Finanzgericht Hamburg Urteil, 12. Okt. 2016 - 4 K 160/14

published on 12/10/2016 00:00
Finanzgericht Hamburg Urteil, 12. Okt. 2016 - 4 K 160/14
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Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Zoll und Ausgleichszinsen für wieder ausgeführte Veredelungswaren.

2

Die Klägerin führt Früchte und Fruchtsaftkonzentrate aus Drittländern ein und verarbeitet diese. Hierzu wurden ihr im hier maßgeblichen Zeitraum 28 Veredelungsverkehre, mehrere Umwandlungsverfahren für verschiedene Saftkonzentrate sowie zahlreiche Verfahrensvereinfachungen (Anschreibeverfahren, Zugelassener Empfänger, Zugelassener Versender) bewilligt.

3

Hinsichtlich der Veredelungsverkehre war die Klägerin grundsätzlich verpflichtet, die Einfuhrabgaben selbst zu berechnen und die Abrechnung spätestens 30 Tage nach Ablauf der Frist für die Beendigung des Verfahrens der Überwachungszollstelle vorzulegen. Ab dem 01.10.2003 wurde die Frist für die Beendigung der Veredelungsverkehre auf den letzten Tag des auf die Überführung der Einfuhrwaren folgenden 4. Quartals verlängert. Dadurch hätten erstmals zum 31.12.2004 die Veredelungsverkehre abgerechnet werden müssen. Am 11.03.2005 übergab der Beklagte der Klägerin, die nach ihrem Vortrag bis dahin die Abrechnungen nie selbst habe vornehmen müssen, Muster für die Erstellung der Abrechnungen.

4

Mit Schreiben vom 20.10.2006 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er festgestellt habe, dass nach dem 31.12.2004 keine Abrechnungen abgegeben worden seien. Er wies darauf hin, dass die Nichtabgabe der Abrechnungen zur Entstehung einer Zollschuld für alle sich in den Veredelungsverkehren befindlichen Waren führe. Die Klägerin erhielt Gelegenheit, die Abrechnungen unverzüglich nachzuholen. Ihr wurde eine Frist bis zum 10.11.2006 gewährt, um eine rückwirkende Fristverlängerung für die Vorlage der Abrechnungen zu beantragen.

5

Hierauf antwortete die Klägerin nach vorheriger telefonischer Kontaktaufnahme mit Schreiben vom 14.11.2006 und beantragte eine rückwirkende Fristverlängerung bis zum 20.11.2006 für die Abrechnung der Veredelungsverkehre. Sie wies darauf hin, dass sie seit Juli 2005 versucht habe, einen Ersatz für eine in Mutterschutz gegangene Zollsachbearbeiterin zu finden.

6

Nachdem die daraufhin vorgelegten Abrechnungen den Anforderungen des Beklagten nicht entsprachen, verlängerte der Beklagte mit Schreiben vom 16.01.2007 die Abrechnungsfrist für die Veredelungsverkehre aus dem Jahr 2005 letztmalig bis zum 02.03.2007. Weitere Fristverlängerungen kämen nicht in Betracht. Bei künftigen Pflichtverletzungen sei der Beklagte gehalten, für die abzurechnenden Waren Abgabenbescheide zu erstellen.

7

In der Zeit vom 26.02.2007 bis 16.03.2007 führte das Hauptzollamt A eine Zollprüfung bei der Klägerin durch (...).

8

Nachdem der Beklagte die Abrechnung für die Zugänge bis Ende 2005 nach Korrekturen der Klägerin am 10.05.2007 akzeptiert hatte, teilte er der Klägerin mit Schreiben vom 05.06.2007 mit, dass die zum 30.04.2007 fällige Abrechnung für die Zugänge des 1. Quartals 2006 noch nicht vorgelegt worden sei. Die Klägerin erhielt Gelegenheit bis zum 20.06.2007 Stellung zu nehmen. Sollte dieser Termin wieder unentschuldigt versäumt werden oder die Begründung für eine nochmalige Fristverlängerung nicht ausreichen, müssten Abgaben erhoben werden. Da die Klägerin darauf nicht reagierte, setzte der Beklagte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 04.07.2007 Einfuhrabgaben für das 1. Quartal 2006 in Höhe von ... € fest. Am 10.07.2007 gab die Klägerin die Abrechnung für das 1. Quartal 2006 ab. Zur Begründung der Verspätung gab Frau B, Zollsachbearbeiterin der Klägerin, an, dass eine "Geschäftsprüfung" durch den Prüfdienst stattgefunden habe und sie die Abrechnungen der Veredelungsverkehre habe korrigieren müssen.

9

Nach Vorlage weiterer Unterlagen ersetzte der Beklagte den Bescheid vom 04.07.2007 durch den Einfuhrabgabenbescheid Nr. 00-1 vom 26.09.2007, mit dem er gemäß Art. 204 Abs. 1 ZK... € Zoll, ... € Einfuhrumsatzsteuer und ... € Ausgleichszinsen, mithin insgesamt ... €, erhob. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies der erkennende Senat mit Urteil vom 03.04.2009 (4 K 16/08) ab. Im Rahmen des gegen dieses Urteil durchgeführten Revisionsverfahrens hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 06.09.2012 (Rs. C-262/10) entschieden, dass Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) ZK so auszulegen sei, dass die Verletzung der Abrechnungspflicht gemäß Art. 521 Abs. 1 Unterabs. 1, 1. Anstrich ZKDVO zur Entstehung der Zollschuld für sämtliche abzurechnende Einfuhrwaren einschließlich der wieder aus dem EU-Zollgebiet ausgeführten Waren führe, sofern die Voraussetzungen von Art. 859 Nr. 9 ZKDVO nicht erfüllt seien. Daraufhin hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 11.12.2012 (VII R 16/09) das Urteil des erkennenden Senats bestätigt.

10

Nach Abschluss dieses Verfahrens nahm der Beklagte die bereits am 13.12.2007 bzw. 14.12.2009 gestellten Erstattungsanträge der Klägerin gemäß Art. 239 ZK und Art. 236 ZK hinsichtlich der mit Einfuhrabgabenbescheid vom 26.09.2007 festgesetzten Einfuhrabgaben wieder auf. Die Klägerin beschränkte ihre Erstattungsanträge auf den Zoll (... €) und die Ausgleichszinsen (... €), die auf den wieder ausgeführten Teil der Ware entfielen. Diese Abgaben seien nicht gemäß Art. 236 ZK geschuldet, weil die Voraussetzungen von Art. 859 Nr. 9 ZKDVO erfüllt seien. Der Europäische Gerichtshof und der Bundesfinanzhof hätten sich an die Feststellungen des erkennenden Senats gebunden gefühlt, nach denen die Voraussetzungen von Art. 859 Nr. 9 ZKDVO nicht erfüllt gewesen seien. Diese Feststellungen seien jedoch in vielerlei Hinsicht unzulänglich gewesen, um das Ausmaß der Anforderungen, das die Zollverwaltung an die damalige Zollsachbearbeiterin der Klägerin gestellt habe, wirklich erfassen zu können. Die Rechtskraft dieses Urteils stehe einer erneuten Prüfung nicht entgegen, weil das Finanzgericht mehrere Umstände überhaupt nicht geprüft habe. Es bleibe dabei, dass die Zollsachbearbeiterin der Klägerin seinerzeit durch eine enorme Fülle von zollamtlichen Anforderungen lahmgelegt worden sei. Nach dem Aktenvermerk des Beklagten vom 11.01.2007 sei festgestellt worden, dass "in der Zusammenschau der betriebsinternen und verwaltungsinternen Problematik" die Klägerin nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Diesen Umstand habe das Finanzgericht nicht gewürdigt.

11

Maßgeblich werde der Erstattungsantrag auf Art. 239 ZK gestützt. Art. 900 Abs. 1 Buchst. b) ZKDVO sei anzuwenden. Wenn die Vorschrift sogar eine irrtümliche Entziehungshandlung als unschädlich betrachte, müsse dies erst recht für Fälle gelten, in denen weniger gravierende Handlungen zur Entstehung einer Zollschuld geführt hätten. Auch Art. 900 Abs. 1 Buchst. l) ZKDVO sei einschlägig, weil der Fall vergleichbar sei mit der nicht vom Beteiligten zu vertretenen irrtümlichen Nichtgewährung der Abgabenbefreiung. Zur Befreiung von den Einfuhrabgaben im Rahmen des Veredelungsverfahrens sei es letztlich nicht gekommen, weil die Abrechnung verspätet abgegeben worden sei. Diese Verspätung könne nicht der Klägerin allein zugerechnet werden, weil sie von verschiedenen Stellen der Zollverwaltung übermäßig belastet worden sei. Schließlich seien Art. 901 Abs. 1 Buchst. a), b), c) ZKDVO Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, nach dem Einfuhrabgaben auf wieder ausgeführte Ware erlassen würden.

12

Ein Erstattungsgrund könne auch aus einer Gesamtschau abgeleitet werden, wenn die verspätete Abrechnung mit anderen Fällen verglichen würde, in denen Heilungsmöglichkeiten bestünden.

13

Bei Art. 239 ZK müsse berücksichtigt werden, wenn sich ein Wirtschaftsteilnehmer im Verhältnis zu anderen Wirtschaftsteilnehmern in einer außergewöhnlichen Situation befinde. Dies sei vorliegend gegeben, weil die Zollverwaltung eine übermäßige Arbeitsbelastung hervorgerufen habe, die nicht mit der Belastung anderer Unternehmen vergleichbar gewesen sei. Zeitweise seien mehr als die Hälfte der Beschäftigten der Klägerin mit der Zollbearbeitung befasst gewesen. Gleichzeitig sei zu würdigen, dass der Beklagte über Jahre hinweg die quartalsmäßige Abrechnung nicht angefordert habe. Der Beklagte sei zunächst kulant gewesen, habe dann aber plötzlich alle Verfahren gleichzeitig abgearbeitet wissen wollen und habe hierbei wechselnde Anforderungen gestellt. Außerdem sei die Rechtslage im Veredelungsverkehr komplex.

14

Ohnehin könne nicht auf die Zollsachbearbeiterin abgestellt werden, weil sie nur Hilfsperson der Klägerin sei. Die Einstandspflicht des Beteiligten für andere Personen beschränke sich lediglich auf den Bereich der Erfüllung der Zollformalitäten für das Erlassverfahren, nicht aber auf das vorangehende Verhalten, das zur Entstehung der Zollschuld geführt habe. Der Geschäftsführer der Klägerin habe die Zollmitarbeiterin B über Jahre hinweg als zuverlässige Mitarbeiterin erlebt. Sie sei der Arbeitsmenge nicht mehr Herr geworden. Geeignetes zusätzliches Personal sei nicht zu finden gewesen.

15

Der Erstattung stehe auch keine offensichtliche Fahrlässigkeit entgegen. Dieser Begriff sei genau wie die grobe Fahrlässigkeit auszulegen. Es sei bereits dargestellt worden, dass das Versäumen des Fristverlängerungsantrags weder offensichtlich noch grob fahrlässig gewesen sei.

16

Mit Bescheid vom 28.08.2013 lehnte der Beklagte die Erstattungsanträge ab. Die Voraussetzungen von Art. 859 Nr. 9 ZKDVO lägen nicht vor, denn die Frist wäre bei rechtzeitiger Antragstellung nicht verlängert worden. Nach Art. 521 Abs. 1 ZKDVO dürfe eine Fristverlängerung nur bei Vorliegen besonderer Umstände gewährt werden. Es müsse sich um solche Ereignisse handeln, denen nicht jeder Wirtschaftsteilnehmer bei Ausübung seines Gewerbes regelmäßig ausgesetzt sei. Die von der Klägerin angeführte "enorme Fülle an zollrechtlichen Anforderungen" beruhe auf ihrem eigenen Versäumnis, weil sie nicht von sich aus die Veredelungsverkehre abgerechnet habe. Außerdem habe sie die Fristversäumung grob fahrlässig herbeigeführt. Als erfahrene Inhaberin von Zollverfahren könne sie sich nicht auf die Komplexität der Vorschriften berufen. Der Vermerk vom 11.01.2007, aus dem sich die fehlende grobe Fahrlässigkeit der Klägerin ergeben solle, beziehe sich auf Zugänge bis zum 31.12.2005 und die damit verbundene Fristverlängerung zur Abrechnung dieser Veredelungsverkehre.

17

Auch eine Erstattung nach Art. 239 ZK komme nicht in Betracht. Keine der in Art. 900 Abs. 1 ZKDVO aufgeführten Fallgruppen, die abschließend seien, komme in Betracht. Auch auf Art. 239 Abs. 1, 2. Anstrich ZK könne sich die Klägerin nicht stützen, weil keine besonderen Umstände vorlägen. Der Grad der Fahrlässigkeit könne daher offenbleiben.

18

Gegen den ablehnenden Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 17.09.2013 Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass besondere Umstände im Sinne von Art. 521 Abs. 1 ZKDVO vorgelegen hätten, weil es nicht nur eine Zollprüfung gegeben habe. Die Fülle zeitgleicher Zollprüfungen und sonstiger Anforderungen sei nicht berücksichtigt worden. Der Umstand, dass der Beklagte schlagartig für 28 Bewilligungen Abrechnungen eingefordert habe, nachdem er über zwei Jahre untätig geblieben sei, stelle einen besonderen Umstand dar. Außerdem habe die Behörde wechselnde Anforderungen an die Abrechnung gestellt. Dies beziehe sich auf drei verschiedene Brix-Varianten, die der Europäische Gerichtshof mit den verb. Rs. C-522/07 und C-65/08 für rechtswidrig erklärt habe.

19

Mit Einspruchsentscheidung vom 31.07.2014 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Erstattung nach Art. 236 ZK scheide aus den im ablehnenden Bescheid dargestellten Gründen aus. Durch die Außenprüfung könne die Klägerin nicht von der fristgerechten Vorlage bis zum 20.06.2007 abgehalten worden sein, weil diese nur bis zum 16.03.2007 gedauert habe. Wenn der Beklagte für einen längeren Zeitraum keine Abrechnungen angemahnt habe, sei dies ein Umstand, dem auch andere Wirtschaftsteilnehmer ausgesetzt seien. Auch die umfangreichen administrativen Anforderungen an die Inanspruchnahme von Zollverfahren träfen alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen. Der Umstand, dass das Zollamt gemäß Art. 521 Abs. 3 ZKDVO den Veredelungsverkehr selbst abrechnen könne, ändere nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nichts an der Pflicht des Wirtschaftsbeteiligten, dies selbst zu tun. Eine Erstattung nach Art. 239 Abs. 1, 2. Anstrich ZK scheide aus. Die Klägerin müsse sich das Verhalten der Zollsachbearbeiterin zurechnen lassen. Ein Wirtschaftsteilnehmer müsse auch durch personelle und organisatorische Maßnahmen für die Einhaltung der Zollformalitäten sorgen.

20

Mit der am 21.08.2014 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Entstehung der Abgabenschuld bloß wegen der verspäteten Vorlage der Abrechnung der Veredelungsverkehre sei unverhältnismäßig. Die Verhältnismäßigkeit müsse über die Erstattung wiederhergestellt werden.

21

Der Umsatz der Klägerin sei von ... Mio. € bzw. ... Mio. € in den Jahren 2004 und 2005 über ... Mio. € im Jahr 2006 sprunghaft auf fast ... Mio. € im Jahr 2007 angestiegen. Damit habe auch die Zahl der Fälle, in denen besondere Meldungen hätten abgegeben werden müssen, zugenommen. Wegen der Randlage der Klägerin sei es äußerst schwierig gewesen, fachkundiges Personal zu finden. Die Zollsachbearbeiterin sei mit ihrer Arbeit "abgesoffen", nachdem der Beklagte sie plötzlich mit Schreiben vom 20.10.2006 aufgefordert habe, die Abrechnungen der Veredelungsverkehre für die Jahre 2004 bis 2006 vorzulegen. Sie habe der Aufarbeitung der Vergangenheit Priorität eingeräumt, weil die Fortschreibung unmittelbare Auswirkung auf die aktuellen Bestände und Abschreibungen gehabt habe, so dass der nachfolgende Zeitraum nur gewissenhaft habe erfasst werden können, nachdem die Zahlen der Vergangenheit vom Beklagten anerkannt worden seien. Hinzugekommen sei die komplette Aufarbeitung der Umwandlungsverkehre für die Zeit von Juni 2004 bis Ende 2006 auf Anforderung von Frau C vom Beklagten. Zwar habe die Außenprüfung nur bis zum 16.03.2007 gedauert. Die Aufarbeitung der Umwandlungsverkehre sei jedoch mit weiteren Besuchen von Frau C und Herrn D vom Beklagten verbunden gewesen, weil Herr E vom Beklagten Einwände gegen die zunächst vorgenommene Abrechnung erhoben habe. Die daraufhin neu erstellten Abrechnungen hätten wiederum nicht die Zustimmung des Prüfers des HZA A, Herrn F, gefunden. Außerdem habe das Zollamt G Prüfungen durchgeführt. Phasenweise hätte mehr als die Hälfte der bei der Klägerin beschäftigten Personen die Zollsachbearbeiterin unterstützt.

22

Der Geschäftsführer der Klägerin habe, nachdem der Beklagte die Vorlage der Abrechnungen bis Januar 2007 angemahnt habe, am 20.12.2006 ein Gespräch mit Frau B geführt. In diesem Gespräch sei den Abrechnungen Priorität eingeräumt worden. Die Zollabteilung sei personell verstärkt worden. Frau B habe von November 2006 bis Juli 2007 ca. 300 Überstunden gemacht. Die Geschäftsführung habe nicht erkennen können, dass Frau B ab einem gewissen Zeitpunkt überfordert gewesen sei und keinen weiteren Fristverlängerungsantrag gestellt habe.

23

Der Geschäftsführer der Klägerin habe die Fristverlängerung für die Abrechnung zum 20.07.2007 vermerkt und durch Nachfrage bei Frau B deren Einhaltung kontrolliert. Frau B habe ihm gegenüber jedoch wahrheitswidrig angegeben, sie habe den Rückstand aufgearbeitet, so dass kein Anlass für weitere Maßnahmen bestanden habe. Hieraus ergebe sich, dass Frau B zwar einen Arbeitsfehler begangen, aber nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Gleichwohl sei sie mit Wirkung zum 31.03.2008 entlassen und die funktionelle Leitung der Zollabteilung der Klägerin auf einen Mitarbeiter der Muttergesellschaft übertragen worden.

24

In rechtlicher Hinsicht beruft sich die Klägerin auf ihren bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus, dass die Arbeitsbelastung von Frau B und die Anforderungen des Beklagten im Urteil des FG Hamburg im Verfahren 4 K 16/08 übergangen worden seien. Berücksichtige man dies, müsse man Art. 859 Nr. 9 ZKDVO als erfüllt ansehen. Der Beklagte habe in seinem Schreiben vom 05.06.2007 selbst eine nochmalige rückwirkende Fristverlängerung in Betracht gezogen, die in einer späteren Sache auch gewährt worden sei. Im Januar 2007 sei die grobe Fahrlässigkeit der Klägerin verneint worden und in der Folge sei nichts geschehen, das eine andere Wertung nötig gemacht habe. Vor diesem Hintergrund stelle das bloße Unterlassen eines weiteren Fristverlängerungsantrags einen bloßen Arbeitsfehler dar. Der Beitrag des Beklagten zur Arbeitsüberlastung der Zollsachbearbeiter müsse berücksichtigt werden. Es dürfe nicht nur das Verhalten des Importeurs in Rechnung gestellt werden.

25

Jedenfalls habe die Klägerin einen Erstattungsanspruch nach Art. 239 ZK. Der Fall sei mit den in Art. 900 Abs. 1 Buchst. b) und l) ZKDVO genannten Fallgruppen vergleichbar. Jedenfalls sei die Generalklausel von Art. 239 ZK erfüllt. Die Zollverwaltung habe in der Gesamtschau eine übermäßige Arbeitsbelastung hervorgerufen, weil sie zunächst jahrelang keine Abrechnungen gefordert habe. Außerdem seien während des laufenden Betriebs alle Bewilligungen zeitgleich überprüft worden. Dieser Engpass sei durch die Mengenabgleichungen verstärkt worden, ohne die eine Fortschreibung der Zu- und Abgänge nicht sinnvoll möglich gewesen sei. Die Mengenberechnungen hätten neu vorgenommen werden müssen, weil eine Trennung nach Brix-Werten gewünscht gewesen sei.

26

Da der Antrag gemäß Art. 905 Abs. 1, 3. Anstrich ZKDVO der Kommission vorzulegen sei, seien die Maßstäbe, die die Kommission in sonstigen Fällen angelegt habe, zu berücksichtigen. Der Fall sei mit der Entscheidung der Europäischen Kommission REC 02/07 vergleichbar. Dort habe die Zollverwaltung über Jahre selbst abgerechnet und vor diesem Hintergrund entschieden, dass der Beteiligte nicht als erfahren gelte. Außerdem sei die Rechtslage komplex. Es gebe keine Vorschriften, wie die Abrechnung im Einzelnen auszusehen habe. Im Fall REM 1/92 sei es bei der Wiederausfuhr unterlassen worden, die Beendigung der aktiven Veredelung anzumelden. Die entstandene Zollschuld sei niedergeschlagen worden, weil die Waren wieder ausgeführt worden seien. In den Fällen REM 24-26/97 seien die Waren ohne bzw. nach Ablauf der Bewilligung in die aktive Veredelung überführt worden. Die Zollschuld sei erlassen worden, obwohl die Erneuerung der aktiven Veredelung nicht beantragt worden sei, weil nichts gegen die Erneuerung der Bewilligung gesprochen hätte. In der Entscheidung REM 12/98 seien Waren aus einem Zolllager ohne Erfüllung der erforderlichen Förmlichkeit entfernt worden. Für den Erlass sei allein ausschlaggebend gewesen, dass die Waren tatsächlich aus dem EU-Zollgebiet entfernt worden seien. Das Fehlverhalten, die Förmlichkeit nicht zu erfüllen, sei nicht als offensichtlich fahrlässig gewürdigt worden. Im Verfahren REM 24/98 seien Waren nach einer Veredelung ausgeführt worden, ohne dass eine Bewilligung vorgelegen habe. Das Unterlassen des Beteiligten, die Veredelung in Anspruch zu nehmen, ohne einen entsprechenden Antrag zu stellen, sei nicht als offensichtlich fahrlässig gewürdigt worden. In der Entscheidung REM 6/99 seien Waren im Anschluss an eine Veredelung auf der Grundlage der Veredelungserzeugnisse - anstelle der Einfuhrwaren - zum freien Verkehr angemeldet worden. Eine offensichtliche Fahrlässigkeit habe nicht vorgelegen, weil der Wirtschaftsbeteiligte sich an die Zollverwaltung gewandt habe, die die fälligen Einfuhrabgaben selbst berechnet habe. Im Verfahren REM 02/01 sei die Zollschuld erlassen worden, obwohl alle Begleitpapiere eine unzutreffende Warenbeschreibung aufgewiesen hätten. Der Beteiligte habe sich nämlich nachträglich um eine erweiterte Bewilligung gekümmert.

27

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 28.08.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2014 zu verpflichten,
1. ihr auf ihre Erstattungsanträge gemäß Art. 236 ZK und Art. 239 Abs. 1, 1. Anstrich ZK Zoll und Ausgleichszinsen i. H. v. insgesamt ... € zu erstatten,
2. hilfsweise ihren Erstattungsantrag gemäß Art. 239 Abs. 1, 2. Anstrich ZK i. V. m. Art. 905 Abs. 1 ZKDVO der Europäischen Kommission zur Entscheidung vorzulegen.

28

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

29

Er bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass rechtskräftig durch das Urteil des FG Hamburg vom 03.04.2009 (4 K 16/08) entschieden worden sei, dass die Einfuhrzollschuld nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstanden sei und die Voraussetzungen der Ausnahme des Art. 859 Nr. 9 ZKDVO nicht erfüllt seien. Unrichtig sei, dass das Finanzgericht in diesem Urteil die Fülle der Anforderungen an die Klägerin nicht berücksichtigt habe. Es sei zu dem Ergebnis gekommen, dass zollamtliche Überprüfungen mit den Konsequenzen für die Mitarbeiter alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise träfen.

30

Weder seien die speziellen Tatbestände von Art. 900 Abs. 1 ZKDVO erfüllt, noch liege ein Fall von Art. 239 Abs. 1, 2. Anstrich ZK vor. Zwar habe die Klägerin ihr Personal verstärkt. Doch sehe der Beklagte nicht, dass sie sich hinsichtlich der Personalsituation im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern in einer außergewöhnlichen Lage befunden habe.

31

Die von der Klägerin angeführten Einzelentscheidungen der Kommission beträfen andere Sachverhalte, nämlich entweder einen aktiven Irrtum der Zollbehörden oder eine Situation, bei der sich der Fehler im Endeffekt nicht auf den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens ausgewirkt habe. Die Entscheidung REM 1/92 betreffe den Zeitraum vor Einführung des Zollkodex.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren 4 K 16/08 sowie die Sachakten des Beklagten zu den gerichtlichen Az. 4 K 16/08 und 4 K 160/14 (...) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33

Die zulässige Verpflichtungsklage hat auf der Grundlage des anwendbaren Rechts (dazu I.) weder mit dem Haupt- (dazu II.) noch mit dem Hilfsantrag (dazu III.) Erfolg.

I.

34

Die Beurteilung des Rechtsstreits richtet sich nach den Vorschriften des Zollkodex.

35

Zwar ist bei Verpflichtungsklagen (§ 101 FGO), die - wie hier - auf eine gebundene Entscheidung gerichtet sind, grundsätzlich für die Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (BFH, Urt. v. 06.08.2013, VII R 15/12, juris Rn. 10; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, 138. EL Okt. 2014, § 101 FGO Rn. 8 m. w. N.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, 226. EL Febr. 2014, § 101 FGO Rn. 25 m. w. N.). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn sich aus dem materiellen Recht eine andere Wertung ergibt (BFH, Urt. v. 06.08.2013, VII R 15/12, juris Rn. 10). Dies ist hier der Fall.

36

Auch wenn mit Wirkung zum 01.05.2016 die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 vom 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. L 269/1, berichtigt durch ABl. 2016 L 267/2; Unionszollkodex - UZK) vollständig in Kraft getreten und zeitgleich die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. EG L 302/1; Zollkodex - ZK) aufgehoben wurde (Art. 286 Abs. 2 i. V. m. Art. 288 Abs. 2 UZK), finden auf den vorliegenden Rechtsstreit die Art. 236 und 239 ZK sowie die entsprechenden Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 02.07.1993 mit Durchführungsvorschriften zum Zollkodex (ABl. L 253/1; zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) 2015/2064 vom 17.11.2015 [ABl. L 301/12] - ZKDVO) Anwendung.

37

Hierbei ist nach der Salumi-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Ausgangspunkt davon auszugehen, dass Verfahrensvorschriften auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind. Materiellrechtliche Vorschriften werden dagegen im allgemeinen so ausgelegt, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, wenn aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (EuGH, Urt. v. 12.11.1981 verb. Rs. 212-217/80, Rn. 9 f.).

38

Für die Erstattungs- bzw. Erlassvorschriften hat das Europäische Gericht Erster Instanz hinsichtlich des Übergangs von der Verordnung (EWG) 1430/79 vom 02.07.1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175/1) zum Zollkodex entschieden, dass die materiellrechtlichen Erstattungsvorschriften des Zollkodex erst für Einfuhren nach dessen Inkrafttreten anzuwenden sind (EuG, Urt. v. 10.05.2001, verb. Rs. T-186, 187, 190-192, 210, 211, 216-218, 279, 280, 293/97 und T-147/99, Rn. 26; siehe auch EuGH, Urt. v. 13.03.2003, C-156/00, Rn. 35 f.). Bezogen auf den Übergang vom Zollkodex zum Unionszollkodex lässt sich Letzterem, insbesondere den Art. 116 ff. UZK, nicht entnehmen, dass seine materiellrechtlichen Vorschriften auf Einfuhren anzuwenden sind, die vor dem 01.05.2016 stattgefunden haben.

39

Was die Verfahrensvorschriften angeht, sind sie auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar (EuG, Urt. v. 10.05.2001, verb. Rs. T-186, 187, 190-192, 210, 211, 216-218, 279, 280, 293/97 und T-147/99, Rn. 35; EuG, Urt. v. 09.06.1998, T-10, 11/97, Rn. 18 f. [bestätigt durch EuGH, Urt. v. 09.12.1999, C-299/98]). Entschieden wurde, dass hiervon die Verfahren erfasst werden, in denen die Anträge nach Inkrafttreten des neuen Rechts gestellt wurden. Nicht "anhängig" im Sinne dieser Rechtsprechung sind jedoch abgeschlossene Verwaltungsverfahren. Es würde nämlich keinen Sinn ergeben, Verwaltungsbehörden und Wirtschaftsbeteiligte an Verfahrensvorschriften zu messen, denen sie wegen Abschluss des Verwaltungsverfahrens im gerichtlichen Verfahren nicht mehr nachkommen können.

II.

40

Der Hauptantrag ist unbegründet. Die Ablehnung der beantragten Erstattung ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO), weil sie keinen Anspruch auf Erstattung von... € Zoll und ... € Ausgleichszinsen aus Art. 236 ZK (dazu 1.) oder aus Art. 239 Abs. 1, 1. Anstrich ZK i. V. m. Art. 900 Abs. 1 ZKDVO (dazu 2.) hat.

41

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung von Zoll und Ausgleichszinsen gemäß Art. 236 ZK. Nach Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK werden Einfuhrabgaben insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war. Neben den Zöllen sind auch die Ausgleichszinsen von Art. 236 ZK erfasst. Zwar werden Ausgleichszinsen - anders als Zölle - nicht bei der Definition von Einfuhrabgaben in Art. 4 Nr. 10 ZK erwähnt. Gleichwohl unterliegen sie denselben Erstattungsregeln wie Zölle (EuGH, Urt. v. 13.03.2003, Rs. C-156/00, Rn. 49; a. A. FG Baden-Württ., Urt. v. 12.04.2016, 11 K 2269/14, juris Rn. 39). Die Voraussetzungen von Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK liegen jedoch nicht vor. Der Zoll und die Ausgleichszinsen, deren Erstattung begehrt wird, sind gesetzlich geschuldet.

42

1.1 Hinsichtlich der Zölle ergibt sich dies bereits aus den rechtskräftigen Feststellungen des Urteils des erkennenden Senats vom 03.04.2009 (4 K 16/08), an die die Beteiligten gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO gebunden sind. Nach dieser Vorschrift sind die Beteiligten an rechtskräftige Urteile gebunden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Der Streitgegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens wird durch den Klageantrag und den Klagegrund bestimmt (Brandt in Beermann/Gosch, AO/FGO, 124. EL Juni 2016, § 110 FGO Rn. 96). Die Bindungswirkung eines Urteils gemäß § 110 FGO umfasst den der Entscheidung tatsächlich zu Grunde gelegten Sachverhalt und die hierzu angestellten, die Entscheidung tragenden rechtlichen Erwägungen, wie sie sich aus den Urteilsgründen ergeben (Brandt, a. a. O., Rn. 100). Bei erfolglosen Anfechtungsklagen - wie im Verfahren 4 K 16/08 - erwächst auch die Feststellung in Rechtskraft, dass der angefochtene Verwaltungsakt nicht rechtswidrig war (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, 231. EL Febr. 2015, § 110 FGO Rn. 62). Dies umfasst gleichzeitig die Feststellung, dass die Voraussetzungen des angefochtenen Verwaltungsakts vorliegen (Lange a. a. O.; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 121 Rn. 26).

43

Mit rechtskräftigem Urteil vom 03.04.2009 (4 K 16/08) wies der Senat die Anfechtungsklage gegen den Einfuhrabgabenbescheid Nr. 00-1 vom 26.09.2007 ab. In den Urteilsgründen führte er aus, dass die Klägerin eine Pflicht aus dem Zollverfahren gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) ZK verletzt habe, indem sie die Abrechnung für das 1. Quartal 2006 auch nicht innerhalb der bis zum 20.06.2007 gesetzten Nachfrist vorgelegt habe. Die Monatsabrechnungen seien Pflichten, die auch nach Beendigung des Veredelungsverkehrs noch bestünden. Die Voraussetzungen von Art. 859 Nr. 9 ZKDVO, nach denen sich ein Verstoß gegen Art. 204 ZK nicht wirklich ausgewirkt habe, hätten nicht vorgelegen.

44

Anders als die Klägerin meint, hat der Senat in diesem Urteil die Umstände gewürdigt, auf die sich die Klägerin auch im vorliegenden Verfahren bezieht. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass beiden Verfahren die zwei Hefter Sachakten "FG 4 K 16/08 Sachakte" und "FG 4 K 16/08 Rb-Akte" vorlagen, aus denen sich der wesentliche entscheidungserhebliche Sachverhalt ergibt. Das Urteil setzt sich mit diesem Sachverhalt und den wesentlichen Argumenten der Klägerin auseinander. So berücksichtigt es "die erhebliche Inanspruchnahme [der Klägerin] im Rahmen einer Zollprüfung sowie bei der Umsetzung zollamtlicher Anforderungen" (...) und konzediert in diesem Zusammenhang, dass dies einen Wirtschaftsteilnehmer erheblich belasten könne (...). Außerdem setzt es sich mit dem Argument auseinander, dass die Klägerin keine geeigneten Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter habe finden können (...). Ferner greift es konkret die Arbeitsüberlastung von Frau B auf und kommt zu dem Ergebnis, dass die seit vielen Monaten bestehende Arbeitsüberlastung ein Zeichen dafür sei, dass die Klägerin es an den "notwendigen personellen und organisatorischen Maßnahmen hat fehlen lassen" (...). Dass es sich - wie die Klägerin im vorliegenden Verfahren vorträgt - nicht mit der Einschätzung des Beklagten aus dem Aktenvermerk vom 11.01.2007 auseinandersetzt, ist für die Frage der Reichweite der Rechtskraft unbeachtlich, da das Gericht gemäß § 96 Abs. 1 S. 3 FGO nicht verpflichtet ist, jeden einzelnen Aspekt der Beteiligtenvorträge in den Entscheidungsgründen zu thematisieren (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 127. EL Okt. 2011, § 96 FGO Rn. 103).

45

Damit wurde mit Bindungswirkung für die Beteiligten entschieden, dass aus dem auch dem Erstattungsverfahren zu Grunde liegenden Sachverhalt die hier in Rede stehende Zollschuld nach Art. 204 ZK entstanden ist. Mit dieser Feststellung wurde zugleich entschieden, dass die Voraussetzungen von Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK nicht vorliegen, weil nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in einer Situation, in der die Zollschuld entstanden ist, dieser Betrag im Sinne von Art. 236 Abs. 1 ZK gesetzlich geschuldet ist (EuGH, Urt. v. 20.10.2005, C-247/04, Rn. 29; Urt. v. 13.12.2007, C-526/06, Rn. 29).

46

1.2 Auch die Ausgleichszinsen sind gesetzlich geschuldet. Da - wie dargelegt - die Zollschuld entstanden ist, sind zwingend gemäß Art. 519 ZKDVO Ausgleichszinsen zu entrichten, die der Höhe nach in den Anlagen zum Einfuhrabgabenbescheid vom 26.09.2007 zutreffend berechnet wurden (...).

47

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung gemäß Art. 239 Abs. 1, 1. Anstrich ZK. Danach können Einfuhrabgaben in anderen als den in den Art. 236-238 ZK genannten Fällen, die nach dem Ausschussverfahren festgelegt werden (Art. 899 ff. ZKDVO), erstattet werden. Der Beklagte ist zur Entscheidung hierüber gemäß Art. 899 Abs. 1 ZKDVO berufen.

48

Die Voraussetzungen der in Art. 900 Abs. 1 ZKDVO genannten Tatbestände sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Art. 900 Abs. 1 Buchst. b) ZKDVO ist nicht anzuwenden, da die Klägerin die Waren, die sich in der aktiven Veredelung befanden, durch die verspätete Abrechnung nicht der zollamtlichen Überwachung entzogen hat. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die verspätete Abrechnung eine weniger gravierende Pflichtverletzung darstellt als die Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung. Da es sich um eine abschließende Aufzählung von spezifischen Fallgruppen handelt, kommt eine entsprechende Anwendung dieser Tatbestände nicht in Betracht (vgl. Gellert in Dorsch, Zollrecht, 135. EL März 2012, Art. 239 ZK Rn. 91).

49

Auch die Voraussetzungen von Art. 900 Abs. 1 Buchst. l) ZKDVO sind nicht erfüllt. Wie unten dargelegt (unten III.2.), hat die Klägerin die Pflichtverletzung, die zur Zollschuldentstehung führte, offensichtlich fahrlässig herbeigeführt. Daher erfolgte - wie Art. 900 Abs. 1 Buchst. l) ZKDVO es verlangt - die Verweigerung der Abgabenbefreiung nicht aus ihr nicht zurechenbaren Gründen.

50

Da es sich - wie bei Art. 900 Abs. 1 ZKDVO (siehe oben) - auch bei Art. 901 Abs. 1 ZKDVO um eine abschließende Aufzählung handelt, kann sich die Klägerin auch nicht auf den nach ihrer Auffassung in Art. 901 Abs. 1 Buchst. a), b), c) ZKDVO zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken berufen, dass Einfuhrabgaben auf wieder ausgeführte Ware erlassen würden.

III.

51

Die Klage hat auch mit dem Hilfsantrag keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vorlage ihres Erstattungsantrags an die Europäische Kommission gemäß Art. 239 Abs. 1, 2. Anstrich ZK.

52

Nach Art. 905 Abs. 1 ZKDVO, der insoweit Art. 239 Abs. 1, 2. Anstrich S. 1 ZK konkretisiert, muss es sich um einen besonderen Fall handeln, der sich aus Umständen ergibt, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Diese Vorschrift ist eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel, die andere als die praktisch am häufigsten vorkommenden Fälle, für die eine besondere Regelung (siehe oben II.2.) geschaffen wurde, erfassen soll (BFH, Urt. v. 24.04.2001, VII R 114/99, juris Rn. 20).

53

Da die Klägerin die Erstattung von Einfuhrabgaben von über ... € begehrt, dürfte der Beklagte über den auf Art. 239 Abs. 1, 2. Anstrich ZK gestützten Erstattungsantrag nicht selbst entscheiden, sondern wäre gemäß Art. 899 Abs. 2 Unterabs. 1 i. V. m. Art. 905 Abs. 1, 3. Anstrich ZKDVO verpflichtet, ihn der Europäischen Kommission zur Entscheidung vorzulegen. Eine solche Vorlageverpflichtung besteht schon dann, wenn der Erstattungsantrag genügend Anhaltspunkte dafür bietet, dass sich der Antragsteller in einer außergewöhnlichen Situation befindet, und nicht erst in solchen Fällen, in denen das Vorliegen besonderer Umstände eindeutig zu bejahen ist (BFH, Urt. v. 24.04.2001, VII R 114/99, juris Rn. 21). Nach diesem Maßstab ist der Beklagte vorliegend nicht verpflichtet, den Erstattungsantrag der Europäischen Kommission vorzulegen. Der Erstattungsantrag bietet nicht genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Situation. Es kann offenbleiben, ob besondere Umstände vorliegen (dazu 1.). Die Klägerin handelte nämlich offensichtlich fahrlässig (dazu 2.).

54

1. Der Begriff des besonderen Falles ist gesetzlich nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann auf einen im vorbezeichneten Sinne besonderen Fall geschlossen werden, wenn im Lichte des an der Billigkeit ausgerichteten Regelungszweckes des Art. 239 ZK Umstände festgestellt werden, aufgrund deren sich der Antragsteller in einer Lage befindet, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist (vgl. EuGH, Urt. v. 27.09.2001, C-253/99, Rn. 56; Urt. v. 25.02.1999, C-86/97, Rn. 22). Ferner stellen die Erstattung und der Erlass von Einfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den eigens dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden können, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem dar, so dass die Vorschriften, die eine solche Erstattung oder einen solchen Erlass vorsehen, eng auszulegen sind (vgl. EuGH, Urt. v. 13.03.2003, C-156/00, Rn. 91; Urt. v. 11.11.1999, C-48/98, Rn. 52; EuG, Urt. v. 12.02.2004, T-282/01, Rn. 55). Besondere Umstände liegen mithin vor, wenn das normale berufliche und geschäftliche Risiko des Beteiligten überschritten wird (FG Hamburg, Urt. v. 26.06.2014, 4 K 149/13, juris Rn. 22).

55

Es ist bereits zweifelhaft, ob in diesem Sinne besondere Umstände vorlagen. Der Klägerin waren im hier maßgeblichen Zeitraum nicht nur zahlreiche Veredelungsverkehre sondern auch Umwandlungsverfahren sowie verschiedene zollrechtliche Vereinfachungen bewilligt worden. Dass die Zollbehörden die Einhaltung der Vorschriften für diese Bewilligungen überprüfen würden, durfte die Klägerin nicht überraschen. Da Art. 521 ZKDVO es zuließ, dass die Abrechnung vom Wirtschaftsbeteiligten vorgenommen werden muss, stellt die Verpflichtung hierzu ebenfalls keinen besonderen Umstand dar, zumal die Klägerin sich bereits ab dem 01.10.2003, also über drei Jahre vor der ersten Aufforderung der Verpflichtung nachzukommen, hierauf einstellen konnte.

56

Auch die von der Klägerin ins Feld geführten Schwierigkeiten bei der Auslegung des Unionsrechts dürften keine besonderen Umstände darstellen (siehe EuG, Urt. v. 21.09.2004, T-104/02, Rn. 67). Der Gefahr, dass bei verspäteter Abrechnung der aktiven Veredelung eine Zollschuld nach Art. 204 ZK entsteht, waren alle Wirtschaftsbeteiligten gleichermaßen ausgesetzt.

57

2. Letztlich kann das Vorliegen besonderer Umstände jedoch offenbleiben, weil die Klägerin offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Anhand welcher Kriterien das Vorliegen offensichtlich fahrlässigen Verhaltens zu bestimmen ist, hat der Europäische Gerichtshof im Urteil Söhl & Söhlke (Urt. v. 11.11.1999, C-48/98) grundlegend entschieden. Danach müssen insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden (a. a. O., Rn. 55). Zugleich weist der Europäische Gerichtshof darauf hin, dass der Begriff so auszulegen ist, dass die Anzahl der Fälle, in denen erstattet oder erlassen wird, begrenzt bleibt (a. a. O., Rn. 52). Bei Betrachtung dieser Gesichtspunkte muss das Verhalten der Klägerin insgesamt als offensichtlich fahrlässig bezeichnet werden. Im Einzelnen:

58

2.1 Hinsichtlich der Erfahrung des Wirtschaftsteilnehmers ist zu untersuchen, ob er im Wesentlichen im Einfuhr- und Ausfuhrgeschäft tätig ist und ob er bereits über eine gewisse Erfahrung mit der Durchführung dieser Geschäfte verfügt (EuGH, Urt. v. 11.11.1999, C-48/98, Rn. 57). Die Klägerin handelt seit vielen Jahren mit Fruchtsäften und Fruchtsaftkonzentraten. Mindestens seit 1994 nutzt sie den aktiven Veredelungsverkehr. Ausweislich des Prüfungsberichts vom 07.06.2007 waren ihr neben 28 Veredelungsverkehren drei Umwandlungsverfahren und zahlreiche zollrechtliche Vereinfachungen bewilligt worden. Bis Mai 2005 betrieb sie außerdem ein Zolllager. Die Klägerin verfügte damit über langjährige Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen zollrechtlichen Verfahren. Auch wenn man unterstellt, dass sie bis zur Umstellung der Abrechnungspraxis zum 31.12.2004 die hier in Rede stehenden Abrechnungen nicht selbst vorgenommen hat, konnte sie, bevor sie die Frist für die Abgabe der Abrechnungen des 1. Quartals 2006 versäumte, Erfahrung mit der Abrechnung sammeln. Sie hat nämlich die Abrechnungen für das Jahr 2005 am 10.05.2007 endgültig vorgelegt, so dass ihr spätestens zu diesem Zeitpunkt klar war, wie die Abrechnungen zu erfolgen hatten.

59

2.2 Was die Komplexität der Vorschriften angeht, ist Art. 521 Abs. 1 ZKDVO bezüglich der Pflicht zur Abrechnung eindeutig formuliert. Das Schreiben des Beklagten vom 05.06.2007, auf das die Klägerin nicht mehr reagierte, ließ ebenfalls keine Zweifel, dass die Abrechnung erfolgen müsse. Allerdings war die konkrete Art der Abrechnung, insbesondere die von der Klägerin geforderte Unterteilung nach verschiedenen Brix-Werten, durchaus nicht unkompliziert.

60

2.3 Die Klägerin hat ihre Sorgfaltspflicht bei der Inanspruchnahme zollrechtlicher Verfahren, die - wie die aktive Veredelung - zu einer Abgabenreduzierung führen, nicht erfüllt. Diese Sorgfaltspflicht verlangt nicht nur, dass sich ein Wirtschaftsbeteiligter bei Zweifeln über die richtige Anwendung der Zollvorschriften nach Kräften informiert (EuGH, Urt. v. 11.11.1999, C-48/98, Rn. 58). Auch eine unzureichende Organisation der mit der Abwicklung der Zollformalitäten befassten Unternehmensteile stellt eine Pflichtverletzung im Hinblick auf die richtige Anwendung von Zollvorschriften dar (vgl. BFH, Urt. v. 30.08.2005, VII R 1/00, juris Rn. 47). Denn ohne eine hinreichende Ausstattung der für die Erfüllung der zollrechtlichen Pflichten zuständigen Unternehmensteile mit sachlichen und personellen Mitteln ist ein rechtskonformes Handeln bei der Inanspruchnahme zollrechtlicher Verfahren nicht gewährleistet.

61

Vor diesem Hintergrund ist der Senat überzeugt, dass die für die Klägerin handlungsbefugten Personen, mithin die drei Geschäftsführer, nicht alles zumutbare unternommen haben, um die Zollabteilung personell so auszustatten, dass sie ihrer Pflicht zur Abgabe der Abrechnung für das 1. Quartal 2006 fristgerecht nachkommen konnte. Die Pflichtverletzung, die zum Entstehen der Zollschuld führte, stellt sich damit nicht als einmaliger Arbeitsfehler von Frau B dar, sondern ist auf das Organisationsverschulden der Klägerin zurückzuführen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

62

Gerade weil die Abrechnung der Veredelungsverkehre komplex war, hätte die Klägerin ein besonderes Augenmerk darauf richten müssen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beklagte für zirka zwei Jahre keine Abrechnungen eingefordert hat. Allein der Umstand, dass er der Klägerin am 11.03.2005 ein Muster für Abrechnungen der Veredelungsverkehre übergab (...), macht deutlich, dass die Klägerin nicht davon ausgehen durfte, die Abrechnungen würden nicht eingefordert. Aus der bloßen Untätigkeit des Beklagten durfte die Klägerin nicht schließen, dass sie diese nicht würde abgeben müssen.

63

Die Klägerin hätte nach der erstmaligen Aufforderung des Beklagten mit Schreiben vom 20.10.2006 noch ausreichend Zeit gehabt, um die Zollabteilung mit geeignetem Personal zu verstärken oder die Abrechnungen anderweitig durchführen zu lassen. Bis zum Verstreichen der mit Schreiben vom 05.06.2007 gesetzten Frist zum 20.06.2007 vergingen nämlich noch über acht Monate. Hierbei kann sich die Klägerin nicht damit exkulpieren, dass sie bei der Agentur für Arbeit und über Zeitungsannoncen in der lokalen Presse vergeblich nach einer dauerhaften Verstärkung gesucht habe.

64

Die von der Klägerin vorgelegte Anlage 5 zeigt, dass zwischen Oktober 2006 und Juni 2007 überhaupt keine Neueinstellungen vorgenommen wurden, obwohl es der Klägerin nach dem schwangerschaftsbedingten Ausscheiden von Frau H im Mai 2005 - mit Ausnahme von Frau J - nicht gelungen war, auf dem beschriebenen Weg die Zollabteilung dauerhaft zu verstärken. Spätestens nachdem K nach gut sieben Monaten Ende Januar 2006 und L nach knapp einmonatiger Tätigkeit im April 2006 gekündigt werden musste, hätte ihr klar werden müssen, dass sie zu anderen Mitteln greifen muss, um erfahrene und sofort einsetzbare Zollmitarbeiter zu rekrutieren. Dieses Bedürfnis nach einer personellen Aufstockung der Zollabteilung wurde durch den zwischen 2005 und 2007 erheblich gestiegenen Umsatz, der die Arbeitsbelastung aller Mitarbeiter erhöhte, noch verstärkt. Vor diesem Hintergrund war es nicht ausreichend, in den vier lokalen Zeitungen, d. h. der ..., der ..., der ... sowie dem ..., zu inserieren. Die Klägerin hätte ihre Anstrengungen beispielsweise ausdehnen können auf Zeitungen, die in A (...) sowie M (...) erscheinen. Darüber hinaus hätte sie - gegebenenfalls unter Einschaltung hierauf spezialisierter Dienstleister - aktiv versuchen können, Mitarbeiter anderer Unternehmen abzuwerben. Angesichts der geographischen Lage der Klägerin ist es beispielsweise nicht fernliegend, eine in den Großräumen A oder M tätige Person dazu zu bewegen, bei der Klägerin zu arbeiten. Ferner hätte sie sich - gegebenenfalls auch nur vorübergehend - an eine Spedition oder eine Zollagentur wenden können, um die Abrechnungen von einem externen Dienstleister vornehmen zu lassen.

65

Auch die Umschulung des Mitarbeiters N stellte keine ausreichende Organisationsmaßnahme dar. Da der Umschulungsvertrag erst am 15.02.2007 geschlossen und die Ausbildung 17 Monate dauern sollte, war klar, dass Herr N nicht kurzfristig Verantwortung in der Zollabteilung würde übernehmen können.

66

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin nicht um ein auf sich allein gestelltes, kleines Unternehmen handelt. Sie war und ist nämlich Teil der P-Gruppe, bei der es sich nach der Selbstdarstellung im Internet um ein international tätiges Unternehmen mit Niederlassungen in vielen Ländern handelt. Über den Geschäftsführer R, der zugleich Geschäftsführer der P-GmbH war, wäre es der Klägerin rechtlich möglich und zumutbar gewesen, bei der Konzernzentrale um Hilfe zu bitten.

67

Da es in Deutschland zweifellos eine hinreichende Menge an Personen gibt, die fachlich in der Lage gewesen wären, die geforderten Abrechnungen fristgerecht vorzunehmen, ist es letztlich eine Frage der finanziellen Mittel, die ein Unternehmen einzusetzen bereit ist, um entsprechende Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Wenn die Klägerin die hierzu erforderlichen Investitionen scheut und gleichzeitig Aufträge annimmt, die die Belastung der Zollabteilung noch steigern, mag dies unternehmerisch nachvollziehbar sein. Sie muss dann jedoch für die Folgen einstehen, wenn durch diese unternehmerischen Entscheidungen zollrechtliche Pflichten vernachlässigt werden.

68

Die Belastung der Zollabteilung war der Geschäftsführung der Klägerin bekannt. Dies ergibt sich schon aus dem Gesprächsvermerk vom 20.12.2006. Dort ist niedergelegt, dass Frau B über einen zu hohen Arbeitsanfall klagte. Weil eine Mitarbeiterin noch nicht eingearbeitet und Frau S nicht gewissenhaft genug sei, müsse sie alles alleine machen. Es kann der Geschäftsführung auch nicht verborgen geblieben sein, dass Frau B von November 2006 bis Juli 2007 300 Überstunden abgeleistet hat. Da dies im Durchschnitt ca. 7,5 Überstunden pro Woche entspricht, war es nur eine Frage der Zeit, bis Frau B ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen sein würde. Das Ignorieren von Fristen ist gerade eine typische Reaktion auf eine Überlastung. Die Geschäftsführung musste daher damit rechnen, dass Frau B ein Schreiben des Beklagten unbeantwortet lässt. Vor diesem Hintergrund ist es auch unerheblich, dass der Geschäftsführer der Klägerin Herr T von dem Schreiben vom 05.06.2007 Kenntnis genommen und Frau B auf die Beantwortung des Schreibens angesprochen hat. Angesichts der offensichtlichen Überlastung von Frau B hätte die Geschäftsführung andere Organisationsmaßnahmen treffen müssen. Sie hätte etwa die Beantwortung des Schreibens in die Hände einer anderen Person, die weniger stark belastet war, legen können.

69

Nicht überzeugend ist es, wenn die Klägerin zur Begründung für die verspätete Abrechnung angibt, dass sie zunächst abwarten wollte, ob die bereits eingereichten Abrechnungen anerkannt werden würden. Wenn es so ist, dass sich Fehler bei der Abrechnung auf Folgezeiträume auswirken, wäre dies ein weiterer Grund für die Klägerin gewesen, Abrechnungen zeitnah vorzunehmen. Außerdem wusste die Klägerin spätestens seit der endgültigen Anerkennung der Abrechnungen für das Jahr 2005 am 10.05.2007 wie die Abrechnungen zukünftig aussehen mussten. Sie hatte ab diesem Tag noch immer bis zum 20.06.2007 bzw. bis zum 04.07.2007 - dem Tag des Erlasses des ersten Einfuhrabgabenbescheids - Zeit, um die Abrechnung zu erstellen. Dies wäre mit dem entsprechenden personellen Einsatz möglich gewesen.

70

Die Klägerin kann sich auch nicht mit "der Fülle von Anforderungen der Zollverwaltung" exkulpieren. Da sie zahlreiche besondere Zollverfahren und Verfahrenserleichterungen in Anspruch genommen hat, musste sie damit rechnen, dass die jeweils zuständigen Zolldienststellen die Rechtmäßigkeit der Verfahrensabläufe überprüfen. Auch hierfür musste sie personelle Ressourcen bereithalten, ggf. neue Mitarbeiter anstellen oder externe Dienstleister beauftragen.

71

2.4 Die Gesamtbetrachtung dieser Umstände ergibt, dass die im Außenhandel und im Umgang mit den Zollbehörden erfahrene Klägerin aufgrund ihres Organisationsverschuldens die zum 20.06.2007 gesetzte Frist offensichtlich fahrlässig hat verstreichen lassen. Die Komplexität der im konkreten Fall vorzunehmenden Abrechnung nach Art. 521 ZKDVO lässt in Anbetracht der Gesamtumstände die offensichtliche Fahrlässigkeit nicht entfallen, da - wie dargelegt - die Klägerin ausreichend Zeit hatte, sich über die Anforderungen für die Modalitäten der Abrechnung zu informieren und auf dieser Grundlage die Abrechnungen fristgerecht vorzunehmen.

72

An dieser Gesamtwürdigung ändert es ferner nichts, dass der Beklagte am 11.01.2007 noch zu der Einschätzung gelangt war, dass "in Zusammenschau der betriebsinternen und verwaltungsinternen Problematik" keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne von Art. 859 ZKDVO vorgelegen habe. Zum einen ist der Senat nicht an diese Wertung gebunden und zum anderen bezieht sie sich auf einen früheren Zeitpunkt als den hier maßgeblichen im Juni 2007.

73

2.5 Aus den von der Klägerin ins Feld geführten Einzelentscheidungen der Kommission kann sie nichts für sich ableiten. Abgesehen davon, dass im Fall REM 1/92 die Erstattung als unzulässig abgelehnt wurde, stellen die übrigen Fälle Einzelfallentscheidungen dar, die mit dem vorliegenden Fall nicht - auch nicht annähernd - vergleichbar sind. Organisationsverschulden wurde in diesen Fällen gerade nicht festgestellt.

74

2.6 Für die Bewertung, ob die Voraussetzungen von Art. 239 Abs. 1, 2. Anstrich ZK vorliegen, darf der Senat nicht auf Art. 86 Abs. 6 UZK zurückgreifen. Nach dieser Norm gilt die Abgabenbefreiung für wieder ausgeführte Veredelungserzeugnisse (Art. 205 Abs. 1, Art. 203 UZK) auch dann, wenn eine Zollschuld nach Art. 79 oder 82 UZK entstanden ist, sofern die Zollschuldentstehung nicht auf einem Täuschungsversuch basiert. Anders als die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, ist die Vorschrift nämlich auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Nach den oben (I.) dargelegten Grundsätzen der Salumi-Entscheidung sind materiellrechtliche Vorschriften des Unionsrechts, zu denen auch die zollschuldrechtliche Norm des Art. 86 Abs. 6 UZK gehört, grundsätzlich nicht auf Sachverhalte anwendbar, die sich - wie der vorliegende Fall - vor ihrem Inkrafttreten zugetragen haben. Art. 86 Abs. 6 UZK lässt sich auch nichts entnehmen, das für eine rückwirkende Anwendbarkeit der Norm sprechen könnte, zumal im Zollkodex mit Art. 212a eine ähnliche Vorschrift vorhanden war (so i. E. auch Deimel in Dorsch, Zollrecht, 161. EL Juli 2016, Art. 86 Rn. 3).

IV.

75

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

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(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd
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(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd
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published on 12/04/2016 00:00

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen.2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.3. Die Revision wird zugelassen. Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Säumniszinsen ganz oder teilweise zu erstatten sind.2 Die Klägerin is
published on 26/06/2014 00:00

Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt den Erlass von Einfuhrabgaben. 2 Die Klägerin war Hauptverpflichtete eines am 20.08.2009 eröffneten Versandverfahrens T 1 (...). Ausweislich des Versandscheins sollten im Versandverfahren 413 Kartons Sweater
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Tatbestand 1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) streitet um ihre Anerkennung als Steuerberatungsgesellschaft durch die Beklagte und Revisionsbeklagte (die
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Tatbestand 1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte im Jahr 2006 Fruchtsaftkonzentrate ein, die sie im Rahmen ihr bewilligter aktiver Veredelungsverkehr
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published on 24/07/2017 00:00

Tenor Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 12. Oktober 2016  4 K 160/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
published on 17/05/2017 00:00

Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt Erlass von nacherhobenem Antidumpingzoll und Drittlandszoll. 2 Die Klägerin meldete in der Zeit vom 30.07.2012 bis 05.10.2012 mit insgesamt sechs Zollanmeldungen Aluminiumheizkörper, die sie von dem in Malays
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Annotations

Soweit die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Finanzbehörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger,
2.
in den Fällen des § 48 Abs. 1 Nr. 1 die nicht klageberechtigten Gesellschafter oder Gemeinschafter und
3.
im Fall des § 60a die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.
Die gegen eine Finanzbehörde ergangenen Urteile wirken auch gegenüber der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, der die beteiligte Finanzbehörde angehört.

(2) Die Vorschriften der Abgabenordnung und anderer Steuergesetze über die Rücknahme, Widerruf, Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten sowie über die Nachforderung von Steuern bleiben unberührt, soweit sich aus Absatz 1 Satz 1 nichts anderes ergibt.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.