Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 13. Okt. 2016 - 2 OLG 4 Ss 150/16
Gericht
Tenor
Es wird festgestellt, dass das am 27. Mai 2016 eingelegte und am 1. August 2016 als Revision bezeichnete Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 20. Mai 2016 am 12. Juli 2016 wirksam zurückgenommen wurde.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO).
Gründe
I.
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Das Amtsgericht Bad Kreuznach hat den Angeklagten am 20. Mai 2016 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt (Bl. 232, 250 ff. d. A.). Mit Bewährungsbeschluss vom selben Tag wurde ihm zur Auflage gemacht, binnen acht Monaten ab Rechtskraft des Urteils 250 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung des Vereins Opfer- und Täterhilfe e.V. zu leisten (Bl. 232, 255a f. d.A.).
- 2
Gegen das Urteil hat der Angeklagte mit Schreiben seines Wahlverteidigers vom 27. Mai 2016, das am selben Tag beim Amtsgericht eingegangen ist, Rechtsmittel eingelegt (Bl. 249 d. A.).
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Nach am 30. Juni 2016 erfolgter Zustellung des schriftlichen Urteils an den Verteidiger (Bl. 249R, 275 d.A.) teilte der Angeklagte mit Schreiben vom 12. Juli 2016, das am selben Tag beim Amtsgericht eingegangen ist, folgendes mit (Bl. 276 d. A.):
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…
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Bereits am 11. Juli 2016 war ein an das Amtsgericht Bad Kreuznach adressiertes Schreiben des Vereins … e.V. vom 7. Juli 2016 bei der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach eingegangen. Danach wurde dem Angeklagten bereits eine Einsatzstelle zur Ableistung von 250 Stunden gemeinnütziger Arbeit mitgeteilt, bei der er sich am 7. Juli 2016 vorstellen sollte (Bl. 277 d.A.). Das Schreiben wurde an das Amtsgericht weitergeleitet, wo es am 12. Juli 2016 einging (a.a.O.).
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Mit Schreiben des Gerichts vom 13. Juli 2016 wurden dem Verteidiger Kopien der Schreiben des Angeklagten und des Vereins … e.V. mit der Bitte um Kenntnis- und Stellungnahme und mit der Anfrage zugeleitet, ob das Rechtsmittel zurückgenommen werde (Bl. 277R d. A.). Nachdem keine Stellungnahme des Verteidigers erfolgt war, übersandte das Amtsgericht mit Verfügung vom 22. Juli 2016 die Akten der Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis, das Schreiben des Angeklagten werde als Berufungsrücknahme gewertet (a.a.O.). Unter dem 26. Juli 2016 leitete die Staatsanwaltschaft die Akten an das Amtsgericht zurück mit der Bitte um Erteilung des Rechtskraftvermerks (a.a.O.). Am 28. Juli 2016 bescheinigte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Rechtskraft des Urteils (Bl. 250 d.A.) und leitete die Akten der Staatsanwaltschaft zu (Bl. 277R d.A.).
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Mit Schriftsatz vom 1. August 2016 (Montag), der am selben Tag per Telefax beim Amtsgericht eingegangen ist, erklärte der Verteidiger, das Urteil für den Angeklagten mit der Revision insgesamt anzufechten, stellte den Revisionsantrag und erhob die allgemeine Sachrüge (Bl. 282 d.A.). Nachdem das Schreiben der Akte nachgesandt worden war (Bl. 281 d.A.), hielt die Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft telefonisch Rücksprache mit dem Verteidiger. Ausweislich der Zuleitungsverfügung an die Ermittlungsabteilung derselben Behörde hatte der Verteidiger dabei erklärt, „er habe“ die Anfrage des Gerichts vom 13. Juli 2016 „erhalten und mit dem Verurteilten vereinbart, in Revision zu gehen“ (Bl. 282 d.A.). Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2016 anwaltlich versichert, die Vereinbarung der Rechtsmitteleinlegung mit dem Angeklagten nicht nach Erhalt des Schreibens vom 13. Juli 2016, sondern „vorab“ getroffen zu haben (Bl. 291 d.A.).
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Am 27. September 2016 wurden die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
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1. Wird die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, so ist es Sache des Rechtsmittelgerichts, hierüber eine feststellende Erklärung zu treffen (vgl. für die Revision BGH, Beschlüsse 3 StR 354/90 vom 10.04.1991, BGHR StPO § 302 Abs. 1 S. 1 Rechtsmittelverzicht 8; 4 StR 249/04 vom 20.07.2004, NStZ 2005, 113; 4 StR 297/07 vom 20.09.2007, NStZ 2009, 51; 4 StR 691/10 vom 17.02.2011, juris Rn. 4). Das gilt auch dann, wenn eine Entscheidung des iudex a quo nicht vorliegt (BGH, Beschluss 1 StR 527/13 vom 05.02.2014, juris). Obwohl das zunächst unbestimmt eingelegte Rechtsmittel im Zeitpunkt seiner Rücknahme noch nicht als Sprungrevision bezeichnet war, ist das Revisions- und nicht das Berufungsgericht für die Entscheidung zuständig, wenn das Rechtsmittel wie hier innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als solche bezeichnet wird.
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2. Das Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 20. Mai 2016 ist wirksam zurückgenommen.
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Dabei ist ohne Bedeutung, dass das Rechtsmittel vom Verteidiger des Angeklagten eingelegt worden war, denn auch ein vom Verteidiger eingelegtes Rechtsmittel kann vom Angeklagten zurückgenommen werden (vgl. BGH, Beschluss 1 StR 563/04 vom 13.01.2005, BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 10; Beschluss 4 StR 691/10 vom 17.02.2011, juris Rn. 6 ; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 302 Rn. 4 m.w.N.).
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Die Rücknahme konnte durch das vom Angeklagten handschriftlich verfasste und von ihm unterschriebene Schreiben erfolgen, da für die Rücknahme eines Rechtsmittels dieselben Formerfordernisse gelten wie für dessen Einlegung (BGH, Beschluss 4 StR 691/10 vom 17.02.2011, juris Rn. 7). Zweifel an der Urheberschaft des Angeklagten stellen sich nicht. Vor allem der Schriftzug seines Vornamens - der Nachname ist abweichend von anderen bei den Akten befindlichen Unterschriften in Großbuchstaben geschrieben - entspricht dem in anderen Dokumenten (vgl. Bl. 151, 152, 153, 153R, 155, 184 d.A.).
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Entgegen der mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2016 geäußerten Auffassung des Verteidigers hat der Angeklagte in dem an das Amtsgericht gesandten Schreiben - ungeachtet der ungelenken Wortwahl - klar zum Ausdruck gebracht, dass er das vom Verteidiger eingelegte Rechtsmittel zurücknimmt. Auch wenn er den Begriff der Rücknahme nicht verwendet, so bringt er doch eindeutig zum Ausdruck, dass er nicht (mehr) mit der Rechtsmitteleinlegung durch seinen Verteidiger einverstanden ist. Insbesondere aus dem Umstand, dass er mitgeteilt hat, bereits mit der Ableistung der als Bewährungsauflage verhängten Sozialstunden begonnen zu haben, und der Mitteilung des Vereins … e. V. vom 7. Juli 2016 an das Gericht, wonach der Angeklagte bereits in eine Einsatzstelle zur Ableistung der Sozialstunden vermittelt wurde, ist der eindeutige Wille des Angeklagten zu entnehmen, das Rechtsmittel zurückzunehmen.
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Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte geistig nicht in der Lage gewesen wäre, die Bedeutung und Tragweite seiner Prozesserklärung zu erkennen und daher prozessual nicht handlungsfähig gewesen wäre (s. dazu BGH NStZ-RR 2004, 341; OLG Hamburg StV 2006, 175, 176), liegen nicht vor. Der Angeklagte hat die Hauptschule bis zur 7. oder 8. Klasse besucht und ist einige Zeit lang Gelegenheitsarbeiten nachgegangen (UA S. 2). Es fehlt auch jeglicher Hinweis darauf, dass das Gericht in unzulässiger Weise auf die Rücknahme des Rechtsmittels hingewirkt hätte (vgl. dazu BGH StV 1994, 64 m.w.N.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 307; zum Rechtsmittelverzicht vgl. BGHSt 45, 51, 53; OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 306, 307). An der Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme bestehen daher auch insoweit keine Zweifel.
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Darauf, dass der Angeklagte nun möglicherweise anderen Sinnes geworden ist - was nach den Ausführungen seines Verteidigers vom 12. Oktober 2016 nicht einmal der Fall zu sein scheint -, kommt es nicht an. In diesem Zeitpunkt war das Rechtsmittelverfahren bereits durch wirksame Rücknahme des Rechtsmittels abgeschlossen. Die Rücknahmeerklärung ist unwiderruflich und unanfechtbar (stg. Rspr. vgl. BGH, Beschluss 2 StR 430/01 vom 24.10.2001, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Rücknahme 5 und die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 302 Rn. 9).
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Da das Rechtsmittel wirksam zurückgenommen worden ist, bleibt für eine Verwerfung der Revision als unzulässig kein Raum (vgl. nur BGH, Beschluss 1 StR 527/13 vom 05.02.2014, juris).
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(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.