Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 02. Mai 2016 - 2 OLG 4 Ss 32/16

ECLI: ECLI:DE:OLGKOBL:2016:0502.2OLG4SS32.16.0A
published on 02/05/2016 00:00
Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 02. Mai 2016 - 2 OLG 4 Ss 32/16
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Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Koblenz vom 1. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschöffengericht zuständige Abteilung des Amtsgerichts Koblenz zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Mit dem im Tenor genannten Urteil hat das Jugendschöffengericht den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50,- Euro verurteilt. Nach den Feststellungen soll er von dem gesondert verfolgten Sdk. zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Februar oder März 2012 in K. 150 g Marihuana (guter Qualität zum Preis von 8,- €/g) und 50 g Haschisch (schlechterer Qualität zum Preis von 4,- bis 7,- €/g) erworben haben. Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten, der die Tat in Abrede stellt, hat das Jugendschöffengericht einzig auf die Aussage des als Zeugen vernommenen Sdk. gestützt.

2

Gegen das Urteil hat der Angeklagte am 8. Dezember 2015 Revision eingelegt und dieses Rechtsmittel nach Zustellung des Urteils mit Schriftsätzen seines Verteidigers vom 27. Januar und 3. März 2016 näher begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

3

Das Rechtsmittel ist als Sprungrevision gemäß § 335 Abs. 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt und begründet worden. In der Sache hat es einen zumindest vorläufigen Erfolg.

4

Das Urteil leidet an einem sachlich-rechtlichen Mangel, da die Beweiswürdigung zur Täterschaft des Angeklagten lückenhaft ist (vgl. BGH, 4 StR 305/12 v. 23.08.2012 - BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 38; Senat, 2 OLG 3 Ss 2/15 v. 03.02.2015; 2 Ss 62/14 v. 13.06.2014). Da nach der Urteilsdarstellung gegen die Einlassung des Angeklagten außer der Aussage des Zeugen Sdk. keine weiteren belastenden Indizien sprechen, ist eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation gegeben (vgl. BGH, 1 StR 94/98 v. 29.07.1998 - BGHR StPO 261 Beweiswürdigung 15 ), welche die nachfolgend dargestellten besonderen Anforderungen an die Beweiswürdigung und deren Darlegung in den Urteilsgründen erfordert; diesen wird das Urteil nicht gerecht.

5

Die Beweiskonstellation Aussage-gegen-Aussage ist gekennzeichnet durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien, zurückgegriffen werden kann (vgl. BGH, 2 StR 101/15 v. 02.09.2015 - BGH NStZ-RR 2016, 87 ; HansOLG Hamburg, 1 Ws 88/15 v. 22.07.2015 - StraFo 2015, 328 ). Die Entscheidung hängt also allein davon ab, wem das Tatgericht glaubt. In einem solchen Fall besitzt der Angeklagte über das Bestreiten hinaus nur wenig Verteidigungsmöglichkeiten (vgl. BGH, 5 StR 316/12 v. 10.10.2012 - NStZ 2013, 57 ; Senat, 2 OLG 3 Ss 2/15 v. 03.02.2015). Steht Aussage gegen Aussage, muss der Tatrichter daher im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darstellen und in seine Überlegungen einbeziehen (vgl. BGH, 2 StR 94/14 v. 07.07.2014 - NStZ 2014, 667 ; 5 StR 394/12 v. 30.08.2012 - NStZ-RR 2013, 19 ; 4 StR 472/14 v. 19.11.2014 - NStZ-RR 2015, 86 ; 4 StR 305/12 v. 23.08.2012 - BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 38; Senat, 2 Ss 62/14 v. 13.06.2014; 2 Ss 85/12 v. 22.10.2012), insbesondere ist die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. BGH, 2 StR 101/15 v. 02.09.2015 - BGH NStZ-RR 2016, 87 ; 1 StR 94/98 v. 29.07.1998 - BGHSt 44, 153 <159>; Senat, 2 OLG 3 Ss 2/15 v. 03.02.2015). Hierfür können die zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage verwendeten Elemente der Aussageanalyse (Qualität, Konstanz, Aussageverhalten), der Persönlichkeitsanalyse und der Fehlerquellen- bzw. Motivationsanalyse herangezogen werden (vgl. hierzu BGH, 1 StR 582/99 v. 30.05.2000 - BGHR StPO § 244 Abs. 4 S. 1 Sachkunde 11 = NStZ 2011, 45; zu den Grundprinzipien der Glaubhaftigkeitsüberprüfung vgl. auch BGH, 1 StR 618/98 v. 30.07.1999 - BGHSt 45, 164 ). Darüber hinaus wird regelmäßig auf die Aussagegenese und -entwicklung einzugehen sein, insbesondere dann, wenn - wie hier - die Gefahr besteht, dass sich ein Tatbeteiligter durch unwahre Angaben Vorteile für sein eigenes Strafverfahren verschafft haben könnte.

6

Die vom Jugendschöffengericht durchgeführte Aussageanalyse ist unvollständig. Es fehlen zunächst Feststellungen zur Entstehung und Entwicklung der Aussage des Zeugen Sdk.. Der Entstehungsgeschichte einer Aussage kommt bei der Bewertung von belastenden Zeugenaussagen in der Beweiskonstellation Aussage-gegen-Aussage eine besondere Bedeutung zu (vgl. BGH, 5 StR 113/14 v. 24.04.2014 - NStZ-RR 2014, 219 ). Von Relevanz ist insbesondere, ob der Zeuge aus freien Stücken ausgesagt hat oder er durch Dritte oder besondere Umstände hierzu gedrängt wurde. Darüber hinaus wird nicht mitgeteilt, was der Zeuge bei früheren, etwa polizeilichen Vernehmungen zum Tatvorwurf bekundet hat, sei es im vorliegenden oder in einem anderen Verfahren. Der Senat kann daher nicht nachvollziehen, ob die vom Jugendschöffengericht bejahte Aussagekonstanz auf ausreichenden objektiven Grundlagen beruht. Dem Revisionsgericht ist eine Überprüfung der Entscheidung nur dann möglich, wenn die Aussage des einzigen Belastungszeugen insbesondere zur Beurteilung der Aussageentwicklung und Aussagekonstanz wiedergegeben und erörtert wird (vgl. BGH, 5 StR 63/12 v. 14.03.2012 - StV 2013, 7 ; 4 StR 15/14 v. 13.03.2014 - StV 2014, 723 ). Dies gilt auch für die entscheidenden Teile früherer Aussagen (vgl. BGH, 2 StR 94/14 v. 07.07.2014 - NStZ-RR 2015, 120 ; 2 StR 92/14 v. 22.10.2014 - NStZ-RR 2015, 52; 2 StR 101/15 v. 02.09.2015 - NStZ-RR 2016, 87 <88>).

7

Unzureichend sind ferner die Ausführungen zu möglichen Falschbelastungsmotiven des Zeugen. Nach den Urteilsausführungen war der von Sdk. geschilderte verfahrensgegenständliche Verkauf von Betäubungsmitteln an den Angeklagten Gegenstand eines gegen den Zeugen selbst geführten Strafverfahrens. Es liegt daher nicht fern, dass sich der Zeuge mit der damit verbundenen Aufklärungshilfe in den Genuß einer Strafmilderung gemäß § 31 BtMG bringen wollte, umso mehr, als das gegen ihn geführte Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Trier eingestellt worden sein soll. Aufzuklären und im Urteil darzustellen ist somit, was der Zeuge als Beschuldigter in dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren bekundet hat und ob sich seine Angaben, auch in Bezug auf andere Betäubungsmittelabnehmer, als wahr erwiesen haben. Ohne Kenntnis dieser Umstände kann der Senat nicht überprüfen, ob die Überzeugung des Jugendschöffengerichts von dem Fehlen eines Belastungsmotivs auf einer hinreichend objektiven Grundlage beruht.

8

Das Urteil unterliegt aufgrund dieses sachlich-rechtlichen Fehlers insgesamt der Aufhebung.

III.

9

Für die neue Hauptverhandlung ist darauf hinzuweisen, dass sich die Anforderungen an die Beweiswürdigung möglicherweise anders darstellen, wenn der im Urteil erwähnte Dealer “A.“ aus K. ausfindig gemacht und als Zeuge vernommen wird. Sdk. will die an den Angeklagten verkauften Betäubungsmittel unmittelbar vor der Tat bei besagtem „A.“ erworben haben. Würde dieser den Verkauf von 100 g Marihuana und 50 g Haschisch an Sdk. glaubhaft bestätigen, dann wäre darin ein außerhalb der Aussage des Zeugen Sdk. liegendes Indiz zu sehen, was für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben sprechen könnte; in diesem Fall wäre nicht mehr von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation mit den daraus folgenden erhöhten Anforderungen an die Beweiswürdigung auszugehen (vgl. BGH, 2 StR 486/02 v. 28.05.2003 - NStZ-RR 2003, 268 ; 1 StR 379/03 v. 21.01.2004 - NStZ 2004, 635 ; LR-Sander, StPO, 26. Aufl. § 261 Rn. 81). Im Verurteilungsfall werden zudem Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt der Betäubungsmittel zu treffen sein.

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(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter1.durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich d
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(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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Annotations

(1) Ein Urteil, gegen das Berufung zulässig ist, kann statt mit Berufung mit Revision angefochten werden.

(2) Über die Revision entscheidet das Gericht, das zur Entscheidung berufen wäre, wenn die Revision nach durchgeführter Berufung eingelegt worden wäre.

(3) Legt gegen das Urteil ein Beteiligter Revision und ein anderer Berufung ein, so wird, solange die Berufung nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen ist, die rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form eingelegte Revision als Berufung behandelt. Die Revisionsanträge und deren Begründung sind gleichwohl in der vorgeschriebenen Form und Frist anzubringen und dem Gegner zuzustellen (§§ 344 bis 347). Gegen das Berufungsurteil ist Revision nach den allgemein geltenden Vorschriften zulässig.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter

1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. § 46b Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.