Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 19. Aug. 2014 - 2 Ws 140/14
Gericht
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Landgericht Bochum – Rechtspflegerin – zurückverwiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 2.193,77 € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der frühere Angeklagte und Beschwerdeführer ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Bochum vom 14. Januar 2014 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es wurde gem. § 74 JGG davon abgesehen, dem früheren Angeklagten die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen; die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin hat er hingegen zu tragen.
4Der Verteidiger des früheren Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 30. April 2014 beantragt, die Wahlverteidigergebühren und Auslagen abzüglich der festgesetzten und ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren auf insgesamt 2.193,77 € festzusetzen. Die Rechtspflegerin des Landgerichts Bochum hat mit Beschluss vom 9. Mai 2014 diesen Antrag zurückgewiesen, da in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Bochum vom 14. Januar 2014 die notwendigen Auslagen nicht der Landeskasse auferlegt worden seien.
5Gegen diesen seinem Verteidiger am 14. Mai 2014 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 15. Mai 2014, eingegangen per Fax am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt.
6Der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm hält in seiner vom Senat eingeholten Stellungnahme vom 18. Juli 2014 die sofortige Beschwerde für unbegründet. Er schließt sich insoweit den Ausführungen des Brandenburgischen OLG in seinem Beschluss vom 11. Januar 2011 (2 Ws 125/11; juris) mit ergänzenden Ausführungen an.
7II.
81.
9Zur Entscheidung über die gemäß §§ 104 Abs. 3 ZPO, 11 Abs. 3 RPflG i.V.m. 464b StPO statthafte sofortige Beschwerde ist der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und nicht gemäß §§ 464b Satz 3 StPO i.V.m. 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter berufen. Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH v. 27.11.2002, 2 ARs 239/02, NJW 2003, 763), wonach gemäß § 464b Satz 3 StPO auf das Verfahren und die Vollstreckung der Kostenfestsetzung in Strafsachen die Vorschriften der Zivilprozessordnung lediglich insoweit Anwendung finden, als sie strafprozessualen Prinzipien nicht widersprechen. Demgemäß sind für das Beschwerdeverfahren die §§ 304 ff. StPO und nicht die entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung anzuwenden (BGH, a.a.O.; Senat in ständiger Rechtsprechung, statt aller: Beschluss v. 04.05.2010, 2 Ws 52/10, BeckRS 2010, 12301).
102.
11Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen gilt für die Einlegung der sofortigen Beschwerde die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. Senat, a.a.O.; Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 464b, Rn. 7 m.w.N.). Diese Frist ist vorliegend eingehalten worden, so dass sich das Rechtsmittel als zulässig erweist, zumal der Beschwerdewert von 200,- € (§ 304 Abs. 3 StPO) überschritten ist.
123.
13Die sofortige Beschwerde hat in der Sache - zumindest vorläufigen - Erfolg.
14Nach der rechtskräftigen Kostengrundentscheidung in dem Urteil des Landgerichts Bochum vom 14. Januar 2014 ist gemäß § 74 JGG davon abgesehen worden, dem Angeklagten trotz seiner Verurteilung die Kosten des Verfahrens und seine ihm selbst entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Der frühere Angeklagte sollte lediglich mit den der Nebenklägerin erwachsenen notwendigen Auslagen belastet werden. Da nach der eindeutigen und nicht anders auslegbaren Kostengrundentscheidung der 3. großen Strafkammer – Jugendkammer – des Landgerichts Bochum vom 14. Januar 2014 der frühere Angeklagte seine notwendigen Auslagen nicht zu tragen hat, sind mangels eines anderen Kostenschuldners – die Nebenklägerin hat die notwendigen Auslagen des Angeklagten offensichtlich nicht zu tragen – die notwendigen Auslagen des Angeklagten von der Staatskasse zu tragen. Dass dies von der 3. großen Strafkammer mit ihrer Entscheidung auch so gewollt war, ergibt sich zudem aus einem Vermerk der Kammer vom 22. Mai 2014, in dem nochmals dargelegt worden ist, dass mit dem Absehen der Auferlegung von Kosten und Auslagen nach § 74 JGG die notwendigen Auslagen des Angeklagten von der Staatskasse zu tragen seien.
15Dahinstehen kann, ob § 74 JGG grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, davon abzusehen, dem Angeklagten seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen und diese Auslagen der Staatskasse aufzubürden, oder ob unter „Auslagen“ i.S.d. § 74 JGG allein die Auslagen Dritter zu verstehen sind (vgl. insoweit Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 11. Oktober 2011, 2 Ws 125/11, NStZ-RR 2012, 192; BGH, Beschluss vom 15. November 1988, 4 StR 528/88, NStZ 1989, 239; BGH, Beschluss vom 16. März 2006, 4 StR 594/05, NStZ 2006, 503; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. Dezember 1993, 2 Ws 214/93, GA 1994, 286). Vorliegend ist die Kostengrundentscheidung eindeutig und – mangels Anfechtung – rechtskräftig geworden und somit – unabhängig davon, ob sie zu Recht ergangen ist – bindend für das Kostenfestsetzungsverfahren.
16Demgemäß war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung über die Höhe der festzusetzenden Wahlverteidigergebühren und die Kosten des Beschwerdeverfahrens an die Rechtspflegerin des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen.
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Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
(1) Über den Festsetzungsantrag entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges. Auf Antrag ist auszusprechen, dass die festgesetzten Kosten vom Eingang des Festsetzungsantrags, im Falle des § 105 Abs. 3 von der Verkündung des Urteils ab mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu verzinsen sind. Die Entscheidung ist, sofern dem Antrag ganz oder teilweise entsprochen wird, dem Gegner des Antragstellers unter Beifügung einer Abschrift der Kostenrechnung von Amts wegen zuzustellen. Dem Antragsteller ist die Entscheidung nur dann von Amts wegen zuzustellen, wenn der Antrag ganz oder teilweise zurückgewiesen wird; im Übrigen ergeht die Mitteilung formlos.
(2) Zur Berücksichtigung eines Ansatzes genügt, dass er glaubhaft gemacht ist. Hinsichtlich der einem Rechtsanwalt erwachsenden Auslagen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen genügt die Versicherung des Rechtsanwalts, dass diese Auslagen entstanden sind. Zur Berücksichtigung von Umsatzsteuerbeträgen genügt die Erklärung des Antragstellers, dass er die Beträge nicht als Vorsteuer abziehen kann.
(3) Gegen die Entscheidung findet sofortige Beschwerde statt. Das Beschwerdegericht kann das Verfahren aussetzen, bis die Entscheidung, auf die der Festsetzungsantrag gestützt wird, rechtskräftig ist.
Die Höhe der Kosten und Auslagen, die ein Beteiligter einem anderen Beteiligten zu erstatten hat, wird auf Antrag eines Beteiligten durch das Gericht des ersten Rechtszuges festgesetzt. Auf Antrag ist auszusprechen, dass die festgesetzten Kosten und Auslagen von der Anbringung des Festsetzungsantrags an zu verzinsen sind. Auf die Höhe des Zinssatzes, das Verfahren und auf die Vollstreckung der Entscheidung sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Abweichend von § 311 Absatz 2 beträgt die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zwei Wochen. Zur Bezeichnung des Nebenklägers kann im Kostenfestsetzungsbeschluss die Angabe der vollständigen Anschrift unterbleiben.
(1) Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Vorschriften.
(2) Die Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen; die Frist beginnt mit der Bekanntmachung (§ 35) der Entscheidung.
(3) Das Gericht ist zu einer Abänderung seiner durch Beschwerde angefochtenen Entscheidung nicht befugt. Es hilft jedoch der Beschwerde ab, wenn es zum Nachteil des Beschwerdeführers Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen dieser noch nicht gehört worden ist, und es auf Grund des nachträglichen Vorbringens die Beschwerde für begründet erachtet.
(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.
(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.
(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.
(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche
- 1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen, - 2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen, - 3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen, - 4.
die Akteneinsicht betreffen oder - 5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.
Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.