Hanseatisches Oberlandesgericht Urteil, 20. März 2015 - 11 U 245/14
Gericht
Gründe
I.
- 1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche des Klägers als Insolvenzverwalter über das Vermögen der C-AG gegen die Beklagten. Der Beklagte zu 1) war Aktionär der Schuldnerin, der Beklagte zu 2) dessen Prozessbevollmächtigter in einem Anfechtungsverfahren im Zusammenhang mit einem Kapitalerhöhungsbeschluss der Schuldnerin.
- 2
Das Landgericht hat die Beklagten mit Urteil vom 25.08.2014 zur Zahlung von 2 Mio. Euro verurteilt. Das Urteil wurde den Beklagten am 01.09.2014 zugestellt.
- 3
Mit Schriftsatz vom 30.09.2014 haben die Beklagten Berufung eingelegt. Der Schriftsatz ist am 01.10.2014 bei der Gemeinsamen Annahmestelle des Amtsgerichts Hamburg, bei der fristwahrend auch Schriftstücke für das Hanseatische Oberlandesgericht und das Landgericht Hamburg eingereicht werden können, eingegangen. Dieser zweiseitige Schriftsatz trägt das Datum „30.09.2014“ und ist adressiert „An das Landgericht Hamburg, Zivilkammer …, … Hamburg“. Auf der ersten Seite heißt es weiter: „Aktenzeichen I. Instanz: (…)“ und „Berufung“. Auf der zweiten Seite findet sich als vorgedruckte Unterschrift „(C.) Rechtsanwalt“, unterzeichnet wurde der Schriftsatz von der Zeugin Rechtsanwältin A., und zwar „i.V.“. Von der Gemeinsamen Annahmestelle ist der Schriftsatz an die Geschäftsstelle der Zivilkammer … des Landgerichts Hamburg übersandt worden.
- 4
Am 02.10.2014 ist der Schriftsatz, versehen mit einem gelben Klebezettel mit der Aufschrift „‘Eilt‘ Turnus OLG“, beim Hanseatischen Oberlandesgericht eingegangen und an die Geschäftsstelle des Senats gelangt.
- 5
Mit Beschluss vom 21.10.2014 hat der Senat die Beklagten darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung zu verwerfen, da der Berufungsschriftsatz vom 30.09.2014 erst nach Ablauf der am 01.10.2014 endenden Berufungsfrist beim Hanseatischen Oberlandesgericht eingegangen sei.
- 6
Mit Schriftsatz vom 06.11.2014, eingegangen am 07.11.2014, haben die Beklagten hierzu Stellung genommen.
- 7
Sie sind der Ansicht, der Eingang bei der Gemeinsamen Annahmestelle am 01.10.2014 genüge zur Fristwahrung, da sich der ersten Seite des Schriftsatzes hinreichend entnehmen lasse, dass Berufung gegen ein Landgerichtsurteil eingelegt werden sollte.
- 8
Jedenfalls sei deshalb von einem rechtzeitigen Eingang beim Hanseatischen Oberlandesgericht auszugehen, weil der Beklagte zu 2) auf Nachfrage erfahren habe, dass die zuständige Mitarbeiterin des Landgerichts die falsche Adressierung sofort bemerkt und sogleich die Geschäftsstellenverwalterin des Senats angerufen habe. Diese habe erklärt, der Schriftsatz solle mit einem Hinweis „Eilt, Turnus OLG“ versehen und in die eilige Post für das Hanseatische Oberlandesgericht gegeben werden, weil er dann das Oberlandesgericht noch am 01.10.2014 erreichen werde. In diesem Sinne sei die Mitarbeiterin des Landgerichts vorgegangen, nachdem sie Rücksprache mit dem Vorsitzenden der Zivilkammer … gehalten habe. Für weitere Einzelheiten wird auf die eidesstattliche Versicherung des Beklagten zu 2) Bezug genommen (Anlage B).
- 9
Vorsorglich beantragen die Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Eine Fristversäumung wäre jedenfalls unverschuldet erfolgt.
- 10
Dies folge schon daraus, dass die Geschäftsstellenverwalterinnen der Zivilkammer … des Landgerichts Hamburg und des Senats übereinstimmend davon ausgegangen seien, dass der Schriftsatz noch am 01.10.2014 das Hanseatische Oberlandesgericht erreichen werde. In einer solchen Konstellation liege eine aus der Fürsorgepflicht erwachsende Verantwortlichkeit im gerichtlichen Bereich vor.
- 11
Unabhängig davon liege kein den Beklagten zurechenbares Anwaltsverschulden vor. Frau Rechtsanwältin A. habe die falsche Adressierung auf dem ihr zur Unterschrift vorgelegten Schriftsatz bemerkt und die Angestellte Frau B. angewiesen, die Adresse zu ändern, zugleich aber bereits den Schriftsatz unterzeichnet, da sie in Eile gewesen sei. Frau B., bei der es sich um eine langjährige, zuverlässige Mitarbeiterin handele, habe diese Änderung zugesagt, dann aber aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht vorgenommen. Für die Einzelheiten wird auf die eidesstattlichen Versicherungen des Herrn Rechtsanwaltes C. (Anlagen C, F), der Rechtsanwältin A. (Anlage D) und der Frau B. (Anlage E) Bezug genommen.
- 12
Die Beklagten beantragen,
- 13
für die Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
- 14
Der Kläger beantragt,
- 15
den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen.
- 16
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2015 - wie bereits in der Ladung angekündigt - beschlossen, dass sich die mündliche Verhandlung auf den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten beschränkt, und die Zeuginnen B. und A. zum Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherungen vernommen. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
- 17
Mit Schriftsatz vom 27.02.2015 haben die Beklagten zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen und dabei insbesondere zum Ablauf nach Zugang des Senatsbeschlusses in der Kanzlei der Beklagtenvertreter vorgetragen sowie eine weitere eidesstattliche Versicherung der Zeugin A., diesen Ablauf betreffend, vorgelegt. Für die weiteren Einzelheiten wird auf diesen Schriftsatz Bezug genommen.
II.
- 18
Die Berufung der Beklagten ist unzulässig, denn sie ist entgegen §§ 517, 519 Abs. 1 ZPO nicht innerhalb der Monatsfrist beim Berufungsgericht eingelegt worden (§ 522 Abs. 1 ZPO).
- 19
Die Berufungsschrift vom 30.09.2014 ist erst am 02.10.2014 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen (1.). Die Berufungsfrist lief am 01.10.2014 ab, nachdem den Prozessbevollmächtigten der Beklagten das angefochtene Urteil am 01.09.2014 zugestellt worden ist.
- 20
Den Beklagten war insoweit auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (2.).
- 21
1. a) Dass die Berufungsschrift noch am 01.10.2014 bei der Gemeinsamen Annahmestelle des Amtsgerichts Hamburg, bei der fristwahrend auch Schriftsätze an das Hanseatische Oberlandesgericht eingereicht werden können, eingegangen war, ist unerheblich. Der Eingang des Schriftsatzes bei dieser Stelle kann deshalb, weil er an das Landgericht Hamburg adressiert war, nicht als Eingang bei dem Berufungsgericht angesehen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 18.02.1997, VI ZB 28/96, juris Rn. 4). Durch diese eindeutige Adressierung hilft es den Beklagten auch nicht, dass dem Schriftsatz zu entnehmen war, dass Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts eingelegt werden sollte (vgl. BGH, aaO., Rn. 6). Soweit sich die Beklagten auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 06.10.1988 berufen (VII ZB 1/88), liegt kein vergleichbarer Sachverhalt vor. Der Bundesgerichtshof hat dort entschieden, dass die Rechtsmittelfrist gewahrt sei, wenn die mit dem zutreffenden Aktenzeichen des Oberlandesgerichts versehene, aber irrtümlich an das Landgericht adressierte Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig bei der gemeinsamen Annahmestelle eingehe. Vorliegend war aber für die Mitarbeiter der Gemeinsamen Annahmestelle gerade nicht ersichtlich, dass es sich um einen „Irrläufer“ gehandelt hat. Es war genauso möglich, dass die Adressierung an das Landgericht auf dem Irrtum darüber beruhte, bei welchem Gericht die Berufung gegen ein Zivilurteil einzulegen ist.
- 22
b) Ein Zugang beim Hanseatischen Oberlandesgericht am 01.10.2014 kann auch nicht damit fingiert werden, dass die Geschäftsstellenverwalterin des Senats dem Landgericht Vorgaben zur weiteren Behandlung gegeben haben soll, mit denen ein Eingang am 01.10.2014 gewährleistet sei. Maßgeblich ist allein, dass der Schriftsatz erst am 02.10.2014 in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Hanseatischen Oberlandesgerichts gelangt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2003, VI ZB 29/02, juris Rn. 7).
- 23
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig, aber unbegründet.
- 24
a) Eine schuldlose Versäumung der Berufungsfrist lässt sich nicht mit einem „überwiegenden Mitverschulden“ der Justiz begründen, wie es die Beklagten unter Hinweis auf die Abläufe am 01.10.2014 tun, die der Beklagte zu 2) in seiner eidesstattlichen Versicherung schildert (Anlage B). Dies folgt schon daraus, dass für die Justiz keine Verpflichtung zu Maßnahmen außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs bestand (BGH, Beschluss vom 28.01.2003, VI ZB 29/02, juris Rn. 8). Weder die Geschäftsstelle des Landgerichts noch diejenige des Senats musste deshalb dafür sorgen, dass die Berufungsschrift noch am 01.10.2014 das Hanseatische Oberlandesgericht erreicht. Die von den Beklagten im Schriftsatz vom 27.02.2015 angenommene, aus einer Fürsorgepflicht erwachsende Verantwortlichkeit im gerichtlichen Bereich bestand nicht.
- 25
b) Die Beklagten haben auch ansonsten nicht glaubhaft gemacht, dass sie an der Versäumung der Frist kein Verschulden traf. Es besteht auch nach der durchgeführten Beweisaufnahme keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten, deren Verschulden den Beklagten zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hatten, um den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift beim Berufungsgericht zu gewährleisten.
- 26
Zwar hätten die Beklagtenvertreter den an sie gestellten Anforderungen genügt, wenn der Ablauf so war, wie er in den eidesstattlichen Versicherungen der Zeuginnen A. und B. dargestellt worden ist. Insgesamt entspricht die Darstellung in den eidesstattlichen Versicherungen dem Ablauf, den der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 05.06.2013 (XII ZB 47/10) für ausreichend erachtet hat (juris, Rn. 9 ff.; vgl. auch Beschlüsse vom 20.03.2012, VIII ZB 41/11, juris Rn. 10 ff. und 17.08.2011, I ZB 21/11, juris Rn. 12 ff.). Frau A. soll bemerkt haben, dass der Schriftsatz falsch adressiert war, und der Mitarbeiterin Frau B. die Anweisung erteilt haben, dies zu korrigieren. Dass die Zeugin A. den Schriftsatz schon vor der Korrektur unterzeichnet haben soll, wäre unschädlich.
- 27
Nach der umfassenden Würdigung der Umstände des vorliegenden Falles spricht jedoch nicht mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptungen als dagegen (vgl. zum Maßstab der Glaubhaftmachung BGH, Beschluss vom 21.10.2010, V ZB 210/09, juris Rn. 7). Weder die eidesstattlichen Versicherungen noch die Aussagen der Zeuginnen (vgl. BGH, Beschluss vom 24.02.2010, XII ZB 129/09, juris Rn. 10, 11) konnten dem Senat die nach dem dargestellten Grundsatz erforderliche Wahrscheinlichkeit vermitteln, dass es die behauptete Einzelanweisung an Frau B. gab. Der Senat hält es ebenso für möglich, dass die Zeugin A. die falsche Anschrift nicht bemerkt hat und folglich der Zeugin B. auch keine Einzelanweisung erteilen konnte.
- 28
aa) Die Zeugin A. hat zwar ihre Angaben aus der eidesstattlichen Versicherung im Kern wiederholt. Der Senat hat jedoch auch nach der Vernehmung erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Angaben. Auch wenn sich im Ergebnis nicht feststellen lässt, dass die Zeugin zu der behaupteten Einzelanweisung unwahre Angaben gemacht hat, lassen diese Zweifel nicht den Schluss zu, dass es die Einzelanweisung wahrscheinlich gab.
- 29
(1) Die Zeugin hat ausgesagt, wenn ihr ein Schriftsatz „in weiß“, also in der Endfassung, vorgelegt wird, kontrolliere sie alles noch mal ganz gründlich. Gleichzeitig hat sie erklärt, sie bestehe gegenüber ihren Mitarbeitern darauf, nur solche Schriftsätze zur Unterschrift vorgelegt zu bekommen, aus denen sich auch ihr Name ergebe. Die hier in Rede stehende Berufungsschrift endet jedoch mit dem Namen des Rechtsanwaltes C. Hiermit konfrontiert, hat die Zeugin erklärt, sie habe keine Veranlassung hinsichtlich einer Korrektur gesehen. Es habe auch keine Rolle gespielt, dass der Schriftsatz nicht das aktuelle Datum, sondern das des Vortages getragen habe. Hinzu kommt, dass die Zeugin zunächst ausgesagt hat, sie habe sich in der „grünen“ Fassung nur mit dem Inhalt des Schriftsatzes befasst, u.a. den Namen und dem Antrag. Der ihr vorgelegte Entwurf der Berufungsschrift enthielt jedoch keinen Antrag.
- 30
Die Zeugin hat zudem ausgesagt, dass die Zeit knapp geworden sei und sie gegen 11.30 Uhr die Kanzlei verlassen habe. Dies lässt es für den Senat mindestens als ebenso wahrscheinlich erscheinen, dass die Zeugin in Eile gewesen ist und den Schriftsatz, der nach ihren eigenen Angaben „einfach und kurz“ war, nicht mehr gelesen, sondern lediglich unterzeichnet hat, zumal sie im Entwurf keine Korrekturen vorgenommen hatte und somit kein besonderer Anlass zu einer nochmaligen Kontrolle bestand. Es ist auch nicht zwingend, dass ihr die fehlerhafte Adressierung auch ohne eingehende Kontrolle auffallen musste, denn im Entwurf hatte sie diese nicht bemerkt, obwohl sie es für möglich hielt, dass sie das Adressfeld schon da gesehen hatte.
- 31
(2) Im weiteren Verlauf der Vernehmung fiel auf, dass die Zeugin den Ablauf am 01.10.2014 sehr detailreich schilderte, an den weiteren Ablauf nach Bekanntwerden des Fehlers jedoch keine konkreten Erinnerungen zu haben schien. Dies ist nach Auffassung des Senats deshalb bemerkenswert, weil der Vorgang am 01.10.2014 - soweit ersichtlich - noch keine besondere Bedeutung hatte, während nach Eingang des Hinweisbeschlusses des Senats nach den Bekundungen der Zeugin über mehrere Tage eine angespannte und aufgeregte Stimmung geherrscht habe und sie selbst aus allen Wolken gefallen sei.
- 32
Auch nach den zahlreichen Nachfragen des Senats ergab sich aus den Schilderungen der Zeugin kein stimmiges Bild davon, wie sie sich nach Bekanntwerden der Problematik verhalten haben will. Die Zeugin geht davon aus, dass der Hinweisbeschluss des Senats am Ende der Woche in der Kanzlei eingegangen ist, sie aber erst nach dem Wochenende davon erfahren habe - nach ihrer Erinnerung hat ihre Mitarbeiterin Frau Z. ihr dabei auch gesagt, dass das Problem darin liege, dass die Berufung nicht rechtzeitig eingelegt worden sei -, wobei sie sich nicht festlegen konnte, ob am Montag oder am Dienstag. Sie sei dann mit ihrem Kanzleikollegen P. essen gegangen und habe im Anschluss mit Frau B. gesprochen. Dabei habe Frau B. ausdrücklich die Frage bejaht, ob sie die Sache pünktlich abgegeben habe. Dies lässt zumindest auch den Schluss zu, dass aus der Sicht der Zeugin, die nach eigenen Angaben über Kenntnisse im Zivilverfahrensrecht verfügt, nur eine solche verspätete Einreichung des Schriftsatzes als Ursache in Betracht kam, was wiederum dafür spricht, dass der Zeugin auch nur diese Möglichkeit bewusst gewesen ist, weil ihr die falsche Adressierung zuvor nicht aufgefallen war.
- 33
Die Zeugin A. hat weiter ausgesagt, am darauffolgenden Morgen habe Herr Rechtsanwalt C. sie abgepasst und es sei dann in dessen Zimmer zu einem nicht sehr sachlichen Gespräch gekommen, bei dem beide ziemlich aneinandergeraten seien. Die Zeugin konnte aber auch auf Nachfrage keine konkreten Angaben zum Inhalt dieses Gesprächs machen, hat aber erklärt, Herr C. habe ihr keine Vorwürfe gemacht, so dass offenbleibt, welchen Grund es für beide gab, aneinanderzugeraten. Vor allem erscheint es dem Senat wenig nachvollziehbar, dass die Zeugin tatsächlich nicht mehr weiß, ob Herr C. ihr in diesem Gespräch erklärt hat, welche Problematik es mit der Frist gab. Vielmehr ist auch hier nicht weniger wahrscheinlich, dass Herr C. der Zeugin - wenn sie es nicht bereits wusste - sehr wohl erklärt hat, warum der Senat Zulässigkeitsbedenken hat, und der Zeugin insoweit vorwarf, die falsche Adressierung nicht erkannt zu haben. Die Zeugin konnte nämlich auch nicht nachvollziehbar erläutern, warum sie bereits zu diesem Zeitpunkt keinen Zweifel daran hatte, selbst keinen Fehler gemacht zu haben. Da die Zeugin im Ergebnis für die Berufungsschrift verantwortlich gewesen ist, hätte es nahe gelegen, dass sie sich umgehend darüber informiert, wo das Problem liegt. Der Senat hat auch nicht verstanden, warum es für die Kenntnis, dass die Sache zwar „fristgerecht“ eingegangen sei, aber eben beim falschen Gericht, einer Akteneinsicht bedurfte, denn dieser Umstand bildete den wesentlichen Grund des Senatshinweises.
- 34
Auch wenn der wiederholte Hinweis darauf, dass es der Zeugin B. aufgrund des Vorfalls sehr schlecht gegangen sei, eine Erklärungsmöglichkeit dafür darstellt, dass die Zeugin A., nach eigener Aussage von impulsivem Charakter, die Zeugin B. nicht unmittelbar zur Rede gestellt hat, ist es nach dem zuvor Gesagten ebenso denkbar, dass dies deshalb nicht erfolgte, weil die Zeugin gewusst hat, dass ihr selbst ein entscheidender Fehler unterlaufen war.
- 35
Die aus den vorstehend geschilderten Indizien herrührenden Zweifel lassen sich auch nicht damit beseitigen, dass die Zeugin - wie von den Beklagten im Schriftsatz vom 27.02.2015 behauptet - keinen Anlass gehabt hätte, sich auf eine Befragung zu den Abläufen nach Bekanntwerden des Senatsbeschlusses vorzubereiten. Dies allein vermag die gezeigten Schwächen der Aussage nicht zu erklären. Sollten die Beklagten zugleich zum Ausdruck bringen wollen, dass die detailreichen Erinnerungen der Zeugin zu dem Ablauf am 01.10.2014 in einer - wie auch immer gearteten - Vorbereitung auf die Vernehmung begründet seien, würde dies die unter (1) dargelegten Zweifel daran, dass es sich tatsächlich um eigene Erinnerungen der Zeugin handelt, eher verstärken (hierzu auch unter c]).
- 36
Die Zweifel des Senats lassen sich auch nicht dadurch ausräumen, dass die Beklagten im Schriftsatz vom 27.02.2015 die Abläufe nach Zugang des Senatsbeschlusses in der Kanzlei der Beklagtenvertreter darlegen und die Zeugin A. die Richtigkeit dieses Vortrages eidesstattlich versichert. Die schriftsätzliche Zusammenfassung des Geschehens im Anschluss an die Vernehmung der Zeugin A. zu demselben Thema hat auf den persönlichen Eindruck, den der Senat von der Zeugin gewonnen hat, keinen Einfluss. Es muss deshalb nicht entschieden werden, ob der Vortrag und die eidesstattliche Versicherung der Zeugin A. nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist und nach Schluss der mündlichen Verhandlung überhaupt noch zuzulassen wären.
- 37
bb) Auch die Aussage der Zeugin B. vermag nichts daran zu ändern, dass es keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass die Zeugin A. eine Anweisung zur Korrektur der Anschrift gegeben hat.
- 38
Die Zeugin hatte in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben, sie könne sich nicht erklären, warum sie das Adressfeld nicht korrigiert habe. In ihrer Vernehmung meinte sie dagegen, das Anschriftenfeld geändert zu haben, die Datei jedoch vor dem Ausdruck nicht gespeichert und sodann aus der Historie die ursprüngliche Datei ausgedruckt zu haben. Warum sie dies in der eidesstattlichen Versicherung - die sie naturgemäß in einem sehr viel kürzeren Abstand zum Geschehen abgegeben hatte - nicht angegeben hat, konnte sie nicht erläutern. Die Behauptung der Beklagten im Schriftsatz vom 27.02.2015, die Zeugin habe in der eidesstattlichen Versicherung nicht die Erinnerung an den Vorgang wiedergegeben, sondern die Suche nach einer Erklärung, steht im Widerspruch zum Wortlaut der eidesstattlichen Versicherung, denn dort heißt es: „Warum ich tatsächlich das Adressfeld dann nicht korrigiert, sondern die erste Seite noch einmal genauso ausgedruckt und die letztlich identischen ersten Seiten ausgetauscht habe, kann ich mir überhaupt nicht erklären.“ Die Zeugin erklärt damit ausdrücklich und im Widerspruch zu ihrer Zeugenaussage, das Adressfeld nicht korrigiert zu haben, wie es im Übrigen die Beklagten auch in der Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages im Schriftsatz vom 06.11.2014 vorgetragen haben. Hierfür ist es nicht von Bedeutung, mit welchen Arbeitsschritten eine solche Korrektur verbunden ist, so dass es schon deshalb auf die entsprechenden Ausführungen im Schriftsatz vom 27.02.2015 nicht ankommt.
- 39
Der Senat kann auch nicht nachvollziehen, warum die Zeugin den Ausdruck nicht mehr kontrolliert hat, obwohl ihr nach eigenem Bekunden der Fehler peinlich gewesen sein soll. Eine solche Kontrolle wäre auch ohne Zeitaufwand möglich gewesen, z.B. beim Heften der Schriftsätze.
- 40
cc) Auch in einer Gesamtschau überwiegen nicht die für den von den Zeuginnen dem Senat unterbreiteten Sachverhalte sprechenden Aspekte.
- 41
Die Darstellung wirkt vielmehr konstruiert. Hierfür spricht zunächst, dass sie sich sehr genau an den „Vorgaben“ orientiert, die der Bundesgerichtshof im Beschluss vom 05.06.2013 (XII ZB 47/10) hinsichtlich der zulässigen Einzelanweisung gemacht hat. Die Beklagtenvertreter kennen diese Entscheidung, denn sie haben sich in ihrem Wiedereinsetzungsantrag und im Schriftsatz vom 27.02.2015 hierauf berufen. Für diese Orientierung war es u.a. erforderlich, dass die Zeugin A. den Fehler im Anschriftenfeld nicht bereits auf dem „grünen“ Entwurf bemerkt haben durfte, denn dann hätte sie besonderen Anlass gehabt, zu prüfen, ob der Fehler im Original korrigiert wurde. Gleichzeitig musste sie behaupten, das Original noch einmal gründlich gelesen zu haben, obwohl es hierfür keinen Grund gab, da sie im Entwurf keine Änderungen vorgenommen hatte und es sich um einen sehr kurzen Schriftsatz handelte (hierzu bereits unter aa]).
- 42
Ein weiteres Indiz für eine Absprache sieht der Senat darin, dass es in den eidesstattlichen Versicherungen der Zeuginnen übereinstimmend heißt, Frau B. sei zunächst mit dem Entwurf der Berufungsschrift und dem Vermerk des Rechtsanwaltes C. bei Frau A. erschienen, während beide Zeuginnen in ihrer Vernehmung jeweils ungefragt ausgesagt haben, Frau B. habe auch die Akte mitgebracht.
- 43
Auch der Umstand, dass die Auffassung des Senats voraussetzt, dass die Zeuginnen A. und B. falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben und uneidlich falsch ausgesagt hätten, ändert nichts an der Bewertung. Dass es sich bei der Zeugin A. um ein Organ der Rechtspflege handelt, führt nicht dazu, dass ihr eine gegenüber anderen Zeugen erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Beklagten, sondern vorliegend auch die Beklagtenvertreter ein erhebliches Interesse am erfolgreichen Ausgang des Berufungsverfahrens haben. Durch die Verwerfung der Berufung droht der Kanzlei der Beklagtenvertreter, über die vom Landgericht ausgeurteilte Summe von 2 Mio. Euro von den Beklagten in Regress genommen zu werden. Zudem hat der Beklagtenvertreter die Situation als existenzbedrohend bezeichnet, wobei unerheblich ist, ob er damit die Beklagten meinte oder die eigene Kanzlei.
- 44
3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- 45
Es bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen. Die Entscheidung des Senats beruht auf der Übertragung der zitierten Grundsätze des Bundesgerichtshofes auf den Einzelfall und der Würdigung von Zeugenaussagen.
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)