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Gestritten wird um die Frage, ob das Sozialgericht Stuttgart (SG) zu Recht nur die Hälfte der Kosten und Auslagen eines auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse übernommen hat.
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Im Hauptsacheverfahren war die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 streitig. Das Versorgungsamt S. (VA) hatte mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 bei der Klägerin wegen Hirndurchblutungsstörungen sowie psychovegetativer Störungen einen GdB von 20 festgestellt. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2003 zurückgewiesen. Mit der hiergegen beim SG erhobenen Klage (S 22 SB 3078/03) begehrte die Klägerin, die bei ihr vorliegenden Behinderungen mit einem GdB von wenigstens 50 zu bewerten. Im Rahmen der Sachaufklärung erhob das SG u. a. Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Dr. Sch. mit Zusatzgutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. N. und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch.. Zusammenfassend bestätigte Dr. Sch. den vom Beklagten festgestellten GdB von 20. Auf Antrag der Klägerin wurde gem. § 109 SGG Dr. M. mit der Erstellung eines internistisch-rheumatologischen Fachgutachtens beauftragt. Dr. M. beschrieb eine chronische Schmerzerkrankung, die einer klassischen, somatisch betonten, schweren bis mittelschweren Form einer Fibromyalgie entspreche. Für die chronische Schmerzerkrankung sei ein Einzel-GdB von 50 angemessen, unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Bluthochdrucks mit einem Einzel-GdB von 10 sei der Gesamt-GdB auch mit 50 einzuschätzen. Nachdem der Beklagte hiergegen Einwendungen erhoben hatte, forderte das SG Dr. M. mit Schreiben vom 4. Mai 2006 zu einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme auf, welche dieser unter dem 23. Mai 2006 erstattete. Mit Urteil vom 13. September 2006 änderte das SG die angefochtenen Bescheide ab und verurteilte den Beklagten, den GdB mit 40 festzustellen. Es schloss sich der Einschätzung von Dr. M. insoweit an, dass als führendes Erkrankungsbild eine somatoforme Schmerzstörung zu berücksichtigen sei. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) sei der GdB jedoch mit 40 zu bewerten. Der von Dr. M. vorgeschlagene GdB von 50 sei überhöht, da eine Gleichstellung mit einer schweren psychischen Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten trotz der bei der Klägerin bestehenden Einschränkungen nicht gerechtfertigt sei. Gegen das Urteil erhob die Klägerin beim Landessozialgericht Berufung (L 3 SB 5340/06). Im Berufungsverfahren wurde das nervenärztliche Gutachten von Prof. Dr. T. eingeholt, der die Einschätzung des SG bestätigte. Die Berufung wurde mit Urteil vom 16. Juli 2008 zurückgewiesen.
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Das SG übernahm mit Beschluss vom 28. Juli 2008 die Hälfte der Kosten für das Gutachten von Dr. M. vom 11. Januar 2006 sowie für dessen ergänzende Stellungnahme vom 23. Mai 2006 auf die Staatskasse. Es hielt eine Kostenteilung für gerechtfertigt, weil das Gutachten die Aufklärung des Sachverhalts nur teilweise objektiv gefördert habe und nur für den teilweisen Klageerfolg mitentscheidend gewesen sei.
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Hiergegen hat die Klägerin am 22. August 2008 beim SG Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, auch wenn das SG nur von einer Teilförderung ausgehe, hätte es die vollständige Übernahme der Kosten auf die Staatskasse beschließen müssen. Das Gesetz kenne keine Teilübernahme.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
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Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die volle Erstattung der ihr durch die Erstellung des Gutachtens von Dr. M. vom 11. Januar 2006 entstandenen Kosten und Auslagen durch die Staatskasse.
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Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG kann die von einem Versicherten beantragte gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Nach dem Gesetz liegt es somit im Ermessen des Gerichts, ob und in welchem Umfang es die Kosten dem Antragsteller endgültig auferlegt. Ein vom Sozialgericht ausgeübtes Ermessen ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens durch den Senat voll nachprüfbar, da die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in der Sache durch das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht übergeht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 109 Rn. 22).
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Bei dieser Ermessensentscheidung ist vornehmlich darauf abzustellen, ob das Gutachten die Sachaufklärung wesentlich gefördert hat (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 109 Rn. 16 a). Dabei kann nicht in jedem Gesichtspunkt ein Beitrag zur Sachaufklärung gesehen werden. Es muss sich vielmehr gemessen an dem Streitgegenstand, nicht aber am Prozesserfolg, um einen wesentlichen bzw. maßgeblichen Beitrag gehandelt haben (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. August 2000, L 8 SB 2009/00, zitiert nach Juris). Streitgegenstand in diesem Sinne war hier die Abklärung und Feststellung des zutreffenden GdB.
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Unter Anwendung dieser Maßstäbe sind die Kosten der Begutachtung durch Dr. M. in vollem Umfang auf die Staatskasse zu übernehmen. Die vom SG vorgenommene Kostenteilung ist nach Auffassung des Senats nicht gerechtfertigt. Ob - entgegen dem Vorbringen der Klägerin - eine solche Kostenteilung überhaupt möglich ist (so: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 109, Rn. 16 a), kann hier offen bleiben (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. August 2000, L 8 SB 2009/00, s.o.). Nicht ausreichend für eine Kostenteilung ist jedenfalls, dass das Unterliegen des Klägers im Hinblick auf den erhobenen Klageantrag messbar und aus-scheidbar ist. Eine Kostenteilung kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht, wenn ein zur Klärung des GdB eingeholtes Gutachten neue Erkenntnisse hervorbrachte, die zu einer wesentlichen Erhöhung des GdB führten. Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin im vorliegenden Hauptsacheverfahren wohl ein vornehmliches Interesse an der Feststellung der Schwerbehinderung (GdB 50) hatte, das nicht erfüllt wurde. Dennoch kann die vom SG erfolgte Verurteilung des Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 anstatt bisher 20, die auf das Gutachtens von Dr. M. gestützt war, nicht als unwesentliches Obsiegen angesehen werden. Vielmehr nahm das SG, indem es Dr. M. weitgehend, wenn auch nicht vollständig, folgte, eine grundlegende Neubewertung der bislang vom Beklagten wegen psychovegetativer Störungen auf dem psychiatrischen Fachgebiet berücksichtigten Funktionsbeeinträchtigungen - nun als Folgen einer chronischen Schmerzerkrankung/Fibromyalgie - vor. Im Übrigen mag aus dem rechtspolitischen Blickwinkel über den Sinn der Staffelung des Grads der Schwerbehinderung nach 10er Graden gestritten werden. Eine Diskussion hierüber ist jedoch hier nicht von Belang. Solange diese Staffelung gesetzlich vorgesehen ist, kann den Betroffenen nicht entgegen gehalten werden, sie hätten an der Feststellung eines GdB von weniger als 50 in Wahrheit gar kein Interesse. Zu Bedenken ist hier beispielsweise, dass die Klägerin mit dem Urteil des SG in die Lage versetzt wurde, im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 3 Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu beantragen. Soweit vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Beschluss vom 18. April 2005 (L 5 B 33/04 SB, zitiert nach Juris) ausgeführt wurde, bei nur teilweiser Förderung des Verfahrens durch ein Gutachten nach § 109 SGG sei nur eine teilweise Kostenerstattung angebracht, kann dem der Senat so - zumindest in dieser pauschalen Aussage - nicht folgen. Die Übernahme der Kosten darf vielmehr nicht stets davon abhängig gemacht werden, dass ein Gutachten nach § 109 SGG letztlich zum vollen Klageerfolg geführt hat. Dies ist nach der Kenntnis des Senats jedenfalls in Baden-Württemberg auch nicht die gängige Gerichtspraxis. Selbst in der vom LSG Niedersachsen-Bremen herangezogenen Kommentarliteratur wird schließlich ausgeführt, dass eine teilweise Kostenübernahme zwar möglich, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand in der Regel nicht sachgerecht sei (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 109, Rn. 16 a). Eine „wesentliche“ Förderung der Sachaufklärung, die bei der Entscheidung über die endgültige Kostentragung als entscheidendes Kriterium zu prüfen ist, ist mithin nicht mit dem vollen Erfolg der Klage gleichzusetzen.
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Unter Abwägung all dieser Gesichtspunkte erschien es daher dem Senat sachgerecht, die Kosten des Gutachtens von Dr. M. vom 11. Januar 2006 in vollem Umfang auf die Staatskasse zu übernehmen. Soweit das SG auch die Hälfte der Kosten der ergänzenden Stellungnahme Dr. M.s vom 23. Mai 2006 auf die Staatskasse übernommen hat, war der Beschluss der Klarheit halber aufzuheben. Die genannte Stellungnahme wurde von Amts wegen eingeholt, weshalb insoweit keine Entscheidung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG ergehen konnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Im Verfahren nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG hat das Beschwerdegericht eine eigenständige Kostenentscheidung zu treffen. Das Beschwerdeverfahren ist eine besondere Angelegenheit im Sinne des § 18 Nr. 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG ist eine besondere Rahmengebühr für das Beschwerdeverfahren vorgesehen (Nr. 3501 RVG VV ).
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Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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