Landesarbeitsgericht Köln Urteil, 14. Aug. 2015 - 4 Sa 334/15
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Gericht
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 03.02.2015 – 17 Ca 7859/14 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum Juli 2013 eine Zulage für eine bestimmte Funktionsstufe der Tätigkeitsebene 27 (Geschäftsstellenleiter) aufgrund des zum 1. Januar 2010 in Kraft getretenen 7. Änderungstarifvertrages zum TV-BA zu zahlen ist. Dass dem Kläger diese Funktionszulage tariflich zustand, ist unstreitig. Der Streit der Parteien geht allein darum, ob die Ansprüche des Klägers zum Teil verjährt, im Übrigen verfallen sind. Der Kläger beruft sich gegenüber der Ausschlussfrist aus § 39 TV-BA auf Treu und Glauben und auf einen Schadensersatzanspruch wegen einer falschen Auskunftserteilung.
3Der Kläger war schon in den Jahren vor 2010 als Geschäftsstellenleiter einer Geschäftsstelle der B für A mit weniger als 50 Stellen für Plankräfte tätig. Dafür gab und gibt es sogenannte Funktionsstufen. Nach der ursprünglichen Zuordnungstabelle (Bl. 77 d. A.) kam wegen des Kriteriums „Grad der Verantwortung“ die Funktionsstufe 1 in Ansatz, wenn ein Teamleiter unterstellt war und die Funktionsstufe 2 bei Erreichen von 35 Stellen für Plankräfte. Mit Wirkung zum Inkrafttreten des 2. Änderungstarifvertrages änderte sich die Zuordnungstabelle (wegen deren Inhalt wird auf Bl. 78 d. A. Bezug genommen) in Bezug auf die Funktionsstufe 1. Anstelle des Merkmals „ein unterstellter Teamleiter“ trat nun „Repräsentation der AA durch Leitung einer Geschäftsstelle“. Diese Zuordnungstabelle blieb bis einschließlich des 6. Änderungstarifvertrages und mithin bis zum 31.12.2009 unverändert (vgl. die Zuordnungstabelle zum 6. Änderungstarifvertrag Bl. 17 d. A.).
4Mit Inkrafttreten des 7. Änderungstarifvertrages ab Januar 2010 änderte sich die Zuordnungstabelle (wegen dieser wird auf Bl. 7 d. A. Bezug genommen). Die Funktionsstufe 2 entfiel nun vollständig. Stattdessen kamen zwei Funktionsstufen 1 aufgrund des Kriteriums „geschäftspolitische Setzung“ in Betracht, nämlich einmal für
5„Stärkung der Führungsfähigkeit“ (Funktionsstufe 1) und nochmals (Funktionsstufe 1) für
6„Leitung einer Geschäftsstelle mit mindestens
7- 35 Stellen für Plankräfte und/oder
8- einer/einem unterstellten Teamleiter/in“.
9Unstreitig hatte die vom Kläger geleitete Geschäftsstelle nicht mindestens 35 Stellen für Plankräfte. Allerdings wurde das weitere Kriterium „unterstellter Teamleiter/in“ erfüllt. Unstreitig stand dem Kläger mithin seit dem 1. Januar 2010 diese weitere Funktionsstufe 1 zu.
10Die Parteien hatten bereits zu früheren Zeiten über eine andere Funktionsstufe, nämlich die Funktionsstufe 2 korrespondiert und darüber Gespräche geführt. Insoweit wird auf die E-Mail des Klägers vom 20.02.2007 (Bl. 79 d. A.), den Gesprächsvermerk vom 27.11.2007 (Bl. 82 d. A.) und das Schreiben der Beklagten vom 31.07.2008 (Bl. 83/84 d. A.) Bezug genommen.
11Dem Kläger wurde vor dem Inkrafttreten des 7. Änderungsvertrages die Funktionsstufe 1 für „Repräsentation der AA durch Leitung einer Geschäftsstelle“ gezahlt.
12Zu einem Zeitpunkt, als der 7. Änderungsvertrag noch nicht unterschrieben war, schrieb die Beklagte unter dem 22. Januar 2010 ein Schreiben, dass (auch) der Kläger erhalten hat. Dieses lautete auszugsweise wie folgt:
13Die hierzu nunmehr erzielte Gesamteinigung beinhaltet auch eine Änderung der Funktionsstufen bei dem Ihnen übertragenen Dienstposten eines Geschäftsstellenleiters.
14Mit Wirkung vom 01.01.2010 sollen sich hiernach folgende Änderungen ergeben:
15● Wegfall der Funktionsstufe 1 für „Repräsentation der AA durch Leitung einer Geschäftsstelle“
16● Hinzutritt der Funktionsstufe 1 für „Stärkung der Führungstätigkeit“.
17Wegen des vollständigen Inhalts dieses Schreibens wird auf Bl. 20/21 d. A. Bezug genommen.
18Nachdem der Tarifvertrag (rückwirkend) zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten war, schrieb die Beklagte an den Kläger mit Schreiben vom 10. August 2010 Folgendes (Bl. 22 d. A.):
19„Gewährung tätigkeitsabhängiger Funktionsstufen nach Neuverhandlung des Funktionsstufenkataloges
20Sehr geehrter Herr M ,
21besonderes Merkmal des Bezahlungssystems nach dem TV-BA ist die Gewährung flexibler und reversibler Funktionsstufen. Die jeweils zugrunde liegenden Zuordnungstabellen können hierbei im Rahmen von Tarifverhandlungen den aktuellen Erfordernissen bzw. geschäftspolitischen Zielsetzungen angepasst werden.
22Die Tarifvertragsparteien haben die Änderung der Zuordnungstabelle für die A für A (Anlage 1.1 zum TV-BA) vereinbart.
23Für die nachfolgend genannte, ihnen übertragene Tätigkeit gelten hiernach geänderte Kriterien:
24Geschäftsstellenleiter (weniger
25als 50 Stellen für Plankräfte)
26Für die Dauer der Wahrnehmung dieser Tätigkeit erhalten Sie aufgrund des Merkmals „Stärkung der Führungstätigkeit“ nach der Zuordnungstabelle für die Agentur für Arbeit (Anlage 1.1 zum TV-BA) neben ihrem Festgehalt nach Tätigkeitsebene III die Funktionsstufe 1.
27Mit Gewährung dieser Funktionsstufe fällt die Ihnen bisher gezahlte Funktionsstufe 1 des Merkmals „Repräsentation der AA durch Leitung einer Geschäftsstelle“ weg.
28Bitte beachten Sie, dass die Zahlung der Funktionsstufe durch Übertragung einer anderen Tätigkeit oder Wegfall der zusätzlichen Aufgaben entfallen kann.
29Eine Änderung Ihrer Bezüge ergibt sich nicht.
30Ich wünsche Ihnen bei der Wahrnehmung Ihres Aufgabengebietes weiterhin viel Erfolg!
31Die weitere, oben dargestellte, mit dem 7. Änderungstarifvertrag eingeführte Funktionsstufe für die „Leitung einer Geschäftsstelle mit mindestens 35 Stellen für Plankräfte und/oder einer/einem unterstellten Teamleiter/in“ wurde dem Kläger nicht gezahlt. Insoweit handelte es sich bei der Auskunft an den Kläger um einen Fehler des Bearbeiters. Es wurde übersehen, dass dem Kläger diese zusätzliche Funktionsstufe 1 zustand.
32Anfang Januar 2014 erhielt der Kläger im Rahmen einer beabsichtigten Neuorganisation die Mitteilung, dass die Funktion und der Dienstposten des Geschäftsstellenleiters möglicherweise entfielen und er künftig als Teamleiter in der allgemeinen Verwaltung eingesetzt werden solle. Ihm wurde hierzu mitgeteilt, dass dies dann zur Folge habe, dass ihm die Funktionsstufe, die auf der Leitung einer Geschäftsstelle mit mindestens einer/einem unterstellen Teamleiter/in basiert, entzogen werde. Verbleiben werde die Funktionsstufe 1 „Stärkung der Führungsfähigkeit“. Der Kläger reagierte mit E-Mail vom 16. Januar 2014, wegen derer auf Bl. 90 d. A. Bezug genommen wird. Er schrieb darin, in diesem Zusammenhang (Neuorganisation) habe er erfahren, dass ihm mit der Übertragung des neuen Dienstpostens die Funktionsstufe 1 „Leitung einer Geschäftsstelle mit mindestens einer/einem unterstellen Teamleiter/in“ entzogen werden solle. Diese Funktionsstufe sei ihm aber bisher nicht gezahlt worden.
33Mit Schreiben vom 25.02.2014 (Bl. 24 d. A.) wurde dem Kläger mitgeteilt, dass festgestellt werde, dass die Auszahlung der Funktionsstufe 1 „Leitung einer Geschäftsstelle mit mindestens 35 Stellen für Plankräfte und/oder einer/einem unterstellten Teamleiter/in“ nicht erfolgt sei. Diese werde nachgezahlt, rückwirkend aber aufgrund der Ausschlussfrist von 6 Monaten und aufgrund der Geltendmachung vom 16.01.2014 nur seit Juli 2013. Wegen der näheren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Bl. 24/25 d. A. Bezug genommen.
34Der Kläger macht mit der Klage die Zahlung der Funktionsstufe für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 30. Juni 2013 geltend. Er meint und führt aus, dass das Berufen der Beklagten auf die Ausschlussfrist aufgrund der erteilten Auskünfte treuwidrig sei. Das gelte auch für das Berufen der Beklagten auf die Verjährung der Ansprüche für 2010. Jedenfalls stehe ihm aufgrund der schuldhaft falschen Auskunft Schadensersatz in Höhe der eingeklagten Forderung zu. Wegen der Ausführungen des Klägers bezüglich des Einwandes von Treu und Glauben und des hilfsweise geltend gemachten Anspruches auf Schadensersatz wird auf den Schriftsatz vom 27.01.2015 (Bl. 106 – 111 d. A.) Bezug genommen.
35Der Kläger hat beantragt,
36die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.215,89 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils monatlich 121,44 Euro seit dem 1. Februar 201, 1. März 2010, 1. April 2010, 1. Mai 2010, 1. Juni 2010, 1. Juli 2010, 1. August 2010, 1. September 2010, 1. Oktober 2010, 1. November 2010, 1. Dezember 2010, 1. Januar 2011, aus monatlich 122,17 Euro seit dem 1. Februar 2011, 1. März 2011, 1. April 2011, 1. Mai 2011, 1. Juni 2011, 1. Juli 2011, 1. August 2011, aus jeweils 122,78 Euro monatlich seit dem 1. September 2011, 1. Oktober 2011, 1. November 2011, 1. Dezember 2011, 1. Januar 2012, 1. Februar 2012, 1. März 2012 aus jeweils 127,08 Euro seit dem 1. April 2012, 1. Mai 2012, 1. Juni 2012, 1. Juli 2012, 1. August 2012, 1. September 2012, 1. Oktober 2012, 1. November 2012, 1. Dezember 2012, 1. Januar 2013 sowie aus jeweils 128,86 Euro seit dem 1. Februar 2013, 1. März 2013, 1. April 2013, 1. Mai 2013, 1. Juni 2013, 1. Juli 2013 zu zahlen.
37Die Beklagte hat beantragt,
38die Klage abzuweisen.
39Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung für die Ansprüche aus dem Jahr 2010 erhoben, sich im Übrigen auf Verfall berufen.
40Der Kläger hatte zunächst eine etwas höhere Forderung erhoben, sie nach entsprechenden Einwendungen der Beklagten durch Teilrücknahme auf die oben wiedergegebenen Anträge reduziert. Insoweit sind die Ansprüche auch der Höhe nach unstreitig.
41Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 3. Februar 2015 der Klage stattgegeben. Es hat aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Grundsatz von Treu und Glauben hinsichtlich des Berufens von Ausschlussfristen in den Fällen, in denen eine falsche Auskunft gegeben worden ist, zitiert und ausgeführt, daran gemessen verstoße die Berufung der Beklagten im vorliegenden Fall gegen Treu und Glauben. Sie habe den Kläger zwar nicht aktiv daran gehindert, seine Ansprüche geltend zu machen. Allerdings sei die Auskunft Anfang 2010 und im August 2010 in einer Art und Weise deutlich für die Gewährung der Zulagen gewesen, dass nicht mehr nur von einer unrichtigen Auskunftserteilung im Sinne der Rechtsprechung des 6. Senats ausgegangen werden könne. Es seien auch zuvor bereits schriftliche Erörterungen über die Gewährung von Funktionsstufen zwischen den Parteien geführt worden. Die Beklagte habe mit ihren Schreiben aus 2010 den eindeutigen Eindruck beim Kläger hervorgerufen, er erhalte als Geschäftsstellenleiter nicht mehr seine bisherige Funktionsstufe 1, sondern eine andere. Diese Auskunft – individualisiert für die Stellung des Klägers – habe bei diesem den berechtigten Eindruck hinterlassen müssen, die Beklagte habe – als Einrichtung öffentlichen Rechts und tarifschließende Partei – den Tarifvertrag sorgfältig geprüft und auf dieser Grundlage die Gewährung der Stufe abgelehnt. Es habe dem Kläger auch zunächst unmittelbar einleuchten müssen, dass er nicht zweimal dieselbe Funktionsstufe 1 erhalten können. Die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Tarifverträge im Intranet der Beklagten (diese Möglichkeit ist unstreitig) lasse sein Vertrauen in die konkrete Auskunft der Beklagten nicht entfallen. Verjährung sei nicht eingetreten, weil der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht in ungewöhnlich grobem Maße verletzt habe. Insoweit führe der allgemeine Hinweis auf das Intranet und die darin enthaltenen Informationen nicht zu groben Fahrlässigkeit.
42Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 02.03.2015 zugestellte Urteil am 16.03.2015 Berufung eingelegt und diese am 24.04.2015 begründet. Die Beklagte wendet sich im Wesentlichen mit Rechtsausführungen gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Insoweit wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 149 – 157) Bezug genommen.
43Sie führt darüber hinaus im Einzelnen auf, wo schon in der Vergangenheit aufgrund tariflicher Regelungen der doppelte, sogar dreifache Ansatz der Funktionsstufe 1 möglich gewesen sei. Insoweit wird auf Bl. 185/186 d. A. Bezug genommen. Sie weist desweiteren darauf hin, dass der Kläger Tarifkenntnisse haben müsse, weil er mit unterstellten Kräften vor jeder Übertragung bzw. jedem Widerruf einer funktionsrelevanten Tätigkeit/Funktion zu dokumentierende Mitarbeitergespräche zu führen habe (Bl. 187 d. A.).
44Die Beklagte beantragt,
45das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 03.02.2015 – AZ: 17 Ca 7859/14 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
46Der Kläger beantragt,
47die Berufung zurückzuweisen.
48Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil im Wesentlichen mit Rechtsausführungen und mit Ausführungen dazu, wie er, der Kläger, die Schreiben der Beklagten habe verstehen müssen. Insoweit wird auf die Berufungserwiderungsschrift (Bl. 178 – 183 d. A.) Bezug genommen.
49Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
50E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
51Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründet Berufung der Beklagten hatte Erfolg.
52I. Die strittigen Ansprüche sind verfallen. Dem steht nicht der Einwand von Treu und Glauben entgegen.
531. Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil unter 3. a auf die allgemeinen Grundsätze bezogen, die in der Entscheidung des BAG vom 8. Dezember 2011 (6 AZR 397/10, Rn. 17) entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung zum Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gegenüber tariflichen Ausschlussfristen wiedergegeben sind. Speziell die Bedeutung einer fehlerhaften Auskunft unter dem Aspekt von § 242 BGB ist vom BAG in dieser Entscheidung nur im Rahmen der Subsumtion behandelt worden. Dort findet sich folgender Satz: „Wenn die Berufung des Arbeitgebers auf die tarifliche Ausschlussfrist grundsätzlich nicht allein deswegen gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, weil er dem Arbeitnehmer eine unzutreffende Auskunft über das Bestehen seines Anspruchs gegeben hat (vgl. BAG 22. Januar 1997 – 10 AZR 459/96…), ist die Berufung des Arbeitgebers auf die tarifliche Ausschlussfrist erst Recht keine unzulässige Rechtsausübung, wenn die unrichtige Auskunft nicht von ihm selbst oder der von ihm bestimmten zuständigen Person oder Einrichtung erteilt worden ist …“.
54In dem dabei zitierten des 10. Senats des BAG vom 22. 01. 1997 – 10 AZR 459/96 – finden sich folgende Ausführungen:
55„Durch die unzutreffende Auskunft über den Anspruch auf eine Intensivpflegezulage hat die Beklagte den Kläger nicht an der Geltendmachung seines Anspruchs in irgendeiner Art gehindert. Von einem Arbeitnehmer muss verlangt werden, dass er sich hinsichtlich der Rechtslage über die Berechtigung eines vermeintlichen Anspruchs selbst informiert. Denn eine Unkenntnis über die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs bzw. dessen Verfall aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist sind rechtlich unbeachtlich (…).“ „Davon ausgehend hätte es dem Kläger jederzeit freigestanden, seine Ansprüche auf eine Intensivpflegezulage schriftlich geltend zu machen, wenn er den Anspruch für berechtigt angesehen hätte. Nachdem die Beklagte das Bestehen eines solchen Anspruchs verneint hatte, war der Kläger geradezu aufgefordert, die Ansprüche frist- und formgerecht geltend zu machen, wenn er seine Rechte für die Zukunft gewahrt wissen wollte. Der Kläger konnte bei der für die hinsichtlich der Erfüllung seines Anspruchs ungünstigen Rechtsauskunft der Beklagten nicht darauf vertrauen, dass deren Rechtsstandpunkt auch zutreffend ist. Wenn er gleichwohl der ungünstigen Auskunft der Beklagten glaubte und es unterließ, den Anspruch rechtzeitig und formgerecht geltend zu machen, so ist das sein Risiko und kann nicht zu Lasten der Beklagten gehen.“ (Rn. 18).
56Das BAG nimmt hier eine kategorische Abgrenzung der Risikosphären zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor: Es ist Sache des Arbeitnehmers, dass er sich hinsichtlich der Rechtslage über die Berechtigung eines vermeintlichen Anspruchs selbst informiert. Lehnt der Arbeitgeber einen Anspruch ab oder gibt er bezüglich eines solchen Anspruchs eine unzutreffende Auskunft, dann ist der Arbeitnehmer „geradezu aufgefordert“ seinen Anspruch frist- und formgerecht geltend zu machen.
57Diese Risikoabgrenzung liegt auch schon früheren Entscheidungen des BAG zugrunde (vgl. z. B. 11.02.1988 – 6 AZR 614/84 – Rn. 23 m. w. N.). In dieser Entscheidung verweist das BAG in einem ähnlichen Zusammenhang (Nichtvorlage eines Antragsformulars, weil die Sachbearbeiterin die Auffassung vertrat, dass überhaupt kein Anspruch bestehe) darauf, dass sich grundsätzlich jedermann über seine Rechte und Befugnisse Gewissheit verschaffen müsse und die Berufung auf die Ausschlussfrist deshalb nur „ausnahmsweise in besonders krassen Fällen“ rechtsmissbräuchlich sein könne. Dazu heißt es: „Eine andere Bewertung würde dem Sinn und Zweck der tariflichen Ausschlussfrist zuwiderlaufen. Mit tariflichen Ausschlussfristen wird der Zweck verfolgt, die Ansprüche einer möglichst schnellen endgültigen Erledigung zuzuführen. Sinn und Zweck der Forderung nach einer schriftlichen Geltendmachung bestehen darin, dem Schuldner den behaupteten Anspruch so deutlich zu machen, dass er sich über Inhalt und Umfang klar werden kann (…). Für den möglichen Schuldner soll möglichst bald Gewissheit eintreten, auf welche Ansprüche er sich einzurichten hat (…).“
582. Nach diesen Maßgaben ist die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfristen nicht treuwidrig.
59Das Arbeitsgericht hat für seine gegenteilige Auffassung zunächst ausgeführt, die Auskunft Anfang 2010 und im August 2010 sei „in einer Art und Weise deutlich für die Gewährung der Zulagen“ gewesen, dass nicht mehr nur von einer unrichtigen Auskunftserteilung im Sinne der Rechtsprechung des 6. Senats ausgegangen werden könne.
60Diese Auffassung teilt die Kammer nicht. Weder die Auskunft vom 22. Januar 2010 noch die Auskunft vom 10. August 2010 behandeln in irgendeiner Weise ausdrücklich die Zulage, um die im vorliegenden Fall gestritten wird. In beiden Schreiben ist jeweils nur ausgeführt, dass die bisherige Funktionsstufe 1 mit dem Merkmal „Repräsentation der AA durch Leitung einer Geschäftsstelle“ wegfalle und stattdessen hinzutrete die Funktionsstufe 1 für „Stärkung der Führungsfähigkeit“. Es ist lediglich festzustellen, dass die Beklagte es in dem Schreiben vom 22. Januar 2010 ebenso wie in dem Schreiben vom 10. August 2010 – unstreitig fehlerhaft – unterlassen hat, darauf hinzuweisen, dass der 7. Änderungstarifvertrag noch eine weitere – für den Kläger relevante – Änderung in den Funktionsstufen enthielt.
61Desweiteren hebt das Arbeitsgericht darauf ab, dass die Beklagte in ihren Anschreiben, nachdem bereits schriftliche Erörterungen über die Gewährung von Funktionsstufen zwischen den Parteien geführt worden seien, den eindeutigen Eindruck beim Kläger hervorgerufen habe, er erhalte als Geschäftsstellenleiter nicht mehr seine bisherige Funktionsstufe 1 sondern eine andere. Diese Auskunft – individualisiert für die Stellung des Klägers – habe bei ihm den berechtigten Eindruck hinterlassen müssen, die Beklagte habe - als Einrichtung öffentlichen Rechts und tarifschließende Partei – den Tarifvertrag sorgfältig geprüft und auf dessen Grundlage die Gewährung der Stufe abgelehnt.
62Die Beklagte hat aber weder in dem einen noch in dem anderen Schreiben die Gewährung der hier strittigen, zusätzlichen Funktionsstufe 1 abgelehnt. Sie befasst sich in den Schreiben nur mit der vom Kläger bis dahin schon bezogenen Funktionsstufe 1, die durch eine andere Funktionsstufe 1 ersetzt wurde. In keinem der Schreiben wird auch der Anspruch erhoben, die Mitteilung sei Ergebnis einer sorgfältigen, auf den Einzelfall bezogenen Prüfung.
63Was schließlich die bereits in früherer Zeit stattgefundenen Erörterungen (nicht nur schriftliche, sondern auch mündliche) anbelangt, so betrafen diese eine andere Funktionszulage, nicht die, die erst mit dem 7. Änderungstarifvertrag eingeführt worden ist und im vorliegenden Fall strittig ist. Der Kläger hatte in seiner E-Mail vom 20. Februar 2007 einen Anspruch „auf Zahlung einer FS 2“, also einer Funktionsstufe 2 angemeldet und um Prüfung gebeten. Es ging ausweislich der Mail darum, wie die Zahl der unterstellten Mitarbeiter zu berechnen sei. Darüber wurde auch das mit Vermerk vom 27.11.2007 (Bl. 82 d. A.) wiedergegebene Gespräch geführt. Es wurde in diesem Gespräch offensichtlich Einigung dahin erzielt, dass nach dem seinerzeitigen Tarifzustand nach wie vor das Kriterium „Plankräfte“ und nicht das seinerzeit offenbar in der Diskussion befindliche Kriterium „zugeordnete Mitarbeiterkapazitäten“ galt.
64Selbst wenn es aber anders gewesen wäre, dann kann es nach der grundsätzlichen Risikoabgrenzung, die das BAG vorgenommen hat, auch keine Rolle spielen, ob die strittige Forderung schon längere Zeit in der Diskussion war und mehrfach abgelehnt worden ist.
65II. Der Kläger hat sich indes nicht nur darauf berufen, dass die Beklagte nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert sei, sich auf die Ausschlussfrist zu berufen. Er meint auch, dass die Beklagte aufgrund des unstreitig vorliegenden Bearbeiterfehlers bei den Auskünften aus 2010 – für den die Beklagte sich auch nicht exkulpiert hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) – schadensersatzpflichtig dahingehend sei, ihn, den Kläger, so zu stellen, als griffen die Ausschlussfristen nicht.
661. Inwieweit in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer durch eine schuldhaft unrichtige Auskunft davon abgehalten wurde, die Ausschlussfristen einzuhalten, der Arbeitgeber aus Schadensersatzgesichtspunkten – Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 280 BGB – den Arbeitnehmer so zu stellen hat, als habe dieser die Ausschlussfrist eingehalten, hat – soweit ersichtlich – das BAG noch nicht in grundsätzlicher Art und Weise behandelt.
67Die einzige einschlägige Entscheidung, in der auch ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht war, ist – soweit ersichtlich – die bereits zitiert vom 11.02.1988 (6 AZR 614/84). Aus der Wiedergabe der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts durch das BAG in diesem Urteil (Rn. 13) ergibt sich, dass das Landesarbeitsgericht der Auffassung gewesen ist, dass aufgrund des Verhaltens der dortigen Beklagten der Kläger jedenfalls im Wege eines Schadensersatzanspruches wegen Verletzung nachwirkender Fürsorgepflicht so zu stellen gewesen sei, als ob die Ausschlussfrist für die Beantragung des dort strittigen Übergangsgeldes im Zeitpunkt der schriftlichen Geltendmachung nicht abgelaufen gewesen wäre. Das BAG geht allerdings in seinen nachfolgenden Entscheidungsgründen auf die Frage des Schadensersatzanspruches jedenfalls nicht ausdrücklich ein. Es kommt gleichwohl zu dem Ergebnis, dass der Anspruch wegen des Ablaufs der Ausschlussfrist erloschen sei.
682. Die erkennende Kammer geht aber davon aus, dass das BAG die Ausführungen zur Risikoabgrenzung in dieser Entscheidung – insbesondere den Satz: „Wenn er gleichwohl der ihm nicht günstigen Rechtsansicht seines Vertragspartners glaubt und es unterlässt, den Anspruch rechtzeitig und formgerecht geltend zu machen, ist das sein Risiko und kann nicht zu Lasten der Beklagten gehen…“ – auch auf den Schadensersatzanspruch bezogen hat. Das Gleiche gilt für die oben zitierten weiteren Ausführungen in diesem Urteil zum Sinn und Zweck von tariflichen Ausschlussfristen.
69In der Tat würde die Funktion von Ausschlussfristen grundsätzlich in Frage gestellt, wenn schuldhaft falsche Auskünfte des Arbeitgebers, die auch in Lohnabrechnungen und Ähnlichem enthalten sein können, dazu führen würden, das aus Schadensersatzgesichtspunkten der Arbeitgeber gehalten wäre, den Arbeitnehmer so zu stellen, als habe dieser die Ausschlussfrist eingehalten. Aufgrund der vom BAG vorgenommenen grundsätzlichen Risikoabgrenzung und unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Ausschlussfristen müssen daher auch Schadensersatzansprüche aufgrund einer unzutreffenden Auskunft grundsätzlich ausgeschlossen sein (vgl. zu einem ähnlichen Zusammenhang auch BAG 14.02.1977 – 4 AZR 579/75).
703. Dahinstehen kann dabei, dass auch ein Schadensersatzanspruch wiederum der Ausschlussfrist unterläge. Das würde im vorliegenden Fall – würde man Schadensersatzansprüche grundsätzlich bejahen – dazu führen, dass der Kläger für allenfalls ein weiteres halbes Jahr Ansprüche hätte. Zudem wäre dabei ein Mitverschulden des Klägers nach § 254 BGB zu berücksichtigen.
71III. Die Kammer hat die Revision zugelassen, weil – soweit ersichtlich – das BAG sich noch nicht ausdrücklich und grundsätzlich mit der Frage befasst hat, ob und inwieweit bei schuldhaft falscher Auskunft der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Schadensersatz dadurch zu gewähren hat, dass er ihn so stellt, als habe dieser die Ausschlussfristen eingehalten.
72Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
73RECHTSMITTELBELEHRUNG
74Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
75R E V I S I O N
76eingelegt werden.
77Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
78Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
79Bundesarbeitsgericht
80Hugo-Preuß-Platz 1
8199084 Erfurt
82Fax: 0361-2636 2000
83eingelegt werden.
84Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
85Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
86- 87
1. Rechtsanwälte,
- 88
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
- 89
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
91Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
92Bezüglich der Möglichkeit elektronischer Einlegung der Revision wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I Seite 519) verwiesen.
93* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Annotations
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.