Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 25. Okt. 2016 - 4 Ws 313/16
Gericht
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
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Zusatz:
21. Ergänzend bemerkt der Senat hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose, dass die Sachverständige (und mit ihr die Strafvollstreckungskammer) überzeugend ein erhöhtes bis hohes Rückfallrisiko für neue Taten, die der Anlasstat entsprechen, festgestellt hat. Dies hat sie – ausgehend von statistischen Basisraten – unter Zugrundelegung der bei dem Verurteilten vorliegenden gefährlichkeitsmindernden bzw. gefährlichkeitserhöhenden Umstände dargelegt. Aus den Ausführungen der Sachverständigen ergibt sich, dass die teilweise festgestellte geringere statistische Rückfallwahrscheinlichkeit bei älteren Probanden nicht nur wegen des für solche Erhebungen relevanten kleinen Probandenkreises, sondern insbesondere auch wegen der individuellen Disposition des Verurteilten, bei dem eine altersbedingte Minderung der kriminellen Energie (noch) nicht auszumachen ist, nicht dazu führt, bei dem Verurteilten von einer niedrigeren Basisrate auszugehen. Der Senat hat aber schon in seinem Beschluss vom 03.12.2015 in vorliegender Sache klargestellt, dass eine deutlich über einer Basisrate von 10-25% liegenden individuelle Rückfallwahrscheinlichkeit bei den hier in Frage stehenden Delikten eine „hochgradige Gefahr“ i.S.v. § 316f Abs. 2 EGStGB darstellt. So verhält sich vorliegend immer noch.
32. Der Umstand, dass die Strafvollstreckungskammer den angefochtenen Beschluss nicht zum Ablauf der Neunmonatsfrist des § 67e Abs. 2 StGB (01.06.2016) gefasst hat, sondern erst am 23.06.2016 (der schriftlich abgefasste Beschluss lag erst am 18.07.2016 vor) führt nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses oder gar zur Entlassung des Verurteilten. Aufgrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kommt der Senat aber nicht umhin, festzustellen, dass die gut eineinhalbmonatige Überschreitung der Überprüfungsfrist dem freiheitssichernden Gehalt des § 67e Abs. 2 StGB nicht gerecht wird.
4Verfahren wie das vorliegende sind so zu gestalten und zu planen, dass die (erstinstanzliche) schriftliche Entscheidung spätestens bis zum Ablauf der Frist des § 67e Abs. 2 StGB vorliegt (BVerfG, Beschl. v. 30.03.2016 – 2 BvR 746/14 – juris). Die Frist beginnt mit dem Erlass der vorangegangenen erstinstanzlichen Entscheidung, nicht erst nach deren Ablauf (KG Berlin, Beschl. v. 09.06.2016 – 2 Ws 105/15 – juris). Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs, aus der eine Überschreitung der Frist folgt, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass der Geschäftsgang der Kammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsieht, die die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Frist sicherstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören ist und dass auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleibt, soweit die Kammer eine solche für erforderlich halten sollte (BVerfG a.a.O.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.03.2012 – 2 Ws 37/12 - juris). Die Missachtung der Frist kann das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt. Gründe für eine etwaige Fristüberschreitung sind vom Gericht darzulegen (BVerfG a.a.O.; BVerfG, Beschl. v. 20.11.2014 – 2 BvR 2774/12 - juris).
5Gründe für die Fristüberschreitung enthält der angefochtene Beschluss nicht. Sie sind auch sonst nicht aktenkundig. Zwar sind die Vollstreckungshefte erst im Dezember 2015 aus dem Beschwerdeverfahren bzgl. der vorangegangenen Überprüfungsentscheidung an das Landgericht zurückgelangt. Dort wurde dann aber schon Anfang Januar 2016 (gleichzeitig mit der Beauftragung eines Sachverständigengutachtens) ein Termin zur mündlichen Anhörung des Verurteilten (erst) auf den 23.06.2016 anberaumt. Das bedeutete, dass schon Anfang Januar 2016 eine Fristüberschreitung von mindestens drei Wochen (Fristablauf war der 01.06.2016) in Kauf genommen wurde. Es ist nichts dafür erkennbar, dass nicht trotz der für die Begutachtung einzuplanenden Zeit (das Gutachten sollte bis Ende April vorliegen und gelangte am 29.04.2016 zu den Akten) eine Anberaumung eines frühzeitigeren Anhörungstermins möglich gewesen wäre. Insbesondere sind etwaige Terminschwierigkeiten auf Seiten der Sachverständigen oder des Verteidigers nicht aktenkundig. So wäre es auch bei einer Anberaumung des Anhörungstermins noch im Mai 2016 möglich gewesen, den Verfahrensbeteiligten hinreichend Zeit zu dessen Vorbereitung durch rechtzeitige Übersendung des schriftlichen Gutachtens zu geben. Dies wäre insbesondere möglich gewesen, wenn gleichzeitig der Zeitablauf zwischen richterlicher Verfügung und Absendung des Gutachtens (konkret: 8 Tage; Verfügung: 02.05.2016; zur Kanzlei gegeben am 09.05.2016, abgesandt: 10.05.2016), kürzer gehalten worden wäre. Eine Fristüberschreitung wäre mithin vermeidbar oder ihr Umfang (bei Würdigung der zahlreichen im Mai 2016 liegenden Feiertage) jedenfalls kürzer zu halten gewesen.
6Die Fristüberschreitung führt aber nicht zu einem Vollstreckungshindernis. Ob sie grundsätzlich (in Ausnahmefällen) ein solches begründen kann (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 20.05.12015 – 2 Ws 73/15 – juris) kann dahinstehen. Jedenfalls im vorliegenden Fall führt sie nicht zur Freilassung des Beschwerdeführers. Das mit dem Maßregelvollzug verfolgte Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutsverletzungen tritt noch nicht zurück, wenn das grundrechtlich gebotene Verfahren erst um einige Monate verzögert wurde (BVerfG NStZ-RR 2005, 92, 94; vgl. auch OLG Jena, Beschl. v. 13.03.2012 – 2 Ws 37/12 - juris). Dies gilt auch für die inzwischen nur noch neun Monate währende Überprüfungsfrist für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus, wenn die Fortdauerprognose nach § 67d Abs. 3 StGB gestellt werden kann. Es ist nämlich zu berücksichtigten, dass zwar die verkürzte Überprüfungsfrist dafür sprechen könnte, auch die noch als vergleichsweise geringfügig zu bewertenden Fristüberschreitungen strenger zu betrachten. Andererseits handelt es sich bei den Verurteilten, denen die Fortdauerprognose gestellt werden kann, eben um besonders gefährliche Straftäter und nicht lediglich um solche, denen (noch) keine günstige Aussetzungsprognose i.S.d. § 67d Abs. 2 StGB gestellt werden kann. Das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit liegt hier also höher.
7Im konkreten Fall ist die Fristüberschreitung mit gut eineinhalb Monaten auch vergleichsweise geringfügig. Hinzu kommt, dass der Verurteilte bzw. sein Verteidiger die Terminierung ohne Beanstandung hingenommen haben.
8Für die Zukunft regt der Senat an, dass Doppelvollstreckungshefte angelegt werden, so dass mit der Vorbereitung des nächsten Überprüfungsverfahrens (etwa: Einholung einer Stellungnahme der JVA etc.) schon begonnen werden kann, wenn sich die Akten noch in der Beschwerdeinstanz bzgl. des vorherigen Fortdauerbeschlusses befinden.
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(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist. Es muß dies vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen.
(2) Die Fristen betragen bei der Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt sechs Monate,
in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Jahr,
in der Sicherungsverwahrung ein Jahr, nach dem Vollzug von zehn Jahren der Unterbringung neun Monate.
(3) Das Gericht kann die Fristen kürzen. Es kann im Rahmen der gesetzlichen Prüfungsfristen auch Fristen festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag auf Prüfung unzulässig ist.
(4) Die Fristen laufen vom Beginn der Unterbringung an. Lehnt das Gericht die Aussetzung oder Erledigungserklärung ab, so beginnen die Fristen mit der Entscheidung von neuem.
(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.
(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.
(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.
(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.
(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.
(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.