Landesarbeitsgericht Köln Beschluss, 17. Dez. 2015 - 11 Ta 318/15
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 24.04.2015 – 2 Ca 644/14 – aufgehoben.
1
G r ü n d e
2Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
31. Der Aufhebungsbeschluss des Arbeitsgerichts ist nicht aus § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gerechtfertigt, denn die Klägerin hat die Änderung seiner Anschrift weder absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich im Sinne des § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO mitgeteilt.
4a) Aufgrund des Sanktionscharakters des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO (vgl. hierzu: LAG Köln, Beschluss vom 22.06.2015 – 1 Ta 145/15 – m.w.N.) bedarf es nicht nur eines vorherigen Hinweises auf die Rechtsfolgen eines Pflichtverstoßes, sondern auch der positiven Feststellung eines absichtlichen oder wenigstens grob nachlässigen Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht. Wegen des Sanktionscharakters ist bei der Prüfung des Verschuldens Augenmaß zu bewahren. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfordern eine Verletzung der prozessualen Sorgfaltspflichten in besonders schwerwiegender Weise. Sie sind nicht bereits erfüllt, wenn der objektive Tatbestand vorliegt. Eine bloß unzureichende oder unterbliebene, weil vergessene Mitteilung einer Anschriftenänderung im Rahmen eines Umzugs genügt diesen Anforderungen nicht (LAG Köln, Beschluss vom 02.07.2015 – 11 Ta 164/15 - m.w.N.). Zudem trifft die Prozesskostenhilfepartei nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes hinsichtlich des Fehlens des Verschuldens keine Darlegungslast (LAG Köln, Beschluss vom 03.08.2015 – 4 Ta 148/15 – m.w.N.).
5b) Für den Streitfall ist lediglich der objektive Tatbestand der unterlassenen Mitteilung des vorübergehenden Umzugs zum Lebensgefährten trotz Hinweises im Erstbewilligungsbeschluss vom 17.03.2014 zur unverzüglichen Mitteilungspflicht im Falle der Anschriftenänderung festzustellen. Dem Arbeitsgericht ist nicht darin zu folgen, dass dies bereits die Annahme grober Nachlässigkeit rechtfertigt. Weitergehende Aspekte, die für das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale sprechen könnten, sind weder vom Arbeitsgericht festgestellt noch sonst wie ersichtlich. Im Gegenteil hat die Klägerin im Beschwerdeverfahren glaubhaft dargetan, dass die Mitteilung der Anschriftenänderung versehentlich unterblieben ist. Sie war sowohl familiär aufgrund der Situation als alleinerziehende Mutter eines zweijährigen Kindes als auch beruflich durch Vorbereitung der Selbständigkeit als Mediengestalterin in besonderem Maße belastet, so dass ihr die Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung der Adressänderung nicht präsent war. Die bloß versehentlich unterbliebene Mitteilung stellt aber keine Verletzung der prozessualen Sorgfaltspflichten in besonders schwerwiegender Weise dar.
62. Das Arbeitsgericht hat nunmehr gemäß §§ 572 Abs. 3 ZPO, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin und die von ihr Unterlagen zu prüfen, ob eine Änderung der Bewilligung gemäß § 120 a Abs. 1 Satz 1 ZPO wegen einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich ist.
73. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Köln Beschluss, 17. Dez. 2015 - 11 Ta 318/15
Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Köln Beschluss, 17. Dez. 2015 - 11 Ta 318/15
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Landesarbeitsgericht Köln Beschluss, 17. Dez. 2015 - 11 Ta 318/15 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Das Gericht soll die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn
- 1.
die Partei durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat; - 2.
die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach § 120a Absatz 1 Satz 3 nicht oder ungenügend abgegeben hat; - 3.
die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe nicht vorgelegen haben; in diesem Fall ist die Aufhebung ausgeschlossen, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind; - 4.
die Partei entgegen § 120a Absatz 2 Satz 1 bis 3 dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat; - 5.
die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate oder mit der Zahlung eines sonstigen Betrages im Rückstand ist.
(2) Das Gericht kann die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, soweit die von der Partei beantragte Beweiserhebung auf Grund von Umständen, die im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe noch nicht berücksichtigt werden konnten, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder der Beweisantritt mutwillig erscheint.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der
Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.02.2015
(5 Ca 451/14 EU) aufgehoben.
1
G r ü n d e :
2I.
3Mit der sofortigen Beschwere wendet sich die Klägerin gegen die Aufhebung der ihr gewährten Prozesskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluss der Rechtspflegerin des Arbeitsgerichts Bonn.
4Der Klägerin war vom Arbeitsgericht Bonn mit Beschluss vom 2.5.2014 für die 1. Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Durch einen Rückbrief im Nachprüfungsverfahren und die nachfolgende Mitteilung des Einwohnermeldeamtes wurde dem Arbeitsgericht bekannt, dass die Klägerin seit dem 20.6.2014 nicht mehr unter der bisherigen Adresse wohnhaft ist und sich am 10.9.2014 beim Einwohnermeldeamt umgemeldet hatte. Eine Mitteilung an das Arbeitsgericht ist nicht erfolgt. Mit Beschluss vom 17.2.2015 hat das Arbeitsgericht daraufhin die Prozesskostenhilfe wegen unterlassener Mitteilung der Anschriftenänderung aufgehoben.
5Gegen den am 19.2.2015 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 10.3.2015 sofortige Beschwerde erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, dass sie ihrem Prozessbevollmächtigten alle Änderungen der Anschrift mitgeteilt und sie sich darauf verlassen habe, dass dieser für eine ggf. erforderliche Weiterleitung an die zuständigen Stellen sorgt. Diese Darstellung hat der Prozessbevollmächtigte auf Nachfrage des Arbeitsgerichts mit Schreiben vom 17.03.2015 bestätigt. Ihm sei die neue Anschrift der Klägerin zwar mitgeteilt worden, er habe die Weitergabe an das Gericht unterlassen, weil ihm nicht bewusst gewesen sei, dass es sich um die neue Meldeanschrift gehandelt habe.
6Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 26.3.2015 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht vorgelegt. Zur Begründung wird geltend gemacht, dass die Klägerin persönlich zur Mitteilung verpflichtet gewesen wäre und überdies ihr das Verschulden des Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden müsse.
7II.
8Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 127 Abs. 2 Satz 2 u. 3 ZPO, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, 11 a Abs. 1 ArbGG zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO i. V. m. § 11 a Abs. 1 ArbGG liegen nicht vor.
9Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Gericht die Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus großer Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben.
101. Zwar ist die gesetzliche Mitteilungspflicht verletzt, denn der Wohnungswechsel, der bereits am 20.6.2014 erfolgt war und der zuständigen Meldebehörde am 10.9 2014 angezeigt wurde, ist dem Gericht nicht unverzüglich mitgeteilt worden. Über die entsprechende Mitteilungspflicht war die Klägerin auch durch einen besonderen Hinweis in dem von ihr am 4.4.2014 unterzeichneten Formular zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse belehrt worden.
112. Allerdings hat die Klägerin die ihr obliegenden Pflichten nicht „absichtlich“ oder aus „grober Nachlässigkeit“ verletzt.
12a) Die Klägerin hat sich dahingehend eingelassen, dass sie ihrem Prozessbevollmächtigten alle Änderungen der Anschrift mitgeteilt und sie sich darauf verlassen habe, dass dieser ggf. für eine Weiterleitung an die zuständigen Stellen sorgt. Dieses Vorbringen wird von dem Prozessbevollmächtigten in seinem Schreiben vom 17.03.2015 im Wesentlichen bestätigt. Mangels anderer Anhaltspunkte ist von diesem Sachverhalt auszugehen.
13b) Die Klägerin, die im Prozesskostenhilfeverfahren durch einen Anwalt vertreten war, konnte die prozessuale Mitteilungspflicht durch ihren Anwalt erfüllen und sich darauf verlassen, dass dieser die Anschriftenänderung dem Gericht mitteilt.
14Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG gilt im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Grundsatz, dass sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen kann. Das anwaltliche Mandat und die entsprechende Vollmacht (§ 81 ZPO) erstrecken sich auch auf das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren, denn es besteht ein Interesse der Partei, dass das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zusammengeführt wird und dieser in die Lage versetzt wird, die notwendigen Schritte zu unternehmen (BGH 8.12.2010 – XII ZB 38/09 – MDR 2011,183 (Rn 24); ebenso BGH 8.9.2011 – VII ZB 63/10 – MDR 2011, 1314; BAG 19.7.2006 – 3 AZB 18/06 – juris; LAG Hamm 20.9.2013 – 14 Ta 160/13 – juris; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 81 Rn. 8; dazu auch Reckin AnwBl 2014, 322). Der Gesetzesbegründung zu der Neufassung des § 124 ZPO (vgl. BT-Drs. 17/11472 v.14.11.2012, S.33,34) lässt sich kein Hinweis dazu entnehmen, dass die prozessualen Pflichten gemäß §§ 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO, 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO unter Ausschluss der allgemeinen prozessualen Vertretungsmöglichkeit des § 79 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgestaltet werden sollten.
153. Ob die Pflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten, der die neue Anschrift nicht weitergeleitet hat, im Hinblick auf die notwendige Rechtskenntnis und Sorgfalt eines Anwalts als grob nachlässig i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu werten ist, kann offen bleiben (zum Begriff der groben Nachlässigkeit vgl. LAG Baden-Württemberg 10.6.2015 – 4 Ta 8/15 – juris). Sie wäre der Klägerin indes nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zuzurechnen.
16Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei grundsätzlich gleich. Die Vorschrift findet im Rahmen der §§ 120 a Abs. 2 Satz 1, 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO indes keine Anwendung.
17a) Die Anwendbarkeit des § 85 Abs. 2 ZPO im Prozesskostenhilfeverfahren ist umstritten, denn das Prozesskostenhilfeverfahren ist nicht als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet (die Anwendbarkeit ablehnend daher etwa OLG Düsseldorf 19.09.1985 - 9 WF 121/85 – juris; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 85 Rn. 11). Der BGH hat die Anwendbarkeit des § 85 Abs. 2 ZPO im Prozesskostenhilfeverfahren bejaht (BGH 12.06.2001 – XI ZR 161/01 – NJW 2001, 2720; dem folgend z.B. LAG Köln 28.11.2014 – 11 Ta 291/14 – juris; Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 119 Rn. 60 b m. w. N.; Prütting/Gehrlein-Burgermeister, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 85 Rn 9). Er hat allerdings offen gelassen, ob eine Ausnahme in Fällen zu machen ist, in denen der Antragsteller nicht dem Prozessgegner, sondern nur der Staatskasse gegenüber steht (BGH 12.06.2001 – XI ZR 161/01 – NJW 2001, 2720, Rn 12). Ob vor diesem Hintergrund die Vorschrift im Rahmen des gesamten Nachprüfungsverfahrens unangewendet bleiben muss, kann unentschieden bleiben.
18b) Jedenfalls im Rahmen der §§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist eine Ausnahme vom Anwendungsbereich geboten.
19aa) Es ist anerkannt, dass die Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO keine Anwendung findet auf Vorschriften, die strafähnlichen Charakter haben und bei denen es daher auf das Verschulden der Partei selbst ankommt (Prütting/Gehrlein-Burgermeister, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 85 Rn 8; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 85 Rn 10). Solche Ausnahmefälle hat die Rechtsprechung etwa angenommen für den Fall des Verschuldens im Rahmen des § 141 Abs. 3 ZPO (BGH 22.06.2011 – I ZB 77/10 – NJW-RR 2011, 1363; ebenso Beck OK-ZPO/Piepenbrock, § 85 Rn. 16 a) oder für vorsätzliche oder grob fahrlässige falsche oder unvollständige Angaben im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO, die auf eigenmächtigen Änderungen des Bevollmächtigten beruhen (BGH 10.02.2011 - IX ZB 250/08 – NJW 2011, 1229). Der BGH begründet letztere Ausnahme mit der Erwägung, dass für die Sanktion gemäß § 290 Abs. 1 InsO (Versagung der Restschuldbefreiung) auf die Redlichkeit des Schuldners abzustellen sei. Ein vorsätzlich oder grob fahrlässiger Verstoß des Prozessbevollmächtigten gegen seine anwaltlichen Pflichten lasse keinen Rückschluss auf die Redlichkeit oder Unredlichkeit der Partei zu (BGH 10.02.2011 – IX ZB 250/08 – NJW 2011, 1229 Rn. 8).
20bb) Auch die Neufassung der Vorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO hat „Sanktionscharakter“ (BT-Drs. 17/11472 v.14.11.2012, S.35; ebenso LAG Baden-Württemberg 10.6.2015 – 4 Ta 8/15 – juris, Rn 15; Natter FA 2014, 290 ff (291), Groß, Beratungshilfe/ Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 12. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 7. Aufl. 2014 Rn. 847). Vergleichbar der Sanktion des § 290 Abs. 1 InsO sollen auch bei § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO der unredlichen Partei, die absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit wesentliche Verbesserungen der wirtschaftlichen Verhältnisse oder eine Anschriftenänderung nicht mitteilt, die Vorteile der Prozesskostenhilfe entzogen werden. Folge ist, dass das Verschulden der Partei selbst maßgeblich sein muss. Für die Annahme, dass es auf die Redlichkeit der Partei selbst ankommt, deutet auch die Gesetzesbegründung. Die Erläuterungen zu der Neufassung des § 124 ZPO (vgl. BT-Drs. 17/11472 v.14.11.2012, S.34) geben an, dass die Belehrung über die Mitteilungspflicht und die bei einer Verletzung mögliche Sanktion auf dem Formular nach § 117 Abs. 2 Satz 3 ZPO erfolgen soll, damit sichergestellt sei, dass die Partei selbst Kenntnis nehmen könne, was etwa bei einem Hinweis in der Bewilligungsentscheidung, die ggf. dem beigeordneten Rechtsanwalt zugehe, nicht gewährleistet sei. Dies verdeutlicht das Anliegen des Gesetzgebers, die Sanktion des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO an die Pflichtverletzung der Partei selbst zu binden, die trotz persönlicher Belehrung untätig bleibt und damit ihre prozessualen Pflichten verletzt.
21Wenn aber im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO das eigene Verschulden der Partei maßgeblich ist, kommt die Zurechnung fremden Verschuldens gemäß § 85 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht (ebenso Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 7. Aufl., Rn. 836; im Ergebnis auch OLG Koblenz 03.07.1996 – 13 WF 649/96 - MDR 1997, 103 zum Sanktionscharakter des § 124 Nr. 2 ZPO (a.F.); a. M. LAG Düsseldorf 5.12.2014 – 2 Ta 555/14- Rn. 16).
224. Das Arbeitsgericht hat nunmehr gemäß §§ 572 Abs. 3 ZPO, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin und die von ihr vorgelegte Gehaltsmitteilung zu prüfen, ob eine Änderung der Bewilligung gemäß § 120 a Abs. 1 Satz 1 ZPO wegen einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich ist.
23III.
24Der Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 18.03.2015– 6 Ca 106/14 – aufgehoben.
1
G r ü n d e
2Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
3Der Aufhebungsbeschluss des Arbeitsgerichts ist nicht aus § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gerechtfertigt, denn der Kläger hat die Änderung seiner Anschrift weder absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich im Sinne des § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO mitgeteilt.
4Aufgrund des Sanktionscharakters des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO (vgl. hierzu: LAG Köln, Beschluss vom 22.06.2015 – 1 Ta 145/15 – m.w.N.) bedarf es nicht nur eines vorherigen Hinweises auf die Rechtsfolgen eines Pflichtverstoßes, sondern auch der positiven Feststellung eines absichtlichen oder wenigstens grob nachlässigen Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht. Wegen des Sanktionscharakters ist bei der Prüfung des Verschuldens Augenmaß zu bewahren. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfordern eine Verletzung der prozessualen Sorgfaltspflichten in besonders schwerwiegender Weise. Sie sind nicht bereits erfüllt, wenn der objektive Tatbestand vorliegt. Eine unzureichende oder unterbliebene, weil vergessene Mitteilung einer Anschriftenänderung im Rahmen eines Umzugs, wie im Streitfall, genügt diesen Anforderungen nicht (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.06.2015– 4 Ta 8/15 – m.w.N.).
5Der Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Prozesskostenhilfe-Aufhebungsbeschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.03.2015– 5 Ca 1052/14 EU – aufgehoben.
1
G r ü n d e
2Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Gericht die Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
3Der Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige der Anschriftenänderung muss mithin „absichtlich“ oder jedenfalls auf Grund „grober Nachlässigkeit“ erfolgt sein, um zu der Aufhebungssanktion zu führen. Schädlich ist somit nur direkter oder bedingter Vorsatz oder zumindest grobe Nachlässigkeit. Ist grobe Nachlässigkeit prozessual zu bewerten, so liegt eine solche erst dann vor, wenn die Prozesskostenhilfepartei ihre Pflicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt hat. Sie muss also ohne jede prozessuale Sorgfalt etwas unterlassen haben. Sie muss die im Prozess erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlichen, groben Maß verletzt haben und dabei dasjenige unbeachtet gelassen haben, was jeder Partei unmittelbar hätte einleuchten müssen. Sie muss somit ausnehmend sorglos gewesen sein (vgl. z. B. Baumbach § 296 ZPO Rn. 61 mit Nachweisen auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Wegen des Sanktionscharakters ist bei der Prüfung des Verschuldens „Augenmaß zu bewahren“ (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 10.06.2015 – 4 Ta 8/15 – Rn. 18). Das im Falle eines Umzugs die eine oder andere Stelle bei der Mitteilung der Anschriftenänderung übersehen wird, ist ein weit verbreitetes Phänomen, das als solches nicht unter den Begriff der groben Nachlässigkeit subsumiert werden kann (vgl. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg a. a. O.). Zudem trifft die Prozesskostenhilfepartei nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes hinsichtlich des Fehlens eines Verschuldens keine Darlegungslast (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg a. a. O. Rn. 19 mit weiteren Nachweisen).
4Die Klägerin hat dargetan und eidesstattlich versichert, dass sie seit dem 10.07.2014 unter ihrer neuen Adresse in S gemeldet ist, dass sie die Mitteilung der Adressänderung zum 01.08.2014 am 29.06.2014 dem Gericht mit Hilfe ihres Lebensgefährten zugeschickt hat. Wegen der verschiedenen Umzüge habe sie vergessen, beim Gericht nachzufragen, ob der Brief eingegangen sei.
5Das Arbeitsgericht geht in seinem Nichtabhilfebeschluss selbst davon aus, dass möglicherweise das Schreiben auf dem Postweg verloren gegangen sei. Da die Klägerin in dem Schreiben dem Gericht aber eine Frist bis zum 09.07.2014 gesetzt habe, innerhalb derer das Schreiben vom Gericht zu bestätigen sei, habe sie nach fruchtlosem Ablauf das Gericht nochmals an die Erledigung müssen oder sich telefonisch mit dem Gericht in Verbindung setzen können. Spätestens dann wäre aufgefallen, dass das Schreiben nicht bei Gericht eingegangen sei.
6Diese Subsumtion entspricht nicht dem oben dargestellten Verschuldensmaßstab. Es kann – zumal im Umzugsstress – nicht als „grobe Nachlässigkeit“ angesehen werden, wenn eine Partei – auch wenn sie selbst um Bestätigung innerhalb einer bestimmten Frist gebeten hat – nicht nochmals telefonisch oder auf andere Weise bei dem Gericht nachfragt und sich den Eingang bestätigen lässt. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin zu der fraglichen Zeit gerade im „Umzugsstress“ war.
7Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.
(1) Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; andernfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. § 318 bleibt unberührt.
(2) Das Beschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Erachtet das Beschwerdegericht die Beschwerde für begründet, so kann es dem Gericht oder Vorsitzenden, von dem die beschwerende Entscheidung erlassen war, die erforderliche Anordnung übertragen.
(4) Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht durch Beschluss.