Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 25. Juni 2014 - 20 U 66/14
Gericht
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
1
G r ü n d e:
2Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und es erfordert auch nicht die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung des Berufungsgerichts.
3Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Das Rechtsmittelvorbringen rechtfertigt keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
4Das Landgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Versicherer nur dann gem. § 81 Abs. 1 VVG zur Leistung nicht verpflichtet ist, wenn er den Vollbeweis für das vorsätzliche Herbeiführen eines Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer oder seinen Repräsentanten führt, ohne dass ihm Beweiserleichterungen zu Gute kommen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, Beschl. v. 13.04.2005, IV ZR 62/04, VersR 2005, 1387; Urt. v. 14.04.1999, IV ZR 181/98, NJW-RR 1999, 1184; Urt. v. 08.11.1995, IV ZR 221/94, r+s 1996, 410; Urt. v. 25.04.1990, IV ZR 49/89, VersR 1990, 894; Senat, Urt. v. 10.02.1989, 20 U 137/88, juris; Urt. v. 02.10.1987, 20 U 365/86, r+s 1988, 221; Urt. v. 15.03.1985, 20 U 259/84, VersR 1986, 567). Dieser Beweis einer Unfallmanipulation kann dabei durch den Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung von typischen Umständen erbracht werden, die für sich betrachtet auch eine andere Erklärung finden mögen, in ihrem Zusammenwirken vernünftigerweise jedoch nur den Schluss zulassen, dass der Anspruchsteller die Beschädigung seines Fahrzeuges bewusst und gewollt herbeigeführt bzw. in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat (vgl. OLG Hamm [13. Zivilsenat, Urt. v. 17.05.2000, 13 U 35/00, juris, Rn. 10). Hierbei bedarf es in Anwendung des § 286 Abs. 1 ZPO für den erforderlichen Vollbeweis keiner von allen Zweifeln freien Überzeugung des Gerichts; es genügt vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
5Dass das Landgericht diesen Beweis im Streitfall als geführt angesehen hat, ist nicht zu beanstanden.
6Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Erstgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen. Soweit die Berufung die Beweiswürdigung des Landgerichts in Frage stellt, kann eine Überprüfung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung durch den Senat lediglich daraufhin erfolgen, ob die Beweisaufnahme an einem Rechtsfehler leidet, also in sich widersprüchlich ist, den Denkgesetzen zuwiderläuft oder wesentliche Teile des Beweisergebnisses unberücksichtigt lässt oder ob konkrete Gesichtspunkte vorhanden sind, die einen solchen Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung möglich sein lassen und deshalb Zweifel am erstinstanzlich gefundenen Ergebnis begründen. Erforderlich, aber auch ausreichend für konkrete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Falle (erneuter) Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, wobei es für diese Wahrscheinlichkeitgsprognose schlüssiger Gegenargumente bedarf, die die erheblichen Tatsachenfeststellungen in Frage stellen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 529 Rn. 3).
7Gemessen hieran ist die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil weder zu beanstanden noch im Ergebnis in Zweifel zu ziehen. Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil nachvollziehbare Gründe dafür angegeben, warum es zu der Überzeugung gelangt ist, dass der vom Kläger behauptete Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt worden sei. Konkrete Anhaltspunkte, die einen Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht als möglich erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich.
8Das Landgericht hat in seiner sorgfältig begründeten Entscheidung auf die Substanzarmut der klägerischen Unfallschilderung hingewiesen und zahlreiche Widersprüche in den verschiedenen vorprozessual, im Haftpflichtprozess der Halterin des gegnerischen Fahrzeugs sowie im hier zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit abgegebenen Unfalldarstellungen des Klägers aufgezeigt. Das Landgericht hat ferner maßgeblich darauf abgestellt, dass auch die Unfallschilderungen der vernommenen Zeugen mit den Angaben des Klägers in Widerspruch stehen und auch mit früheren Unfalldarstellungen der Zeugen nicht übereinstimmen. Die Summe der vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche ist zu groß, als dass diese noch, wie in der Berufungsbegründung versucht wird, plausibel mit Erinnerungslücken und dem zeitlichen Abstand zum Unfallgeschehen erklärt werden könnten.
9Unabhängig davon rechtfertigen die vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zudem aufgezeigten Auffälligkeiten in ihrer Gesamtheit die Annahme eines manipulierten Schadens.
10Im Einzelnen:
111.)
12Mit Recht hat es das Landgericht als Indiz für eine Unfallmanipulation gerwertet, dass der Kläger gegenüber den unfallaufnehmenden Polizeibeamten seine Bekanntschaft mit der Unfallgegnerin, der Zeugin H, nicht offenbart hat. Unabhängig davon, dass es – wie das Landgericht angenommen hat – nahe gelegen hätte, eine solche Bekanntschaft bereits an der Unfallstelle auch ungefragt zu offenbaren, wäre ein entsprechender Hinweis des Klägers jedenfalls in der Schadenanzeige gegenüber der Beklagten und spätestens im Klagevorbringen zu erwarten gewesen. Der Kläger hat aber nicht nur in der Schadenanzeige die ihm unstreitig bekannte Zeugin H nicht als Zeugin benannt, sondern zum Zweck der Fahrt lediglich allgemein „Treff mit Freunden“ angegeben, ohne darauf hinzuweisen, dass zu diesen „Freunden“ gerade auch die vor ihm fahrende Zeugin H gehörte. Insoweit passt es in das Bild, dass die Zeugin H ihrerseits auf das Bekanntschaftsverhältnis zum Kläger erst auf mehrfache Nachfrage der Beklagten und überdies nur ausweichend hingewiesen hat.
132.)
14Mit Recht hat das Landgericht weiter darauf hingewiesen, dass mehrere Versionen der polizeilichen Unfallmitteilung existierten und die vom Kläger bei der Beklagten eingereichte in Ansehung des Schadensbildes am klägerischen Fahrzeug nicht mit der bei der Polizei verbliebenen Unfallmitteilung übereinstimme.
153.)
16Das Landgericht hat es weiter zutreffend als Indiz für eine Unfallmanipulation gewertet, dass es sich bei dem klägerischen Fahrzeug um ein hochwertiges fremdfinanziertes Fahrzeug gehandelt hat. Fehl geht insoweit der Hinweis der Berufung, der Kläger habe durch das Unfallgeschehen keinen wirtschaftlichen Vorteil erlangen können. Denn das Fahrzeug wies unstreitig mehrere Vorschäden auf, in Ansehung derer der Kläger zwar jeweils eine fachgerechte Instandsetzung behauptet hat, aber keine Reparaturrechnungen oder sonstige Instandsetzungsnachweise vorlegen konnte. Rechtsstreitigkeiten, denen ein gestellter Unfall zugrunde liegt, sind oft geprägt durch unklare Darlegungen der klagenden Partei zu vorhandenen oder beseitigten Vorschäden; dies spiegelt das wirtschaftliche Interesse wider, unreparierte oder sonst wertmindernde Vorschäden anlässlich des neuen „Schadens“ mit abzurechnen (vgl. OLG Hamm [6. Zivilsenat], Urt. v. 17.11.2011, 6 U 108/11, juris, Rn. 44). Dies gilt umso mehr, als eines der Vorschadensereignisse einen Bereich des Fahrzeugs betrifft („vorne links“), der durch den streitgegenständlichen Unfall erneut beschädigt worden sein soll. In dieses Bild passt es, dass der Kläger sich zunächst selbst ausweislich seiner Klagebegründung wahrheitswidrig als Eigentümer des Unfallfahrzeugs ausgegeben und Zahlung an sich begehrt hat. Zudem ist das Landgericht nach Beweiserhebung davon ausgegangen, dass der Kläger im Rahmen der Feststellungen des Schadenumfangs durch den Zeugen T2 eine tatsächlich höhere Laufleistung des Fahrzeugs nicht offenbart habe. Der Zeuge hat im Rahmen seiner Vernehmung im Termin am 13.12.2013 insoweit wahr gehalten, dass er im Rahmen der Restwertermittlung erst durch einen Bieter auf den abweichenden Zählerstand des Tachometers hingewiesen worden sei. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Bekundungen des Zeugen als glaubhaft gewertet hat; der schlichte Hinweis der Berufung auf ein „großes Interesse“ des Zeugen an einem für die Beklagte günstigen Ausgang des Rechtsstreits ist nicht geeignet, die Beweiskraft des Beweismittels zu erschüttern.
174.)
18Unerheblich ist der Hinweis der Berufung, dass die Beiziehung der Polizei indiziell gegen eine Unfallmanipulation streite. Unabhängig davon, dass der Kläger selbst behauptet hat, dass die Polizei gerade nicht von den Unfallbeteiligten hinzugezogen worden ist, würde die Beiziehung der Polizei trotz der – im Rahmen der Unfallaufnahme verschwiegenen – Bekanntschaft der Unfallbeteiligten eher für als gegen eine Unfallmanipulation sprechen (vgl. insoweit Senat, Urt. v. 27.04.1990, 20 U 194/89, juris, Rn. 3).
195.)
20Besonders gewichtig ist aber, dass der Kläger im unmittelbaren zeitlichen Umfeld zu dem behaupteten Unfallereignis in zahlreichen Fällen, von denen allein vier das erst im April 2009 erworbene Fahrzeug betrafen, aufgrund von angeblichen Verkehrsunfällen und Kraftfahrzeug-Einbruchdiebstählen Versicherungsleistungen beansprucht hat. Der pauschale Hinweis der Berufung, diese „Behauptung der Vorinstanz“ sei völlig unsubstantiiert, liegt neben der Sache: Die Beklagte hat in ihrer vom Landgericht in Bezug genommenen Klageerwiderung die Schadenfälle dezidiert aufgeführt. Dem ist der Kläger lediglich mit dem Bemerken entgegen getreten, dass es erforderlich sei, substantiiert Indizien vorzutragen, die den Verdacht betrügerischer Manipulationen begründen. Darauf kommt es indessen – worauf bereits das Landgericht hingewiesen hat – nicht an.
216.)
22Schließlich verfängt auch der Hinweis der Berufung auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. T nicht. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Sachverständige aus technischer Sicht das Spurenbild an den beteiligten Fahrzeugen gerade nicht vollständig dem vom Kläger geschilderten Unfallhergang zuordnen konnte.
237.)
24Für eine Unfallmanipulation spricht es letztlich auch, dass sich das Geschehen zur Nachtzeit in einem Bereich zugetragen hat, in dem Wahrnehmungen unbeteiligter Unfallzeugen nicht zu erwarten waren.
25Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222) wird hingewiesen.
Aufgrund des Hinweisbeschlusses wurde die Berufung zurückgewiesen.
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt.
(2) Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.