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Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
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Der im öffentlichen Dienst beschäftigte Kläger wendet sich mit seiner Klage nach Umstellung der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst von einem Gesamtversorgungssystem auf ein Punktesystem gegen die ihm von der beklagten Zusatzversorgungseinrichtung erteilte Startgutschrift für eine rentennahe Person und gegen eine darauf fußende Rentenberechnung, in zweiter Instanz nur noch unter dem Aspekt der behaupteten Schlechterstellung im Vergleich zu einer rentenfernen Person.
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Der Kläger ist am 28.01.1939 geboren. Der Kläger hat als Beschäftigter im öffentlichen seit 01.06.1973 (I AH 31) bis zum 31.12.2001 im Umfang von 343 Monaten Umlagezeiten bei der Beklagten zurückgelegt (AH 31). Seine Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung außerhalb des öffentlichen Dienstes - sogenannte Vordienstzeiten - belaufen sich auf 245 Monate (I AH 21).
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Der Kläger erhält von der BfA seit dem 01.06.2002 eine Altersrente für langjährig Versicherte in Höhe von 1.410,52/brutto (= EUR 1.303,32/netto) (I AH 103/101).
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Aufgrund der Mitteilung vom 05.12.2002 (AH 1) gewährt die Beklagte seit 01.06.2002 an den Kläger eine monatliche Betriebsrente in Höhe von zunächst EUR 299,80/brutto (I AH 5) bzw. EUR 273,41/netto (I AH 1).
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Die Beklagte hat im Rahmen dieser Rentenmitteilung vom 05.12.2002 die Rentenanwartschaft des Klägers zum 31.12.2001 auf EUR 296,44 errechnet und ihm dementsprechend eine Startgutschrift von 74,11 Punkten erteilt (I AH 7).
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Die Mitteilung über die Startgutschrift bzw. Rentenberechnung beruht auf der Neufassung der Satzung der Beklagten zum 01. Januar 2001 (im Folgenden: VBLS n.F.) und behandelt den Kläger als rentennahe Person. Die anzurechnende gesetzliche Rente wurde dabei auf der Basis der vom gesetzlichen Rentenversicherungsträger mitgeteilten Entgeltpunkte (I AH 45) zur Vollendung des 63. Lebensjahrs auf DM 2.736,27 (EUR 1.399,03; I AH 13) hochgerechnet. Der Rentenbescheid der BfA vom 26.04.2002 (I AH 101 ff.), dem diese Entgeltpunkte zu entnehmen waren (vgl. I AH 131), lag der Beklagten bei der Ermittlung der Startgutschrift vor. Bei der Errechnung der Startgutschrift wurde die Steuerklasse III/0 zugrunde gelegt (I AH 15).
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Die Beklagte hat auf Verlangen des Gerichts in erster Instanz mit Schriftsatz vom 04.07.2005 (I 99) Fiktivberechnungen vorgelegt, die den Vergleich mit den Beträgen ermöglichen, die sich bei Anwendung der bisherigen Satzung in der Fassung der 41. Änderung (im Folgenden VBLS a.F.) und bei Anwendung des Übergangsrechts für rentenferne Personen ergeben würden. Die Beklagte hat folgende Beträge errechnet (vgl. I AH 175 ff., 197 ff., 221 f., 225 ff. und 247 ff.):
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1. Erste Fiktivberechnung nach VBLS a.F. zum 31.12.2001: EUR 297,15 (I AH 189), wobei der Betrag nach § 40 Abs. 4 VBLS a.F. maßgeblich war;
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2. Zweite Fiktivberechnung nach VBLS a.F. zum 01.02.2004 (Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers): EUR 318,38 (I AH 219), wobei der Betrag nach § 40 Abs. 4 VBLS a.F. maßgeblich war;
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3. Dritte Fiktivberechnung nach VBLS n.F. auf der Basis der Startgutschrift für eine rentennahe Person (s. Mitteilung vom 05.12.2002) zum 01.02.2004 (Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers): EUR 314,20 (I AH 223).
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4. Vierte Fiktivberechnung nach VBLS a.F. zum 01.06.2002 (tatsächlicher Eintritt des Versicherungsfalls): EUR 307,77 (I AH 245), wobei der Betrag nach § 40 Abs. 4 VBLS a.F. maßgeblich;
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5. Fünfte Fiktivberechnung nach VBLS n.F. auf der Basis der Startgutschrift für eine rentenferne Person zum 01.06.2002 (tatsächlicher Eintritt des Versicherungsfalls): EUR 324,72 (I AH 247); aus der fünften Fiktivberechnung ergibt sich der Betrag nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F. zum 31.12.2001 (Startgutschrift für eine rentenferne Person zum Umstellungsstichtag): EUR 321,36 (I AH 253), wobei die anzurechnende gesetzliche Rente nach dem Näherungsverfahren auf DM 2.312,65 (= EUR 1.182,44; I AH 253) errechnet wurde.
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Bei den Fiktivberechnungen Nr. 2. und Nr. 3. zum 65. Lebensjahr sind die zum 31.12.2001 maßgebenden Berechnungswerte übernommen worden. Bei der zweiten Fiktivberechnung wurde die Zeit vom 01.01.2002 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres der gesamtversorgungsfähigen Zeit als weitere Umlagemonate und Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde gelegt. Bei der Errechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wurde unterstellt, dass eine gleiche Zahl von Entgeltpunkten wie im Jahre 2001 in den Folgejahren bis zur Vollendung des 65.Lebensjahres erzielt werden würde.
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Bei der dritten Fiktivberechnung wurde auf der Grundlage der Startgutschrift für Rentennahe das zusatzversorgungspflichtige Entgelt aus dem Jahre 2002 für die Folgejahre bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zugrunde gelegt. Ebenso wie bei der zweiten Fiktivberechnung wurde eine Dynamisierung des Entgelts nicht vorgenommen. Bonuspunkte sind nicht berücksichtigt worden. Bei den übrigen Fiktivberechnungen wurde, soweit in ihnen prognostische Elemente enthalten sind, entsprechend vorgegangen.
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Der Kläger hat im ersten Rechtszug insbesondere geltend gemacht:
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Bei der Errechnung der Startgutschrift sei kein tatsächlicher Transfer der bisher erworbenen Anwartschaften erfolgt. Es bestehe auch kein Anlass dazu, die rentennahen Jahrgänge gegenüber den rentenfernen Jahrgängen zu benachteiligen. Erst recht gäbe es keinen sachlich einleuchtenden Grund dafür weshalb der Personenkreis, der eine Rentenauskunft des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers nicht an die Beklagte übersendet, besser gestellt werde als der Personenkreis, der der entsprechenden Aufforderung bis dem in § 79 Abs. 4 Satz 3 VBLS n.F. genannten Stichtag nachgekommen sei.
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Der Kläger hat in erster Instanz beantragt (vgl. I 81-83/ I 169):
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1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte die Berechnung der Rente des Klägers nach den Grundsätzen des alten Rechts, den Grundsätzen der Gesamtversorgungsrente für Angestellte im öffentlichen Dienst vorzunehmen hat.
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Ferner stellte die Klägerin folgende Hilfsanträge:
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2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bei Eintritt des Versicherungsfalles mindestens eine Betriebsrente zu gewähren, die dem geringeren Betrag der Berechnung der Zusatzrente nach ihrer Satzung in der Fassung der 41. Änderung zu folgenden Zeitpunkten entspricht:
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b) Eintritt des Versicherungsfalles.
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3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger mindestens eine Betriebsrente zu gewähren, wie sie ihm bei Berechnung der zugrunde liegenden Startgutschrift nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F. zustünde.
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Die Klage wurde in erster Instanz zunächst vor dem Landgericht Karlsruhe erhoben; durch dieses wurde der Rechtsstreit gemäß § 281 ZPO an das Amtsgericht Karlsruhe verwiesen. Das Amtsgericht hat die Klage entsprechend dem Antrag der Beklagten abgewiesen. Es hat in seinen Entscheidungsgründen insbesondere ausgeführt, die Voraussetzungen des § 79 Abs. 1 VBLS n.F. lägen nicht vor. Die Vorschriften für Rentennahe gewährten einen ausreichenden Bestandschutz und seien in ihren Unterschiedlichkeit zu den Regeln für Rentenferne gerechtfertigt, da Rentenferne bereits aufgrund ihres Alters in der Regel keine Anwartschaften in der Konstellation eines rentennahen Pflichtversicherten erwerben könnten. § 79 Abs. 4 S. 3 VBLS n.F. enthalte keine Meistbegünstigungsklausel.
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Der Klägerin wiederholt und vertieft seinen Vortrag aus erster Instanz.
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Mit der Berufung beantragt der Kläger:
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Unter Abänderung des am 18.10.2005 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Karlsruhe, Az. 2 C 382/05, wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger mindestens eine Betriebsrente zu gewähren, wie sie ihm bei Berechnung der zugrunde liegenden Startgutschrift nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F. zustünde.
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Die Berufungsbeklagte verteidigt das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung insbesondere mit folgenden Argumenten:
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Der klagenden Partei sei von vornherein verwehrt, sich gewissermaßen aus jedem System die günstigeren Varianten herauszusuchen („Rosinentheorie“). Es bestehe daher kein Anspruch darauf, dass bei Eintritt des Versicherungsfalles auf der Grundlage einer Startgutschrift nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F. höhere Leistungen gezahlt werden, als nach dem bisher geltenden Recht. Dass die Startgutschrift für rentenferne Jahrgänge im vorliegenden Fall höher wäre als die Startgutschrift für rentennahe Jahrgänge, beruhe im Wesentlichen darauf, das die anzurechnende Näherungsrenten, die bekanntlich aus 45 Versicherungsjahren als Regelaltersrente zum 65. Lebensjahr pauschal ermittelt werde, wesentlich von der tatsächlich erreichbaren Regelaltersrente zum 65. Lebensjahr abweiche. In bestimmten Fallkonstellationen könne die zeitratierliche Berechnung nach § 18 Abs. 2 BetrAVG günstiger sein, als die Berechnung der rentennahen Startgutschrift nach § 79 Abs. 2 VBLS n.F., die sich am bisherigen Gesamtversorgungssystem orientiere und individuelle Werte (z.B. zurückgelegte Umlagemonate, Zeiten und Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung) zugrunde lege. Typische Merkmale dieser Fälle seien ein langes Pflichtversicherungsverhältnis, das sich mit dem Versicherungsverhältnis in der gesetzlichen Rentenversicherung decke, ein gesamtversorgungsfähiges Entgelt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze oder eine Teilzeitbeschäftigung in den letzten Jahren vor dem Stichtag nach langer Vollzeitbeschäftigung. In derartigen Fällen sei die nach § 18 BetrAVG anzurechnende Näherungsrente in aller Regel niedriger, als die in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 65. Klebensjahr erreichbare Anwartschaft.
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Als Mindestbetrag sei die Startgutschrift nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F. nicht zu sehen. Deshalb sei in der Satzung für rentennahe Jahrgänge eine Vergleichsberechnung nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F: nicht vorgesehen. Lediglich in den Fällen, in denen rentenferne Versicherte die Voraussetzungen des § 79 Abs. 3a VBLS n.F. erfüllten, bleibe die nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F. ursprünglich ermittelte Leistung erhalten, wenn die Berechnung nach § 79 Abs. 2 VBLS n.F. keinen zusätzlichen Betrag ergäbe.
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Nach der Konzeption der neuen Satzung sollten die rentennahen Jahrgänge gegenüber den rentenfernen Jahrgängen besser gestellt werden. Diejenigen, die sich weigern, eine Rentenauskunft der gesetzlichen Rentenversicherung vorzulegen, sollten schlechter gestellt werden, gegenüber denjenigen, die ihrer entsprechenden Obliegenheit nachkommen. Der Regelung in § 79 Abs. 4 Satz 3 VBLS n.F. sollte eine Art Druckfunktion mit Strafcharakter zukommen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
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Die zulässige Berufung der Klägers ist begründet. Denn die zulässige Klage ist mit dem in der Berufungsinstanz gestellten Antrag begründet.
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Das Amtsgericht geht rechtsfehlerhaft davon aus, dass die Berechnung der Startgutschrift des Klägers nicht nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F. zu erfolgen hat.
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Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist es der Beklagten verwehrt, den Kläger schlechter als eine rentenferne Person zu behandeln. Ab Eintritt des Versicherungsfalls, also ab 01.06.2002, ist dem Kläger mindestens eine Betriebsrente auf der Basis einer Startgutschrift nach § 79 Abs. 1 VBLS n.F. zu gewähren (vgl. folgende Verfahren der Kammer: Az. 6 O 4/04, Urt. V. 14.01.2005; Az. 6 O 255/04, Urt. V. 13.01.2006).
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1. Aus den vorgelegten Fiktivberechnungen ergibt sich, dass die tatsächlich erteilte Startgutschrift für rentennahe Jahrgänge niedriger ausfällt als die fiktiv berechnete Startgutschrift für rentenferne Jahrgänge.
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a) Aus der vorgelegten Fiktivberechnungen Nr. 5 ergibt sich für den Kläger des vorliegenden Rechtsstreits, dass bei Anwendung der Übergangsvorschrift des § 79 Abs. 1 VBLS n.F. zum 31.12.2001 von einer Betriebsrente in Höhe von EUR 321,36 ( I AH 253) hätte ausgegangen werden müssen, während sich auf der Grundlage der Startgutschrift für Rentennahe nur ein Anspruch auf eine Betriebsrente von EUR 296,44 (I AH 7) ergab. Rechnerisch ist der Anspruch als Rentennaher um EUR 24,92 oder um 8 % geringer als der Anspruch als Rentenferner.
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Der nämliche absolute Abstand zwischen den Ergebnissen der beiden in § 79 VBLS n.F. geregelten grundlegenden Berechnungsmethoden für die Übertragung von Rentenanwartschaften ist auch noch zum Eintritt des tatsächlichen Versicherungsfalls gegeben:
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Zum 01.06.2002 war der rechnerische Anspruch des Klägers bei Anwendung der Übergangsvorschriften für Rentennahe mit EUR 299,80 (I AH 5/25) rund 8 % (EUR 24,92) geringer als bei Anwendung des Übergangsrechts für Rentenferne mit ca. EUR 324,72 (s. 5. Fiktivberechnung; I AH 247).
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b) Der Kammer ist bereits in Verfahren wegen Startgutschriften für rentenferne Personen mehrmals aufgefallen, dass sich aus den dort vorgelegten Fiktivberechnungen ergibt, dass die Startgutschriften für rentennahe Personen bei sonst gleichen Versicherungsdaten deutlich geringer sein können als die Startgutschriften für rentenferne Personen. Im Einzelnen seien beispielhaft folgende Verfahren genannt, wobei in Klammern jeweils der Differenzbetrag zwischen der Startgutschrift für rentenferne Personen und der Startgutschrift für rentennahe Personen in Prozentpunkten angegeben wird:
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6 O 608/03 (20 %), 6 O 354/03 (15 %), 6 O 118/04 (17 %), 6 O 628/03 (1 %), 6 O 584/03 (14 %), 6 O 702/03 (8 %), 6 O 498/03 (10 %).
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Es wird daher deutlich, dass die Schlechterbehandlung der rentennahen Personen im Vergleich zu den rentenfernen Personen keineswegs ein singuläres Problem des vorliegenden Falls ist. Die Kammer hält es für wahrscheinlich, dass es in einer größeren Anzahl von Fällen zu einer Schlechterstellung der rentennahen Personen gegenüber rentenfernen Personen kommt.
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2. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich warum der Kläger, der zum Umstellungsstichtag mit 49 Sozialrentenversicherungsjahren (= 588 Monate; vgl. I AH 21) und mit mehr als 28 Zusatzversorgungsversicherungsjahren eine außergewöhnlich lange Erwerbsbiographie aufweist, schlechter gestellt werden soll, als eine rentenferne Person.
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Die Schlechterstellung des rentennahen Klägers im Vergleich zu einer rentenfernen Person mit ansonsten gleichem Versicherungsverlauf passt auch nicht mit dem Grundgedanken des Überleitungsrechts zusammen, wonach den rentennahen Jahrgängen im Vergleich zu den rentenfernen Jahrgängen ein weitergehender Bestandsschutz gewährt werden sollte. Bereits der Altersvorsorgeplan sprach nämlich hinsichtlich der rentennahen Jahrgänge unter der Textziffer 3.4.2 von einer „Besitzstandsregelung“. Entsprechendes lässt sich im Altersvorsorgeplan für rentenferne Jahrgänge nicht finden.
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Die Kammer geht davon aus, dass die Tarifvertragsparteien bei der Systemänderung für unterschiedliche Gruppen unterschiedlich günstige Regelungen treffen wollten. Besonders günstig sollten diejenigen gestellt werden, die bereits rentenberechtigt waren; einen sehr hohen Schutz des Besitzstandes sollten diejenigen erfahren, die zu den rentennahen Jahrgängen zu zählen sind; der geringste Schutz des Besitzstandes sollte bei den rentenfernen Versicherten erfolgen. Im Sinne dieser Zielsetzung ist die Neufassung der Satzung der Beklagten auszulegen.
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Die Kammer hat daher bei anderer Gelegenheit bereits ausgesprochen, dass es der Beklagten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt ist,
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- einen rentennahen Versicherten schlechter als eine rentenferne Person (vgl. Verfahren 6 O 4/04 (Urt. V. 14.01.2005) und 6 O 255/04 (Urt. V. 13.01.2006)
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- bzw. einen Bestandsrentner schlechter als eine rentennahe Person (Az. 6 O 180/05, Urt. V. 13.01.2006)
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- bzw. einen rentennahen Versicherten mit Altersteilzeit (§ 79 Abs. 3 VBLS n.F.) schlechter als einen sonstigen rentennahen Versicherten (Az. 6 O 228/04, Urt. V. 10.03.2006)
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3. Angesichts der jeweils multi-faktoriellen Berechnungsweise der beiden Startgutschrift-Arten ist absehbar, dass ein Bündel von Gründen im Einzelfall dazu beitragen kann, dass die Startgutschrift für einen Rentenfernen höher ausfällt als die für einen Rentennahen mit ansonsten gleicher Erwerbsbiographie.
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Ein wesentlicher und deshalb näher darzustellender Grund hierfür liegt darin, dass das Näherungsverfahren zur Berechnung der zu erwartenden gesetzlichen Rente für den Kläger des vorliegenden Verfahrens günstiger ist als die Hochrechnung zum 63. oder 65. Lebensjahr auf der Basis der individuellen Entgeltpunkte. Die Beklagte hat kein Wahlrecht zugunsten der für sie besseren Berechnungsmethode.
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a) Der direkte Vergleich verdeutlicht die unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Methoden zur Ermittlung der zu erwartenden gesetzlichen Rente:
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Die gesetzliche Rente nach dem Näherungsverfahren beträgt laut 5. Fiktivberechnung DM 2.312,65 (= EUR 1.182,44; I AH 253), während die nach dem individuellen Verfahren zum 63. Lebensjahr hochgerechnete gesetzliche Rente DM 2.736,27 (EUR 1.399,03; I AH 13) beträgt.
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b) Ein gesetzlicher Anhaltspunkt für das Verhältnis des Näherungsverfahrens zur individuellen Berechnung der zu erwartenden gesetzlichen Rente ergibt sich aus § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG. Die dortige für die die Privatwirtschaft geltende Regelung sieht vor, dass der Arbeitgeber, der eine Gesamtversorgungszusage erteilt hat, die gesetzliche Rente nach dem Näherungsverfahren zugrunde legen kann, wenn nicht der Arbeitnehmer die Anzahl der Entgeltpunkte nachweist.
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Diese gesetzliche Vorschrift hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 09.12.1997, 3 AZR 695/96, BAGE 87, 250-256) dahingehend ausgelegt, dass dem Arbeitgeber zwischen den beiden Berechnungsmethoden ein Wahlrecht zukomme und dass keine der Vertragsparteien des Arbeitsverhältnisses das Nährungsverfahren gegen den Willen des jeweils anderen Vertragspartners durchsetzen könne. Jede Partei, auch der Arbeitgeber, könne auf einer individuellen Berechnung der Anwartschaft bestehen. In dieser Entscheidung betont das Bundesarbeitsgericht aber auch, dass vor allem der Wortlaut (insbesondere die Verwendung des Wortes „kann“ im Gesetzestext) für ein solches Wahlrecht des Arbeitgebers spreche. In der genannten Entscheidung des BAG ist unter III.1.b. aber auch klargestellt, dass sich aus der der Altersversorgung zugrunde liegenden Versorgungszusage auch ergeben kann, dass ausschließlich das Näherungsverfahren Anwendung findet.
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Dass die vom BAG zu § 2 Abs. 5 S. 2 Hs. 1 BetrAVG getätigten Ausführungen nicht auf alle Gesamtversorgungssysteme zu übertragen sind, ergibt sich aber auch schon aus der Gesetzessystematik: Bei Pensionskassen mit Gesamtversorgungssystem im Bereich der Privatwirtschaft wird gemäß § 2 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 BetrAVG die zu erwartende gesetzliche Rente weder nach dem Näherungsverfahren noch nach der individuellen Berechnungsmethode errechnet. Vielmehr erfolgt bei solchen Pensionskassen der Privatwirtschaft eine Hochrechnung nach dem Geschäftsplan bzw. den Geschäftsunterlagen. Dann hat weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber ein Anspruch auf eine individuelle Berechnung. Die Berechnung nach dem Geschäftsplan bzw. den Geschäftsunterlagen gleicht im Ergebnis dem Näherungsverfahren eher als die individuelle Berechnung (vgl. Blomeyer/Otto, a.a.O., § 2, Rnr. 449). Bei der Beklagten handelt es sich übrigens um eine Pensionskasse (allerdings für den Bereich des öffentlichen Dienstes, weshalb § 2 Abs. 5 S. 2 Hs. 2 BetrAVG keine Anwendung findet; vgl. Blomeyer/Otto, BetrAVG, 3.Auflage, 2004, § 18 Rnr. 10).
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c) Relevant für das Verhältnis des Näherungsverfahrens und der individuellen Berechnungsmethode sind vielmehr die Satzungsbestimmungen und das höherrangige Recht:
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Nach der Bestimmung des § 79 Abs. 4 Satz 1 VBLS n.F. ist im Rahmen des Übergangsrechts für rentennahe Personen grundsätzlich die individuelle Berechnung maßgebend. § 79 Abs. 4 Satz 2 VBLS n.F. schafft für den Pflichtversicherten zumindest die Obliegenheit, bis zum 30.09.2002 eine Rentenauskunft der gesetzlichen Rentenversicherung an die Beklagte zu übersenden. Als Sanktionsnorm im Falle der Verletzung dieser Obliegenheit bestimmt § 79 Abs. 4 Satz 3 VBLS n.F., dass dann die Startgutschrift nach § 79 Abs.1 VBLS n.F. berechnet „wird“ (und gerade nicht: „werden kann“). Abgesehen von der Fristverlängerungsmöglichkeit des § 79 Abs. 4 Satz 4 VBLS n.F. ist diese Übergangsvorschrift so zu verstehen, dass bei unterlassener Vorlage einer Rentenauskunft nicht nur das Näherungsverfahren im Rahmen der Übergangsvorschriften für rentennahe Personen, sondern komplett die Übergangsvorschriften für rentenferne Personen Anwendung finden. Gemäß § 79 Abs. 1 VBLS n.F. in Verbindung mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 f BetrAVG findet im Rahmen der Übergangsvorschriften für rentenferne Personen ausschließlich das Näherungsverfahren Anwendung.
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Die Kammer versteht § 79 Abs. 4 Satz 3 VBLS n.F. so, dass der Beklagten keineswegs ein Wahlrecht im Falle der Obliegenheitsverletzung zukommt, sondern dass dann zwingend die Vorschriften für rentenferne Personen Anwendung finden. Eine andere Interpretationsmöglichkeit hat auch nicht die Beklagte geltend gemacht. Eine Geschäftspraxis der Beklagten dahingehend, dass sie im Falle von § 79 Abs. 4 Satz 3 VBLS eine Vergleichsberechnung mit der Frage anstellt, ob ggf. die Startgutschrift für rentenferne Personen höher ist als die Startgutschrift für rentennahe Personen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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d) Die wortlautgetreue Anwendung des § 79 Abs. 4 VBLS n.F. würde im konkreten Einzelfall zu einer mit den Verfassungsgrundsätzen des Artikel 3 Grundgesetz nicht mehr zu vereinbarenden Schlechterbehandlung des Klägers gegenüber vergleichbaren Versicherten führen. Dass Versicherte nach dem Wortlaut der Übergangsvorschriften, weil sie ihrer Obliegenheit zur Vorlage einer Rentenauskunft nachgekommen ist, schlechter gestellt werden sollen als Personen, die diese Obliegenheit verletzt haben und bei denen die Beklagte keinen „Günstigkeitsvergleich“ zwischen den beiden Methoden durchführt, wäre mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot nicht zu vereinbaren.
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Dass beim Kläger des vorliegenden Verfahrens gemäß § 79 Abs. 4 S. 5 VBLS n.F. nicht die Rentenauskunft, sondern der bereits vorliegende Rentenbescheid maßgeblich war, ändert an der angestellten Betrachtung nichts.
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4. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Artikel 3 Grundgesetz ist der Kläger des vorliegenden Verfahrens nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) so zu behandeln, als ob ihm eine Startgutschrift für rentenferne Personen gemäß § 79 Abs. 1 VBLS n.F. erteilt worden wäre. Die von der Beklagten thematisierte „Rosinentheorie“ steht ein solcher Rechtsprechung nicht entgegen.
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Zutreffend ist zwar, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, die Versicherten durch das Übergangsrecht besser zu stellen als nach altem Recht (vgl. Kammerurteil vom 05.11.2004, 6 O 354/03, sub II.1.f.; Kammerurteil vom 18.06.2004, 6 O 964/03, sub. III.5; BGH, Urteil vom 16.03.1988, Iva ZR 154/87, BGHZ 103, 370 ff., sub. I.2c).
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Bei Eintritt des Versicherungsfalles am 01.06.2002 wäre der Kläger gemäß der 5. Fiktivberechnung (I AH. 247) mit EUR 324,72 um EUR 16,95 (entspricht 6 %) besser gestellt als nach altem Recht mit EUR 307,77 (vgl. vierte Fiktivberechnung, I AH 245).
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Es mag daher sein, dass zu einem bestimmten Betrachtungszeitpunkt im vorliegenden Fall die Anwendung der Vorschriften für rentenferne Personen den Kläger besser stellt als die Anwendung des alten Satzungsrechts. Dies ist jedoch keine Besonderheit des vorliegenden Falles, sondern ein Phänomen, das auch im Rahmen anderer Verfahren ausweislich der dort vorgelegten Fiktivberechnungen bereits aufgetreten ist.
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Es ist jedoch nicht Aufgabe des Gerichts, sondern allenfalls Aufgabe des Satzungsgebers, eine Regelung zu finden, die es ausschließt, dass ein Rentenberechtigter durch das neue Recht besser gestellt wird als durch das alte Recht (Kammerurteil vom 18.06.2004, 6 O 964/03, sub. III.5).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 281 Abs. 3 und § 97 ZPO. Soweit in zweiter Instanz die Anträge zum Anwartschaftsbestandschutz nicht weiter verfolgt wurden, ergab sich wegen der geringen wirtschaftlichen Bedeutung dieses Antrags im konkreten Fall (vgl. 1. und 4. Fiktivberechnung) kein Grund für ein Abweichen von der gefundenen Kostenentscheidung.
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Der Rechtsstreit zum hierarchischen Verhältnis der Versichertengruppen, zwischen denen das Übergangsrecht der neuen Satzung der Beklagten unterscheidet, wirft eine entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage ist auch noch höchstrichterlich klärungsbedürftig. Die Revision wird daher gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen.
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