Oberlandesgericht Köln Urteil, 06. Nov. 2015 - 20 U 108/15
Gericht
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 1. Juni 2015 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 26 O 372/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Der Kläger schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 1996 ab. Im August 1999 kündigte er den Vertrag; die Beklagte erkannte die Kündigung zum 1. Oktober 1999 an und kehrte unter Anrechnung von Beitragsrückständen einen Betrag von 7.183,91 DM (GA 11) aus. Zu einem späteren Zeitpunkt trat der Kläger etwaige Nachzahlungsansprüche gegen die Beklagte an die Verbraucherzentrale Hamburg e.V. ab, die diese im Wege der Stufenklage verfolgte (26 O 522/06 LG Köln = 20 U 80/08 OLG Köln = IV ZR 39/10 BGH). In jenem Verfahren erklärte die Verbraucherzentrale für den Kläger nach Zurückverweisung der Sache vom Bundesgerichtshof an den Senat mit Schreiben vom 27. Februar 2014 und vom 11. Februar 2015 den Widerspruch. Mit rechtskräftigem Urteil vom 13. März 2015 (20 U 80/08) wurde die im Hauptantrag auf Rückzahlung der Prämien abzüglich Rückkaufswert umgestellte Klage insgesamt abgewiesen, wobei die Klageänderung in Bezug auf den Hauptantrag als nach § 533 ZPO unzulässig angesehen worden ist. Parallel hierzu hatte der Kläger mit außergerichtlichem Anwaltsschreiben vom 11. Juni 2014 dem Vertragsschluss widersprochen.
4Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten in erster Linie die verzinsliche Rückerstattung der auf die Hauptversicherung geleisteten Prämien abzüglich des ausgekehrten Betrags.
5Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei berechtigt gewesen, dem Vertragsschluss noch im Jahr 2014 zu widersprechen. Er sei über sein Widerspruchsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt worden. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei nicht anwendbar. Auch der Umstand, dass der Vertrag nach der Kündigung bereits vollständig erfüllt sei, stehe der Ausübung des Widerspruchsrechts nicht entgegen.
6Der Kläger hat beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.967,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Klagezustellung zu zahlen.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte hat den Widerspruch für unwirksam gehalten und sich u.a. auf Verjährung sowie Verwirkung berufen.
11Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Juni 2015, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, das Widerspruchsrecht sei in entsprechender Anwendung von §§ 7 Abs. 2 S. 3 VerbrKrG und 2 Abs. 1 S. 4 HWiG nach vollständiger Leistungserbringung erloschen. Dem stehe die Entscheidung des EuGH vom 19. Dezember 2013 (C-209/12; VersR 2014, 225) nicht entgegen.
12Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen erstinstanzlich gestellten Antrag in vollem Umfang weiterverfolgt. Der Kläger meint, eine analoge Anwendung von § 7 Abs. 2 S. 3 VerbrKrG bzw. § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG komme vorliegend nicht in Betracht. Dies verstoße gegen Art. 15 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie. Insoweit würden die Rechtsgedanken der EuGH-Entscheidung vom 19. Dezember 2013 entsprechend gelten.
13Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.
14Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
15II.
16Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
17Der Kläger hat keinen Anspruch auf verzinsliche Erstattung der von ihm auf den Versicherungsvertrag geleisteten Prämien abzüglich des ausgekehrten Betrages. Ausgehend von einem Vertragsabschuss nach dem Policenmodell stand dem Kläger im Jahr 2014 ein Recht zum Widerspruch nach § 5a VVG a.F. nicht mehr zu. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung bei Aushändigung des Versicherungsscheins nicht festgestellt werden kann.
18In einer solchen Konstellation steht der Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 5a VVG a.F. zwar grundsätzlich nicht entgegen, dass der Widerspruch erst nach Vertragskündigung und nachfolgender beiderseits vollständiger Leistungserbringung erklärt wird, weil anderenfalls das Wahlrecht des Versicherungsnehmers zwischen Kündigung und Widerspruch aufgrund der fehlerhaften Widerspruchsbelehrung beeinträchtigt wäre (BGHZ 201, 101). Aus dem gleichen Grund stellt die Ausübung des Widerspruchsrechts in einem solchen Fall in aller Regel auch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar (BGH, aaO).
19Zweifelhaft erscheint auch, ob – entsprechend der Auffassung des Landgerichts – vorliegend eine entsprechende Anwendung der Regelung in §§ 7 Abs. 2 S. 3 VerbrKrG und 2 Abs. 1 S. 4 HWiG in Betracht gezogen werden kann. Zwar ist mit Blick auf die Vertragsbeendigung nach Kündigung im Jahr 1999 der zeitliche Anwendungsbereich dieser Normen eröffnet. Fraglich könnte aber sein, ob – anders als im Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 VVG in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 1990 (vgl. dazu BGH, VersR 2013, 1513) – bei Vertragsschluss nach dem Policenmodell eine Regelungslücke hinsichtlich der Rechtsfolgen einer nicht ausreichenden Belehrung besteht, denn insoweit sah § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. mit dem Erlöschen des Widerspruchsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie eine gesetzliche Regelung ausdrücklich vor. Die Lücke, die dadurch entstanden ist, dass § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. als nicht europarechtskonform angesehen wird, hat der Bundesgerichtshof dahin geschlossen, dass § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. für den Bereich der Lebens- und Rentenversicherung unanwendbar ist (BGHZ 201, 101). Deshalb erscheint problematisch, ob die Regelungen in den §§ 7 Abs. 2 S. 3 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG in deren zeitlichem Anwendungsbereich bei einem Vertragsschluss nach dem Policenmodell entsprechend herangezogen werden können. Abschließend zu entscheiden braucht dies der Senat indes nicht.
20Der Senat hält in der gegebenen besonderen Situation das Widerspruchsrecht ungeachtet einer fehlenden ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung für verwirkt. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es über einen längeren Zeitraum hindurch nicht geltend gemacht hat, der Verpflichtete sich hierauf eingerichtet hat und sich auch darauf einrichten durfte, weil er nach dem Verhalten des Berechtigten annehmen konnte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde (vgl. etwa BGHZ 84, 280, 281; BGH, NJW 2008, 2254; Palandt-Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 242, Rn. 87). Grundsätzlich mag es zutreffend sein, dass einer Verwirkung die wegen fehlender oder unzutreffender Belehrung mangelnde Kenntnis vom Widerrufsrecht entgegenstehen kann (vgl. BGH, VersR 2014, 817). Dies aber ist nur ein, wenngleich sicher wesentliches Element im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände. Gleichwohl können besondere Gegebenheiten die Annahme rechtfertigen, dass der Versicherer berechtigterweise mit einem Widerspruch des Versicherungsnehmers viele Jahre nach der kündigungsbedingten Vertragsbeendigung (vorliegend fast 15 Jahre) nicht mehr rechnen muss und auch der Versicherungsnehmer insoweit nicht mehr schutzwürdig erscheint. Solche besonderen Umstände sieht der Senat hier darin, dass der Kläger – vertreten durch die Verbraucherzentrale Hamburg und die für sie handelnden Rechtsanwälte – über viele Jahre hinweg gegen die Beklagte ausschließlich Ansprüche auf einen weitergehenden Rückkaufswert verfolgt und damit den vertraglichen Bestand des Rentenversicherungsvertrags zu keiner Zeit in Abrede gestellt hat. Die Beklagte hat sich bei dieser Sachlage darauf einstellen können, dass der Kläger die Wirksamkeit des Vertrags nicht anzweifeln wollte. Den rechtskundigen Vertretern des Klägers muss - jedenfalls seit dem Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2012 (VersR 2012, 608) - vor Augen gestanden haben, dass Zweifel an der Europarechtskonformität des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. bestehen und bei vorliegend augenscheinlich fehlender ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung auch ein Rückabwicklungsanspruch nach §§ 812 ff. BGB in Betracht zu ziehen war. Wenn gleichwohl solche Ansprüche zunächst nicht verfolgt werden und der Widerspruch erst 2014 erklärt wird, so liegt ein widersprüchliches Verhalten vor mit der Folge, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts zu diesem Zeitpunkt gegen Treu und Glauben verstößt. Dem lässt sich in der gegebenen Situation nicht entgegenhalten, dass die Beklagte wegen nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung nicht schutzbedürftig ist, denn sie brauchte mit Blick darauf, dass der Kläger sachkundig anwaltlich vertreten war, im Jahr 2014 nicht mehr damit zu rechnen, dass die Wirksamkeit des Vertrags angezweifelt wird, nachdem über Jahre hinweg der Eindruck erweckt worden ist, es gehe dem Kläger alleine um einen Nachforderungsanspruch wegen eines seiner Auffassung nach zu geringen Rückkaufswerts.
21Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
22Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor. Grundsätzliche Rechtsfragen stellen sich nicht; es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung, in der der Senat unter Würdigung der besonderen Umstände des Falles ausnahmsweise ein Widerspruchsrecht trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung als nicht mehr gegeben ansieht.
23Berufungsstreitwert: 11.985,32 €
24(s. Senatsbeschluss vom 7. August 2015 zu 20 W 45/15)
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Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind nur zulässig, wenn
- 1.
der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und - 2.
diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 zugrunde zu legen hat.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)