Finanzgericht Hamburg Urteil, 06. Mai 2015 - 4 K 116/14
Gericht
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Erstattung von Antidumpingzoll.
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Die Klägerin ist Inhaberin der Bewilligung einer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zur besonderen Verwendung des Hauptzollamts X vom 02.10.2008, die auf die Regelung zur Befreiung von Antidumpingzoll gemäß VO Nr. 88/97 i. V. m. VO Nr. 71/97 gründet und die ausdrücklich Fahrradrahmen erfasst. Eine Erweiterung auf Fahrradgabeln erfolgte erst ab dem 08.12.2009.
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Mit Zollanmeldung vom 06.11.2009 führte die Firma Y GmbH, die Rechtsvorgängerin der Klägerin, Fahrradteile mit Ursprung in China ein. Angemeldet wurden - auf Veranlassung der zuständigen Zollstelle - jeweils die einzelnen Fahrradteile. Insgesamt wurden 158 Kartons mit Fahrradteilen eingeführt. In einigen Kartons befanden sich jeweils ein Rahmen, eine Gabel und eine Sattelstütze. In anderen Kartons befanden sich jeweils zwei Rahmen mit den dazugehörigen Gabeln und Sattelstützen. In 57 Karton waren jeweils ein Rahmen, eine Gabel, eine Sattelstütze und ein Lenker einschließlich Vorbau verpackt. Aus Gründen der Transportsicherung waren die Teile, die jeweils zueinander passten, von einer Luftblasenfolie umgeben. Bei der Beschau eines dieser Kartons wurden - jeweils als Einzelteil verpackt - ein Fahrradrahmen ohne Anbauteile und ohne Tret- und Kugellager, eine Fahrradgabel sowie eine Sattelstütze festgestellt. Der Beklagte sah die Waren tarifrechtlich als Teile an und erhob mit Bescheid vom 06.11.2009 unter anderem Antidumpingzoll.
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Mit Bescheid vom 24.11.2010 änderte der Beklagte diesen Bescheid auf einen auf eine Freistellung vom Antidumpingzoll für die Sattelstützen gerichteten Einspruch der Klägerin ab. Die Sattelstützen wurden der Codenummer 8714 9990 890 zugewiesen, für sie wurde kein Antidumpingzoll erhoben. Darüber hinaus wurde Antidumpingzoll nacherhoben, da versehentlich 122 Stück Fahrradgabeln nicht berücksichtigt worden waren.
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Am 12.10.2012 beantragte die Klägerin die Erstattung des Antidumpingzolls gemäß Art. 236 Zollkodex. Die Teile seien zwar nicht montiert gewesen, gehörten jedoch aufgrund ihrer Anzahl und Größe jeweils als sog. "frame sets" zusammen. Insgesamt seien 242 Fahrradrahmen und 242 Gabeln in Einzelverkaufsverpackungen eingeführt worden. Aus den Bestandteilen hätten später komplette Fahrräder montiert werden sollen. Es habe sich um Warenzusammenstellungen gehandelt, wobei die Einreihung im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b) nach dem Fahrradrahmen als charakterbestimmendem Bestandteil erfolgen müsse. Eine Einreihung als Teile komme nicht in Betracht. Außerdem sei die VO Nr. 71/97, mit der der Antidumpingzoll auf die Einfuhr von Fahrradteilen ausgeweitet worden sei, gemäß Art. 11 Abs. 2 S. 1 VO Nr. 384/96 außer Kraft getreten, so dass der Antidumpingzoll nicht mit der VO Nr. 171/2008 hätte aufrechterhalten werden können. Der Antidumpingzoll sei zudem gemäß Art. 239 Zollkodex zu erstatten, da die VO Nr. 88/97 eine Befreiung von Antidumpingzoll auf wesentliche Fahrradteile für Importeure von geringfügigen Mengen vorsehe. Sie sei ein solcher Importeur. Das Hauptzollamt X sei im Rahmen einer Prüfung ebenfalls von einer Warenzusammenstellung ausgegangen.
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Der Beklagte lehnte den Erstattungsantrag mit Bescheid vom 28.02.2013 ab, wogegen die Klägerin am 06.03.2013 Einspruch einlegte. Darin verwies sie unter anderem auf die VO Nr. 104/2012, mit der ein Fahrradset, bestehend aus einem Rahmen, einer vorderen Gabel und zwei Felgen nur deshalb nicht nach der Allgemeinen Vorschrift 3 b) eigereiht worden sei, weil die Teile - anders als im Streitfall - nicht zusammen verpackt gewesen seien.
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Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 13.05.2014 zurück. Zur Begründung führte er aus, es handele sich bei den Fahrradteilen nicht um eine Warenzusammenstellung im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b), da die Zusammenstellung keinen speziellen Bedarf befriedige bzw. nicht der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit diene (ErlKN AV 3 (HS) Rn. 25.0-28.0). Als Warenzusammenstellung würden nur eigenständige Waren angesehen, mit deren Hilfe in eben dieser Zusammenstellung ein genau definierter Bedarf befriedigt werde. Bei der streitgegenständlichen Ware (Fahrradrahmen, Fahrradgabel und Sattelstütze sowie in einigen Fällen Fahrradlenker) handele es sich dagegen um Zusammenstellungen aus Einzelteilen, denen kein weiterer Zweck innewohne, als nach Ergänzung aller noch fehlenden Bestandteile in einem Fahrrad aufzugehen. Es liege auch keine aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Ware im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b) vor, da die Teile zwar zueinander passten, sich aber selbst im montierten Zustand nicht zu einem Ganzen ergänzten. Die VO Nr. 71/97 sei im maßgeblichen Zeitpunkt nicht wegen Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 außer Kraft gewesen. Die Antidumpingzölle, die Fahrräder beträfen, seien im Rahmen von Auslaufprüfungen nach Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 mit den Verordnungen Nr. 1524/2000 und 1095/2005 jeweils bestätigt und aufrechterhalten worden. Die Überprüfung sei im Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C 289 vom 28.11.2006 bekannt gegeben worden.
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Mit ihrer am 05.06.2014 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie meint, bei den zwar noch nicht montierten, aber technisch aufeinander abgestimmten und gemeinsam für den Einzelverkauf verpackten Fahrradrahmen, Gabeln und Sattelstützen (sowie teilweise Lenkern mit Vorbau) sei die Allgemeine Vorschrift 3 b) mit der Folge anzuwenden, dass die Waren als Fahrradrahmen, dem charakterbestimmenden Bestandteil, einzureihen seien. Der gemeinsame Bedarf bestehe darin, aus den Bestandteilen später komplette Fahrräder zu montieren, die Teile seien technisch aufeinander abgestimmt und gehörten wegen ihrer Größe und Rohrdurchmesser zusammen, auch wenn für ein vollständiges Fahrrad noch weitere Teile nötig seien. So werde auch die Zubereitung für eine Spaghettimahlzeit unter die Allgemeine Vorschrift 3 b) gefasst, auch wenn das Wasser fehle, um ein vollständiges Essen zuzubereiten. Die Teile seien in einer Einzelverkaufsverpackung eingeführt worden und beträfen zudem den Fahrradmechaniker bei der Ausübung seiner Tätigkeit. Jedenfalls sei die VO Nr. 71/97 nach fünf Jahren automatisch wegen Art. 11 Abs. 2 S. 1 VO Nr. 384/96 außer Kraft getreten und hätte daher nicht mit der VO Nr. 171/2008 aufrechterhalten werden können. Ein Fall von Art. 220 Abs. 2 Zollkodex liege vor, das Hauptzollamt X sei einem Irrtum unterlegen, als es im Zusammenhang mit der Bewilligung zur besonderen Verwendung vom 02.10.2008 bei den Fahrradrahmensets von einer Warenzusammenstellung ausgegangen sei, dieser Irrtum sei ursächlich für die Listung von Fahrradrahmen in der zollamtlichen Bewilligung zur Befreiung von Antidumpingzoll gewesen, ohne die übrigen Komponenten zu erwähnen. Sie genieße Vertrauensschutz auch deswegen, weil die VO Nr. 88/97 eine Befreiung vom Antidumpingzoll auf wesentliche Fahrradteile für Importeure von geringfügigen Mengen vorsehe. Ihre Rechtsvorgängerin sei ein solcher Importeur gewesen.
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Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28.02.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.05.2014 zu verpflichten, ihr 11.652,56 € Antidumpingzoll zuzüglich Rechtshängigkeitszinsen zu erstatten.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, die Klägerin könne sich nicht auf die VO Nr. 104/2012 stützen. Der von ihr gezogene Umkehrschluss, dass in Fällen, in denen die Waren gemeinsam verpackt seien, eine Warenzusammenstellung vorliegen müsse, sei nicht möglich. Im Streitfall fehle es an der Voraussetzung der "Befriedigung eines speziellen Bedarfs" bzw. an der "Zusammenstellung zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit" im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b). Es reiche nicht, dass die Befriedigung des speziellen Bedarfs oder die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit allein im Zusammensetzen der Teile zu einer neuen Ware bestehe. Im Streitfall könne lediglich ein Bausatz von Fahrradteilen montiert werden, der sich weder als eigenständige Ware noch als unvollständiges Fahrrad darstelle. Anders als die Klägerin meine, handele es sich bei den verschiedenen Komponenten einer Spaghettimahlzeit im Sinne der ErlKN AV 3 (HS) Rz. 31.0 um fertige, eigenständige Waren, die durch Kochen bzw. Zusammenfügen genießbar gemacht würden. Der spezielle Bedarf bestehe aus der Zubereitung der portionsgerechten und bereits vorbehandelten Bestandteile. Diese gingen nicht in dem Essen auf, sondern blieben Nudeln, Käse und Tomatensauce. Entsprechendes gelte für eine Zusammenstellung aus Brötchen, Rindfleisch, Käse und Pommes frites. Im Gegensatz zur Warenzusammenstellung handele es sich bei einer aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzten Ware um eine Wareneinheit, d. h. verschiedene Bauteile würden zu etwas zusammengefügt, das ein Ganzes, also eine Ware, darstelle. Dies sei vorliegend nicht der Fall, es handele sich um willkürlich zusammengestellte Fahrradteile, die in der Summe keine vollständige bzw. im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 2 a) unvollständige Ware ergäben. Auch das von der Klägerin angesprochene Gewürzregal (ErlKN AV 3 (HS) Rz. 23.0) passe nicht, da es sich um eine fertige Vorrichtung zur Aufnahme von Gewürzen handele.
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Bei den allein dem Antidumpingzoll unterworfenen Fahrradgabeln und -lenkern handele es sich um wesentliche Fahrradteile gemäß Art. 1 VO Nr. 71/97, die einem Antidumpingzoll unterlägen. Die der Klägerin gewährte Befreiung vom Antidumpingzoll betreffe nur Fahrradrahmen. Die Annahme der Klägerin, die VO Nr. 71/97 sei nach fünf Jahren automatisch außer Kraft getreten, treffe nicht zu. Eine Ausweitung einer Antidumpingmaßnahme - hier die Ausweitung des mit der VO Nr. 2474/93 auf die Einfuhr von Fahrrädern eingeführten endgültigen Antidumpingzolls gemäß Art. 13 VO Nr. 384/96 auf die Einfuhr von Fahrradteilen mit der VO Nr. 71/97 - unterliege nicht der Überprüfung nach Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 und damit auch nicht dem automatischen Außerkrafttreten. Mit den Verordnungen 1524/2000 und 1095/2005 seien die endgültigen Antidumpingmaßnahmen gemäß Art. 11 Abs. 2, Abs. 3 VO Nr. 384/96 überprüft worden. Unabhängig davon könne die Kommission nach Art. 13 Abs. 4 VO Nr. 384/96 eine Überprüfung der Ausweitung der Maßnahmen einleiten, wie dies nach Bekanntgabe im Amtsblatt der Europäischen Union C 289 vom 28.11.2006 geschehen sei. Das Ergebnis sei die Aufrechterhaltung des endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Fahrradteile gemäß VO Nr. 171/2008. Im Übrigen spreche eine Vermutung für die Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten, solange der Gerichtshof der Europäischen Union deren Ungültigkeit nicht festgestellt habe. Ein Fall des Art. 220 Abs. 2 Zollkodex liege nicht vor. Der Antidumpingzoll sei im Rahmen der Einfuhrabfertigung festgesetzt worden, mit Bescheid vom 24.11.2010 sei lediglich die Anzahl der angemeldeten Fahrradgabeln korrigiert worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
I.
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Der Bescheid vom 28.02.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.05.2014 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 101 S. 1 FGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung des erhobenen Antidumpingzolls.
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Der Erlassanspruch ergibt sich nicht aus dem allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1 Zollkodex. Danach werden Einfuhrabgaben insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Art. 220 Abs. 2 Zollkodex buchmäßig erfasst worden ist. Im Streitfall schuldete die Klägerin den Antidumpingzoll in der festgesetzten Höhe.
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Zu Recht hat der Beklagte die Fahrradteile als Teile und nicht in Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3 b) als Warenzusammenstellungen bzw. als aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren eingereiht (1.). Die im Streitfall allein erheblichen Fahrradgabeln und -lenker unterlagen gemäß der Verordnung (EG) des Rates vom 10. Januar 1997 zur Ausweitung des mit der Verordnung (EWG) Nr. 2474/93 auf Fahrräder mit Ursprung in der Volksrepublik China eingeführten endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Fahrradteile aus der Volksrepublik China und zur Erhebung des ausgeweiteten Zolls auf derartige gemäß der Verordnung (EG) Nr. 703/96 zollamtlich erfasste Einfuhren (VO Nr. 71/97 ABl. Nr. L 16/55), aufrecht erhalten durch die Verordnung (EG) Nr. 171/2008 des Rates vom 25. Februar 2008 zur Aufrechterhaltung der Verordnung (EG) Nr. 71/97 zur Ausweitung des mit der Verordnung (EWG) Nr. 2474/93 auf Fahrräder mit Ursprung in der Volksrepublik China eingeführten endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Fahrradteile aus der Volksrepublik China (VO Nr. 171/2008 Abl. Nr. L 55/1) einem Antidumpingzoll. Die VO Nr. 71/97 ist nicht wegen Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22. Dezember 1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (VO Nr. 384/96 Abl. Nr. L 1996, 55/1) außer Kraft getreten (2.). Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin nicht berufen (3.). Bedenken gegen die rechnerische Richtigkeit der Forderung bestehen nicht (4.).
1.
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Die Allgemeine Vorschrift 3 b) ist nicht anwendbar. Der Senat geht davon aus, dass von der Klägerin 158 Kartons mit Fahrradteilen eingeführt wurden, wobei sich in 101 Kartons entweder - wie sich auch bei der Beschau ergeben hat - ein Rahmen, eine Gabel und eine Sattelstütze oder - wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat - zwei Rahmen mit den dazugehörigen Gabeln und Sattelstützen befanden. In 57 Kartons waren jeweils ein Rahmen, eine Gabel, eine Sattelstütze und ein Lenker verpackt. Die Teile waren nicht montiert, gehörten jedoch aufgrund ihrer Anzahl und Größe jeweils zusammen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie des Bundesfinanzhofs (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 20.06.1996, C-121/95; BFH, Urteil vom 18.11.2001, VII R 78/00, vom 09.10.2001, VII R 69/00, vom 14.11.2000, VII R 83/99, vom 05.10.1999, VII R 42/98 und vom 23.07.1998, VII R 36/97) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (vgl. die Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur). Soweit in den Positionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 2 bis 5 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur. Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, die von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden, ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.12.1997, C-143/96, und vom 19.05.1994, C-11/93). Auf den Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. BFH, Urteil vom 14.11.2000, VII R 83/99 und vom 05.10.1999, VII R 42/98; Beschluss vom 24.10.2002, VII B 17/02).
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Die in den jeweiligen Kartons zusammengefassten Fahrradteile können zunächst nicht in Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3 b) als Warenzusammenstellung angesehen werden. In den Erläuterungen zur Allgemeinen Vorschrift 3 b) (Rn. 25.0 ff.) findet sich eine Definition des Rechtsbegriffs "Warenzusammenstellungen in Aufmachungen für den Einzelverkauf". Von dieser Definition ausgehend handelt es sich im Streitfall um mindestens zwei verschiedene Waren, für deren Einreihung unterschiedliche Positionen in Betracht kommen (Erl. HS AV 3 Rn. 26.0), die unstreitig so aufgemacht sind, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen (Erl. HS AV 3 Rn. 28.0). Es handelt sich jedoch nicht um Waren, die zur Befriedigung eines speziellen Bedarfs oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zusammengestellt worden sind (Erl. HS AV 3 Rn. 27.0).
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Die Fahrradteile dienen nicht zur Befriedigung eines speziellen Bedarfs. Um ein Ausufern des Anwendungsbereichs der Allgemeinen Vorschrift 3 b) zu vermeiden, ist eine restriktive Auslegung geboten. Es muss ein enger, durch den speziellen Bedarf begründeter sachlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Bestandteilen bestehen (FG Hamburg, Urteil vom 15.01.2013, 4 K 135/12). Bei objektiver und lebensnaher Betrachtung ist ein derartiger Zusammenhang nicht feststellbar. So ergibt sich aus den in den Erl. HS AV 3 Rn. 29.0 ff. aufgeführten Beispielen, dass es sich bei der Befriedigung des speziellen Bedarfs um eine bestimmte Nutzung der verschiedenen Bestandteile der Warenzusammenstellung handeln muss, die über die schlichte Zusammenfügung der Bestandteile hinausgehen muss. Aus den Teilen eines Fahrrads des Streitfalls lässt sich lediglich - wiederum - ein Teil eines Fahrrades herstellen. Eine Nutzung der verschiedenen Teile, die über deren Zusammenbau hinausginge, ist ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu dienen etwa die verschiedenen Lebensmittel für die Zubereitung eines Fertiggerichts (Erl. HS AV 3 Rn. 29.0) oder die Bestandteile für die Zubereitung einer Spaghettimahlzeit (Erl. HS AV 3 Rn. 31.0) ersichtlich dazu, eine Mahlzeit zum Zwecke der Nahrungsaufnahme herzustellen. Die Bestandteile werden genutzt, um diesen speziellen Bedarf zu befriedigen. Entsprechendes gilt für das Frisier-Necessaires (Erl. HS AV 3 Rn. 36.0) oder die Zusammenstellung von Zeichengeräten (Erl. HS AV 3 Rn. 37.0), die jeweils dem speziellen Bedarf "Herrichtung der Frisur" bzw. "Anfertigung einer Zeichnung" dienen. Auch die vom Finanzgericht Hamburg als Warenzusammenstellung angesehene "Wickeltasche", eine Zusammenstellung aus einer Schultertasche, in der sich eine Wickelauflage, eine Isoliertasche für Flaschen und ein Reißverschlussbeutel befinden, dient einem speziellen Bedarf, nämlich der Versorgung eines Babys außerhalb der häuslichen Umgebung (FG Hamburg, Urteil vom 15.01.2013, 4 K 135/12). Eine Vergleichbarkeit mit diesen Beispielsfällen kann die Klägerin nicht unter Hinweis darauf herstellen, dass auch die dortigen Zusammenstellungen ergänzt werden müssten, um den speziellen Bedarf tatsächlich befriedigen zu können. Der Klägerin ist zuzugeben, dass der Spaghettimahlzeit das Wasser fehlt, in dem die Nudeln gekocht werden, auch setzt die Nutzung des Zeichensets typischerweise ein Blatt Papier voraus, auf dem gezeichnet werden kann. Hierbei handelt es sich jedoch um zu vernachlässigende Ergänzungen, objektiv enthalten die Zusammenstellungen alle wesentlichen für die vorgesehene Nutzung erforderlichen Bestandteile. Demgegenüber können die Fahrradteile des Streitfalls - wie bereits ausgeführt - lediglich wiederum zu einem Teil eines Fahrrads zusammengebaut werden, ohne dass dadurch eine über die schlichte Montage hinausgehende Nutzung möglich würde.
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Die Fahrradteile sind auch nicht zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zusammengestellt worden. Die genannten Beispiele sind jeweils auf bestimmte Tätigkeiten gerichtet - das Frisieren, das Zeichnen, das Kochen, das Versorgen von Babys -, die - anders als bei den Fahrradteilen des Streitfalls - über den bloßen Zusammenbau hinausgehen. Die in den jeweiligen Kartons zusammengefassten Fahrradteile können auch nicht in Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3 b) als aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren angesehen werden. Nach der Erl. HS AV 3 Rn. 20.0 ist zwar ausreichend, dass die Bestandteile zueinander passen, sich gegenseitig ergänzen und dass ihre Zusammensetzung ein Ganzes bildet, dessen Bestandteile üblicherweise nicht getrennt zum Kauf angeboten werden. Beispielhaft werden in den Erl. HS AV 3 Rn. 22.0 und 23.0 ein Aschenbecher, bestehend aus einem Untersatz und einer abnehmbaren Schale, und ein Haushalts-Gewürzregal, bestehend aus einem Gestell und einer Anzahl passender leerer Gewürzgläser, genannt. Der Senat hat auch ein Spielfiguren-Set, bestehend aus einem Drachen und einer darauf individuell abgestimmten, auf dem Drachen sitzenden, abnehmbaren Puppe als aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzte Ware angesehen (Urteil vom 19.09.2012, 4 K 39/12). Diesen Beispielen ist indes gemein, dass verschiedene Bestandteile derart aufeinander abgestimmt sind, dass sie ein Ganzes bilden. Dies gilt insbesondere auch für das Haushalts-Gewürzregal, obwohl die Behältnisse - wie die Klägerin betont - nicht mit Gewürzen gefüllt sind. Sinn des Gewürzregals ist es gerade, Gewürze aufzunehmen. Vergleichbar ist ein Schrank mit Einlegebrettern und Kleiderstange auch dann (bereits) ein Kleiderschrank, wenn er nicht mit Kleidern gefüllt ist. Die Fahrradteile des Streitfalls bilden demgegenüber kein sinnvolles "Ganzes", da sie auch zusammengefügt lediglich ein Teil eines Fahrrades darstellen.
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Zur Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3 b) gelangt man auch nicht unter Berücksichtigung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 104/2012 der Kommission vom 7. Februar 2012 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Abl. Nr. L 36/19). Mit dieser Verordnung wurden ein Fahrradrahmen, eine vordere Fahrradgabel und zwei Felgen gerade nicht als Warenzusammenstellung im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b) eingereiht. Dass dies mit der Begründung geschah, dass es an einer Aufmachung für den Einzelverkauf fehle, kann nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass die Allgemeine Vorschrift 3 b) bei einer entsprechenden Aufmachung der Teile für den Einzelverkauf Anwendung fände. Wie dargelegt, stellt die Aufmachung nur eine der Voraussetzungen für die Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3 b) dar. Zum Vorliegen der weiteren Voraussetzungen, insbesondere zur Frage, inwieweit die Fahrradteile einen speziellen Bedarf befriedigen oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zusammengestellt wurden, hat sich der Verordnungsgeber nicht geäußert.
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Die von der Klägerin vorgelegte verbindliche Zolltarifauskunft DE .../...-1 vom 07.10.2011, mit der Teile von Fahrrädern (Rahmen, Gabel aus Anbauteilen, Steuersatz, Sattelklemmschelle, Lenkervorbau und Sattelstütze) in Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3 b) als zusammengesetzte Ware in die Unterposition 8714 9110 eingereiht wurden, führt nicht zu einer anderen Betrachtung. Sie ist einem anderen Wirtschaftsteilnehmer erteilt worden, bindet den Senat nicht und wurde, wie die Klägerin selbst erklärt hat, mittlerweile widerrufen.
2.
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Die im Streitfall allein erheblichen Fahrradgabeln und -lenker unterlagen gemäß Art. 1 VO Nr. 71/97, aufrechterhalten durch die VO Nr. 171/2008, als darin ausdrücklich benannte wesentliche Fahrradteile einem Antidumpingzoll.
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Mit der VO Nr. 71/97 wurde der mit der Verordnung (EWG) Nr. 2474/93 des Rates vom 8. September 1993 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik China und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Antidumpingzolls (VO Nr. 2474/93 (Abl. Nr. L 228/1), die zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Einfuhren unstreitig noch in Kraft war, da sie im Rahmen von Auslaufprüfungen nach Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 mit den Verordnungen Nr. 1524/2000 und 1095/2005 jeweils bestätigt und aufrechterhalten wurde, eingeführte Antidumpingzoll auf die Einfuhren bestimmter Fahrradteile ausgeweitet. Rechtsgrundlage hierfür war Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 384/96. Daran, dass die VO Nr. 71/97 entsprechend den dort festgelegten Voraussetzungen wirksam und materiell rechtmäßig erlassen worden ist, bestehen auch vor dem Hintergrund des Vorbringens der Beteiligten keine Zweifel.
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Der Senat geht davon aus, dass die VO Nr. 71/97 nicht gemäß Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 außer Kraft getreten ist und insofern auch mit der VO Nr. 171/2008 aufrecht erhalten werden konnte. Nach Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 tritt eine endgültige Antidumpingmaßnahme fünf Jahre nach ihrer Einführung oder fünf Jahre nach dem Datum des Abschlusses der letzten Überprüfung außer Kraft, die sowohl das Dumping als auch die Schädigung betraf, außer wenn in einer Überprüfung festgestellt wird, dass das Dumping und die Schädigung bei einem Auslaufen der Maßnahme wahrscheinlich anhalten oder erneut auftreten würden.
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Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 gilt nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nur für endgültige Antidumpingmaßnahmen und nicht für Ausweitungen im Sinne von Art. 13 VO Nr. 384/96. Die VO Nr. 384/96 differenziert zunächst zwischen vorläufigen Maßnahmen (Art. 7) und endgültigen Maßnahmen (Art. 9 Abs. 4). Neben den vorläufigen und den endgültigen Maßnahmen sieht die VO Nr. 384/96 in Art. 13 für den Fall der Umgehung von Antidumpingzöllen die Ausweitung dieser Zölle auf die Einfuhren der gleichartigen Ware oder von Teilen dieser Ware aus Drittländern vor. Diese Ausweitung erfolgt in einem in Art. 13 VO Nr. 384/96 vorgegebenen Verfahren, ohne dass der Fall des Außerkrafttretens durch Zeitablauf ausdrücklich oder durch einen Verweis auf Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 geregelt worden wäre. Ein Verweis lässt sich insbesondere nicht Art. 11 Abs. 3 S. 5 VO Nr. 384/96 entnehmen. Dort heißt es zwar, dass die einschlägigen Verfahrensbestimmungen dieser Verordnung zu der Einleitung und der Durchführung der Untersuchungen Anwendung finden; dies bezieht sich jedoch, was sich bereits aus der Systematik der Vorschrift, aber auch aus deren Wortlaut ergibt, ersichtlich auf die Untersuchungen im Sinne von Art. 13 Abs. 3 VO Nr. 384/96 und nicht auf Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96, in dem ausdrücklich Überprüfungsmaßnahmen und keine Untersuchungen geregelt sind. Auch eine entsprechende Anwendung von Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 auf Umgehungsmaßnahmen nach Art. 13 VO Nr. 384/96 ist nicht gerechtfertigt. Diese Bestimmung sieht die Überprüfung vor, ob das Dumping und die Schädigung, die ursprünglich die Festsetzung des endgültigen Antidumpingzolls gerechtfertigt haben, fortbestehen. Eine derartige Prüfung wäre aber im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Umgehungsmaßnahme gar nicht anzustellen, da es hierfür nicht um das Fortbestehen eines Dumpings und einer Schädigung, sondern allenfalls um das Fortbestehen der Umgehung eines endgültigen Antidumpingzolls gehen kann.
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Art. 13 VO Nr. 384/96 sieht im Übrigen in Abs. 3 selbst Untersuchungen auf Antrag - allerdings nur zur Ausweitung der Maßnahmen - und in Abs. 4 die Möglichkeit der Befreiung von bestimmten Waren vom Antidumpingzoll vor. Derartige Befreiungen können dann ihrerseits, wie der Erlass der VO Nr. 171/2008 deutlich belegt, Anlass für Überprüfungsmaßnahmen im Hinblick auf die Aufrechterhaltung von Umgehungsmaßnahmen sein. Insofern findet in der Praxis durchaus eine Überprüfung der Ausweitung eines Antidumpingzolls statt, auch wenn sie nicht den Regelungen des Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 unterliegt.
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Dass eine Überprüfung nicht im Abstand von fünf Jahren durchgeführt werden muss, findet seine Rechtfertigung auch in dem Umstand, dass die Umgehungsmaßnahme in ihrem rechtlichen Schicksal vom Fortbestand der endgültigen Antidumpingmaßnahme abhängt. Der Senat geht davon aus, dass eine Umgehungsmaßnahme nur eingeführt werden darf, wenn ein endgültiger Antidumpingzoll wirksam festgesetzt worden ist und nur so lange in Kraft bleiben kann, wie der endgültige Antidumpingzoll selbst in Kraft ist. Tritt eine endgültige Antidumpingmaßnahme gemäß Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 384/96 nach fünf Jahren außer Kraft, kann die Umgehungsmaßnahme nicht fortgelten, da dann kein Antidumpingzoll mehr mit der Notwendigkeit seiner Ausweitung umgangen werden kann. Dies hat zur Konsequenz, dass die Umgehungsmaßnahme zwar für sich genommen nicht in einem bestimmten Rhythmus überprüft werden muss, dass sie aber - im Wege der Überprüfung des ihr zu Grunde liegenden endgültigen Antidumpingzolls - sehr wohl insoweit überprüft wird, als es um das Fortbestehen des auch diese Maßnahme rechtfertigenden Dumpings und des Fortbestehens einer Schädigung geht.
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Der Senat geht mithin davon aus, dass die VO Nr. 384/96 regelmäßige Überprüfungen und eine befristete Geltung nur für Maßnahmen, mit denen ein endgültiger Antidumpingzoll im Sinne von Art. 9 Abs. 4 festgesetzt wird, vorsieht. Demgegenüber unterliegen vorläufige Antidumpingzölle der zeitlichen Beschränkung gemäß Art. 7 Abs. 7. Für Ausweitungen im Sinne von Art. 13 VO Nr. 384/96 gelten derartige Vorgaben nicht.
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Der Senat übersieht dabei nicht, dass auch Argumente dafür sprechen können, die unterschiedliche Behandlung der Festsetzung von endgültigen Antidumpingzöllen einerseits und der Ausweitung von endgültigen Antidumpingzöllen andererseits im Hinblick auf die zeitliche Beschränkung und das Überprüfungserfordernis als wertungswidersprüchlich anzusehen. Aus Sicht der Einführer von Fahrrädern bzw. Fahrradteilen ergibt sich wegen der Belastung durch den Antidumpingzoll kein signifikanter Unterschied. Indes ist das Verfahren, das zur Festsetzung eines endgültigen Antidumpingzolls einerseits und zur Ausweitung eines endgültigen Antidumpingzolls andererseits vorgesehen ist, ein völlig anderes. Unterschiedliche Verfahren für die Festsetzung der Maßnahme können auch unterschiedliche Regelungen für deren Überprüfung und Außerkrafttreten gerechtfertigt erscheinen lassen. Sofern die fehlenden Regelungen zur Überprüfung und ggf. zum Außerkrafttreten von Antiumgehungsmaßnahmen rechtliche Bedenken aufwerfen, sind sie jedenfalls nicht so gewichtig, dass sich der Senat veranlasst sähe, die sich insoweit stellenden Fragen dem Gerichtshof der Europäischen Union im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen. Hierbei hat der Senat auch berücksichtigt, dass der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 06.11.2012 (VII R 40/11) ebenfalls von der Geltung der VO Nr. 71/97 und des damit auf die Einfuhr von Fahrradteilen aus China ausgeweiteten Antidumpingzolls ausgegangen ist.
3.
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Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.
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Unabhängig von der Frage, inwieweit im Rahmen eines Erlassverfahrens nach Art. 236 Zollkodex Raum für die Gewährung von Vertrauensschutz ist, kann die Klägerin sich nicht auf die Bewilligung einer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zur besonderen Verwendung vom 02.10.2008 durch das Hauptzollamt X berufen. Diese Bewilligung bezeichnet zwar in Feld 9 die Einfuhr von Fahrradteilen für die Montage und zum Weiterverkauf als geplanten Vorgang, erwähnt in der Warenaufstellung auf Seite 5 allerdings lediglich Fahrradrahmen, für die vorliegend kein Antidumpingzoll erhoben wurde. Gegen diese ihrem Wortlaut nach eindeutige Bewilligung hat sich die Klägerin nicht gewandt. Auch wenn Fahrradrahmensets, wie die Klägerin vorträgt, in anderen Zusammenhängen, etwa im Rahmen einer Prüfung, als Warenzusammenstellung angesehen worden sein sollten, wäre dies zu Unrecht geschehen und könnte einen Vertrauensschutz für sich genommen nicht begründen.
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Auf Art. 220 Abs. 2 lit. b) Zollkodex kann sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Es ist schon zweifelhaft, ob es sich vorliegend überhaupt um eine Nacherhebung im Sinne von Art. 220 Zollkodex handelt. Bereits mit Einfuhrabgabenbescheid vom 06.11.2009 wurde für Fahrradgabeln Antidumpingzoll erhoben. Mit Bescheid vom 24.11.2010 wurde lediglich die Zahl der eingeführten Fahrradgabeln nach oben korrigiert und Antidumpingzoll entsprechend nachgefordert. Jedenfalls läge entgegen den Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 lit. b) Zollkodex kein vom Zollschuldner - also der Klägerin bzw. deren Vertreter - nicht erkennbarer aktiver Irrtum der Zollbehörden vor. Die Zollbehörde hatte ursprünglich lediglich die ihr aus den Zollanmeldungen erkennbare Anzahl von Fahrradgabeln zugrunde gelegt, die tatsächliche Anzahl der eingeführten Fahrradgabeln musste der Klägerin bekannt gewesen sein.
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Schließlich kann sich die Klägerin nicht auf die Verordnung (EG) Nr. 88/97 der Kommission vom 20. Januar 1997 betreffend die Genehmigung der Befreiung der Einfuhren bestimmter Fahrradteile mit Ursprung in der Volksrepublik China von dem mit der Verordnung (EWG) Nr. 2474/93 eingeführten und mit der Verordnung (EG) Nr. 71/97 des Rates ausgeweiteten Antidumpingzoll (VO Nr. 88/97 Abl. Nr. L 17/17) berufen. Unabhängig davon, inwieweit die VO Nr. 88/97 Ansprüche auf Befreiung vom Antidumpingzoll begründet, erfolgt die Befreiung, wie in Art. 3 Abs. 1 ausdrücklich geregelt ist, auf schriftlichen Antrag. Dass die Klägerin einen solchen Antrag gestellt hätte, ist nicht ersichtlich.
4.
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Gegen die Berechnung der Höhe des festgesetzten Antidumpingzolls hat sich die Klägerin nicht gewandt. Auch dem Gericht drängen sich insoweit keine Bedenken auf.
II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist zuzulassen, da Gründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.
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Soweit die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Finanzbehörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.