Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 10. Feb. 2016 - 20 U 204/15
Gericht
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
1
Gründe
2Die Berufung des Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und es erfordert auch nicht die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung des Berufungsgerichts.
3I.
4Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückzahlung von Krankentagegeldleistungen für den Zeitraum 01.08.2012 bis 03.04.2013 in Anspruch, weil er nach ihren Tarifbedingungen wegen des Bezugs einer Berufsunfähigkeitsrente vom 01.05.2012 bis zum 31.05.2013 nicht mehr versicherungsfähig gewesen sei. Der Beklagte meint, er sei trotz Rentenbezugs weiter versicherungsfähig gewesen, weil die Rente nur aufgrund fingierter Berufsunfähigkeit gezahlt wurde, nicht wegen tatsächlicher Berufsunfähigkeit. Widerklagend verlangt er von der Klägerin deshalb weitere Krankentagegeldleistungen für den Zeitraum vom 04.04. bis zum 21.05.2013.
5Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
6Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen, weil die Versicherungsfähigkeit des Beklagten nach den Tarifbedingungen der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund des Bezugs der Berufsunfähigkeitsrente nicht bestanden habe. Auch die wegen fingierter Berufsunfähigkeit bezogene Rente sei eine „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ im Sinne der Tarifbedingungen. Dies ergebe sich aus der Auslegung der Bedingungen vom Standpunkt eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, der jede Leistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung als „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ ansehe. Entsprechendes gelte für die Bedingungen des Berufsunfähigkeitsversicherers, der die sechsmonatige Arbeitsunfähigkeit „als Berufsunfähigkeit“ ansehe, so dass im Ergebnis die Rente „wegen Berufsunfähigkeit“ gezahlt werde. Auf den Unterschied zwischen tatsächlicher und fingierter Berufsunfähigkeit komme es nach den Bedingungen der Klägerin nicht an.
7Wegen der weiteren Argumentation wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des Urteils.
8Mit seiner Berufung hält der Beklagte daran fest, dass er keine Rente „wegen Berufsunfähigkeit“ im Sinne der Tarifbedingungen bezogen habe, weil der Begriff der Berufsunfähigkeit in dieser Klausel nach der Definition in § 15 Abs. 1 b MB/KT auszulegen sei. Der Fall fingierter Berufsunfähigkeit wegen sechsmonatiger Arbeitsunfähigkeit sei vom Wortlaut der Klausel nicht umfasst, weshalb der Bezug einer Rente wegen fingierter Berufsunfähigkeit gerade keine Rente wegen Berufsunfähigkeit im Sinne der Tarifbedingungen darstelle. Bei fingierter Berufsunfähigkeit sei auch der Spezialitätsgrundsatz nicht berührt, weil tatsächlich nur Arbeitsunfähigkeit bestanden habe.
9Im Übrigen habe das Landgericht seine Entscheidung auf das klägerseits vorgelegte Bedingungswerk gestützt, obwohl die zum Vertrag übersandten Vertragsbedingungen eine andere Fassung aufwiesen. Tatsächlich seien die Bedingungen aber auch gar nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden.
10Der Beklagte beantragt daher,
111. das Urteil des Landgerichts Bochum aufzuheben;
122. die Klage abzuweisen
13und
143. die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 4.700,00 Euro nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Klagezustellung zu zahlen.
15II.
16Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
17Das Landgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
18Die Klägerin hat Anspruch auf Rückzahlung der für den Zeitraum 01.08.2012 bis 03.04.2013 erbrachten Krankentagegeldleistungen. Denn sie war wegen des zeitgleichen Bezugs von Berufsunfähigkeitsrenten vom 01.05.2012 bis zum 31.05.2013 durch den Beklagten nicht leistungspflichtig. Aus diesem Grund kann der Beklagte für diesen Zeitraum auch keine weiteren Leistungen fordern.
191.
20Gemäß § 11 Satz 2 MB/KT sind die für die Zeit nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses empfangenen Leistungen zurückzugewähren.
21a)
22Gemäß § 15 Abs. 1 lit a MB/KT endet das Versicherungsverhältnis bei Wegfall einer im Tarif bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit.
23Versicherungsfähig ist gem. Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen zum vereinbarten Tarif V nicht, wer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld bezieht.
24Die Versicherungsfähigkeit entfällt damit auch bei Bezug einer Rente wegen fingierter Berufsunfähigkeit, wie sie der Beklagte aufgrund seiner mehr als sechs Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit erhalten hat.
25Berufsunfähigkeit im Sinne von Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen ist nicht nur dann anzunehmen, wenn der Versicherte nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist, was bereits gem. § 15 Abs. 1 lit b MB/KT zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses führen soll. Vom Standpunkt eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ist die Regelung in Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen vielmehr dahin auszulegen, dass zumindest auch der Rentenbezug wegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen des Berufsunfähigkeitsversicherers der Versicherungsfähigkeit entgegensteht.
26Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2015 – IV ZR 266/14 –, Rn. 37, juris; BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92 –, BGHZ 123, 83-92, Rn. 14). Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist dabei vom Wortlaut auszugehen (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – IV ZR 281/14 –, Rn. 13, juris; BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92 –, BGHZ 123, 83-92, Rn. 15).
27Ein verständiger Versicherungsnehmer wird die Formulierung „wer Rente wegen (...) Berufsunfähigkeit (...) bezieht“ dahin verstehen, dass es auf den tatsächlichen Bezug einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ankommt. Die Frage, wie Berufsunfähigkeit als Grund des Rentenbezugs zu verstehen ist, wird in Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen nicht beantwortet. Dennoch wird der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer die Klausel nicht dahin auslegen, dass nur ein Rentenbezug wegen Berufsunfähigkeit iSd § 15 Abs. 1 lit b MB/KT zum Wegfall der Versicherungsfähigkeit führt. Denn er erkennt ohne weiteres, dass der Rentenbezug „wegen Berufsunfähigkeit“ sich nicht nach den Bedingungen der Klägerin richtet, weil diese gerade keine Berufsunfähigkeitsrente verspricht, sondern Krankentagegeldleistungen. Wegen der denkbaren unterschiedlichen Regelungsmöglichkeiten in der Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeitsversicherung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennen, dass eine „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ auch in anderen Fallgestaltungen gewährt wird als in denen des § 15 Abs. 1 lit b MB/KT und dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der andere Versicherer „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ gewährt (Senat, Urteil vom 18.01.2002 – 230 U 108/01 – Rn. 22, juris).
28Dies ergibt sich für den um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer auch daraus, dass die Regelung in § 15 Abs. 1 lit a) MB/KT Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen sonst für den Fall des Bezugs einer Berufsunfähigkeitsrente keine eigenständige Bedeutung hätte, weil das Versicherungsverhältnis dann schon gem. § 15 Abs. 1 lit b MB/KT enden würde.
29Im Übrigen lässt sich aus dem Sinnzusammenhang von § 15 Abs. 1 lit a MB/KT iVm Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse darauf schließen, dass ein Nebeneinander von Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeitsleistungen von der Klägerin nicht gewollt ist. Deshalb ist unerheblich, ob die von einem privaten Berufsunfähigkeitsversicherer gezahlte Rente wegen dauernder oder sog. fingierter Berufsunfähigkeit gezahlt wird. Für die Versicherungsfähigkeit schädlich sind Rentenzahlungen aus jedem der beiden genannten Rechtsgründe (Senat aaO; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.07.2006 – 12 U 89/06 – Rn. 27, juris).
30Soweit der Beklagte darauf abhebt, dass er tatsächlich nur arbeitsunfähig gewesen sei und sich das Risiko einer Berufsunfähigkeit gar nicht verwirklicht habe, verkennt er, dass sich auch im Fall fingierter Berufsunfähigkeit das Risiko einer Berufsunfähigkeit verwirklicht, mit dem einzigen Unterschied, dass der Berufsunfähigkeitsversicherer auf den Nachweis einer ungünstigen Prognose verzichtet.
31Damit endete das Versicherungsverhältnis der Parteien gem. § 15 Abs. 1 lit a MB/KT zum 31.07.2012.
32b)
33Die Regelung zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses in § 15 Abs. 1 lit a MB/KT ist wirksam.
34Zwar wäre die zwingende Beendigung des Vertrages nach § 307 BGB unwirksam (BGH, Urteil vom 22.01.1992 – IV ZR 59/91 – Rn. 14 ff , juris). Die Klägerin hat jedoch der Rechtsprechung des BGH durch die Möglichkeit einer Anwartschaftsversicherung in § 15 Abs. 2 MB/KT Rechnung getragen, so dass unter diesem Gesichtspunkt keine Unwirksamkeit der Bedingungen vorliegt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. Juli 2006 – 12 U 89/06 –, Rn. 29, juris; OLG Celle, Urteil vom 01.11.2007 – 8 U 127/07 -, Rn. 4, juris).
35c)
36Entgegen der vom Beklagten geäußerten Ansicht sind die Regelungen in §§ 11 Satz 2, 15 Abs. 1 lit a MB/KT und Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen wirksam in den Vertrag einbezogen worden.
37Der Beklagte hat schon erstinstanzlich unstreitig gestellt, dass ihm die Tarifbedingungen zum vereinbarten Tarif V in einer Fassung übersandt worden sind, die denen des von der Klägerin vorgelegten Bedingungswerkes entspricht.
38Dass die ihm übersandten AVB der Krankentagegeldversicherung keine dem § 15 Abs. 2 MB/KT entsprechende Regelung zur Anwartschaftsversicherung enthalten, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen würde die für diesen Fall gebotene ergänzende Vertragsauslegung ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass die Klägerin für den Zeitraum des Bezugs der Berufsunfähigkeitsrente nicht leistungspflichtig ist (BGH aaO).
392.
40Nach alledem ist die Widerklage des Beklagten unbegründet.
41III.
42Auf die Gebührenreduktion im Falle für den Fall der Berufungsrücknahme wird hingewiesen (KV-Nr. 1222).
Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
- 1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.