Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 28. Okt. 2011 - 3 Ws 398/11; 3 Ws 413/11

bei uns veröffentlicht am28.10.2011

Tenor

Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt.

Gründe

 
I.
M.K. wurde - nach Zurückverweisung der Sache gem. § 354 Abs. 2 StPO durch Beschluss des Senats vom 7.3.2006 - durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts - Kleine Strafkammer - B. vom 26.1.2007 wegen Betrugs u.a. unter Einbeziehung weiterer Strafen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Mit Beschluss des Amtsgerichts B. vom 18.8.2008 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung wegen Verstoßes gegen die Arbeitsauflage widerrufen. Die hiergegen form- und fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde wurde durch - dem Verurteilten formlos übersandten - Beschluss des Landgerichts - Große Strafkammer - B. vom 1.9.2008 verworfen.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14.7.2011 erhob der Verurteilte gegen den Beschluss des Landgerichts B. vom 1.9.2008 Gegenvorstellung und trug zur Begründung vor, gem. § 462 a Abs. 6 StPO sei für die nachträglichen Entscheidungen gem. § 453 StPO (und damit für die Entscheidung über den Widerruf der Bewährung) nicht das Amtsgericht B., sondern das Landgericht - Kleine Strafkammer - B. zuständig gewesen. Hierdurch sei der Verurteilte dem gesetzlichen Richter entzogen worden, so dass ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliege. Die Gegenvorstellung wurde durch Beschluss des Landgerichts - Große Strafkammer - B. vom 20.7.2011 mit der Begründung zurückgewiesen, die Bewährungsüberwachung sei konkludent an das für den Wohnsitz des Verurteilten zuständige Amtsgericht B. abgegeben worden, so dass dieses für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zuständig gewesen sei. Selbst wenn dies fehlerhaft gewesen sei, so habe jedenfalls keine willkürliche Entziehung des gesetzlichen Richters vorgelegen.
Mit Beschluss des Landgerichts B. vom 26.7.2011 wurde die weitere Bewährungsüberwachung an das Amtsgericht B. übertragen, da der Verurteilte dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Die hiergegen vom Verteidiger des Verurteilten eingelegte Beschwerde wurde durch Beschluss des Senats vom 31.8.2011 als unzulässig verworfen.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30.9.2011 legte der Verteidiger des Verurteilten u.a. weitere Beschwerde gegen den Beschluss vom 1.9.2008 ein. Zur Begründung des Rechtsmittels trägt er vor, die weitere Beschwerde sei entgegen § 310 Abs. 2 StPO ausnahmsweise statthaft, weil das Amtsgericht B. für den Bewährungswiderruf im Hinblick auf § 462a Abs. 6 StPO nicht zuständig gewesen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte mit Schriftsatz vom 17.10.2011 die Verwerfung der weiteren Beschwerde als unzulässig.
II.
Die als sofortige Beschwerde zu behandelnde „weitere Beschwerde“ des Verurteilten vom 30.9.2011 gegen den Beschluss des Landgerichts - Große Strafkammer - B. vom 1. September 2008 (1 Qs 59/08) ist zulässig (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) und begründet.
1. § 310 Abs. 2 StPO steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen, weil das Amtsgericht B. für die Widerrufsbeschluss vom 18.8.2008 nicht zuständig war (a.) und deshalb der Beschluss der Beschwerdekammer des Landgerichts B. vom 1.9.2008 als erstinstanzliche Entscheidung zu behandeln ist (b.).
a. Vorliegend war das Amtsgericht B. für die von ihm am 18.8.2008 getroffene Widerrufsentscheidung nicht zuständig, weil § 462a Abs. 6 StPO die Zuständigkeit des Berufungsgerichts (Kleine Strafkammer des Landgerichts B.) begründet hat (LR-Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., Rdn. 45 zu § 462a; BT-Drucks. 8/976, S. 61, 62). Da dem Landgericht B. bei der Übersendung der Strafakten nach Rechtskraft des Urteils vom 26.1.2007 seine Zuständigkeit für die Bewährungsüberwachung (nach § 462a Abs. 6 StPO) nicht bewusst war, kann darin eine konkludente Abgabe der Bewährungsüberwachung nicht gesehen werden. Infolgedessen konnte auch der Beschluss des Landgerichts B. vom 26.7.2011, dem selbst nach Auffassung des Landgerichts nur eine klarstellende Funktion zukommen soll, die Zuständigkeit des Amtsgerichts B. nicht begründen.
b. Nach ganz überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung liegt eine „weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidung“ nach § 310 Abs. 2 StPO dann nicht vor, wenn das Landgericht, das auf die (sofortige) Beschwerde gegen die Entscheidung des objektiv unzuständigen Amtsgerichts als Beschwerdegericht entschieden hat, für die Entscheidung (über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung) sachlich zuständig war, weshalb seine Entscheidung als - mit der (sofortigen) Beschwerde anfechtbare - erstinstanzliche Entscheidung und nicht als unanfechtbare Beschwerdeentscheidung zu behandeln ist (vgl. BayObLGSt 55, 19; OLG Bremen, NJW 1967, 1975; OLG Frankfurt/M, NJW 1980, 1808; OLG Düsseldorf, MDR 1992, 71; SchlHA 2003, 187; KG Berlin, NStZ 2009, 592; OLG Koblenz, NStZ-RR 2011, 211; SK-Frisch, StPO, Rdnrn 7 bis 10 zu § 310 m.w.N.; LR-Matt, StPO, 25. Aufl., Rdn. 9 zu § 310 StPO; HK-Rautenberg, StPO, 4. Aufl., Rdn. 5 zu § 310 StPO; KMR-Blöd, StPO, Rdn. 1 zu § 310 StPO; Graf-Cirener, StPO, Rdn. 6 zu § 310 StPO; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., Rdn. 2 zu § 310 StPO; zu den Fällen, in denen weder das Amtsgericht noch das Landgericht als Beschwerdegericht, sondern die Strafvollstreckungskammer und damit das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zuständig ist: vgl. OLG Hamm, MDR 1981, 425; OLG Düsseldorf, MDR 1982, 518; OLG Karlsruhe, B. v. 29.12.1995 - 1 Ws 276/95; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2001, 111; Senat, Die Justiz 2002, 23; a.A. OLG Naumburg, B. v. 15.12.2000 - 1 Ws 389/99; Thüringer OLG, B. v. 13.4.2010 - 1 Ws 108/10). Grundsätzlich spielt es zwar für die Anwendung des § 310 Abs. 2 StPO keine Rolle, ob dem Landgericht bei seiner Entscheidung ein Fehler unterlaufen ist oder nicht. Jedoch vermag der vorliegende, sich auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 310 Abs. 2 StPO selbst unmittelbar beziehende Irrtum des Landgerichts B. - es treffe, soweit es in der Sache über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung entscheide, eine Beschwerdeentscheidung, obwohl es erstinstanzlich zuständig ist - die Rechtsfolge des § 310 Abs. 2 StPO (keine weitere Anfechtung) nicht zu begründen.
2. Die Beschwerde ist auch begründet, weil die Große Strafkammer des Landgerichts B. für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht zuständig war.
10 
Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an die zuständige Kleine Strafkammer. Zwar wäre der Senat für alle Beschwerden gegen Entscheidungen der Strafkammern des Landgerichts B. zuständig, sodass grundsätzlich eine eigene Entscheidung des Senats nach § 309 Abs. 2 StPO möglich wäre. Vorliegend hat jedoch die (unzuständige) Große Strafkammer des Landgerichts B. vor ihrer Entscheidung vom 1.9.2008 dem Verurteilten nicht Gelegenheit zur mündlichen Anhörung nach § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO gegeben, weshalb eine Zurückverweisung der Sache (an die zuständige Kleine Strafkammer des Landgerichts B.) geboten ist. Ob sich aus dem Umstand, dass der Verurteilte zum Anhörungstermin vor dem unzuständigen Amtsgericht B. am 18.8.2008 nicht erschienen ist, etwas anderes ergibt, kann offen bleiben, weil im Hinblick auf den Umstand, dass zwischenzeitlich seit diesem Zeitpunkt ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist, die Gewährung der Gelegenheit zur mündlichen Anhörung - auch zur möglichen Erörterung der zwischenzeitlich eingetretenen persönlichen Umstände unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - erforderlich ist.

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 28. Okt. 2011 - 3 Ws 398/11; 3 Ws 413/11

Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 28. Okt. 2011 - 3 Ws 398/11; 3 Ws 413/11

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 101


(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 462a Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und des erstinstanzlichen Gerichts


(1) Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte z

Strafprozeßordnung - StPO | § 309 Entscheidung


(1) Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht ohne mündliche Verhandlung, in geeigneten Fällen nach Anhörung der Staatsanwaltschaft. (2) Wird die Beschwerde für begründet erachtet, so erläßt das Beschwerdegericht zugleich die in der Sache erfor
Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 28. Okt. 2011 - 3 Ws 398/11; 3 Ws 413/11 zitiert 7 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 101


(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 462a Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und des erstinstanzlichen Gerichts


(1) Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte z

Strafprozeßordnung - StPO | § 309 Entscheidung


(1) Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht ohne mündliche Verhandlung, in geeigneten Fällen nach Anhörung der Staatsanwaltschaft. (2) Wird die Beschwerde für begründet erachtet, so erläßt das Beschwerdegericht zugleich die in der Sache erfor

Strafprozeßordnung - StPO | § 453 Nachträgliche Entscheidung über Strafaussetzung zur Bewährung oder Verwarnung mit Strafvorbehalt


(1) Die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen (§§ 56a bis 56g, 58, 59a, 59b des Strafgesetzbuches), trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß

Strafprozeßordnung - StPO | § 310 Weitere Beschwerde


(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie 1. eine Ver

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Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 28. Okt. 2011 - 3 Ws 398/11; 3 Ws 413/11 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 28. Okt. 2011 - 3 Ws 398/11; 3 Ws 413/11 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 30. Sept. 2010 - 1 Ws 108/10

bei uns veröffentlicht am 30.09.2010

Diese Entscheidung wird zitiert Tenor Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: Ist in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung weg

Referenzen

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen (§§ 56a bis 56g, 58, 59a, 59b des Strafgesetzbuches), trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte sind zu hören. § 246a Absatz 2 und § 454 Absatz 2 Satz 4 gelten entsprechend. Hat das Gericht über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden, so soll es dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben. Ist ein Bewährungshelfer bestellt, so unterrichtet ihn das Gericht, wenn eine Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder den Straferlaß in Betracht kommt; über Erkenntnisse, die dem Gericht aus anderen Strafverfahren bekannt geworden sind, soll es ihn unterrichten, wenn der Zweck der Bewährungsaufsicht dies angezeigt erscheinen läßt.

(2) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist Beschwerde zulässig. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist oder daß die Bewährungszeit nachträglich verlängert worden ist. Der Widerruf der Aussetzung, der Erlaß der Strafe, der Widerruf des Erlasses, die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe und die Feststellung, daß es bei der Verwarnung sein Bewenden hat (§§ 56f, 56g, 59b des Strafgesetzbuches), können mit sofortiger Beschwerde angefochten werden.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie

1.
eine Verhaftung,
2.
eine einstweilige Unterbringung oder
3.
einen Vermögensarrest nach § 111e über einen Betrag von mehr als 20 000 Euro
betreffen.

(2) Im übrigen findet eine weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidungen nicht statt.

(1) Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befaßt wird, aufgenommen ist. Diese Strafvollstreckungskammer bleibt auch zuständig für Entscheidungen, die zu treffen sind, nachdem die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterbrochen oder die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafvollstreckungskammer kann einzelne Entscheidungen nach § 462 in Verbindung mit § 458 Abs. 1 an das Gericht des ersten Rechtszuges abgeben; die Abgabe ist bindend.

(2) In anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Fällen ist das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig. Das Gericht kann die nach § 453 zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an das Amtsgericht abgeben, in dessen Bezirk der Verurteilte seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat; die Abgabe ist bindend. Abweichend von Absatz 1 ist in den dort bezeichneten Fällen das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig, wenn es die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten hat und eine Entscheidung darüber gemäß § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches noch möglich ist.

(3) In den Fällen des § 460 entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges. Waren die verschiedenen Urteile von verschiedenen Gerichten erlassen, so steht die Entscheidung dem Gericht zu, das auf die schwerste Strafart oder bei Strafen gleicher Art auf die höchste Strafe erkannt hat, und falls hiernach mehrere Gerichte zuständig sein würden, dem Gericht, dessen Urteil zuletzt ergangen ist. War das hiernach maßgebende Urteil von einem Gericht eines höheren Rechtszuges erlassen, so setzt das Gericht des ersten Rechtszuges die Gesamtstrafe fest; war eines der Urteile von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge erlassen, so setzt das Oberlandesgericht die Gesamtstrafe fest. Wäre ein Amtsgericht zur Bildung der Gesamtstrafe zuständig und reicht seine Strafgewalt nicht aus, so entscheidet die Strafkammer des ihm übergeordneten Landgerichts.

(4) Haben verschiedene Gerichte den Verurteilten in anderen als den in § 460 bezeichneten Fällen rechtskräftig zu Strafe verurteilt oder unter Strafvorbehalt verwarnt, so ist nur eines von ihnen für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen zuständig. Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. In den Fällen des Absatzes 1 entscheidet die Strafvollstreckungskammer; Absatz 1 Satz 3 bleibt unberührt.

(5) An Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges, wenn das Urteil von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge erlassen ist. Das Oberlandesgericht kann die nach den Absätzen 1 und 3 zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an die Strafvollstreckungskammer abgeben. Die Abgabe ist bindend; sie kann jedoch vom Oberlandesgericht widerrufen werden.

(6) Gericht des ersten Rechtszuges ist in den Fällen des § 354 Abs. 2 und des § 355 das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen worden ist, und in den Fällen, in denen im Wiederaufnahmeverfahren eine Entscheidung nach § 373 ergangen ist, das Gericht, das diese Entscheidung getroffen hat.

(1) Die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen (§§ 56a bis 56g, 58, 59a, 59b des Strafgesetzbuches), trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte sind zu hören. § 246a Absatz 2 und § 454 Absatz 2 Satz 4 gelten entsprechend. Hat das Gericht über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden, so soll es dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben. Ist ein Bewährungshelfer bestellt, so unterrichtet ihn das Gericht, wenn eine Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder den Straferlaß in Betracht kommt; über Erkenntnisse, die dem Gericht aus anderen Strafverfahren bekannt geworden sind, soll es ihn unterrichten, wenn der Zweck der Bewährungsaufsicht dies angezeigt erscheinen läßt.

(2) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist Beschwerde zulässig. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist oder daß die Bewährungszeit nachträglich verlängert worden ist. Der Widerruf der Aussetzung, der Erlaß der Strafe, der Widerruf des Erlasses, die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe und die Feststellung, daß es bei der Verwarnung sein Bewenden hat (§§ 56f, 56g, 59b des Strafgesetzbuches), können mit sofortiger Beschwerde angefochten werden.

(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie

1.
eine Verhaftung,
2.
eine einstweilige Unterbringung oder
3.
einen Vermögensarrest nach § 111e über einen Betrag von mehr als 20 000 Euro
betreffen.

(2) Im übrigen findet eine weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidungen nicht statt.

(1) Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befaßt wird, aufgenommen ist. Diese Strafvollstreckungskammer bleibt auch zuständig für Entscheidungen, die zu treffen sind, nachdem die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterbrochen oder die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafvollstreckungskammer kann einzelne Entscheidungen nach § 462 in Verbindung mit § 458 Abs. 1 an das Gericht des ersten Rechtszuges abgeben; die Abgabe ist bindend.

(2) In anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Fällen ist das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig. Das Gericht kann die nach § 453 zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an das Amtsgericht abgeben, in dessen Bezirk der Verurteilte seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat; die Abgabe ist bindend. Abweichend von Absatz 1 ist in den dort bezeichneten Fällen das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig, wenn es die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten hat und eine Entscheidung darüber gemäß § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches noch möglich ist.

(3) In den Fällen des § 460 entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges. Waren die verschiedenen Urteile von verschiedenen Gerichten erlassen, so steht die Entscheidung dem Gericht zu, das auf die schwerste Strafart oder bei Strafen gleicher Art auf die höchste Strafe erkannt hat, und falls hiernach mehrere Gerichte zuständig sein würden, dem Gericht, dessen Urteil zuletzt ergangen ist. War das hiernach maßgebende Urteil von einem Gericht eines höheren Rechtszuges erlassen, so setzt das Gericht des ersten Rechtszuges die Gesamtstrafe fest; war eines der Urteile von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge erlassen, so setzt das Oberlandesgericht die Gesamtstrafe fest. Wäre ein Amtsgericht zur Bildung der Gesamtstrafe zuständig und reicht seine Strafgewalt nicht aus, so entscheidet die Strafkammer des ihm übergeordneten Landgerichts.

(4) Haben verschiedene Gerichte den Verurteilten in anderen als den in § 460 bezeichneten Fällen rechtskräftig zu Strafe verurteilt oder unter Strafvorbehalt verwarnt, so ist nur eines von ihnen für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen zuständig. Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. In den Fällen des Absatzes 1 entscheidet die Strafvollstreckungskammer; Absatz 1 Satz 3 bleibt unberührt.

(5) An Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges, wenn das Urteil von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge erlassen ist. Das Oberlandesgericht kann die nach den Absätzen 1 und 3 zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an die Strafvollstreckungskammer abgeben. Die Abgabe ist bindend; sie kann jedoch vom Oberlandesgericht widerrufen werden.

(6) Gericht des ersten Rechtszuges ist in den Fällen des § 354 Abs. 2 und des § 355 das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen worden ist, und in den Fällen, in denen im Wiederaufnahmeverfahren eine Entscheidung nach § 373 ergangen ist, das Gericht, das diese Entscheidung getroffen hat.

(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie

1.
eine Verhaftung,
2.
eine einstweilige Unterbringung oder
3.
einen Vermögensarrest nach § 111e über einen Betrag von mehr als 20 000 Euro
betreffen.

(2) Im übrigen findet eine weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidungen nicht statt.

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Tenor

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Ist in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet worden ist, die vor dem 31. Januar 1998 begangen wurden, die Maßregel nach zehnjährigem Vollzug wegen Erreichens der Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB in der bis zum 31. Januar 1998 gültigen Fassung für erledigt zu erklären oder ist auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) in diesen Fällen weiterhin § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden?

Gründe

I.

A.

1

Der heute 58 Jahre alte Untergebrachte ist in den Jahren 1976, 1977 und 1983 mit insgesamt sechs schweren Gewaltverbrechen, darunter drei Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung, strafrechtlich in Erscheinung getreten:

2

1.

        

2.

        

3.

3

Der Untergebrachte, der sich seit dem 5. September 1983 in Untersuchungshaft befand, verbüßte die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Zweibrücken bis zum 3. September 1990 in der Justizvollzugsanstalt Diez.

B.

4

Seit dem 4. September 1990 – mithin seit 20 Jahren – wird die Sicherungsverwahrung vollzogen, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollstreckt werden durfte. Das Vollzugsverhalten des Untergebrachten war stets beanstandungsfrei.

5

1. Mit Beschluss vom 26. November 1990 hat die Strafvollstreckungskammer es erstmals abgelehnt, den Vollzug der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen (VH Bl. 61 ff.). Sie hat sich dabei auf eine psychologische Stellungnahme des Anstaltspsychologen Dr. ...[A] gestützt (VH Bl. 54 ff.). Nach dessen Einschätzung lag bei dem Untergebrachten eine in der Persönlichkeitsstruktur angelegte Bereitschaft zur Aggression als Reaktion auf menschliche Zurückweisung vor, die noch untherapiert war.

6

Seine Ankündigungen gegenüber dem Anstaltspsychologen, sich psychologischer und sozialtherapeutischer Aufarbeitung stellen zu wollen (VH Bl. 56), setzte der Untergebrachte nur kurzfristig um. Im Dezember 1990 begann er eine Gesprächstherapie mit einer externen Psychologin. Die Maßnahme endete im Juni 1991 mit der Weigerung des Untergebrachten, sie fortzusetzen (Bl. 89 d.A.). Stattdessen beschrieb er den Vollzugsbeamten Halluzinationen, zog sich zurück und äußerte schließlich paranoide Wahnideen (Stellungnahme Dr. ...[A] vom 22.04.1993, VH Bl. 88 <90>). Mit Beschluss vom 12. Juli 1993 lehnte die Strafvollstreckungskammer Diez es erneut ab, den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen (VH Bl. 97 ff.). Zur Bekämpfung der – wie sich später herausstellte – simulierten Wahnvorstellungen des Untergebrachten empfahl sie eine intensive psychiatrische Behandlung. Der Untergebrachte wurde daraufhin einer eingehenden psychiatrischen Untersuchung durch Dr. med. ...[B] in ...[Z] unterzogen, der im April 1994 zu dem Ergebnis kam, in den Jahren 1992/1993 habe – auch wenn der Untergebrachte dies nunmehr abstreite – eine akute paranoide Psychose bestanden, die am ehesten als psychogene Psychose bzw. akute paranoide Reaktion einzustufen sei (Stellungnahme Dr. ...[A] vom 06.07.1994, VH Bl. 114 <115>). Durch Beschluss vom 1. September 1994 lehnte die Strafvollstreckungskammer Diez die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung abermals ab, weil sich infolge jeglicher Mitarbeit am Vollzugsziel zwischenzeitlich keine positiven Veränderungen ergeben hätten (VH Bl. 122 ff.).

7

2. Am 23. März 1995 wurde der Untergebrachte aufgrund eines Verwaltungsabkommens zwischen den Ländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in die Justizvollzugsanstalt ...[W] verlegt (VH Bl. 133, 139), wo die Maßregel weiter vollzogen wurde. Im Zuge der Aufnahme führte er einige Gespräche mit dem Anstaltspsychologen OPR ...[C] (VH Bl. 139 <140>). Mit Beschluss vom 22. April 1996 beauftragte die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg den Sachverständigen Dipl. Psychologe Dr. ...[D], JVA … [Y], mit der Erstellung eines Prognosegutachtens (VH Bl. 150), das dieser unter dem 6. Mai 1996 erstattete (VH Bl. 152-187). Nach den Ausführungen Dr. ...[D] liegen bei dem Untergebrachten keine psychischen Beeinträchtigungen im Sinne der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB vor. Der Untergebrachte räumte gegenüber diesem Sachverständigen überzeugend ein, in den Jahren 1991 – 1993 in der JVA Diez eine paranoide Psychose nur vorgespielt zu haben, um in den Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhauses überwiesen zu werden. Für die berichteten Halluzinationen habe ihm ein konkreter Film als Vorlage gedient. Nach Einschätzung dieses Sachverständigen ist der Untergebrachte „im Kern dem Typ des Vergewaltigers zuzurechnen, der wegen seiner brüchigen männlichen Identität straffällig wird“ (VH Bl. 152 <180>). Bei der letzten Tat habe er sich allerdings als der aus Wut und Hass agierende Vergewaltiger gezeigt (VH Bl. 152 <181>). Obwohl der Untergebrachte sich ihm gegenüber ebenso wenig über emotionale Prozesse und das Erleben der Tathandlungen geäußert hatte wie gegenüber anderen Sachverständigen und „viele Fragen offen“ blieben (VH Bl. 152 <182, 185>), schlug Dr. ...[D] vor, den Untergebrachten nach sorgfältiger Vorbereitung durch psychologische Einzelgespräche in eine Übergangseinrichtung zu entlassen, in der die Gespräche fortgesetzt werden sollten (VH Bl. 152 <187>). Mit Beschluss vom 24. Juni 1996 lehnte die Strafvollstreckungskammer eine bedingte Entlassung des Untergebrachten ab (VH Bl. 195 ff.), weil nach dem Gutachten des Sachverständigen die die Straftat bestimmenden Emotionen und Aggressionen bisher unzureichend aufgearbeitet seien und Wert auf eine Aufarbeitung der aggressiv-sadistischen Reaktionstendenzen zu legen sei.

8

Zwei Jahre später stellte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 1. April 1998 – vor dessen Erlass dem Untergebrachten erstmals ein Pflichtverteidiger bestellt worden war – fest, dass wegen der Weigerungshaltung des Untergebrachten nach wie vor keine Aufarbeitung der Sexualprobleme stattgefunden habe (VH Bl. 213 f.).

9

Obwohl der Untergebrachte bei seiner Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer im Frühjahr 1998 in Aussicht gestellt hatte, nunmehr doch psychologische Gespräche führen zu wollen, änderte sich an seiner Weigerungshaltung nichts (Stellungnahme der JVA ...[W] vom 30.05.2000, VH Bl. 228 <228a>). Der Untergebrachte hatte nur mehr den 3. September 2000 im Blick, an dem die nach § 67d Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB a.F. geltende Höchstfrist von 10 Jahren für den Vollzug der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung enden sollte (Gutachten Dr. ...[D] vom 14.12.2000, VH Bl. 274 <286>). Aber auch nach Wegfall dieser Höchstfrist durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 änderte sich an der Weigerungshaltung des Untergebrachten nichts. Das von der Strafvollstreckungskammer in Auftrag gegebene Gutachten des Dipl. Psychologen Dr. ...[D], das dieser unter dem 14. Dezember 2000 fertigte (VH Bl. 274 – 293), fiel deutlich zurückhaltender als das 1996 von demselben Sachverständigen erstattete aus. Der Sachverständige beschrieb den Untergebrachten, der inzwischen bei einer Körpergröße von 163 cm 115 kg wog, als äußerst kontaktarm. Seine Außenkontakte beschränkten sich – wie seit Beginn der Haft im Jahr 1983 – auf monatliche Telefonate mit den Eltern, insbesondere der Mutter (die Geschwister hatten sich schon bei seiner ersten Inhaftierung von ihm abgewandt). In der Vollzugsanstalt ging er seit April 1999 wieder einer Arbeit (Montage von Elektrokleinteilen) nach. Darüber hinaus hielt er lediglich mit einem Sozialarbeiter und einigen Mitverwahrten Kontakt, mit denen er Schach spielte, die ihm aber zuweilen „auf die Nerven gingen.“ An Freizeitveranstaltungen nahm er mit Ausnahme einer einmal monatlich stattfindenden Gruppenstunde für Sicherungsverwahrte nicht teil. In seinem Haftraum, den er ordentlich und sauber hielt, lenkte er sich mit seinen im Käfig gehaltenen Vögeln ab (Bl. 274 <286>). Nach der Einschätzung des Sachverständigen, die sich weitgehend mit seinem ersten Gutachten deckt, ist „der Verurteilte dem ‘Typ’ des ‘Vergewaltigers’ zuzurechnen, der sich durch Kontaktarmut, Gehemmtheit, Selbstunsicherheit und Depression auszeichnet, dessen männliche Identität brüchig ist und nach Bestätigung sucht. Allerdings zeig(e) er sich in der letzten Tat … auch als der ‘Typ’, der all seine Enttäuschung über misslungene Kontaktversuche an seinem Opfer auslässt, indem er dieses mit brutaler Gewalt, geradezu zerstörerisch und mit erniedrigenden Handlungen sexuell unterdrückt“ (VH Bl. 274 <288>). Der Sachverständige sprach dem Untergebrachten eine gewisse Einsicht in die Tatmotive nicht ab (VH Bl. 274 <290>). Er vermerkte auch positiv, dass der Untergebrachte selbst davon ausging, bei dem Opfer seiner letzten Straftat dauerhaft psychische Schäden verursacht zu haben (VH Bl. 274 <284>). Der Sachverständige hob aber hervor, dass jegliche Einsicht in die bei den Sexualstraftaten wirkenden überschießenden Aggressionen fehle (VH Bl. 274 <290>). Auf der Grundlage dieses Gutachtens und der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt ...[W] vom 24. Januar 2001 (VH Bl. 303 ff.), in der betont wird, dass die Durchführung einer Therapie nicht an einer Verweigerung der Anstalt, sondern allein des immer wieder darauf angesprochenen Untergebrachten gescheitert ist, fiel die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 21. Februar 2001 erneut negativ aus (VH Bl. 310 f.).

10

Unter dem Druck der Gutachterempfehlung erklärte sich der Untergebrachte nach langem Zögern im September 2001 bereit, an einer Psychotherapie durch einen externen Psychotherapeuten teilzunehmen. Er beendete die im März 2002 begonnene Therapie aber nach einigen Sitzungen. Er war nicht in der Lage gewesen, über die seinen Straftaten zu Grunde liegende Motivation zu sprechen. Nachdem ihm nochmals deutlich vor Augen gehalten worden war, dass es nicht ausreiche, sich widerwillig einer als Auflage empfundenen Therapie auszusetzen, er vielmehr Eigenmotivation und Eigenengagement entwickeln müsse, erklärte er sich bereit, einen neuen Versuch mit einem anderen Therapeuten zu unternehmen. Die ihm für die Zwischenzeit angebotene Teilnahme an einem „sozialen Training“ lehnte er mit dem Hinweis ab, dass eine solche Maßnahme bei ihm nicht notwendig sei (VH Bl. 323 <324, 326>; Bl. 361). Angesichts dieser Entwicklung fiel auch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 19. März 2003 negativ aus (VH Bl. 343 f.).

11

3. Am 19. Januar 2004 wurde der Untergebrachte nach Ablauf des Verwaltungsabkommens der beteiligten Bundesländer in die Justizvollzugsanstalt Diez zurückverlegt. Aus gesundheitlichen Gründen arbeitete er seitdem nicht mehr. Ab Frühjahr 2004 führte er mit dem Anstaltspsychologen OPR ...[E] therapeutische Gespräche (VH Bl. 358 <359>; 363 <363R>; 365; 379). Das ihm zur Steigerung der Therapiebereitschaft unterbreitete Angebot einer Ausführung nahm er nicht wahr (VH Bl. 363 <363R>; 379 <379R>). Im Termin zur mündlichen Anhörung durch die Strafvollsteckungskammer Diez des Landgerichts Koblenz erklärte er, nach so langer Zeit alles selbst aufgearbeitet zu haben. Gleichwohl meinte er, früher eine falsche Einstellung gehabt zu haben. Die Therapie helfe ihm. Er gewinne durch sie neue Erkenntnisse. Mit Beschluss vom 10. Februar 2005 ordnete die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung an (VH Bl. 380 ff.). Ausschlaggebend war auch bei dieser Entscheidung, dass eine ausreichende Aufarbeitung der Sexualdelinquenz nicht stattgefunden hatte. Die Strafvollstreckungskammer erachtete die weitere Teilnahme an psychologischen Gesprächen für unabdingbar, um zu einer günstigen Prognose zu gelangen.

12

In der Folgezeit führte der Untergebrachte die Gesprächstherapie weiter durch. Er nahm im Frühjahr 2005 auch an einem einmonatigen Training „Soziale Beziehungen“ teil. Im Herbst 2005 wurden die mit OPR ...[E] geführten, einmal wöchentlich stattfindenden Einzelgespräche abgeschlossen, nachdem der Therapeut damals keinen Ansatz für weitergehende Gespräche sah. Der Anregung des Therapeuten, seine Verlegung in den offenen Vollzug zu beantragen, kam der Untergebrachte jedoch nicht nach. Einen Grund für dieses Verhalten teilte er auch auf Nachfrage nicht mit. Die angebotene Ausführung nahm er unter Berufung auf orthopädische Probleme nicht wahr (VH Bl. 394 <395>; 399 <399R>). Nachdem die Strafvollstreckungskammer Termin zur mündlichen Anhörung des Untergebrachten und des Therapeuten OPR ...[E] bestimmt hatte (VH Bl. 414), teilte der Untergebrachte in einem maschinenschriftlichen – von einem Mitverwahrten gefertigten (s. VH Bl. 428, 599) – Schreiben vom 29. Januar 2007 der Strafvollstreckungskammer mit, dass er OPR ...[E] das Vertrauen entziehe. Nach den geführten Gesprächen habe sich der Vollzugsverlauf nicht zum Positiven gewandelt. Statt weitere Gespräche mit ihm zu führen, habe man ihn dahinsiechen lassen (VH Bl. 422). Im Anhörungstermin vom 15. Februar 2007 erläuterte OPR ...[E], dass der selbstunsichere Untergebrachte nach seiner Einschätzung aus Angst bisher keinen Antrag auf Verlegung in den offenen Vollzug gestellt habe, während der Untergebrachte das abstritt und zur Begründung seines Verhaltens angab, er habe sich angesichts seiner (arthrosebedingten) Gehbehinderung vom offenen Vollzug nichts versprochen, werde aber nunmehr einen Antrag stellen. Eine Erklärung für sein Schreiben vom 29. Januar 2007 blieb er schuldig und blickte stattdessen nur unter sich (VH Bl. 423 f.). Mit Beschluss vom 15. Februar 2007 ordnete die Strafvollstreckungskammer den weiteren Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an (VH Bl. 425 ff.). Das Verhalten des Untergebrachten zeige deutlich, dass die im Gutachten des Sachverständigen Dr. ...[D] vom 14. Dezember 2000 festgestellte Gehemmtheit und Selbstunsicherheit, die zu seinen Taten geführt hätten, immer noch festzustellen sei. Es sei unerlässlich, den Untergebrachten im offenen Vollzug zu erproben, wo er sich begleitend weiteren therapeutischen Gesprächen unterziehen müsse.

13

Bereits am Tag der Anhörung stellte sein damaliger Verteidiger bei der Justizvollzugsanstalt Diez Antrag auf Verlegung des Untergebrachten in den offenen Vollzug. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 22. November 2007 wegen Missbrauchsgefahr abgelehnt (VH Bl. 470 ff.). Grundlage war eine ausführliche psychologische Stellungnahme des Anstaltspsychologen OPR ...[F] vom 11. September 2007 (VH Bl. 460 - 469), wonach bei dem Untergebrachten eine auf eine Entwicklungsstörung im frühen Kindesalter zurückgehende Störung im Sozialverhalten und eine dissoziale Störung mit Elementen des sadistischen Handelns vorlägen, die sich durch Kontakt- und Beziehungsprobleme, Vereinsamung und partielle Verwahrlosung auszeichneten. Der Untergebrachte verfüge über keine sozialadäquaten Regulierungs- und Kompensationsmöglichkeiten als Reaktion auf Zurückweisung und Kränkung. Für den offenen Vollzug sei der Untergebrachte mangels Eigeninitiative sowie wegen fehlenden Interesses an Außenbeziehungen und an einem Arbeitsplatz nicht geeignet. Die therapeutischen Gespräche, die der Untergebrachte eineinhalb Jahre lang wöchentlich geführt habe, seien nicht ausreichend gewesen, um die bestehende Problematik zu behandeln.

14

In der Folgezeit lehnte der Untergebrachte die ihm angebotenen weiteren therapeutischen Gespräche ab (VH Bl. 598).

C.

15

Vor der letzten zweijährigen Regelüberprüfung sprachen sich sowohl die Justizvollzugsanstalt Diez in ihrer – auf die Ausführungen des Anstaltspsychologen OPR ...[F] vom 11. September 2007 gestützten – Stellungnahme vom 27. November 2008 (VH Bl. 450 ff.) als auch die Staatsanwaltschaft Zweibrücken (VH Bl. 475) gegen eine Aussetzung der Maßregel aus.

16

Im Anhörungstermin vor der Strafvollstreckungskammer vom 12. Februar 2009 machte der Untergebrachte deutlich, dass er keine weiteren therapeutischen Gespräche führen wolle. Auch ein weiteres soziales Training lehnte er ab. Ausführungen kämen wegen seiner Knie- und Hüftarthrose – aufgrund derer er Unterarmgehstützen benutzt – nicht in Betracht. Darüber, wie es weitergehen solle, habe er sich keine Gedanken gemacht (VH Bl. 484 f.). Die Strafvollstreckungskammer beschloss daraufhin am selben Tag, ein externes Gutachten zu den Voraussetzungen des § 67d Abs. 3 StGB einzuholen (VH Bl. 486 f.). Mit der Erstattung wurde letztlich Prof. Dr. ...[H] beauftragt (VH Bl. 492), nachdem das – von einem Mitverwahrten gefertigte – Ablehnungsgesuch gegen diesen Sachverständigen rechtskräftig zurückgewiesen worden war (VH Bl. 495 f., 498 f., 512 f.).

17

Am 28. Mai 2009 erlitt der Untergebrachte einen akuten Vorderwandinfarkt. Nach erfolgreicher Stentung im St. ...[G]-Krankenhaus in ...[X] wurde er vom 30. Mai 2009 bis zum 18. Juni 2009 in das Justizvollzugskrankenhaus …[W] verlegt, wo außerdem eine chronische Bronchitis, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2 bei Adipositas und erhöhten Blutfettwerten, ein Glaukom, Alterssichtigkeit und eine Prostatavergrößerung diagnostiziert wurden (VH Bl. 644 f.).

18

Prof. Dr. ...[H] erstattete am 11. September 2009 sein schriftliches Gutachten (VH Bl. 518 - 549), in dem er ausführt, „die Taten zeigten von Fall zu Fall deutlicher ihren Charakter als zumindest mitbegründet in einem abweichenden Sexualverhalten in Form des Sadismus“, das therapeutisch nicht habe bearbeitet werden können (Gutachten S. 26, Bl. 518 <543> VH).

19

In der Folge verzögerte sich die mündliche Anhörung des Sachverständigen und des Untergebrachten durch die Strafvollstreckungskammer wegen erneut erforderlicher medizinischer Untersuchungen und Behandlungen des Untergebrachten (VH Bl. 565 ff.). Er befand sich in der Zeit vom 5. November 2009 bis zum 10. Dezember 2009 und vom 5. bis zum 21. Januar 2010 im Justizvollzugskrankenhaus ...[S] (VH Bl. 644 ff.). Der Verdacht auf eine Darmkrebserkrankung bestätigte sich nicht (VH Bl. 569, 599). Am 6. Januar 2010 wurden im Krankenhaus …[I] in …[V] zwei Herzkranzgefäß-Erweiterungen mit Stent-Implantationen bei dem Untergebrachten durchgeführt. Außerdem wurde eine beginnende Coxarthrose des Hüftgelenks mit noch gut erhaltenem Gelenkspalt und am linken Kniegelenk eine fortgeschrittene drittgradige Varusgonarthrose mit arthrotisierter Randwulstbildung festgestellt, die nach kardialer Ausbehandlung mit einer Knieprothese behandelt werden kann (VH Bl. 644 ff.).

20

Am 18. Februar 2010 hörte die Strafvollstreckungskammer den Untergebrachten und den Sachverständigen Prof. Dr. ...[H] mündlich an (VH Bl. 598 ff.). Der Untergebrachte lehnte dabei weiterhin erneute therapeutische Gespräche ab und gab an, im Falle seiner Entlassung – schon aus gesundheitlichen Gründen – in eine Einrichtung für betreutes Wohnen zu wollen.

21

Mit Beschluss vom 18. Februar 2010 ordnete die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung an. Trotz Ablauf der Regeldauer einer Sicherungsverwahrung von zehn Jahren bestünden konkrete Anhaltspunkte für eine fortdauernde Gefährlichkeit des Untergebrachten. Von ihm seien weitere Sexualstraftaten im Sinne der Anlasstaten mit der Gefahr schwerer körperlicher und seelischer Schäden für die Opfer zu erwarten. Zwar sei das Vollzugsverhalten des Untergebrachten beanstandungsfrei. Auch habe er über eineinhalb Jahre therapeutische Gespräche geführt, die jedoch nicht zu einer ausreichenden Aufarbeitung der sexuellen Deviation geführt hätten. Die Strafvollstreckungskammer stützt ihre Prognose auf das zur Vorbereitung der Entscheidung eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ...[H]. Danach verwiesen die 1983 begangenen Sexualdelikte auf eine handlungsbestimmende sexuelle Deviation im Sinne eines sexuellen Sadismus, die nicht ansatzweise therapeutisch bearbeitet sei. Der Untergebrachte schildere nur den äußeren Ablauf der Taten und lege seine Tatmotive nicht offen. Diese seien mithin in den therapeutischen Gesprächen mit OPR ...[E] nicht bearbeitet worden. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen, die Anlass für die Anordnung der Sicherungsverwahrung waren, unverändert fortbestehen. Auch eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung komme nicht in Betracht. Der Untergebrachte müsse sich zunächst einer Aufarbeitung seiner Störung durch weitere therapeutische Gespräche stellen und in Lockerungen erprobt werden (VH Bl. 601 ff.).

22

Gegen die dem Verteidiger am 1. März 2010 zugestellte (VH Bl. 613) Entscheidung richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 8. März 2010 eingelegte, nicht näher ausgeführte sofortige Beschwerde des Untergebrachten, die am selben Tag bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen ist (VH Bl. 625).

23

Der Senat hat den physischen Gesundheitszustand des Untergebrachten näher aufgeklärt (VH Bl. 629). Nach Auffassung des Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt Diez kann er mit den bereits oben dargestellten Diagnosen unter ärztlicher Kontrolle und regelmäßiger Therapie ein normales Leben führen (Stellungnahme des Anstaltsarztes vom 08.04.2010, VH Bl. 642). Die Justizvollzugsanstalt hat mit Schreiben vom 15. April 2010 zusätzlich mitgeteilt, der Untergebrachte kümmere sich nur unzureichend um seine gesundheitlichen Belange, etwa die Kontrolle des Blutzuckerspiegels. An der Hofstunde nehme er selten, am Sport nie teil. Mangels Training und Alltagsbelastungen verfüge er deshalb derzeit nur über wenig Ausdauer und gerate beim Treppensteigen leicht außer Atem (VH Bl. 638 f.). Am 14. April 2010 hat der Senat darüber hinaus beschlossen, ein internistisches Gutachten des Leiters der inneren Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses ...[S], Dr. med. ...[J], zu der Frage einzuholen, ob und inwieweit der Untergebrachte aufgrund seines physischen Gesundheitszustandes noch zu massivem fremdaggressivem Verhalten in Verbindung mit der Begehung von Sexualstraftaten in der Lage ist (VH BL. 635 f.). Der internistische Sachverständige hat sein schriftliches Gutachten am 6. Mai 2010 gefertigt. Danach haben die behandelnden Kardiologen in einem Arztbrief vom 6. Januar 2010 mitgeteilt: „Bei dem Patienten besteht ein unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund, insbesondere keine kardiopulmonalen Dekompensationszeichen“, d.h. keine die Funktion massiv behindernden Schädigungen des Herzens und der Lunge. Das deckt sich mit den anschließend im Justizvollzugskrankenhaus durchgeführten Kontrolluntersuchungen. Das EKG ergab keine akute Ischämie, das Langzeit-EKG keine höhergradigen Herzrhythmusstörungen. Der Blutdruck war gut eingestellt, die Blutzuckereinstellung zufriedenstellend. An den Hüftgelenken und am rechten Knie fanden sich die bereits beschriebenen degenerativen Veränderungen. Danach ist der Untergebrachte nach Einschätzung des internistischen Sachverständigen aufgrund seiner Herzleistung und seiner orthopädischen Beeinträchtigung nicht als Invalide zu bezeichnen. Er habe in den Räumen des Justizvollzugskrankenhauses frei gehen können, wenn er auch zuweilen über Schmerzen in den Gelenken geklagt habe. Auch zu massivem fremdaggressivem Verhalten, auch in Verbindung mit der Begehung von Sexualstraftaten, ist er nach der Beurteilung des Sachverständigen, der den Untergebrachten bei seinen insgesamt mehrmonatigen Aufenthalten im Justizvollzugskrankenhaus regelmäßig visitiert hat, in der Lage. Inwieweit der Untergebrachte infolge seines Diabetes mellitus möglicherweise unter Potenzstörungen leidet, die ihm den Geschlechtsakt – nicht aber physische Gewalteinwirkung – unmöglich machen könnten, vermochte der internistische Sachverständige nicht zu beurteilen (VH Bl. 644 - 648).

24

Mit Beschluss vom 7. Juni 2010 (VH Bl. 658 - 670) hat der Senat festgestellt, dass die weitere Vollstreckung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung nicht aufgrund des seit dem 10. Mai 2010 endgültigen Kammerurteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 für erledigt zu erklären ist. In derselben Entscheidung hat der Senat beschlossen, ein neues psychiatrisches Gutachten eines Sachverständigen zu der Frage einzuholen, ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten aufgrund seines Hanges weiterhin zu erwarten sind (§§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO, 67d Abs. 3 Satz 1 StGB). Zur Begründung dieser Entscheidung hat er im Einzelnen ausgeführt, dass das von der Strafvollstreckungskammer verwertete Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ...[H] nicht den an ein Prognosegutachten zu stellenden Anforderungen der Vollständigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit entspricht. Mit Beschluss vom 15. Juni 2010 hat der Senat nach Anhörung des Untergebrachten und der Generalstaatsanwaltschaft den Sachverständigen Dr. med. …[K] aus ...[U] mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt.

25

Das Gutachten hat Dr. ...[K] am 13. August 2010 erstellt (VH Bl. 699 - 879).

26

Am 29. September 2010 hat der Senat die Sachverständigen Dr. ...[K] und Dr. ...[J] unter Mitwirkung des Beschwerdeführers und seines Verteidigers sowie den Beschwerdeführer selbst mündlich angehört. Dieser hält sich nach wie vor nicht mehr für therapiebedürftig und will allenfalls unter dem Druck der weiteren Vorstreckung der Unterbringung eine neue Therapie durchführen. Er ist der Auffassung aufgrund des Urteils des EGMR vom 17. Dezember 2009 und aufgrund seines körperlichen Gesundheitszustands aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden zu müssen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Anhörungsprotokoll Bezug genommen (VH Bl. 895 - 902).

27

Der Senat hat den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör zur beabsichtigten Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG in der Fassung des am 30. Juli 2010 in Kraft getretenen Vierten Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 24. Juli 2010 gewährt. Der Verteidiger und der Beschwerdeführer haben bereits im Anhörungstermin mitgeteilt, dass sie keine Stellungnahme abgeben (VH Bl. 894 <901 f.>). Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Anfrage mitgeteilt, dass sie der beabsichtigten Vorlage zustimme. Eine weitergehende Stellungnahme ist von ihr nicht beabsichtigt (VH Bl. 904).

II.

28

Der Senat beabsichtigt, die gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Untergebrachten als unbegründet zu verwerfen.

A.

29

Bereits durch den in vorliegender Sache ergangenen Beschluss vom 7. Juni 2010 hat der Senat festgestellt, dass die weitere Vollstreckung der durch Urteil der 1. Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 5. Juni 1984 – 6 Js 7461/83.1 KLs – angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht allein aufgrund des seit dem 10. Mai 2010 endgültigen Kammerurteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 – Individualbeschwerde Nr. 19359/04 – (NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig a.a.O. S. 233 ff.) für erledigt zu erklären ist. Zu der entscheidungserheblichen Frage haben sich der Senat im Beschluss vom 7. Juni 2010 und der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in seinem Beschluss vom 16. Juli 2010 – 2 Ws 253/10 – übereinstimmend wie folgt geäußert:

30

„Der Senat sieht sich nicht daran gehindert, die Fortdauer der Unterbringung nach Maßgabe des § 67d Abs. 3 StGB über zehn Jahre hinaus fortdauern zu lassen, auch wenn diese Vorschrift erst durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) mit Wirkung zum 31. Januar 1998, mithin nach den Anlasstaten und Erlass des dem Maßregelvollzug zugrunde liegenden Urteils […], in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden ist und in der zur Zeit der Taten und des Urteilserlasses geltenden Fassung des § 67d StGB die Dauer der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung selbst bei fortbestehender Gefährlichkeit des Untergebrachten auf zehn Jahre begrenzt war (§ 67d Abs.1 StGB a.F.). Art. 1a EGStGB sah nach Inkrafttreten des bezeichneten Gesetzes vom 26. Januar 1998 bis zum Jahr 2004 ausdrücklich vor, dass die Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB uneingeschränkt Anwendung findet. Demzufolge betraf der Wegfall der Zehnjahresgrenze auch Straftäter, die ihre Tat vor Verkündung und Inkrafttreten der Neufassung begangen hatten und vor diesem Zeitpunkt verurteilt worden waren.

31

Diese Regelung nach Art. 1a EGStGB findet ihre Fortsetzung in § 2 Abs. 6 StGB. Danach ist über Maßregeln der Besserung und Sicherung, zu denen gem. § 61 Nr. 3 StGB die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zählt, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Diese Vorschrift bezieht sich sowohl auf die Anordnung als auch auf die Vollstreckung der Maßregeln (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - Absatz-Nr. 182 m.w.N., BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.), so dass sie, da anders lautende Gesetzesbestimmungen fehlen, auch für die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung die Anwendung des zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechts bestimmt.

32

Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit inzwischen endgültigem Kammerurteil vom 17. Dezember 2009 - Individualbeschwerde Nr. 19359/04 - (NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig a.a.O. S. 233 ff.) in einem gleich gelagerten Fall, in dem Anordnung der Sicherungsverwahrung und Anlasstat ebenfalls zeitlich vor Inkrafttreten der Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB lagen, die Fortdauer der Unterbringung über zehn Jahre hinaus als unvereinbar mit Artikel 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) angesehen hat. Der Gerichtshof verneint einen Kausalzusammenhang zwischen dem die Sicherungsverwahrung anordnenden Urteil des Tatgerichts und der Fortdauer der Maßregel über zehn Jahre hinaus, weil die Fortdauer nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahr 1998 ermöglicht wurde. Damit fehlt dem Freiheitsentzug der in Betracht zu ziehende Rechtfertigungsgrund gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 lit.a. EMRK (EGMR a.a.O. Ziff. 100, 105). Darüber hinaus bewertet der Gerichtshof die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Konvention, die Verlängerung der Unterbringung nach § 67d Abs. 3 StGB nicht als bloße Vollstreckungsmaßnahme, sondern als zusätzliche Strafe, die gegen den Beschwerdeführer nachträglich nach einem Gesetz verhängt wurde, das erst nach Begehung der Anlasstat in Kraft trat. Darin sieht er konventionswidrige Rückwirkung, da die zur Tatzeit geltenden Strafbestimmungen klar und unmissverständlich eine Höchstfrist von zehn Jahren für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung festlegten (EGMR a.a.O. Ziff. 133 - 136).

33

Das Urteil des EGMR gibt jedoch keine Veranlassung, anders als auf Grundlage des geltenden § 67d Abs. 3 StGB über die Fortdauer der Unterbringung zu entscheiden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25. Mai 2010 - 2 Ws 169 und 170/10 -; s. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Juni 2010 - 1 Ws 57/10 -, wonach das Urteil des EGMR jedenfalls nicht die sofortige Freilassung in Parallelfällen zur Folge hat; a.A. - obiter dictum - OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 2010 - III-4 Ws 114/10 -):

34

1. Das Urteil entfaltet Rechtskraft- und unmittelbare Bindungswirkung nur innerhalb des Beschwerdegegenstands (§ 46 Abs. 1 EMRK). Sie geht über den konkret entschiedenen Fall nicht hinaus, so dass Dritten, auch wenn sie sich auf einen gleich gelagerten Sachverhalt berufen können, daraus keine Rechte entstehen.

35

Zwar folgt aus Art. 1 EMRK eine Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats, eine durch den Gerichtshof festgestellte Konventionsverletzung auch in Parallelfällen zu beenden. Urteile des EGMR haben jedoch keine Gesetzeskraft. Sie wirken nicht unmittelbar in die nationale Rechtsordnung hinein und können damit eine konventionskonforme innerstaatliche Rechtslage nicht erzeugen. Eine innerstaatliche Bindungswirkung geht von ihnen insoweit aus, als sie von allen staatlichen Organen innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs und der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung zu beachten sind (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - Absatz-Nr. 45, 46, 47, BVerfGE 111, 307 ff. = NJW 2004, 3407 ff.).

36

Gerichte als Träger der rechtsprechenden Gewalt haben die Europäische Menschenrechtskonvention, die - in der Auslegung durch den EGMR - innerstaatlich im Range eines förmlichen Bundesgesetzes gilt, im Rahmen ihrer Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG zu berücksichtigen. Das bedeutet aber nicht, dass die Rechtsprechung Urteile des EGMR ungeachtet der staatlichen Kompetenzverteilung und der Rechtsordnung im Übrigen schematisch umzusetzen hätte. Entscheidungen des EGMR können die Gerichte nur insoweit beachten, als dies innerhalb der bestehenden Rechtsordnung im Wege einer methodisch vertretbaren Gesetzesauslegung möglich ist (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 47, 50, 53; vgl. auch OLG Celle a.a.O. mit Ausführungen zur abweichenden Auffassung Kinzig a.a.O. S. 238).

37

2. Eine Umsetzung der festgestellten Konventionsverstöße dahingehend, dass in den Fällen einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung, in denen Anlasstat und Urteil zeitlich vor dem 31. Januar 1998 liegen („Altfälle“), eine Höchstdauer der Unterbringung von zehn Jahren gilt und nach deren Ablauf die Maßnahme für erledigt zu erklären ist, kann durch Auslegung der gegebenen Gesetzeslage jedoch nicht erreicht werden.

38

a) Einer Auslegung der §§ 67d Abs. 3, 2 Abs. 6 StGB in diesem Sinn steht schon der Wortlaut dieser Vorschriften entgegen. Er schließt alle Fälle der Sicherungsverwahrung in die Gesetzesregelung mit ein und lässt eine Ausnahme für die Altfälle nicht zu. Eine abweichende Interpretation dieser Vorschriften, die mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar wäre, scheidet damit von vornherein aus. Der Wortlaut bildet die Grenze jeder Auslegung (vgl. nur Fischer, StGB, 57. Aufl., § 1 Rn. 10; Dannecker in LK, StGB, 12. Aufl., § 1 Rn. 307, jeweils m.w.N.).

39

Dem Wortlaut der Vorschriften kann nicht dadurch entsprochen werden, dass dem Urteil des EGMR die Wirkung einer „anderen gesetzlichen Bestimmung“ beigemessen wird, die eine Ausnahme von dem in § 2 Abs. 6 StGB enthaltenen Grundsatz anordnet, bei Entscheidungen über Maßregeln der Besserung und Sicherung das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht anzuwenden (so Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15. Januar 2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009, S. 39 - 45). Abgesehen davon, dass die EMRK in Ausgestaltung durch den EGMR zwar im Rang eines förmlichen Bundesgesetzes zu beachten ist, jedoch nicht rechtsgestaltend in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinwirken kann, trifft das Urteil des EGMR keine Aussage zum Regelungsinhalt des § 2 Abs. 6 StGB. Es sieht die Sicherungsverwahrung vielmehr als Strafe, die Verlängerung der Unterbringung über zehn Jahre hinaus als zusätzliche Bestrafung an und betrifft damit den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 StGB, so dass es schon inhaltlich nicht als ausdrückliche Gesetzesbestimmung im Sinne des für die Maßregeln der Besserung und Sicherung geltenden Absatzes 6 angesehen werden kann.

40

b) § 67d Abs. 4 StGB kann gleichfalls nicht im dargestellten Sinn ausgelegt werden (so aber Grabenwarter a.a.O. S. 46 - 48). Der Wortlaut der Vorschrift, wonach der Untergebrachte nach Ablauf der Höchstfrist zu entlassen und die Maßregel damit erledigt ist, ließe sich zwar für sich betrachtet auch, da er keine Einschränkung auf bestimmte Unterbringungsmaßregeln enthält, auf die Sicherungsverwahrung beziehen. Einer solchen Auslegung stünde jedoch der Grundsatz der Gesetzeseinheit entgegen. Eine Einzelnorm ist nicht isoliert, sondern im Gesetzeskontext auszulegen. Nach der Gesetzessystematik regelt § 67d Abs. 4 StGB allein die Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Denn nur für diese sieht § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB eine Höchstfrist vor.

41

Darüber hinaus widerspräche eine solche Auslegung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers, die der Neuregelung des § 67d StGB durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 zugrunde liegt. Es war sein erklärter Wille, dass der Wegfall der Zehnjahresdauer gem. § 67d Abs. 1 StGB a.F. nicht nur für künftige Anordnungen der Sicherungsverwahrung, sondern auch für „Altfälle“ gilt. Im Gegensatz zur Neuregelung in § 66 Abs. 3 StGB sollten die Änderungen in § 67d StGB durch Art. 1a Abs. 3 EGStGB uneingeschränkt rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Da diese Änderungen im Gegensatz zur Regelung in § 66 Abs. 3 StGB nicht die Anordnung, sondern lediglich die Dauer der Sicherungsverwahrung betreffen, sah der Gesetzgeber darin keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot (BT-Drucksache 13/9062 S. 12).

42

Zugleich stehen Sinn und Zweck des Gesetzes einer die „Altfälle“ der Sicherungsverwahrung in die Regelung des § 67d Abs. 4 StGB mit einbeziehenden Auslegung entgegen. Es war das gesetzgeberische Ziel, mit der Neuregelung einen möglichst umfassenden Schutz der Allgemeinheit vor drohenden schwersten Rückfalltaten bereits als gefährlich bekannter, in der Sicherungsverwahrung untergebrachter Gewalt- und Sexualstraftäter zu gewährleisten (BT-Drucksache 13/9062 S. 10; BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - Absatz-Nr. 189 a.a.O.). Eine Gesetzesauslegung, die dazu führte, die vom Gesetzgeber aufgegebene Zehnjahreshöchstdauer für die erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung wieder zur Geltung zu bringen und die vor der Gesetzesänderung untergebrachten Straftäter zu entlassen, wäre mit diesem Schutzzweck des Gesetzes nicht vereinbar.

43

Über den erklärten Willen des Gesetzgebers und die von ihm verfolgten Zwecke kann sich eine Gesetzesauslegung nicht hinwegsetzen. Aus der gesetzgeberischen Entscheidung, die Änderungen in § 67d StGB uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen, ergibt sich zugleich, dass hinsichtlich der „Altfälle“ keine planwidrige Regelungslücke im Gesetz besteht, die durch eine analoge Anwendung des § 67d Abs. 4 StGB zu füllen wäre.

44

c) Der Weg, den Konventionsverstößen durch eine verfassungskonforme Auslegung der Gesetzeslage Geltung zu verschaffen und bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung über das grundgesetzlich verankerte Rückwirkungsverbot und Rechtsstaatsprinzip zur Anwendung des Tatzeitrechts gem. § 2 Abs. 1 StGB zu gelangen, ist dem Senat von Gesetzes wegen verschlossen. Zwar beeinflussen die Gewährleistungen der EMRK die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen, sofern dies nicht zu einer - von der Konvention selbst nicht gewollten - Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes führt (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - Absatz-Nr. 32 a.a.O.).

45

Die Rückwirkung des § 67d Abs. 3 StGB auf die bereits abgeurteilten „Altfälle“ ist jedoch durch das Bundesverfassungsgericht gerade in dem vom EGMR entschiedenen Fall für verfassungsgemäß erklärt worden (Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.). Es hat die Regelung sowohl am absoluten Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 123 - 165) als auch unter dem Gesichtspunkt einer „echten“ und „unechten“ Rückwirkung am rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot nach Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gemessen (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 166 - 189). Es hat die Sicherungsverwahrung nicht als staatliche Eingriffsmaßnahme im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG angesehen und in der ab 31. Januar 1998 auch für „Altfälle“ gültigen Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB und Art. 1a Abs. 3 EGStGB lediglich eine tatbestandliche Rückanknüpfung („unechte“ Rückwirkung) erkannt, die weder die Rechtsfolge aus der Anlasstat nachträglich ändert noch die im Strafurteil rechtskräftig festgesetzten Rechtsfolgen revidiert (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 176, 177).

46

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (veröffentlicht in BGBl. I 2004, 1069) hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG). Sie lässt daher nicht zu, entsprechend der Vorgabe des EGMR die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG und die Anordnung der Maßregelfortdauer über zehn Jahre hinaus als weitere, nicht mehr auf das Strafurteil zurückzuführende Bestrafung zu bewerten.

47

Abgesehen davon könnte auch eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung zu keinem Normverständnis führen, das im Widerspruch zu dem klar und eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers steht. Ebenso wenig wie die übrigen Auslegungsmethoden darf sie den normativen Gehalt der auszulegenden Vorschriften grundlegend neu bestimmen und das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 1 BvR 2269/07 - Absatz-Nr. 4, BauR 2009, 1424 f.; Dannecker in LK, a.a.O. § 1 Rn. 329, jeweils m.w.N.).

48

3. Nach alledem besteht keine Möglichkeit, die EMRK in der Ausgestaltung durch das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 im Wege der Gesetzesauslegung mit den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs in Einklang zu bringen. Der Hinweis Grabenwarters (a.a.O. S. 29), dass die vom zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgehende Bindungswirkung sich nicht auf die gegebene Gesetzeslage bezieht, sondern auch andere Gesetzesregelungen oder die Rückkehr zur früheren Lösung des Gesetzgebers zulässt, vermag daran nichts zu ändern. Die Suche nach neuen Gesetzeslösungen oder die Entscheidung, bezüglich der „Altfälle“ zur früheren Rechtslage zurückzukehren, fällt, da sie die Grenzen der Gesetzesauslegung überschreitet, nicht mehr in den Aufgabenbereich der Gerichte. Eine Umsetzung des Urteils des EGMR in das innerstaatliche Recht muss daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

49

4. Die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB). Zwar wird der Gesetzgeber aufgrund der von dem Urteil des EGMR ausgehenden Bindungswirkung die vor dem 31. Januar 1998 gültig gewesene Zehnjahresdauer bei Regelung der „Altfälle“ wieder beachten müssen. Das führt jedoch nicht dazu, dass die Maßregel schon vor einer gesetzlichen Neuregelung für unverhältnismäßig zu erklären und der Untergebrachte zu entlassen ist. Denn die sofortige Beendigung der Freiheitsentziehung würde dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls zuwiderlaufen und ihm in Bezug auf die „Altfälle“ die vom Gesetzgeber durch rückwirkenden Wegfall der Zehnjahresdauer geschaffene Grundlage entziehen. Dieses Gemeinwohlinteresse, das darin besteht, die Allgemeinheit vor drohenden schwersten Rückfalltaten gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter zu schützen, ist dem Freiheitsanspruch des Untergebrachten gegenüberzustellen. Ebenso wie der Staat die Grundrechte des Einzelnen zu wahren hat, ist er nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet, sich schützend und fördernd vor das Leben potentieller Opfer zu stellen und deren Leben insbesondere vor rechtswidrigen Angriffen von Seiten anderer zu bewahren (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 2 BvR 2307/06 - Absatz-Nr. 19, EuGRZ 2010, 145 ff.; Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 u. 1588/02 - Absatz-Nr. 163, 164 jeweils m.w.N., BVerfGE 109, 190 ff. = NJW 2004, 750 ff.; BGH, Beschluss vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 - Absatz-Nr. 68, NJW 2010, 1539 <1544>).

50

Der Schutz vor Verurteilten, von denen auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen und zehnjähriger Sicherungsverwahrung die Gefahr erheblicher Straftaten ausgeht, durch welche die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden, stellt ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar.Die Abwägung der Rechtsgüter ergibt daher, dass der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten bis zu einer gesetzlichen Neuregelung (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 u. 1588/02 - Absatz-Nr. 164 a.a.O.) bzw. bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den bereits anhängigen Hauptsacheverfahren 2 BvR 769/10 und 2 BvR 2365/09 (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2009 - 2 BvR 2365/09 - und vom 19. Mai 2010 - 2 BvR 769/10 -, beide in juris) hinzunehmen ist. Nach dem angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom [..] und deren vorangegangenem rechtskräftigen Beschluss vom [..] geht von dem Verurteilten nach wie vor die hohe Gefahr gravierender Sexualstraftaten aus, durch die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden. Eine sofortige Entlassung, auf die weder der Untergebrachte selbst noch die Allgemeinheit vorbereitet ist, würde die von ihm ohnehin ausgehende Gefährlichkeit nochmals erheblich erhöhen. Es kann erwartet werden, dass der Gesetzgeber die Entlassung der Straftäter aus der Unterbringung in den „Altfällen“ so regeln wird, dass der Schutz der Allgemeinheit so weit als möglich gewährleistet wird. Bis dahin muss der Freiheitsanspruch hinter dem Gemeinwohlinteresse zurücktreten.“

51

An dieser Rechtsauffassung hat der Senat in Kenntnis der zwischenzeitlich veröffentlichten Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 in mehreren Parallelverfahren festgehalten (Beschlüsse 1 Ws 240/10 und 1 Ws 248/10 vom 22.06.2010 sowie 1 Ws 249/10 vom 01.07.2010). Aufgrund der inzwischen ergangenen anders lautenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt 3 Ws 485/10 vom 24. Juni 2010 hat der Senat ebenfalls keine Veranlassung gesehen, seine Auffassung zu ändern und hat ergänzend ausgeführt (Beschluss 1 Ws 249/10 vom 01.07.2010):

52

„1. Die zwischenzeitlich veröffentliche Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2010 (Az.: 4 StR 577/09) gibt dazu keine Veranlassung.

53

In seiner Entscheidung, die keine Bindungswirkung entfaltet, vertritt der Bundesgerichtshof die Auffassung, § 2 Abs. 6 StGB sei mit Blick auf die Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden dürfe. Das nationale Recht sei wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der EMRK auszulegen. Nach Maßgabe dieser Grundsätze sei bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK als (einfach-) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsehe (BGH a.a.O.). Die Anwendung des Tatzeitrechts würde im vorliegenden Fall die Dauer der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzen.

54

Der Senat vermag diese Rechtsansicht nicht zu teilen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Entscheidung vom 14. Oktober 2004 (BVerfGE 111, 307 ff. = NJW 2004, 3407 ff.) mit der Frage auseinander gesetzt, in welcher Weise deutsche Gerichte Entscheidungen des EGMR berücksichtigen müssen. Es hat hierzu ausgeführt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes stünden. Diese Rangzuweisung führe dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden hätten. Die Konvention verhalte sich aber grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsordnung und solle anders als das Recht einer supranationalen Organisation nicht in die staatliche Rechtsordnung unmittelbar eingreifen. Innerstaatlich würden durch entsprechende Konventionsbestimmungen in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz sowie durch rechtsstaatliche Anforderungen (Art. 20 Abs. 3, 59 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) alle Träger der deutschen öffentlichen Gewalt grundsätzlich an die Entscheidungen des Gerichtshofs gebunden. Danach unterlägen auch die deutschen Gerichte einer Pflicht zur Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische „Vollstreckung” könne aber gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen. Wenn der Gerichtshof in einem konkreten Beschwerdeverfahren unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland einen Konventionsverstoß festgestellt habe und dieser Verstoß andauere, sei die Entscheidung des Gerichtshofs im innerstaatlichen Bereich zu berücksichtigen. Das bedeute, die zuständigen Behörden oder Gerichte müssten sich mit der Entscheidung erkennbar auseinander setzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (vgl. BVerfG a.a.O.).

55

Eben dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 7. Juni 2010 getan und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die schematische Umsetzung der Entscheidung des EGMR mit der bestehenden Gesetzeslage nicht vereinbar ist. Daher vermag sich der Senat auch der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht anzuschließen.

56

Hinzu kommt, dass offenbar auch der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Rechtsauffassung des 4. Strafsenats nicht teilt. In einer ebenfalls am 12. Mai 2010 erlassenen Entscheidung (Az.: 2 StR 171/10) hat der 2. Strafsenat keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 66b StGB geäußert, obwohl diese Norm auch in dem von ihm entschiedenen Fall zum Zeitpunkt des Anlassurteils, das am 14. September 1995 erging, noch nicht in Kraft getreten war. Wäre nach Auffassung des 2. Strafsenats das Tatzeitrecht für die Anordnung der Sicherungsverwahrung maßgeblich, so hätte die von dem Senat getroffene Entscheidung, die auf die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 66b Abs. 2 StGB gestützt wird und eine Zurückverweisung zur neuen Sachverhaltsfeststellung beinhaltet, nicht ergehen dürfen, da die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung erst mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 2004, S. 1838 ff.) geschaffen wurde.

57

2. Der zwischenzeitlich ergangene Beschluss des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 24. Juni 2010 (Az.: 3 Ws 485/10) vermag den Senat ebenfalls nicht zu einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung zu bewegen.

58

Das Oberlandesgericht Frankfurt hält in seiner Entscheidung eine Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR im Zuge der Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB dergestalt für möglich, dass für „Altfälle“ die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 67d Abs. 1 S. 1 StGB a.F. zur Anwendung zu bringen sei, die die Dauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt habe. Dieser Auslegung stehe weder der Wille des Gesetzgebers noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen.

59

Dem vermag der Senat nicht beizutreten. Es war bei der gesetzlichen Neureglung des Jahres 1998 gerade der erklärte Wille des Gesetzgebers, die neue Rechtslage auch auf Fälle zur Anwendung zu bringen, in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits in zuvor ergangenen Urteilen getroffen worden war.

60

Davon gehen nun auch der 1. und der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg in zwei ebenfalls am 24. Juni 2010 getroffenen Entscheidungen (Az.: 1 Ws 315/10 und 2 Ws 78/10) aus. Die Senate haben jeweils ausgeführt, dass es im Wege der Auslegung nicht möglich sei, die Regelungen von Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK nach Maßgabe der Rechtsprechung des EGMR mit der derzeit gültigen deutschen Rechtslage, wie sie vom Bundesverfassungsgericht interpretiert werde, in Einklang zu bringen. Daher verbleibe es bei der Anwendbarkeit der vom Gesetzgeber in § 67d StGB angeordneten Anwendung der Neuregelung auch auf „Altfälle“. Aus Art. 1 a Abs. 3 EGStGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 und aus § 2 Abs. 6 StGB n.F. werde der Wille des Gesetzgebers erkennbar, die Verlängerung der Sicherungsverwahrung auch auf „Altfälle“ anzuwenden. Außerdem müsse der gegenüber den Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRG höherrangige Art. 2 Abs. 2 GG mit der dort vorzunehmenden Berücksichtigung der Grundrechte Dritter – und der sich daraus ergebenden Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor das Leben potentieller Opfer zu stellen und deren Leben vor rechtswidrigen Angriffen Dritter zu bewahren – angewendet und zur Geltung gebracht werden, was ebenfalls einer Umsetzung der Entscheidung des EGMR durch Auslegung entgegen stehe.“

61

Dem hat sich der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in seinem Beschluss vom 16. Juli 2010 – 2 Ws 253/10 – angeschlossen und nach erneuter Überprüfung der Rechtslage unter Berücksichtigung weiterer, eine andere Meinung vertretender Entscheidungen der Oberlandesgerichte Frankfurt, Schleswig und Karlsruhe zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass gesehen. In seiner Divergenzvorlage gem. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG vom 1. September 2010 – 2 Ws 370/10 – hat der 2. Strafsenat an der dargestellten Auffassung weiter festgehalten und ergänzend ausgeführt (Beschluss S. 28 f.):

62

„Er sieht die Regelung der „Altfälle“ weiterhin als Aufgabe des Gesetzgebers an. Ohne eine gesetzliche Regelung ist es auch fraglich, ob im Fall einer Erledigung der Unterbringung wegen Erreichens der Höchstfrist gem. § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. dem Schutz der Allgemeinheit zumindest durch Anordnung der Führungsaufsicht Rechnung getragen werden könnte. Das setzte nach § 68 Abs. 2 StGB eine entsprechende Gesetzesvorschrift voraus. Das gem. § 2 Abs. 6 StGB insoweit anzuwendende geltende Recht kennt keine Höchstfrist für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und dementsprechend auch keine Regelung der Führungsaufsicht für eine Erledigung wegen Fristablaufs mehr, so dass in den „Altfällen“ weder § 67d Abs. 3 Satz 2 noch § 67d Abs. 4 Satz 3 StGB unmittelbar einschlägig wären. § 67d Abs. 4 StGB in der vor dem 31. Januar 1998 gültig gewesenen Fassung, der den Eintritt der Führungsaufsicht nach Ablauf der zehnjährigen Höchstfrist für die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorschrieb, ist durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. e) des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 aufgehoben worden. Ob das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009, selbst wenn es als „andere gesetzliche Bestimmung“ im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB aufzufassen wäre, die alte Rechtslage nicht nur zur Höchstfrist der Sicherungsverwahrung, sondern auch zur Führungsaufsicht, zu der es sich nicht verhält, wieder aufleben ließe, erscheint zumindest zweifelhaft.

63

Nach Ansicht des Senats kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung daher nicht allein aufgrund der Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 für erledigt erklärt werden.“

64

Dem schließt sich der 1. Strafsenat an. Er hält nach erneuter Überprüfung der Rechtslage unter Berücksichtigung sämtlicher im folgenden genannter, der beabsichtigten Entscheidung entgegenstehender Beschlüsse der Oberlandesgerichte Frankfurt, Hamm, Schleswig und Karlsruhe an seiner Rechtsprechung fest, dass in Altfällen die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug der Maßregel nicht allein wegen Erreichens der Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB in der bis zum 31. Januar 1998 gültigen Fassung für erledigt zu erklären, sondern auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) in diesen Fällen weiterhin § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden ist.

B.

65

Die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung kann nicht für erledigt erklärt werden.

66

§ 67d Abs. 3 Satz 1 StGB bestimmt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis dahingehend, dass die Unterbringung nach einer zehnjährigen Vollzugsdauer zwingend für erledigt erklärt werden muss, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hangs weitere erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Danach setzt die Erledigung der Maßregel keine positive Prognose voraus. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass sich die Gefährlichkeit nach Ablauf von zehn Jahren regelmäßig erledigt hat. Zweifel an der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten müssen sich daher zugunsten des Untergebrachten auswirken. Der Fortbestand der Unterbringung ist nur gerechtfertigt, wenn konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte vorliegen, dass die Gefährlichkeit des Untergebrachten entgegen der gesetzlichen Vermutung weiter fortbesteht (BVerfG, Beschluss vom 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, Absatz-Nr. 111; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 67d Rn. 15).

67

Eine solche negative Prognose ist dem Beschwerdeführer vorliegend zu stellen. Der Untergebrachte ist nach wie vor gefährlich. Der Senat ist davon überzeugt, dass von dem Untergebrachten auch nach zwanzigjährigem Maßregelvollzug infolge seines Hanges noch eine hohe Gefahr weiterer schwerer Gewaltstraftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erwachsener Frauen ausgeht. Von ihm sind weitere Straftaten der schweren und der besonders schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3, Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 lit. a StGB zu erwarten. Die Vergewaltigung zählt als Verbrechen zu den Katalogtaten gem. § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, der, ebenso wie § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB, durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden ist. Aus der darin zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers folgt, dass bereits die nicht nach § 177 Abs. 3 oder 4 StGB qualifizierte Vergewaltigung als erhebliche Straftat mit der Gefahr schwerer körperlicher oder seelischer Schäden für die Opfer im Sinne der genannten Vorschrift des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB einzustufen ist. Das gilt hier umso mehr, als von dem Untergebrachten mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin Vergewaltigungen unter Einsatz gefährlicher Werkzeuge, wie Messer und Schraubenzieher – wie bei den Taten vom 14. Juni 1976, vom 1. - 4. September 1983 und vom 5. September 1983 – und weiterhin auch Vergewaltigungen drohen, die – wie die Tat vom 1. - 4. September 1983 – das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringen oder bei denen das Opfer – wie bei der Tat vom 5. September 1983 – körperlich schwer misshandelt wird.

68

Die negative Prognose ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. ...[K], das den Senat uneingeschränkt in die Lage versetzt, die Rechtsfrage des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB eigenverantwortlich zu beantworten.

69

1. Das Gutachten hält der richterlichen Kontrolle stand. Es entspricht den an ein Prognosegutachten zu stellenden Anforderungen der Vollständigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit (BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -, Absatz-Nr. 120 - 123, BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.; Senat StV 1999, 496, 497 und Beschluss 1 Ws 141/07 vom 19.11.2007; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2006, 90 <92 f.>; KG NStZ 1999, 319, 320; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537 ff.).

70

a) Die vom Sachverständigen verwerteten Erkenntnisquellen sind offen gelegt. Sie werden auf Seite 8 bis 135 des Gutachtens ausführlich dargestellt. Die Aufstellung verdeutlicht, dass alle Möglichkeiten der Sachaufklärung genutzt worden sind.

71

b) Die aus diesen Quellen erlangten Anknüpfungs- und Befundtatsachen hat der Sachverständige ausführlich beschrieben. Die Darstellung der aus dem Aktenmaterial gewonnenen Informationen (Gutachten Punkt 1., Seite 8 – 85) lässt erkennen, dass die zur Verfügung stehenden schriftlichen Unterlagen umfassend und sorgfältig ausgewertet worden sind. Insbesondere hat der Sachverständige über die Akte des Erkenntnisverfahrens und das Vollstreckungsheft hinaus die erste Vorstrafakte – 5 Js 6822/76 StA Kaiserslautern – nebst Vollstreckungsheften und Führungsaufsichtakte, weiter die vollständige Gefangenenpersonalakte und die in der Justizvollzugsanstalt Diez geführte Gesundheitsakte durchgearbeitet. Bei der zweiten Vorstrafakte – 13 Js 9300/77 StA Zweibrücken –, die der Sachverständige gleichfalls angefordert hatte, war das indes nicht möglich, weil sie bereits vernichtet worden ist (vgl. Akte 6 Js 7461/83 VRs 2783/84 StA Zweibrücken, Bl. 256R). Der Sachverständige hat sich mit allen psychiatrischen und psychologischen Vorgutachten und Befunden befasst. Er hat am 22. Juni 2010 und am 5. Juli 2010 ausführliche Explorationsgespräche mit dem Untergebrachten geführt (Gutachten Punkt 2. und 3., Seite 85 - 124) und hat ihn an diesen Tagen neurologisch, psychiatrisch und testpsychologisch untersucht (Gutachten Punkt 4.1. - 4.3., Seite 124 - 130). Auf Grundlage der durchgeführten Aktenanalyse sowie der Exploration und Untersuchung des Beschwerdeführers hat er seine ärztliche Diagnose nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 gestellt und sie anhand der Anknüpfungs- und Befundtatsachen eingehend, verständlich und überzeugend erläutert (Gutachten Punkt 5., Seite 135 - 147 des Gutachtens). Ihr vorangestellt hat er eine Persönlichkeitsanalyse nach wissenschaftlich anerkannten Verfahren. Unter Anwendung des SVR 20 hat er das vom Untergebrachten ausgehende Risiko sexueller Gewalttätigkeit untersucht (Gutachten Punkt 4.4.1., Seite 130 - 133) und mit dem HCR-20+3 das in seiner Person bestehende allgemeine Gewaltrisiko erfasst (Gutachten Punkt 4.4.2., Seite 133 - 135).

72

c) Die Auswertung der Erkenntnisquellen und die Bewertung der Ergebnisse zeigen, dass die Begutachtung sich nicht nur auf Teilaspekte der prognoserelevanten Umstände beschränkt, sondern das feststellbare Verhalten des Untergebrachten und die sich darin abbildende Persönlichkeitsentwicklung über seine gesamte Lebenszeit in Breite und Tiefe beleuchtet hat. Die erforderliche Auseinandersetzung mit den Anlassdelikten, der prädeliktischen Persönlichkeit des Untergebrachten, seiner postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung, dem sozialen Empfangsraum im Fall seiner Freilassung und seinem Verhalten während des Vollzugs einschließlich etwaigen gewährten Lockerungen (vgl. BVerfG a.a.O.) ist darin enthalten. Das Gutachten stützt sich damit auf eine tragfähige Prognosebasis.

73

d) Zur Beantwortung der entscheidenden Prognosefrage hat der Sachverständige die erzielten Ergebnisse einer zusammenfassenden Gesamtschau unterzogen. Er hat dabei die in der forensisch-psychiatrischen Praxis und Fachliteratur anerkannten Kriterien zur Beurteilung des Rückfallrisikos besonders gefährlicher Straftäter nach Dittmann angewandt und anhand dieser eine sowohl delikts- als auch persönlichkeitsspezifische Individualprognose angestrebt. Er hat versucht, zu jedem Kriterium günstige und ungünstige Faktoren zu benennen. Diese hat er unterschieden in statische, unveränderbare, im Wesentlichen aus der Vorgeschichte des Probanden ableitbare Faktoren, von deren Gewicht es abhängt, ob eine Verhaltensbeeinflussung überhaupt möglich ist, und dynamische Faktoren, die durch Therapie und andere Maßnahmen in bestimmten Grenzen modifizierbar sind.

74

2. Keines der anerkannten wissenschaftlichen Kriterien spricht für eine günstige Prognose.

75

a)Negativ fällt zunächst die dem Untergebrachten zu stellende Diagnose ins Gewicht.

76

Bei ihm besteht eine kombinierte Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F 61.0 mit ängstlich-vermeidenden (ICD-10 F 60.6), passiv aggressiven und dissozialen Anteilen (ICD-10 F 60.2). Diese bestand bereits zur Zeit seiner Delinquenz, und zwar nicht nur der Anlasstaten, sondern auch der früheren Straftaten und besteht unverändert und auch durch Therapieversuche unkorrigiert fort. Diese Zeit überdauernde Störung erfüllt nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit gem. § 20 StGB. Davon war auch das im Erkenntnisverfahren eingeholte psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Dr. ...[L] nicht ausgegangen. Solches lässt sich auch den im Maßregelvollstreckungsverfahren eingeholten Gutachten anderer Sachverständiger nicht entnehmen. Der zeitweilig bestehende Verdacht einer Psychose mit paranoiden Wahnideen hat sich nicht bestätigt. Wenn der Störung auch der Krankheitswert in diesem engeren Sinne fehlt, so hat sie aber doch den Untergebrachten dauerhaft in seinem Erleben und Verhalten geprägt.

77

aa) Die allgemeinen Kriterien für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F 60.- sind gegeben. Bei dem Untergebrachten bestehen charakteristische und dauerhafte Erfahrens- und Verhaltensmuster, die deutlich von allgemein erwarteten und akzeptierten Vorgaben abweichen, wobei sich diese Entwicklung sowohl in Intensität und Angemessenheit der emotionalen Ansprechbarkeit und Reagibilität als auch in der geminderten Impulskontrolle und der Bedürfnisbefriedigung wie auch im Umgang mit anderen Menschen und in der Handhabung zwischenmenschlicher Beziehungen äußert. Bei dem Untergebrachten besteht ein persönlicher Leidensdruck, den er aufgrund seiner massiven Ängste und Hemmungen bislang in einer Therapie nicht klären und überwinden konnte. Die psychischen Abweichungen sind stabil und Zeit überdauernd, wobei sie in Kindheit und Adoleszenz zurückreichen. Der Untergebrachte hat gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen angegeben, bereits in der Grundschule unter dramatischer Schulangst, Gehemmtheit, Selbstunsicherheit und Kontaktschwierigkeiten zu Mitschülern gelitten zu haben. Bereits zu dieser Zeit setzten soziale Isolierung und emotionale Vereinsamung ein. Verstärkt wurde die Problematik zunächst im Alter von 8 oder 9 Jahren, als er nach einer Gehirnerschütterung zu stottern begann. Dieses Sprachproblem besteht noch heute. Im Alter von 15 Jahren trat bei ihm auf die Dauer von 10 Jahren eine schwere Form der Gesichtsakne auf, die zu weiteren Hemmungen führte, Beziehungen zum weiblichen Geschlecht aufzubauen. Er zog sich mehr und mehr zurück, fühlte sich depressiv und minderwertig. Weiter verstärkt wurde die Problematik durch einen bereits mit 17 Jahren einsetzenden Haarausfall. Zu dieser Zeit unternahm er den ersten Suizidversuch mit Schmerzmitteln. Mitte der 1970er Jahre folgten zwei weitere Suizidversuche mit Schlaftabletten und im Frühjahr 1976 – wenige Wochen vor seinen ersten Straftaten – ein Suizidversuch mit Autoabgasen. Die Ängste haben sich durch sein ganzes Leben fortgesetzt und bestehen – auch nach eigenen Angaben des Untergebrachten gegenüber dem Sachverständigen – bis heute.

78

bb) Innerhalb der allgemeinen Persönlichkeitsstörung des Untergebrachten besteht als Akzentuierung eine ängstlich vermeidende Komponente (ICD-10 F 60.6). Aus Furcht vor Kritik, Missbilligung und Ablehnung vermied der Untergebrachte Zeit seines Lebens berufliche und soziale Aktivitäten, die intensiven zwischenmenschlichen Kontakt erfordern. Außer zum Vater und seiner – zwischenzeitlich verstorbenen – Mutter ist er noch keine weiteren längerfristigen intensiven persönlichen Kontakte eingegangen. Lediglich im Jugendlichenalter hatte er eine Beziehung zu einer jungen Frau, die allerdings nur ein Jahr anhielt. Auch im Maßregelvollzug bestand stets eine ausgeprägte Rückzugstendenz.

79

cc) Als Akzentuierung der Persönlichkeitsstörung besteht ferner eine passiv aggressiv (Untergruppe der sonstigen spezifischen Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 F 60.8) und sadistisch geprägte dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F-60.2).

80

Der Untergebrachte verhält sich vorwiegend ängstlich-vermeidend. Dahinter verbirgt sich indes eine Innenwelt, über die er nicht spricht, die aber in einer – erstmals von dem Sachverständigen Dr. ...[K] näher untersuchten – Notiz, die der Untergebrachte selbst handschriftlich verfasst hatte und bei der Ausführung der letzten Anlasstat mit sich führte, bei der er mit rigoroser Gewalt gegen das Opfer vorging und es schwer verletzte. Die Notiz (Original Hülle Bl. 10der Akte 4066 Js 7461/83; Fotokopie VH Bl. 879) hat folgenden – vom Untergebrachten im Anhörungstermin bestätigten – Wortlaut:

81

„Habe niemals Mitleid oder Gewissensbisse (Jack Mesrin). Besser tot, als dieses Leben weiterzuführen. Heute ist der Tag gekommen, an welchem du alles zum Ende bringen kannst. Die letzte Chance, denn ein Leben ohne Liebe ist ein Leben ohne Sinn. Nur wenn du etwas mit Freude tust, wirst du feststellen, dass du, wenn du es immer fort tust, es dir auch mehr Freude bereitet. Für ein Verbrechen gibt es nur eine Alternative, Verbrechen oder Tod.“

82

Im Anhörungstermin vor dem Senat hat der Untergebrachte glaubhaft angegeben, die Notiz am 5. September 1983 unmittelbar vor seiner letzten Tat auf der Bahnfahrt von …[T] nach …[S] gefertigt zu haben. „Jack Mesrin“ (gemeint ist Jacques Mesrine) sei ein französischer Krimineller, dessen Buch „Der Todestrieb“ er 1980 während seiner ersten Inhaftierung in der Gefängnisbücherei der Justizvollzugsanstalt Diez ausgeliehen und gelesen habe. Aus diesem Buch, das ihn beeindruckt habe, habe er in der Notiz seiner Erinnerung entsprechend zitiert.

83

Bei Jacques Mesrine handelt es sich tatsächlich um einen Kriminellen, der in den 1970er Jahren aufgrund seiner bei Raubüberfällen, Entführungen, Gefangenenbefreiungen und auf der Flucht demonstrierten Gewalttätigkeit einschließlich mehrerer Morde zum französischen „Staatsfeind Nr. 1“ avancierte und Ende 1979 von der französischen Polizei getötet wurde.

84

Die vom Untergebrachten gefertigte Notiz spiegelt nicht nur seine Innenwelt zur Zeit der letzten Anlasstat wider. Er hat sich vielmehr spätestens seit 1980 mit Vernichtungsphantasien beschäftigt, die er zumindest bei der zweiten Anlasstat unmittelbar ausgelebt hat. Sie macht die impulsive und eruptive Gewaltanwendung gegenüber seinen weiblichen Opfern aus diagnostischer Sicht verständlich. Diese Innenwelt ist bislang nicht aufgearbeitet und verbirgt sich hinter der Ängstlichkeit und Passivität vor einer entsprechenden Therapie. Während er der Frau bei der zweiten Anlasstat mit einem Schraubenzieher schwere, bis zu 15 cm lange Schnitt- und Stichverletzungen an Schultern, Rücken, Hals und Brust sowie Prellungen am ganzen Körper zugeführt, ihr mit seinen Fingern in die Augen gestochen, ihr Haare ausgerissen und ihr gedroht hatte, den Schraubenzieher in ihr Geschlechtsteil zu stoßen, während er sie würgte und zum Oralverkehr zwang, und schließlich während des Vaginalverkehrs weiter auf sie eingestochen hatte, erklärte er dem Sachverständigen Dr. ...[K], das Opfer habe „ein Paar Kratzer“ davongetragen. Auch im Anhörungstermin war er zu einer anderen Sicht nicht fähig, wobei sich die fehlende Opferempathie eindrucksvoll auch darin widerspiegelt, dass er ausgeführt hat, er habe dem Opfer immerhin 800 DM Schmerzensgeld zukommen lassen.

85

Zugleich offenbaren die Anlasstaten und die frühere Vergewaltigung eine massive sadistische Komponente der Persönlichkeitsstörung, die zu massiven dissozialen und impulsiven Handlungen führt. Überwindet der Untergebrachte seine sonst gegebenen Ängste, so fehlen ihm Regulierungs- und Kompensationsmöglichkeiten, sobald es zu sexuellen Übergriffen kommt. Denn durch das übermäßige Anwenden von Gewalt wird sein Selbstwertgefühl stabilisiert und Opferempathie ist ihm fremd. Während der Sachverständige Prof. Dr. ...[H] die in den Anlasstaten zu Tage getretene sadistische Komponente einer Störung der Sexualpräferenz zuordnet, hat Dr. ...[K] sie der Persönlichkeitsstörung zugeordnet, was angesichts der mit diesen Handlungsweisen zu stabilisierenden Selbstunsicherheit des Untergebrachten nahe liegt. Für die Annahme einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne eines Sadismus (ICD-10 F 65.5) fehlen zureichende weitere Anhaltspunkte. Insbesondere ist nicht geklärt, ob die sadistischen Handlungsweisen mit einem Lustgewinn des Untergebrachten verbunden waren. Das könnte nur festgestellt werden, wenn dieser sich öffnen würde und über die Beweggründe seiner Verhaltensweisen Auskunft gäbe.

86

dd) Die in der Vergangenheit zu Tage getretenen Persönlichkeitsstörungen haben im Vollzug auch nach 27 Jahren keine Abmilderung erfahren.Sie sind auch in der prognostischen Einschätzung des Untergebrachten nicht zu relativieren.Denn eine Korrektur der Störung hat weder durch eine therapeutische Aufarbeitung noch in sonstiger Weise stattgefunden. Bedingt durch seine ängstlich vermeidende Störung hat sich der Untergebrachte bislang jeglichem therapeutischen Zugang verschlossen. Die von Dezember 1990 bis Juni 1991 mit einer externen Therapeutin in der Justizvollzugsanstalt Diez geführten Gespräche brach er ebenso ab wie die unmittelbar nach Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt ...[W] aufgenommenen Gespräche mit dem Anstaltspsychologen. Die im März 2002 begonnenen Gespräche mit einem externen Therapeuten mussten alsbald beendet werden, weil der Beschwerdeführer nicht über die seinen Taten zugrunde liegenden Probleme sprach. Aus diesem Grund konnten auch die therapeutischen Gespräche, die er von Frühjahr 2004 bis Herbst 2005 wöchentlich mit OPR ...[E] in der Justizvollzugsanstalt Diez geführt hatte, die grundlegende Primärpersönlichkeit nicht erreichen und blieben deshalb ohne irgendeinen Therapieerfolg. Das gilt insbesondere für die aggressiv-sadistischen Reaktionstendenzen im Zusammenhang mit dem Ausleben der Sexualität. Auch gegenüber diesem Therapeuten gelang es dem Untergebrachten ebenso wenig, über sein Inneres und seine Innenwelt zu sprechen, wie gegenüber dem Sachverständigen Dr. ...[K]. Von diesem auf seine Ängste angesprochen, verharrte er – wie auch in verschiedenen Anhörungsterminen vor den Strafvollstreckungskammern – in Schweigen, um schließlich die Frage des Sachverständigen, ob er überhaupt in der Lage sei, dies mitzuteilen, mit Erleichterung zu verneinen, weil damit jeder weiteren Befragung zu diesem Thema die Grundlage entzogen war. Der Sachverständige fand den Untergebrachten in der Exploration genau so vor, wie er zur Zeit seiner schweren Sexualstraftaten war. Er ist weiterhin sozial isoliert, emotional vollkommen reduziert und kann keine Opferempathie darstellen. Er war nicht einmal in der Lage, über die Anlasstaten und seine früheren Straftaten zu sprechen, und zeigte in den Explorationsgesprächen oberflächliche Verleugnungs- und Verdrängungstendenzen. An der Ausgangsproblematik hat sich demnach nichts geändert. Die sich jetzt darstellende Persönlichkeit ist mithin – entgegen der Annahme des während der Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt ...[W] zweimal mit Prognosegutachten beauftragten Sachverständigen Dr. ...[D] – kein Ausdruck der langen Unterbringung. Nach wie vor besteht eine zwingende Therapienotwendigkeit. Eine Veränderungsbereitschaft hat der Verurteilte in den Gesprächen mit dem Sachverständigen nicht erkennen lassen. Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es im Gegenteil zu einer „Zementierung“ der Abwehrhaltung gekommen. Der Beschwerdeführer geht nämlich davon aus, dass er aufgrund dieser Entscheidung alsbald freigelassen werden müsse und Anspruch auf eine Haftentschädigung von 150.000 € habe.

87

Auch im Anhörungstermin hat der Untergebrachte über die sadistischen Verhaltensweisen und die ihnen zugrundeliegende Motivation nicht sprechen können. Er erklärte lediglich, damals sei eine andere Situation gewesen. Wegen seiner Akne sei er vereinsamt gewesen und habe deswegen mehrere Suizidversuche unternommen gehabt. Außerdem habe er bei den Anlasstaten unter der Wirkung von Lexotanil und Alkohol gestanden. Auf den Vorhalt, dass dies allein die sadistischen Handlungsweisen nicht erklären könne, blieb er weitere Erklärungen schuldig.

88

b) Sämtliche Kriterien zur Beurteilung des Rückfallrisikos besonders gefährlicher Straftäter nach Dittmann sind prognostisch ungünstig, überwiegend sogar außerordentlich ungünstig, so dass nach diesen Kriterien insgesamt eine außerordentlich ungünstige Prognose zu stellen ist.

89

aa) Die Analyse der beiden Anlasstaten (Gutachten Punkt 6.1.1, S. 149 - 156), die sich vom 1. bis 4. September 1983 und am 5. September 1983, mithin in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang ereignet haben, ergibt, dass es sich um Seriendelikte von besonders brutalen Vergewaltigungen mit übermäßiger Gewaltanwendung im Sinne eines Overkills gehandelt hat, bei denen eine sadistische Komponente des Untergebrachten zum Durchbruch gekommen ist. Er hat beide Opfer vollkommen unterworfen und erniedrigt, hat ihnen Schmerzen zugefügt und sie – bei der ersten Anlasstat über mehrere Tage fortdauernd – mit dem Tod bedroht. Das erste Opfer betäubte er außerdem mit Beruhigungstabletten. Dem zweiten Tatopfer fügte er durch wahlloses Einstechen schwerste Ritzverletzungen mit einem Schraubenzieher zu. Angesichts des Inhalts des Notizzettels, den der Untergebrachte bei der letzten Anlasstat mitgeführt hat, ist es eher dem Zufall zu verdanken, dass das Opfer dieser Tat nicht zu Tode gekommen ist. Die Opferwahl war vollkommen zufällig. In beiden Taten kamen einerseits impulsive Elemente zum Tragen, andererseits aber auch gezielt planerisches Handeln, denn er führte Messer bzw. einen Schraubenzieher als Tatwerkzeuge mit. Gegenüber beiden Opfern zeigte er keinerlei Empathie. Beide Taten gingen mit Devianzelementen einher, indem er dem ersten Opfer das Ejakulat ins Gesicht spritze, ihm beim Verrichten der Notdurft zusah und mit dem Messer an der Scheide des Opfers manipulierte. Dem zweiten Opfer drohte er, den Schraubenzieher in das Geschlechtsteil zu stoßen. Die gesamte Konstellation der Anlasstaten spricht damit für die Handlung einer gravierend gestörten dissozialen Persönlichkeit. Die Ergebnisse der Analyse der Anlasstaten wirken sich prognostisch außerordentlich ungünstig aus.

90

Die statistische Rückfallquote für Sexualdelikte beziffert der Sachverständige auf der Grundlage der in der Literatur speziell für die Fälle aggressiver Sexualstraftäter dargestellten Raten auf 76% bei einer Beobachtungsdauer von 30 Jahren.

91

bb) Der sich aus der Analyse der Anlasstaten ergebende Negativaspekt wird verstärkt durch die bisherige Kriminalitätsentwicklung des Untergebrachten (Gutachten Punkt 6.1.2 S. 156 - 158).

92

Auch die früheren Straftaten des Untergebrachten – zwei Fälle des schweren Raubes, eine Vergewaltigung und eine schwere Brandstiftung – gingen mit teils übermäßiger Gewaltanwendung einher. Bei den ersten drei Taten handelte es sich wie bei den Anlasstaten um eine Deliktserie, bei der er planerisch vorging, indem er eine Schusswaffe und Messer mit sich führte und sein Fahrzeug dergestalt präpariert hatte, dass die Opfer es nicht verlassen konnten. Die schwere Brandstiftung war impulsiv von Rache geprägt. Bei allen Taten fällt das rigorose Vorgehen auf. Dieses fest gefügte Verhaltensmuster begründet verbunden mit der Tatsache, dass er sich durch die Verbüßung von insgesamt viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe nicht hat beeindrucken lassen, sondern nur 15 Monate nach der Haftentlassung die Anlasstaten begangen hat, einen besonders ungünstigen Prognoseaspekt.

93

cc)Außerordentlich ungünstig auf die Prognose wirkt sich auch die Persönlichkeit des Untergebrachten aus (Gutachten Punkt 6.1.3, S. 158 - 161).

94

Wie bereits dargelegt, leidet der Untergebrachte an einer chronifizierten kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich vermeidenden, passiv aggressiven und dissozialen Anteilen, die einen unmittelbaren Bezug zur Delinquenz, insbesondere zu den begangenen Sexualstraftaten hat, und nach wie vor unverändert fortbesteht. Sie ist verbunden mit einer falschen Selbsteinschätzung in Bezug auf Risikosituationen. Sein sexuelles Interesse, das er – wie im Explorationsgespräch mit dem Sachverständigen und bei seiner Anhörung durch den Senat deutlich gemacht hat – in Freiheit auch ausleben möchte, gilt nach wie vor erwachsenen Frauen. Regulierungsmechanismen, die erneute Sexualstraftaten verhindern könnten, kann er nicht formulieren. Die Gefahr, dass er zur Stabilisierung des eigenen Selbstwertgefühls erneut schwerste Sexualstraftaten begehen wird, ist deshalb außerordentlich hoch. Das gilt umso mehr, als er die therapeutisch völlig unbearbeitete aggressiv-sadistische Komponente in seinen Handlungsweisen nicht realisiert, sie vielmehr dissimuliert und behauptet, das Opfer der zweiten Anlasstat habe allenfalls ein Paar Kratzer abbekommen. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Untergebrachte jedenfalls im Zusammenhang mit der zweiten Anlasstat Todes- und Vernichtungsphantasien aufwies.

95

Die Gefahr neuer schwerer Sexualstraftaten wird durch den physischen Gesundheitszustand des Untergebrachten nicht gemindert. Nach dem unten I. C. dargestellten Gutachten des internistischen Sachverständigen Dr. ...[J] ist der Untergebrachte trotz seiner internistischen und orthopädischen Erkrankungen durchaus zu massiven Gewalthandlungen in der Lage. Diese Einschätzung stimmt mit dem Eindruck überein, den der Senat im Anhörungstermin von der körperlichen Verfassung des Beschwerdeführers gewonnen hat. Dieser konnte sich im Gerichtsgebäude mit Hilfe seiner Unterarmgehstützen ausgesprochen flink fortbewegen und ließ dabei keine Kurzatmigkeit erkennen. Die Möglichkeit einer erektilen Dysfunktion bei dem Untergebrachten aufgrund seiner Diabeteserkrankung, auf die der internistische Sachverständige hingewiesen hat, ist nur theoretischer Natur. Der Untergebrachte hat dem psychiatrischen Sachverständigen nämlich ausdrücklich erklärt, derzeit etwa wöchentlich mit Samenerguss zu onanieren, wobei die Erektion nicht mehr so wie früher sei. Er wolle nach wie vor den Geschlechtsverkehr mit einer erwachsenen Frau ausführen, was er sich in seiner Phantasie auch vorstelle. Das traue er sich trotz seiner körperlichen Behinderungen zu. Wenn seine Erektion nicht ausreiche, werde er Viagra nehmen, worüber er sich im Gespräch mit dem Sachverständigen sehr gut informiert zeigte. Eine nachhaltige Abmilderung des sexuellen Verlangens oder der Möglichkeit, Sexualität auszuüben, ist mithin nicht gegeben. Die Angaben gegenüber dem Sachverständigen hat der Untergebrachte bei seiner Anhörung durch den Senat bestätigt. Dabei zeigte er sich auch hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken beim Einsatz von Viagra bei bestehender Herzerkrankung informiert, weshalb er dieses Medikament nur „notfalls“ einsetzen will.

96

dd) Auch das Prognosekriterium der Einsicht in die tatauslösenden Umstände ist ungünstig zu gewichten (Gutachten Punkt 6.1.4, S. 161 f.). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt bei dem Untergebrachten keine ausreichende Einsicht vor. Die Fragen des Sachverständigen nach den auslösenden Umständen und dem genauen Hergang der Taten versuchte er im Explorationsgespräch abzuwehren, indem er sich teilweise auf Erinnerungslosigkeit berief oder die Taten bagatellisierte („ein Paar Kratzer“). Er erkennt seine gestörte Persönlichkeitsdisposition nicht und hat selbst keinen Zugang zu seiner Innenwelt. Die fehlende Einsicht des Untergebrachten hat im Anhörungstermin vor dem Senat ihre Bestätigung gefunden (s. dazu oben II. B. 2. a. dd.).

97

ee)Das Prognosekriterium der sozialen Kompetenz (Gutachten Punkt 6.1.5, S. 162 f.) ist nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen außerordentlich negativ. Bedingt durch die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung mit einem geringen Selbstvertrauen ist der Untergebrachte nicht in der Lage, sich an wechselnde Situationen anzupassen. Schon vor der Inhaftierung war er aufgrund seiner Persönlichkeitsdefizite sozial desintegriert und in seiner Kommunikationsfähigkeit gestört. Außer einer kurzzeitigen Beziehung in seiner Jugend hatte er keine Partnerschaften. Auch zu stabilen Arbeitsverhältnissen war er nicht in der Lage. Die Defizite in der sozialen Kompetenz zeigen sich auch in seinem Rückzugsverhalten im Maßregelvollzug und im Ausweichen vor Therapien.

98

ff)Die gleiche außerordentlich ungünstige prognostische Gewichtung ergibt sich für das spezifische Konfliktverhalten (Gutachten Punkt 6.1.6, S. 163 f.). Der Untergebrachte weist eine störungstypische geringe Frustrationstoleranz und eine übersteigerte Impulsivität auf. Letztere zeigt sich nicht nur in den Anlasstaten, sondern auch in seinen vier früheren Straftaten. Seine Taten zeigen, dass er nicht nur immer wieder in Konfliktsituationen gerät, sondern sie regelmäßig gezielt herbeiführt, um in stereotyper Weise mit außerordentlich gewalttätigem Verhalten zu reagieren.

99

gg)Auch eine Auseinandersetzung mit der Tat (Gutachten Punkt 6.1.7, S. 164 f.) ist noch nicht in dem gebotenen Maß erfolgt, weshalb auch dieses Prognosekriterium prognostisch ungünstig zu gewichten ist. Der Beschwerdeführer bagatellisiert die Anlasstaten ebenso wie die den Vorstrafen zugrunde liegenden Taten. Er beruft sich entweder auf fehlende Erinnerung oder verharmlost sie in einer Weise, dass Reue oder Opferempathie nicht im Ansatz vorliegen. Er hat sich auch bei den längerfristig durchgeführten therapeutischen Gesprächen mit OPR ...[E] nicht differenzierter mit den eigenen Motiven und Beweggründen der Anlasstaten auseinandergesetzt.

100

hh) Die Untersuchung der Therapiemöglichkeiten (Gutachten Punkt 6.1.8 – 6.1.10, S. 165 f.) führt zu keiner Verbesserung der Zukunftsprognose. Die bei dem Untergebrachten vorliegende kombinierte Persönlichkeitsstörung mit den bereits dargestellten Komponenten ist nach dem gegenwärtigen Stand der psychiatrischen, psycho- und soziotherapeutischen Verfahren nur außerordentlich schwer, möglicherweise gar nicht behandelbar. Bereits der Gutachter des Erkenntnisverfahrens hatte darauf hingewiesen, dass die Störung nach seiner Einschätzung jeder Therapie unzugänglich sei. Vollzugsinterne Angebote lehnt der Untergebrachte ab. Eine Institution, in der der Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Zeitpunkt außerhalb der Sicherungsverwahrung behandelt werden könnte, steht wegen mangelnden Angebots nicht zur Verfügung. Er lässt – blockiert durch innerseelische Mechanismen – keine Bereitschaft erkennen, sich nunmehr ernsthaft mit seiner Störung auseinanderzusetzen. Auch im Anhörungstermin vor dem Senat hat er die Ansicht vertreten, keiner weiteren Therapie zu bedürfen. Er hat deutlich gemacht, allenfalls dann eine weitere Therapie durchzuführen, wenn das Gericht das von ihm verlange. Auf die Frage, ob er sich dann bemühen wolle, für seine Taten in den konkreten sadistischen Ausführungsformen nicht nur vordergründige Erklärungen zu liefern („damals bestehende“ Vereinsamung bzw. Lexotanil-/Alkoholwirkung), ist er eine Antwort schuldig geblieben.

101

ii)Unter den gegenwärtigen Umständen ist auch ein sozialer Empfangsraum für den Untergebrachten noch nicht gegeben (Gutachten Punkt 6.1.11, S. 166 - 168). Der Beschwerdeführer hat keine sozialen Kontakte und Bindungen außerhalb des Vollzugs. Die Mutter, mit der er früher zumindest telefonierte, ist inzwischen verstorben. Im Explorationsgespräch konnte er gegenüber dem Sachverständigen noch gar keine konkreten und realisierbaren Pläne formulieren. Bei seiner Anhörung durch den Senat konnte er immerhin berichten, dass er sich auf Initiative einer Sozialarbeiterin der Justizvollzugsanstalt Diez in einem Pflegeheim für Senioren in …[T] vorgestellt habe, eine Kostenzusage aber noch fehle. Selbst wenn der Untergebrachte über eine Wohnung und finanzielle Absicherung verfügen würde, wäre damit kein sozialer Empfangsraum gegeben. Dieser müsste zwingend Kontrollmöglichkeiten umfassen. Der Untergebrachte ist trotz seiner Gehbeeinträchtigung und kardiologischen Probleme keineswegs immobil. Er kann längere Strecken innerhalb der Justizvollzugsanstalt mit Hilfe von Unterarmgehstützen zurücklegen. Er selbst möchte Geschlechtsverkehr mit einer erwachsenen Frau und dafür notfalls auf Viagra zurückgreifen. Potentielle Opfer könnte er sich – etwa unter Vorgabe anderer Gründe – auch in seine Wohnung einbestellen. Auch zu Gewalthandlungen ist er nach der überzeugenden Einschätzung des internistischen Sachverständigen körperlich ohne weiteres in der Lage. Auch dieses Prognosekriterium ist deshalb ungünstig zu gewichten.

102

jj)Schließlich ergibt sich auch aus dem letzten Prognosekriterium, dem Entwicklungsverlauf nach den Taten (Gutachten Punkt 6.1.12, S. 168 f.), kein positiver, sondern ein weiterer ungünstiger Aspekt. Wie bereits ausgeführt, ist seit den Anlasstaten keine Veränderung der Verhaltensdisposition und der Persönlichkeitsstruktur eingetreten. Er weist nach wie vor diejenige kombinierte Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden, passiv-aggressiven und dissozialen Anteilen auf, wie sie sich durchgängig seit der Kindheit auch in der bisherigen Kriminalitätsentwicklung gezeigt hat. Sein äußerlich angepasstes Vollzugsverhalten kann sich prognostisch nicht günstig auswirken. Es ist geradezu typisch für die ängstlich-vermeidende Komponente seiner Störung.

103

c) Die außerordentlich ungünstige Prognose anhand der Kriterien nach Dittmann findet Bestätigung in den vom Sachverständigen weiter angewendeten aktuarischen Verfahren.

104

aa) Das gilt zunächst für das Prognose-Verfahren HCR-20+3, mit dem das Gewaltrisiko erfasst wird (Gutachten Punkt 4.4.2, S. 133 - 135).

105

Der Beschwerdeführer erreicht einen Punktewert von insgesamt 29 von maximal erreichbaren 44 Punkten, aufgeteilt auf 11 von 24 möglichen für die statischen, nicht abänderbaren Variablen der Vergangenheit (erfasst werden Alter bei Erstdelinquenz, Alter bei erster Gewalttat, frühere Gewaltanwendung, Stabilität in Paarbeziehungen, Stabilität in Arbeitsverhältnissen, Vorgeschichte von Alkoholabusus, Vorgeschichte von Drogenabusus, Vorhandensein einer psychischen Störung, Vorhandensein einer Psychopathy-Persönlichkeit, Anpassungsstörungen in Kindheit und Jugend, Vorhandensein einer Persönlichkeitsstörung, Verstöße gegen Bewährungsauflagen), 8 von 10 möglichen für die klinischen Variablen der Gegenwart (erfasst werden Mangel an Einsicht, grundsätzliche Lebenseinstellungen, aktive Symptomatik, Impulsivität, fehlender Behandlungserfolg) und 10 von 10 möglichen für die Risikovariablen der Zukunft (erfasst werden Realisierbarkeit von Plänen, Zugangsmöglichkeiten zu Risiken, Unterstützung, Überwachung, Mitarbeit). Die statischen Variablen der Vergangenheit sind nicht abänderbar. Prognostisch ungünstig sind die klinischen Variablen der Gegenwart zu gewichten. Es ist ein Mangel an Einsicht gegeben, der Untergebrachte weist nach wie vor aktive Symptome seiner Persönlichkeitsstörung und ferner Impulsivität auf und ein Behandlungserfolg fehlt. Dasselbe gilt für die o.g. Risikovariablen der Zukunft, die sämtlich ungünstig sind.

106

bb) Eine außerordentlich ungünstige Prognose ergibt sich auch nach dem SVR 20, einem Verfahren für die Vorhersage sexueller Gewalttaten, das auf breiter wissenschaftlicher Basis und umfangreicher Erfahrung beruht.

107

In diesem Verfahren erreicht der Untergebrachte einen Punktewert von insgesamt 31 von maximal 40 erreichbaren Punkten, aufgeteilt auf 11 von 22 für die psychosoziale Anpassung (erfasst werden sexuelle Deviation, Opfereigenschaft von sexuellem Missbrauch, Psychopathy-Persönlichkeit, Substanzproblematik, suizidale Gedanken, Beziehungsprobleme, Beschäftigungsprobleme, nicht sexuelle gewalttätige Vordelinquenz, gewaltfreie Vordelikte, früheres Bewährungsversagen), 12 von 14 für die Sexualdelinquenz (erfasst werden hohe Deliktfrequenz, multiple Formen der Sexualdelinquenz, physische Verletzung der Opfer, Waffengebrauch bzw. Todesdrohung gegen Opfer, Zunahme der Deliktfrequenz bzw. Deliktschwere, extremes Bagatellisieren oder Leugnen, deliktfördernde Ansichten), 4 von 4 für die Zukunftspläne (erfasst werden Fehlen realistischer Pläne, Ablehnung weiterer Interventionen) und 2 weitere Shore-Punkte für die gravierende Persönlichkeitsstörung. Daraus ergibt sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ein hohes Rückfallrisiko. Insbesondere betrifft dies die Sexualdelinquenz. Prognostisch ungünstig sind die hohe Deliktfrequenz in der Vergangenheit, die multiplen Formen der Sexualdelinquenz, die physischen Verletzung der Opfer, der Waffengebrauch und die Todesdrohung gegen die Opfer, die Zunahme der Deliktfrequenz und der Deliktschwere, das extreme Bagatellisieren und Leugnen. Prognostisch ungünstig sind auch seine Zukunftspläne. Er hat keine eigenen realistischen Zukunftspläne und lehnt weitere Interventionen ab.

108

d) Zusammenfassend gelangt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass dem Untergebrachten eine außerordentlich ungünstige Prognose zu stellen ist. Nach seiner Einschätzung ist von dem Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Reproduktion der Anlasstaten zu erwarten, wobei der Sachverständige im Falle einer erneuten Sexualstraftat angesichts der fehlenden Aufarbeitung der innerseelischen Disposition und der in der am 5. September 1983 aufgefundenen Notiz geäußerten Tötungsphantasien auch ein Tötungsdelikt im Bereich des Wahrscheinlichen hält. Zu dem Wahrscheinlichkeitsurteil „mit an Sicherheit grenzend“ gelangt er nur wegen der langen Zeitdauer zwischen Anlasstaten und aktueller Disposition nicht (Gutachten Punkt 6.2, S. 176 f.).

C.

109

Ebenso wenig kann die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 67d Abs. 2 Satz 1 StGB). Angesichts des außerordentlich hohen Rückfallrisikos ist die Überstellung des Untergebrachten in eine betreute Einrichtung verbunden mit weiteren Bewährungsauflagen schlechterdings nicht vertretbar.

D.

110

Die nach § 67a Abs. 2 Satz 1 StGB bestehende Möglichkeit der Überweisung des Untergebrachten in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus scheidet aus. Es kann hier offen bleiben, ob eine solche Überweisung auch dann in Betracht kommt, wenn die psychische Störung, an der ein Untergebrachter leidet, wie hier keinem Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB unterfällt. Im Anhörungstermin hat der Sachverständige klargestellt, dass die künftige Eingliederung des Untergebrachten in die Gesellschaft durch eine Überweisung in den Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht besser gefördert werden könnte. Voraussetzung für die dringend erforderliche therapeutische Aufarbeitung ist die Mitwirkungs-/Öffnungsbereitschaft des Untergebrachten. Diese ist nicht abhängig von der Art der Einrichtung in der die Therapie stattfindet. Gleich gute bzw. gleich schlechte Förderung der Resozialisierungsmöglichkeiten rechtfertigen nicht die Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel (vgl. 2. Strafsenat des OLG Koblenz, Beschluss 2 Ws 92/09 vom 09.03.2009).

111

Eine solche Überweisung würde die Vorlegungsfrage in Übrigen nicht obsolet machen (a.A. OLG Braunschweig, Beschluss Ws 220/10 vom 27.08.2010). Denn die Fristen der Dauer der Unterbringung richten sich gem. § 67a Abs. 4 Satz 1 StGB auch dann nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Maßregel gelten. Diese Regelung bestand auch nach sämtlichen früheren Fassungen dieser Norm.

E.

112

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt.

113

a) Nach § 62 StGB darf eine Maßregel nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Danach sind auch bei der nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB zu treffenden Prognoseentscheidung die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen. Je länger der Freiheitsentzug dauert, umso strenger sind die dabei zu stellenden Anforderungen (BVerfGE 70, 297 <310>; 109, 133 <159> = NJW 2004, 739 ff.; StV 2009, 38; Senatsbeschluss 1 Ws 723/05 vom 20.10.2005).

114

Der Beschwerdeführer befindet sich nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren zwar schon zwanzig Jahre in der Sicherungsverwahrung. Seine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden, passiv-aggressiven und dissozialen Anteilen, die einen unmittelbaren Bezug zur Delinquenz, insbesondere zu den durch sadistische Handlungselemente geprägten Sexualstraftaten hat, konnte in diesen 27 Jahren nicht relativiert oder abgemildert werden. Versäumnisse während des Maßregelvollzugs liegen dem nicht zugrunde. Die Dauer des Maßregelvollzugs ist vielmehr allein darauf zurückzuführen, dass der Untergebrachte bedingt durch die ängstlich-vermeidende Komponente seiner Persönlichkeitsstörung bislang nicht in der Lage gewesen ist, in Therapien über sein Innenleben, insbesondere über den Umgang mit sexuellen Impulsen und die aggressiv-sadistische Komponente in seinen Handlungsweisen zu sprechen. Im Juni 1991 weigerte er sich ohne Angabe von Gründen, die im Dezember 1990 in der Justizvollzugsanstalt Diez mit einer externen Therapeutin begonnene Therapie fortzusetzen. Im Frühjahr 1995 und im März 2002 in der Justizvollzugsanstalt ...[W] unternommene Therapieversuche mussten alsbald abgebrochen werden, weil sich der Untergebrachte nicht öffnete. Auch die in der Zeit von Frühjahr 2004 bis Herbst 2005 mit OPR ...[E] in der Justizvollzugsanstalt Diez durchgeführte Therapie blieb erfolglos, weil der Untergebrachte nicht über seine Innenwelt sprach und deshalb keine Korrektur in der Persönlichkeitsdisposition erreicht werden konnte. Das Rückfallrisiko ist außerordentlich ungünstig. Von ihm drohen nach wie vor mit hoher Wahrscheinlichkeit schwerste Sexualstraftaten mit Devianzelementen und sadistischen Handlungsweisen gegen erwachsene Frauen, bei denen die Opfer nicht nur schwere psychische Schäden, sondern durch den Einsatz von Stichwerkzeugen auch schwere körperliche Schäden davontragen.

115

Unter diesen Umständen kann der Freiheitsanspruch des Untergebrachten auch nach der langen Vollzugsdauer gegenüber dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit an der Verhinderung nochmaliger schwerer Vergewaltigungen durch den Untergebrachten keine überwiegende Bedeutung gewinnen (vgl. BVerfGE 109, 133m.w.N; Senat a.a.O.).

116

b) An dieser Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann im Ergebnis auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 nichts ändern, aufgrund dessen der Gesetzgeber die vor dem 31. Januar 1998 gültig gewesene Zehnjahresdauer bei Regelung der „Altfälle“ wieder wird beachten müssen. Bereits in seinem unter Abschnitt II. A. wiedergegebenen, in vorliegender Sache ergangenen Beschluss vom 7. Juni 2010 hat der Senat dargelegt, dass dies nicht dazu führt, die Maßregel schon vor einer gesetzlichen Neuregelung für unverhältnismäßig erklären und den Untergebrachten entlassen zu müssen. Nachdem sich die hohe Gefährlichkeit des Untergebrachten im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens bestätigt hat, wird mit dieser Maßgabe auf die Ausführungen in der genannten Entscheidung Bezug genommen (Ziffer 4. des Zitats).

III.

117

1. Der Senat sieht sich an der beabsichtigten Entscheidung gehindert durch die Beschlüsse

118

des Oberlandesgerichts Frankfurt

119

- 3 Ws 539/10 vom 01. Juli 2010,

- 3 Ws 598/10 vom 13. Juli 2010,

- 3 Ws 608/10 vom 13. Juli 2010,

- 3 Ws 619-620/10 vom 15. Juli 2010,

- 3 Ws 638-639/10 vom 20. Juli 2010,

120

des Oberlandesgerichts Hamm

121

- III-4 Ws 157/10 vom 6. Juli 2010,

- III-4 Ws 180/10 vom 22. Juli 2010,

- III-4 Ws 193/10 vom 29. Juli 2010,

122

des Oberlandesgerichts Karlsruhe

123

- 2 Ws 458/09 vom 15. Juli 2010,

- 2 Ws 44/10 vom 15. Juli 2010,

- 2 Ws 227/10 vom 4. August 2010,

- 2 Ws 334/10 vom 28. September 2010,

124

des Oberlandesgerichts Schleswig

125

- 1 OJs 2/10 (1 Ws 267/10) vom 15. Juli 2010,

- 1 OJs 3/10 (1 Ws 268/10) vom 15. Juli 2010.

126

Diese Gerichte haben in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet worden ist, die vor dem 31. Januar 1998 begangen wurden, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug aufgrund des Urteils des EGMR vom 17. Dezember 2009 für erledigt erklärt. Sie verschaffen der Entscheidung des EGMR durch Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB eine unmittelbare Wirkung auf die innerstaatliche Rechtsordnung. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 MRK in der Auslegung durch den EGMR sei eine „andere gesetzliche Bestimmung“ im Sinne der genannten Vorschrift, so dass bei der Fortdauerentscheidung nicht der geltende § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden, sondern die Höchstfrist des bis zum 31. Januar 1998 gültig gewesenen § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB maßgebend sei. Teilweise wird der weitere Vollzug der Unterbringung auch als nicht mehr verhältnismäßig angesehen, da er menschenrechtswidrig sei (OLG Hamm a.a.O.).

127

Im Einzelnen werden die abweichenden Meinungen wie folgt begründet:

128

a) OLG Frankfurt, Beschluss 3 Ws 539/10 vom 1. Juli 2010:

129

„Der Senat hat im oben genannten Verfahren gegen A, in dessen Sache die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 ergangen ist, mit Beschluss vom 24.06.2010 folgendes ausgeführt:

130

Gem. § 2 Abs. 6 StGB i. V. m. Art. 7 Abs. 1 S. 2 MRK ist für die gegen den Untergebrachten angeordnete Sicherungsverwahrung nicht § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB n. F., sondern die zur Tatzeit geltende Regelung des § 67 d Abs. 1 S. 1 StGB a. F. anzuwenden.

131

Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2009 die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als Maßregel der Sicherung und Besserung - als Strafe i. S. v. Art. 7 Abs. 1 MRK qualifiziert. Im Wegfall der Höchstfrist sieht er eine konventionswidrige Rückwirkung, da der zur Tatzeit geltende § 67 d Abs. 1 StGB eine Höchstfrist von 10 Jahren für die erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung vorsah (EGMR, NStZ 2010, 263 ff).

132

Strafvollstreckungskammer und Senat sind zur Berücksichtigung dieses Urteils des EGMR, das einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betrifft, verpflichtet, wenn sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand zu befinden haben (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3407 ff.). Dies ist hier auf Grund des gestellten Antrags nach § 458 Abs. 1 StPO der Fall. Bei der erneuten Befassung besteht die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung der anzuwendenden innerstaatlichen Vorschriften den Vorrang zu gewähren, wenn diese nicht eindeutig dem – ranggleichen – Gesetzesrecht des Bundes oder Verfassungsrecht - namentlich den Grundrechten Dritter - widerspricht (BVerfG, NJW 2004, 3407, 3411).

133

§ 2 Abs. 6 StGB ermöglicht eine derartige Berücksichtigung des Urteils des EGMR. Nach § 2 Abs. 6 StGB ist zwar über Maßregeln der Sicherung und Besserung grundsätzlich nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Art. 7 Abs. 1 MRK in der nunmehrigen Auslegung durch den EGMR ist aber eine andere gesetzliche Bestimmung i. S. von § 2 Abs. 6 StGB (vgl. BGH, Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09, Rn 14 ff. – Juris; Grabenwarter, Rechtsgutachten zu den Rechtsfolgen des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 [Nr. 19359/04] v. 15.01.2010 [unv.], S. 45).Die Konvention gilt innerstaatlich als Bundesrecht. Entscheidungen des EGMR haben zwar keine Gesetzeswirkung, Inhalt und aktueller Entwicklungsstand seiner Rechtsprechung bestimmen aber den Gehalt der (einfach-gesetzlichen) Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 MRK (BGH, a. a. O. Rn 16; Grabenwarter, S. 27). Das Bundesverfassungsgericht formuliert demzufolge auch ausdrücklich, dass die „MRK – in der Auslegung durch den EGMR – im Range des Bundesgesetzes gilt“ und deshalb „in den Vorrang des Gesetzes einbezogen“ ist und insoweit von der rechtsprechenden Gewalt beachtet werden“ muss (NJW 2004, 3407 [3410]).

134

Da der EGMR aber im vorliegenden Fall ausgesprochen hat, dass § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB nicht rückwirkend angewandt werden darf, weil die Sicherungsverwahrung gegen den Untergebrachten faktisch wie eine Strafe vollzogen wird, ist § 2 Abs. 6 StGB dahin auszulegen, dass statt dessen die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 67 d Abs. 1 S. 1 a. F. StGB gilt, der gemäß die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzt ist.

135

Methodische Bedenken stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Insbesondere ist der Senat an ihr – entgegen der Ansicht der Oberlandesgerichte Celle (Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169 - 170/10), Stuttgart (Beschl. v. 01.06.2010 – 1 Ws 57/10) und Koblenz (Beschl. v. 07.06.2010 – 1 Ws 108/10) durch Art. 1 a EGStGB i. d. F. des Gesetzes vom 26.01.1998 nicht gehindert. Zwar ist in Abs. 3 dieser Vorschrift ausdrücklich festgelegt, dass § 67 d i. d. F. dieses Gesetzes uneingeschränkt Anwendung finden soll. Der Gesetzgeber hat damit diese Vorschrift bewusst uneingeschränkt mit Rückwirkung in Kraft gesetzt (BT 13/9062 S. 12). Der Gesetzgeber hat sich von der Vorstellung leiten lassen, dass die Neuregelung nicht die Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern lediglich deren Dauer betreffe, weshalb von Verfassungs wegen an den Rückwirkungsschutz geringere Anforderungen zu stellen seien.

136

Dies bedeutet indes nicht, dass der Gesetzgeber auch ausschließen wollte, dass eine den Anforderungen der MRK in der Ausprägung durch die Rechtsprechung des EMRG entsprechende Auslegung der Vorbehalts in § 2 Abs. 6 StGB durch die Gerichte praktiziert wird (vgl. Grabenwarter, S. 45).

137

Zudem wurde Art. 1 a EGStGB mit der darin enthaltenen Differenzierung durch das Gesetz vom 23.07.2004 ersatzlos gestrichen. Die Vorschriften erschienen dem Gesetzgeber im Lichte der Entscheidungen des BVerfG vom 05.02.2004 (also in vorliegender Sache) und vom 10.02.2004 (zu den landesrechtlich geregelten Straftäterunterbringungsgesetzen) verzichtbar. Zwar hat der Gesetzgeber damit an seinem Willen zur Rückwirkung des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB n. F. festgehalten, aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass er diesen einer anders lautenden verfassungsgerichtlichen Entscheidung angepasst hätte. Es erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, dass er sich demgegenüber einer Klärung durch den EGMR verschließen und damit dauerhaft konventionswidrig verhalten wollte.

138

Der vorgenommene Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht auch die Bindungswirkung des Urteils des BVerfG vom 05.02.2004 in vorliegender Sache nicht entgegen. Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB für eine Maßregel der Besserung und Sicherung in Abweichung vom Grundsatz der Geltung des Rechts des Entscheidungszeitpunktes das günstigere Tatzeitrecht gilt, handelt es sich um eine Frage des einfachen Rechts. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.05.2010 a. a. O. Rn 18).

139

Die vorgenommen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist schließlich auch mit der Rechtsprechung des BVerfG vereinbar. Das BVerfG hat zwar in seiner Entscheidung in vorliegender Sache ausdrücklich festgehalten, dass der Staat die Aufgabe hat, die Grundrechte potentieller Opfer vor der Verletzung durch potentielle Straftäter zu schützen und dass sich seine Schutzpflicht umso intensiver ausgestaltet, je mehr sich die Gefährlichkeit der potentiellen Täter konkretisiert und individualisiert und je stärker die Gefährdung elementare Lebensbereiche betrifft (Beschl. v. 05.05.2004 – 2 BVR 2029/01 –Juris Rn 185). Dieser Schutzpflicht kommt auch Verfassungsrang zu.

140

Hieraus ist aber entgegen der Auffassung der Oberlandesgerichte Celle (Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169 - 170/10), Stuttgart ( Beschl. v. 01.06.2010 – 1 Ws 57/10) und Koblenz (Beschl. v. 07.06.2010 – 1 Ws 108/10) nicht der Schluss zu ziehen, diese Schutzpflicht müsse in eine „Abwägung“ mit dem gegenläufigen Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten und dem grundrechtsgleichen Rückwirkungsverbot mit einbezogen werden und erst Recht nicht, dass dieser Schutzpflicht der Vorrang zukommen müsse.

141

Das vom BVerfG in Sachen X aufgeworfene Problem, dass ein Grundrechtsträger am Verfahren vor dem EGMR nicht beteiligt ist (NJW 2004, 3407 [3410]) und deshalb als Verfahrenssubjekt nicht in Erscheinung treten und seine Rechte geltend machen konnte, stellt sich hier nicht. Denn Träger der staatlichen Schutzpflicht ist die Bundesrepublik und diese war Verfahrensgegner im Verfahren vor dem EGMR.

142

Die Rückwirkung des § 67 d Abs. 3 S. 1 n. F. StGB war zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht verfassungsrechtlich nicht geboten, d.h. die darin erfolgte Aufhebung der Zehnjahreshöchstfrist zum Schutz der potentiellen Opfer nicht unabdingbar. Ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der früheren gesetzlichen Regelung des § 67 Abs. 1 S. 1 StGB a. F., welche die erste Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzte, bestehen in der Tat nicht. Bei ihrer Fortgeltung mit der flankierenden Maßnahme der Führungsaufsicht wird der gesetzgeberische Beurteilungsspielraum vielmehr ebenfalls eingehalten.

143

Im Übrigen kommt eine Abwägung verschiedener Grundrechte hier nicht in Betracht. Denn das Rückwirkungsverbot aus Art. 7 MRK ist – ebenso wie das absolute Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfG a. a. O. Rn 137) einer Abwägung gerade nicht zugänglich (vgl. auch Kadelbach in: EMRK/GG Konkordanzkommentar Kap 15 Rn 46 zu Art. 15 Abs. 2 MRK).’

144

Diese Erwägungen gelten auch im hier zur Entscheidung anstehenden Fall. Allerdings wirkt die Entscheidung des EGMR im vorliegenden Verfahren nicht unmittelbar. Aus Art. 1 EMRK ist aber eine Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats abzuleiten, festgestellte Konventionsverletzungen auch in Parallelfällen zu beenden (vgl. OLG Koblenz, Beschl. vom 07.06.2010, Az. 1 Ws 108/10). Auch insoweit haben Gerichte als Träger der rechtsprechenden Gewalt die Europäische Menschenrechtskonvention - in der Ausgestaltung, die sie durch die Entscheidungen des EGMR gefunden hat - im Rahmen der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschl. vom 12.05.2010, Az. 4 StR 577/09; OLG Hamm, Beschl. vom 12.05.2010, Az. III – 4 Ws 114/10).

145

Ausgehend hiervon greifen die obigen Erwägungen des Senats aus seinem Beschluss 24.06.2010 zur Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB auch hier Platz. Es liegt ein Parallelfall zum vom EGMR entschiedenen Fall A vor. Auch beim Beschwerdegegner galt zum Zeitpunkt der Begehung der Straftaten und zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 14.02.1996 § 67 d Abs. 1 S. 1 StGB a. F., d.h. auch hier war die Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzt. Diese alte Fassung von § 67 d Abs. 1 S. 1 StGB ist damit aber nach obigen Erwägungen auch auf hiesigen Fall anzuwenden.

146

Hieran vermögen auch die Erwägungen des OLG Nürnberg aus seinen Beschlüssen vom 24.06.2010 (1 Ws 315/10, 2 Ws 78/10) zur Gesetzeskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nichts zu ändern. Zwar mögen die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur Einordnung der Sicherungsverwahrung als Maßregel und nicht als Strafe gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG in Gesetzeskraft erwachsen, allerdings handelt es sich hierbei um einfaches Gesetzesrecht und nicht etwa um Verfassungsrecht. Insoweit schließt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Annahme einer für den Verurteilten günstigeren Wertung auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts gerade nicht aus.

147

Soweit das OLG Koblenz (vgl. Beschluss vom 22.06.2010, Az. 1 Ws 240/10), die Ansicht vertritt, die Rechtsauffassung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs aus seinem Beschluss vom 12.05.2010 werde vom 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nicht geteilt, so ist darauf zu verweisen, dass sich die Entscheidung des 2. Strafsenats vom 12.05.2010 (Az. 2 StR 171/10) mit der Problematik der Rückwirkung von § 66 b StGB n.F. auf Sachverhalte, die vor seiner Einführung durch Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 liegen, nicht ausdrücklich auseinandersetzt und auch keinen Bezug auf die oben genannte Entscheidung des EGMR nimmt.

148

Nach alledem ist die unter Anwendung von § 67 Abs. 1 S. 1 StGB a. F. geregelte Höchstfrist der Sicherungsverwahrung am 28.07.2009 abgelaufen. Die Maßregel ist damit aber voll verbüßt und darf nicht weiter vollstreckt werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, Rn 10 zu § 458). Daher war sie für unzulässig zu erklären. Der Untergebrachte ist zu entlassen. Einer Erledigungserklärung bedarf es vor dem Hintergrund des Ablaufs der Höchstfrist nicht.“

149

Auf diese Begründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt in seinen nachfolgenden Beschlüssen 3 Ws 598/10 vom 13.07.2010, 3 Ws 608/10 vom 13.07.2010, 3 Ws 619-620/10 vom 15.07.2010 und 3 Ws 638-639/10 vom 20.07.2010 Bezug genommen. Auch in seinem das Beschwerdeverfahren allerdings nicht abschließenden Beschluss 3 Ws 688-689/10 vom 19. August 2010 hält das Oberlandesgericht Frankfurt an dieser Auffassung fest (s. dazu unten V. 2.).

150

b) OLG Hamm, Beschluss III-4 Ws 157/10 vom 6. Juli 2010:

151

„Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war gemäß § 67 d Abs. 1 StGB in der seit 1975 bis 1998 geltenden Fassung für erledigt zu erklären. Diese Norm findet trotz der durch das Gesetz vom 26.01.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, in Kraft getreten am 31.01.1998, erfolgten Änderung der Gesetzeslage Anwendung. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az.: 19359/04) nach der der im Jahre 1998 angeordnete rückwirkende Wegfall der 10-Jahres-Frist für die erste Sicherungsverwahrung menschenrechtswidrig ist. Diese Entscheidung ist seit dem 10. Mai 2010 endgültig. Danach verstößt die Vollstreckung über den 10-Jahres-Zeitpunkt, der bei dem Untergebrachten bereits seit fünf Jahren verstrichen ist, hinaus sowohl gegen Art. 5 EMRK als auch gegen Art. 7 EMRK. Denn zu dem Zeitpunkt, als der Untergebrachte zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, galt noch die 10-Jahres-Frist. Durch den im Jahre 1998 angeordneten Wegfall wurde gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen, da nach der nachvollziehbaren Wertung des EGMR die Sicherungsverwahrung keine Maßregel, sondern eine "Strafe" im Sinne des Art. 7 EMRK darstellt (vgl. EGMR, Entscheidung vom 17.12.2009, beckRS 2010, 01692 Rn.122 ff). Ferner beruht die weitere Vollziehung nicht mehr auf dem ursprünglichen Urteil des Landgerichts Duisburg, da dieses nur eine Sicherungsverwahrung für die Dauer von 10 Jahren angeordnet hatte, auch wenn dies sich nicht unmittelbar dem Tenor entnehmen lässt. Somit lässt sich die weitere Freiheitsentziehung nicht mehr auf eine Verurteilung "durch ein zuständiges Gericht" stützen, so dass sie nicht durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 a EMRK gerechtfertigt sein kann (EGMR aaO Rn 87 und 96).

152

Zwar wirkt die Entscheidung des EGMR unmittelbar nur zwischen dem Beschwerdeführer und der Bundesrepublik Deutschland; sie hat keine "erga omnes"-Wirkung für alle Untergebrachten, die sich nach Ablauf der 10-Jahres-Frist noch in der Unterbringung befinden. Dennoch müssen die Bundesrepublik und ihre staatlichen Organe - somit auch die Vollstreckungsgerichte - als verpflichtet angesehen werden, zu verhindern, dass es in gleichgelagerten Fällen zu einer entsprechenden Verletzung des EMRK kommt (vgl. Kinzig, NStZ 2010, 233, 238; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., Verfahren MRK RN 77 d). Der Gesetzgeber ist allerdings bislang nicht tätig geworden. Soweit es den Äußerungen der Bundesjustizministerin zu entnehmen ist, soll die Verantwortung auf die Gerichte abgeschoben werden.

153

Der Senat sieht daher keinen Anlass, eine Entscheidung des Gesetzgebers zur Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzuwarten, da solche offensichtlich nicht vorgesehen sind. Er legt daher die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dahin aus, dass der Wegfall der 10-Jahres-Frist in § 67 d Abs. 1 a.F. keine Rückwirkung haben darf, so dass auf Straftaten, die vor dem 31.01.1998 begangen wurden, die alte Norm Anwendung finden muss (so auch BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010, 4 StR 577/09 für den parallel gelagerten Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. 06. 2010, 3 Ws 485/10; LG Koblenz, Beschluss vom 19. Mai 2010, 7 StVK 139/10; LG Marburg, Beschluss vom 17. Mai 2010, 7 StVK 220/10, LG Kassel, Beschluss vom 15. 06. 2010, 34 StVK 162/10; sowie Grabenwarter in seinem Rechtsgutachten für die Bundesregierung zu den Rechtsfolgen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte S. 42 ff.).

154

Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. Doch steht dies unter dem Vorbehalt: "wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist". Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 S. 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof dar (so BGH 4 StR 577/09 Rn. 15 bei juris).

155

Bei der Menschenrechtskonvention handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Bundesrecht im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegungen zu beachten und anzuwenden (vgl. BGH a.a.O. Rn. 16, BVerfGE 111, 307, 316; Gollwitzer a.a.O. Einführung Rdnr. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei ist nicht nur die Menschenrechtskonvention selbst, sondern auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Somit können als "abweichende" gesetzliche Regelungen nicht allein ausdrückliche Regelungen des Gesetzgebers, die eine Ausnahme vom Grundsatz der Anwendbarkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Gesetzes anordnen, angesehen werden. Vielmehr sind auch anderweitige Regelungen im Gesetzesrang, insbesondere konventionsrechtliche Auslegungen durch den EGMR, erfasst.

156

Die gegen eine solche Gesetzesauslegung geäußerten Bedenken der Oberlandesgerichte Celle (Beschluss vom 25.05.2010, 2 Ws 169 u. 170/2010) und Stuttgart (Beschluss vom 1. Juni 2010, 1 Ws 57/10) vermögen nicht zu überzeugen. Sie verneinen die Möglichkeit einer solchen Auslegung, da sie gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei der Änderung der Höchstfrist im Jahre 1998 verstoße. Dieser habe bewusst in § 1 a Abs. 3 EGStGB die uneingeschränkte und damit rückwirkende Änderung des § 67 d StGB angeordnet. Allerdings ist diese ausdrückliche Regelung - wie die Oberlandesgerichte in ihren Beschlüssen selbst sehen - mit dem Gesetz über die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung 2004 wieder gestrichen worden, so dass eine Gesetzesauslegung, wie sie durch den Senat erfolgt, nicht dem derzeitigen Gesetzeswortlaut widerspricht. Zuzugeben ist allerdings, dass sie dem Willen des Gesetzgebers bei Erlass des Gesetzes nicht entspricht. Allerdings darf auf den damaligen Willen des Gesetzgebers nicht abgestellt werden. Denn dieser ging ersichtlich davon aus, dass ein Verstoß gegen Art. 7 EMRK durch seine getroffene Regelung nicht vorliege. Zwischenzeitlich ist ein solcher Verstoß jedoch bindend festgestellt. Damit haben sich die wesentlichen Grundlagen seit Erlass des Gesetzes geändert. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Umstandes gleichwohl unter bewusstem Verstoß gegen die Konvention eine solche Regelung hätte treffen wollen. Daher kann der damalige Wille des Gesetzgebers bei der heutigen Auslegung der Norm keine Rolle mehr spielen.

157

Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht auch nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133 ff.) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstelle und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoße (BVerfGE a.a.O., 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts zum Zeitpunkt der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Im Rahmen des einfachen Rechts steht es dem Gesetzgeber frei, abweichend von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 18).

158

Eine andere Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch gefährliche Straftäter ist nicht geboten. Der Staat hat insoweit einen weiten Ermessensspielraum. Dass die vor Änderung der Gesetzeslage im Jahre 1998 bestehende Begrenzung der ersten Sicherungsverwahrung gegen Vorgaben des Grundgesetzes verstoßen hat, ist bislang nie ernstlich vertreten worden (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 24. 06. 2010 S. 6)

159

Selbst wenn man der vom Senat vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht folgen wollte, ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche bei lang andauerndem Freiheitsentzug immer anzustellen ist (BVerfGE 109, 133, 159; Beschluss des Senats vom 12. Mai 2010, 4 Ws 114/10), zu berücksichtigen. Dies führt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die weitere Vollstreckung, da menschenrechtswidrig, nicht mehr als verhältnismäßig angesehen werden kann. Sie ist daher auch aus diesem Grunde für erledigt zu erklären“.

160

Auf diese Begründung hat das Oberlandesgericht Hamm in seinen nachfolgenden Beschlüssen III-4 Ws 180/10 vom 22. Juli 2010 und III-4 Ws 193/10 vom 29. Juli 2010 Bezug genommen und sie weiter aufrechterhalten.

161

c) OLG Karlsruhe, Beschluss 2 Ws 458/09 vom 15. Juli 2010:

162

„Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az 19359/04, StV 2010, 181) ist die mit Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vorgenommene Änderung des § 67d, mit der die Befristung der ersten angeordneten Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 1 StGB a.F. auf zehn Jahre entfallen ist und die in Verbindung mit § 2 Abs. 6 StGB auch diejenigen Sicherungsverwahrten erfasst, für die die Befristung zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch bestand, mit dem Freiheitsrecht des Art. 5 EMRK und dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK nicht vereinbar. Die Anordnung der Fortdauer der zum Tat- und Verurteilungszeitpunkt auf 10 Jahre begrenzten Sicherungsverwahrung über diesen Zeitraum hinaus stelle keine Freiheitsentziehung nach einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. a EMRK) dar, da kein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen dem Urteil des erkennenden Gerichts und der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Ablauf von 10 Jahren in der Sicherungsverwahrung mehr bestehe. Darüber hinaus sei die Maßregel der Sicherungsverwahrung in ihrer konkreten Ausgestaltung in der autonomen Auslegung durch den Gerichtshof als Strafe zu werten, so dass das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreife. Nachdem eine mit fünf Richtern besetzte Kammer am 10.5.2010 entschieden hat, den Antrag der Bundesregierung auf Entscheidung der Großen Kammer des EGMR nicht anzunehmen, ist die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 rechtskräftig geworden.

163

Diese Rechtsprechung gilt auch für die gegen den Untergebrachten verhängte Sicherungsverwahrung, da bei Tatbegehung und Aburteilung die zehnjährige Befristung des § 67d Abs. 1 StGB a.F. galt.

164

Die Entscheidungen des EGMR binden nach Art. 46 EMRK zwar zunächst nur die Parteien in der konkret entschiedenen Sache. Doch kommt den Urteilen des EGMR bei der Auslegung der EMRK, die im innerstaatlichen Recht zwar keinen Verfassungsrang, in der Folge des Ratifikationsgesetzes des Bundestages aber der Rang eines einfachen Gesetzes besitzt und damit am Vorrang des Gesetzes teilnimmt (Art. 20 Abs. 3 GG), eine sog. Orientierungsfunktion zu (SK-Paeffgen, EMRK, Einleitung Rn 383; vgl. auch LR-Gollwitzer, MRK Verfahren, Rn 77b; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15, 18f.; Esser StV 2005, 348, 349, 354), da sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfG NJW 2004, 3407, 3408; BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS). Gleichzeitig verpflichtet die Völkerrechtsfreundlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung die Gerichte, das nationale Recht möglichst in Einklang mit dem Völkerrecht, zu dem auch die EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR zählt, auszulegen (vgl. BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die EMRK ist mithin in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im Range eines förmlichen Bundesgesetzes in den Vorrang des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG einbezogen und muss von der Rechtsprechung sowohl bei der Auslegung der Konventionsvorschriften als auch des innerstaatlichen Rechts beachtet werden (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410; im Ergebnis auch OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Beschluss vom 1.7.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10 , Beschluss vom 6.7.2010, S. 5). Allerdings setzt die Gesetzesbindung der Umsetzung der Entscheidungen des Gerichtshofs auch Grenzen, weil die Gerichte sich nicht unter Berufung auf eine Entscheidung des EGMR von der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung und der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) lösen können. Deshalb kann sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische Umsetzung verfassungsrechtliche Vorgaben verletzen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die Entscheidungen des EGMR können deshalb nur im Rahmen einer methodisch vertretbaren Auslegung Beachtung finden. Wenn eine solche völkerrechtskonforme Auslegung eines Gesetzes nicht möglich ist, muss der Gesetzgeber tätig werden (NJW 2004, 3407, 3410).

165

Damit scheidet vorliegend eine konventionskonforme Auslegung der eindeutigen Regelung des § 67d Abs. 3 StGB, wonach die Sicherungsverwahrung bis zur ihrer Erledigung dauert, die nach dieser Vorschrift erst ausgesprochen werden darf, wenn die in der Tat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit nicht mehr besteht, aus. Dagegen ist die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB, wonach - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - über Maßregeln der Sicherung und Besserung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, einer Auslegung zugänglich. Denn Art. 7 EMRK ist als andere gesetzliche Regelung im Sinne dieser Vorschrift zu werten, die in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof als Ausnahme vom Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB, bei Entscheidungen über Maßregeln das Gesetz anzuwenden, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, für die Sicherungsverwahrung ein Rückwirkungsverbot begründet (BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10, Beschluss vom 6.7.2010, S. 6 ff.; Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 40 ff.). Diese Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist mit dem Wortlaut der Vorschrift ohne weiteres zu vereinbaren. Soweit das Oberlandesgericht Koblenz (1 Ws 108/10; Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS) argumentiert, der EGMR sehe in der Sicherungsverwahrung eine Strafe und keine Maßregel, so dass unter Berücksichtigung dieser Auffassung § 2 Abs. 6 StGB nicht einschlägig und folglich auch nicht auszulegen sei, übersieht es - abgesehen davon, dass dann ohne weiteres das Rückwirkungsverbot des § 2 Abs. 1 StGB eingriffe -, dass der Gerichtshof den Begriff der Strafe in Art. 7 EMRK autonom, d.h. unabhängig von seiner Bedeutung im nationalen Recht, auslegt (vgl. Nr. 120 der Entscheidung), so dass die Definition der Sicherungsverwahrung als Maßregel in § 61 Nr. 3 StGB davon unberührt bleibt. Ebenso steht der Zweck der Vorschrift einer solchen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht entgegen, der Sonderregelungen für bestimmte Maßregeln ermöglichen will, von denen auch die Sicherungsverwahrung nicht ausgenommen werden kann (vgl. Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 43). Allerdings wollte der historische Gesetzgeber § 67d Abs. 3 StGB dezidiert uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen (BT-Drs 13/9062, S. 12; OLG Celle, 2 Ws 169-170/10, Beschluss vom 25.5.2010 bei JURIS; OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; vgl. auch OLG Koblenz, 1 Ws 108/10, Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS). Die mit dem Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten eingeführte Vorschrift des Art. 1 a EGStGB sah in Abs. 3 gerade für die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB eine uneingeschränkte Rückwirkung vor. Doch muss die historische Auslegung vorliegend hinter einer völkerrechtskonformen Auslegung zurückstehen, da die Gerichte in Fällen wie dem vorliegenden verpflichtet sind, das nationale Recht möglichst im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Dies gilt umso mehr, als der historische Gesetzgeber, der sich im Zusammenhang mit dem nachträglichen Entfallen der 10-Jahresfrist ausdrücklich mit dem Rückwirkungsverbot bzw. - weil er dieses bei Maßregeln nicht für anwendbar hielt - dem Vertrauensgrundsatz befasst hat, sich dem Rückwirkungsschutz im Bereich des § 67d Abs. 3 StGB verfassungsrechtlich nicht allzu hoch verpflichtet glaubte, weil es nicht um die Anordnung, sondern nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe. Dass der der EMRK in der Auslegung durch den EGMR ebenfalls verpflichtete Gesetzgeber eine menschenrechtswidrige Rückwirkung auch unter Missachtung völkerrechtlichen Vorgaben anordnen wollte, kann dem gerade nicht entnommen werden (so auch OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Auch die eindeutige Vorschrift des Art. 1 a EGStGB steht nach ihrer Streichung einer konventionskonformen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht mehr entgegen.

166

Ebenso verbietet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.2.2004 (NJW 2004, 739ff.), dass der rückwirkende Wegfall der Befristung der ersten Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, eine solche Auslegung nicht, da diese Entscheidung nach § 31 BVerfGG nur insoweit bindet, als das Bundesverfassungsgericht die Regelung als verfassungsmäßig angesehen hat. Eine über die grundgesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehende einfachgesetzliche Regelung - keine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot bei der Maßregel der Sicherungsverwahrung - schließt die verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht aus (vgl. auch BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS).

167

Da das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK absolut gilt, bleibt für eine Abwägung mit dem Schutz der Allgemeinheit im vorliegenden Zusammenhang kein Raum (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ein sog. mehrpoliges Grundrechtsverhältnis, das einer konventionskonformen Auslegung Grenzen setzen könnte, ist vorliegend nicht gegeben (a.A. OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS). Hiervon wäre nämlich nur dann auszugehen, wenn bei der vorliegenden Entscheidung die subjektiven Rechtspositionen mehrerer Grundrechtsinhaber in Einklang gebracht werden müssten, von denen nur einer einen günstigen Urteilsspruch des EGMR ins Feld führen könnte, so dass der andere, der vom EGMR nicht gehört wurde, möglicherweise als Verfahrenssubjekt nicht mehr in Erscheinung träte (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Davon kann hier nicht die Rede sein. Der Schutz der Allgemeinheit ist Aufgabe des Staates, der am Verfahren vor dem EGMR beteiligt war und dort seine Position einbringen konnte (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ebenso wenig verbietet die Verpflichtung, bei der Umsetzung der Entscheidungen des EGMR die Auswirkungen auf ausbalancierte Teilsysteme der nationalen Rechtsordnung, die verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 4407, 3410), die Annahme eines Rückwirkungsverbotes. Denn wenn auch der staatliche Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit eine Einschränkung des Freiheitsgrundrechtes erlaubt, so ist doch nicht ersichtlich, dass die Aufhebung der Zehnjahresfrist zum Schutze der Grundrechte potentieller Opfer (vgl. BGH NJW 2010, 1539 f.; OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS) verfassungsrechtlich geboten war (BVerfG, Entscheidung vom 5.2.2004 - NJW 2004, 739ff. -, Rn 189, zitiert nach JURIS; vgl. OLG ...[Z], Beschluss vom 1.6.2010, 1 Ws 57/10, bei JURIS).

168

Da die konventionskonforme Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB damit zu dem Ergebnis führt, dass bei der Vollstreckung der Maßregel der Sicherungsverwahrung das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreift, gilt insoweit die bei Tatbegehung gültige Fassung des § 67d StGB, wonach nach Abs. 1 die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre nicht übersteigen darf. Damit ist die Maßregel erledigt. Eine Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB in der aktuellen Fassung kommt deshalb nicht mehr in Betracht. Das aus der von Gesetzes wegen eingetretenen Erledigung (OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Entscheidung vom 1.7.2010, bei JURIS) folgende Vollstreckungshindernis (SK-Paeffgen zu § 458 Rn 8) ist von der Vollstreckungsbehörde zu beachten, die deshalb die Freilassung veranlassen muss“.

169

Diese Auffassung vertritt das Oberlandesgericht Karlsruhe auch in seiner Entscheidung 2 Ws 44/10 vom selben Tag sowie in seinen Beschlüssen 2 Ws 227/10 vom 4. August 2010 und 2 Ws 334/10 vom 28. September 2010.

170

d) Das Oberlandesgericht Schleswig (Beschlüsse 1 OJs 2/10 [1 Ws 267/10] und 1 OJs 3/10 [1 Ws 268/10] vom 15. Juli 2010) hat sich ausdrücklich der dargestellten Ansicht und Argumentation der Oberlandesgerichte Frankfurt und Hamm angeschlossen. Ergänzend hat es die Gründe der Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 herangezogen.

171

2. In dem bereits erwähnten Beschluss 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem Fall, der eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB betraf, die Auffassung vertreten, dass Art. 7 MRK gesetzliche Bestimmung im Sinne von § 2 Abs. 6 StGB sei. Dem hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss 5 StR 60/10 vom 21. Juli 2010 in einem Fall, der eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB betraf, widersprochen. Zu der Vorlegungsfrage liegt hingegen noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor. Allerdings geht das Oberlandesgericht Karlsruhe in seinen Beschlüssen 2 Ws 227/10 vom 4. August 2010 und 2 Ws 334/10 vom 28. September 2010 davon aus, der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs habe die Rechtsfrage in seiner vorgenannten Entscheidung implizit auch für § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB beantwortet. Es hat deshalb die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG ebenso verneint, wie das Oberlandesgericht Hamm in seinen Beschlüssen III-4 Ws 180/10 vom 22. Juli 2010 und III-4 Ws 193/10 vom 29. Juli 2010. Dieses Oberlandesgericht hat sich gestützt auf die Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht veranlasst gesehen, vor Erlass der Beschwerdeentscheidungen das Inkrafttreten des Vierten Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 24. Juli 2010 am 30. Juli 2010 abzuwarten. Wenn dies zutreffend wäre, so würde die beabsichtigte Entscheidung des Senats auch von der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs abweichen.

IV.

172

Die von der Auffassung des Senats abweichenden Meinungen stehen der beabsichtigten Verwerfung der sofortigen Beschwerde des Untergebrachten entgegen. Gem. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG ist daher der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die streitige Rechtsfrage berufen.

173

Mit seiner Vorlage folgt der Senat dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg (Beschlüsse 1 Ws 404/10 vom 04.08.2010 und – mit unkenntlichem Aktenzeichen – vom 12.08.2010), dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart (Beschluss 1 Ws 57/10 vom 19.08.2010) und dem 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz (Beschluss 2 Ws 370/10 vom 01.09.2010), die bereits die gleiche bzw. eine gegenstandsgleiche Frage vorgelegt haben. Anders als das Oberlandesgericht Frankfurt, das in seinem Beschluss 3 Ws 688-689/10 vom 19. August 2010 die Voraussetzungen einer Divergenzvorlage gem. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG grundsätzlich als gegeben ansieht, es indes für ausreichend erachtet, dass die streitige Rechtsfrage bereits von einem anderen Oberlandesgericht vorgelegt worden ist, sieht sich der Senat zu einer eigenen Vorlage veranlasst. Sie ist wegen der Möglichkeit einer eigenen Sachentscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. LR-Franke, StPO, § 121 GVG Rn. 81 m.w.N.) zur Wahrung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) geboten.

(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie

1.
eine Verhaftung,
2.
eine einstweilige Unterbringung oder
3.
einen Vermögensarrest nach § 111e über einen Betrag von mehr als 20 000 Euro
betreffen.

(2) Im übrigen findet eine weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidungen nicht statt.

(1) Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht ohne mündliche Verhandlung, in geeigneten Fällen nach Anhörung der Staatsanwaltschaft.

(2) Wird die Beschwerde für begründet erachtet, so erläßt das Beschwerdegericht zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung.

(1) Die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen (§§ 56a bis 56g, 58, 59a, 59b des Strafgesetzbuches), trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte sind zu hören. § 246a Absatz 2 und § 454 Absatz 2 Satz 4 gelten entsprechend. Hat das Gericht über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden, so soll es dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben. Ist ein Bewährungshelfer bestellt, so unterrichtet ihn das Gericht, wenn eine Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder den Straferlaß in Betracht kommt; über Erkenntnisse, die dem Gericht aus anderen Strafverfahren bekannt geworden sind, soll es ihn unterrichten, wenn der Zweck der Bewährungsaufsicht dies angezeigt erscheinen läßt.

(2) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist Beschwerde zulässig. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist oder daß die Bewährungszeit nachträglich verlängert worden ist. Der Widerruf der Aussetzung, der Erlaß der Strafe, der Widerruf des Erlasses, die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe und die Feststellung, daß es bei der Verwarnung sein Bewenden hat (§§ 56f, 56g, 59b des Strafgesetzbuches), können mit sofortiger Beschwerde angefochten werden.