Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 26. Juli 2010 - 1 Verg 6/10
Gericht
Tenor
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 30. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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1. Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt, Straßen- und Brückenbauarbeiten mit einem Auftragsvolumen von ca. 7 Mio. € zu vergeben. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
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Nebenangebote sind zugelassen. Sie sollen die in den Plänen dargestellten Gestaltungsmerkmale im Wesentlichen einhalten und „ u.a. auf Gleichwertigkeit mit dem Ausschreibungsentwurf hinsichtlich technischer, wirtschaftlicher und terminlicher Lösungen “ geprüft werden. Hinreichende Mindestanforderungen, die die Bauleistungen betreffen, wurden den Interessenten ordnungsgemäß bekanntgegeben.
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Zum Leistungsumfang gehören auch die Lieferung und der Einbau der Beleuchtungsanlage für eine vom Auftragnehmer zu bauende Brücke.
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Dazu heißt es in der Leistungsbeschreibung u.a.:
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„5.9.3
… Auf dem Brückenwerk sind Beleuchtungsmaste als verzinkte Stahlmaste einschließlich Leuchtkörper einzubauen.“
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Für die im Nachprüfungsverfahren streitigen Lampenausleger, die Verbindungselemente zwischen Mast und Leuchtkörper, enthält die Leistungsbeschreibung unter OZ 13.2.30 (Einfachausleger für den Fahrbahnrand) bzw. OZ 14.2.20 (Doppelausleger für die Fahrbahnmitte) neben technischen Details die Vorgabe:
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„Form wie Fabrikat Sch., Typ FLO … oder gleichwertig.“
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Dieses Leitprodukt – dessen Vorgabe niemand gerügt hatte – unterscheidet sich von herkömmlichen Auslegern durch seine „ filigrane Formensprache “ (Beschwerdeschrift S. 4) im Bereich des Übergangs zum Mast. Diese Form hat keine funktionale Bedeutung; sie ist, wie die Beschwerdeführerin vorträgt, ein „gestalterisches Element“.
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Hinsichtlich der Form des Auslegers enthalten die Mindestbedingungen für Nebenangebote keine Einschränkungen.
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Die Beschwerdeführerin hat das niedrigste Hauptangebot abgegeben; die nächstplatzierten Bieter, darunter die Beigeladene, folgen mit knappem Abstand.
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Die Beigeladene hat 5 Nebenangebote eingereicht, von denen die Auftraggeberin 4 für wertungsfähig hält. Das formal ordnungsgemäß eingereichte Nebenangebot 4 sieht statt der in der Leistungsbeschreibung umschriebenen „Design-Ausleger“ sog. Normalausleger des Herstellers E. vor, die eine schlichte Form aufweisen und um insgesamt rund 12.000 € billiger sind. Schon die Berücksichtigung dieses Nebenangebots ließe die Beigeladene auf den ersten Platz vorrücken.
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2. Nachdem die Auftraggeberin angekündigt hatte, die Beigeladene zu beauftragen, und eine Rüge erfolglos geblieben war, stellte die Beschwerdeführerin einen Nachprüfungsantrag, mit dem sie die Nebenangebote der Beigeladenen als nicht wertungsfähig qualifizierte.
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Mit Beschluss vom 30. Juni 2010 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen: Die Entscheidung des Auftraggeberin, den im Nebenangebot 4 vorgeschlagenen Normalausleger als gleichwertig anzusehen, bewege sich innerhalb ihres Beurteilungsspielraums und sei deshalb nicht zu beanstanden. Da die Beigelade allein durch die Wertung dieses Nebenangebots an die erste Stelle rücke und den Zuschlag erhalten müsse, komme es auf die Frage der Wertungsfähigkeit der anderen Nebenangebote nicht mehr an.
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Hiergegen wendet sich die Antragsstellerin mit ihrer – mit einem Eilantrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GWB verbundenen – sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, es läge eine Wettbewerbsverzerrung vor, wenn die Auftraggeberin als Leitfabrikat ein hochpreisiges Design-Produkt ausschreibe und dann eine wesentlich billigere Standardversion als gleichwertig akzeptiere. Außerdem sei der von der Beigeladenen angebotene Ausleger auch technisch nicht gleichwertig, weil er, anders als das Leitprodukt, nicht fertig lackiert (endbeschichtet) sei.
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Die Auftraggeberin hat sich in der Sache bisher nicht geäußert, sondern lediglich mitgeteilt, sie widerspreche einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nicht, da sie ohnehin nicht die Absicht habe, den Zuschlag vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens zu erteilen.
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Die Beigeladene hält die angefochtene Entscheidung für richtig und beantragt, den Eilantrag abzulehnen.
II.
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Unabhängig von der Frage, ob nach der Erklärung der Auftraggeberin noch ein Rechtschutzbedürfnis für einen Einantrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GWB besteht, ist dieser Antrag abzulehnen, weil die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Auftraggeberin hat das Nebenangebot 4 der Beigeladenen zu Recht gewertet. Allein dadurch rückt die Beigeladene an die erste Stelle mit der Folge, dass es im Verhältnis zu der Beschwerdeführerin unerheblich ist, ob die übrigen Nebenangebote wertungsfähig sind.
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1. Zunächst ist festzuhalten, dass es auf die von der Beschwerdeführerin jetzt in Zweifel gezogene Gleichwertigkeit mit Blick auf die Beschichtung nicht ankommt. Es mag zwar sein, dass der Ausleger FLO des Herstellers Sch. endbeschichtet geliefert werden kann. Die Leistungsbeschreibung enthält aber überhaupt keine Vorgaben hinsichtlich der Beschichtung der Ausleger. Die Auftraggeberin hat nicht, wie die Beschwerdeführerin vorträgt, zusätzlich zur Leitproduktvorgabe auch noch die Form hervorgehoben. Die Bezugnahme auf das Leitprodukt beschränkt sich vielmehr ausdrücklich allein auf dessen Form; sie umfasst also keine sonstigen Eigenschaften. Die übrigen (technischen) Vorgaben im Leistungsverzeichnis sind produktneutral.
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2. Der Wertung des Nebenangebots 4 steht nicht entgegen, dass die Auftraggeberin keine Mindestanforderungen für die Ausleger aufgestellt hat. Der Ausschreibende muss mit Positiv- oder Negativkriterien den Rahmen abstecken, innerhalb dessen sich die Nebenangebote bewegen sollen. Er ist aber nicht gezwungen, sich im Voraus auf jede denkbare Variante einzustellen oder gar für jede Position der Leistungsbeschreibung Mindestanforderungen aufzustellen. Hat der Auftraggeber – wie hier – den Rahmen in der gebotenen Weise abgesteckt, sind auch Nebenangebote zu werten, die Abweichungen in Details enthalten, für die es keine Mindestanforderungen gibt. Die Folge ist, dass den Bietern insoweit ein sehr weiter Rahmen für Alternativvorschläge zur Verfügung steht.
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3. Die Leistungsbeschreibung befasst sich unter OZ 13.2.30 bzw. OZ 14.2.20 mit den Anforderungen an ein Hauptangebot . Um ein den Vorgaben der Auftraggeberin genügendes Hauptangebot abzugeben, musste ein Bieter bei unterstellter Zulässigkeit der Bezugnahme auf das Leitprodukt entweder dieses oder einen Ausleger anbieten, der, um gleichwertig i.S.d. § 9 Nr. 10 VOB/A 2006 zu sein, eine ähnlich filigrane äußere Form aufweist.
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Hier geht es aber um die Wertung eines Nebenangebots , für das nicht der Maßstab des § 9 Nr. 10 VOB/A 2006 gilt. Sinn und Zweck eines leistungsbezogenen Nebenangebotsist es, eine Variante anzubieten, die von der Leistungsbeschreibung abweicht bzw. außerhalb des Spielraums liegt, der hier durch den Zusatz „oder gleichwertig“ eröffnet wird. Wenn der Auftraggeber für das Hauptangebot eine bestimmte äußere Form vorgibt, aber (auch) insoweit zugleich Nebenangebote zulässt, kann dies nur bedeuten, dass auch ein Produkt mit einem abweichenden Aussehen angeboten werden darf. Es muss gerade keine Ähnlichkeit bestehen.
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Aus den Mindestanforderungen ergibt sich nichts Gegenteiliges; das Aussehen der Ausleger kommt überhaupt nicht zur Sprache.
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Ob es mit dem Transparenzgebot zu vereinbaren wäre, neben ausdrücklich aufgeführten Mindestanforderungen weitere aus „allgemeinen Erwägungen“ abzuleiten, wie es vor dem Inkrafttreten der VOB/A 2006 vertreten wurde (z.B. OLG Naumburg v. 08.02.2005 - 1 Verg 20/04), kann dahinstehen. Den Vergabeunterlagen kann nicht entnommen werden, dass die filigrane Form der Ausleger ein K.O.-Faktor wäre, der auch ohne ausdrückliche Erwähnung in den Mindestanforderungen zu beachten gewesen wäre. Die Ausleger sind ein Element einer Nebenleistung. Dass ihre Form ein unverzichtbarer Bestandteil eines gestalterischen Gesamtkonzepts für die Brücke sein könnte, ist nicht ersichtlich. In den Plänen, deren gestalterische Merkmale auch den Rahmen für Nebenangebote abstecken, sind die Ausleger nicht erwähnt.
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Somit hatte die Zulassung von Nebenangeboten hier jedem Bieter einschließlich der Beschwerdeführerin die Möglichkeit gegeben, auch Ausleger anzubieten, die gerade nicht durch eine filigrane Formensprache gekennzeichnet sind, sondern ein anderes Aussehen haben. Die Zulassung von Nebenangeboten mit Auslegern, die sich in der Formensprache von dem Produkt des Herstellers Sch. unterscheiden, schließt es im Grunde genommen aus, Ausleger allein wegen dieser Abweichung als nicht gleichwertig zu bezeichnen.
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In technisch-funktionaler Hinsicht genügen die von der Beigeladenen angebotenen Normalausleger den Anforderungen des Auftraggebers; sie erfüllen den Zweck, Leuchtkörper und Mast mit den in der Leistungsbeschreibung vorgegeben Maßen, Winkeln usw. dauerhaft miteinander zu verbinden.
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Die Entscheidung der Auftraggeberin, die Normalausleger als gleichwertig zu akzeptieren, bewegt sich somit innerhalb ihres weiten Beurteilungsspielraums. Anlass für ein Eingreifen der Nachprüfungsbehörden gibt es nicht.
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4. Die Kosten dieses Eilverfahrens gehören zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens, über die zu gegebener Zeit zu entscheiden sein wird.
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5. Die Beschwerdeführerin wird gebeten, binnen 2 Wochen mitzuteilen, ob das Verfahren fortgesetzt werden soll.
Annotations
(1) Öffentliche Auftraggeber können das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, oder bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchzuführen sind.
(2) Voraussetzung ist, dass mindestens 30 Prozent der in diesen Werkstätten oder Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sind.