Landgericht Halle Beschluss, 16. März 2010 - 11 O 74/07

ECLI:ECLI:DE:LGHALLE:2010:0316.11O74.07.0A
bei uns veröffentlicht am16.03.2010

Tenor

Der Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen die im erstinstanzlichen Urteil vorgenommene Festsetzung des Gegenstandswertes für den Rechtsstreit wird nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerde ist als solche in eigenem Namen nach § 32 Absatz 2 RVG statthaft. Insbesondere hat - im Gegensatz zu dem Kläger selbst - sein Prozessbevollmächtigter ein Interesse an der Heraufsetzung des Gegenstandswertes des Verfahrens, da dieser Gegenstandswert, der zunächst nur für die Gerichtskosten bestimmt wird, nach § 32 Absatz 1 RVG auch seinen eigenen Gebührenansprüchen zu Grunde zu legen ist und seine Anhebung auch zu einer höheren eigenen Vergütung führt.

II.

2

Die Kammer geht auch nach erneuter Prüfung davon aus, dass sich der Gegenstandswert für das erstinstanzliche Verfahren auch nach Anfechtung des Vergleiches auf 25.000 Euro belief.

3

Dabei ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zuzugeben, dass deutlich umstritten ist, ob in dem Verfahren nach Protokollierung eines Vergleiches und Angriffen gegen dessen Wirksamkeit sich der Streitwert weiterhin ausschließlich an den Anträgen vor Vergleichsschluss orientiert oder der Streitwert modifiziert wird durch das wirtschaftliche Interesse, welches der Anfechtende an innerhalb des Vergleichs vereinbarten Leistungspflichten haben mag.

4

Für den Fall, dass der Vergleich über die mit der Klage geltend gemachten prozessualen Ansprüche hinausgehende Leistungspflichten beinhaltet, nimmt eine starke Meinung in Literatur und Rechtsprechung an, dass für das Verfahren nach Anfechtung des Vergleiches bei der Bestimmung des Streitwertes auch der Wert dieser Interessen zu berücksichtigen sei (OLG Hamm, Beschluss vom 14. Dezember 1979, 23 W 578/79, Rn. 12, wie auch in nachfolgend mit Rn. aufgeführten Entscheidungen zitiert nach Juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 26. Mai 1998, 3 U 149/97, Rn. 2; OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. September 2003, 24 U 221/01, Rn. 2; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rn. 5737; Wöstmann, in: MünchKomm-ZPO, 3. Aufl., § 3 Rn. 127).

5

Dem gegenüber wird in der Literatur und Rechtsprechung auch vertreten, auch in dem weiteren Verfahren nach Anfechtung eines Vergleiches bemesse sich der Streitwert an dem Wert des ursprünglichen Klagantrages, auch wenn in dem Vergleich zusätzliche Gegenstände geregelt sind (BGH, KostRspr. ZPO § 3 Nr. 119; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juli 2000, 7 Ta 211/00, Rn. 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 67. Aufl., Anh. § 3 Rn. 128; Kayser, in: Hk-ZPO, § 3 Stichwort „Vergleich“; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 3 Rn. 157; Gehle, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 3 Rn. 234).

6

Die Kammer folgt der zuletzt bezeichneten Auffassung.

7

Dabei verkennt sie nicht, dass das Motiv und wirtschaftliche Interesse dessen, der die Wirksamkeit eines Vergleiches angreift, in dem er zusätzliche Leistungspflichten übernommen hätte, häufig gerade in der Vermeidung dieser zusätzlicher Leistungspflichten liegen mag. Diese zusätzlichen Leistungspflichten mögen gerade dann, wenn womöglich in den Vergleich Beziehungen hineingenommen wurden, die gar nicht Gegenstand des Rechtsstreites - gegebenenfalls sogar Gegenstand ganz anderer Rechtsstreite - waren, für denjenigen, der die Unwirksamkeit des Vergleiches geltend macht, sogar bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise im Vordergrund seiner Überlegungen stehen. Dennoch kommt es in der Folge eines Vergleichsschlusses, dessen Wirksamkeit angegriffen wird, nicht zu einer Klageänderung dergestalt, dass die bisherigen Anträge etwa auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleiches umgestellt würden. Vielmehr werden die bisherigen Anträge weiter verfolgt (vgl. nur Wolfsteiner, in: MünchKomm-ZPO, 3. Aufl., § 794 Rn. 77; Münzberg, in: Stein-Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 794 Rn. 47). Das Geltendmachen der Unwirksamkeit des Vergleiches wird damit sogar vor allem für denjenigen, der sich auf die Annahme dieser Unwirksamkeit stützt, prozessrechtlich lediglich zur Vorfrage des eigentlichen Antrages. Zwar haben es die Parteien in der Hand, diese Frage nach allgemeinen Regeln über einen Zwischenfeststellungsantrag gemäß § 256 Absatz 2 ZPO verbindlich feststellen zu lassen (Wolfsteiner, in: MünchKomm-ZPO, 3. Aufl., § 794 Rn. 77; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Januar 1974, III ZR 2/72, Rn. 16). Ist dies aber nicht der Fall - und werden nach Anfechtung des Vergleiches auch sonst keine zusätzlichen Klag- oder Widerklaganträge gestellt - verbleibt es damit nach der Einordnung der Kammer dabei, dass der Streitwert auch nach Anfechtung des Vergleiches sich nach den ursprünglichen Klaganträgen bemisst. Die Situation unterscheidet sich nicht von jener ohnehin häufig anzutreffenden Konstellation, dass im Rahmen eines Prozesses Vorfragen zu beantworten sind, die auch für andere als die rechtshängig gemachten Ansprüche von Bedeutung sind, ohne dass dies - solange nicht Zwischenfeststellung nach § 256 Absatz 2 ZPO beantragt wird - auf die Höhe des Streitwertes auswirkt.

8

Würde man anderes annehmen, würde dies auch deshalb zu nicht sinnvollen Ergebnissen führen, weil die Unwirksamkeit eines Vergleiches, der zugleich mehrere Rechtsstreite erledigen soll, in allen diesen Rechtsstreiten angegriffen werden kann. Würde dann - in der Konsequenz der Auffassung, welcher die Kammer nicht folgt - der Streitwert jedes dieser Verfahren sich daran orientieren, welche Leistungen nach dem Vergleich geschuldet sind, würde die Summe Streitwerte ein Vielfaches der nach dem Vergleich insgesamt geschuldeten Leistungen erreichen (BGH, KostRspr. ZPO § 3 Nr. 119).

9

Soweit das Oberlandesgericht Hamm in der bereits zitierten Entscheidung vom 14. Dezember 1979 abweichend von der oben dargelegten Einordnung der Kammer davon ausgeht, die Wirksamkeit des Vergleiches werde von demjenigen, welcher ihn anficht, nicht lediglich als eine für die Fortsetzung des Rechtsstreits zu klärende Vorfrage, sondern unmittelbar zur Entscheidung gestellt (OLG Hamm, Beschluss vom 14. Dezember 1979, 23 W 578/79, Rn. 12), zitierte es hierzu mehrere höchstrichterliche Entscheidungen. Diese tragen indes nach der Bewertung der Kammer nicht die vom Oberlandesgericht Hamm vertretene Meinung:

10

In der ersten dieser Entscheidungen bejahte der Bundesgerichtshof ein Feststellungsinteresse für die Feststellung der Wirksamkeit eines Antrages auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Prozessvergleiches innerhalb des Verfahrens, in welchem der Vergleich geschlossen wurde (BGH, Urteil vom 10. Januar 1974, III ZR 2/72, Rn. 15 ff.). Dies bedeutet indes nicht, dass ein solcher Feststellungsantrag prozessual immer als gestellt gilt. Im Gegenteil bezeichnete der Bundesgerichtshof den in dem Verfahren, das er zu entscheiden hatte, gestellten Feststellungsantrag als Zwischenfeststellungsantrag, also als solchen nach § 256 Absatz 2 ZPO, der immer zusätzlich gestellt sein muss.

11

In der zweiten zitierten Entscheidung verneinte der Bundesgerichtshof für den Regelfall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckungsgegenklage gegen einen als unwirksam erachteten Vergleich mit der Begründung, dass es ihrer nicht wegen der Möglichkeit der Feststellung der Unwirksamkeit innerhalb des Verfahrens bedürfe (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1970, VIII ZR 85/69, Rn. 13). des diesen wurde indes jeweils nur entschieden, dass es an einem Feststellungsbedürfnis für einen separaten Prozess über die Wirksamkeit eines Vergleiches fehle. Dies setzt indes nur die Möglichkeit einer die Unwirksamkeit feststellenden Entscheidung voraus, und hierfür genügt wiederum die Zulässigkeit des Zwischenfeststellungsantrages.

12

Da keine zusätzlichen Zwischenfeststellungsanträge zur Wirksamkeit der im Vergleich enthaltenen materiellen Regelungen gestellt wurden, war der Gegenstandswert für die Gerichtskosten des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens nach dem ursprünglichen Klagantrag zu bemessen.

13

Da Gebühren für den Vergleich nur hinsichtlich der Vergütung der Rechtsanwälte, nicht aber die Gerichtsgebühren anfallen, und von Amts wegen nur über den Gegenstandswert für die Gerichtsgebühren zu befinden ist, war über einen abweichenden Gegenstandswert für den Vergleich nicht zu befinden.


Urteilsbesprechung zu Landgericht Halle Beschluss, 16. März 2010 - 11 O 74/07

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Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 256 Feststellungsklage


(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverh

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 32 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gerichtlich festgesetzt, ist die Festsetzung auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend. (2) Der Rechtsanwalt kann aus eigenem Recht die Festsetzung des Werts beantragen und Rechtsmitte
Landgericht Halle Beschluss, 16. März 2010 - 11 O 74/07 zitiert 5 §§.

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(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverh

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Referenzen

(1) Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gerichtlich festgesetzt, ist die Festsetzung auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend.

(2) Der Rechtsanwalt kann aus eigenem Recht die Festsetzung des Werts beantragen und Rechtsmittel gegen die Festsetzung einlegen. Rechtsbehelfe, die gegeben sind, wenn die Wertfestsetzung unterblieben ist, kann er aus eigenem Recht einlegen.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.