Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 08. März 2016 - 3 RVs 12/16
Gericht
Tenor
Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der Revision im Übrigen im Ausspruch über die Gesamtstrafe und über die verhängten Einzelstrafen von jeweils 4 Monaten bezüglich folgender vier Taten aufgehoben:
Tat vom 29.05.2013 zum Nachteil von K,
Tat vom 30.05.2013 zum Nachteil von P,
Tat von Anfang Juni 2013 zum Nachteil von K2 und
Tat vom 06.03.2013 zum Nachteil von L.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Das Amtsgericht – Schöffengericht – Minden hat den Angeklagten mit Urteil vom 30. Juni 2015 wegen Betruges in 20 Fällen, wobei es in fünf Fällen beim Versuch blieb, unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Minden vom 06.03.2014 - Az.: 12 Ls – 446 Js 306/13 – 147/13 – verhängten Strafe und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt.
4Seine hiergegen gerichtete Berufung hat der Angeklagte im Berufungshauptverhandlungstermin am 13. Oktober 2015 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
5Die 12. kleine Strafkammer hat die Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 13. Oktober 2015 als unbegründet verworfen.
6Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner durch seinen Verteidiger am 15. Oktober 2015 eingelegten Revision, die nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 17. November 2015 mit Fax-Zuschrift seines Verteidigers vom 14. Dezember 2015 am selben Tage bei dem Landgericht Bielefeld eingegangen und unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet worden ist.
7Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
8II.
9Die zulässige Revision hat den im Tenor bezeichneten zumindest vorläufigen Erfolg.
101.
11Auf die Sachrüge hat der Senat von Amts wegen zu prüfen, ob das Landgericht über alle Bestandteile des erstinstanzlichen Urteils entschieden hat, die von der Berufung erfasst wurden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 352 Rdnr. 4 m.w.N.), insbesondere, ob die Berufungsbeschränkung, von der das Berufungsgericht ausgegangen ist, wirksam war (BGH 27, 70; BGH, NJW 1981, 589). Hierzu gehört insbesondere die Prüfung, ob eine von dem Berufungsgericht angenommene Berufungsbeschränkung wirksam war und die angegriffenen Beschwerdepunkte losgelöst von dem nicht angefochtenen Teil des Urteils einer selbstständigen Beurteilung zugeführt werden können. Wenn – wie hier – die Anfechtung des Urteils auf den Rechtsfolgenausspruch erfolgt ist, setzt dies grundsätzlich voraus, dass die tatsächlichen Feststellungen zum Schuldspruch eine hinreichende Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfolgenseite bieten. Dies ist hier der Fall; zu Recht ist das Berufungsgericht daher von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen.
122.
13a) Allerdings hält die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Bemessung der Einzelstrafen für die im Tenor bezeichneten vier Versuchstaten und im Ausspruch über die Gesamtstrafe der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht Stand. Für die im Tenor genannten Taten vom 29.05.2013, vom 30.05.2013, von Anfang Juni 2013 und vom 6. Juni 2013 zum Nachteil der Geschädigten K, P, K2 und L hat die Strafkammer jeweils Einzelstrafen von je vier Monaten gemäß §§ 263 Abs. 3, Abs. 2, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB aus dem – gemilderten – Strafrahmen von einem Monat bis zu sieben Jahren und sechs Monaten verhängt.
14Die Verhängung von Einzelstrafen unter sechs Monaten in den vorgenannten Fällen hat das Berufungsgericht gemäß § 47 Abs. 1 StGB für unerlässlich gehalten, da unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention der Strafzweck „zur Einwirkung auf den Täter“ durch eine Geldstrafe nicht (mehr) zu erreichen und aus diesem Grunde jeweils eine Freiheitsstrafe unverzichtbar sei, um den Angeklagten dazu zu bringen, in Zukunft nicht mehr straffällig zu werden. Insoweit hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Angeklagte erst kurz zuvor die zwei Straftaten, die Gegenstand seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Minden vom 6. März 2015 waren, vollumfänglich eingeräumt habe und ihm daher bekannt gewesen sei, dass es nahezu sicher zu einer strafrechtlichen Sanktionierung kommen werde. Ungeachtet dessen habe er weitere Straftaten begangen.
15b) Strafzumessungserwägungen des Tatrichters kann das Revisionsgericht nur dahin prüfen, ob sie in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen hat oder sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, gelöst hat, so dass sie sich nicht mehr innerhalb des Spielraums befindet, der dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumt ist (vgl. BGHSt 17, 35, 36; 20, 364, 266). Hierbei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass eine exakte Richtigkeitskontrolle bei dem zuvor erwähnten Spielraum nicht vorgenommen werden kann (vgl. BGHSt 27, 2, 3) und in Zweifelsfällen die Strafzumessung des Tatrichters hingenommen werden muss (BGHSt 29, 319 f). In den Fällen des § 47 StGB ist desweiteren zu beachten, dass nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen soll. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kann danach regelmäßig nur dann Bestand haben, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist; dabei sind auch die zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände zu berücksichtigen (vgl. BGH, NStZ 1996, 429; BGH, StV 1994, 370).
16c) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil bei den in den genannten vier Fällen verhängten Einzelstrafen von vier Monaten (Fälle K, P, K2, L) nicht gerecht, weil es an der gebotenen Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände fehlt. Die Kammer hat sich vielmehr auf die - einzige - Erwägung beschränkt, dass der Angeklagte erst kurz vor Begehung der abzuurteilenden Taten die zwei weiteren Straftaten, die Gegenstand seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Minden vom 6. März 2015 waren, eingeräumt habe und deshalb mit strafrechtlicher Verfolgung habe rechnen müssen, wodurch er sich nicht von der Begehung weiterer Straftaten habe abhalten lassen. Die Strafkammer hat allerdings versäumt zu erwägen, dass nach ihren Feststellungen auch durchaus zugunsten des Angeklagten sprechende Umstände vorliegen. Dies gilt zunächst für die Tatsache, dass der Angeklagte bei Begehung der Straftaten strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten und deshalb noch unbestraft war. Zudem führt er inzwischen ein familiär und sozial integriertes Leben und geht einer regelmäßigen beruflichen Beschäftigung nach. Auch die Vorgeschichte der Taten, nach der der Angeklagte in finanzielle Bedrängnis geraten war, nachdem er den gesondert verfolgten G mit seiner Familie in seiner Wohnung aufgenommen hatte und die Haushaltskosten finanzierte, die er letztlich nicht tragen konnte, stellt einen für den Angeklagten sprechenden Umstand dar. Seine Erwartung, dass G sein Versprechen halten und ihm eine erhebliche Geldsumme zukommen lassen werde, erfüllte sich nicht, weshalb er Gegenstände des sich seinerzeit in Haft befindlichen Bruders veräußerte. Aufgrund der bevorstehenden vorzeitigen Entlassung des Bruders und der damit einhergehenden Notwendigkeit des Ersatzes der verkauften Gegenstände ergab sich für den Angeklagten eine besondere finanzielle Zuspitzung, im Rahmen derer er die Taten beging. Diese Umstände hat die Strafkammer bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht in den Blick genommen, so dass es insgesamt an einer tragfähigen Begründung dafür fehlt, dass die Verhängung von Geldstrafen gegen den Angeklagten als angemessene Rechtsfolge der abgeurteilten vier Fälle des versuchten Betruges nicht mehr ausreicht und deshalb die Verhängung einer Freiheitsstrafe unerlässlich ist.
17Das Urteil konnte daher hinsichtlich der genannten vier Einzelstrafen und damit einhergehend im Ausspruch über die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben.
183.
19Die Verhängung der übrigen Einzelstrafen ist dagegen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die revisionsrechtliche Nachprüfung hat insoweit keine Rechts-fehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
20Soweit die Revision die Würdigung der Taten als gewerbsmäßigen Betrug in den Fällen vom 25. Juni 2013 zum Nachteil C und vom 3. Juli 2013 zum Nachteil K3 angreift, weil die Schäden mit 45,- und 50,- € geringfügig seien, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Geringwertigkeitsgrenze ist – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2014 – 1 StR 314/14 – juris und BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 – 2 StR 176/04 = BeckRS 2004, 07428) - auf 25,- € zu bemessen.
214.
22Wegen des aufgezeigten Mangels bei der Bemessung der Einzelstrafen in den genannten vier Fällen des versuchten Betruges und damit einhergehend bei der Bildung der Gesamtstrafe war das angefochtene Urteil daher nach §§ 353, 354 Abs. 2 StPO aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückzuverweisen.
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat, - 2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, - 3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt, - 4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder - 5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.
(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.
(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.
(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).
(7) (weggefallen)
(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.
(2) Droht das Gesetz keine Geldstrafe an und kommt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht, so verhängt das Gericht eine Geldstrafe, wenn nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Absatz 1 unerläßlich ist. Droht das Gesetz ein erhöhtes Mindestmaß der Freiheitsstrafe an, so bestimmt sich das Mindestmaß der Geldstrafe in den Fällen des Satzes 1 nach dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe; dabei entsprechen dreißig Tagessätze einem Monat Freiheitsstrafe.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.