Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 12. Feb. 2016 - 20 U 252/15
Gericht
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
1
Die Berufung ist nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen worden.
2G r ü n d e
3I.
4Der Kläger macht Ansprüche aus seiner Mitte 2013 bei der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung geltend, da er Ende 2013 an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen oder psychischen Faktoren und an einer depressiven Störung erkrankt sei. Die Beklagte focht den Vertrag wegen arglistiger Täuschung wegen einer nicht offenbarten depressiven Vorerkrankung aus Ende 2008 und Falschangaben über sein Einkommen an.
5Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und sonstigen zur Akte gereichten Unterlagen sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 19.11.2015 (GA 97-103), insbesondere auch wegen der konkret gestellten Anträge, verwiesen.
6Das Landgericht hat die Klage nach zeugenschaftlicher Vernehmung der behandelnden Ärzte des Klägers sowie des Versicherungsvermittlers der Beklagten abgewiesen und insoweit im Wesentlichen ausgeführt:
7Die Beklagte habe wirksam angefochten. Der Kläger habe die aufgeworfene Gesundheitsfrage zu Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder Funktionsstörungen in psychologischer Hinsicht in den letzten fünf Jahren, z. B. Depression, mit „Nein“ objektiv falsch beantwortet. Die Zeugin Dr. X2 als Fachärztin habe Ende 2008 eine schwere Depression festgestellt, die sich mit den vom Zeugen X als Hausarzt festgestellten Symptomen in Übereinstimmung bringen lasse, und jedenfalls die Diagnose der Depression dem Kläger mitgeteilt. Der Kläger habe weder schriftsätzlich noch im Rahmen seiner persönlichen Anhörung nachvollziehbar erläutern können, warum und wie es zu der objektiv falschen Antwort kam. Er habe vielmehr darauf beharrt, vor Dezember 2013 zu keinem Zeitpunkt an einer Schmerzstörung mit somatischen oder psychischen Faktoren oder an einer depressiven Störung gelitten zu haben. Dies sei durch die Beweisaufnahme widerlegt. Der Kläger habe auch arglistig gehandelt. Der Kläger habe schon allein aufgrund der Fragen erkennen können, dass die objektiv vorliegende und ihm bekannte Erkrankung für die Beklagte von Bedeutung war. Da er dies erkannt habe, lasse dies nur den Schluss zu, dass er fürchtete, sein Antrag werde bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Frage nicht oder nur mit Einschränkungen angenommen.
8Darüber hinaus hat das Landgericht die Anfechtung wegen Falschangaben zum Einkommen für wirksam erachtet.
9Wegen der genauen Gründe des Urteils wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 19.11.2015 (GA 97-103) verwiesen.
10Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er habe die Gesundheitsfrage wahrheitsgemäß mit „Nein“ beantwortet. Ende 2008 habe er nur an Kopfschmerzen gelitten, die gelegentlich zu Unruhe und leichter Erregbarkeit geführt hätten. Die Diagnose der Zeugin Dr. X2 sei ihm nie mitgeteilt worden. Zudem könne nicht auf die Zeugin abgestellt werden, da diese keine 100 %ige Erinnerung aufgewiesen, sondern auf den üblichen Ablauf abgestellt habe, zumal bezüglich der Verordnung eines Antidepressivums, des Folgetermins und des Arztbriefs an den Zeugen X Widersprüche in der Aussage vorhanden seien. Die Beeinträchtigungen seien nach einer augenärztlichen Behandlung verschwunden. Insoweit habe der angebotene Zeuge Dr. T vernommen werden müssen. Auch habe der Kläger persönlich angehört werden müssen; so sei das rechtliche Gehör verletzt worden. An einer Depression habe er damals nicht gelitten. Dies habe der Zeuge X bestätigt, der zwischen 2008 und 2013 keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung gehabt habe. Diese sei erst im Dezember 2013 aufgetreten und von der Zeugin Dr. X2 diagnostiziert worden.
11Auch die Fragen zum Einkommen habe er wahrheitsgemäß beantwortet.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers in der Berufungsinstanz wird auf seine Berufungsbegründungsschrift verwiesen.
13II.
14Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und es erfordern auch nicht die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung. Eine mündliche Verhandlung ist schließlich auch sonst nicht geboten.
15Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Überprüfung durch den Senat stand. Sie beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, dem Kläger günstigere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
16Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger auch über seine Einkommensverhältnisse getäuscht hat.
17Denn die Beklagte hat jedenfalls entsprechend den Feststellungen des Landgerichts bewiesen, dass der Kläger die gestellte Gesundheitsfrage arglistig falsch beantwortete und sie somit wirksam anfechten konnte.
18Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Erstgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen. Erforderlich, aber auch ausreichend für konkrete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Falle (erneuter) Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, wobei es für diese Wahrscheinlichkeitsprognose schlüssiger Gegenargumente bedarf, die die erheblichen Tatsachenfeststellungen in Frage stellen (Senat, Beschl. v. 25.06.2014, 20 U 66/14, juris, Rn. 5; Heßler, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 529 Rn. 3).
19Die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil ist weder zu beanstanden noch im Ergebnis in Zweifel zu ziehen. Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil unter zutreffender Bestimmung der Beweislast und unter Beachtung des maßgeblichen Maßstab des § 286 ZPO nachvollziehbare und überzeugende Gründe dafür angegeben, warum der Kläger objektiv falsche Angaben gemacht und warum er arglistig gehandelt hat.
20Konkrete Zweifel können nicht damit begründet werden, dass sich die Zeugin Dr. X2 nicht zu 100 % habe erinnern können und sie nur aus ihrem allgemeinen Vorgehen geschlussfolgert habe. Denn im Gegensatz zur Darstellung des Klägers in seiner Berufungsbegründung sind nicht einzelne Ausschnitte ihrer Aussage zu berücksichtigen, sondern die gesamte Aussage. Dabei wird eindeutig ersichtlich, dass die Zeugin gerade nicht nur aus dem allgemein Ablauf geschlussfolgert, sondern sich konkret auf ihre Patientenkartei gestützt hat. Ihre verschriftete Diagnose war eindeutig. Auch ihre Aussage, sie habe das Ergebnis der Diagnose („schwere Depression“), jedenfalls – zum Schutz des Patienten – in der abgemilderten Form („Depression“) mitgeteilt und mit dem Patienten erörtert, ist in jeder Hinsicht nachvollziehbar und gerade Aufgabe eines Arztes; sie war sich diesbezüglich zudem „sicher“. Die positive Erinnerung im Gegensatz zur Schlussfolgerung aus dem allgemeinen Vorgehen ergibt sich zudem gerade daraus, dass die Zeugin sich an die Aussage des Klägers in 2013 erinnert hat, er habe ähnliche Beschwerden wie 2008. Wenn die Zeugin demgegenüber bezüglich anderer Fragen einräumt, sie sei sich nicht mehr sicher oder könne sich nicht zu 100 % an den damaligen Gesprächsablauf erinnern, spricht dies entgegen dem Ansatz des Klägers gerade für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage und ihre Glaubwürdigkeit. Es ist auch nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass oder warum die Zeugin überhaupt fehlerhafte Angaben gemacht haben sollte.
21Ob und warum die vom Kläger vergegenwärtigten Beschwerden nach einer augenärztlichen Behandlung verschwunden sind, kann vor diesem Hintergrund dahin stehen, da die einmal getroffene Diagnose und Behandlung durch die Zeugin Dr. X2 dadurch nicht an Bedeutung verliert. Selbiges gilt im Hinblick auf die Aussage des Zeugen X. Hinzu kommt, dass seiner vermeintlichen Aussage, er habe zwischen 2008 und 2013 keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung gehabt, keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden kann. Denn auch wenn es im Protokoll zunächst so klingt, als habe er den Kläger nicht an die Zeugin Dr. X2 als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie verwiesen („weil mir nicht bewusst war, dass der Patient außer Herrn Dr. Q auch Frau Dr. X2 ausgesucht hatte“), hat er später angegeben den Kläger am 18.11.2008 an die Zeugin überwiesen zu haben. Grund hierfür war, dass der Kläger über Unruhezustände und Übererregbarkeit geklagt hatte. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, passt dies genau zu der später von der Zeugin Dr. X2 getroffenen Diagnose. Dass der Zeuge X sich selbst nicht zur Stellung einer abschließenden Diagnosestellung geeignet hielt, zeigt bereits seine Überweisung. Im Übrigen sei – nur ergänzend – noch darauf hingewiesen, dass der Zeuge X ausgeführt hat, den Kläger zwar nach 2008 nicht wegen Unruhezuständen oder dergleichen behandelt zu haben, er „ihm dann kurz vor 2013“ aber wieder wegen derartiger Zustände die Empfehlung gegeben habe, Neurexan – ein Beruhigungsmittel – einzunehmen.
22Der Kläger kann auch nicht einwenden, ihm sei unzureichend rechtliches Gehör gewährt worden. Denn es heißt im Urteil unangegriffen, dass der Kläger angehört worden sei und keine passende Erklärung zu der objektiven Falschangabe habe machen können. Damit hat das Landgericht den Anforderungen Genüge getan (vgl. BGH, Beschl. v. 07.11.2007, IV ZR 103/06, juris, Rn. 1 m. w. N., VersR 2008, 242). Zudem ist es offensichtlich, dass der Kläger meint, es komme nur darauf an, ob bereits 2008 die gleiche Krankheit vorlag. Abgesehen davon, dass die Zeugin Dr. X2 sich auch hierzu deutlich geäußert hat, kommt es auf diese Einschätzung aus der Retrospektive nicht an und kann nicht begründen, warum der Kläger die Diagnose „Depression“ verheimlichte.
23Im Ergebnis können mithin keine konkreten Zweifel daran bestehen, dass der Kläger von der Depression Ende 2008 wusste und dies arglistig gegenüber der Beklagten verheimlichte, die den Vertrag bei Aufdeckung dieses Risikos nicht so abgeschlossen hätte.
24III.
25Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
(2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.