Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 11. Feb. 2016 - I-2 U 29/15
Gericht
Tenor
I. Die Berufung gegen das am 23. April 2015 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer I.1. des Tenors folgende Fassung erhält:
…
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
Anschlussstücke für eine Vorrichtung zum Aufwickeln eines aufwickelbaren Elements, wie eine Fahrzeugplane
- wobei das Anschlussstück zum Bestücken von Anhänger- oder Lkw-Aufbauten bestimmt ist, um die Übertragungswelle der Aufwickelvorrichtung und die Aufwickelwelle miteinander zu verbinden,
- wobei die Aufwickelwelle einen Ankopplungsbereich an der Außenwand enthält, der dazu bestimmt ist, das aufwickelbare Element zu ergreifen,
- wobei das Anschlussstück ein erstes Ende umfasst, das mit dem Ende der Übertragungswelle zusammenwirkt
- und das Anschlussstück ein zweites Ende umfasst, das mit dem Ende der Aufwickelwelle zusammenwirkt
- und das zweite Ende einen Vorsprung umfasst, der mit dem Ankupplungbereich der Außenwand des Endes der Aufwickelwelle zusammenwirkt,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- bei denen das zweite Ende Verbindungsmittel umfasst, die aus einem hohlen Abschnitt bestehen, dessen Innenwand mit kreisförmigem Profil komplementär zur Außenwand des Endes der Aufwickelwelle ist,
- um das Ende der Aufwickelwelle so zu fassen, dass die Drehbewegung der Übertragungswelle auf die Aufwickelwelle übertragen wird,
- wobei die Innenwand, die den Vorsprung umfasst, der dem Ankopplungsbereich der Außenwand des Endes der Aufwickelwelle entspricht, dazu bestimmt ist, das aufwickelbare Element zu ergreifen,
- wobei der besagte Vorsprung es erlaubt, die Aufwickelwelle zum Drehen zu bringen,
- und der Vorsprung aus Vollmaterial fest mit der Innenwand verbunden und über die ganze Höhe des hohlen Abschnitts vorgesehen ist
- und der Vorsprung ein zum Ankopplungsbereich an der Außenwand der Aufwickelwelle komplementäres, schlüssellochförmiges Profil aufweist
- und der Vorsprung in Profilansicht einen kreisförmigen Abschnitt und einen trapezförmigen Abschnitt umfasst, dessen große Grundseite am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand befestigt ist.
II. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 300.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 300.000,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 378 AAA B2 (nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie auf Feststellung der Schadenersatz- und Entschädigungspflicht dem Grunde nach in Anspruch.
4Das Klagepatent wurde am 13. Juni 2003 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 1. Juli 2002 in französischer Verfahrenssprache angemeldet. Die Offenlegung der Patentanmeldung erfolgte am 7. Januar 2004. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 21. April 2010 veröffentlicht. Das Deutsche Patent- und Markenamt veröffentlichte die Patentansprüche am 15. Juli 2004 unter der Nr. DE 03 370 AAB T1 in deutscher Sprache (Anlage K 4).
5Gegen die Erteilung des Klagepatents wurde unter anderem von der Beklagten am 21. Januar 2011 Einspruch eingelegt. Das Europäische Patentamt hat das Klagepatent mit einer inzwischen rechtskräftigen Entscheidung vom 26. Juni 2013 beschränkt aufrecht erhalten. Eine von der Beklagten mit Schriftsatz vom 10. Juni 2015 eingereichte Nichtigkeitsklage ist bislang noch nicht zugestellt, weil der vom Bundespatentgericht nach Streitwertfestsetzung angeforderte Gerichtskostenvorschuss noch nicht eingezahlt ist. Unter dem 26.01.2016 hat die Beklagte des Parallelverfahrens I-2 U 19/15 (B oHG) Einwendungen Dritter im Nichtigkeitsverfahren vorgebracht.
6Das Klagepatent betrifft unter anderem ein „Endstück für die Aufrollvorrichtung von Wickelgut wie Planen oder Ähnlichem, speziell für Kraftfahrzeuge“ („Embout pour dispositif d’enroulement d’un élément enroulable tel que bâche ou similaire, notamment d’un véhicule“). Sein durch das Europäische Patentamt aufrecht erhaltener Patentanspruch 1 lautet:
7„Embout pour dispositif d’enroulement d’un élément enroulable sous forme d’une bâche de véhicule, ledit embout étant destiné à équiper des caisses de remorques ou de camion pour assurer la liaison entre l’axe de transmission (4) dudit dispositif d’enroulement et l’arbre d’enroulement (2), ledit arbre d’enroulement (4) comportant une partie d’accrochage (11) sur la paroi extérieure (9) destinée a agripper l’élément enroulable, ledit embout (1) comprenant une première extrémité (3), coopérant avec l’extrémité de l’axe de transmission (4), et une seconde extrémité (5), coopérant avec l’extrémité dudit arbre d’enroulement (2), ladite seconde extrémité (5) comportant une protubérance (10) coopérant avec la partie d’accrochage (11) de la paroi extérieure (9) de l’extrémité de l’arbre d’enroulement (2) caractérisé en ce que ladite seconde extrémité (5) comprend des moyens de liaison (6), constitués d’une partie creuse (7), dont la paroi intérieure (8), de profil circulaire, est complémentaire de la paroi extérieure (9) de la extrémité dudit arbre d’enroulement, pour enchâsser l’extrémité dudit arbre d’enroulement (2), de manière à transmettre le mouvement de rotation dudit axe de transmission (4) audit arbre d’enroulement (2), la paroi intérieure (8) comportant ladite protubérance (10) correspondant à la partie d’accrochage (11) de la paroi extérieure (9) de l’extrémité dudit arbre d’enroulement (2), destinée à agripper l’élément enroulable, ladite protubérance (10) permetant d’assurer l’entraînement en rotation dudit arbre d’enroulement (2), ladite protubérance étant pleine, solidaire de ladite paroi intérieure, ménagée sur toute la hauteur de ladite partie creuse (7), ladite protubérance présentant un profil en trou de serrure, complémentaire à ladite partie d’accrochage (11) sur la paroi extérieure (9) de l’arbre d’enroulement (2), ladite protubérance comportant en vue de profil une partie circulaire et une partie en forme de trapèze dont la grande base est assujettie la partie circulaire de ladite paroi intérieure (8).”
8In der eingetragenen deutschen Übersetzung ist Patentanspruch 1 wie folgt gefasst:
9„Anschlussstück für eine Vorrichtung zum Aufwickeln eines aufwickelbaren Elements, wie eine Fahrzeugplane, wobei das Anschlussstück zum Bestücken von Anhänger- oder LKW-Aufbauten bestimmt ist, um die Übertragungswelle (4) der Aufwickelvorrichtung und die Aufwickelwelle (2) miteinander zu verbinden, wobei die Aufwickelwelle (2) ein Kupplungsteil (11) an der Außenwand (9) enthält, das dazu bestimmt ist, das aufwickelbare Element zu ergreifen, und das Anschlussstück (1) ein erstes Ende (3), das mit dem Ende der Übertragungswelle (4) zusammenwirkt, und ein zweites Ende (5), das mit dem Ende der Aufwickelwelle (2) zusammenwirkt, umfasst, und das zweite Ende (5) einen Vorsprung (10) umfasst, der mit dem Kupplungsteil (11) der Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle (2) zusammenwirkt, dadurch gekennzeichnet, dass das zweite Ende (5) Verbindungsmittel (6) umfasst, die aus einem hohlen Abschnitt (7) bestehen, dessen Innenwand (8) mit kreisförmigem Profil komplementär zur Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle ist, um das Ende der Aufwickelwelle (2) so zu fassen, dass die Drehbewegung der Übertragungswelle (4) auf die Aufwickelwelle (2) übertragen wird, wobei die Innenwand (8), die den Vorsprung (10) umfasst, der dem Kupplungsteil (11) der Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle (2) entspricht, dazu bestimmt ist, das aufwickelbare Element zu ergreifen, wobei der Vorsprung (10) es erlaubt, die Aufwickelwelle (2) zum Drehen zu bringen, und der Vorsprung aus Vollmaterial, fest mit der Innenwand (8) verbunden, und über die ganze Höhe des hohlen Abschnitts (7) vorgesehen ist, und der Vorsprung ein zum Kupplungsteil (11) an der Außenwand (9) der Aufwickelwelle (2) komplementäres, schlüssellochförmiges Profil aufweist, und der Vorsprung in Profilansicht einen kreisförmigen Abschnitt und einen trapezförmigen Abschnitt umfasst, dessen Grundseite am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand (8) befestigt ist.“
10In den nachfolgend eingeblendeten (mit zusätzlichen Beschriftungen versehenen) Figuren 1 und 2 der Klagepatentschrift ist ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung dargestellt. Figur 1 zeigt in einer perspektivischen Ansicht ein erfindungsgemäßes Anschlussstück, das mit einer an dieses Anschlussstück angepassten Aufwickelwelle verbunden ist. Bei Figur 2 handelt es sich um eine radiale Schnittansicht in Höhe der Verbindung zwischen der Aufwickelwelle (2) und dem Anschlussstück (1).
1112
Die Beklagte bietet unter anderem auf ihren Internetseiten www.C.de und www.D.de unter der Bezeichnung „E“ Adapter für Aluminium-Rundprofile an (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Des Weiteren stellte die Beklagte die angegriffene Ausführungsform 2012 auch auf der G in H auf dem Stand ihrer Tochtergesellschaft F aus.
13Nachfolgend eingeblendet ist ein durch den Senat gefertigtes Foto des durch die Klägerin als Anlage K 12 vorgelegten Musters der angegriffenen Ausführungsform.
14Auf der Messe „I“, die im November 2013 in J/Frankreich stattfand, ließ die Klägerin an einem LKW-Anhänger am Stand der K GmbH Untersuchungen durchführen. Hinsichtlich der Ergebnisse dieser Untersuchungen wird auf die Anlagen K 14 und K 15 Bezug genommen.
15Die Klägerin sieht im Angebot und dem Vertrieb der angegriffenen Anschlussstücke in der Bundesrepublik Deutschland eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents.
16Vor dem Landgericht hat die Beklagte eingewandt, für eine Verwirklichung der technischen Lehre des Klagepatents müsse das schlüssellochförmige Profil zwingend sowohl am Kupplungsteil der Aufwickelwelle als auch am zweiten Ende des Anschlussstücks angepasst sein. Dabei müssten die Profile von Kupplungteil und Anschlussstück so aufeinander abgestimmt sein, dass einerseits der schlüssellochförmige Vorsprung und andererseits das schlüssellochförmige Profil zueinander komplementär seien. Beide müssten mithin einen kreisförmigen und einen trapezförmigen Profilabschnitt aufweisen mit dem Unterschied, dass es sich im einen Fall um eine Hohlkontur und im anderen Fall um ein Vollprofil handele. Die angegriffene Ausführungsform weise demgegenüber eine andere Profilierung auf. Der Profilquerschnitt sei weder trapezförmig noch an die trapezförmige Innenkontur des Kupplungsteils angepasst. Vielmehr sei die angegriffene Ausführungsform mit einem sehr schmalen und streng rechteckigen Steg versehen. Werde das Kupplungsstück tatsächlich gedreht, bestehe in Umfangsrichtung mithin etliches Spiel. Dies laufe der durch das Klagepatent angestrebten homogenen Kraftverteilung zuwider. Im Übrigen handele es sich bei der angegriffenen Ausführungsform um nichts weiter als um ein Anschlussstück mit einem Passepartout für unterschiedliche Profilierungen von Aufwickelwellen unterschiedlicher Hersteller. Schließlich könne auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Einspruchsabteilung das Klagepatent nur unter Einbeziehung einer speziellen Schlüssellochform mit einem kreisförmigen und einem trapezförmigen Teil für schutzfähig erachtet habe.
17Durch Urteil vom 23. April 2015 hat das Landgericht Düsseldorf eine Patentverletzung bejaht und wie folgt erkannt:
18- 19
I. Die Beklagte wird – unter Abweisung der Klage im übrigen - verurteilt,
- 21
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
Anschlussstücke für eine Vorrichtung zum Aufwickeln eines aufwickelbaren Elements, wie eine Fahrzeugplane
23- wobei das Anschlussstück zum Bestücken von Anhänger- oder Lkw-Aufbauten bestimmt ist, um die Übertragungswelle der Aufwickelvorrichtung und die Aufwickelwelle miteinander zu verbinden,
24- wobei die Aufwickelwelle ein Kupplungsteil an der Außenwand enthält, das dazu bestimmt ist, das aufwickelbare Element zu ergreifen,
25- wobei das Anschlussstück ein erstes Ende umfasst, das mit dem Ende der Übertragungswelle zusammenwirkt,
26- und das Anschlussstück ein zweites Ende umfasst, das mit dem Ende der Aufwickelwelle zusammenwirkt,
27- und das zweite Ende einen Vorsprung umfasst, der mit dem Kupplungsteil der Außenwand des Endes der Aufwickelwelle zusammenwirkt,
28in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
29- bei denen das zweite Ende Verbindungsmittel umfasst, die aus einem hohlen Abschnitt bestehen, dessen Innenwand mit kreisförmigem Profil komplementär zur Außenwand des Endes der Aufwickelwelle ist,
30- um das Ende der Aufwickelwelle so zu fassen, dass die Drehbewegung der Übertragungswelle auf die Aufwickelwelle übertragen wird,
31- wobei die Innenwand, die den Vorsprung umfasst, der dem Kupplungsteil der Außenwand des Endes der Aufwickelwelle entspricht, dazu bestimmt ist, das aufwickelbare Element zu ergreifen,
32- wobei der besagte Vorsprung es erlaubt, die Aufwickelwelle zum Drehen zu bringen,
33- und der Vorsprung aus Vollmaterial, fest mit der Innenwand verbunden, und über die ganze Höhe des hohlen Abschnitts vorgesehen ist,
34- und der Vorsprung ein zum Kupplungsteil an der Außenwand der Aufwickelwelle komplementäres, schlüssellochförmiges Profil aufweist,
35- und der Vorsprung in Profilansicht einen kreisförmigen Abschnitt und einen trapezförmigen Abschnitt umfasst, dessen Grundseite am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand befestigt ist;
36- 37
2. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 15. August 2004 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
39b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
40c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und -gebiet, im Falle von Internetwerbung der Domain, der Zugriffszahlen auf die Domain und der Schaltungszeiträume jeder Werbung,
41d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
42wobei die Auskünfte nach Ziffer I.2.d) ab dem 21. Mai 2010 zu machen sind,
43und
44wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, Namen und Anschriften von nicht-gewerblichen Abnehmern und Angebotsempfängern statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfragen mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
45- 46
3. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und durch ein vollständiges und geordnetes Verzeichnis Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 21. Mai 2010 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und der Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
48b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
49c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
50wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
51- 52
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen vorstehend zu I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder – nach ihrer Wahl – an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre (der Beklagten) Kosten herauszugeben;
- 54
5. die unter I.1. bezeichneten, seit dem 21. Mai 2010 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Januar 2015, Aktenzeichen 4c O 18/14) festgestellten, patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
- 56
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
- 58
1. der Klägerin für die unter I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 15. August 2004 bis 20. Mai 2010 einschließlich begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, sowie
- 60
2. der Klägerin für die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit ab dem 21. Mai 2010 begangenen Handlungen Schadensersatz zu zahlen.
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
62Soweit der Vorsprung (10) nach der technischen Lehre des Klagepatents an der Innenwand des hohlen Abschnitts am zweiten Ende des Anschlussstücks ein zum Kupplungsteil (11) an der Außenwand (9) der Aufwickelwelle (2) komplementäres, schlüssellochförmiges Profil aufweisen solle, sei dies für den Fachmann so zu verstehen, dass der innerhalb des hohlen Abschnitts ausgebildete Vorsprung am zweiten Ende des Anschlussstücks ein schlüssellochförmiges Profil haben müsse und dass dieses schlüssellochförmige Profil komplementär zur Form der Außenwand des Kupplungsteils sei. Das schlüssellochförmige Profil müsse mithin im Wesentlichen der Form der Außenwand (11) des Kupplungsteils entsprechen, so dass ein Formschluss zwischen dem Profil des Vorsprungs des Anschlussstücks und dem Kupplungsteil der Aufwickelwelle ermöglicht werde und dieser ohne „Wackeln“ bzw. „Schwingen“ stabil bleibe. Eine exakte und vollständige Formentsprechung werde somit nicht vorausgesetzt. Das „komplementäre Profil“ des Anschlussstücks solle entsprechend dem „Schloss/Schlüssel“-Prinzip an das Ende des Kupplungsteils am Ende der Aufwickelwelle angepasst sein, so dass hierdurch eine Kraftübertragung über das Anschlussstück vermittelt auf die Aufwickelwelle stattfinden könne. Dies setze indes nicht voraus, dass das schlüssellochförmige Profi form- und millimetergenau an dem Kupplungsteil der Aufwickelwelle wiedergegeben sein müsse. Vielmehr reiche es aus, wenn die Formen des Vorsprungs des Anschlussstücks und das Kupplungsteil der Aufwickelwelle angepasst seien und sich im Wesentlichen entsprechen, damit der technische Sinn und Zweck - formschlüssige Verbindung zum Zwecke der Übertragung des Drehmoments - erfüllt sei. Dass der Vorsprung (10) anspruchsgemäß in Profilansicht einen kreisförmigen und einen trapezförmigen Abschnitt umfassen solle, wobei die Grundseite des trapezförmigen Abschnitts am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand befestigt sei, verstehe der Fachmann dahingehend, dass der Vorsprung in der Profilansicht die Form eines Schlüssellochs aufweisen müsse, wobei das längliche Ende des Schlüssellochs mit der Innenwand (8) verbunden sein solle und das Schlüsselloch aus einem - im Wesentlichen - kreisförmigen Teil und einem trapezförmigen Teil gebildet werde. Bei den Begriffen „kreisförmig“ und „trapezförmig“ handele es sich nicht um genaue geometrische Angaben, sondern um die Beschreibung der klassischen Schlüssellochform. Die Klagepatentschrift selbst mache keine weiteren Vorgaben dazu, wie der kreisförmige und der trapezförmige Teil ausgebildet sein sollen. Auch der Entscheidung der Einspruchsabteilung seien keine Ausführungen zu den Anforderungen an die Form des kreisförmigen und des trapezförmigen Teils zu entnehmen.
63Ausgehend von dem vorstehenden Verständnis mache die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Daher stünden der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Schadenersatz und Entschädigung sowie Vernichtung und Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände zu. Soweit die Klägerin im Rahmen der gemäß § 259 BGB bestehenden Rechnungslegungspflicht die Vorlage von Belegen begehrt habe, sei dem nicht nachzukommen, da die Klägerin für deren Üblichkeit weder konkrete Tatsachen vorgetragen habe noch Entsprechendes ersichtlich sei. Über den Rückruf hinausgehende Entfernungsmaßnahmen seien durch die Klägerin im Hinblick auf die Bestimmtheit des Antrages nicht konkret benannt worden, so dass die Klage insoweit abzuweisen gewesen sei.
64Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie macht unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend: Nach der ursprünglichen Patentschrift habe ohne Weiteres für den Vorsprung in jeder Form Schutz beansprucht werden können, solange die Form eine Ankopplung der Mitnahmevorrichtung ermöglicht habe. Mit dem Streichen des ursprünglichen Absatzes [0034] im Einspruchsverfahren sei ein Verzicht auf diese beliebige Form des Vorsprungs erfolgt. Mit dem Verzicht auf jede andere Form könne der Patentanspruch demzufolge nicht mehr zugunsten irgendeiner anderen Form interpretiert werden, die allein dem Zweck diene, ein Ankuppeln zwischen der Aufwickelwelle und der Mitnahmevorrichtung zu ermöglichen. Ein quasi rechteckiger Schlüssel, der in ein schlüssellochähnliches Profil mit kreisförmigen und trapezförmigen Teilprofilen eingreife und bei Drehung die zentral gezeichnete Aufwickelwelle ohne Weiteres mitnehmen würde, habe im Prioritätstag überdies bereits zum Stand der Technik gehört. Darüber hinaus übersehe das Landgericht, dass die angegriffene Ausführungsform keinesfalls in der Lage wäre, eine homogene Kraftverteilung zu ermöglichen. Nach der patentgemäßen Lösung entstehe zwischen dem Vorsprung und der Außenwand der Aufwickelwelle im schlüssellochförmigen Bereich eine „schleifende Kontaktzone“ im radial äußeren Bereich, auf der sich die anstehenden Kräfte in Radialrichtung schleifend verteilen. Bei der angegriffenen Ausführungsform komme es demgegenüber lediglich zu einem punktuellen Kontakt.
65Die Beklagte beantragt,
66I. die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils insgesamt abzuweisen;
67II. hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung der gegen den deutschen Teil DE 03 370 AAB T1 des europäischen Patents EP 1 378 AAA B2 erhobenen Nichtigkeitsklage (BPatG, 5 Ni 29/15 (EP)) auszusetzen;
68III. weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.
69Die Klägerin beantragt,
70die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass in Ziffer I.1. des Urteils im zweiten Spiegelstrich des Oberbegriffs die Worte „ein Kupplungsteil“ durch „einen Ankopplungsbereich“, im fünften Spiegelstrich des Oberbegriffs die Worte „dem Kupplungsteil“ durch die Worte „dem Ankopplungsbereich“, im dritten Spiegelstrich des Kennzeichenteils die Worte „dem Kupplungsteil“ durch die Worte „dem Ankopplungsbereich“ und im sechsten Spiegelstrich des Kennzeichenteils die Worte „zum Kupplungsteil“ durch die Worte „zum Ankopplungsbereich“ ersetzt werden.
71Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Beklagten unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen. Die Berufungsbegründung kranke schon daran, dass sie keine Auslegung des Anspruchswortlauts unter Zuhilfenahme von Beschreibung und Zeichnungen vornehme. Des Weiteren verknüpfe die Beklagte unzulässigerweise die in der Beschreibung des Klagepatents als Vorteil der Erfindung avisierte homogene Kraftverteilung mit der konkreten Ausgestaltung des schlüssellochförmigen Vorsprungs und insbesondere des trapezförmigen Abschnittes. Schließlich liege im Hinblick auf das Einspruchsverfahren auch keine „Verzichtssituation“ vor. Die Beklagte beschränke sich darauf, den erteilten Anspruch aus einem einzigen gestrichenen Absatz heraus auszulegen. Um den Wortsinn des streitgegenständlichen Patentanspruchs zu ermitteln, seien Anspruchswortlaut, Beschreibung und Zeichnungen, so wie sie sich nach dem Ausgang des Einspruchsverfahrens darstellen, auszulegen und anhand dieser Auslegung der Schutzbereich festzulegen. Der Umkehrschluss der Beklagten, wonach jede andere Form außer derjenigen, bei der sich die Verbindung zwischen dem kreisrunden Teil des Vorsprungs und der Außenwand trapezförmig aufweite, vom Schutzbereich ausgeschlossen sei, sei mit patentrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar.
72Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Anlagen sowie auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
73II.
74Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht in der Herstellung, dem Angebot und dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland eine wortsinngemäße Benutzung des Klagepatents gesehen und die Beklagte wegen unmittelbarer Patentverletzung (§ 9 Nr. 1 PatG) zur Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung und zum Rückruf verurteilt und die Schadenersatz- und Entschädigungspflicht der Beklagten festgestellt. Die aus Ziffer I.1. des Tenors ersichtlichen Maßgaben haben lediglich deklaratorischen Charakter.
751.
76Das Klagepatent betrifft ein Anschlussstück für eine Vorrichtung zum Aufwickeln eines aufwickelbaren Elements, bei dem es sich beispielsweise um die Schutzplane eines für den Gütertransport eingesetzten Lkw`s handeln kann.
77Um das Be- und Entladen von Gütern zu erleichtern, werden bei derartigen Lkw`s üblicherweise bewegliche Planen eingesetzt, die rasch angebracht oder entfernt werden können. Hierfür sind im Stand der Technik verschiedene Vorrichtungen bekannt. Eine dieser Lösungen arbeitet mit einer Aufrollvorrichtung, die eine Übertragungswelle, ein Anschlussstück für die Aufrollvorrichtung sowie eine Welle zum Aufwickeln des aufwickelbaren Elements (Plane) umfasst. Dabei gewährleistet das im Allgemeinen aus einem einzigen Block bestehende Anschlussstück, welches an seinen beiden Enden Mittel zur Verbindung mit der Übertragungswelle bzw. mit der Aufwickelwelle aufweist, die Verbindung zwischen der Übertragungswelle der Aufrollvorrichtung und der Aufwickelwelle für die Plane. Die Verbindungsmittel zwischen Anschlussstück und Aufwickelwelle bestehen aus einem oder mehreren Stiften, die an der Oberfläche des Anschlussstücks befestigt sind und unter Krafteinwirkung in einen über die gesamte Länge der Aufwickelwelle angelegten hohlen Teil eingreifen(Abs. [0002] bis [0006]; vgl. auch die Abbildungen auf Seite 19).
78Ein solches Anschlussstück ist mit verschiedenen Nachteilen verbunden. Da in der Aufwickelwelle ein hohler Teil vorhanden sein muss, verringert sich deren Steifigkeit. Des Weiteren können mit Blick auf die starken Beanspruchungen, die bei der Drehung des Anschlussstücks entstehen und die im Wesentlichen auf die Enden des Stifts sowie auf die Ränder des hohlen Teils mit halbmondförmigem Profil wirken, Verformungs- und Bruchprobleme auftreten, die das Auf- und/oder Abwickeln des aufwickelbaren Elements behindern können (Abs. [0007]).
79An der aus der FR 1.477.AAJ bekannten demontierbaren Kupplung, die dazu bestimmt ist, eine Verbindung zwischen zwei koaxialen Wellen mit zylinderbogenförmigem Profil herzustellen, kritisiert das Klagepatent, dass dadurch nicht das Problem der Verbindung zwischen der Übertragungswelle einer Vorrichtung zum Aufwickeln eines aufwickelbaren Elements und der Aufwickelwelle gelöst werde. Die demontierbare Kupplung weise für jede Welle einen hohlen Teil auf, dessen Innenwand komplementär zur Außenwand mit zykloidenbogenförmigem Profil des Endes der Übertragungswelle sei (Abs. [0008] bis [0010]).
80Vor dem geschilderten Hintergrund liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, die vorgenannten Nachteile zu beseitigen und eine homogene Verteilung der Kraft zu ermöglichen, die von dem Anschlussstück auf die Aufwickelwelle ausgeübt wird. Daneben soll ein Anschlussstück für die Aufrollvorrichtung eines aufwickelbaren Elements (wie einer Plane) bereitgestellt werden, das eine rasche Verbindung zwischen diesen beiden Elementen und eine Reduzierung oder den Wegfall des innerhalb der Aufwickelwelle befindlichen hohlen Teils erlaubt (Abs. [0011] bis [0013]).
81Zur Lösung dieser Problemstellungen sieht Patentanspruch 1 in der durch das Europäische Patentamt aufrecht erhaltenen Fassung eine Kombination der folgenden Merkmale vor:
82- 83
1. Anschlussstück für eine Vorrichtung zum Aufwickeln eines aufwickelbaren Elements, wie eine Fahrzeugplane.
- 85
2. Das Anschlussstück ist zum Bestücken von Anhänger- oder Lkw-Aufbauten bestimmt,
2.1. um die Übertragungswelle (4) der Aufwickelvorrichtung und die Aufwickelwelle (2) miteinander zu verbinden.
87- 88
3. Die Aufwickelwelle (2) enthält ein Kupplungsteil (11) an der Außenwand (9).
3.1. Das Kupplungsteil (11) ist dazu bestimmt, das aufwickelbare Element zu ergreifen.
90- 91
4. Das Anschlussstück (1) umfasst ein erstes Ende (3) und ein zweites Ende (5).
4.1. Das erste Ende (3) wirkt mit dem Ende der Übertragungswelle (4) zusammen.
934.2. Das zweite Ende (5)
94a) wirkt mit dem Ende der Aufwickelwelle (2) zusammen;
95b) umfasst Verbindungsmittel (6), die aus einem hohlen Abschnitt (7) bestehen;
96(1) Die Innenwand (8) des hohlen Abschnitts (7)
97(a) ist kreisförmig und komplementär zur Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle, um das Ende der Aufwickelwelle (2) so zu fassen, dass die Drehbewegung der Übertragungswelle (4) auf die Aufwickelwelle (2) übertragen wird;
98(b) umfasst den Vorsprung (10) aus Vollmaterial, der
99(b1) es erlaubt, die Aufwickelwelle (2) zum Drehen zu bringen;
100(b2) fest mit der Innenwand (8) verbunden ist;
101(b3) über die ganze Höhe des hohlen Abschnitts (7) vorgesehen ist;
102(b4) dem Kupplungsteil (11) der Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle (2) entspricht und mit diesem zusammenwirkt,
103(b5) ein zum Kupplungsteil (11) an der Außenwand (9) der Aufwickelwelle (2) komplementäres, schlüssellochförmiges Profil aufweist;
104(b6) in Profilansicht einen kreisförmigen Abschnitt und einen trapezförmigen Abschnitt umfasst.
105(α) Die große Grundseite des trapezförmigen Abschnitts ist am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand (8) befestigt.
106Soweit die Klägerin den in der maßgeblichen französischen Fassung des streitgegenständlichen Patentanspruchs zu findenden Begriff „partie d’accrochage (11)“ erstmalig in der Berufungsinstanz anstelle mit „Kupplungsteil (11)“ mit „Ankopplungsbereich (11)“ übersetzt, ist damit nach Auffassung des Senats keine inhaltliche Änderung verbunden, so dass die Begriffe im Folgenden synonym verwendet werden.
1072.
108Im Hinblick auf den Streit der Parteien bedarf vor allem die Merkmalsgruppe 4.2. näherer Erläuterung.
109a)
110Gegenstand des streitgegenständlichen Patentanspruchs ist ein Anschlussstück für eine Vorrichtung zum Aufwickeln eines aufwickelbaren Elements (Plane), wobei das Anschlussstück dazu bestimmt ist, die Übertragungswelle der Aufwickelvorrichtung einerseits und die Aufwickelwelle für die Plane andererseits miteinander zu verbinden (Merkmalsgruppen 1 und 2, vgl. auch Absätze [0001], [0007] und [0018] der Klagepatentschrift). Nicht vom Schutzbereich umfasst ist die Aufwickelwelle selbst, die erst als Bestandteil der im Unteranspruch 3 beschriebenen, einen Antriebsmechanismus, eine Übertragungswelle, eine Aufwickelwelle und ein Anschlussstück umfassenden Vorrichtung zum Auf-/Abwickeln geschützt ist. Außerhalb des Erfindungsgegenstandes nach Anspruch 1 liegt ebenso die Aufwickelvorrichtung mit ihrer Übertragungswelle. Beide Gegenstände – das Kupplungsteil der Aufwickelwelle und die Übertragungswelle – sind im Rahmen von Anspruch 1 des Klagepatents nur insofern rechtlich bedeutsam, als ihre im Patentanspruch 1 vorausgesetzte Beschaffenheit Rückschlüsse auf die notwendige Ausgestaltung des Anschlussstücks zulässt, das mit dem Kupplungsstück der Aufwickelwelle und mit der Übertragungswelle der Aufwickelvorrichtung zusammenwirken soll. Keinesfalls stellt es jedoch eine Bedingung für den Benutzungstatbestand dar, dass eine anspruchsgemäße Aufwickel- und Übertragungswelle tatsächlich existiert oder dass die im Markt existierenden oder sogar die zur Verwendung mit dem Anschlussstück vorgesehenen Wellen den Anforderungen des Patentanspruchs 1 genügen. Da das Anschlussstück als solches unter Patentschutz steht, kommt es allein darauf an, dass das Anschlussstück für sich betrachtet sämtliche auf den Erfindungsgegenstand bezogenen Anspruchsmerkmale verwirklicht und dass eine zu ihm passende Aufwickel- und Übertragungswelle denkbar ist, mit denen das so gestaltete Anschlussstück ordnungsgemäß zusammenarbeiten könnte (vgl. Senat, Urteil vom 18.10.2012 – I-2 U 41/08).
111b)
112Während die technische Gestaltung des ersten Endes des Anschlussstücks, welches mit dem Ende der Übertragungswelle (4) zusammenwirkt, weitgehend in das Belieben des Fachmanns gestellt ist, ist die technische Gestaltung des zweiten, mit der Aufwickelwelle (2) zusammenwirkenden Endes des Anschlussstücks im Patentanspruch 1 im Einzelnen beschrieben (Merkmalsgruppe 4.2.). Anspruchsgemäß soll das zweite Ende (5) Verbindungsmittel (6) umfassen, die aus einem hohlen Abschnitt (7) bestehen, dessen Innenwand (8) ein kreisförmiges Profil komplementär zur Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle aufweist, um das Ende der Aufwickelwelle (2) so zu fassen, dass die Drehbewegung der Übertragungswelle (4) mittels des Vorsprungs auf die Aufwickelwelle (2) übertragen wird (Merkmale 4.2. b) (1) (a)). Mit anderen Worten soll die Aufwickelwelle in den hohlen Abschnitt des anspruchsgemäßen Anschlussstücks hineingesteckt werden können, wobei der hohle Bereich des Anschlussstücks so an die Aufwickelwelle angepasst ist, dass die Drehbewegung der Übertragungswelle an die Aufwickelwelle vermittelt werden kann (vgl. Absatz [0022]). Davon abgesehen stellt der streitgegenständliche Patentanspruch die konkreten Maße der Innenwand (8) in das Belieben des Fachmanns. Soweit in Absatz [0027] vorgeschlagen wird, die Maße der Innenwand des zweiten Endes (5) des Anschlussstücks (1) identisch oder minimal größer als die der Außenwand (9) der Aufwickelwelle (2) zu wählen, so dass jede Schwingung zwischen dem Anschlussstück (1) und der Aufwickelwelle (2) anlässlich des Drehantriebs vermieden wird, handelt es sich lediglich um ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel. Es dient der Beschreibung von Möglichkeiten der Verwirklichung des Erfindungsgedankens und erlaubt daher grundsätzlich keine einschränkende Auslegung des die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs (BGHZ 160, 204, 210 = GRUR 2004, 1023 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH, GRUR 2007, 778, 779, 780 - Ziehmaschinenzugeinheit; GRUR 2008, 779, 783 – Mehrgangnabe; Senat, Urt. v. 20.01.2011, Az.: I-2 U 92/09).
113c)
114Um die Drehmomentübertragung auf die Aufwickelwelle (2) sicherzustellen (vgl. Merkmal 4.2. b) (1) (b) (b1)), ist an der Innenwand des hohlen Abschnitts (7) des Anschlussstücks ein Vorsprung (10) vorgesehen, der es erlaubt, die Aufwickelwelle (2) zum Drehen zu bringen (Merkmal (b1)). Damit der Vorsprung seine ihm zugedachte Mitnehmer-Funktion für die Aufwickelwelle wahrnehmen kann, darf er sich weder verformen noch darf er sonst beschädigt oder zerstört werden, weshalb der Vorsprung nicht nur aus Vollmaterial ausgebildet, sondern auch über die ganze Höhe (= axiale Tiefe) des hohlen Abschnitts (7) vorgesehen ist (Merkmale 4.2. b) (1) (b) (b3)), vgl. auch Absätze [0028] f.). Durch die besagte Erstreckung des Vorsprungs ist sichergestellt, dass die Drehmomentübertragung nicht nur in einem kleinen Bereich oder bloß linienförmig, sondern prinzipiell flächenmäßig über die gesamte Tiefe des hohlen Abschnitts erfolgt, was eine vergleichmäßigte, die Bauteile schonende Kraftübertragung zur Folge hat. Hinsichtlich der technischen Gestaltung des Vorsprungs (10) entnimmt der Fachmann dem streitgegenständlichen Patentanspruch die weitere Vorgabe, dass dieser ein zum Kupplungsteil (11) an der Außenwand (9) der Aufwickelwelle (2) komplementäres schlüssellochförmiges Profil aufweisen soll, das in Profilansicht einen kreisförmigen und einen trapezförmigen Abschnitt umfasst, wobei die große Grundseite des trapezförmigen Abschnitts am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand (8) befestigt ist (Merkmalsgruppe 4.2. a.E.). Eine mögliche Gestaltung des anspruchsgemäßen Vorsprungs ist in den Figuren 1 und 2 des Klagepatents nebst der zugehörigen Beschreibung (vgl. insbes. Absätze [0030] bis [0032]) gezeigt. Bei ihr verfügt der trapezförmige Abschnitt über zwei, einander zur Mitte des hohlen Abschnitts hin zugeneigte Schenkel und zwei unterschiedlich lange Grundseiten, wobei sich an die kurze Grundseite der kreisförmige Teil des schlüssellochförmigen Profils anschließt, während die lange Grundseite an der Innenwand des hohlen Abschnitts befestigt ist.
115Bei der vorstehend beschriebenen Gestaltung handelt es sich wiederum um ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel, das als solches - wie bereits ausgeführt - keine einschränkende Auslegung des die Erfindung allgemein kennzeichnenden Anspruchsmerkmals erlaubt (BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit; GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe). Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen ergibt, dass nur bei Befolgung einer solchen engeren technischen Lehre derjenige technische Erfolg erzielt wird, der erfindungsgemäß mit den im Anspruch bezeichneten Mitteln erreicht werden soll (BGH, GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe). Das ist hier nicht der Fall. Es besteht keine Veranlassung, die im streitgegenständlichen Patentanspruch durch das Vorhandensein eines kreisförmigen und eines trapezförmigen Abschnitts charakterisierte Schlüssellochform dahingehend einschränkend zu verstehen, dass der trapezförmige Teil zwingend über zwei unterschiedlich lange Grundseiten verfügen muss, so dass die übrigen Schenkel aufeinander zu laufen.
116aa)
117Wie die nachfolgenden Abbildungen der Klägerin zu einer möglichen Ausgestaltung eines Schlüssellochs belegen, verlangt der Begriff „Schlüssellochform“ nach allgemeinem Sprachverständnis keinen trapezförmigen Bestandteil mit unterschiedlich langen Grundseiten und (dadurch bedingt) zueinander geneigten Seitenwänden.
118Die Bezugnahme auf eine Schlüssellochform lässt desweiteren einen Gestaltungsspielraum auch im Hinblick darauf zu, wie der kreisförmige Teil und der trapezförmige Teil des Schlüssellochs im Verhältnis zueinander dimensioniert sind. Der Patentanspruch verhält sich hierzu nicht limitierend. Jedenfalls in gewissen Grenzen kann der obere, runde Teil deshalb größer ausfallen als der untere, trapezförmige Teil, solange insgesamt die Form eines Schlüssellochs [und die technische Wirkung ihrer Bestandteile (Stützung der Aufwickelwelle, Anschlag- und Mitnahmefunktion)] nicht verloren geht.
119Nach allgemeinem geometrischen Sprachgebrauch ist unter einem „Trapez“ ein ebenes Viereck mit zwei parallel zueinander liegenden Seiten zu verstehen, wobei die parallelen Seiten des Trapezes auch als „Grundseiten“ bezeichnet werden. Nach dieser Definition ist eine unterschiedliche Länge der Grundseiten keine Voraussetzung für das Vorliegen eines Trapezes. Somit können die Grundseiten gleich lang sein, so dass es sich auch bei jedem Parallelogramm oder - wenn die Innenwinkel alle rechtwinklig sind - bei jedem Rechteck um ein Trapez handelt. Die letztgenannte Variante (Rechteck) wird „rechtwinkliges Trapez“ genannt. Soweit der streitgegenständliche Patentanspruch verlangt, dass das schlüssellochförmige Profil einen trapezförmigen Abschnitt haben soll, bedeutet dies somit nur, dass zumindest zwei Seiten dieses Abschnitts zueinander parallel sein müssen.
120Dass nach der Formulierung des Patentanspruchs die große Grundseite („la grande base“) des trapezförmigen Abschnitts am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand befestigt sein soll, rechtfertigt kein anderes Verständnis. Soweit die Beklagte herzuleiten versucht, dass, wenn im Patentanspruch von einer „großen“ Grundseite die Rede sei, es notwendigerweise auch eine kleine Grundseite geben müsse, woraus wiederum zu folgern sei, dass die Grundseiten des Trapezes unterschiedlich lang zu sein hätten, wird verkannt, dass der Patentanspruch gerade nicht von einer „größeren“, sondern bloß von einer „großen“ Grundseite spricht. Das Prädikat „groß“ verdient bei einem rechtwinkligen Trapez mit gleich langen Grundseiten jede von ihnen und bei einem nicht rechtwinkligen Trapez mit unterschiedlich langen Grundseiten die längere von ihnen. Der Patentanspruch gibt dem Durchschnittsfachmann so gesehen die Anweisung, am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand die große Grundseite des Trapezes anzuordnen, nämlich eine von zwei gleich langen Grundseiten bzw. die längere von zwei unterschiedlich lang dimensionierten Grundseiten.
121bb)
122Bei dieser rein philologischen Betrachtung bleibt der Fachmann freilich nicht stehen. Denn für die Auslegung eines Patentanspruchs ist nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der im Patentanspruch verwendeten Begriffe maßgeblich, sondern deren technischer Sinn, der unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Patent ergeben, zu bestimmen ist (vgl. BGH, GRUR 1975, 422, 424 - Streckwalze; GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube). Maßgeblich sind dabei der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die Einzelmerkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen (vgl. BGHZ 172, 88 = GRUR 2007, 778 Ziehmaschinenzugeinheit I). Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen (vgl. BGH, GRUR 2012, 1122 Palettenbehälter III; BGH, Urt. v. 13.10.2015, Az. X ZR 74/14 = BeckRS 2015, 19864).
123Wie der Fachmann dem Absatz [0006] der Klagepatentbeschreibung entnimmt, bestanden die im Stand der Technik bekannten Verbindungsmittel zwischen Anschlussstück und Aufwickelwelle aus einem oder mehreren Stiften, die an der Oberfläche des Anschlussstücks befestigt waren und unter Krafteinwirkung in einen hohlen Teil eingriffen, der über die gesamte Länge der genannten Aufwickelwelle angelegt war. Zur Illustration dieses Standes der Technik hat die Klägerin - von der Beklagten unbeanstandet - als Anlage K 7 das auch im Einspruchsverfahren (dort Anlage D 17) diskutierte Dokument „L“ vom September 2001 vorgelegt, in dem sich unter anderem die nachfolgend eingeblendete Aufwickelwelle und das nachfolgend gezeigte Anschlussstück finden (vgl. auch Absatz [0034] der Klagepatentbeschreibung, wo der in der nachstehend rechts eingeblendeten Abbildung oben zu sehende halbmondförmige Abschnitt bei der patentgemäßen Lösung lediglich fakultativ zur Gewichtsersparnis vorgesehen werden kann).
124An dieser Lösung kritisiert das Klagepatent im Absatz [0007], dass in der Aufwickelwelle zwingend ein hohler Teil vorhanden sein müsse, wodurch ihre Steifigkeit verringert werde. Zudem würden diese Vorrichtungen mit Blick auf die starken Beanspruchungen, die bei der Drehung des Anschlussstücks entstehen und die im Wesentlichen auf die Enden des Stifts und die Ränder des hohlen Teils mit halbmondförmigem Profil wirken, Verformungs- und Bruchprobleme aufweisen.
125Vor diesem Hintergrund ist dem Fachmann klar, weshalb der Vorsprung nach der beanspruchten Lehre einen trapezförmigen und einen kreisförmigen Abschnitt aufweisen soll. Denn durch die so definierte Gestaltung des Vorsprungs wird dieser an die Rille einer gegebenen Antriebswelle angepasst (so auch die Einspruchsabteilung, deren Auffassung der Senat als fachkundige Stellungnahme zu berücksichtigen hat; Einspruchsentscheidung Seite 11 unten). Indem das Anschlussstück einen kreisförmigen Vorsprung aufweist, der über die ganze Höhe des hohlen Abschnitts vorgesehen ist, wird der bei der als gegeben vorausgesetzten Aufwickelwelle vorhandene Hohlraum, der in seinem weiteren Verlauf der Aufnahme der Haltestange dient (vgl. Absatz [0032], „barre d’accrochage“), ausgefüllt, so dass der Hohlraum innerhalb der Aufwickelwelle zumindest reduziert wird (vgl. Absatz [0013]), wodurch die Verformung des in den hohlen Teil (7) der Innenwand (8) des Anschlussstücks hineinragenden Bereichs (11) verhindert wird (vgl. Absatz [0026]). Der trapezförmige Abschnitt dient demgegenüber der Verbindung des den Hohlraum ausfüllenden kreisförmigen Abschnitts und der Innenwand des hohlen Abschnitts (7) des Anschlussstücks. Es ist der trapezförmige Teil des Vorsprungs, der den Mitnehmer für die Aufwickelwelle bereitstellt, indem er dafür sorgt, dass das Anschlussstück bei seiner ihm durch die Übertragungswelle aufgezwungenen Rotation die Aufwickelwelle mitnehmend in Drehung versetzt. Dass es hierfür zwingend zweier, in Richtung der Mitte des hohlen Abschnitts (7) des Anschlussstücks (1) aufeinander zu laufender Schenkel des Trapezes bedarf, lässt sich der Klagepatentschrift nicht entnehmen und ist auch nicht ersichtlich. An keiner Stelle befasst sich die Klagepatentschrift damit, dass die Drehbewegung mithilfe des Vorsprungs möglichst rechtwinklig in die korrespondierende Gegen-Fläche des Kupplungsteils eingeleitet werden muss. Eine dahingehende Anordnung und Gestaltung mag kräftemäßig besonders vorteilhaft sein, weil die gesamte vom angetriebenen Anschlussstück aufgebrachte Kraft auf der Seite der Aufwickelwelle in ein wirksames Drehmoment umgesetzt wird; dass aber genau dies ein Anliegen der Erfindung sein soll, ist nicht zu erkennen.
126cc)
127Dass die Einspruchsabteilung das Klagepatent im Einspruchsverfahren lediglich beschränkt und unter der Voraussetzung, dass die Schlüssellochform auf eine Gestaltung mit einem trapez- und einem kreisförmigen Abschnitt konkretisiert ist, aufrecht erhalten hat, rechtfertigt keine andere Bewertung.
128Zwar treten bei einer beschränkten Aufrechterhaltung des Klagepatents die die Abweichung behandelnden Entscheidungsgründe an die Stelle der Patentbeschreibung oder neben sie und binden das Verletzungsgericht (vgl. BGH, GRUR 1979, 308, 309 – Auspuffkanal für Schaltgase; GRUR 1992, 839, 840 – Linsenschleifmaschine; Senat, InstGE 5, 183 – Ziehmaschine; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Auflage, Abschnitt A, Rz. 75). Jedoch lässt sich auch der Einspruchsentscheidung kein Hinweis auf ein eingeschränktes Verständnis des Begriffes „trapezförmig“ entnehmen.
129Anlass für die bloß teilweise Aufrechterhaltung des Klagepatents war die im Einspruchsverfahren als Entgegenhaltung D 1 diskutierte WO 00/47AAK, in der sich unter anderem die nachfolgend eingeblendeten Figuren finden.
130Die Einspruchsabteilung hat die Entgegenhaltung gegenüber dem ursprünglich nur allgemein auf einen schlüssellochförmigen Vorsprung abstellenden Hauptantrag im Einspruchsverfahren als neuheitsschädlich angesehen und dabei die Auffassung vertreten, bei dem in der vorstehenden Abbildung mit der Bezugsziffer (30) gekennzeichneten quadratischen Profil handele es sich um einen Vorsprung (10) im Sinne des Klagepatents (S. 9 unten). In der letztlich aufrechterhaltenen Fassung des Klagepatents ist die Schlüssellochform deswegen dahingehend näher konkretisiert, dass der Vorsprung in der Profilansicht einen kreisförmigen und einen trapezförmigen Abschnitt aufweist, dessen große Grundseite am kreisförmigen Abschnitt der Innenwand befestigt sein soll (S. 11). Dass der Vorsprung in Profilansicht zweiteilig ausgebildet sein und neben dem trapezförmigen Abschnitt auch einen kreisförmigen Abschnitt aufweisen soll, diente mithin der Abgrenzung zu einer rein quadratischen Gestaltung des Vorsprungs, welche die Einspruchsabteilung bereits als „schlüssellochförmig“ angesehen hat. Vor dem Hintergrund des im Einspruchsverfahren diskutierten Standes der Technik hat die Einspruchsabteilung im Rahmen der Begründung der eingeschränkten Aufrechterhaltung des Klagepatents mithin entscheidend darauf abgestellt, dass der Vorsprung aus einem kreisförmigen und einem trapezförmigen Abschnitt besteht (und damit nicht allein quadratisch ist), ohne jedoch auf die nähere Gestaltung des trapezförmigen Abschnitts einzugehen (vgl. Einspruchsentscheidung Seiten 11 – 13).
131d)
132Soweit sich der streitgegenständliche Patentanspruch 1 zur Aufwickelwelle verhält (indem verlangt wird, dass der Vorsprung (10) dem Kupplungsteil (11) der Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle (2) entspricht, indem gefordert wird, dass das schlüssellochförmige Profil zum Kupplungsteil (11) der Aufwickelwelle (2) komplementär sein soll, und indem gesagt wird, dass das Kupplungsteil der Aufwickelwelle die Plane ergreifen soll), ist – wie bereits dargelegt – zu beachten, dass der streitgegenständliche Patentanspruch ausschließlich das Anschlussstück und nicht die Aufwickelwelle betrifft. Dies hat zur Folge, dass eine bestimmte Gestaltung der Aufwickelwelle den Schutzbereich des streitgegenständlichen Patentanspruchs nur insoweit einschränken kann, wie sich daraus mittelbare Folgen für die Gestaltung des beanspruchten Anschlussstücks ergeben.
133Davon ausgehend lassen sich die Merkmale (b4) und (b5) der obigen Merkmalsgliederung nur so verstehen, dass der Vorsprung (10) so gestaltet sein muss, dass er in der Lage ist, mit dem Kupplungsteil (11) der Aufwickelwelle (2) derart zusammenzuwirken, dass das Drehmoment auf die Aufwickelwelle übertragen werden kann. Der Vorsprung muss demnach ein schlüssellochförmiges, d.h. aus einem kreisförmigen und einem trapezförmigen Abschnitt bestehendes Profil aufweisen, welches an die Form der Rille der Aufwickelwelle angepasst ist (so auch die Einspruchsabteilung, Seite 11). Ob die Aufwickelwelle demgegenüber ebenfalls ein schlüssellochförmiges Profil mit einem kreisförmigen und einem trapezförmigen Abschnitt aufweist, so dass Vorsprung und Aufwickelwelle wie ein Positiv und ein Negativ zusammenwirken, ist für die Beurteilung der Verletzungsfrage ohne Belang. Insbesondere führt es aus dem Schutzbereich des Klagepatents nicht heraus, wenn die Aufwickelwelle kein schlüssellochförmiges Profil im vorgenannten Sinne aufweist, so dass der Vorsprung und die Antriebswelle nicht im Sinne von Positiv und Negativ kooperieren. Denn nicht die Aufwickelwelle soll an die Form des Vorsprungs angepasst sein, sondern der Vorsprung soll dem Kupplungsteil der Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle (2) entsprechen und das schlüssellochförmige Profil des Vorsprungs soll zum Kupplungsteil (11) der Aufwickelwelle komplementär sein. Ausgangspunkt der Betrachtung ist mithin stets die technische Gestaltung des zweiten Endes des Anschlussstücks und nicht die außerhalb des Schutzumfangs des Patentanspruchs liegende Aufwickelwelle.
134e)
135Ein engeres Verständnis ist nicht aus funktionalen Gründen gerechtfertigt. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass mit dem beanspruchten Anschlussstück auch eine homogene Kraftverteilung ermöglicht werden soll (vgl. Absatz [0011]). Dies ist jedoch vor dem Hintergrund der in Absatz [0007] geäußerten Kritik am Stand der Technik zu sehen, wonach die bekannte Lösung mit dem Nachteil verbunden war, dass die Beanspruchungen im Wesentlichen auf die Enden des Stifts sowie auf die Ränder des hohlen Teils mit halbmondförmigem Profil wirken. Um diese Nachteile zu beseitigen, sieht die durch das Klagepatent beanspruchte Lösung nunmehr vor, Anschlussstück und Aufwickelwelle nicht mehr allein durch an der Oberfläche des Anschlussstücks befindliche, in Hohlräume der Aufwickelwelle eingreifende Stifte zu verbinden (vgl. Absatz [0006]), sondern am Anschlussstück Verbindungsmittel vorzusehen, die aus einem kreisförmigen hohlen Abschnitt (7) mit einem im Einzelnen näher beschriebenen Vorsprung (10) bestehen, so dass die Aufwickelwelle in den hohlen Abschnitt (7) des Anschlussstücks gesteckt und die Drehbewegung über den Vorsprung (10) auf die Aufwickelwelle (7) übertragen werden kann. Um die anvisierte homogene Kraftverteilung zu erreichen, ist somit eine Vielzahl von Maßnahmen vorgesehen. Ein Hinweis darauf, dass die homogene Kraftverteilung gerade durch das Aufeinanderliegen der Schenkel des trapezförmigen Abschnitts des Vorsprungs (10) und entsprechend spiegelbildlich gestalteter Flächen an der Aufwickelwelle (2) erreicht werden soll, findet sich in der Klagepatentschrift, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Beschreibung des Ausführungsbeispiels, das gerade ein Aufeinanderliegen der Flächen zeigt, nicht. Im Gegenteil spricht Absatz [0026] ausdrücklich davon, dass über die Verbindungsmittel (6) eine Rotationskraft auf den gesamten Bereich (11) des Anschlussstücks ausgeübt wird. Bei den Verbindungsmitteln (6) handelt es sich nach dem streitgegenständlichen Patentanspruch um den hohlen Abschnitt (7), dessen den Vorsprung (10) aufweisende Innenwand (8) mit kreisförmigem Profil komplementär zur Außenwand (9) des Endes der Aufwickelwelle ist, um das Ende der Aufwickelwelle (2) so zu fassen, dass die Drehbewegung der Übertragungswelle (4) auf die Aufwickelwelle (2) übertragen wird.
1363.
137Ausgehend von diesen Überlegungen macht die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Zu Recht ist dies im Hinblick auf die Merkmalsgruppen 1 - 4.2 b) (2) (b3) zwischen den Parteien nicht umstritten, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf.
138a)
139Dass das angegriffene Anschlussstück darüber hinaus über einen Vorsprung mit einem schlüssellochförmigen Profil im Sinne der Merkmale (b5) und (b6) verfügt, lässt sich der nachfolgend eingeblendeten Abbildungen ohne Weiteres entnehmen. Trotz der zugegebenermaßen großen Dimensionierung des kreisrunden oberen Teils bleibt die Anlehnung an die Gestalt eines Schlüssellochs deutlich erhalten.
140Wie der Senat im Rahmen der Auslegung von Patentanspruch 1 ausgeführt hat, steht es einer Verwirklichung der beanspruchten technischen Lehre dabei insbesondere nicht entgegen, dass der zwischen der Außenwand des hohlen Abschnitts und dem kreisförmigen Abschnitt befindliche Bereich rechteckig ausgebildet ist. Auch bei einer solchen Gestaltung handelt es sich um eine Trapezform im Sinne des Klagepatents.
141b)
142Darüber hinaus weist der Vorsprung bei der angegriffenen Ausführungsform ein zum Kupplungsteil an der Außenwand der Aufwickelwelle komplementäres schlüssellochförmiges Profil auf, wobei der Vorsprung dem Kupplungsteil der Außenwand des Endes der Aufwickelwelle entspricht (Merkmal (b4)).
143aa)
144Dass dem so ist, beweist bereits diejenige Aufwickelwelle, für die das streitbefangene Anschlussstück tatsächlich vorgesehen ist; die nachfolgend wiedergegebene Abbildung, die dem als Anlage K 15 zur Akte gereichten Protokoll entnommen ist. belegt dies.
145Die Abbildung verdeutlicht, dass die nicht vom Schutzumfang des streitgegenständlichen Patentanspruchs umfasste Aufwickelwelle bei der angegriffenen Ausführungsform in den hohlen Abschnitt des Anschlussstücks gesteckt werden kann. Dementsprechend ist die Innenwand des hohlen Abschnitts komplementär zur Außenwand der Aufwickelwelle. Des Weiteren passt der kreisförmige, vorstehend mit einem „S“ gekennzeichnete Abschnitt des Vorsprungs in den Kederkanal der Aufwickelwelle, während der rechteckige und damit trapezförmige Bereich zwischen den aufeinander zu laufenden Enden der Aufwickelwelle angeordnet ist. Das schlüssellochförmige Profil des Vorsprungs ist demnach komplementär zum Kupplungsteil der Aufwickelwelle, so dass der Vorsprung zugleich auch dem Kupplungsteil der Außenwand des Endes der Aufwickelwelle entspricht. Eines Aufeinanderliegens zweier Flächen des trapezförmigen Abschnitts bedarf es dafür, wie bereits ausgeführt, nicht.
146Dass der Vorsprung des Anschlussstücks und das Kupplungsteil der Aufwickelwelle keine solche räumlich-geometrische Ausgestaltung haben, dass die Flächen des trapezförmigen Abschnitts auf entsprechenden Flächen des Kupplungsteils der Aufwickelwelle aufliegen, so dass das Drehmoment möglicherweise nicht über eine ganze Fläche, sondern nur punktuell mittels der sich verkantenden Berührungslinie zwischen Vorsprung und Kupplungsteil übertragen wird, führt aus dem Schutzbereich des Klagepatents nicht heraus. Gleiches gilt, soweit sich die Querschnittsgeometrie des Vorsprungs von seinem zur Aufwickelwelle weisenden Abschluss zum Boden hin verjüngt, ohne dass dies durch das Kupplungsteil der Aufwickelwelle kompensiert würde. Zwar ist es eine Aufgabe des Klagepatents, eine homogene Kraftverteilung zu ermöglichen. Wie der Senat im Rahmen der Auslegung des Klagepatents im Einzelnen ausgeführt hat, bedeutet dies jedoch nicht, dass die homogene Kraftverteilung gerade dadurch realisiert werden muss, dass sich das schlüssellochförmige Profil des Vorsprungs (10) und das Kupplungsteil (11) wie ein Positiv und ein Negativ verhalten, so dass die Außenfläche des trapezförmigen Abschnitts des Vorsprungs (vollständig) auf einer spiegelbildlichen Fläche des Kupplungsteils aufliegt. Es mag sein, dass es dadurch, dass die für die Kraftübertragung ausgebildeten Flächen des Vorsprungs im Kupplungsteil nicht orthogonal zur Drehbewegung des Anschlussstücks angeordnet sind und der dadurch bedingte größere Winkel zur Rotationsbewegung zu Kraftverlusten führen kann. Rechtlich hat dies keine Konsequenzen, weil eine bestmögliche (= orthogonale) Krafteinleitung nicht notwendiger, sondern allenfalls fakultativer Inhalt der technischen Lehre des Patentanspruchs 1 ist. Selbst wenn die angegriffene Ausführungsform die Vorteile des Patents nur unvollständig verwirklichen würde, wäre im Übrigen gleichwohl eine Patentverletzung gegeben, wenn sie – wie hier – sämtliche Merkmale des Patentanspruchs wortsinngemäß erfüllt (BGH, GRUR 2006, 131 - Seitenspiegel; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.01.2015, Az.: I-15 U 22/14; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Auflage, Abschnitt A, Rz. 173).
147Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, dass patentgemäße Anschlussstücke üblicherweise aus Guß gefertigt werden, was es technisch (zum Zwecke des Entformens) erzwingt, dass der Vorsprung über seine Höhe eine minimale Konizität (von ca. 1 °) besitzt. Da anderes technisch mit vernünftigem Aufwand nicht zu bewerkstelligen ist und das Klagepatent die nun einmal gegebenen technischen Möglichkeiten hinzunehmen hat, kann eine derartige geringe Konizität, weil sie unvermeidlich ist, nicht schutzbereichsrelevant sein. Der vorderste Bereich, der eine Einfädelhilfe beim Aufstecken des Anschlussstücks auf die Aufwickelwelle bereit stellt, besitzt zwar ein größeres Maß an Abschrägung, er ist jedoch schon von seiner Ausdehnung her äußerst klein, deshalb für die Zwecke der Drehmomentübertragung völlig untergeordnet und damit patentrechtlich unbeachtlich.
148Entgegen der Auffassung der Beklagten entspricht es schließlich auch nicht der „ständigen Rechtsprechung, dass ein Passepartout nicht schutzfähig ist“. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die unter dem Aktenzeichen I-2 U 75/05 ergangene Entscheidung des Senats abstellen will, befasste sich das diesem Urteil zugrundeliegende Klagepatent mit einem Flachschlüssel für Schließzylinder, so dass diese Entscheidung bereits keine Anschlussstücke im Sinne des Klagepatents betrifft. Allein der Umstand, dass der Vorsprung nach der durch das Klagepatent beanspruchten technischen Lehre „schlüssellochförmig“ sein soll, führt nicht zu einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Der durch die Beklagte zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung zitierten Entscheidung lag folgender Patentanspruch zugrunde:
149„Schlüssel für Schließzylinder mit auf den beiden Schlüsselbreitseitenflächen (1, 2) parallel zueinander verlaufenden Führungsnuten (3, 4, 5, 6), deren Nutböden geneigt zur Schlüsselmittelebene (7) verlaufen, dadurch gekennzeichnet , dass der Boden (3’) der mit rechtwinklig zur Schlüsselbreitseite (1) verlaufenden Nutwänden (3’’) ausgestatteten Nut (3) auf einer um die in Schlüsseleinsteckrichtung verlaufenden Neigungsachse (9) geneigt zur Schlüssellängsmittelebene (7) verlaufenden Bodenebene (8) liegt, in welcher Ebene (8) der Boden (4’) mindestens einer Nut (4) der gegenüber liegenden Schlüsselbreitseite (2) verläuft.“
150Gegenstand des Anspruchs war somit ein durch zahlreiche Merkmale gekennzeichneter Flachschlüssel, wobei der Senat eine Verletzung des dortigen Klagepatents für die verschiedenen angegriffenen Ausführungsformen jeweils aufgrund der Nichtverwirklichung einzelner, konkreter Merkmale verneint hat. Ein verallgemeinerungsfähiger Grundsatz lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen. Vielmehr wird der Schutzbereich jedes europäischen Patents bzw. jeder europäischen Patentanmeldung gemäß Art. 69 EPÜ durch den jeweiligen konkreten Patentanspruch bestimmt, der unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen ist.
151bb)
152Auf die vorstehenden Ausführungen kommt es aber nicht einmal entscheidend an. Wie dargelegt, hat der eigenständige Sachschutz für das Anschlussstück zur Folge, dass lediglich eine zu ihm komplementäre Aufwickelwelle denkbar sein muss, mit der zusammen sich sämtliche Anspruchsmerkmale verwirklichen lassen. Sie muss nicht tatsächlich existieren und erst recht nicht zusammen mit dem angegriffenen Anschlussstück zum Einsatz kommen, sondern sich bloß konstruieren und herstellen lassen. Dies ist ohne weiteres der Fall. Selbstverständlich kann eine Aufwickelwelle so gebaut werden, dass sie ein der Kontur des schlüssellochförmigen Vorsprungs exakt nachgebildetes, ebenfalls schlüssellochartiges Kupplungsteil besitzt, so dass es zwischen Kupplungsteil und Vorsprung zu einer vollflächigen Anlage kommt.
1534.
154Dass die Beklagte im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Schutzrechtsverletzung zur Unterlassung, zum Rückruf sowie zur Vernichtung und, weil sie das Klagepatent schuldhaft verletzt hat, auch zum Schadenersatz und zur Entschädigung verpflichtet ist und der Klägerin, um ihr eine Berechnung ihrer Entschädigungs- und Schadenersatzansprüche zu ermöglichen, über den Umfang ihrer Benutzungs- und Verletzungshandlungen Rechnung zu legen und Auskunft zu erteilen hat, hat das Landgericht im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt. Auf diese Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
155III.
156Für eine Aussetzung des Rechtsstreits besteht keine Veranlassung, § 148 ZPO.
1571.
158Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei der Aussetzung eines Patentverletzungsrechtsstreits wegen eines gegen das Klagepatent ergriffenen Rechtsbehelfs Zurückhaltung geboten. Eine zu großzügige Aussetzung hätte zur Folge, dass das ohnehin zeitlich begrenzte Ausschließlichkeitsrecht des Patentinhabers praktisch suspendiert und Rechtsbehelfe gegen erteilte Patente geradezu herausgefordert würden. Sie stünde überdies im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass Rechtsbehelfen gegen Patente kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt. Deshalb sieht sich der Senat im Allgemeinen in derartigen Fällen nur dann zu einer Aussetzung nach § 148 ZPO veranlasst, wenn die Vernichtung bzw. der Widerruf des Klagepatents nicht nur möglich, sondern hinreichend wahrscheinlich ist. Nach der Entscheidung „Steinknacker" (Mitt. 1997, 257 - 261) ist die Frage der Aussetzung des Patentverletzungsstreites in zweiter Instanz zwar unter weniger strengen Gesichtspunkten zu beurteilen als im Verfahren vor dem Landgericht, wenn - wie hier - bereits ein erstinstanzliches Urteil zugunsten des Patentinhabers vorliegt, aus dem dieser gegen Sicherheitsleistung vollstrecken kann. Aber auch nach dieser Entscheidung ist eine Aussetzung erst dann geboten, wenn die Vernichtung oder der Widerruf des Patents mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. z. B. Senat, InstGE 7, 139 = GRUR-RR 2007, 259, 263 - Thermocycler; Mitt. 2009, 400, 401 f. - Rechnungslegungsanspruch).
1592.
160Mangels Zahlung des vom BPatG angeforderten Gerichtskostenvorschusses ist die Nichtigkeitsklage noch nicht zugestellt. Auf eine lediglich eingereichte, aber noch nicht zugestellte Nichtigkeitsklage muss sich die Klägerin nicht sachlich einlassen. Selbst wenn eine Abschrift der Nichtigkeitsklage im Verletzungsprozess vorgelegt wird, so dass der Verletzungskläger unabhängig vom Stand des Rechtsbestandsverfahrens von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen und sich mit ihrem UInhalt auseinandersetzen kann, verbietet sich eine Aussetzungsanordnung ohne Sachprüfung in aller Regel allein deshalb, weil sie ein Verletzer nicht verdient hat, der das Rechtsbestandsverfahren selbst schuldhaft derart zögerlich betreibt. Wenn die Nichtigkeitsklägerin schon über Monate hinweg der Zahlungsaufforderung nicht nachgekommen ist, besteht kein Grund für die Annahme, sie werde dem in nächster Zeit nachgekommen. Eine Aussetzung hätte deshalb zur Folge, dass die Durchsetzung des Klagepatents auf unabsehbare Zeit blockiert wäre, ohne dass im Rechtsbestandsverfahren irgendein Fortschritt erzielt würde. Die Konstellation ist im Ergebnis nicht anders zu behandeln, als wenn die Nichtigkeitsklage erst verspätet, z.B. kurz vor dem Verhandlungstermin, eingereicht worden wäre. Die zweite Nichtigkeitsklage vermag ebenfalls keine Aussetzung zu rechtfertigen, weil für sie wiederum nur Gerichtskosten nach dem unzureichenden Streitwert von 100.000,- € eingezahlt sind.
161Selbst wenn das Nichtigkeitsvorbringen inhaltlich geprüft wird (was an sich nicht geboten ist), besteht in Bezug auf den hier streitgegenständlichen Anspruch eine ausreichende Vernichtungswahrscheinlichkeit nicht (vgl. BGH, Az.: X ZR 61/13, Beschluss v. 16.09.2014). Vielmehr spricht bereits der Umstand, dass die sachkundige Einspruchsabteilung das Klagepatent im Einspruchsverfahren unter Beteiligung der Beklagten im streitgegenständlichen Umfang aufrechterhalten hat, dafür, dass Patentanspruch 1 rechtsbeständig ist. Aber auch unabhängig davon bietet die durch die Beklagte erhobene Nichtigkeitsklage für eine Aussetzung der Verhandlung keine Veranlassung. Zum einen wurde der Beklagten mit Verfügung vom 25. November 2015 aufgeben, die aus ihrer Sicht für das vorliegende Verfahren relevanten Anlagen zur Nichtigkeitsklage vorzulegen. Dem ist die Beklagte jedoch nicht nachgekommen, sondern hat mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2015 lediglich Unterlagen vorgelegt, deren Bezug zum Nichtigkeitsverfahren sich für den Senat nicht erschließt. Weder die Gebrauchsmusterschrift DE 20 2004 004 AAL U1 noch die Schienensysteme „M 1 und 2“ werden in der Nichtigkeitsklage angesprochen, wobei sich die vorgelegten Unterlagen auch offensichtlich nicht mit einem Anschlussstück, wie es durch das Klagepatent beansprucht wird, befassen. Letztlich kommt es auf die entsprechenden Unterlagen aber auch gar nicht an, weshalb es auch keines weiteren Hinweises des Senats bedurfte. Denn die Nichtigkeitsklage ist bereits aus sich heraus unschlüssig. Soweit sich die Beklagte dort auf die fehlende Neuheit beruft, hat sie zu keiner der in Bezug genommenen Entgegenhaltungen nachvollziehbar dargelegt, dass dort alle Merkmale des streitgegenständlichen Anspruchs offenbart wären. Unter dem Gesichtspunkt der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ist demgegenüber bereits nicht ersichtlich, welchen Anlass der Fachmann gehabt haben soll, die durch die Beklagte zur Begründung der fehlenden Schutzfähigkeit herangezogenen Schriften zu kombinieren.
162Soweit die B oHG Einwendungen Dritter erhoben hat, gilt für sie dasselbe; sie sind ohne Beitritt zum Nichtigkeitsverfahren prozessual unzulässig und deswegen unbeachtlich.
163IV.
164Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
165Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
166Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung, weil die in § 543 aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).
167X Y Z
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(1) Wer verpflichtet ist, über eine mit Einnahmen oder Ausgaben verbundene Verwaltung Rechenschaft abzulegen, hat dem Berechtigten eine die geordnete Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben enthaltende Rechnung mitzuteilen und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, Belege vorzulegen.
(2) Besteht Grund zu der Annahme, dass die in der Rechnung enthaltenen Angaben über die Einnahmen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht worden sind, so hat der Verpflichtete auf Verlangen zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er nach bestem Wissen die Einnahmen so vollständig angegeben habe, als er dazu imstande sei.
(3) In Angelegenheiten von geringer Bedeutung besteht eine Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht.
Das Patent hat die Wirkung, dass allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen. Jedem Dritten ist es verboten, ohne seine Zustimmung
- 1.
ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen; - 2.
ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden oder, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, daß die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten; - 3.
das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.