Oberlandesgericht Köln Urteil, 16. Jan. 2015 - 20 U 124/14
Gericht
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. Juni 2014 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 513/13 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.817,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Oktober 2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die gegnerische Partei nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
1
Gründe
2I.
3Die Klägerin schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zwei fondsgebundene Lebensversicherungen mit Versicherungsbeginn zum 1. Oktober 2004 (Vertrag Endziffer 49) bzw. zum 1. November 2004 (Vertrag Endziffer 45) ab. Mit Anwaltsschreiben vom 28. Mai 2013 erklärte die Klägerin den Widerspruch nach § 5a VVG a.F, mit Anwaltsschreiben vom 25. Juni 2013 hilfsweise die Kündigung. Die Beklagte zahlte daraufhin Beträge in Höhe von 1.573,93 € (Vertrag Endziffer 49) und vom 1.542,70 € (Vertrag Endziffer 45) an die Klägerin aus. Bis zur Beendigung der Verträge leistete die Klägerin Beiträge in Höhe von 3.197,55 € (Vertrag Endziffer 49) bzw. 3.123,65 € (Vertrag Endziffer 45).
4Mit der Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten in erster Linie die verzinsliche Rückerstattung der geleisteten Prämien abzüglich der ausgekehrten Beträge.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei berechtigt gewesen, den Vertragsschlüssen noch im Jahr 2013 gemäß § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zu widersprechen. Mit Nichtwissen - ihr fehle die Erinnerung - hat sie den vollständigen Erhalt sämtlicher Vertragsunterlagen bestritten. Die Widerspruchsbelehrungen seien formal und inhaltlich fehlerhaft. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und das in § 5 a VVG a.F. normierte Policenmodell verstießen gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Ihre Forderung hat die Klägerin ferner darauf gestützt, dass ihr die Beklagte wegen fehlender Aufklärung über die Leistung von Vertriebsprovisionen („Kick-backs“) schadensersatzpflichtig sei. Zu den Hilfsanträgen hat die Klägerin vorgetragen, die Beklagte schulde einen angemessenen Rückkaufswert ohne Abzug von Abschlusskosten und Stornogebühren, jedenfalls aber den Mindestrückkaufswert.
5
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
61. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 5.087,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit jeweiliger Rechtshängigkeit zu zahlen;
72. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 525,98 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit jeweiliger Rechtshängigkeit zu zahlen;
83. die Beklagte zu verurteilen, sie von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 542,64 € freizustellen, die die Rechtsanwaltskanzlei F & L, Tstraße 19, C, ihr gegenüber hat, die aufgrund der außergerichtlichen Rechtsanwaltstätigkeit in Bezug auf die streitgegenständlichen Forderungen entstanden sind.
9Hilfsweise:
101. die Beklagte zu verurteilen, ihr Auskunft über den zum Zeitpunkt der Kündigung bestehenden Rückkaufswert ohne Abzug von Stornokosten und Verrechnung von Abschlusskosten zu den Verträgen mit der Versicherungsnummer 31xx00xx9 und 31xx96xx5 zu erteilen, hilfsweise, ihr zu den Verträgen mit der Versicherungsnummer 31xx00xx9 und 31xx96xx5 Auskunft zu erteilen über die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals;
112. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen weitergehenden Rückkaufswert in einer nach Erteilung der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe (Mindestrückkaufswert) zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Die Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte ist der Auffassung gewesen, die Widersprüche seien verfristet. Schadensersatzansprüche bestünden nicht. Sie sei zur Mitteilung der Abschlusskosten nicht verpflichtet. Die Mindestrückkaufswerte zum Zeitpunkt der Beendigung der Verträge durch Kündigung hat sie auf 1.115,54 € bzw. 1.078,57 € beziffert; einen Stornoabzug habe sie nicht erhoben.
15Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Juni 2014, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei unbegründet, weil die Widersprüche nicht fristgerecht erklärt worden seien. Die Belehrungen seien formal und inhaltlich nicht zu beanstanden; den Erhalt der Unterlagen könne die Klägerin nicht mit Nichtwissen bestreiten. Jedenfalls sei ein Widerspruchsrecht verwirkt. Die Beklagte sei auch nicht zu Schadensersatzleistungen verpflichtet. Zu den Hilfsanträgen hat das Landgericht ausgeführt, die geschuldeten Auskünfte seien erteilt; ein weitergehender Zahlungsanspruch ergebe sich nicht.
16Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlich gestellten Anträge in vollem Umfang weiterverfolgt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei keine Anspruchsverwirkung eingetreten. Die Widerspruchsbelehrung genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei europarechtswidrig und daher nicht anwendbar.
17Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil. Selbst wenn die Klägerin noch zum Widerspruch berechtigt gewesen sein sollte, stünden ihr aus ungerechtfertigter Bereicherung allenfalls Rückerstattungsleistungen in Höhe von 856,38 € (Vertrag Endziffer 49) bzw. 854,72 € (Vertrag Endziffer 45) zu (gemäß der mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2014 korrigierten Berechnung GA 578c, auf die Bezug genommen wird). Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Anspruch der Klägerin auf Rückerstattung der Beiträge sei um die Aufwendungen für den (fiktiven) Abschluss von Risikolebensversicherungen, um den Prämienanteil für die in beiden Verträgen vereinbarte Todesfall-Zusatzversicherung sowie um die Abschlusskosten (Wert der Beratung) zu kürzen. Hinsichtlich der für die Klägerin abgeführten Steuern hat sie sich auf Entreicherung berufen. Sie hat zudem die Einrede der Verjährung erhoben und insoweit ausgeführt, Verjährung sei in Bezug auf etwaige Rückerstattungsansprüche für den Zeitraum bis 31. Dezember 2009 eingetreten.
18Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
19II.
20Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg.
21Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der von ihr auf die Versicherungsverträge geleisteten Prämien abzüglich des Prämienanteils, der auf den Risikoschutz entfallen ist, und auf die von der Beklagten gezogenen Nutzungen. In Abzug zu bringen sind die ausgekehrten Rückkaufswerte.
221.
23Die Klägerin konnte den Vertragsschlüssen noch mit Schreiben vom 28. Mai 2013 widersprechen.
24Die Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. ist nicht wirksam in Gang gesetzt worden. Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. beginnt der Lauf der hier maßgebenden Frist von 14 Tagen erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 (Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen nach § 10a VAG) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.
25Vorliegend ist die Widerspruchsbelehrung in den Versicherungsscheinen vom 9. September 2004 bzw. vom 27. Oktober 2004 (GA 31 und 309) enthalten.
26Sie lautet jeweils:
27„Der Versicherungsnehmer hat das Recht, dem Versicherungsvertrag bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der übrigen Verbraucherinformationen zu widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Widerspruchserklärung an die B Lebensversicherung AG.“
28Die Belehrung ist deswegen inhaltlich fehlerhaft, weil der zwingend notwendige Hinweis darauf, dass der Widerspruch in Textform zu erheben ist, fehlt (vgl. BGH, VersR 2004, 497; zuletzt BGH, Urt. v. 19. November 2014 – IV ZR 329/14 -). Dieser Hinweis war nicht deshalb entbehrlich, weil in Satz 2 der Belehrung von der „Absendung“ des Widerspruchs die Rede ist. Damit wird dem Versicherungsnehmer nicht klar vor Augen geführt, dass nur ein in Textform verfasster Widerspruch wirksam ist. Satz 2 bezieht sich lediglich auf den Fall, dass der Versicherungsnehmer den Widerspruch in dokumentierter Form erklären will, und erläutert nur, dass in diesem Fall die rechtzeitige Absendung zur Fristwahrung reicht. Dass ein mündlicher Widerspruch ausgeschlossen ist und in jedem Fall die Textform gewahrt werden muss, ergibt sich aus der Belehrung nicht.
292.
30Die Klägerin war noch im Jahr 2013 zum Widerspruch berechtigt. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., der vorsah, dass das Recht zum Widerruf ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, ist auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11 - (VersR 2014, 817) im Anschluss an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Dezember 2013 - C-209/12 - (VersR 2014, 225) entschieden. Der Senat folgt dieser Entscheidung. Er hat zwar bislang die Auffassung vertreten, eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung, die dazu führt, § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. im Bereich der Lebensversicherung nicht anzuwenden, sei nicht möglich. Der Senat hält die jetzt vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beurteilung allerdings für - auch verfassungsrechtlich - vertretbar, so dass keine durchgreifenden Bedenken bestehen, nunmehr auf der Grundlage des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 7. Mai 2014 zu entscheiden.
31Das Widerspruchsrecht ist nicht verwirkt. Mit der Ausübung des Widerspruchs im Jahr 2013 hat die Klägerin auch nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Dem steht schon entgegen, dass die Beklagte es versäumt hat, die Klägerin ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht zu belehren (vgl. BGH, aaO, Rz. 38-40).
323.
33Die Klägerin kann somit dem Grunde nach die gezahlten Prämien aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) zurückverlangen, weil sie diese rechtsgrundlos geleistet hat.
34Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB allerdings nicht uneingeschränkt alle Prämien, die die Klägerin an die Beklagte entrichtet hat, ohne hierzu durch wirksame Versicherungsverträge verpflichtet zu sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (aaO) darf im Rahmen einer gemeinschaftsrechtlich geforderten rechtsfortbildenden Auslegung einer nationalen Norm bei der Regelung der Rechtsfolgen des Widerspruchs nach nationalem Recht ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten hergestellt werden. In Rechnung zu stellen ist insbesondere, dass der Versicherungsnehmer während der Dauer der Prämienzahlung Versicherungsschutz genossen hat; diesen muss er sich im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung als erlangten Vermögensvorteil anrechnen lassen. Bei Lebensversicherungen kann, so der Bundesgerichtshof, etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (aaO).
35Ausgehend hiervon muss sich die Klägerin unter Zugrundelegung der von der Beklagten mitgeteilten Zahlenwerte bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den auf die gezahlten Prämien entfallenden reinen Risikoanteil für die Lebensversicherungen einschließlich der Todesfall-Zusatzversicherungen anrechnen lassen.
36Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt allerdings eine Anrechnung desjenigen Prämienanteils, der auf die Abschlusskosten (hier geltend gemacht als Wert der Beratungsleistungen) entfallen ist, nicht in Betracht. Sie kann insoweit nicht den Einwand der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB erheben. Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Mai 2014 folgt nicht, dass zugunsten des Versicherers sämtliche Kosten, die unmittelbar oder mittelbar mit der Gewährung von Versicherungsschutz während der Dauer der Prämienzahlung zusammen hängen, mindernd zu berücksichtigen sind. Bei der vom Bundesgerichtshof verlangten gerechten Risikoverteilung darf nicht außer Betracht bleiben, dass der Versicherer durch ein ihm zuzurechnendes Fehlverhalten (hier eine unzureichende Widerspruchsbelehrung) wesentlich dazu beigetragen hat, dass der Vertrag im Zustand schwebender Unwirksamkeit verblieben ist und nicht wirksam werden konnte. Bei dieser Sachlage erscheint es nicht angemessen, den Versicherungsnehmer mit den Kosten für den (letztlich nicht wirksam zustande gekommenen) Vertragsabschluss zu belasten. Das steht im Einklang mit allgemeinen bereicherungsrechtlichen Erwägungen. Ob ein Bereicherungsschuldner Aufwendungen, die er vorgenommen hat, bereicherungsmindernd geltend machen kann, hängt maßgeblich davon ab, welcher der Parteien des Bereicherungsverhältnisses das Risiko des Entstehens dieser Aufwendungen zuzurechnen ist (BGHZ 109, 139; BGHZ 116, 251; NJW 2014, 854, Rz. 36). Ausdrücklich hat der Bundesgerichtshof (BGHZ 109, 139) entschieden, dass einem Leasinggeber bei Rückabwicklung aufgrund berechtigter Wandlung des Kaufvertrags gegen den Leasingnehmer kein Anspruch auf die Vertragskosten (Kaufpreis und sonstige mit dem Abschluss des Leasingvertrags in Zusammenhang stehende Kosten) zusteht, weil der Leasingnehmer keine mangelfreie Leistung erhalten hat. Diese Wertung greift auch in der vorliegenden Konstellation. Dass es nicht zu einem wirksamen Vertragsschluss gekommen ist und dem Zustandekommen des Lebensversicherungsvertrags deshalb auch nach Jahren noch widersprochen werden kann, beruht hier maßgebend darauf, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt hat. Das Risiko, dass er deswegen seine Vertragskosten unnötig aufgewandt hat, muss beim Versicherer bleiben.
37Bei der Berechnung der auf die Prämien entfallenden Anteile für den Risikoschutz kann, anders als die Beklagte meint, nicht darauf abgestellt werden, welche Kosten entstanden wären, wenn alternativ jeweils reine Risikolebensversicherungen abgeschlossen worden wären, denn die insoweit von der Beklagten ermittelten Prämien kalkulieren die Abschlusskosten mit ein, die aber nach den vorstehenden Ausführungen unberücksichtigt zu bleiben haben. Maßgebend ist daher alleine der reine Risikoanteil, der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 25. November 2014 mit 215,08 € (Vertrag Endziffer 49) und mit 244,41 € (Vertrag Endziffer 45) mitgeteilt worden ist.
38Die insoweit von der Beklagten angegebenen Beträge - auch hinsichtlich des auf die Todesfallzusatzversicherungen zuletzt angegebenen Prämienanteils von 104,42 € (Vertrag Endziffer 49) und 147,17 € (Vertrag Endziffer 45) - hält der Senat für zutreffend. Die Klägerin hat die von der Beklagten angeführten Beträge zwar der Höhe nach bestritten. Gleichwohl legt der Senat diese gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zugrunde. Nach dieser Bestimmung kann in vermögensrechtlichen Streitigkeiten über die Höhe einer Forderung unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entschieden werden, wenn die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung der Forderung in keinem Verhältnis steht. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens wäre mit erheblichen Kosten verbunden, die in keinem Verhältnis zu der Gesamtforderung der Klägerin stehen würden. Der Senat hat keinen durchgreifenden Anhalt dafür, dass die von der Beklagten angegebenen Werte fehlerhaft ermittelt worden sind, und übernimmt sie daher in Anwendung von § 287 Abs. 2 ZPO.
39Nutzungen stehen der Klägerin nur in Höhe von 218,28 € (Vertrag Endziffer 49) bzw. 210,63 € (Vertrag Endziffer 45) zu. Hierbei handelt es sich um die von der Beklagten angegebenen Beträge, die sich aus einer positiven Fondsentwicklung ergeben. Weitergehende Nutzungen kann die Klägerin nicht beanspruchen
40Der Anspruch aus § 818 Abs. 1 BGB beschränkt sich auf die Erstattung tatsächlich gezogener Nutzungen (BGH, Beschl. v. 30. Juli 2012 – IV ZR 134/11 – m.w.N.). Hierfür ist die Klägerin darlegungs- und beweispflichtig. Grundsätzlich bedarf es hierzu eines entsprechenden Tatsachenvortrags des Versicherungsnehmers (BGH, aaO). Erstinstanzlich hat die Klägerin Zinsen mit einem Zinssatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz geltend gemacht, was sich aus den vorgelegten Zinsberechnungen (GA 34 ff.; 311 ff.) erschließt. Darüber hinaus hatte sich die Klägerin auf eine entsprechende Vermutung, die bei Kreditinstituten gilt, berufen (GA 461) und geltend gemacht, diese Rechtsprechung sei auf Lebensversicherungsverträge zu übertragen. Auch diesem Ansatz ist bei den hier streitgegenständlichen fondsgebundenen Lebensversicherungen nicht zu folgen.
41Von vornherein fehlt einer solchen Vermutung die Basis für denjenigen Prämienanteil, der auf die Abschluss- und Verwaltungskosten entfällt. Dieser Teil der Prämie wird bestimmungsgemäß nicht zur Kapitalanlage verwendet, so dass auch nicht vermutet werden kann, die Beklagte habe insoweit aus den eingezahlten Beiträgen Nutzungen gezogen.
42Eine solche Vermutung gilt bei fondsgebundenen Lebensversicherungen auch nicht in Bezug auf den Sparanteil der Prämie, denn dieser wird vereinbarungsgemäß in Fondsanteilen angelegt; dem Versicherungsnehmer steht als eine tatsächlich gezogene Nutzung im Sinne von § 818 Abs. 1 BGB nur der mit der Anlage des Sparanteils erzielte Gewinn, der sich hauptsächlich in der Differenz zwischen der Summe der Sparanteile der Prämien und dem Fondsguthaben bei Vertragsbeendigung widerspiegelt, zu. Diesen Gewinn hat die Beklagte hier konkret mitgeteilt und damit ihrer sekundären Darlegungslast genügt. Diesem Vortrag ist die Klägerin im Schriftsatz vom 30. Oktober 2014 nicht weiter entgegengetreten.
43Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich folgende Berechnung (unter Außerachtlassung der von der Beklagten für die Klägerin abgeführten Steuern).
44Vertrag Endziffer 49:
453.197,55 € - 215,08 € - 104,42 € + 218,28 € - 1.646,53 € (Rückkaufswert vor Steuern; GA 33) = 1.449,80 €
46Vertrag Endziffer 45:
473.123,65 € - 244,41 € - 147,17 € + 210,63 € - 1.574,94 € (Rückkaufswert vor Steuern; GA 310) = 1.367,76 €
48Die Beträge sind ab dem Tag nach der Rechtshängigkeit der Klageforderungen (hier jeweils ab 15. Oktober 2013) mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen.
494.
50Die Forderungen der Klägerin sind nicht teilweise verjährt. Der Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung ist erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden (so in etwas anderem, aber vergleichbarem Zusammenhang: BGH, VersR 2013, 899, Rz. 16). Die gegenteilige Auffassung von Armbrüster (VersR 2012, 513, 522 f.) überzeugt nicht. Danach soll der bereicherungsrechtliche Rückzahlungsanspruch bereits mit der Zahlung der jeweiligen Versicherungsprämie entstehen, weil der Vertrag schwebend unwirksam sei. Hierzu hat sich Armbrüster auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 1976, 104, 105) bezogen, der jedoch eine abweichende Fallkonstellation zugrunde lag. Vorliegend ist maßgebend, dass der Vertrag erst nach der Entscheidung des Versicherungsnehmers, den Widerspruch zu erklären, endgültig unwirksam geworden ist, während er zuvor von beiden Parteien wie ein wirksamer Vertrag durchgeführt wurde. Erst mit der Ausübung des Widerspruchsrechts steht fest, dass der Vertrag rückabzuwickeln ist, so dass der Bereicherungsanspruch des Versicherungsnehmers auch erst zu diesem Zeitpunkt entsteht. Unabhängig davon wäre auch fraglich, ob schon mit der Zahlung der Prämie eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Versicherungsnehmers von den den Anspruch begründenden Umständen im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB angenommen werden könnte. Das wird wegen der Schwierigkeit der Rechtslage kaum anzunehmen sein (so auch Jacob, juris-PR-VersR 8/2014, Anm. 2).
515.
52Der Klägerin steht kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich angefallener Anwaltskosten zu. Einen Anspruch aus Verzug macht sie ersichtlich nicht geltend; sie leitet den Anspruch aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen unrichtiger Widerspruchsbelehrung her (GA 10, 287). Darauf kommt die Klägerin aber in der Berufung nicht mehr zurück. Im Übrigen wäre ein Anspruch
53auf Schadensersatz wegen unzureichender Widerspruchsbelehrung auch nicht schlüssig dargelegt. Der Bundesgerichtshof hat im Anwendungsbereich des HWiG – vorgegeben durch 2 Vorabentscheidungen des EuGH (NJW 2005, 3551 und 3555) – allerdings entschieden, dass die nach diesem Gesetz verlangte Widerrufsbelehrung eine echte Rechtspflicht darstellt, deren Verletzung bei Verschulden zu einem Schadensersatzanspruch führen kann (BGHZ 169, 109, 120; BGH, VersR 2008, 1544). Ob diese Rechtsprechung, die auf den Besonderheiten des HWiG und den insoweit maßgebenden europarechtlichen Vorgaben beruht, unbesehen auf andere Widerrufs-/ oder Widerspruchsrechte übertragen werden kann (so offenbar Ebers in: Schwintowski/ Brömmelmeyer, VVG, 2. Aufl., § 8, Rn. 52), erscheint fraglich. Das kann hier aber dahingestellt bleiben. Selbst wenn man auch im Anwendungsbereich des § 5a VVG a.F. eine Rechtspflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht annehmen wollte, kann daraus nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Schadensersatzanspruch nur dann hergeleitet werden, wenn die Schadensursächlichkeit des Belehrungsverstoßes feststeht. Dazu aber fehlt jeder Vortrag der Klägerin. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gilt insoweit nicht (so ausdrücklich BGHZ 169, 109 ff., Tz. 43). Dass die Klägerin sich bei ordnungsgemäßer Belehrung zu einem fristgerechten Widerspruch entschlossen hätte, liegt auch eher fern, denn augenscheinlich wollte sie sich vertraglich binden und hat die Verträge dann auch etwa 9 Jahre lang durchgeführt.
546.
55Zu der hilfsweise erhobenen Stufenklage, die das Landgericht insgesamt abgewiesen hatte, fehlt eine Berufungsbegründung. Die Berufung ist insoweit unzulässig.
567.
57Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Im Rahmen der Kostenentscheidung ist berücksichtigt, dass die hilfsweise erhobene Stufenklage ohne Erfolg geblieben ist.
58Der Senat lässt die Revision zu, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Wie die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrags, dem wirksam widersprochen worden ist, erfolgt, ist bislang in den Einzelheiten nicht geklärt. Soweit die Klage abgewiesen worden ist, stellen sich keine Grundsatzfragen, so dass kein Anlass zu einer Revisionszulassung besteht.
59Berufungsstreitwert: 5.087,93 €
60Maßgebend ist der (höhere) Streitwert der Hauptanträge (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG); auch mit den Hilfsanträgen werden Ansprüche aus der Abwicklung des Versicherungsvertrags verfolgt, so dass das Anspruchsziel bei wirtschaftlicher Betrachtung identisch ist.
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(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.
(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.
(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.
(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.
(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.
(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.
(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.
(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.
(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.
(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem
- 1.
der Anspruch entstanden ist und - 2.
der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
(2) Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
(3) Sonstige Schadensersatzansprüche verjähren
- 1.
ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an und - 2.
ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
(3a) Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt, verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an.
(4) Andere Ansprüche als die nach den Absätzen 2 bis 3a verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.
(5) Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so tritt an die Stelle der Entstehung die Zuwiderhandlung.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.
(1) In einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachte Ansprüche, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, werden zusammengerechnet. Ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch wird mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht. Betreffen die Ansprüche im Fall des Satzes 1 oder 2 denselben Gegenstand, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend.
(2) Für wechselseitig eingelegte Rechtsmittel, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, ist Absatz 1 Satz 1 und 3 entsprechend anzuwenden.
(3) Macht der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung geltend, erhöht sich der Streitwert um den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht.
(4) Bei einer Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich sind die Absätze 1 bis 3 entsprechend anzuwenden.