Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 04. Sept. 2012 - 5 Sa 308/11

published on 04/09/2012 00:00
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 04. Sept. 2012 - 5 Sa 308/11
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Tenor

1. Auf die klägerische Berufung wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere Sonderzuwendungen in Höhe von 156,34 Euro für das Jahr 2009 zuzüglich 211,06 Euro für das Jahr 2010 beides nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten einerseits um die Frage der Tarifbindung der beklagten Arbeitgeberin und andererseits um die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, die Sonderzuwendung für die Klägerin in den Jahren 2009 und 2010 wegen deren Fehlzeiten zu kürzen.

2

Die 1976 geborene verheiratete Klägerin, Mutter zweier Kinder, begründete 1999 ein Arbeitsverhältnis mit der M. GmbH & Co. OHG (im Folgenden: M.). M. war zu diesem Zeitpunkt durch Mitgliedschaft im Einzelhandelsverband Nord e.V. an die Tarifverträge für den Einzelhandel in Mecklenburg-Vorpommern gebunden. Auch der Arbeitsvertrag vom 30. August 1999 verweist in verschiedenen Regelungen auf den „jeweils gültigen Manteltarifvertrag“. § 14 des Arbeitsvertrages (Kopie als Anlage 1 überreicht, hier Blatt 8 ff) mit der Überschrift „Tarifliche Regelungen, Betriebsvereinbarungen“ lautet im Unterpunkt 1 wörtlich:

3

„Es wird vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis ergänzend die Bestimmungen des Manteltarifvertrages sowie des Lohn- und Gehaltstarifvertrages, jeweils in der letzten gültigen Fassung, Anwendung finden. Gleiches gilt für Betriebsvereinbarungen; sie gelten ebenfalls in der jeweils gültigen Fassung“.

4

Die Parteien haben im Arbeitsvertrag einen Arbeitsumfang von 77 Prozent einer Vollzeitkraft (30 Wochenstunden) vereinbart, eine Regelung, die auch heute noch gültig ist. Weiterhin vereinbarten die Parteien unter § 2 ein Bruttoeinkommen pro Stunde mit der Formulierung„Tarifschlüssel: L3/22 – DM 15,62“.

5

Im November 2007 ist der Markt in R., in dem die Klägerin beschäftigt ist, im Wege des Betriebsübergangs von M. auf die heutige Beklagte übergegangen. Mit Schreiben vom 2. November 2007 auf dem Briefpapier von M. unterrichteten M. sowie die Beklagte die Klägerin sowie die anderen Mitarbeiter über den Betriebsübergang. Auf Seite 2 dieses Schreibens heißt es wörtlich:

6

„Soweit Rechte und Pflichten Ihres Arbeitsverhältnisses in Tarifverträgen geregelt waren, gilt § 613 a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB. Nach dieser Regelung werden bisher geltende tarifliche Regelungen durch bei dem Übernehmer geltende tarifliche Regelungen ersetzt, wenn einer oder mehrere Tarifverträge beim Übernehmer gelten. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn Arbeitgeber an diese Tarifverträge gebunden ist. Da die [Beklagte] über den Einzelhandelsverband Nord e.V. eine zentrale Mitgliedschaft mit Tarifbindung im Einzelhandelsverband Nord e.V., im Handelsverband Berlin-Brandenburg e.V. im Unternehmerverband Einzelhandel Nordwest e.V. und in den Fachverbänden des Hamburger Einzelhandels e.V. unterhält, besteht eine Tarifbindung an die Tarifverträge für den Einzelhandel im Bundesland Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Niedersachsen und Brandenburg. Da sowohl M. Handelsgesellschaft mbH & Co. OHG als auch die Übernehmerin denselben Tarifverträgen unterliegen, ergeben sich insoweit keinerlei Veränderungen für Sie.“

7

Tatsächlich war die Beklagte zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs im November 2007 nicht Mitglied im für Mecklenburg-Vorpommern zuständigen Einzelhandelsverband Nord e.V. und auch nicht Mitglied in einem der weiteren in dem Anschreiben erwähnten Arbeitgeberverbände. Nach einer Auskunft, die die Gewerkschaft v. vom Einzelhandelsverband Nord e.V. im September 2009 erhalten hat, ist die Beklagte erstmals am 28. Dezember 2007 Mitglied geworden und zwar von Anfang an im Status eines Mitgliedes ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft). Im Kammertermin vom 11. November 2010 beim Arbeitsgericht legte die Beklagte ein Schreiben des Einzelhandelsverbandes Nord e.V. an die Beklagte vom 28. Dezember 2007 vor. Unter dem Betreff „Mitgliedschaft im Einzelhandelsverband Nord e.V.“ teilte der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Nord e.V. mit:

8

„Ich bestätige Ihnen die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung im Einzelhandelsverband Nord e.V. Die Mitgliedschaft wird unter der Nummer […] geführt.

Da Ihrem Wunsch entsprechend für das Unternehmen kein eigenständiger Beitrag erhoben wird, weise ich noch einmal darauf hin, dass eine Einbindung anderer Verbände in diese Mitgliedschaft anders als beantragt, leider nicht möglich ist. Die Mitgliedschaft wird daher entsprechend unserer letzten Unterredung ausschließlich in unserem Einzelhandelsverband Nord e.V. begründet.“

9

Zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges im November 2007 galt noch der zwischen dem Einzelhandelsverband Nord e.V. und v. abgeschlossene Entgelttarifvertrag vom 7. Februar 2006, der allerdings zu diesem Zeitpunkt nur noch nachgewirkt hatte, da er bereits gekündigt war (ETV Einzelhandel 2006). Die Verhandlungen über einen neuen Entgelttarifvertrag konnten erst am 2. September 2008 abgeschlossen werden, der rückwirkend ab Juli 2007 neue Entgelttabellen vorgesehen hatte (ETV Einzelhandel 2008). Dieser Entgelttarifvertrag wurde wiederum durch den Entgelttarifvertrag vom 11. August 2009 abgelöst, der rückwirkend ab dem 1. Juli 2009 in Kraft getreten war und Entgelterhöhungen ab November 2009 vorgesehen hatte (ETV Einzelhandel 2009).

10

Trotz der aus ihrer Sicht fehlenden Tarifbindung zahlte die Beklagte der Klägerin und allen ihren Kolleginnen und Kollegen alle tariflichen Leistungen, die sich aus dem ETV Einzelhandel 2008 ergeben hatten. Erst die ab dem 1. November 2009 sich aus dem ETV Einzelhandel 2009 ergebenden Tariferhöhungen führte die Beklagte nicht mehr durch. Allerdings zahlte die Beklagte jedenfalls ab dem Monat August 2009 zusätzlich zum Tariflohn eine „vorgezogene Tariflohnerhöhung“ (Formulierung aus den Lohnabrechnungen), die nicht weiter aufgeschlüsselt wurde und die auch nicht an die Erhöhungen der Tariftabellen ab November 2009 heranreicht. Dieser Entgeltbestandteil wurde dann auch noch weiter gezahlt, als sich die Beklagte ab November 2009 auf ihre fehlende Tarifbindung berufen hatte.

11

Nachdem sich die Beklagte auf ihre fehlende Tarifbindung berufen hatte, hat sich die Dienstleistungsgewerkschaft v. darum bemüht, mit der Beklagten Tarifverträge zu vereinbaren und hat in diesem Zusammenhang auch in der Belegschaft um Mitgliedschaft in der Gewerkschaft geworben. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte unter dem 4. Januar 2010 einen Aushang am Schwarzen Brett in dem Markt, in dem die Klägerin eingesetzt ist, gemacht, der auszugsweise wörtlich wie folgt lautet:

12

TARIFANSPRÜCHE

Sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

aus gegebenen Anlass weisen wir darauf hin, dass keinesfalls eine V.-Mitgliedschaft die Voraussetzung für eine etwaige Wirksamkeit (oder Nachwirkung) der Tarifverträge ist, da in den Arbeitsverträgen eine separate Bezugnahme auf die Tarifverträge enthalten ist.

Eine Mitgliedschaft bei V. bringt Ihnen für die Einbeziehung der Tarifverträge keinen Vorteil, sondern kostet Sie lediglich Mitgliedsbeiträge.

13

Unter dem 30. August 2010 kam es dann schließlich zum Abschluss eines „Überleitungs- und Anerkennungstarifvertrages“ zwischen der Beklagten und der Dienstleistungsgewerkschaft v. (Kopie Blatt 192 ff), der für den Markt, dem die Klägerin angehört, die Anwendung der Entgelttarifverträge des Einzelhandelsverbandes mit Wirkung ab dem 30. Juni 2011 vorsieht (§ 5.2). Für die Übergangszeit bis zu diesem Zeitpunkt heißt es dort weiter:

14

„Wegen mangelnder Mitgliedschaft galten bisher die Regelungen der Flächentarifverträge nicht für die unter 1b) genannten M.-Häuser. Die mit Wirkung ab dem 1. Juli 2009 freiwillig vorgenommene Entgelterhöhung um 1,25% wird tabellenwirksam. Vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2011 werden die Gehälter und Löhne sowie die Ausbildungsvergütungen um 0,75 % linear tabellenwirksam angehoben.“

15

Die Satzung des Einzelhandelsverbandes Nord e.V. enthält einen Paragrafen 4a mit der Überschrift „Mitgliedschaft ohne Tarifbindung“. Die Vorschrift lautet wörtlich:

16

„1.

17

Bei Tarifverträgen, die nicht für allgemeinverbindlich erklärt sind, können die Mitglieder den Ausschluss der Tarifbindung erklären. Die Erklärung ist schriftlich an den Sitz der Hauptgeschäftsführung in B-Stadt zu richten. Sie wirkt zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge. Danach gelten die Grundsätze der Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 des Tarifvertragsgesetzes. Die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden.

2.

18

Nicht tarifgebundene Mitglieder sind nicht berechtigt, an Abstimmungen über tarifpolitische Entscheidungen mitzuwirken.“

19

Für die Kürzung der Sonderzuwendung nach § 12 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel MV (MTV) gegenüber der Klägerin in den Jahren 2009 und 2010 waren für die Beklagte folgende Umstände maßgeblich. Im Jahre 2009 war die Klägerin im Januar, März und Mai jeweils für wenige Tage ohne Entgeltfortzahlung arbeitsbefreit, weil sie eines ihrer noch nicht 12jährigen kranken Kinder zu Hause versorgt hatte und für diese Tage Krankengeld nach § 45 SGB V bezogen hatte. Die Beklagte hat daraufhin die Sonderzahlung unter Berufung auf § 12.3 MTV um 3/12 gekürzt und hat lediglich 469,02 Euro brutto an die Klägerin ausgezahlt. Im Jahre 2010 fehlte die Klägerin aus demselben Grunde in den Monaten Juni, Juli, September und Oktober jeweils für wenige Tage. Die Beklagte hat aus diesem Grund die Sonderzahlung für 2010 um 4/12 gekürzt und hat an die Klägerin nur 422,12 Euro brutto ausgezahlt.

20

Mit Schreiben vom 13. Januar 2010 hat die Klägerin gegenüber der Beklagten ihre Forderungen wegen Tariferhöhung aus dem ETV Einzelhandel 2009 ab November 2009 geltend gemacht. Mit diesem Schreiben hat die Klägerin auch die ungekürzte Auszahlung der Sonderzuwendung 2009 verlangt. Die Beklagte hat Zahlung abgelehnt.

21

Mit der beim Arbeitsgericht Rostock am 1.Juli 2010 eingegangenen Klage, begehrt die Klägerin – etwas vereinfacht ausgedrückt – die Feststellung der Anwendbarkeit der Tarifverträge des Einzelhandels in Mecklenburg-Vorpommern in der jeweils aktuellen Fassung sowie die Zahlung der sich daraus ergebenden rückständigen Differenzvergütungen von November 2009 bis einschließlich Juni 2011. Außerdem begehrt sie die ungekürzte Auszahlung der Sonderzuwendungen für die Jahre 2009 und 2010.

22

Das Arbeitsgericht Rostock hat die Klage mit Urteil vom 18. August 2011 als unbegründet abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

23

Mit der rechtzeitig eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren im vollen Umfang weiter fort.

24

Die Klägerin meint nach wie vor, das Arbeitsverhältnis unterliege aufgrund der Mitgliedschaft beider Vertragspartner in den jeweiligen Verbänden der unmittelbaren Bindung an die Tarifverträge des Einzelhandelsverbandes Nord e.V. für das Tarifgebiet Mecklenburg-Vorpommern. Dazu vertritt die Klägerin die Auffassung, der Versuch, eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung herbeizuführen, sei unbeachtlich, da die Satzung des Einzelhandelsverbandes nicht im notwendigen Umfang dafür Sorge trage, dass die OT-Mitglieder keinen Einfluss auf die Tarifpolitik nehmen könnten. Außerdem stehe das Recht, den OT-Status zu erwerben nach der Satzung nur Mitgliedern zu, also müsse die Beklagte jedenfalls zeitweilig ordentliches Mitglied des Einzelhandelsverbandes Nord e.V. gewesen sein.

25

Selbst wenn man von einer wirksam begründeten OT-Mitgliedschaft ausgehen wolle, könnte sich die Beklagte erst für die Zeit nach Unterrichtung der Gewerkschaft über diesen Umstand im September 2009 auf diese Mitgliedschaft berufen. Denn durch das Verschweigen der fehlenden oder weggefallenen Tarifbindung sei die Gewerkschaft daran gehindert worden, für die Arbeitnehmer der Beklagten Tarifvertragsverhandlungen zu erzwingen.

26

Die Pflicht, die Klägerin nach den jeweils gültigen Tariftabellen zu vergüten, ergebe sich aber auch aus der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme des Tarifwerks im Einzelhandel. Bei der Klausel in § 14 des Arbeitsvertrages handele es sich nicht lediglich um eine Gleichstellungsabrede. Der Hinweis auf den Tarifvertrag sollte eine Tarifbindung des Arbeitnehmers ersetzen. Dies verlange eine dynamische Bezugnahme. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung der Bezugnahmeklausel in Altverträgen als Gleichstellungsabrede könne vorliegend nicht herangezogen werden. Die Beklagte wollte die Arbeitnehmer mit der Regelung aus § 14 des Arbeitsvertrages auch gar nicht gleichstellen. Vielmehr sollte der Tarifvertrag – wie es dort ausdrücklich heißt – nur ergänzend gelten.

27

Auch das tatsächliche Verhalten der Beklagten sei ein Indiz dafür, dass eine dynamische Verweisung gewollt gewesen sei. Denn obwohl bei der Beklagten nach eigenem Bekunden seit Ende 2007 keine Tarifbindung mehr vorliege, habe sie die Tariferhöhung aus dem ETV Einzelhandel 2008 an ihre Arbeitnehmer weitergegeben. Für die Klägerin sei die angeblich fehlende Zahlungsverpflichtung nicht zu erkennen gewesen. Aufgrund der vorbehaltlosen Zahlung sei die Beklagte an ihr Verhalten aus der Vergangenheit gebunden. Es liege somit eine betriebliche Übung zur dynamischen Anwendung der Tarifverträge vor.

28

Ein eigenständiger Anspruch der Klägerin auf dynamische Anwendung der Tarifverträge und auf entsprechende Vergütungserhöhungen ergebe sich auch aus dem Unterrichtungsschreiben vom 2. November 2007 in Zusammenhang mit dem Betriebsübergang, welches auf die Mitgliedschaft der Beklagten in der Arbeitgeberorganisation verweist. Dieses Schreiben sei auch von der Beklagten unterzeichnet worden. Da in diesem Schreiben von einer Tarifgebundenheit der Beklagten ohne eine entsprechende Bindung der Klägerin gesprochen werde, liege nicht nur eine Wissenserklärung vor. Aus dem Schreiben sei nicht zu entnehmen, dass die vormals dynamische Verweisung nur noch statisch weiter gelten solle. Im Übrigen sei der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gleichstellungsabrede nicht zu folgen, wie das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (15. April 2002 – 2 Sa 48/02 -) bereits mit überzeugenden Argumenten entschieden habe.

29

Letztlich müsse man in einer Gesamtschau der Umstände (Unterrichtung über Tarifbindung, Weitergabe einer Tariferhöhung aus dem ETV Einzelhandel 2008, Aushang am schwarzen Brett vom 4. Januar 2010) von einer Gesamtzusage der dynamischen Tarifbindung ausgehen. Aufgrund der Anwendbarkeit des Entgelttarifvertrages für den Einzelhandel im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in dynamischer Form habe die Klägerin auch ab November 2009 einen Anspruch auf entsprechende höhere monatliche Vergütung.

30

Die Kürzung der Sonderzuwendung wegen der wenigen Ausfalltage wegen der Betreuung ihrer erkrankten Kinder in den Jahren 2009 und 2010 sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Auch dies habe das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern bereits mit überzeugenden Argumenten in einem ähnlich gelagerten Falle entschieden (Verweis auf Urteil vom 1. Dezember 2009 – 5 Sa 102/09 -).

31

Die Klägerin beantragt unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils

A.

1.

32

festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Entgelttarifvertrag für den Einzelhandel im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern 2009 — 2011 sowie der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern 2007 — 2010 Anwendung findet;

2.

33

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin nach Lohngruppe L2 — nach vollendetem 21. Lebensjahr — des Entgelttarifvertrages für den Einzelhandel im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern 2009 — 2011 zu vergüten;

3.

34

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin rückständige Differenzbeträge für die Monate

35

01/2011 i.H.v. 18,97 Euro
02/2011 i.H.v. 14,10 Euro
03/2011 i.H.v. 18,97 Euro
04/2011 i.H.v. 18,32 Euro
05/2011 i.H.v. 18,95 Euro
06/2011 i.H.v. 18,95 Euro
12/2010 i.H.v. 28,45 Euro
11/2010 i.H.v. 24,45 Euro
10/2010 i.H.v.  8,95 Euro
09/2010 i.H.v.  6,31 Euro
08/2010 i.H.v.  8,95 Euro
07/2010 i.H.v.  8,65 Euro
06/2010 i.H.v.  8,13 Euro
05/2010 i.H.v.  8,95 Euro
04/2010 i.H.v.  8,95 Euro
03/2010 i.H.v.  1,31 Euro
02/2010 i.H.v.  8,95 Euro
01/2010 i.H.v.  8,95 Euro
12/2009 i.H.v.  8,95 Euro
11/2009 i.H.v. 21,30 Euro

36

nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Ultimo des jeweiligen Monats der Differenzvergütungsansprüche 11/2009 — 06/2011 zu zahlen;

4.

37

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ausstehende Sonderzuwendung 2009 in Höhe von 168,63 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;

5.

38

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ausstehende Sonderzuwendung 2010 in Höhe von 225,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;

B.

39

– für den Fall der Abweisung der Anträge zu A. wird beantragt –

1.

40

festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Entgelttarifvertrag für den Einzelhandel im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern 2007 — 2009 sowie der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern 2007 — 2010 Anwendung finden;

2.

41

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ausstehende Sonderzuwendung 2009 in Höhe von 156,34 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;

3.

42

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ausstehende Sonderzuwendung 2010 in Höhe von 203,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;

C.

43

Äußerst hilfsweise — für den Fall der Klageabweisung auch der unter B. gestellten Anträge —

1.

44

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die ausstehende Sonderzuwendung 2009 in Höhe von 163,30 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

45

– Hilfsweise für den Fall der Abweisung des Antrages zu C. 1. –

1. a.

46

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die ausstehende Sonderzuwendung 2009 in Höhe von 138,08 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2.

47

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die ausstehende Sonderzuwendung 2010 in Höhe von 211,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

48

– dazu hilfsweise –

2.a.

49

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die ausstehende Sonderzuwendung 2010 in Höhe von 184,98 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

50

Die Beklagte beantragt,

51

die Berufung zurückzuweisen.

52

Die Beklagte ist der Ansicht, dass auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge nicht mehr in dynamischer Form anzuwenden seien, da die Beklagte zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs im November 2007 und auch in der Folgezeit bis Ende Juni 2011 nicht tarifgebunden gewesen sei. Geschuldet sei damit lediglich die Einhaltung des statisch nachwirkenden ETV Einzelhandel 2006. Die sich daraus ergebenden Verpflichtungen seien erfüllt, weitergehende Ansprüche bestünden nicht.

53

Die Beklagte sei im Dezember 2007 wirksam Mitglied ohne Tarifbindung im Einzelhandelsverband Nord e.V. geworden. Vor dem Betriebsübergang sei zwar eine tarifgebundene Mitgliedschaft geplant gewesen, diese sei jedoch letztlich an Organisationsproblemen der verschiedenen regionalen Arbeitgeberverbände des Einzelhandels gescheitert. Die Beklagte habe originär nur eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung beim Einzelhandelsverband Nord e.V. vereinbart. Es habe somit keinen Wechsel im Status gegeben, wie ihn die Klägerseite behauptet. Die Satzung des Einzelhandelsverbandes Nord e.V. sehe auch eine Mitgliedschaft vor, die von Anbeginn an ohne Tarifbindung erfolge.

54

Eine dynamische Anwendung der Tarifverträge ergäbe sich auch nicht kraft arbeitsvertraglicher Einbeziehung. Bei § 14 des Arbeitsvertrages aus dem Jahre 1999 handele es sich um eine typische Gleichstellungsabrede. Nach der Rechtsprechung des BAG seien bei Altverträgen bis zum Jahre 2001 (wie hier) dynamische Verweisungen auf Tarifverträge als Gleichstellungsabrede zu verstehen.

55

Die Tarifverträge seien auch nicht in dynamischer Form aufgrund des Unterrichtungsschreibens vom 2. November 2007 einbezogen worden. Dieses Schreiben enthalte keine rechtsgeschäftliche Zusage der Tarifbindung. Es verweise allein auf den § 613 a BGB. Eine Vereinbarung über eine Anwendung von Tarifverträgen sei hier nicht enthalten. Soweit in diesem Schreiben fehlerhaft eine mitgliedschaftliche Tarifbindung der Beklagten erwähnt worden sei, sei dies aufgrund der seinerzeit laufenden Verhandlungen über einen entsprechenden Beitritt der Beklagten nicht fehlerhaft gewesen. Letztendlich sei die Formulierung – sofern man sie als objektiv fehlerhaft ansehe – für eine Tarifbindung jedoch auch unerheblich, da es am rechtsgeschäftlichen Bindungswillen fehle.

56

Eine dynamische Bindung an die Tarifverträge sei auch nicht dadurch entstanden, dass die Beklagte die sich aus dem ETV Einzelhandel 2008 ergebenden Entgelterhöhungen an ihre Beschäftigten weitergegeben habe. Es habe sich um eine einmalige freiwillige Anpassung an die Tarifentwicklung gehandelt, die keinen Aussagewert für das zukünftige Verhalten habe. Man könne das weder als eine Gesamtzusage werten noch als die Verfestigung einer betrieblichen Übung.

57

Zur Kürzung der Sonderzuwendung in den Jahren 2009 und 2010 vertritt die Beklagte die Ansicht, dass § 12.3 Satz 2 MTV eine Kürzung der jährlichen Sonderzuwendung von 1/12 für jeden Monat zulasse, in dem die Klägerin auch nur teilweise wegen Betreuung ihrer erkrankten Kinder nicht zur Arbeit erscheinen konnte. Der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts, nach der die Kürzungsmöglichkeit nach § 12.3 Satz 2 MTV nur eröffnet sei, wenn sie in Zusammenhang mit einer mindestens einmonatigen Ausfallzeit nach § 12.3 Satz 1 MTV stehe, könne nicht gefolgt werden.

58

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

59

Die Berufung ist zulässig, sie hat aber nur zum Teil Erfolg. Der Klägerin steht für die Jahre 2009 und 2010 weitere Sonderzuwendung zu. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.

A.

60

Die Berufung ist auch ohne ihre ausdrückliche Zulassung durch das Arbeitsgericht aufgrund der Beschwer der Klägerin statthaft.

61

Nach § 64 Absatz 2 Buchst. b) ArbGG ist die Berufung unabhängig von der Zulassung durch das Arbeitsgericht statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 Euro übersteigt. Das ist hier der Fall.

62

Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil den Streitwert auf etwas über 8.500,00 Euro festgesetzt. An diese Festsetzung des Wertes ist das Berufungsgericht im Regelfall gebunden (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. zuletzt noch BAG 19. Januar 2011 – 3 AZR 111/09 – AP Nr. 43 zu § 64 ArbGG 1979 = NZA 2011, 1054). Geht man von einem Regelfall aus, ist damit der gesetzlich geforderte Beschwerdewert ohne weiteres erreicht.

63

Vorliegend sprechen allerdings die Umstände dafür, dass man nicht von einem Regelfall ausgehen kann. Denn bei dem vom Arbeitsgericht festgesetzten Streitwert sind offensichtlich auch die von der Klägerin vor dem Arbeitsgericht einstmals angekündigten und später wieder fallen gelassenen Anträge auf eine andere Eingruppierung (Eingruppierung als angestellte Verkäuferin statt als gewerbliche Auffüllerin) mit berücksichtigt worden. Aber selbst dann, wenn man den vom Arbeitsgericht ausgewiesenen Streitwert nicht zu Grunde legen könnte, erreicht die Berufung die notwendige Beschwer von 600,00 Euro. Allein schon die vom Arbeitsgericht abgewiesenen und im Berufungsrechtszug weiter verfolgten Zahlungsansprüche aus den Berufungsanträge A.3 bis A.5 summieren sich auf 661,42 Euro.

B.

64

Der klägerische Zahlungsantrag A.3 ist nicht begründet. Der Anspruch könnte nur begründet sein, wenn im Arbeitsverhältnis der Parteien der ETV Einzelhandel 2009 zur Anwendung kommen würde. Es ist der Klägerin nicht gelungen, einen Geltungsgrund für diesen Tarifvertrag schlüssig vorzutragen.

65

Für diese Feststellung kann dahinstehen, ob § 5.2 des Überleitungs- und Anerkennungstarifvertrags im Sinne der Beklagten so verstanden werden kann, dass dort mit normativer Wirkung für die Vergangenheit die fehlende Tarifbindung der Beklagten bis Ende Juni 2011 festgeschrieben worden ist. Denn auch unabhängig davon lässt sich die Bindung an den ETV Einzelhandel 2009 nicht feststellen.

I.

66

Die Anwendbarkeit des streitigen ETV Einzelhandel 2009 ergibt sich nicht aus einer Mitgliedschaft der Beklagten im Einzelhandelsverband Nord e.V.

1.

67

Mit ihrem Beitritt zum Einzelhandelsverband Nord e.V. Ende 2009 hat die Beklagte wirksam eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung begründet (OT-Mitgliedschaft).

a)

68

Arbeitgeberverbände sind aufgrund der ihnen durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz verliehenen Satzungsautonomie grundsätzlich befugt, in ihren Satzungen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) vorzusehen. Eine solche Regelung widerspricht im Grundsatz weder einfachem Recht noch Verfassungsrecht. Die Begründung einer OT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband setzt aber voraus, dass es für diese Mitgliedschaftsform zu dem Zeitpunkt, in dem sie begründet werden soll, eine wirksame satzungsmäßige Grundlage gibt (BAG 20. August 2009 – 4 AZR 300/08; LAG Mecklenburg-Vorpommern Urteile vom 6. Oktober 2011 – 1 Sa 76/11 – und – 1 Sa 77/11 -). Es reicht nicht aus, wenn die Satzung des Arbeitgeberverbandes für die Mitglieder ohne Tarifbindung lediglich die Rechtsfolge der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG abbedingt. Wegen des aus der Tarifautonomie folgenden notwendigen Gleichlaufs von Verantwortlichkeit und Betroffenheit hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen muss die Satzung eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und solchen ohne Tarifbindung vorsehen. Eine unmittelbare Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen ist nicht zulässig. Dies ist satzungsrechtlich abzusichern. OT-Mitglieder dürfen nicht in Tarifkommissionen entsandt werden oder den Verband im Außenverhältnis tarifpolitisch vertreten. Sie sind von der Verfügungsgewalt über Streik- oder Aussperrungsfonds auszuschließen. Weiter ist bei ihnen ein Stimmrecht bei Abstimmungen über die Festlegung von tarifpolitischen Zielen oder die Annahme von Tarifverhandlungsergebnissen auszuschließen (BAG Urteil vom 15. Dezember 2010 – 4 AZR 256/09 – AP Nr. 50 zu § 3 TVG = NZA-RR 2012, 260 zur OT-Mitgliedschaft im Verband der Kaufleute Sachsen-Anhalt e.V.).

b)

69

Entgegen der Auffassung der Klägerin erfüllt die Satzung des Einzelhandelsverbandes Nord e. V. in der Fassung vom 21. Dezember 2006 trotz der sehr allgemein gehaltenen Regelungen zur Trennung der Befugnisse von OT- und Vollmitgliedern die vom Bundesarbeitsgericht gestellten Anforderungen (ebenso LAG Mecklenburg-Vorpommern 6. Oktober 2011 aaO).

70

In § 4a der Satzung ist ausdrücklich eine OT-Mitgliedschaft vorgesehen. Nach § 4a Absatz 1 können Verbandsmitglieder den Ausschluss der Tarifbindung erklären. Diese Erklärung ist schriftlich an den Sitz der Geschäftsführung zu richten. In § 4a Absatz 2 der Satzung ist dann folgerichtig geregelt, dass OT-Mitglieder an Abstimmungen über tarifpolitische Entscheidungen nicht mitwirken dürfen. Mitwirkung umfasst auch die Nichtentsendung von OT-Mitgliedern in eine Tarifkommission, die Unterlassung tarifpolitischer Vertretung des Verbandes im Außenverhältnis durch OT-Mitglieder sowie den Mitwirkungsausschluss, was gegebenenfalls bestehende Streik- oder Aussperrungsfonds angeht (so auch BAG 15. Dezember 2010 aaO zu einer vergleichbaren Satzung).

71

Hinsichtlich der Ausgestaltung der für tarifpolitische Entscheidungen bestehenden Kommission, den sozialpolitischen Beiräten (§ 20 der Satzung), enthält die Satzung unter Ziffer 4. die ausdrückliche Regelung, dass nicht tarifgebundene Mitglieder nicht benannt werden können.

72

Damit ist die rechtlich geforderte abgrenzbare Verbandsmitgliedschaft mit bzw. ohne Tarifbindung gesichert.

c)

73

Das Berufungsgericht folgt der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass § 4a Absatz 1 der Satzung über seinen strengen Wortlaut hinaus auch die originäre Begründung einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ermöglicht und nicht nur einen nachträglichen Wechsel in die OT-Mitgliedschaft für bereits aufgenommene Mitglieder (ebenso LAG Mecklenburg-Vorpommern 6. Oktober 2011 aaO). Auf die Begründung des Arbeitsgerichts wird Bezug genommen.

74

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es aber auch gar nicht darauf an, ob die Satzung in diesem Sinne ausgelegt werden kann. Denn selbst dann, wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass die Beklagte erst reguläres Mitglied des Einzelhandelsverbandes geworden ist, um sodann gleich auf die Option zu OT-Mitgliedschaft aus § 4a der Satzung zurückzugreifen, wäre die Beklagte nur an die Tarifverträge gebunden, die Ende 2007 bereits abgeschlossen gewesen waren. Die von der Klägerin gewünschte Geltung des ETV Einzelhandel 2008 und die Geltung der ihm nachfolgenden Tarifverträge wäre damit immer noch nicht begründet.

2.

75

Die Beklagte ist auch zu keinem anderen Zeitpunkt ordentliches Mitglied des Einzelhandelsverbandes Nord e.V. mit Tarifbindung geworden. Diese Feststellung des Arbeitsgerichts ist durch den Berufungsvortrag nicht in Frage gestellt.

76

Entgegen der Mitteilung in dem Unterrichtungsschreiben zum Betriebsübergang vom 2. November 2007 war die Beklagte als Betriebserwerberin seinerzeit nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband. Dieser etwas irritierende Umstand ist im Rechtsstreit damit erläutert worden, dass zunächst vorgesehen gewesen sei, dass die Beklagte eine Mitgliedschaft begründe. Bei der Umsetzung dieses Zieles habe es jedoch organisationsrechtliche Probleme gegeben, da die von M. übernommenen Betriebe im Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher regionaler Arbeitsgeberverbände des Einzelhandels befunden hätten. Später habe man sich dann dazu entschlossen, nur noch eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung im Einzelhandelsverband Nord e.V. anzustreben. Dieser Darstellung ist die Klägerin nicht entgegengetreten. Sie hat auch kein anderes Ereignis benannt, durch das die Mitgliedschaft der Beklagten im Einzelhandelsverband begründet worden sein soll.

II.

77

Die gewünschte Tarifbindung ergibt sich auch nicht aus der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf das Tarifwerk des Einzelhandels. Auch insoweit folgt das Berufungsgericht dem Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender und überzeugender Begründung ausgeführt, dass es sich bei der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrages (§ 14 des Arbeitsvertrages aus dem Jahre 1999, hier Blatt 8 ff d. A.) um eine sogenannte Gleichstellungsabrede nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehandelt hat. Die Berufungsbegründung rechtfertigt ein anderes Ergebnis nicht. Das dort genannte Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. April 2002 (2 Sa 48/02) ist durch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 19. März 2003 – 4 AZR 331/02 – aufgehoben worden.

78

Die Hinweise der Klägerin zu den angeblichen Besonderheiten der vorliegenden Bezugnahmeklausel auf das Tarifwerk vermögen nicht zu überzeugen. Soweit es im Arbeitsvertrag heißt, die Tarifverträge seien (lediglich) „ergänzend“ heranzuziehen, vermag das Gericht darin keine Besonderheit zu erkennen. Es handelt sich vielmehr um eine häufig anzutreffende Formulierung, die nahezu keinen eigenen Aussagegehalt hat. Man kann ihr jedenfalls nicht die Aussage entnehmen, dass alle im Arbeitsvertrag vorgenommen ausdrücklichen Regelungen den tariflichen Regelungen vorgehen sollten. Denn das würde unter anderem bedeuten, dass der Klägerin nach wie vor nur der dort im Arbeitsvertrag ausgewiesene Lohn zustehen würde. Die Parteien haben das Arbeitsverhältnis anders gelebt und durchgeführt. Das lässt den Rückschluss zu, dass sie dem Begriff „ergänzend“ jedenfalls nicht die rechtsgeschäftliche Bedeutung beimessen wollten, dass die arbeitsvertraglichen Regelungen den tariflichen Regelungen vorgehen sollten. Damit gelangt man wieder zu dem Kerngedanken der älteren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass die Bezugnahmeklausel in erster Linie den Sinn hatte, die Geltung des Tarifvertrages gegenüber der gesamten Belegschaft ohne Rücksicht auf eine eventuell bestehende Gewerkschaftszugehörigkeit zu bewirken. Wenn dann aber – wie hier durch den Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber – die Tarifbindung endet, kann sich auch aus dem Arbeitsvertrag keine weitergehende Rechtsposition ergeben.

79

Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2005 (4 AZR 536/04) ist eine dynamische Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Vertrag, sollte dieser vor 2002 abgeschlossen worden sein, typischerweise als Gleichstellungsabrede zu verstehen. Bei einer arbeitsvertraglichen Gleichstellungsabrede werden die in Bezug genommenen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis angewandt, solange der Arbeitgeber an diese Tarifverträge gebunden ist. Dagegen sind Tarifverträge bzw. deren Fassungen, die erst nach Ende der Tarifgebundenheit vereinbart werden, nicht auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Wegen des Zweckes der Gleichstellung gewährleistet die arbeitsvertragliche Gleichstellungsabrede dem Arbeitnehmer nicht die dauerhafte Teilhabe an Tarifentwicklungen unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers.

80

Aus diesem Grunde blieben die 2007 zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Tarifverträge sodann nur noch statischer Inhalt des Arbeitsvertrages. Dies galt insbesondere für den ETV Einzelhandel 2006. An danach abgeschlossenen Tarifverträgen bzw. Tarifvertragsänderungen konnte die Klägerin nicht mehr teilnehmen. Das gilt auch für den hier streitigen ETV Einzelhandel 2009.

III.

81

Die Tarifbindung der Beklagten ergibt sich auch nicht aus anderen Umständen.

82

Das Unterrichtungsschreiben vom 2. November 2007 führt nicht zu einer tariflichen Bindung der Beklagten an die Tarifverträge des Einzelhandels in Mecklenburg-Vorpommern. Bei diesem Schreiben handelt es sich nicht um eine vertragliche Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Klägerin. Dieses Schreiben beinhaltet auch kein Vertragsangebot der Beklagten, das die Klägerin durch die Fortsetzung ihrer Tätigkeit angenommen hätte. Insoweit ist ein Rechtsbindungswille der Beklagten nicht erkennbar. Die Beklagte hat mit dem Schreiben lediglich ihre gesetzliche Pflicht aus § 613a Absatz 5 BGB zur Unterrichtung über die Einzelheiten des Betriebsübergangs erfüllt. Schon dieser Umstand steht der Annahme entgegen, die Beklagte habe damit rechtsgeschäftliche Versprechungen gegenüber der Klägerin vornehmen wollen.

83

Auch der Umstand, dass die Beklagte nach dem Betriebsübergang zunächst die Tariferhöhung aus dem ETV Einzelhandel 2008 an die Klägerin weitergegeben hatte, vermag eine für die Klägerin günstige Rechtsposition nicht zu begründen. Die Klägerin weist zutreffend selber darauf hin, dass die Beklagte, wenn sie gedanklich für eine logische Sekunde Ende 2007 reguläres Mitglied im Einzelhandelsverband Nord e.V. geworden ist, sich möglicherweise auch den seinerzeit bereits verhandelten kommenden Entgelttarifvertrag noch zurechnen lassen müsse. Im Übrigen kann man aus der einmaligen Weitergabe einer Tariflohnerhöhung ohne eine dahingehende Rechtspflicht noch nicht auf einen rechtsgeschäftlichen Bindungswillen der Beklagten schließen.

84

Für die Kammer ist zwar nachvollziehbar, dass sich die Klägerin insbesondere durch die Formulierung im Unterrichtungsschreiben vom 2. November 2007 getäuscht gefühlt hat und ihr Vertrauen verletzt ist. Den streitgegenständlichen Anspruch vermag das jedoch nicht zu begründen. Die objektiv wahrheitswidrige Information über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs hätte gegebenenfalls zur Konsequenz haben können, dass die Widerspruchsfrist des § 613 Absatz 6 BGB nicht zu laufen begonnen hätte und die Klägerin unter Umständen noch ein Widerspruchsrecht gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses hätte. Weiter wäre denkbar ein Schadensersatzanspruch, wenn die Klägerin im Vertrauen auf die Richtigkeit der Information Dispositionen getroffen hätte. Derartige Ansprüche sind jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

85

Auch der Aushang der Beklagten am "Schwarzen Brett" vom 4. Januar 2010 kann nicht zu Gunsten der Rechtsposition der Klägerin gewertet werden. Der Aushang steht erkennbar im Kontext der bereits angelaufenen Tarifvertragsverhandlungen für einen Anerkennungstarifvertrag, wie er dann im Sommer 2010 auch abgeschlossen wurde. Die Beklagte wollte damit keine vergangenheitsbezogenen Versprechungen machen, sondern sie hat nur darauf hingewiesen, dass für den Fall des erfolgreichen Abschlusses der Tarifvertragsverhandlungen alle Mitglieder der Belegschaft wegen der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme der Tarifverträge davon profitieren würden und nicht nur die Mitglieder der Gewerkschaft.

86

Da keiner der von der Klägerin vorgetragenen Umstände als Indiz für eine gewollte Tarifbindung ausreicht, kann sich aus der Gesamtschau der Umstände keine andere Folgerung ergeben. Es liegt weder eine betriebliche Übung zur Tarifanwendung vor noch kann man von einer Gesamtzusage der Tarifbindung sprechen.

C.

87

Auch die Feststellungsanträge A.1 und A.2 sind nicht begründet. Wegen der Einzelheiten kann auf die bisherigen Ausführungen zum Klageantrag A.3 Bezug genommen werden (oben B).

88

Auch die Berufung gegen die Zurückweisung des Hilfs-Feststellungsantrags B.1 durch das Arbeitsgericht ist unbegründet. Der Antrag ist unzulässig. Mit dem Antrag will die Klägerin die gerichtliche Feststellung erreichen, dass der ETV Einzelhandel 2008 und der Manteltarifvertrag vom 1. Januar 2007 im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt. Letzteres ist zwischen den Parteien nicht in Streit und bedarf daher keiner gerichtlichen Klärung. Ersteres ist zwar in Streit, der Streit kann aber keine wirtschaftlichen Folgen haben, da die Beklagte den ETV Einzelhandel 2008 auch ohne entsprechende Rechtspflicht im Arbeitsverhältnis der Parteien vollständig angewendet hat. Für eine Feststellung, die keine Konsequenzen im Arbeitsverhältnis der Parteien haben könnte, besteht kein Rechtsschutzinteresse.

D.

89

Die Berufung ist begründet, soweit die Klägerin weitere Sonderzuwendung für die Jahre 2009 und 2010 fordert. Die Klägerin hat Anspruch auf die Zahlung weiterer Sonderzuwendung für das Jahr 2009 in Höhe von 156,34 Euro brutto und für das Jahr 2010 in Höhe von 211,06 Euro brutto.

I.

90

§ 12 MTV lautet soweit hier von Interesse:

91

„1.

92

Anspruch auf Sonderzuwendung für ein Kalenderjahr haben Arbeitnehmer, die jeweils am 1. Dezember des Jahres dem Betrieb mindestens 12 Monate ununterbrochen angehören.

2.

93

Die Sonderzuwendung beträgt 50 % des individuell dem Anspruchsberechtigten für den Monat November bzw. den Monat des Austritts zustehenden Tarifentgelts. Die Sonderzuwendung ist spätestens zum 30.11. des laufenden Jahres zu zahlen.

3.

94

Dieser Anspruch besteht nur für Zeiten, in denen ein Entgeltanspruch besteht. Für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht volle Monate tätig war, kann die tarifliche Sonderzuwendung um 1/12 gekürzt werden.

4.

95

Vom 13. Monat einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit an erhalten ausscheidende Arbeitnehmer im Austrittsjahr für jeden vollen Kalendermonat der Beschäftigung 1/12 der ihnen zustehenden Sonderzuwendung.

5.

96

Scheidet ein Anspruchsberechtigter wegen verschuldeter fristloser Kündigung oder wegen einer vertragswidrigen Lösung des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses aus dem Betrieb aus, so entfällt der Anspruch auf die Sonderzuwendung für das laufende Kalenderjahr. Eine bereits gezahlte Sonderzuwendung ist in voller Höhe zurückzuzahlen.

6.

97

…“

98

Da die Klägerin sowohl 2009 als auch 2010 die Voraussetzungen von § 12.1 erfüllt hat, steht ihr in beiden Jahren eine Sonderzuwendung in Höhe des hälftigen Novemberentgelts nach § 12.2 MTV zu.

II.

99

Die Voraussetzungen aus § 12.3 MTV zu einer ratierlichen Kürzung der Sonderzuwendung sind dagegen weder für das Jahr 2009 noch für das Jahr 2010 in der Person der Klägerin gegeben.

100

Der normative Teil eines Tarifvertrages ist nach den für Gesetze geltenden Regeln auszulegen. Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne an den Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist jedoch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck, zutreffend ermittelt werden kann (z. B. BAG Urteil vom 18. Mai 2006 - 6 AZR 422/05 - ZTR 2007, 42; BAG Urteil vom 28. Mai 1998 - 6 AZR 349/96 - AP Nr. 52 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag). Noch verbleibende Zweifel können ohne Bindung an eine Reihenfolge mittels weiterer Kriterien, wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch der praktischen Tarifübung, geklärt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 578/01 – AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Wohnungswirtschaft = DB 2002, 2493; BAG 5. Oktober 1999 - 4 AZR 578/98 - AP Nr. 15 zu § 4 TVG Verdienstsicherung).

101

Vorliegend ist der Wortlaut der Vorschrift dunkel und unklar und er bringt den Regelungsplan der Tarifparteien nur unvollständig zum Ausdruck. Der gemeinte Sinn lässt sich jedoch durch Rückgriff auf andere Regelungen im MTV erschließen.

1.

102

Der Aussagegehalt von § 12.3 MTV ist unklar, denn aus der Vorschrift geht nicht hervor, zu welchem Zeitpunkt oder in welchem Zeitraum der Entgeltanspruch „bestehen“ muss, damit die Sonderzuwendung ungekürzt zusteht. Aus dem Zusammenhang mit den anderen Regelungen aus § 12 MTV ergibt sich allerdings, dass die Tarifvertragsparteien wohl die Vorstellung eines Referenzzeitraums für dasEntstehen des Anspruchs (genauer: der Anwartschaft für den Anspruch) hatten, und Zeiten ohne Entgeltanspruch im Referenzzeitraum die Kürzungsmöglichkeit eröffnen sollte.

103

Der Referenzzeitraum ist das Kalenderjahr. Das ergibt sich aus § 12.1 MTV, wonach der Anspruch auf die Sonderzuwendung „für ein Kalenderjahr“ besteht.

104

Dass die Tarifvertragsparteien dabei von der Vorstellung ausgegangen sind, dass die Sonderzuwendung sozusagen monatsweise erdient werden müsse, ergibt sich indirekt aus § 12.4 MTV, wonach beim Ausscheiden im laufenden Kalenderjahr für jeden erreichten vollen Kalendermonat der Beschäftigung im Austrittsjahr 1/12 der Zuwendung zu zahlen ist. Das zeigt, dass die Tarifvertragsparteien von einem stetigen Anwachsen des Anspruchs in jedem Kalenderjahr ausgehen. Diese Vorstellung des Entstehens und Anwachsens des Anspruchs liegt erkennbar auch der Regelung zur Kürzung der Sonderzuwendung in § 12.3 MTV zu Grunde. Denn nur dann, wenn man annimmt, dass auch der Regelung in § 12.3 MTV der Gedanke eines Referenzzeitraums, in dem der Anspruch erdient werden muss, zu Grunde liegt, kann man der Regelung, dass der Anspruch (genauer: die Anwartschaft auf den Anspruch) nur für Zeiten besteht (genauer: entsteht), in denen ein Entgeltanspruch besteht, überhaupt einen Sinn beimessen.

2.

105

Trotzdem bleibt das Verhältnis der beiden Sätze des § 12.3 MTV zueinander unklar.

106

Nach Satz 1 besteht (besser gesagt: entsteht) der Anspruch nur in den Zeiten des Kalenderjahres, in denen dem Arbeitnehmer auch ein Entgeltanspruch zusteht. Satz 2 stellt nicht auf den fehlenden Entgeltanspruch ab, sondern stellt in seinem Tatbestand auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers ab. Den unterschiedlichen Formulierungen entspricht allerdings kein unterschiedlicher Regelungsgehalt. Der Anspruch auf die Sonderzuwendung soll gar nicht entstehen (Satz 1) oder jedenfalls gekürzt werden können (Satz 2), wenn im Referenzzeitraum Zeiten liegen, zu denen das Arbeitsverhältnis nicht aktiv durchgeführt wurde, sei es, dass keine Entgeltzahlungspflicht bestanden hat, sei es, dass der Arbeitnehmer nicht tätig geworden ist.

107

Aber selbst dieser Schritt zur Harmonisierung des Aussagegehalts der beiden Sätze aus § 12.3 MTV führt noch nicht zu einer restlosen Klärung des Aussagegehalts der Norm. Denn wenn nach Satz 1 der Anspruch ohnehin nur für Zeiten entstehen kann, in denen dem Arbeitnehmer ein Entgeltanspruch zusteht, macht die Regelung in Satz 2, nach der dem Arbeitgeber eine Kürzungsmöglichkeit zusteht, wenn der Arbeitnehmer nicht volle Monate tätig war, eigentlich keinen Sinn, denn sie regelt nur etwas, was sich ohnehin bereits aus Satz 1 ergibt. Das gilt auch umgekehrt. Wenn es der tarifpolitische Sinn war, die Höhe der Zuwendung an die tatsächliche aktive Durchführung des Arbeitsverhältnisses zu binden, hätte es ausgereicht § 12.3 Satz 2 MTV in den Tarifvertrag aufzunehmen. Nimmt man Satz 2 als den Grundsatz, ergibt sich aus Satz 1 nichts, was nicht auch durch Satz 2 erreichbar wäre.

108

Eine sinnvolle Abschichtung der beiden Sätze ergibt sich erst dann, wenn man § 12.3 Satz 1 MTV so versteht, dass es sich bei den dort erwähnten „Zeiten“ um Kalendermonate im Referenzzeitraum handelt. Ein Indiz für diesen Sinn des Begriffs Zeit ergibt sich auch aus der Erwähnung des nicht bestehenden Entgeltanspruchs, denn auch das Entgelt wird im Regelfall monatsweise berechnet und ausgezahlt. Demnach entsteht der auf einen Kalendermonat entfallende Anteil der Sonderzuwendung schon gar nicht, sofern in einem Abrechnungszeitraum im Referenzzeitraum überhaupt kein Entgeltanspruch besteht (§ 12.3 Satz 1 MTV). Liegen im Kalenderjahr also ein oder mehrere Monate, für die der Arbeitnehmer kein Entgelt beanspruchen kann, beispielsweise im Falle einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit nach Auslaufen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung, entsteht der Anspruch automatisch nur in einem gekürzten Umfang, wobei man wohl wegen des Umfangs der Kürzung auf die Kürzungsregel aus § 12.4 MTV zurückgreifen könnte und müsste.

109

Aus dieser Deutung von § 12.3 Satz 1 MTV ergibt sich dann auch der Sinn von § 12.3 Satz 2 MTV. Nach dieser Vorschrift kann der Arbeitgeber durch einseitige Bestimmung für jeden Monat, in dem der Arbeitnehmer nicht durchgehend Entgelt bezogen hat bzw. tätig war, die Sonderzuwendung um 1/12 kürzen.

3.

110

Das Gericht hält insoweit auch an seiner Auffassung aus dem Urteil vom 1. Dezember 2009 (5 Sa 102/09) fest, dass die Kürzungsmöglichkeit aus § 12.3 Satz 2 MTV nur gegeben ist, wenn es sich um einen Ausfallzeitraum des Arbeitnehmers handelt, der über mehr als einen Monat andauert und daher sowohl von § 12.3 Satz 1 MTV als auch von § 12.3 Satz 2 MTV erfasst wird.

111

Das Gericht hat diesen Standpunkt mit der bereits oben erwähnten sprachlichen Ungenauigkeit in § 12.3 Satz 1 MTV begründet. Nach dem Tariftext „besteht“ der Anspruch auf die Sonderzuwendung nur für Zeiten, in denen ein Entgeltanspruch besteht. Gemeint ist aber offensichtlich, dass der Anspruch nur für die Zeiten „entsteht“ im Sinne von anwächst, in denen (im Referenzzeitraum) ein Entgeltanspruch bestanden hat. Diese fehlende Differenzierung im Tariftext zwischen dem fehlenden Entgeltanspruch im Fälligkeitsmonat und dem fehlenden Entgeltanspruch im Referenzzeitraum, in dem der Anspruch auf die Sonderzuwendung normalerweise Monat für Monat anwächst, ist allenfalls dann hinnehmbar und unschädlich, wenn man davon ausgeht, dass die Tarifvertragsparteien mit § 12.3 MTV ohnehin nur lang andauernde Ausfallzeiten wie bei einer lang andauernden Arbeitsunfähigkeit oder bei einer Elternzeit anspruchsvernichtend berücksichtigen wollten. Denn wenn die Ausfallzeit ohnehin viele Monate andauert, wird es mehr und mehr zu einer rein akademischen Frage, ob sich das Fehlen des Entgeltanspruchs auf den Fälligkeitsmonat oder auf die Ansparmonate im Referenzzeitraum beziehen soll (vgl. zu ähnlichen Überlegungen auch BAG 31. Juli 2002 aaO, Randnummer 38 ff).

112

Geht man von der Auslegung der Tarifvorschrift in dem vorerwähnten Urteil der hiesigen Kammer vom 1. Dezember 2009 aus, kann der Anspruch der Klägerin auf die Sonderzuwendung weder für 2009 noch für 2010 gekürzt werden, da die Klägerin immer nur wenige Tage ausgefallen war. Da § 12.3 Satz 1 MTV nicht eröffnet ist, kann auch § 12.3 Satz 2 MTV nicht zur Anwendung kommen.

4.

113

Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kann offen bleiben, ob an dieser Auslegung von § 12.3 MTV festgehalten werden kann. Denn auch dann, wenn man mit der Beklagten und dem diese vor Gericht vertretenden Einzelhandelsverband Nord e.V. in § 12.3 Satz 2 MTV eine eigenständige Möglichkeit der Kürzung der Sonderzuwendung für den Fall des fehlenden Entgeltanspruchs für Bruchteile eines Monats im Referenzzeitraum sieht, ist die vorliegende Kürzung der Sonderzuwendung in beiden Jahren unwirksam, denn sie entspricht nicht der Billigkeit im Sinne von § 315 BGB.

a)

114

Im Gegensatz zu § 12.3 Satz 1 MTV tritt die Kürzung der Sonderzuwendung nach § 12.3 Satz 2 MTV nicht automatisch bei Vorliegen des Tatbestandes ein. Sie hängt vielmehr von einer Willensentscheidung des Arbeitgebers ab. Das wird im Tarifvertrag dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Kürzung als eine Option für den Arbeitgeber ausgestaltet ist („kann … gekürzt werden“).

115

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des hiesigen Landesarbeitsgerichts, dass der Arbeitgeber bei der Ausübung des Optionsrechts an den Maßstab des billigen Ermessens aus § 315 BGB gebunden ist (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 2. Juni 2005 – 1 Sa 551/04 – und vom 16. Mai 2008 – 3 Sa 20/08; ebenso LAG Mecklenburg-Vorpommern 1. Dezember 2009 aaO).

b)

116

Die Kürzung der Sonderzuwendung wegen der wenigen Ausfalltage der Klägerin, die noch dazu durch die Erkrankung eines ihrer Kinder entstanden sind, lässt sich mit dem Maßstab des billigen Ermessens nicht in Einklang bringen. Billigem Ermessen hätte es allein entsprochen, keine Kürzung aus dem gegebenen Anlass vorzunehmen.

117

Für die Auslegung des Billigkeitsmaßstabes hatte sich die Erste Kammer des Gerichts in ihrer Entscheidung vom 2. Juni 2005 (aaO) seinerzeit an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anwendung von § 616 BGB auf die Fälle der Ausfallzeiten wegen eines erkrankten Kindes aus der Zeit angelehnt, als es die Regelung in § 45 SGB V noch nicht gab. Das Bundesarbeitsgericht hatte dazu unter dem 19. April 1978 (5 AZR 834/76 - BAGE 30, 240 = AP Nr. 48 zu § 616 BGB = DB 1978, 1595) entschieden, dass der Arbeitnehmer - sogar unter Fortzahlung der Vergütung - von der Pflicht zur Arbeitsleistung befreit sei, wenn ein im Haushalt des Arbeitnehmers lebendes Kind unter acht Jahren wegen einer Erkrankung nach ärztlichem Zeugnis der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege des Arbeitnehmers bedarf, weil eine andere im Haushalt des Arbeitnehmers lebende Person hierfür nicht zur Verfügung stehe. Das Gericht hat die Dauer der berechtigten Ausfallzeit im Rahmen von § 616 BGB im Regelfall auf bis zu fünf Arbeitstage in jedem Anlassfall begrenzt.

118

Diese Rechtsprechung lässt sich allerdings nach Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht ohne weiteres auf die heutige Zeit, in der eine veränderte Gesetzeslage zu berücksichtigen ist, übertragen. Denn wenn der Gesetzgeber nach § 45 SGB V dem Arbeitnehmer für bestimmte Zeiträume einen Krankengeldanspruch zuerkennt, wenn sein Kind erkrankt ist und der Pflege bedarf, würde es billigem Ermessen widersprechen, wenn der Arbeitgeber diese gesetzlich geförderten Betreuungszeiten für erkrankte Kinder zum Anlass nehmen dürfte, die Sonderzuwendung auf Basis seines tariflich eingeräumten Ermessens zu kürzen (so schon Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 1. Dezember 2009 aaO).

119

Da die Klägerin sowohl im Jahre 2009 als auch im Jahre 2010 während der Ausfallzeiten Krankengeld nach § 45 SGB V bezogen hatte, muss das Gericht davon ausgehen, dass sich ihre Ausfallzeiten noch im Rahmen von § 45 SGB V bewegt hatten. Damit kommt eine daraus abgeleitete Anspruchskürzung nicht in Betracht. Dies entspricht auch der Wertung, die das Bundesarbeitsgericht in dem bereits mehrfach erwähnten Urteil vom 31. Juli 2002 (10 AZR 578/01 – Randnummer 41) für den dortigen Tarifvertrag vorgenommen hat.

c)

120

Unabhängig von dieser Überlegung widerspricht die vorgenommene Kürzung jedoch dem Grundsatz des billigen Ermessens auch unter dem Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit. Eine Kürzung der Sonderzuwendung um 1/12 wegen einiger weniger Ausfalltage im Monat ist maßlos und kann schon von daher nicht billigem Ermessen entsprechen.

121

Das gibt sich schon aus einem wertenden Vergleich von § 12.3 Satz 1 MTV und § 12.3 Satz 2 MTV. Denn nach Satz 1 entsteht der Anspruch auf die Sonderzuwendung bei vollständigen Ausfallmonaten auch nur um 1/12 je Ausfallmonat gemindert. Will man eine billige Kürzung für Ausfallzeiten im Umfang eines Bruchteils eines Monats vornehmen, muss diese in ihren Auswirkungen deutlich hinter der vollen Kürzung zurückbleiben, es sei denn es sei annähernd ein vollständiger Monat ausgefallen. Liegen nur vereinzelte Ausfalltage vor, muss eine Kürzung im Regelfall schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unterblieben oder deutlich geringer ausfallen.

122

Das Gericht sieht sich in dieser Bewertung bestätigt durch § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Diese Norm ist zwar hier nicht unmittelbar anwendbar, da sie nur Regelungen für die Möglichkeit der Vereinbarung von Kürzungen von Sondervergütungen bei Auftreten von krankheitsbedingten Ausfalltagen enthält. Gleichwohl kann ihr ein Hinweis entnommen werden, wie sich der Gesetzgeber eine verhältnismäßige Berücksichtigung von Ausfalltagen auf die Höhe von Sondervergütungen vorstellt. Nach § 4a Satz 2 EFZG darf die Kürzung für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelt, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten. Geht man für eine überschlägige Vergleichsrechnung von 20 Arbeitstagen im Monat aus, könnte man also für jeden Ausfalltag die Sondervergütung um 1/80 des Monatseinkommens kürzen. Da die Sonderzuwendung in Höhe eines halben Monatsentgelts gezahlt wird, könnte man diese bei Zugrundelegung des Maßstabes aus § 4a Satz 2 EFZG für jeden Ausfalltag also maximal um etwa 1/40 der geschuldeten Summe kürzen.

5.

123

Der Klägerin steht für 2009 als Sonderzuwendung nach § 12 MTV daher eine weitere Zahlung in Höhe von 156,34 Euro brutto zu.

124

Bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit ihren auf die Tarifbindung zielenden Zahlungs- und Feststellungsanträgen nicht durchdringen konnte. Der Berechnung kann daher nur das Einkommen zu Grunde gelegt werden, das die Beklagte der Klägerin berechnet und ausgezahlt hat. Auf Basis der Berechnung der Beklagten ist zu ermitteln, um welchen Geldbetrag die Beklagte die Sonderzuwendung gekürzt hat. Dieser steht der Klägerin als weiter Auszahlungsbetrag zu.

125

Die Klägerin hat im Jahre 2009 eine Sonderzuwendung in Höhe von 469,02 Euro brutto erhalten. Dieser Betrag entspricht 9/12 der vollen Sonderzuwendung. Die volle Sonderzuwendung beträgt damit 12/9 der tatsächlich ausgezahlten Sonderzuwendung, hier also 625,36 Euro brutto. Damit sind noch 156,34 Euro brutto offen, die die Beklagte noch leisten muss.

126

Für das Jahr 2010 ergibt sich auf demselben Rechenweg ein noch offener Anteil für die Sonderzuwendung in Höhe von 211,06 Euro brutto.

127

Damit ist die Klägerin mit ihrem Hilfs-Berufungsantrag zu B.2 und dem Hilfs-Hilfs-Berufungsantrag zu C. 2. durchgedrungen. Damit ist die Berufung gleichzeitig hinsichtlich der darauf bezogenen vorgehenden Haupt- und Hilfsanträge zurückgewiesen. Die den zugesprochenen Anträgen noch nachgeordneten weiteren Hilfsanträge fallen nicht mehr zur Entscheidung an.

E.

128

Die Kosten des Rechtsstreits sind gegeneinander aufgehoben. Dies entspricht ungefähr den Anteilen des Obsiegens und Unterliegens der Parteien mit den Zahlungsanträgen; die zurückgewiesenen Haupt- und Hilfs-Feststellungsanträge bedürfen keiner gesonderten Berücksichtigung, da die Zahlungsanträgen den gesamten Streitzeitraum umfassen (§ 92 ZPO).

129

Das Gericht hat die Revision nach § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen, soweit es der Klage stattgegeben hat.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.
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Annotations

(1) Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Diese Vorschrift gilt entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.

(2) Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

(3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.

(4) Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung von tariflichen Rechten ist ausgeschlossen. Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.

(5) Nach Ablauf des Tarifvertrags gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, daß sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. § 10 Abs. 4 und § 44 Absatz 2 gelten.

(2) Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 besteht in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für 10 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 20 Arbeitstage. Der Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr. Das Krankengeld nach Absatz 1 beträgt 90 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt der Versicherten, bei Bezug von beitragspflichtigem einmalig gezahltem Arbeitsentgelt (§ 23a des Vierten Buches) in den der Freistellung von Arbeitsleistung nach Absatz 3 vorangegangenen zwölf Kalendermonaten 100 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt; es darf 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 Absatz 3 nicht überschreiten. Erfolgt die Berechnung des Krankengeldes nach Absatz 1 aus Arbeitseinkommen, beträgt dies 70 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt. § 47 Absatz 1 Satz 6 bis 8 und Absatz 4 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(2a) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 besteht der Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 für das Jahr 2023 für jedes Kind längstens für 30 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 60 Arbeitstage. Der Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als 65 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 130 Arbeitstage. Der Anspruch nach Absatz 1 besteht bis zum Ablauf des 7. April 2023 auch dann, wenn Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten aufgrund des Infektionsschutzgesetzes vorübergehend geschlossen werden oder deren Betreten, auch aufgrund einer Absonderung, untersagt wird, oder wenn von der zuständigen Behörde aus Gründen des Infektionsschutzes Schul- oder Betriebsferien angeordnet oder verlängert werden, die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben oder der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird oder das Kind aufgrund einer behördlichen Empfehlung die Einrichtung nicht besucht. Die Schließung der Schule, der Einrichtung zur Betreuung von Kindern oder der Einrichtung für Menschen mit Behinderung, das Betretungsverbot, die Verlängerung der Schul- oder Betriebsferien, die Aussetzung der Präsenzpflicht in einer Schule, die Einschränkung des Zugangs zum Kinderbetreuungsangebot oder das Vorliegen einer behördlichen Empfehlung, vom Besuch der Einrichtung abzusehen, ist der Krankenkasse auf geeignete Weise nachzuweisen; die Krankenkasse kann die Vorlage einer Bescheinigung der Einrichtung oder der Schule verlangen.

(2b) Für die Zeit des Bezugs von Krankengeld nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2a Satz 3 ruht für beide Elternteile der Anspruch nach § 56 Absatz 1a des Infektionsschutzgesetzes.

(3) Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 haben für die Dauer dieses Anspruchs gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Wird der Freistellungsanspruch nach Satz 1 geltend gemacht, bevor die Krankenkasse ihre Leistungsverpflichtung nach Absatz 1 anerkannt hat, und sind die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt, ist der Arbeitgeber berechtigt, die gewährte Freistellung von der Arbeitsleistung auf einen späteren Freistellungsanspruch zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes anzurechnen. Der Freistellungsanspruch nach Satz 1 kann nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden.

(4) Versicherte haben ferner Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, sofern das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet,

a)
die progredient verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat,
b)
bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist und
c)
die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt.
Der Anspruch besteht nur für ein Elternteil. Absatz 1 Satz 2, Absatz 3 und § 47 gelten entsprechend.

(5) Anspruch auf unbezahlte Freistellung nach den Absätzen 3 und 4 haben auch Arbeitnehmer, die nicht Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 sind.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist.

(2) Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist.

(3) Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet.

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.

(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.

(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:

1.
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2.
den Grund für den Übergang,
3.
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4.
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.

Der zur Dienstleistung Verpflichtete hat die Dienste im Zweifel in Person zu leisten. Der Anspruch auf die Dienste ist im Zweifel nicht übertragbar.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

(1) Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können.

(2) Tarifverträge bedürfen der Schriftform.

(1) Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Diese Vorschrift gilt entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.

(2) Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

(3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.

(4) Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung von tariflichen Rechten ist ausgeschlossen. Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.

(5) Nach Ablauf des Tarifvertrags gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, daß sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. § 10 Abs. 4 und § 44 Absatz 2 gelten.

(2) Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 besteht in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für 10 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 20 Arbeitstage. Der Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr. Das Krankengeld nach Absatz 1 beträgt 90 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt der Versicherten, bei Bezug von beitragspflichtigem einmalig gezahltem Arbeitsentgelt (§ 23a des Vierten Buches) in den der Freistellung von Arbeitsleistung nach Absatz 3 vorangegangenen zwölf Kalendermonaten 100 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt; es darf 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 Absatz 3 nicht überschreiten. Erfolgt die Berechnung des Krankengeldes nach Absatz 1 aus Arbeitseinkommen, beträgt dies 70 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt. § 47 Absatz 1 Satz 6 bis 8 und Absatz 4 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(2a) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 besteht der Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 für das Jahr 2023 für jedes Kind längstens für 30 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 60 Arbeitstage. Der Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als 65 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 130 Arbeitstage. Der Anspruch nach Absatz 1 besteht bis zum Ablauf des 7. April 2023 auch dann, wenn Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten aufgrund des Infektionsschutzgesetzes vorübergehend geschlossen werden oder deren Betreten, auch aufgrund einer Absonderung, untersagt wird, oder wenn von der zuständigen Behörde aus Gründen des Infektionsschutzes Schul- oder Betriebsferien angeordnet oder verlängert werden, die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben oder der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird oder das Kind aufgrund einer behördlichen Empfehlung die Einrichtung nicht besucht. Die Schließung der Schule, der Einrichtung zur Betreuung von Kindern oder der Einrichtung für Menschen mit Behinderung, das Betretungsverbot, die Verlängerung der Schul- oder Betriebsferien, die Aussetzung der Präsenzpflicht in einer Schule, die Einschränkung des Zugangs zum Kinderbetreuungsangebot oder das Vorliegen einer behördlichen Empfehlung, vom Besuch der Einrichtung abzusehen, ist der Krankenkasse auf geeignete Weise nachzuweisen; die Krankenkasse kann die Vorlage einer Bescheinigung der Einrichtung oder der Schule verlangen.

(2b) Für die Zeit des Bezugs von Krankengeld nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2a Satz 3 ruht für beide Elternteile der Anspruch nach § 56 Absatz 1a des Infektionsschutzgesetzes.

(3) Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 haben für die Dauer dieses Anspruchs gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Wird der Freistellungsanspruch nach Satz 1 geltend gemacht, bevor die Krankenkasse ihre Leistungsverpflichtung nach Absatz 1 anerkannt hat, und sind die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt, ist der Arbeitgeber berechtigt, die gewährte Freistellung von der Arbeitsleistung auf einen späteren Freistellungsanspruch zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes anzurechnen. Der Freistellungsanspruch nach Satz 1 kann nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden.

(4) Versicherte haben ferner Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, sofern das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet,

a)
die progredient verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat,
b)
bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist und
c)
die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt.
Der Anspruch besteht nur für ein Elternteil. Absatz 1 Satz 2, Absatz 3 und § 47 gelten entsprechend.

(5) Anspruch auf unbezahlte Freistellung nach den Absätzen 3 und 4 haben auch Arbeitnehmer, die nicht Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 sind.

Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, daß sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. § 10 Abs. 4 und § 44 Absatz 2 gelten.

(2) Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 besteht in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für 10 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 20 Arbeitstage. Der Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr. Das Krankengeld nach Absatz 1 beträgt 90 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt der Versicherten, bei Bezug von beitragspflichtigem einmalig gezahltem Arbeitsentgelt (§ 23a des Vierten Buches) in den der Freistellung von Arbeitsleistung nach Absatz 3 vorangegangenen zwölf Kalendermonaten 100 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt; es darf 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 Absatz 3 nicht überschreiten. Erfolgt die Berechnung des Krankengeldes nach Absatz 1 aus Arbeitseinkommen, beträgt dies 70 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt. § 47 Absatz 1 Satz 6 bis 8 und Absatz 4 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(2a) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 besteht der Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 für das Jahr 2023 für jedes Kind längstens für 30 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 60 Arbeitstage. Der Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als 65 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 130 Arbeitstage. Der Anspruch nach Absatz 1 besteht bis zum Ablauf des 7. April 2023 auch dann, wenn Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten aufgrund des Infektionsschutzgesetzes vorübergehend geschlossen werden oder deren Betreten, auch aufgrund einer Absonderung, untersagt wird, oder wenn von der zuständigen Behörde aus Gründen des Infektionsschutzes Schul- oder Betriebsferien angeordnet oder verlängert werden, die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben oder der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird oder das Kind aufgrund einer behördlichen Empfehlung die Einrichtung nicht besucht. Die Schließung der Schule, der Einrichtung zur Betreuung von Kindern oder der Einrichtung für Menschen mit Behinderung, das Betretungsverbot, die Verlängerung der Schul- oder Betriebsferien, die Aussetzung der Präsenzpflicht in einer Schule, die Einschränkung des Zugangs zum Kinderbetreuungsangebot oder das Vorliegen einer behördlichen Empfehlung, vom Besuch der Einrichtung abzusehen, ist der Krankenkasse auf geeignete Weise nachzuweisen; die Krankenkasse kann die Vorlage einer Bescheinigung der Einrichtung oder der Schule verlangen.

(2b) Für die Zeit des Bezugs von Krankengeld nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2a Satz 3 ruht für beide Elternteile der Anspruch nach § 56 Absatz 1a des Infektionsschutzgesetzes.

(3) Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 haben für die Dauer dieses Anspruchs gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Wird der Freistellungsanspruch nach Satz 1 geltend gemacht, bevor die Krankenkasse ihre Leistungsverpflichtung nach Absatz 1 anerkannt hat, und sind die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt, ist der Arbeitgeber berechtigt, die gewährte Freistellung von der Arbeitsleistung auf einen späteren Freistellungsanspruch zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes anzurechnen. Der Freistellungsanspruch nach Satz 1 kann nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden.

(4) Versicherte haben ferner Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, sofern das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet,

a)
die progredient verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat,
b)
bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist und
c)
die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt.
Der Anspruch besteht nur für ein Elternteil. Absatz 1 Satz 2, Absatz 3 und § 47 gelten entsprechend.

(5) Anspruch auf unbezahlte Freistellung nach den Absätzen 3 und 4 haben auch Arbeitnehmer, die nicht Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 sind.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.