Oberlandesgericht München Endurteil, 15. Sept. 2017 - 10 U 4380/16

published on 15/09/2017 00:00
Oberlandesgericht München Endurteil, 15. Sept. 2017 - 10 U 4380/16
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Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers vom 09.11.2016 wird das Endurteil des LG Landshut vom 04.10.2016 wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger einen Betrag von 3.322,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.05.2015, sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 442,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.08.2015 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

I.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass ein – im Rahmen der Haftungsverteilung nach § 17 I, II StVG mit dem Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 1) gleich hoch zu gewichtender – Verursachungsbeitrag und Mitverschuldensanteil des Klägers darin liege, dass er auf der vorfahrtsberechtigten Straße mit „deutlich herabgesetzter Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h“ gefahren sei und den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt habe (EU 7 = Bl. 61 d. A.). Hieraus wird gefolgert, dass die Beklagte zu 1) damit habe rechnen dürfen, dass der Kläger nicht geradeaus fahren werde, sowie ihren Einfahrvorgang habe beginnen dürfen (EU 8 = Bl. 62 d. A.).

Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat nach der durch den Senat wiederholten und ergänzten Beweisaufnahme durch Anhörung des Klägers, der Beklagten zu 1), Einvernahme der Zeugen S. und C. sowie Anhörung des Sachverständigen Dipl.Ing. (FH) R. teilweise Erfolg. Danach hat der Kläger gegen die Beklagten Anspruch auf Ersatz von 75% des ihm (in der Höhe unstreitig) entstandenen Schadens wie tenoriert (einschließlich Zinsen und vorgerichtlich entstandenen Anwaltsgebühren nebst Zinsen).

1. Der Kläger fuhr – unbestritten – auf der gegenüber der Beklagten zu 1) benutzten bevorrechtigten Straße. Das Vorfahrtsrecht (§ 8 I StVO) des Klägers und die Wartepflicht (§ 8 II StVO) der Beklagten zu 1) entfallen – grundsätzlich und im Streitfall – auch dann nicht, wenn der Kläger durch missverständliches oder irreführendes Fahrverhalten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hätte. Gegenteiliges bestätigen die vom Erstgericht zitierten obergerichtlichen Entscheidungen (OLG Karlsruhe DAR 2001, 128; OLG Hamm RuS 2004, 167; KG DAR 1990, 142) gerade nicht, vielmehr entspricht dies einhelliger Meinung, sowohl des Senats (Urt. v. 06.09.2013 – 10 U 2336/13 [BeckRS2013, 16306]) als auch anderer Oberlandesgerichte (OLG Dresden, Beschluss vom 24.04.2014 – 7 U 1501/13 [BeckRS 2014, 22004]; OLG Düsseldorf DAR 2016, 648; OLG Zweibrücken NJOZ 2008, 2487; OLG Naumburg, Urt. v. 19.02.2014 – 5 U 206/13 [BeckRS 2014, 11880]) und des Bundesgerichtshofs (NJW 1996, 60, für einen ähnlichen Vertrauenstatbestand). Insoweit ist die Annahme des Landgerichts unzutreffend, die Beklagte zu 1) habe mit dem Einfahrvorgang beginnen dürfen (EU 8 = Bl. 62 d. A.), was schon denkgesetzlich jegliches Fehlverhalten und jeden Verkehrsverstoß ausschlösse. Im Übrigen wäre dann eine Mithaftung der Beklagten, jedenfalls über die Betriebsgefahr hinaus, nicht zu rechtfertigen gewesen.

Umstritten ist allerdings, aufgrund welcher Umstände in dem Streitfall vergleichbaren Fällen ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird (Senat, a.a.O.; OLG Dresden, a.a.O.; OLG Hamm DAR 2003, 521). Diese Frage kann jedoch nicht entschieden werden, ohne zuvor das Unfallgeschehen und die Erwägungen des Wartepflichtigen, die ihn zur Einsicht eines gefahrlosen Einfahrens in die Einmündung bestimmt haben, bestmöglich aufzuklären (s. BGH Senat, Urt. v. 12.06.2015 – 10 U 3981/14 [juris, Rn. 49, m.w.N.]; Urt. v. 31.07.2015 – 10 U 4377/14 [juris, Rn. 55, m.w.N.] 3. Hinsichtlich der Frage, ob der Kläger gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat, ist davon auszugehen, dass er nach rechts geblinkt hat und gleichzeitig mit einer, bezogen auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit, eher niedrigen Geschwindigkeit im Bereich um die 30 km/h, wie die überzeugenden Aussagen der beiden vom Senat vernommenen Zeugen S. und C. ergeben haben, gefahren ist. Der Senat kann jedoch nicht davon ausgehen, dass und vor allem in welchem Umfang der Kläger im Bereich der Kreuzung noch beschleunigt haben soll. Die Aussage des Zeugen C. war insoweit zu ungenau (vgl. hierzu Protokoll vom 15.09.2017, S. 9 = Bl. 126 d.A.), wonach er nur noch von seiner „Wahrnehmung“ sprach und davon, dass der Mercedes (des Klägers) „etwas beschleunigt“ habe.

Für die Frage der Kausalität des klägerischen Fahrverhaltens für den Unfall kommt es entscheidend darauf an, ob die Beklagte zu 1), die angesichts des von links kommenden Klägers verpflichtet war, vor dem Herausfahren diesen fortwährend zu beobachten, zu dem Zeitpunkt der Entscheidung, in die Kreuzung einzufahren, immer noch davon ausgehen durfte, dass der Kläger nach rechts abbiegt.

Davon kann nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen R. bei Unterstellung der Aussage des Zeugen C., der als einziger relativ exakt die Positionen der Fahrzeuge zueinander beschrieben hat, nicht ausgegangen werden.

Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass man dann, wenn zu dem vom Zeugen C. angegebenen Zeitpunkt das Fahrzeug des Klägers ohne Lenkeinschlag geradeaus gefahren ist, als die Beklagte zu 1) losfuhr (und dies gilt selbst dann, wenn er entgegen der Zeugenaussagen im Hinblick auf die spätere Endposition doch eher rechtsorientiert gefahren sein soll), bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h nicht mehr nach rechts abbiegen konnte ohne Gefahr zu gehen, mit den Fahrzeugen entweder der Beklagten zu 1) oder des dahinter stehenden Zeugen S. zu kollidieren.

Dies bestätigt sich im Übrigen in den insoweit überzeugenden Ausführungen der Beklagten zu 1) selbst: Anhand der von der Beklagten zu 1) genannten Geschwindigkeitssowie Entfernungsangaben, die mit den Ausführungen des Sachverständigen und der beiden vernommenen Zeugen nicht in Deckung zu bringen waren, ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1), wie von ihr auch selbst eingeräumt wurde, Schwierigkeiten mit der Abschätzung von Geschwindigkeiten und Abständen hat. Deshalb glaubte die Beklagte zu 1) zu einem Zeitpunkt, an dem zumindest objektiv angesichts der gefahrenen Geschwindigkeit des Klägerfahrzeugs und der fortgesetzten Geradeausfahrt trotz des fortwährenden Weiterblinkens nach rechts nicht mehr mit einem Abbiegen gerechnet werden konnte und durfte, trotzdem abbiegen zu können, was aber angesichts der vom Kläger gefahrenen Geschwindigkeit und des geringen Abstands zur Beklagten zu 1) nur unter Verstoß gegen das Vorfahrtsrecht des Klägers und mit der Folge der Kollision möglich war.

4. Zusammengefasst geht der Senat daher davon aus, dass dem Kläger ein für den Unfall kausales Verschulden seitens der Beklagten nicht nachgewiesen werden konnte und die Klageseite bei der anzustellenden Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 I StVG nur wegen der im Hinblick auf das Blinken erhöhten Betriebsgefahr für sein Fahrzeug haftet, weswegen eine Haftungsverteilung von 75 zu 25 zum Nachteil der Beklagten sachgerecht ist.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I 1 Fall 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
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Annotations

(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
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Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
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Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.