“
43Das so gezeichnete Bild wird nicht durchgreifend dadurch in Frage gestellt, dass es maßgeblich auch auf Schilderungen der Mutter des Antragstellers zurückgeht. Deren Angaben erscheinen glaubhaft und werden nicht zuletzt durch die vorstehend zitierten Einlassungen der von der Lebenshilfe NRW eingesetzten Sozialpädagogischen Familienhilfe gestützt, die über einen eigenen profunden Einblick in die familiären Verhältnisse verfügte. Zweifel an der Richtigkeit des aus mütterlicher Perspektive beschriebenen Sachverhalts werden auch in den diversen ärztlichen Unterlagen nicht geäußert, wobei davon auszugehen ist, dass das Fachpersonal aus seinen praktischen Erfahrungen heraus durchaus in der Lage ist, Übertreibungstendenzen zu erkennen. Soweit das Jugendamt des Antragsgegners in seiner Stellungnahme an das Amtsgericht M. vom 25. September 2012 demgegenüber zum Ausdruck gebracht hatte, die „Schilderungen über das aggressive Verhalten von K1. bzw. über die Geschwisterrivalität wirken überzogen“, ist keine konkrete Grundlage für diese Einschätzung aufgezeigt worden.
44Weiterhin ist auch mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII („und daher ihre Teilhabe … beeinträchtigt ist“) vorausgesetzte kausale Verknüpfung zwischen seelischer Störung und Teilhabebeeinträchtigung gegeben ist. Das Asperger-Syndrom des Antragstellers erscheint jedenfalls als wesentliche Ursache der beschriebenen Problematik, selbst wenn diese durch andere Faktoren (z. B. die Trennung und Scheidung der Eltern und die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung des Bruders) verstärkt wird. Dafür spricht schon der Umstand, dass die spezifisch auf Autismus zugeschnittene ABA-Therapie in dem Entlassungsbrief des Gemeinschaftskrankenhauses I. vom 12. Sep-tember 2013 als probates Mittel herausgestellt wurde, um den „familiären Krisensituationen“ zu begegnen (vgl. S. 4); auf gleicher Linie ist auch von dem Facharzt Dr. T. eine „Fortführung der erfolgreichen ABA-Therapie im häuslichen Umfeld“ für erforderlich erachtet worden (vgl. die Stellungnahme vom 13. März 2013, S. 5).
45Vor diesem Hintergrund dürfte es an dem - aller Voraussicht nach bestehenden - Eingliederungsbedarf des Antragstellers und dessen Genese vorbei gehen, wenn der Antragsgegner in seiner Beschwerdeerwiderung vom 8. August 2014 ausführt, die Einrichtung einer - hier mit Bescheid vom 17. April 2014 bewilligten - Sozialpädagogischen Familienhilfe sei die geeignete Hilfeform für die „häuslichen Erziehungsprobleme der Familie I1. “. Indem der Antragsgegner eine Teilhabebeeinträchtigung des Antragstellers wohl verkannt und seine Hilfeplanung auf Hilfe zur Erziehung eingeengt hat, deutet alles darauf hin, dass eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation verfehlt wurde.
46Es spricht auch nichts Greifbares gegen die Eignung und Erforderlichkeit der ABA-Therapie als Maßnahme der Eingliederungshilfe. Dass die Therapie bereits in der Vergangenheit mit Blick auf die Bedarfslage des Antragstellers erfolgreich gewirkt hat, wie aus diversen Berichten und Stellungnahmen hervorgeht, ist vom Antragsgegner nicht in Frage gestellt worden; insofern erscheint auch unzweifelhaft, dass eine Neuaufnahme dieser Therapie aller Voraussicht nach den gleichen Positiveffekt haben wird. Andere, weniger aufwendige, aber gleichermaßen wirkungsvolle Maßnahmen sind nicht erkennbar. Der Senat geht davon aus, dass der entsprechend früherer Praxis beantragte Therapieumfang nicht unterschritten werden kann, ohne den gewünschten und zu erwartenden Erfolg zu gefährden, zumal andere Anbieter nach der Einführungsphase höhere Stundenkontingente ansetzen (vgl. Institut für Autismusforschung Hans E. Kehrer, Bremer Elterntrainingsprogramm, S. 7; http://ifa-bremen.de/bet-info2011_1.pdf) und der Antragsteller in der Vergangenheit auch in diesem Umfang therapiert worden ist.
47Schließlich steht auch zu befürchten, dass dem Antragsteller ohne die Fortführung der ABA-Therapie schwerwiegende und irreparable Nachteile drohen. Wirksame verhaltenssteuernde Maßnahmen zur Konfliktvermeidung und -bewältigung, die an dem Asperger-Syndrom ansetzen, erscheinen dringend geboten, um die schon seit geraumer Zeit schwer gestörte familiäre Lebenssituation zu verbessern und den Antragsteller zu einer adäquaten Teilhabe an einem friedvolleren Familienleben zu führen. Die bewilligte Sozialpädagogische Familienhilfe kann derartige Maßnahmen nicht ersetzen.
48Dass es neben der ABA-Therapie zwingend auch der weiter streitgegenständlichen „ambulanten Autismustherapie“ bedarf, um dem Eintritt von Nachteilen im vorgenannten Sinne vorzubeugen, hat der Antragsteller hingegen nicht glaubhaft gemacht, so dass es insoweit schon am notwendigen Anordnungsgrund fehlt. Die zugrundeliegende Formulierung im Antrag vom 24. Oktober 2013 („autismusspezifische Therapie mit Schwerpunkt ‚Soziales Kompetenztraining‘“) greift offenbar eine Empfehlung aus dem Entlassungsbrief des krankenhauses I. vom 12. September 2013 auf („Fortführung einer autismusspezifischen Therapie mit dem Schwerpunkt eines sozialen Kompetenztrainings“), ohne dass allerdings deutlich wird, inwieweit - über die ABA-Therapie hinaus - eine weitere an der Autismusproblematik ansetzende Behandlungsform geboten sein sollte. Das angesprochene Ziel einer sozial konformen Anpassung „eigener Verhaltensanteile“ dürfte gerade mittels der ABA-Thera-pie zu verfolgen sein. Auch ist weder aus dem Vorbringen der Beteiligten noch aus den vorliegenden Verwaltungsvorgängen zu ersehen, dass schon in der Vergangenheit eine zusätzliche parallele Autismustherapie stattgefunden hätte, die nun gleichermaßen „fortgeführt“ werden könnte.
49Soweit die Frage einer Teilhabebeeinträchtigung im schulischen Bereich, der durch eine Schulbegleitung zu begegnen wäre, in Rede steht, spricht aus den im angefochtenen Beschluss dargelegten Gründen Einiges gegen das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs des Antragstellers. Ungeachtet dessen erweist es sich jedenfalls auf der Ebene des Anordnungsgrundes als tragfähig, wenn das Verwaltungsgericht bei der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs verwiesen hat. Zumal nachdem jetzt durch Bescheid der Bezirksregierung B. vom 18. September 2014 ein solcher Förderbedarf des Antragstellers (erneut) festgestellt worden ist, besteht nach gegenwärtigem Sachstand keine hinreichende Grundlage dafür anzunehmen, dass der Antragsteller trotz der nunmehr einsetzenden sonderpädagogischen Förderung gravierende und nicht mehr ausgleichbare Nachteile zu gewärtigen hat, wenn er nicht zusätzlich eine schulbegleitende Integrationshilfe erhält. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Einsatz eines Integrationshelfers in dem Gutachten zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 22. Juli 2014 für „unumgänglich“ erachtet wurde, um dem Antragsteller einen „erfolgreichen Schulbesuch ermöglichen zu können“. Weder aus dem Gutachten noch aus anderen in Betracht kommenden Erkenntnisquellen erschließt sich konkret, weshalb es dem Antragsteller auch nur vorläufig nicht zuzumuten wäre, ohne die begehrte Schulbegleitung auszukommen. Schwerwiegende und akute Problemlagen, welche die sofortige Einrichtung einer schulischen Integrationshilfe selbst in Anbetracht der sonderpädagogischen Förderung und der im Gutachten aufgezeigten Möglichkeiten des behinderungsbedingten Nachteilsausgleichs unabdingbar erscheinen lassen könnten, sind nicht ansatzweise zu ersehen. Hinzu kommt, dass die nun aufzunehmende ABA-Therapie, selbst wenn sie zuvorderst an der innerfamiliären Problematik ansetzt, einen allgemeinen positiven Effekt auf problematische Verhaltensmuster des Antragstellers haben dürfte und damit auch gewisse Fortschritte im schulischen Bereich erhoffen lässt.
50Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Angesichts des Verhältnisses von Obsiegen und Unterliegen erscheint eine hälftige Kostenverteilung angemessen.
51Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, denn er ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe vermag zu greifen.
3Namentlich folgen aus dem Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Entscheidungsergebnisses i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag nicht in Frage zu stellen, dass nicht von einer Teilhabebeeinträchtigung des Klägers i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII auszugehen ist, so dass die Leistung von Eingliederungshilfe in Form einer Lerntherapie jedenfalls deshalb nicht in Betracht kommt.
4Der am 1992 geborene Kläger war im Zeitpunkt des Begehrens um Weiterförderung bereits deutlich über 18 Jahre alt und fiel damit nicht mehr als Jugendlicher unter § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII. Deshalb konnte ihm § 35a SGB VIII allein keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe verschaffen, denn diese ist nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift ausdrücklich Kindern oder Jugendlichen vorbehalten. Als junger Volljähriger i. S. v. § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII hätte der Kläger Eingliederungshilfe viel-mehr nur beanspruchen können, wenn sowohl die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII als auch die Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe für junge Volljährige nach § 41 Abs. 1 SGB VIII vorgelegen hätten und die Eingliederungshilfe i. S. v. § 41 Abs. 2 SGB VIII das geeignete und erforderliche Mittel der Wahl gewe-sen wäre, seinen Entwicklungsrückständen entgegenzuwirken.
5Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 27. Mai 2014
6-12 E 512/14 -.
7Schon das Vorliegen einer therapiebedürftigen Verzögerung in der Persönlichkeitsentwicklung und der Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung findet in den zum Kläger angelegten Unterlagen der Jahre 2010 ff. keinen hinreichenden Anklang, ist aber weder von der Beklagten noch vom Verwaltungsgericht näher problematisiert worden.
8Anders verhält es sich mit der Teilhabebeeinträchtigung als zwingende Tatbestands-voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe. Zwar hat die Beklagte auf dieses Element der seelischen Behinderung im Verwaltungsverfahren nicht abgestellt und sich im Klageverfahren lediglich dahingehend eingelassen, dass die früher angestellten Diagnosen möglicherweise nicht mehr in vollem Umfang vorlägen und somit die leistungsrechtlich notwendigen Voraussetzungen weggefallen sein könnten. Das Verwaltungsgericht hat indes bereits mit Verfügung vom 7. Januar 2003 unmissverständlich darauf hingewiesen, dass es an der Darlegung einer Teilnahmebeeinträchtigung fehle, ohne dass die Klägerseite auf diesen Aspekt im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens auch nur annähernd eingegangen wäre.
9Die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gesellschaft ist im Sinne des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB VIII beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung ist zu erwarten, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt.
10Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. August 2005 - 5 C 18.04 -, BVerwGE 124, 83, juris; vom 28. Sep-tember 2000 - 5 C 29.99 -, BVerwGE 112, 98, juris; vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, FEVS 58, 477, juris; HessVGH, Urteil vom 20. August 2009 - 10 A 1799/08 -, NVwZ-RR 2010, 59, juris; OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -; Urteil vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, jeweils m. w. N.
11Erforderlich ist daher, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betreffenden vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispielsweise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, wie sie auch andere Kinder teilen.
12Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998
13- 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2007 - 12 A 457/06 -, vom 12. November 2008 - 12 A 2551/08 -, vom 29. Mai 2008 - 12 A 3841/06 -, juris, vom 19. Februar 2010 - 12 A 2745/09 - und vom 13. August 2010
14- 12 1237/09 -; OVG Rhein-land-Pfalz, Urteil vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07-, FEVS 58, 477.
15Vor diesem Hintergrund geben die Feststellungen in der fachärztlichen Stellungnahme des Jugendpsychiaters Dr. med. B. T. vom 19. August 2006 für den Anspruchszeitraum ab Mitte 2012 allein schon mangels der erforderlichen Aktualität nichts Hinreichendes mehr her. Hinzu kommt, dass zwar die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, jedoch in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit zunächst einmal in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe fällt.
16Vgl. etwa Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 35a Rn. 34 und 48; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Auflage 2012, § 35a Rn. 13.
17Anders als die Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Hilfemaßnahmen ist das Vorliegen einer Teilnahmebeeinträchtigung als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich auch voll überprüfbar und besteht auf Seiten des Jugendamtes kein Beurteilungsspielraum.
18Vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Februar 2013
19- 12 CE 12.2104 -, juris, m. w. N.
20Mithin kann das Verwaltungsgericht bei einem Beurteilungsausfall auf Seiten der Behörde selbst über das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung entscheiden und
21- wie hier durch den rechtlichen Hinweis vom 7. Januar 2013 - zunächst von sich aus versuchen, die dazu notwendigen Informationen aus dem Lebensbereich des jungen Menschen zu erlangen. Die materiell-rechtliche Darlegungslast für das Vorliegen solcher Verhaltensmuster, die eine rechtsrelevante Teilhabebeeinträchtigung annehmen lassen können, verbleibt insoweit nämlich bei demjenigen, der Eingliederungshilfe beansprucht.
22Auch im Berufungszulassungsverfahren ist jedoch nichts zur sozialen Integration des Klägers in den Lebensbereichen Familie, Schule, Ausbildung und Freundeskreis/Ge-sellschaft vorgetragen worden. Der Kläger irrt, wenn er stattdessen dem Sinne nach geltend macht, die Beweislast liege bei der Beklagten. Ebenso wenig kommt es angesichts der Eigeninitiative des Verwaltungsgerichts darauf an, dass nicht schon die Beklagte von Amts wegen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine Aufklärung des Sachverhalts mit Blick auf das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung versucht hat. Soweit der schon erstinstanzlich fachanwaltlich vertretene Kläger zudem be-haupten will, nicht gewusst zu haben, welche Tatsachen er hätte vortragen müssen, um eine Untersuchung zur Ergründung einer Teilhabebeeinträchtigung zu ermög-lichen, betrachtet der Senat das als bloße Schutzbehauptung. Untauglich ist schließ-lich das Unterfangen, dem Abschlussbericht der Lerntherapeutin W. L. aus Januar 2013 verwertbare Angaben zur sozialen Integrationsfähigkeit des Klägers i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII entnehmen zu wollen, denn dort geht es
23- ebenso wie bei den Zeugnissen - nur um sein Schul- und Lernverhalten. Gleichfalls helfen auch Mutmaßungen über die Motive der Beklagten, der Frage einer Teilhabe-beeinträchtigung nicht weiter nachzugehen, nicht weiter. Dadurch wird ersichtlich kein Weg eröffnet, das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung schlicht zu vermu-ten oder zu unterstellen.
24Nach alledem kommt es auf die vom Kläger im Rahmen der Geltendmachung ernstlicher Zweifel im Übrigen erhobenen Einwendungen letztlich nicht an.
25Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.
26Soweit der Kläger das Problem aufwirft, inwieweit die Lerntherapie in entscheidender Weise unterbrochen worden ist, so dass die Voraussetzungen einer über das 21. Le-bensjahr hinaus fortgesetzten Hilfe i. S. v. § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nicht vorlie-gen würden, ist die Frage schon nicht entscheidungserheblich.
27In Hinblick auf die Problematik der Teilhabebeeinträchtigung würde eine ordnungs-gemäße Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache voraussetzen, dass eine oder mehrere bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte und für das Berufungsverfahren entscheidungserhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert werden; außerdem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind hier also neben der konkreten Frage auch ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre Klärungsfähigkeit und ihre allgemeine Bedeutung.
28Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 124a Rn. 211; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 124a Rn. 54, jeweils m.w.N.
29Hier fehlt es bereits an der deutlichen und voneinander abgrenzbaren Formulierung einer überschaubaren Anzahl klärungsbedürftiger konkreter Fragen. Der Kläger reiht lediglich verschiedene Thesen und Behauptungen aneinander, auf die es teils gar nicht ankommt und die teils auf bloßen tatsächlichen oder rechtlichen Unterstellungen basieren.
30Letztendlich kommt auch eine Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verfahrensmangels nicht in Betracht.
31Einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 86 Abs. 1 VwGO dadurch, dass kein ärztliches Fachgutachten dazu eingeholt worden ist, ob sich die Dyskalku-lie des Klägers „ausgewachsen“ hat, käme keine Entscheidungserheblichkeit zu. Denn maßgeblich für die Rechtsfindung des Verwaltungsgerichts war die mangelnde Darlegung von - eine Teilhabebeeinträchtigung begründenden - Tatsachen, die eine Wertung der Fachkammer aus sozialpädagogischer Sicht ermöglicht hätten.
32Darauf, inwieweit das Verwaltungsgericht dem Kläger zu Recht den Vorwurf gemacht hat, die letzten Zeugnisse nicht vorgelegt zu haben, kommt es nicht an. An der mangelnden Darlegung der Umstände seines Integrationsverhaltens ändert sich nämlich durch diese Vorhaltung nichts. Die Anforderung ist allerdings im Zusammenhang damit zu sehen, dass Zweck der Eingliederungshilfe nicht allein die schulische Förderung auf dem Niveau der Nachhilfe sein kann, sondern sie maßgeblich den Integrationsmängeln des jungen Menschen - hier als Teil seines Entwicklungsrückstandes i. S. v. § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII - entgegenwirken muss. Das Verwaltungsgericht hat in den schulischen Erfolgen des Klägers mithin eine bloße Bestätigung dafür gesehen, dass eine Teilhabebeeinträchtigung jedenfalls im Anspruchszeitraum nicht mehr vorgelegen haben kann. Ungeachtet der Zulässigkeit dieser Schlussfolgerung ergibt sich aus den im Verlaufe des Zulassungsverfahrens nachgereichten Zeugnissen, dass das Sozialverhalten des Klägers bezeichnenderweise mit den Notenstufen „befriedigend“ und sogar „gut“ bewertet worden ist.
33Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO.
34Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, vgl. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem unter dem Aktenzeichen 11 K 1327/14 beim Verwal-tungsgericht Arnsberg anhängigen Hauptsacheverfahren Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer ABA-Therapie in dem aus dem Antrag der Mutter des Antragstellers vom 24. Oktober 2013 hervorgehenden Umfang zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, weil der Antragsteller mit seinem nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO der Prüfung zugrundezulegenden Beschwerdevorbringen glaubhaft gemacht hat, dass die erneute Aufnahme einer bereits in der Vergangenheit mit Mitteln der Jugendhilfe finanzierten ABA (Applied Behavior Analysis)-Therapie als Maßnahme der Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII bedarfsgerecht und unaufschiebbar ist.
3Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies erfordert die Glaubhaftmachung sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).
4Wird mit der begehrten Regelung die Hauptsache vorweggenommen, gelten gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, indem ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen muss, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
5Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 -, NVwZ 2013, 1344, juris; Beschlüsse vom 13. August 1999 - 2 VR 1.99 -, BVerwGE 109, 258, juris, und vom 14. Dezember 1989 - 2 ER 301.89 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15, juris; OVG NRW, Beschlüs-se vom 27. Januar 2014 - 12 B 1422/13 -, juris, vom 15. Januar 2014 - 12 B 1478/13 -, juris, Beschlüsse vom 14. Februar 2013 - 12 B 107/13 -, juris, vom 27. Juni 2012 - 12 B 426/12 -, juris, vom 21. Februar 2011 - 13 B 1722/10 -, juris, vom 8. Januar 2010
6- 19 B 1004/09 -, NWVBl 2010, 328, juris, und vom 16. März 2007 - 7 B 134/07 -, NVwZ-RR 2007, 661, juris.
7Überdies kommt eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in Betracht, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Januar 2014
9- 12 B 1422/13 -, juris, vom 15. Januar 2014
10- 12 B 1478/13 -, juris, vom 14. Juni 2012
11- 12 B 433/12 -, juris, vom 29. September 2011
12- 12 B 983/11 -, juris, und vom 20. Januar 2010
13- 12 B 1655/09 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, juris, m. w. N.
14Diese Voraussetzungen für eine zeitweilige Vorwegnahme der Hauptsache liegen in beiderlei Hinsicht vor, soweit der Antragsteller die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer ABA-Therapie begehrt.
15Der Senat sieht es als hochgradig wahrscheinlich an, dass der Antragsteller die Bewilligung dieser Therapie als Maßnahme der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII beanspruchen kann.
16Insoweit setzt § 35a Abs. 1 SGB VIII voraus, dass
171. die seelische Gesundheit des Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für seinen Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
182. daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
19Bei kumulativem Vorliegen beider Voraussetzungen geht das Gesetz von einer „seelischen Behinderung“ aus (vgl. § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII), wobei es ausreicht, wenn der Betreffende von einer solchen Behinderung bedroht ist.
20Nach Lage der Akten spricht zunächst deutlich Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller - unbeschadet der Frage des Vorliegens weiterer Diagnosen - jedenfalls am Asperger-Syndrom und damit an einer seelischen Störung i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII leidet. Das Asperger-Syndrom ist erstmals offenbar in 2005 und sodann über etliche Jahre hin mehrfach wiederholt für den Antragsteller fachärztlich diagnostiziert worden, so in der jüngeren Vergangenheit durch das Klinikum der K. X. H. -Universität G. (vgl. die Berichte vom 22. Dezember 2011 und vom 5. Juni 2012), den Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. T. (vgl. die Stellungnahme vom 13. März 2013) und das krankenhaus I. (vgl. den Entlassungsbrief vom 12. September 2013 und den Bericht vom 10. Dezember 2013). Demgegenüber fällt bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung nicht entscheidend ins Gewicht, dass die vereinzelt gebliebene - und mittlerweile auch schon vier Jahre zurückliegende - fachärztliche Einschätzung der Kinder- und Jugendklinik E. zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, zumal die seinerzeit durchgeführte Diagnostik zum Teil durchaus Hinweise auf das Vorliegen einer Störung aus dem Autismusspektrum erbracht hatte (vgl. S. 6 f. des Befundberichts vom 24. September 2010). Substantielle Einwendungen gegen die mutmaßliche Richtigkeit der Asperger-Diagnose, die - wie dargelegt - wiederholt bestätigt worden ist, hat der Antragsgegner nicht erhoben. Die vormals in dem unter dem Aktenzeichen F vor dem Amtsgericht M. geführten familiengerichtlichen Verfahren - allerdings ohne Darlegung eigener medizinischer Beurteilungskompetenz - artikulierten Bedenken des Antragsgegners gegen die Aussagekraft der aus den Jahren 2005/2006 stammenden ärztlichen Unterlagen (vgl. seine Stellungnahme vom 25. September 2012) sind schon angesichts der o. a. jüngeren Erkenntnisse als überholt anzusehen.
21Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist auch von einer durch die seelische Erkrankung hervorgerufenen Teilhabebeeinträchtigung des Antragstellers auszugehen.
22Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, an die § 35a Abs. 1 SGB VIII anknüpft, ist gekennzeichnet durch die aktive, selbstbestimmte und altersgemäße Ausübung sozialer Funktionen und Rollen in den das Kind oder den Jugendlichen betreffenden Lebensbereichen wie Familie, Schule/Ausbildung und Freizeit (Freundes- bzw. Bekanntenkreis), wobei eine Störung der Teilhabe bereits dann vorliegt, wenn sich die Störung in einem der Lebensbereiche auswirkt.
23Vgl. ThürOVG, Beschluss vom 10. Juni 2009 - 3 EO 136/09 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 23. Juli 2012 - 12 ZB 11.1742 -, juris, und Urteil vom 23. Februar 2011 - 12 B 10.1331 -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 7 K 623/12 -, juris; v. Koppenfels-Spies, jurisPK-SGB VIII, 1. Auflage 2014, § 35a Rn. 37; Wiesner, in: ders., SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 35a Rn. 19; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, 4. Auflage 2012, § 35a Rn. 11; Vondung, in: LPK-SGB VIII, 5. Auflage 2014, § 35a Rn. 19; Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand VI/14, § 35a Rn. 29; Kunkel, JAmt 2007, 17 (18).
24Eine (zu erwartende) Beeinträchtigung der Teilhabe setzt voraus, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betreffenden vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispielsweise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, wie sie auch andere Kinder teilen.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2007 - 12 A 457/06 -, vom 12. November 2008 - 12 A 2551/08 -, vom 29. Mai 2008 - 12 A 3841/06 -, juris, vom 19. Februar 2010 - 12 A 2745/09 - und vom 13. August 2010 - 12 A 1237/09 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, FEVS 58, 477, juris.
26Während die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, fällt die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit zunächst in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.
27Vgl. etwa Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 35a Rn. 34, 48; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Auflage 2012, § 35a Rn. 13.
28Dieser muss, weil er möglichst den gesamten Hilfebedarf abzudecken hat, der durch eine seelische Behinderung hervorgerufen wird, alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick nehmen.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012
30- 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1, juris.
31Hierbei ist das Vorliegen einer Teilnahmebeeinträchtigung als unbestimmter Rechtsbegriff - anders als die Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Hilfemaßnahmen - gerichtlich voll überprüfbar; auf Seiten des Jugendamtes besteht kein Beurteilungsspielraum.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Juni 2014 - 12 A 659/14 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 18. Februar 2013 - 12 CE 12.2104 -, juris, m. w. N.
33Ausgehend von diesen Grundsätzen spricht viel dafür, dass der Antragsgegner eine Teilhabebeeinträchtigung des Antragstellers zu Unrecht ausgeschlossen hat. Eine solche Beeinträchtigung, die beim Asperger-Autismus aufgrund des spezifischen Profils dieser seelischen Störung ohnehin nahe liegt,
34vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. Januar 2013 - 7 B 11154/12 -, JAmt 2013, 213, juris,
35dürfte jedenfalls im Lebensbereich der Familie bestehen, mit dem sich der Antragsgegner in seinem Ablehnungsbescheid vom 17. April 2014 nicht konkret befasst hat.
36Dass der Antragsteller ein beträchtliches Aggressions- und Konfliktpotential aufweist, welches sich in auffälliger Weise im familiärem Umfeld gegenüber dem jüngeren Bruder D. und der Mutter Bahn bricht und eine adäquate Teilnahme am Familienleben massiv beeinträchtigt, ist aus einer Vielzahl von ärztlichen und pädagogischen Stellungnahmen in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners abzuleiten. Hervorzuheben sind in diesem Kontext die folgenden Passagen:
37- Verlaufsbericht der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen vom 10. Dezember 2010: „Seit einiger Zeit ist aber vermehrt erkennbar, dass K1. zunehmend provokativ und abwehrendes Verhalten zeigt - sowohl seinem Bruder als auch seiner Mutter gegenüber.“ - „Die familiäre Situation ist weiterhin sehr angespannt. … Beide Kinder provozieren sich gegenseitig immer stärker, so dass bereits kleinere Situationen zur Eskalation führen können. Diese gegenseitige Abwehr führt häufig zu extremen Krisen.“
38- Verlaufsbericht der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2011:„K1. lebt seit Mai 2010 wieder bei seiner Mutter und seinem Bruder. Seitdem zeigt K1. zunehmend mehr Auffälligkeiten, vor allem durch seinen starken Macht- und Kontrollzwang. Er versucht immer wieder mit allem Mitteln die Oberhand zu behalten und vor allem gegenüber D. sich mit seinen Bedürfnissen durchzusetzen. Zunehmend gestaltete sich das Zusammenleben vor allem mit seinem Bruder sehr schwierig und ist kaum noch händelbar. … Jedoch ist er noch nicht dazu in der Lage, sich im normalen Familienleben zu integrieren und sich an familiäre Regeln und Grenzen zu halten. Außerhalb der Familie zeigt K1. wenig negatives Verhalten.“ - „Dies zeigt wieder sehr deutlich, dass er in belastenden oder überfordernden Situationen seine ‚Wut‘ gegen ihm vertraute Personen richtet. K1. hat gelernt, diese Situationen bewusst zu steuern, so dass er außerhalb der Familie nicht in negative Verhaltensweisen fällt. … Seine stark impulsgesteuerten Reaktionen (Schreien, Beschimpfen, Schlagen, etc.) kann und muss er schließlich im gewohnten, vertrauten Umfeld entladen, da er dem Druck nicht gewachsen ist.“ - „Insgesamt ist die familiäre Situation weiterhin sehr angespannt.“ - „Bereits im Laufe der Zeit hat sich gezeigt, dass gemeinsame Zeiten (z. B. bei den Mahlzeiten) der Kinder in der Regel zur Eskalation führten. Häufig endeten gegenseitige Provokationen im gegenseitigen ‚Zerstören‘“.
39- Bericht des Klinikums der K. X. H. -Universität G. vom 22. Dezember 2011: „Im Vordergrund der Schwierigkeiten, die die Mutter schildert, steht weiterhin das sehr aggressive Verhalten zuhause, das offensichtlich schon im Vorschulalter zu einer stationären kinderpsychiatrischen Behandlung geführt hat. … Durch die Trennungssituation und den Sorgerechtsstreit mit dem Vater sowie auch den offensichtlichen Wegfall von externen Hilfen ist die Situation akut erneut eskaliert. … Im weiteren Verlauf verschlechterte sich das Verhalten von K1. zuhause, indem er sowohl die Mutter als auch den Bruder aggressiv anging, so dass eine zeitnahe Aufnahme auf die Kinderstation in unserer Klinik geplant wurde.“
40- Bericht des Klinikums der K. X. H. -Universität G. vom 5. Juni 2012: „K1. kommt mit seiner Mutter zur elektiven Aufnahme auf unsere Kinderstation. Es gebe zu Hause heftige aggressive Impulsdurchbrüche gegenüber dem jüngeren Bruder D. . Auslöser seien meist Kleinigkeiten. Seit D. Geburt seien die Impulsdurchbrüche ein Problem, jedoch hätten diese in den letzten Wochen zugenommen und auch eine andere Qualität erreicht. Zuletzt habe K1. dabei in einem Erregungszustand durch eine verschlossene Tür eine Heckenschere gerammt.“ - „Nachdem auf Station insgesamt wenig Problemverhalten - gerade auch in der Interaktion mit dem Bruder - beobachtet werden konnte, sehen wir die bestehenden Schwierigkeiten zu Hause vermutlich mit durch die familiäre Dynamik verstärkt, d. h. K1. scheint zu Hause zum einen auf den Bruder fokussiert zu sein, zum anderen spielt sicher auch die Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung des Bruders eine Rolle sowie die psychische Belastung der Mutter durch die Konflikte der Geschwister untereinander und den Scheidungskrieg mit gerichtlichen Auseinandersetzungen.“
41- Stellungnahme des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. T. vom 13. März 2013: „Die Mutter stellte K1. gemeinsam mit einer ABA-Co-Therapeutin zur weiteren Behandlung vor. K1. sei zu Hause vor allem zu seinem jüngeren Bruder D. extrem aggressiv, bereits aus Nichtigkeiten oder Handbewegungen entstünde Streit, wobei K1. seinen Bruder dann trete, schlage, von mehreren Erwachsenen habe festgehalten werden müssen. Er habe Einrichtungsgegenstände zerstört, müsse letztlich wegen dieser Konfliktsituation, unter welcher der Bruder massiv leide, ständig betreut und beaufsichtigt werden. Außerhalb der Familie könne er sich besser anpassen, …“ - „Psychopathologischer Befund: … Er (K1. ) konnte äußern, in dem Gespräch zu sein, ‚weil ich mich streite‘, auf Nachfrage gab er massive aggressive Übergriffe auf seinen jüngeren Bruder zu, konnte jedoch keine Ursache dafür nennen.“
42- Entlassungsbrief des krankenhauses I. vom 12. September 2013: „Die Mutter beschreibt, dass K1. nur im häuslichen Kontext oft sehr aggressiv-impulsiv reagiere. Seine impulsiven Reaktionen seien nicht immer vorhersehbar, teilweise raste er unberechenbar aus. Danach tue ihm sein Verhalten sehr leid. Zu diesen Impulsdurchbrüchen komme es, wenn er sich durch seinen jüngeren Bruder provoziert fühle, oder die Mutter Anforderungen oder Grenzsetzungen an ihn stelle. In anderen Kontexten wie Schule oder dem Fußballverein könne er sich gut kontrollieren, dort habe er gelernt, sich sehr gut anzupassen. K1. selbst beschreibt, dass er dort keine Wut verspüre. Zwischen den Geschwistern sei es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen; als K1. erfahren habe, dass er hier aufgenommen werde, habe er regelrecht gewütet, Gegenstände zerstört und seine Mutter körperlich attackiert.“
43Das so gezeichnete Bild wird nicht durchgreifend dadurch in Frage gestellt, dass es maßgeblich auch auf Schilderungen der Mutter des Antragstellers zurückgeht. Deren Angaben erscheinen glaubhaft und werden nicht zuletzt durch die vorstehend zitierten Einlassungen der von der Lebenshilfe NRW eingesetzten Sozialpädagogischen Familienhilfe gestützt, die über einen eigenen profunden Einblick in die familiären Verhältnisse verfügte. Zweifel an der Richtigkeit des aus mütterlicher Perspektive beschriebenen Sachverhalts werden auch in den diversen ärztlichen Unterlagen nicht geäußert, wobei davon auszugehen ist, dass das Fachpersonal aus seinen praktischen Erfahrungen heraus durchaus in der Lage ist, Übertreibungstendenzen zu erkennen. Soweit das Jugendamt des Antragsgegners in seiner Stellungnahme an das Amtsgericht M. vom 25. September 2012 demgegenüber zum Ausdruck gebracht hatte, die „Schilderungen über das aggressive Verhalten von K1. bzw. über die Geschwisterrivalität wirken überzogen“, ist keine konkrete Grundlage für diese Einschätzung aufgezeigt worden.
44Weiterhin ist auch mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII („und daher ihre Teilhabe … beeinträchtigt ist“) vorausgesetzte kausale Verknüpfung zwischen seelischer Störung und Teilhabebeeinträchtigung gegeben ist. Das Asperger-Syndrom des Antragstellers erscheint jedenfalls als wesentliche Ursache der beschriebenen Problematik, selbst wenn diese durch andere Faktoren (z. B. die Trennung und Scheidung der Eltern und die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung des Bruders) verstärkt wird. Dafür spricht schon der Umstand, dass die spezifisch auf Autismus zugeschnittene ABA-Therapie in dem Entlassungsbrief des Gemeinschaftskrankenhauses I. vom 12. Sep-tember 2013 als probates Mittel herausgestellt wurde, um den „familiären Krisensituationen“ zu begegnen (vgl. S. 4); auf gleicher Linie ist auch von dem Facharzt Dr. T. eine „Fortführung der erfolgreichen ABA-Therapie im häuslichen Umfeld“ für erforderlich erachtet worden (vgl. die Stellungnahme vom 13. März 2013, S. 5).
45Vor diesem Hintergrund dürfte es an dem - aller Voraussicht nach bestehenden - Eingliederungsbedarf des Antragstellers und dessen Genese vorbei gehen, wenn der Antragsgegner in seiner Beschwerdeerwiderung vom 8. August 2014 ausführt, die Einrichtung einer - hier mit Bescheid vom 17. April 2014 bewilligten - Sozialpädagogischen Familienhilfe sei die geeignete Hilfeform für die „häuslichen Erziehungsprobleme der Familie I1. “. Indem der Antragsgegner eine Teilhabebeeinträchtigung des Antragstellers wohl verkannt und seine Hilfeplanung auf Hilfe zur Erziehung eingeengt hat, deutet alles darauf hin, dass eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation verfehlt wurde.
46Es spricht auch nichts Greifbares gegen die Eignung und Erforderlichkeit der ABA-Therapie als Maßnahme der Eingliederungshilfe. Dass die Therapie bereits in der Vergangenheit mit Blick auf die Bedarfslage des Antragstellers erfolgreich gewirkt hat, wie aus diversen Berichten und Stellungnahmen hervorgeht, ist vom Antragsgegner nicht in Frage gestellt worden; insofern erscheint auch unzweifelhaft, dass eine Neuaufnahme dieser Therapie aller Voraussicht nach den gleichen Positiveffekt haben wird. Andere, weniger aufwendige, aber gleichermaßen wirkungsvolle Maßnahmen sind nicht erkennbar. Der Senat geht davon aus, dass der entsprechend früherer Praxis beantragte Therapieumfang nicht unterschritten werden kann, ohne den gewünschten und zu erwartenden Erfolg zu gefährden, zumal andere Anbieter nach der Einführungsphase höhere Stundenkontingente ansetzen (vgl. Institut für Autismusforschung Hans E. Kehrer, Bremer Elterntrainingsprogramm, S. 7; http://ifa-bremen.de/bet-info2011_1.pdf) und der Antragsteller in der Vergangenheit auch in diesem Umfang therapiert worden ist.
47Schließlich steht auch zu befürchten, dass dem Antragsteller ohne die Fortführung der ABA-Therapie schwerwiegende und irreparable Nachteile drohen. Wirksame verhaltenssteuernde Maßnahmen zur Konfliktvermeidung und -bewältigung, die an dem Asperger-Syndrom ansetzen, erscheinen dringend geboten, um die schon seit geraumer Zeit schwer gestörte familiäre Lebenssituation zu verbessern und den Antragsteller zu einer adäquaten Teilhabe an einem friedvolleren Familienleben zu führen. Die bewilligte Sozialpädagogische Familienhilfe kann derartige Maßnahmen nicht ersetzen.
48Dass es neben der ABA-Therapie zwingend auch der weiter streitgegenständlichen „ambulanten Autismustherapie“ bedarf, um dem Eintritt von Nachteilen im vorgenannten Sinne vorzubeugen, hat der Antragsteller hingegen nicht glaubhaft gemacht, so dass es insoweit schon am notwendigen Anordnungsgrund fehlt. Die zugrundeliegende Formulierung im Antrag vom 24. Oktober 2013 („autismusspezifische Therapie mit Schwerpunkt ‚Soziales Kompetenztraining‘“) greift offenbar eine Empfehlung aus dem Entlassungsbrief des krankenhauses I. vom 12. September 2013 auf („Fortführung einer autismusspezifischen Therapie mit dem Schwerpunkt eines sozialen Kompetenztrainings“), ohne dass allerdings deutlich wird, inwieweit - über die ABA-Therapie hinaus - eine weitere an der Autismusproblematik ansetzende Behandlungsform geboten sein sollte. Das angesprochene Ziel einer sozial konformen Anpassung „eigener Verhaltensanteile“ dürfte gerade mittels der ABA-Thera-pie zu verfolgen sein. Auch ist weder aus dem Vorbringen der Beteiligten noch aus den vorliegenden Verwaltungsvorgängen zu ersehen, dass schon in der Vergangenheit eine zusätzliche parallele Autismustherapie stattgefunden hätte, die nun gleichermaßen „fortgeführt“ werden könnte.
49Soweit die Frage einer Teilhabebeeinträchtigung im schulischen Bereich, der durch eine Schulbegleitung zu begegnen wäre, in Rede steht, spricht aus den im angefochtenen Beschluss dargelegten Gründen Einiges gegen das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs des Antragstellers. Ungeachtet dessen erweist es sich jedenfalls auf der Ebene des Anordnungsgrundes als tragfähig, wenn das Verwaltungsgericht bei der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs verwiesen hat. Zumal nachdem jetzt durch Bescheid der Bezirksregierung B. vom 18. September 2014 ein solcher Förderbedarf des Antragstellers (erneut) festgestellt worden ist, besteht nach gegenwärtigem Sachstand keine hinreichende Grundlage dafür anzunehmen, dass der Antragsteller trotz der nunmehr einsetzenden sonderpädagogischen Förderung gravierende und nicht mehr ausgleichbare Nachteile zu gewärtigen hat, wenn er nicht zusätzlich eine schulbegleitende Integrationshilfe erhält. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Einsatz eines Integrationshelfers in dem Gutachten zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 22. Juli 2014 für „unumgänglich“ erachtet wurde, um dem Antragsteller einen „erfolgreichen Schulbesuch ermöglichen zu können“. Weder aus dem Gutachten noch aus anderen in Betracht kommenden Erkenntnisquellen erschließt sich konkret, weshalb es dem Antragsteller auch nur vorläufig nicht zuzumuten wäre, ohne die begehrte Schulbegleitung auszukommen. Schwerwiegende und akute Problemlagen, welche die sofortige Einrichtung einer schulischen Integrationshilfe selbst in Anbetracht der sonderpädagogischen Förderung und der im Gutachten aufgezeigten Möglichkeiten des behinderungsbedingten Nachteilsausgleichs unabdingbar erscheinen lassen könnten, sind nicht ansatzweise zu ersehen. Hinzu kommt, dass die nun aufzunehmende ABA-Therapie, selbst wenn sie zuvorderst an der innerfamiliären Problematik ansetzt, einen allgemeinen positiven Effekt auf problematische Verhaltensmuster des Antragstellers haben dürfte und damit auch gewisse Fortschritte im schulischen Bereich erhoffen lässt.
50Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Angesichts des Verhältnisses von Obsiegen und Unterliegen erscheint eine hälftige Kostenverteilung angemessen.
51Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
- 1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und - 2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme
- 1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, - 2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder - 3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall
- 1.
in ambulanter Form, - 2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, - 3.
durch geeignete Pflegepersonen und - 4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.
(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.
(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, denn er ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe vermag zu greifen.
3Namentlich folgen aus dem Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Entscheidungsergebnisses i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag nicht in Frage zu stellen, dass nicht von einer Teilhabebeeinträchtigung des Klägers i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII auszugehen ist, so dass die Leistung von Eingliederungshilfe in Form einer Lerntherapie jedenfalls deshalb nicht in Betracht kommt.
4Der am 1992 geborene Kläger war im Zeitpunkt des Begehrens um Weiterförderung bereits deutlich über 18 Jahre alt und fiel damit nicht mehr als Jugendlicher unter § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII. Deshalb konnte ihm § 35a SGB VIII allein keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe verschaffen, denn diese ist nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift ausdrücklich Kindern oder Jugendlichen vorbehalten. Als junger Volljähriger i. S. v. § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII hätte der Kläger Eingliederungshilfe viel-mehr nur beanspruchen können, wenn sowohl die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII als auch die Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe für junge Volljährige nach § 41 Abs. 1 SGB VIII vorgelegen hätten und die Eingliederungshilfe i. S. v. § 41 Abs. 2 SGB VIII das geeignete und erforderliche Mittel der Wahl gewe-sen wäre, seinen Entwicklungsrückständen entgegenzuwirken.
5Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 27. Mai 2014
6-12 E 512/14 -.
7Schon das Vorliegen einer therapiebedürftigen Verzögerung in der Persönlichkeitsentwicklung und der Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung findet in den zum Kläger angelegten Unterlagen der Jahre 2010 ff. keinen hinreichenden Anklang, ist aber weder von der Beklagten noch vom Verwaltungsgericht näher problematisiert worden.
8Anders verhält es sich mit der Teilhabebeeinträchtigung als zwingende Tatbestands-voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe. Zwar hat die Beklagte auf dieses Element der seelischen Behinderung im Verwaltungsverfahren nicht abgestellt und sich im Klageverfahren lediglich dahingehend eingelassen, dass die früher angestellten Diagnosen möglicherweise nicht mehr in vollem Umfang vorlägen und somit die leistungsrechtlich notwendigen Voraussetzungen weggefallen sein könnten. Das Verwaltungsgericht hat indes bereits mit Verfügung vom 7. Januar 2003 unmissverständlich darauf hingewiesen, dass es an der Darlegung einer Teilnahmebeeinträchtigung fehle, ohne dass die Klägerseite auf diesen Aspekt im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens auch nur annähernd eingegangen wäre.
9Die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gesellschaft ist im Sinne des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB VIII beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung ist zu erwarten, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt.
10Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. August 2005 - 5 C 18.04 -, BVerwGE 124, 83, juris; vom 28. Sep-tember 2000 - 5 C 29.99 -, BVerwGE 112, 98, juris; vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, FEVS 58, 477, juris; HessVGH, Urteil vom 20. August 2009 - 10 A 1799/08 -, NVwZ-RR 2010, 59, juris; OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -; Urteil vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, jeweils m. w. N.
11Erforderlich ist daher, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betreffenden vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispielsweise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, wie sie auch andere Kinder teilen.
12Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998
13- 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2007 - 12 A 457/06 -, vom 12. November 2008 - 12 A 2551/08 -, vom 29. Mai 2008 - 12 A 3841/06 -, juris, vom 19. Februar 2010 - 12 A 2745/09 - und vom 13. August 2010
14- 12 1237/09 -; OVG Rhein-land-Pfalz, Urteil vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07-, FEVS 58, 477.
15Vor diesem Hintergrund geben die Feststellungen in der fachärztlichen Stellungnahme des Jugendpsychiaters Dr. med. B. T. vom 19. August 2006 für den Anspruchszeitraum ab Mitte 2012 allein schon mangels der erforderlichen Aktualität nichts Hinreichendes mehr her. Hinzu kommt, dass zwar die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, jedoch in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit zunächst einmal in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe fällt.
16Vgl. etwa Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 35a Rn. 34 und 48; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Auflage 2012, § 35a Rn. 13.
17Anders als die Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Hilfemaßnahmen ist das Vorliegen einer Teilnahmebeeinträchtigung als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich auch voll überprüfbar und besteht auf Seiten des Jugendamtes kein Beurteilungsspielraum.
18Vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Februar 2013
19- 12 CE 12.2104 -, juris, m. w. N.
20Mithin kann das Verwaltungsgericht bei einem Beurteilungsausfall auf Seiten der Behörde selbst über das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung entscheiden und
21- wie hier durch den rechtlichen Hinweis vom 7. Januar 2013 - zunächst von sich aus versuchen, die dazu notwendigen Informationen aus dem Lebensbereich des jungen Menschen zu erlangen. Die materiell-rechtliche Darlegungslast für das Vorliegen solcher Verhaltensmuster, die eine rechtsrelevante Teilhabebeeinträchtigung annehmen lassen können, verbleibt insoweit nämlich bei demjenigen, der Eingliederungshilfe beansprucht.
22Auch im Berufungszulassungsverfahren ist jedoch nichts zur sozialen Integration des Klägers in den Lebensbereichen Familie, Schule, Ausbildung und Freundeskreis/Ge-sellschaft vorgetragen worden. Der Kläger irrt, wenn er stattdessen dem Sinne nach geltend macht, die Beweislast liege bei der Beklagten. Ebenso wenig kommt es angesichts der Eigeninitiative des Verwaltungsgerichts darauf an, dass nicht schon die Beklagte von Amts wegen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine Aufklärung des Sachverhalts mit Blick auf das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung versucht hat. Soweit der schon erstinstanzlich fachanwaltlich vertretene Kläger zudem be-haupten will, nicht gewusst zu haben, welche Tatsachen er hätte vortragen müssen, um eine Untersuchung zur Ergründung einer Teilhabebeeinträchtigung zu ermög-lichen, betrachtet der Senat das als bloße Schutzbehauptung. Untauglich ist schließ-lich das Unterfangen, dem Abschlussbericht der Lerntherapeutin W. L. aus Januar 2013 verwertbare Angaben zur sozialen Integrationsfähigkeit des Klägers i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII entnehmen zu wollen, denn dort geht es
23- ebenso wie bei den Zeugnissen - nur um sein Schul- und Lernverhalten. Gleichfalls helfen auch Mutmaßungen über die Motive der Beklagten, der Frage einer Teilhabe-beeinträchtigung nicht weiter nachzugehen, nicht weiter. Dadurch wird ersichtlich kein Weg eröffnet, das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung schlicht zu vermu-ten oder zu unterstellen.
24Nach alledem kommt es auf die vom Kläger im Rahmen der Geltendmachung ernstlicher Zweifel im Übrigen erhobenen Einwendungen letztlich nicht an.
25Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.
26Soweit der Kläger das Problem aufwirft, inwieweit die Lerntherapie in entscheidender Weise unterbrochen worden ist, so dass die Voraussetzungen einer über das 21. Le-bensjahr hinaus fortgesetzten Hilfe i. S. v. § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nicht vorlie-gen würden, ist die Frage schon nicht entscheidungserheblich.
27In Hinblick auf die Problematik der Teilhabebeeinträchtigung würde eine ordnungs-gemäße Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache voraussetzen, dass eine oder mehrere bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte und für das Berufungsverfahren entscheidungserhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert werden; außerdem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind hier also neben der konkreten Frage auch ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre Klärungsfähigkeit und ihre allgemeine Bedeutung.
28Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 124a Rn. 211; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 124a Rn. 54, jeweils m.w.N.
29Hier fehlt es bereits an der deutlichen und voneinander abgrenzbaren Formulierung einer überschaubaren Anzahl klärungsbedürftiger konkreter Fragen. Der Kläger reiht lediglich verschiedene Thesen und Behauptungen aneinander, auf die es teils gar nicht ankommt und die teils auf bloßen tatsächlichen oder rechtlichen Unterstellungen basieren.
30Letztendlich kommt auch eine Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verfahrensmangels nicht in Betracht.
31Einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 86 Abs. 1 VwGO dadurch, dass kein ärztliches Fachgutachten dazu eingeholt worden ist, ob sich die Dyskalku-lie des Klägers „ausgewachsen“ hat, käme keine Entscheidungserheblichkeit zu. Denn maßgeblich für die Rechtsfindung des Verwaltungsgerichts war die mangelnde Darlegung von - eine Teilhabebeeinträchtigung begründenden - Tatsachen, die eine Wertung der Fachkammer aus sozialpädagogischer Sicht ermöglicht hätten.
32Darauf, inwieweit das Verwaltungsgericht dem Kläger zu Recht den Vorwurf gemacht hat, die letzten Zeugnisse nicht vorgelegt zu haben, kommt es nicht an. An der mangelnden Darlegung der Umstände seines Integrationsverhaltens ändert sich nämlich durch diese Vorhaltung nichts. Die Anforderung ist allerdings im Zusammenhang damit zu sehen, dass Zweck der Eingliederungshilfe nicht allein die schulische Förderung auf dem Niveau der Nachhilfe sein kann, sondern sie maßgeblich den Integrationsmängeln des jungen Menschen - hier als Teil seines Entwicklungsrückstandes i. S. v. § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII - entgegenwirken muss. Das Verwaltungsgericht hat in den schulischen Erfolgen des Klägers mithin eine bloße Bestätigung dafür gesehen, dass eine Teilhabebeeinträchtigung jedenfalls im Anspruchszeitraum nicht mehr vorgelegen haben kann. Ungeachtet der Zulässigkeit dieser Schlussfolgerung ergibt sich aus den im Verlaufe des Zulassungsverfahrens nachgereichten Zeugnissen, dass das Sozialverhalten des Klägers bezeichnenderweise mit den Notenstufen „befriedigend“ und sogar „gut“ bewertet worden ist.
33Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO.
34Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, vgl. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.
1
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, nicht in Frage.
3Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass es an der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des mit dem Eilantrag verfolgten Anspruchs fehlt. Dabei ist das Verwaltungsgericht von dem zutreffenden Ansatz ausgegangen, dass dem Träger der Jugendhilfe bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit einer Maßnahme ein Beurteilungsspielraum zusteht, der nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Diese Entscheidung stellt das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses dar, das nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation zu enthalten hat, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die gerichtliche Kontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob sachfremde Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt wurden.
4Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2015
5- 12 B 1483/14 -, juris, m. w. N. auch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
6Die Entscheidung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Gestalt einer Schulbegleitung im Umfang von derzeit 20,5 Fachleistungsstunden pro Woche zu gewähren, dürfte diesen Anforderungen genügen. Namentlich spricht auch unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren gewonnenen Erkenntnisse nichts Durchgreifendes dafür, dass die Beschränkung der Schulbegleitung auf diesen Stundenumfang allgemein gültigen fachlichen Maßstäben nicht (mehr) standhielte.
7Geht es - wie im Fall der Antragstellerin - um die Würdigung der aus dem Schulbesuch erwachsenden Belastungssituation eines Kindes oder Jugendlichen, sind Stellungnahmen der beteiligten Lehrkräfte regelmäßig ein gewichtiges Entscheidungskriterium, weil sie einen pädagogisch reflektierten Einblick „aus erster Hand“ vermitteln. Ist bereits eine Schulbegleitung installiert, die - wie hier - von erzieherisch oder pädagogisch qualifizierten Integrationshelfern wahrgenommen wird, gilt Entsprechendes grundsätzlich auch für deren fachliche Äußerungen. Konträre Einschätzungen zur Belastungssituation unterliegen im Streitverfahren der freien Beweiswürdigung des Gerichts.
8Vgl. zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung nur BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 7 C 20.12 -, NVwZ 2015, 669, juris, m. w. N.
9Dies zugrunde gelegt, besteht gegenwärtig keine überwiegende, geschweige denn hochgradige Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragstellerin eine Erhöhung des Stundenumfangs der Schulbegleitung beanspruchen kann.
10Die vorliegenden Äußerungen der Schule zur Notwendigkeit einer vollumfänglichen, auch die Unterrichtsstunden mit pädagogischer „Doppelbesetzung“ erfassenden Schulbegleitung werden in ihrer Aussagekraft durch die vorliegende Stellungnahme des die Integrationshilfe durchführenden D. für den S. -C. Kreis e.V. vom 11. August 2015 jedenfalls insoweit relativiert, dass keine Grundlage für die Annahme besteht, eine Beschränkung der Schulbegleitung auf einen Umfang von 20,5 Wochenstunden, wie derzeit praktiziert, stelle sich bei einer Zahl von 28 Unterrichtswochenstunden aller Voraussicht nach als fachlich unvertretbar dar.
11In ihrer Stellungnahme hat Frau G. -P. für den D. „in Rücksprache mit den Fachkräften Frau X. und Frau I. “ ausgeführt:
12„Aus den Erfahrungen des letzten Schulhalbjahres könnte eine Begleitung in den Fächern Englisch (doppelt besetzt mit Sonderpädagogen), Mathe und Deutsch sinnvoll und nötig sein, da E. an diesen Fächern weniger interessiert ist und die Unterrichtsinhalte für E. schwerer erfassbar waren, als in anderen Fächern. In diesen Unterrichtsstunden musste E. immer wieder zur Ruhe und Mitarbeit aufgefordert und motiviert werden. Auch in der sogenannten „Lernzeit“ (doppelt besetzt), in der die SchülerInnen selbstständig den Wochenplan bearbeiten, war eine intensive Einzelbetreuung notwendig, da E. nicht selbstständig die Arbeiten erledigte und durch auffälliges Verhalten diese Lernzeit störte.
13In den naturwissenschaftlichen Fächern, die E. besonders interessieren, konnte sie dem Unterricht gut folgen und benötigte kaum Schulbegleitung. Auch in Musik, Kunst und Geschichte kam E. laut Aussagen der Fachlehrer ganz gut zurecht.
14Für das nächste Schuljahr könnte das so aussehen, dass E. auch in einigen „doppelt“ besetzten Fächern und in der Lernzeit begleitet werden sollte, aber in einigen Fächern - auch ohne Schulbegleitung - dem Unterricht folgen kann. Die Entwicklung wird sich in den nächsten Wochen zeigen und auch die notwendig werdenden Stunden der Schulbegleitung.
15Der im Juni 2015 mit der Klassenlehrerin, der Mutter und Frau I. aufgestellte „Regelplan“ für E. zeigte in den letzten zwei Wochen bereits Wirkung. E. s auffälliges und störendes Verhalten wurde weniger.
16Eine Vernetzung des Hilfesystems Lehrer, Familie und Schulbegleitung ist wichtig, damit E. ihr „soziales Verständnis“ trainieren kann und eine gleichbleibende Behandlung bei Fehlverhalten erfährt.“
17Die Antragstellerin vermag diesen - grundsätzlich plausibel erscheinenden - Ausführungen nicht entgegenzuhalten, sie beruhten „offensichtlich … nicht auf eigenen Wahrnehmungen“. Dass die Wahrnehmungen der eingesetzten Fachkräfte in die Stellungnahme eingeflossen sind, ergibt sich schon daraus, dass sie ausdrücklich „nach Rücksprache“ mit diesen gefertigt worden ist. Gründe dafür, dass die wiedergegebenen Erfahrungen und Einschätzungen nicht von den beiden beteiligten Fachkräften autorisiert sein sollten, sind nicht erkennbar und werden auch von der Antragstellerin nicht benannt.
18Da von einem regelmäßigen und intensiven fachlichen Austausch mit den beteiligten Lehrkräften der Schule auszugehen ist, können belastbare Aussagen zum Verhalten der Antragstellerin in unbegleiteten Unterrichtsstunden auch von Seiten der Schulbegleitung erwartet werden. Wenn in diesem Zusammenhang in der Stellungnahme des D. vom 11. August 2015 ausgeführt wird, die Antragstellerin habe „in den naturwissenschaftlichen Fächern … dem Unterricht gut folgen“ können und habe „kaum Schulbegleitung“ benötigt, „auch in Musik, Kunst und Geschichte“ (mit dem letztgenannten Fach ist offenbar Gesellschaftslehre gemeint) sei sie „laut Aussagen der Fachlehrer ganz gut zurecht“ gekommen, führt der Einwand der Antragstellerin, ihre Mutter habe „von der Schule bisher völlig gegensätzliche Informationen“ zu ihrem - der Antragstellerin - Verhalten im Unterricht bekommen, jedenfalls nicht dazu, dass die entsprechenden Aussagen in der Stellungnahme der D. als haltlos zu würdigen wären.
19Immerhin spricht nach allen vorliegenden Erkenntnissen durchaus viel dafür, dass das problematische Verhalten der Antragstellerin im Schulunterricht nicht in allen Fächern gleichermaßen ausgeprägt ist. So wurde schon in dem Bericht der vormals eingesetzten Schulbegleiterin A. vom 23. September 2014 darauf hingewiesen, dass die „Anstrengungsbereitschaft“ der Antragstellerin von ihrem Interesse an den Unterrichtsinhalten abhänge. Im Hilfeplangespräch am 29. September 2014 äußerte sich die Klassenlehrerin, Frau I1. , u. a. dahingehend, dass das Verhalten der Antragstellerin bei Fächern, die nicht ihrer „Neigung entsprechen, … besonders schwierig“ sei. Aus dem Protokoll über das weitere Hilfeplangespräch am 10. November 2014 geht die Aussage der Klassenlehrerin hervor, die Antragstellerin arbeite „nach dem Lustprinzip“; auch wenn sie ein grundsätzliches Interesse an einem Fach habe, arbeite sie nur mit, wenn ihr auch die Inhalte zusagten. Ähnliches ergibt sich aus der Stellungnahme des D. (Fr. S1. ) vom 11. Dezember 2014.
20Die im Beschwerdeverfahren eingeholte Stellungnahme der K. -M. -Gesamtschule vom 23. Juni 2015 gibt indes kaum zu erkennen, dass das Problemverhalten der Antragstellerin auch von den jeweiligen Fächern bzw. Unterrichtsinhalten abhängt. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation generell verschärft habe und die Antragstellerin nunmehr in sämtlichen Fächern gleichermaßen „schwierig“ agiere, liegen aber nicht vor. Im Gegenteil deutet das letzte Hilfeplangespräch am 20. April 2015 auf eine Entspannung der Problematik hin („Frau I1. schildert, dass bei E. eine sehr starke Veränderung zu beobachten sei. Sie habe sich in den Schulfächern verbessert, bearbeite die ihr gestellten Aufgaben, melde sich im Unterricht und beiße sich weniger in den Arm.“). Diese, bereits vom Verwaltungsgericht angesprochene Entwicklung ignoriert die Beschwerde, wenn sie - offenbar unter inhaltlicher Bezugnahme auf das am 10. November 2014 geführte Hilfeplangespräch - weiterhin geltend macht, es werde „aus den Hilfeplangesprächen sehr deutlich, dass die Antragstellerin mittlerweile sogar Rückschritte in ihrer schulischen Entwicklung macht“.
21In eine positive Richtung weist im Übrigen auch die Aussage des D. in seiner Stellungnahme vom 11. August 2015, wonach der im Juni 2015 mit der Klassenlehrerin, der Mutter der Antragstellerin und der Schulbegleiterin aufgestellte Regelplan in den letzten zwei Wochen bereits Wirkung gezeigt habe und das „auffällige und störende Verhalten“ der Antragstellerin abgenommen habe. Der hiergegen gerichtete Einwand der Beschwerde, es halte einer „fachlichen Einschätzung“ wohl nicht stand, „dass ein einfaches erzieherisches Konzept bei dem komplexen Behinderungsbild der Antragstellerin tatsächlich zu derart schnellen Verbesserungen führen könnte, dass eine Schulbegleitung in dem beantragten Umfang nicht mehr erforderlich wäre“, vernachlässigt, dass der Regelplan nicht isoliert zu betrachten ist, sondern als Bestandteil eines weiterreichenden pädagogischen Konzepts gesehen werden muss, in das Schule, Elternhaus und die Integrationshilfe als Ganzes ineinandergreifend eingebunden sind. Konkrete fachliche Grundsätze, die dagegen sprechen, dass ein Instrument wie das des Regelplans bei einer Behinderung aus dem Autismusspektrum unter diesen Vorzeichen schon kurzfristig Erfolge zeitigen kann, führt die Beschwerde nicht an. Soweit die Antragstellerin in diesem Kontext ferner geltend macht, die „bereits vorgetragenen Verhaltensweisen“ zeigten „sich auch im neuen Schuljahr deutlich“, bliebe bei etwaigen Rückschritten zunächst abzuwarten, ob diese nicht lediglich der Umstellung nach Ende der Schulferien geschuldet sind und alsbald wieder wettgemacht werden; offenbar hat die Antragstellerin auch in der Vergangenheit zu Beginn der Schulzeit - für ihr Behinderungsbild nicht untypische - temporäre Eingewöhnungsschwierigkeiten gezeigt (vgl. etwa aus dem Protokoll über das Hilfeplangespräch am 20. April 2015: „Frau X. schildert, dass die erste Woche nach den Osterferien sehr schwierig verlief.“).
22Der Umstand, dass sich der D. vormals für eine Schulbegleitung, die alle Unterrichtsstunden abdeckt, ausgesprochen hat (vgl. sein Schreiben vom 11. De-zember 2014), vermag die Validität der jüngsten, die weitere Entwicklung berück-sichtigenden Stellungnahme vom 11. August 2015 nicht in Frage zu stellen, zumal jene frühere Empfehlung noch mit anderer personeller Besetzung und - vor allem - vor dem Hintergrund eines wesentlich geringeren Stundenumfangs der Schulbegleitung, die seinerzeit nur 11 Wochenstunden umfasste, ausgesprochen worden war.
23Soweit die Schule unter dem 16. Dezember 2014 noch vermerkt hatte, es träten „vermehrt Situationen auf, die für eine einzelne Lehrperson in der Klasse in Bezug zur Aufsichtspflicht nicht tragbar sind“, ist der Stellungnahme vom 23. Juni 2015 zu entnehmen, dass die Antragstellerin nach der deutlichen Aufstockung des Umfangs der Schulbegleitung von 11 auf 20 Wochenstunden, die auf eine am 19. Januar 2015 getroffene Entscheidung zurückgeht, nur noch einmal aus dem Unterricht weggelaufen ist. Insofern ist ebenfalls von einer signifikanten Entspannung der Problematik auszugehen.
24Die Antragstellerin missversteht das Verwaltungsgericht, wenn sie ihm zuschreibt, es habe „eine Beschulung für zumindest 2 Stunden ohne Begleitung“ für möglich gehalten. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf eine Aussage der Klassenlehrerin, die Antragstellerin könne nach zwei Stunden ohne Begleitung nicht mehr zur Mitarbeit motiviert werden, lediglich ausgeführt, dass es der bewilligte Umfang der Schulbegleitung ohne Weiteres ermögliche, die Antragstellerin nicht in zwei aufeinanderfolgenden Stunden unbegleitet zu unterrichten (vgl. S. 17 des Beschluss-abdrucks). Dieser Argumentation ist allenfalls zu entnehmen, dass das Verwal-tungsgericht es für voraussichtlich gangbar angesehen hat, die Antragstellerin in einzelnen Stunden unbegleitet zu lassen. Diese Einschätzung wird - vorbehaltlich einer Festlegung der insoweit geeigneten Fächer und Stunden - offenbar nunmehr auch vom D. geteilt, wie sich aus der bereits zitierten Stellungnahme vom 11. August 2015 erschließt.
25Soweit sich die Beschwerde auf die fachärztlichen Berichte der Dres. F. und S2. vom 13. August 2014 und 13. Mai 2015 beruft, ist zunächst darauf zu verweisen, dass die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB VIII beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe fällt.
26Vgl. zur Kompetenzverteilung im Bereich von § 35a Abs. 1 SGB VIIII nur OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2011- 12 A 1168/11 -, juris.
27Gleiches gilt, wie bereits dargelegt, auch für die Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Jugendhilfemaßnahme. Das schließt eine Berücksichtigung ärztlicher Stellungnahmen bei den vom Jugendamt in eigener Verantwortung vorzunehmenden Wertungen nicht aus. Jedoch ergibt sich auch aus dem jüngeren Bericht der Dres. F. und S2. vom 13. Mai 2015 nichts Stichhaltiges dafür, dass eine Beschränkung des Umfangs der Schulbegleitung auf 20,5 Wochenstunden nach gegenwärtigem Sachstand gegen allgemeingültige fachliche Maßstäbe jugendamtlicher Praxis verstößt.
28Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
29Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
- 1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und - 2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme
- 1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, - 2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder - 3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall
- 1.
in ambulanter Form, - 2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, - 3.
durch geeignete Pflegepersonen und - 4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.
(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.
(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.
Gesetz ist jede Rechtsnorm.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.