A.
Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, aus abgetretenem Recht sowohl ihres bei dem Unfall verletzten Ehemannes, als auch einer gemeinsam betriebenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie verlangt ein angemessenes Schmerzensgeld, beziffert mit mindestens 20.000,- €, und entgangenen Gewinn von 116.093,92 €, jeweils zuzüglich Rechtshängigkeitszinsen.
Zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom 16.01.2007 gegen 11.30 Uhr zwischen dem Ehemann der Klägerin als Fussgänger und dem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten, vom Beklagten zu 3) gehaltenen Taxi Daimler-Benz, amtliches Kennzeichen M - …, gefahren vom Beklagten zu 2). Der Unfall ereignete sich in der Goethestraße in M., etwa in Höhe der Hausnummern 2-8, der Ehemann der Klägerin wurde beim Überqueren der Straße vom Taxi der Beklagten erfasst. Die Klägerin behauptet schwere Verletzungen und dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen ihres Ehemannes, sowie mehrmonatige, umsatzmindernde Arbeitsunfähigkeitszeiträume. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 30.10.2014 (Bl. 152/163 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht München I hat nach Beweisaufnahme die Klage im Wesentlichen abgewiesen, weil der Ehemann der Klägerin angesichts weit überwiegenden Mitverschuldens nur ein Schmerzensgeld von 4.000,- € beanspruchen könne, und entgangener Gewinn der GmbH als bloß mittelbarer Schaden nicht ersatzfähig sei. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 158/163 d. A.) des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihr am 03.11.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit beim Oberlandesgericht München am 03.12.2014 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt (Bl. 171/172 d. A.) und diese mit Schriftsatz vom 10.02.2015, eingegangen beim Gericht am gleichen Tag, - nach Fristverlängerung gemäß Verfügungen des Senatsvorsitzenden vom 22.12.2014 und 03.02.2015 fristgerecht - begründet.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin für die Zeit vom 16.01.2007 bis zum 29.01.2011 ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 20.000,- € zu bezahlen,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin 116.093,92 € zu bezahlen
- die Verzinsung (in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz) der vorstehenden Beträge seit 29.01.2011 auszusprechen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat gemäß Beschluss vom 14.07.2015 mit Zustimmung der Parteien schriftlich entschieden, § 128 II ZPO; als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wurde der 24.07.2015 bestimmt (Bl. 194/195 d. A.). Die Klägerin hat ergänzend beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (Schriftsatz v. 07.07.2015, Bl. 192/193 d. A.).
Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsschrift, die Berufungserwiderung vom 30.06.2015 (Bl. 189/191 d. A.), die Hinweisverfügung des Senatsvorsitzenden vom 12.06.2015 (Bl. 186/188 d. A.), und den Schriftsatz des Klägers vom 07.07.2015 (Bl. 192/193 d. A.) Bezug genommen.
B.
Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache vorläufig Erfolg.
I.
Das Urteil des Landgerichts kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil es unter Verstoß gegen eine einen absoluten Revisions- und Nichtigkeitsgrund (§§ 547 Nr. 1, 579 I Nr. 1 ZPO) und damit auch absoluten Berufungsgrund (vgl. Doukoff, Zivilrechtliche Berufung, 5. Aufl. 2013, Rz. 389 m. w. N.), sowie unter Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG) ergangen ist (BVerfG NJW 1964, 1020; NJW 2004, 3696; 2008, 2243; BGH, Urt. v. 26.11.2008 - VIII ZR 200/06 [juris]; NJW-RR 2009, 470; NJW-RR 2012, 508; Urt. v. 04.11.2011 - V ZR 60/11 [juris]; Urt. v. 25.04.2014 - LwZR 2/13 [juris]).
aa) Das Erstgericht hat ausweislich des Protokolls (der öffentlichen Sitzung v. 30.10.2014, Bl. 150/151 d. A.) am 30.10.2014 ein Endurteil verkündet (Bl. 152/163 d. A.), dessen Rubrum (auszugsweise) lautet: „… erlässt das Landgericht München I durch … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2014 folgendes Endurteil …“. Das Urteil ist unterzeichnet von den drei Richterinnen und Richtern, die in der Eingangsformel genannt sind.
bb) Die in Bezug genommene mündliche Verhandlung (v. 31.07.2014, S. 1, 3 = Bl. 142, 144 d. A.) enthält in der Anwesenheitsfeststellung die Namen der drei verhandelnden Richterinnen und Richter, und nach der Beweisverhandlung einen (mit Zustimmung der Parteien gefassten) Beschluss, dass schriftlich entschieden werde (§ 128 II ZPO). Als Termin, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, wurde der 20.08.2014, als Entscheidungsverkündungstermin der 30.10.2014 bestimmt.
Die im Protokoll genannte Richterin am Landgericht K. hat das Endurteil nicht unterschrieben, während die das Urteil mitberatende und -abstimmende Richterin Dr. Ko. im Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht genannt ist und somit nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat.
cc) Damit wurde entgegen § 309 ZPO das streitgegenständliche Endurteil nicht von den Richtern gefällt, die der dem Urteil zugrunde liegenden (letzten) mündlichen Verhandlung beigewohnt haben.
Zwar findet § 309 ZPO keine Anwendung, wenn nach früherer mündlicher Verhandlung in das schriftliche Verfahren übergegangen wird (BGH NJW 1954, 266; NJW-RR 1992, 1065). Ein solches schriftliches Verfahren ist jedoch - trotz des Beschlusses vom 31.07.2014 - nicht mit der notwendigen Sicherheit festzustellen: Zum ersten beruft sich das Ersturteil ausdrücklich auf das Datum der mündlichen Verhandlung, nicht dagegen auf den etwa drei Wochen später liegenden, dem Schluss der mündlichen Verhandlung entsprechenden Termin (20.08.2014). Zum zweiten enthält der Tatbestand des Ersturteils nicht den geringsten Hinweis auf eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, vielmehr wird allein auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen (EU 6 = Bl. 157 d. A.). Zum dritten wurde zwar die Frist des § 128 II 2 ZPO verlängert (Bl. 145 d. A.), der daraufhin fristgerecht eingegangene Schriftsatz vom 03.09.2014 (Bl. 146/148 d. A.) jedoch nicht berücksichtigt und - nach Aktenlage - nicht einmal zur Kenntnis genommen. Jedenfalls wurden sachliches Vorbringen und Beweisanträge in den Entscheidungsgründen des Endurteils nicht erwähnt und nicht behandelt.
dd) Eine Berichtigung des Urteils nach § 319 I ZPO scheidet aus. Selbst wenn das Erstgericht eine schriftliche Entscheidung beabsichtigt und die Urteilsfällung aufgrund mündlicher Verhandlung lediglich aufgrund eines Äußerungsversehens behauptet haben sollte, wäre eine solche Unrichtigkeit nicht „offenbar“ und somit nicht berichtigungsfähig. Die „Evidenz“ des Fehlers müsste sich für Außenstehende aus dem Zusammenhang des Urteils oder den Vorgängen bei dessen Erlass und Verkündung ohne weiteres ergeben (BGH NJW 1956, 830; NJW 1989, 1281; NJW 1994, 2832), was im Streitfall nicht ersichtlich ist. Außerhalb des Urteils liegende Umstände können nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden, jedoch insbesondere nicht bei gerichtsinternen Versehen, die nicht ohne Beweiserhebung überprüft werden können (BGH NJW 1985, 742). Gegenteiliges folgt nicht aus der Entscheidung des BAG vom 08.05.2014 (NJW 2015, 365 [367 Tz. 28]), denn dort war die Entscheidung nach Aktenlage nicht in anderer Richterbesetzung ergangen als die vorgebliche Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung.
Die zugrunde liegenden Tatsachen sind zwischen den Parteien unstreitig und werden von der Berufung nunmehr zu Recht gerügt (Schriftsatz v. 07.07.2015, Bl. 192/193 d. A.). Darüber hinaus sind derartig schwere Verfahrensfehler von Amts wegen zu berücksichtigen.
II.
Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen, sich aber - entgegen seiner sonstigen Praxis - aus folgenden Gründen dagegen entschieden:
1. Ein derart schwerwiegender Verfahrensmangel rechtfertigt eine Zurückverweisung nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO (Senat, Urt. v. 26.06.2009 - 10 U 1575/09 [juris]; OLG Koblenz, Urt. v. 04.06.2010 - 5 U 1317/09 [juris]; OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2011 - 19 U 122/11 [juris]), wenn die Sache wie hier nicht ansatzweise entscheidungsreif ist. Die erforderliche Beweisaufnahme wäre umfangreich und aufwendig (§ 538 II 1 Nr. 1, 2. Satzhälfte ZPO), weil der Senat sich nicht darauf beschränken dürfte, ein neues und umfassendes Sachverständigengutachten zu erholen. Vielmehr wären, jeweils in Gegenwart eines unfallanalytischen Sachverständigen, erneut der Beklagte zu 2) als Partei anzuhören und sämtliche erstinstanzlich benannte Zeugen zu vernehmen, denn eine Beurteilung sowohl der Glaubhaftigkeit der Sachdarstellung, als auch der Glaubwürdigkeit der Zeugen und Parteien anhand früherer Aussagen wäre rechtsfehlerhaft, wenn der Senat auf einen eigenen persönlichen Eindruck verzichten wollte (s. etwa BGH r + s 1985, 200; NJW 1997, 466; NZV 1993, 266; VersR 2006, 949). Zudem wären die Ergebnisse der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige sachgerecht zu verwerten und gegebenenfalls zusätzlich polizeiliche Sachbearbeiter als Zeugen zu vernehmen. Durch die gebotene Beweisaufnahme würde der Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren vollständigen Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens (Senat VersR 2011, 549 ff.) gezwungen.
2. Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses muss hingenommen werden, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge erhalten bleiben sollen (Senat NJW 1972, 2048 [2049]; OLG Naumburg NJW-RR 2012, 1535 [1536]); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner außerordentlich hohen Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.
III.
Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., zuletzt VersR 2011, 549 ff.; NJW 2011, 3729).
Die Gerichtskosten waren gemäß § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel - nur ein solcher kann zur Aufhebung und Zurückverweisung führen (§ 538 II 1 Nr. 1 ZPO) -, denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt.
§ 21 I 1 GKG erlaubt auch die Niederschlagung von Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. OLG Brandenburg OLGR 2004, 277; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1151; Senat, Beschl. v. 17.09.2008 - 10 U 2272/08, st. Rspr., zuletzt Urt. v. 19.03.2010 - 10 U 3870/09 [juris, dort Rz. 93] und v. 27.01.2012 - 10 U 3065/11 [juris, dort Rz. 12]).
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat in st. Rspr., zuletzt u. a. VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729), allerdings ohne Abwendungsbefugnis (Senat a. a. O.). Letzteres gilt umso mehr, als das vorliegende Urteil nicht einmal hinsichtlich der Kosten einen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.
V.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben.
Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (BVerfG NJW 2014, 2417 [2419, Tz. 26 - 32]; BGH NJW-RR 2014, 505) noch die Fortbildung des Rechts (BVerfG, a. a. O. Tz. 33]) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (BVerfG, a. a. O. [2420, Tz. 34]; BGH NJW 2003, 1943) erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung weicht nicht von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung ab und betrifft einen Einzelfall, der grundlegende Rechtsfragen nicht aufwirft.
VI.
Der Streitwert errechnet sich aus den summierten Beträgen der einzelnen Forderungen:
- Mindestbetrag des Schmerzensgeldes:20.000,- €,
abzüglich erstinstanzlich zugesprochener- 4.000,- €
- entgangener Gewinn116.093,92 €.