Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 18. Sept. 2012 - 6 Sa 434/11

ECLI: ECLI:DE:LAGST:2012:0918.6SA434.11.0A
published on 18/09/2012 00:00
Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 18. Sept. 2012 - 6 Sa 434/11
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Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 19.08.2011 -7 Ca 141/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.

2

Die Klägerin war seit 16.07.1990 bei der Beklagten in der Agentur für Arbeit H... tätig. Ihre Eingruppierung erfolgte nach Maßgabe der Tätigkeitsebene V des auf die Rechtsbeziehungen der Parteien zur Anwendung kommenden TV-BA. Seit 01.01.2005 nahm die Klägerin Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II wahr. Zuletzt (seit 01.01.2007) erfolgte ihr Einsatz als Fachassistentin zur Leistungsgewährung. Im Zeitraum 18.09.2008 bis 26.03.2010 war die Klägerin durchgängig arbeitsunfähig erkrankt. Nach Auslaufen des Krankengeldbezuges bezog sie vom 19.03. bis 26.03.2010 Leistungen nach dem SGB III (Arbeitslosengeld I). Im weiteren Verlauf des Jahres 2010 wies die Klägerin nur noch geringe Fehlzeiten von 1, 4 sowie 7 Tagen auf.

3

Zum 01.01.2011 übernahm der Landkreis S... durch den von ihm gegründeten „Eigenbetrieb für Arbeit des Landkreises S...“ in alleiniger Verantwortung die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Die Beklagte wie auch der Landkreis S... teilten der Klägerin im Vorfeld dieses Trägerwechsels mit, dass ihr Arbeitsverhältnis gemäß § 6 c Abs. 1 Satz 1 SGB II zum 01.01.2011 auf den Landkreis S übergehen werde.

4

Die Klägerin hat hierzu die Auffassung vertreten, ein solcher Übergang ihres Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes sei nicht eingetreten. Ihr Arbeitsverhältnis bestehe vielmehr weiterhin mit der Beklagten fort. Ungeachtet von Bedenken gegen die Vereinbarkeit der vorgenannten Rechtsnorm mit Art. 12 GG sei diese in ihrem Fall jedenfalls nicht einschlägig, da sie in dem dort geforderten Zeitraum von 24 Monaten nicht durchgängig Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit betreffend den Rechtskreis des SGB II wahrgenommen habe.

5

Dem stehe ihre Langzeiterkrankung in den Jahren 2008 bis März 2010 entgegen. Mit Auslaufen der Entgeltfortzahlungspflicht der Beklagten habe ihr Arbeitsverhältnis geruht.

6

Die Klägerin hat beantragt,

7

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht zum 01.01.2011 infolge des Gesetzes (§ 6 c I SGB II) auf den Landkreis S... übergegangen ist.

8

Die Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, § 6 c Abs. 1 Satz 1 SGB II sei im Hinblick auf die damit verfolgten Gemeinwohlinteressen - Kontinuität der Aufgabenwahrnehmung im Bereich des SGB II - mit Artikel 12 Abs. 1 GG vereinbar. Weiter seien in der Person der Klägerin die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt. Zum einen verlange die Bestimmung nicht, dass der betroffene Arbeitnehmer in den letzten zwei Jahren vor Gründung eines Kommunalen Trägers durchgängig Aufgaben nach dem SGB II wahrgenommen habe. Ausreichend sei, dass der betreffende Arbeitnehmer insgesamt bei der Bundesagentur - wenn auch mit zeitlichen Unterbrechungen - 2 Jahre lang Aufgaben aus diesem Rechtskreis wahrgenommen habe. Zum anderen habe die Klägerin auch in den letzten zwei Jahren vor Gründung des Eigentriebes für Arbeit des Landkreises S... derartige Aufgaben wahrgenommen. Ihre Langzeiterkrankung stehe der Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals nicht entgegen.

11

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.08.2011 die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klage sei unbegründet, da seit 01.01.2011 zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestehe. Dies sei auf den Landkreis S... gemäß § 6 c Abs. 1 SGB II übergegangen. Im Hinblick auf die verfolgten Gemeinwohlinteressen sei die Bestimmung, auch wenn diese kein Widerspruchsrecht des betroffenen Arbeitnehmers vorsehe, mit Artikel 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm seien in der Person der Klägerin erfüllt. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Blatt 65 bis 72 der Akte verwiesen.

12

Gegen dieses, ihr am 09.11.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.12.2011 Berufung eingelegt und diese am 09.01.2012 begründet.

13

Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt sie ihr erstinstanzliches Klageziel unter Aufrechterhaltung ihres Rechtsstandpunktes weiter. Eine am Gesetzeszweck orientierte Auslegung des § 6 c Abs. 1 Satz 1 SGB II müsse dazu führen, dass bei Arbeitnehmern, die zu mehr als 50 % des Referenzzeitraumes durchgängig arbeitsunfähig erkrankt gewesen sein, ein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den kommunalen Träger der Grundsicherung nicht erfolge.

14

Die Klägerin beantragt,

15

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Halle vom 19.08.2011 zu Aktenzeichen 7 Ca 141/11 wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht zum 01.01.2011 infolge Gesetzes (§ 6 c I SGB II) auf den Landkreis S... übergegangen ist, sondern zwischen den Prozessparteien zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

16

Die Beklagte beantragt,

17

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

18

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

20

Die an sich statthafte (§§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG) und auch im Übrigen zulässige (§ 66 Abs. 1 ArbGG) Berufung der Klägerin ist unbegründet.

21

Das Arbeitsgericht hat die zulässige (§ 256 Abs. 1 ZPO) Feststellungsklage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

22

Zwischen den Parteien besteht seit dem 01.01.2011 kein Arbeitsverhältnis mehr. Dieses ist gemäß § 6 c Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit 11.08.2010 geltenden Fassung auf den Landkreis S... übergegangen. Nach dieser Bestimmung treten die Beamten und Arbeitnehmer der Bundesagentur, die am Tag vor der Zulassung eines weiteren kommunalen Trägers nach § 6 a Abs. 2 und mindestens seit 24 Monaten Aufgaben der Bundesagentur als Träger nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in dem Gebiet des kommunalen Trägers wahrgenommen haben, zum Zeitpunkt der Neuzulassung kraft Gesetzes in den Dienst des kommunalen Trägers über.

23

Diese Norm ist mit Artikel 12 Abs. 1 GG vereinbar und damit nicht verfassungswidrig. Weiter erfüllt die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen.

I.

24

§ 6 c Abs. 1 Satz 1 SGB II ist mit Artikel 12 GG vereinbar. Die Regelung greift zwar in den Schutzbereich dieses Grundrechts ein, dies jedoch in verfassungsrechtlich zulässiger Weise. Artikel 12 Abs. 1 GG garantiert neben der freien Wahl des Berufs auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Dazu zählt bei abhängig Beschäftigten die Wahl des Vertragspartners. Dies gilt in gleicher Weise für Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Das Grundrecht aus Artikel 12 Abs. 1 GG ist daher unbeschadet der Organisationsgewalt des Staates berührt, wenn der Gesetzgeber bestehende Arbeitsverhältnisse in der Weise normativ umgestaltet, dass er die Person des Arbeitgebers auswechselt (BVerfG 25.01.2011 - 1 BvR 1741/09 - Rn. 69). Dieses Grundrecht gilt jedoch nicht schrankenlos. Die Berufsausübung einschränkende Regelungen sind verfassungsgemäß, wenn sie durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weitergehen als es die sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (BVerfG 09.06.2004 - 1 BvR 636/02).

1.

25

Nach diesen Grundsätzen greift der Gesetzgeber mit der Regelung in § 6 c Abs. 1 Satz 1 SGB II in den Schutzbereich des Artikels 12 Abs. 1 Satz 1 GG ein, weil er, ohne den betroffenen Mitarbeitern der Bundesagentur eine Widerspruchsmöglichkeit zu eröffnen, einen Wechsel des Arbeitgebers kraft Gesetzes anordnet.

2.

26

Der Eingriff ist jedoch durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Diese bestehen in der durch die gesetzliche Regelung beabsichtigten Gewährleistung der Grundsicherung im Fall eines Trägerwechsels, der seine Grundlage ebenfalls im Verfassungsrecht, nämlich Artikel 91 e Abs. 2 GG hat. Die Regelung ist auch erforderlich, weil nur auf diese Weise - „Personal folgt der Aufgabe“ - (vgl. BT-Drs 17/1555, S. 19) die nahtlose Arbeitsfähigkeit des neu errichteten kommunalen Trägers der Grundsicherung gewährleistet werden kann.

3.

27

Schlussendlich erweist sich die Regelung als verhältnismäßig im engeren Sinne, auch wenn diese dem Arbeitnehmer kein Widerspruchsrecht gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses einräumt. Der aus Artikel 12 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich folgende Schutz des Arbeitnehmers vor einem ihm aufgezwungenen Wechsel des Arbeitgebers reicht nicht soweit, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den angeordneten Übergang des Arbeitsverhältnisses mit einer der Vorschrift des § 613 a Abs. 6 BGB inhaltlich entsprechenden Regelung zu flankieren. Allerdings muss der Gesetzgeber grundsätzlich das Grundrecht der Arbeitnehmer auf freie Wahl des Arbeitsplatzes bei einem ohne ihren Willen erfolgenden Arbeitgeberwechsel schützen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Wechsel unmittelbar oder mittelbar kraft Gesetzes aus der Beschäftigung bei einem öffentlichen Arbeitgeber zu einem privaten Arbeitgeber führt. Das heißt jedoch nicht, dass die Überleitung von Beschäftigten einer Gebietskörperschaft, etwa auf eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts, stets nur unter Einräumung eines Widerspruchsrechts zulässig wäre; denn insoweit darf der Gesetzgeber berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer bei Fortbestand der übrigen arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten nicht nur der Arbeitsplatz erhalten bleibt, sondern er auch weiterhin im „öffentlichen Dienst“ beschäftigt bleibt (BVerfG 25.01.2011 - 1 BvR 1741/09 - Rn. 94).

28

Der Gesetzgeber ist mithin nicht generell gehalten, um den Eingriff in die Berufsfreiheit verhältnismäßig zu gestalten, bei einem per Gesetz verfügten Übergang des Arbeitsverhältnisses den betroffenen Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes ein Widerspruchsrecht entsprechend der Regelung in § 613 a BGB einzuräumen. Unverhältnismäßig wird dieser Eingriff nur dann, wenn mit dem Gesetz - sei es auch nur mittelbar - der Zweck verfolgt wird, die Beschäftigung des Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst dauerhaft zu beenden. Hier verlangt Artikel 12 GG dem Gesetzgeber eine Regelung ab, die den Arbeitnehmer effektiv davor schützt, gegen seinen Willen aus dem öffentlichen Dienst „gedrängt“ zu werden.

29

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich der durch § 6 c Abs. 1 SGB II bewirkte Eingriff in den Schutzbereich des Artikel 12 GG als noch verhältnismäßig, auch wenn den betroffenen Arbeitnehmern kein Widerspruchsrecht i. S. d. § 613 a BGB oder eine hiermit vergleichbare Optionsmöglichkeit eingeräumt wird. Die Arbeitnehmer verbleiben im Fall eines Trägerwechsels dauerhaft im öffentlichen Dienst und nehmen weiterhin Aufgaben wahr, die ihrer bisherigen Tätigkeit bei der Bundesagentur für Arbeit entsprechen. Endet die kommunale Trägerschaft für die Grundsicherung, sieht das Gesetz eine Rückübertragung des Arbeitsverhältnisses auf die Bundesagentur für Arbeit vor (§ 6 c Abs. 2 SGB II). Weiter regelt § 6 c Abs. 5 SGB II einen Besitzstandsschutz hinsichtlich der bisher geltenden Arbeitsbedingungen. Allerdings schließt diese Regelung nicht aus, dass längerfristig durch den in § 6 c Abs. 3 Satz 3 SGB II weiter angeordneten Tarifwechsel es zu einer Verschlechterung von Arbeitsbedingungen der zum kommunalen Träger gewechselten Arbeitnehmer kommen kann. Jedoch führt diese Regelung, selbst wenn man sie als nicht verhältnismäßig einstufen würde, nicht dazu, dass der in § 6 c SGB II primär geregelte Übergang des Arbeitsverhältnisses als solcher nicht mehr verfassungsgemäß ist. Die Verfassungswidrigkeit würde sich vielmehr auf den vom Gesetzgeber angeordneten Tarifwechsel beschränken, im Hinblick auf die Abtrennbarkeit dieser Regelung jedoch nicht die gesamte Norm einschließlich des Abs. 1 Satz 1 erfassen. Im Fall einer Verfassungswidrigkeit der Tarifwechselklausel wäre zu klären, welche tariflichen Bestimmungen auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommen.

II.

30

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der vorgenannten Norm sind im Fall der Klägerin erfüllt. Sie hat seit mindestens 24 Monaten (1.) vor Gründung des kommunalen Trägers in dessen Bereich Aufgaben der Grundsicherung wahrgenommen (2.).

1.

31

Nach Auffassung der Berufungskammer erfasst die Bestimmung nur solche Arbeitsverhältnisse, bei denen der Arbeitnehmer in den letzten 24 Monaten vor dem Trägerwechsel Aufgaben der Grundsicherung wahrgenommen hat.

a)

32

Eine solche Auslegung folgt bereits aus dem Wortsinn des § 6 c Abs. 1 Satz 1 SGB II. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff „seit“ im Zusammenhang mit dem maßgeblichen Stichtag, dem „Tag vor der Zulassung eines weiteren kommunalen Trägers“. Die Verknüpfung dieser Begriffe lässt den Schluss darauf zu, dass für den Übergang des Arbeitsverhältnisses die vor dem Stichtag liegende Zeitspanne und nicht eine beliebige, auch mehrfach unterbrochene und sich aus kurzfristigen Einsatzzeiten zusammensetzende Beschäftigungszeit im Bereich des SGB II seit dessen Inkrafttreten am 01.01.2005, die als Summe 24 Monate ergibt, maßgeblich sein soll.

b)

33

Weiter spricht für diese Auslegung der sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs 17/ 1555, Seite 19) ergebende Gesetzeszweck, nämlich die Absicht, die Personalkontinuität und damit die Arbeitsfähigkeit der Sozialverwaltung bei dem Übergang von Aufgaben der Grundsicherung auf einen kommunalen Träger zu gewährleisten („Personal folgt der Aufgabe“). Diese Kontinuität kann regelmäßig nur dann gewahrt werden, wenn die Arbeitnehmer in dem vor dem Übergang liegenden Zeitraum Tätigkeiten im Bereich des SGB II ausgeübt haben. Entgegen der Auffassung der Beklagten reicht eine „irgendwann“ erworbene Berufserfahrung im Bereich der Grundsicherung von insgesamt zwei Jahren nach dem Gesetzeszweck nicht aus, um dessen Intention umzusetzen. Bei einer solchen Auslegung wäre auch der Arbeitnehmer, der in den Jahren 2005 und 2006 im Bereich des SGB II tätig war und erst kurze Zeit vor dem Trägerwechsel dort wieder eingesetzt wird, von dem Übergang des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes betroffen, obwohl ihm - im Rahmen der bei der Auslegung vorzunehmenden abstrakten Betrachtung - jedweder praktische Bezug zu der aktuell geltenden Rechtslage und dem Inhalt der von ihm (weiter) zu betreuenden Fälle fehlen würde.

34

Die Kammer verkennt nicht, dass bei einer solchen Auslegung andererseits Arbeitsverhältnisse „ausgegrenzt“ werden, deren Übergang nach dem Gesetzeszweck durchaus aus Sicht des kommunalen Trägers wünschenswert wäre, z. B. Fälle, bei denen nur wenige Tage für das Erreichen des Zweijahreszeitraumes fehlen. Andererseits hat der Gesetzgeber durch die zeitliche Vorgabe von mindestens zwei Jahren exakt die maßgebliche Zeitspanne eingegrenzt, so dass eine dem Wortlaut (noch) entsprechende Auslegung keinen Raum für „Zwischenlösungen“, z. B. dahin, dass in den letzten zwei Jahren aufgetretene kurzzeitige Unterbrechungen durch vorangegangene Tätigkeitszeiten im Rechtskreis des SGB II kompensiert werden können, zulässt.

2.

35

Im maßgeblichen Zeitraum hat die Klägerin derartige Tätigkeiten wahrgenommen. Dem steht die durchgehende Erkrankung bis Ende März 2010 nicht entgegen.

36

Die Norm ist allerdings dahin zu verstehen, dass eine bloße Übertragung von Aufgaben aus dem SGB II, während der tatsächliche Einsatz des Arbeitnehmers in anderen Abteilungen des Bundesagentur für Arbeit erfolgte, nicht ausreicht. Hierfür spricht der Wortsinn. Die Formulierung „wahrgenommen“ ist typischerweise im Sinne einer Tätigkeit zu verstehen im Gegensatz zu dem - gerade nicht verwendeten - Begriff „übertragen“. Ebenso spricht für diese Auslegung der Gesetzeszweck, dem kommunalen Träger fachkundiges Personal zur Verfügung zu stellen, damit dieser nahtlos die Aufgaben der Grundsicherung fortführen kann. Mitarbeiter der Bundesagentur, die tatsächlich während der letzten 2 Jahre vor Gründung des kommunalen Trägers mit anderen Aufgaben als der Grundsicherung beschäftigt waren, sind bei der hier vorzunehmenden typisierenden Bewertung regelmäßig dazu nicht in der Lage.

a)

37

Damit sind solche Arbeitnehmer nicht von einem Übergang des Arbeitsverhältnisses betroffen, deren Arbeitsverhältnis in den letzten 2 Jahren vor dem maßgeblichen Stichtag kraft Gesetzes (Elternzeit, Pflegezeit, Wehr-/Ersatzdienst) geruht hat. Im ruhenden Arbeitsverhältnis sind die Hauptpflichten suspendiert. Der betroffene Arbeitnehmer nimmt mithin überhaupt keine Arbeitsaufgaben wahr. Ebenso wenig werden Arbeitnehmer erfasst, denen während des Referenzzeitraumes im Wege der Abordnung nicht dem SGB II unterfallende Aufgaben zugewiesen wurden (siehe hierzu die Entscheidung der erkennenden Kammer vom 04.06.2012 - 6 Sa 280/11).

38

Von einem ruhenden Arbeitsverhältnis der Parteien im maßgeblichen Zeitraum 2009 bis 2010 ist nach dem sich bietenden Sachvortrag jedoch nicht auszugehen. Eine - wenn auch über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinausgehende - Erkrankung des Arbeitnehmers bewirkt noch nicht kraft Gesetzes das Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Eine diesbezügliche Regelung enthält das EFZG nicht.

39

Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien einvernehmlich das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben, sind ebenfalls nicht vorgetragen worden. Aus dem Umstand, dass die Klägerin im März 2010 unmittelbar vor ihrer Genesung eine Woche Arbeitslosengeld I bezogen hat, lässt sich eine solche Vereinbarung mit entsprechend weitreichenden Folgen nicht ableiten. Hieraus folgt unmittelbar nur, dass die Beklagte als Arbeitgeberin für die weitere Dauer der Erkrankung auf ihr Direktionsrecht verzichtet hat. Ohne weitergehende rechtsgeschäftliche - wenn auch konkludente - Erklärungen kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, die Parteien haben einvernehmlich ihr Arbeitsverhältnis vollständig zum Ruhen gebracht.

b)

40

Hingegen führen Fehlzeiten im Referenzzeitraum, die den „aktiven“ Bestand des Arbeitsverhältnisses und den Charakter der wahrgenommenen Arbeitsaufgabe nicht tangieren, nicht zu einer „Verkürzung“ der maßgeblichen Tätigkeitsdauer. Fehlzeiten stehen nach Auffassung der Kammer der Wahrnehmung von Arbeitsaufgaben i. S. d. § 6 c SGB II nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat typische Fehlzeiten, z. B. Erholungsurlaub, Erkrankungen, in § 6 c SGB II nicht berücksichtigt, so dass davon auszugehen ist, dass derartige Unterbrechungen in der tatsächlichen Beschäftigung, die typischerweise bei jedem Arbeitnehmer auftreten, keine Auswirkungen auf den Referenzzeitraum haben sollen.

41

Dies gilt umso mehr, als auch der Gesetzeszweck, den Übergang des fachlich qualifizierten Personals zu garantieren, in diesen Fällen typischerweise nicht tangiert ist.

42

Allerdings sind Konstellationen denkbar, in denen Fehlzeiten im Referenzzeitraum Auswirkungen auf die Fachkompetenz des Beschäftigten haben können. Das ist z. B. der Fall, wenn der Arbeitnehmer im gesamten oder jedenfalls in dem ganz überwiegenden Teil des Referenzzeitraumes arbeitsunfähig erkrankt war und damit ein aktueller Bezug zu der bei dem kommunalen Träger fortzuführenden Aufgabe verloren gegangen ist.

aa)

43

Vorliegend bedarf es keiner Entscheidung, ob eine durchgehende Erkrankung im Referenzzeitraum dem Übergang des Arbeitsverhältnisses entgegensteht. Diese Konstellation ist unstreitig nicht gegeben. Die Klägerin war vielmehr seit Ende März 2010 wieder arbeitsfähig und hatte im weiteren Verlauf des Jahres nur noch im geringen Umfang Fehlzeiten wegen Krankheit aufzuweisen.

bb)

44

Die im Referenzzeitraum bis Ende März 2010 aufgelaufenen durchgehenden Fehlzeiten stehen entgegen der Auffassung der Klägerin einer Anwendung des § 6 c Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht entgegen. Auch insoweit liegt eine Wahrnehmung von Aufgaben der Grundsicherung vor. Mangels gegenteiliger Regelung in § 6 c SGB II ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine Langzeiterkrankung im Referenzzeitraum nicht dahin bewerten wollte, dass hierdurch die Wahrnehmung von Aufgaben der Grundsicherung unterbrochen wird. Hätte der Gesetzgeber einen solchen Willen gehabt, so hätte sich dieser in detaillierten Regelungen zu Art und Umfang der Fehlzeiten niederschlagen müssen, aus denen ein exakt definierter „Grenzwert“ ermittelbar ist. Das „Schweigen“ lässt sich mithin nur als Ausdruck eines gesetzgeberischen Willens, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit generell keine Auswirkungen auf die Erfüllung des Referenzzeitraumes haben sollen, interpretieren.

45

Dahinstehen kann, ob aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung solche Konstellationen auszunehmen sind, bei denen der Arbeitnehmer während des ganz überwiegenden Teils des Referenzzeitraumes erkrankt war, der Übergang seines Arbeitsverhältnisses mithin zur Erfüllung des Gesetzeszweckes nicht erforderlich oder unverhältnismäßig im engeren Sinne ist. Diese Erwägungen treffen jedenfalls auf die Situation der Klägerin nicht zu. Zwar war diese im gesamten Jahr 2009 sowie annähernd 3 Monate im Jahr 2010 durchgehend erkrankt und konnte daher Aufgaben der Grundsicherung in der ARGE H tatsächlich nicht ausüben. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass bei Übergang des Arbeitsverhältnisses zum Jahreswechsel 2010/2011 eine dem Gesetzeszweck entsprechende Tätigkeit bei dem kommunalen Träger nicht erfolgen kann. Entscheidend ist, dass die Klägerin in dem seit März 2010 verbleibenden Monaten bis zur Gründung des kommunalen Trägers die ihr übertragenen Aufgaben der Grundsicherung auch tatsächlich ohne weitere gravierende Fehlzeiten wieder wahrnehmen konnte und damit zum Stichtag mit den auch nach dem Arbeitgeberwechsel anfallenden Aufgaben seit geraumer Zeit wieder vertraut war.

III.

46

Nach alledem konnte das Rechtsmittel der Klägerin keinen Erfolg haben.

B.

47

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

C.

48

Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen für die Klägerin die Revision zuzulassen.


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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im
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Tenor Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Halle - 5. Kammer - vom 12. Dezember 2012 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen; die außergerichtlichen Kosten d
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(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Im ersten Rechtszug sind die Arbeitsgerichte zuständig, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet die Berufung an die Landesarbeitsgerichte nach Maßgabe des § 64 Abs. 1 statt.

(3) Gegen die Urteile der Landesarbeitsgerichte findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 72 Abs. 1 statt.

(4) Gegen die Beschlüsse der Arbeitsgerichte und ihrer Vorsitzenden im Beschlußverfahren findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 87 statt.

(5) Gegen die Beschlüsse der Landesarbeitsgerichte im Beschlußverfahren findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 92 statt.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.