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| Auf Antrag des Antragstellers hat das Amtsgericht Nürtingen mit Beschluss vom 15.02.2017 die Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams des Betroffenen bis längstens 15.02.2017, 15:00 Uhr angeordnet. |
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| In der Entscheidung, die ohne Anhörung des Betroffenen gegen 14:00 Uhr ergangen war, wird Bezug genommen auf einen Gewahrsamsbericht des EPHK S. vom Polizeirevier S-F., wonach der polizeibekannte Betroffene am 15.02.2017 gegen 13:50 Uhr nach Erwerb einer Eintrittskarte die Halle 5 des Stuttgarter Messegeländes betreten wollte, wo von 14:00 Uhr bis 14:45 Uhr eine Podiumsdiskussion mit Kultusministerin E. terminiert gewesen sei. Da der Betroffene, der als ehemaliger Grundschullehrer nach amtsärztlicher Untersuchung wegen Verhaltensauffälligkeiten mit Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.01.2009 in den Ruhestand versetzt worden sei, derartige Veranstaltungen in der Vergangenheit regelmäßig gestört habe, habe die Messegesellschaft von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht und ihm gegen Erstattung des Eintrittsgeldes die Anwesenheit untersagt. Trotz Kenntnis dieses Umstands habe der Betroffene nach Überziehen einer mitgeführten Burka versucht, das Messegelände zu betreten, sei hieran aber vom Sicherheitsdienst der Messe gehindert worden. Der Sicherheitsdienst habe sodann die Polizei verständigt, die nach Bekanntwerden des Sachverhalts fernmündlich bei dem Amtsgericht Nürtingen einen Antrag auf Anordnung des Polizeigewahrsams gestellt habe. Nachdem dem Betroffenen diese Entscheidung bekannt gemacht worden sei, habe er nach längerer Diskussion zugesichert, das Gelände zu verlassen und nach Hause zu fahren. Die Vollziehung des mit dem angegriffenen Beschluss angeordneten Gewahrsams sei daher nicht erforderlich gewesen. |
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| Mit Telefax vom 14.03.2017 hat der Betroffene gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürtingen vom 15.02.2017 Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht mit Beschluss vom 22.03.2017 nicht abgeholfen hat. |
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| Die Beschwerde des Betroffenen ist gemäß § 28 Abs. 4 Satz 7 PolG BW statthaft, im Übrigen rechtzeitig und formgerecht eingelegt und daher zulässig. |
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| Der Umstand, dass im Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde nach Ablauf der angeordneten Gewahrsamsfrist bereits die Erledigung der Hauptsache eingetreten war, steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Denn gemäß § 62 Absatz 1 FamFG ist nach Erledigung der Hauptsache die Beschwerde mit dem Feststellungsbegehren statthaft, dass die Entscheidung des Gerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung, welches gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG in der Regel bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen vorliegt, ist bei der Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben ungeachtet des Umstands, dass vorliegend der Gewahrsam gar nicht vollzogen worden war. Das Rechtsmittel des Betroffenen ist als Feststellungsbegehren im Sinne von § 62 Abs. 1 FamFG auszulegen. |
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| Die Beschwerde des Betroffenen ist auch begründet, denn die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. |
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| Dabei ist bereits zweifelhaft, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines Beseitigungsgewahrsams gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PolG BW vorlagen, denn der von dem Amtsgericht in Bezug genommene Gewahrsamsbericht vom 15.02.2017 lässt offen, ob nicht die Gefahr, welche das antragstellende Polizeipräsidium in der Absicht des Betroffenen, die Podiumsdiskussion mit der Kultusministerin zu stören, gesehen hatte, wirksam auf andere Weise verhindert werden konnte. Hierfür spricht bereits der Umstand, dass es eines Vollzugs des richterlich angeordneten Gewahrsams gar nicht bedurfte, nachdem die Polizeibeamten den Betroffenen nach längerer Diskussion dazu bewegen konnten, nach Hause zu fahren. Zudem geht aus dem Gewahrsamsbericht hervor, dass es dem Sicherheitsdienst der Messe gelungen war, den Versuch des Betroffenen, das Messegelände in Störungsabsicht zu betreten, zu unterbinden. |
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| Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts hat den Betroffenen aber jedenfalls deshalb in seinen Rechten verletzt, weil dem Betroffenen rechtliches Gehör nicht gewährt wurde. |
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| Gemäß § 37 Abs. 2 FamFG darf das Gericht eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte. § 34 FamFG schreibt vor, dass das Gericht einen Beteiligten persönlich anzuhören hat, wenn dies zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs des Beteiligten erforderlich ist oder wenn dies in diesem oder in einem anderen Gesetz vorgeschrieben ist. § 34 Abs. 2 2. Alt. FamFG lässt hiervon eine Ausnahme zu, wenn der Betroffene offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun. Auch § 28 Abs. 4 Satz 3 PolG BW gestattet eine richterliche Entscheidung ohne persönliche Anhörung der in Gewahrsam genommenen Person, wenn diese Person rauschbedingt außerstande ist, den Gegenstand der persönlichen Anhörung durch das Gericht ausreichend zu erfassen und in der Anhörung zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen beizutragen. |
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| Die Voraussetzungen dieser Ausnahmetatbestände waren vorliegend nicht gegeben, der Betroffene war anhörungsfähig und in der Lage, zum Gewahrsamsantrag des Antragstellers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Auf seine Anhörung konnte daher nicht verzichtet werden. |
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| Der von dem Amtsgericht in der Entscheidung für das Absehen von der Gewährung rechtlichen Gehörs herangezogene Umstand, dass die Störung unmittelbar bevorstand, rechtfertigte die gewählte Verfahrensweise nicht. |
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| Allerdings sollen nach § 28 Abs. 4 Satz 2 PolG BW die dort in Bezug genommenen Vorschriften des FamFG nur dann anwendbar sein, wenn "sich aus den Besonderheiten der richterlichen Entscheidung als einer Eilentscheidung" nichts anderes ergibt. Während der nach dem ausdrücklichen Willen des Landesgesetzgebers (Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 15/5443 vom 08.07.2014, Seite 13) gem. § 28 Abs. 4 Satz 2 PolG BW nicht in Bezug genommene Abschnitt 4 des 1. FamFG-Buches im Einzelnen regelt, unter welchen Voraussetzungen der Erlass einer Eilentscheidung in Gestalt einer einstweiligen Anordnung möglich ist, verzichtet der Landesgesetzgeber im Polizeigesetz darauf, die Eilentscheidung zu definieren bzw. ihre Voraussetzungen zu regeln. Da die Verfahrensgrundrechte desjenigen, dem die Freiheit entzogen werden soll, durch die Beschränkung seines rechtlichen Gehörs erheblich verkürzt werden, kann auf die Anwendung der §§ 37 und 34 FamFG allenfalls verzichtet werden, wenn ein dringendes Bedürfnis für eine sofortige richterliche Entscheidung besteht. |
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| Daran fehlt es vorliegend. Ein Bedürfnis für ein Tätigwerden des Gerichts ohne persönliche Anhörung des Betroffenen bestand nicht. Die angeblich von dem Betroffenen ausgehende, unmittelbar bevorstehende Gefahr, konnte wirksam bereits durch eine auf Grundlage des § 28 Abs. 1 PolG BW in polizeieigener Kompetenz erfolgte Anordnung des Gewahrsams beseitigt werden (Thewes, FGPrax 2014, 189 auf Grundlage des insoweit ähnlich geregelten Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen). Auch wenn gemäß § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG BW eine richterliche Entscheidung über den Gewahrsam unverzüglich herbeizuführen ist, rechtfertigt diese Bestimmung es nicht, zur (Über-)Beschleunigung dieser richterlichen Entscheidung auf die Anwendung von Verfahrensgrundrechten des Betroffenen zu verzichten. Der in Art. 104 GG verankerte Richtervorbehalt bezweckt, mit Freiheitsentziehung verbundene Maßnahmen von einer auf möglichst breiter Tatsachengrundlage zu treffenden, nicht nur den Vortrag des antragstellenden Beteiligten berücksichtigenden Entscheidung eines Richters abhängig zu machen. Nimmt man diese Verantwortung ernst, ist es auch in Eilfällen geboten, die gerichtliche Überprüfung nicht demselben Entscheidungsdruck zu unterwerfen, wie die behördliche Maßnahme, und dem Richter eine breitere Entscheidungsgrundlage zu vermitteln, als der in der Akutsituation handelnden Behörde; diese verbreiterte Entscheidungsgrundlage wird nur durch eine inhaltlich belast- und verwertbare Anhörung des Betroffenen gewährleistet (Thewes a.a.O.). |
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| § 28 Abs. 3 Satz 4 PolG BW trägt dem für die Durchführung eines ordnungsgemäßen gerichtlichen Verfahrens erforderlichen Zeitbedarf (zu diesem vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2011 - 1 S 2513/10 - wonach im Hinblick auf § 28 Abs. 3 Satz 4 PolG BW bei einer Gewahrsamsdauer von drei bis dreieinhalb Stunden die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung für nicht erforderlich gehalten wurde) Rechnung, indem er die Notwendigkeit einer richterlichen Entscheidung entfallen lässt, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes des Gewahrsams ergehen würde. Auch ohne Entscheidung des Amtsgerichts bleibt dem Betroffenen nach Vollziehung eines Polizeigewahrsams gemäß § 28 Abs. 1 PolG BW - ebenso wie bei anderen außerhalb des Richtervorbehalts durchgeführten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen - der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. |
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| Eine Eilentscheidung im Sinne des § 28 Abs. 4 Satz 2 PolG BW ist demnach erst dann zwingend erforderlich, wenn ohne die richterliche Entscheidung der Ablauf der in § 28 Abs. 3 Satz 2 PolG BW geregelten Höchstfrist droht, wenn also bis zum Ende des Tages nach der Ergreifung des Betroffenen seine gesetzeskonforme Anhörung nicht durchgeführt werden kann. |
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| Selbst wenn man - all dessen ungeachtet - vorliegend den Verzicht auf eine persönliche Anhörung des Betroffenen nach Maßgabe des § 34 FamFG für zulässig halten sollte, hätte das Amtsgericht gleichwohl nicht auf die Gewährung rechtlichen Gehörs unter Beachtung von § 37 Abs. 2 FamFG gänzlich verzichten dürfen. Eine solche wäre ohne Verzögerung durch zumindest telefonische Anhörung des Betroffenen möglich gewesen. |
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| Der Beschwerde war mithin durch Feststellung der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Beschlusses stattzugeben. |
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| Das gerichtliche Verfahren ist in beiden Instanzen gerichtsgebührenfrei (vgl. § 6a LJKG i.V.m. Nr. 8.1 und 8.2 des Gebührenverzeichnisses). Die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten ist nicht veranlasst. |
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