Bundesverwaltungsgericht Urteil, 02. Dez. 2015 - 10 C 18/14

ECLI:ECLI:DE:BVerwG:2015:021215U10C18.14.0
bei uns veröffentlicht am02.12.2015

Tatbestand

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Die klagende Kammer möchte eine berufsständische Versorgung einrichten und sich dazu einem andernorts bestehenden Versorgungswerk anschließen.

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Durch Bundesgesetz vom 16. Juni 1998 (BGBl. I S. 1311) wurden die staatlich anerkannten Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten geschaffen und ihre Ausübung von einer Approbation abhängig gemacht. Mit dem am 10. Oktober 1999 in Kraft getretenen Achten Gesetz zur Änderung des Berliner Kammergesetzes (BerlKaG, GVBl. S. 537) wurde die klagende Kammer durch Einfügung des § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Berliner Kammergesetzes (BerlKaG) als Berufsvertretung für die neu geschaffenen Berufsgruppen errichtet. Zugleich wurde in § 35 Abs. 3 BerlKaG folgende Regelung aufgenommen: "§ 4b gilt nicht für Kammern, die nach dem 22. September 1999 gegründet worden sind." Damit werden für die Klägerin die in § 4b BerlKaG geregelten Befugnisse der Kammern zur Schaffung einer berufsständischen Versorgung ausgeschlossen.

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2004 sowie erneut 2007 beschloss die Delegiertenversammlung der Klägerin einstimmig, für ihre Kammerangehörigen eine berufsständische Versorgung im Wege eines Anschlusses an das Psychotherapeutenversorgungswerk Niedersachsen, dem bereits mehrere Psychotherapeutenkammern anderer Bundesländer angehören, einzuführen. Zwei Gesetzesinitiativen 2005 und 2008, um die Ausschlussklausel des § 35 Abs. 3 BerlKaG zu streichen, scheiterten im Berliner Abgeordnetenhaus.

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Am 15. März 2008 hat die Klägerin gegen das Land Berlin Klage erhoben, mit der sie die Feststellung ihrer Berechtigung begehrt, sich einem anderen Versorgungswerk anzuschließen. Es sei ihr wegen des damit verbundenen Organisationsaufwandes nicht zuzumuten, dem Beklagten den Entwurf einer nach § 4b Abs. 4 Satz 1 BerlKaG vorgesehenen Satzung zum Anschluss an eine andere Versorgungseinrichtung zur Genehmigung vorzulegen, wenn wegen § 35 Abs. 3 BerlKaG eine Ablehnung sicher zu erwarten sei. Diese Regelung sei verfassungswidrig, weil sie gerade auf die Berufsgruppe der Psychotherapeuten ziele und dieser ohne tragfähigen sachlichen Grund die Möglichkeit einer berufsständischen Alters- und Berufsunfähigkeitsversorgung vorenthalte. Eine berufsständische Versorgung diene in erster Linie den niedergelassenen Psychotherapeuten, die nicht rentenversicherungspflichtig seien. Angestellte Psychotherapeuten könnten sich wegen § 6 Abs. 1 Nr. 1a SGB VI ohnehin nicht von der Versicherungspflicht befreien lassen. Von einer eigenständigen Versorgung der Psychotherapeuten gingen keine nennenswerten nachteiligen Auswirkungen auf die gesetzliche Rentenversicherung aus. Für selbständige Kammerangehörige hingegen sei eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung ihrer Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk nicht gleichwertig.

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Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin die Frage vorgelegt, ob § 35 Abs. 3 BerlKaG mit der Verfassung von Berlin vereinbar sei. Mit Beschluss vom 21. März 2014 (41/12) hat der Verfassungsgerichtshof dies bejaht, soweit die Vorschrift für die nach dem 22. September 1999 gegründeten Kammern die Möglichkeit eines Anschlusses an eine andere Versorgungseinrichtung ausschließt. Die Regelung verletze nicht den Gleichheitssatz des Art. 10 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) in seiner Ausprägung als objektives Willkürverbot. Der Landesgesetzgeber habe in Wahrnehmung seiner gesetzgeberischen Entscheidungsfreiheit vor dem Hintergrund einer bundesweiten Diskussion über die Stärkung und Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung die Absicht unterstützen wollen, einen Systemwechsel im Sozialversicherungsrecht vorzubereiten und in seinem Zuständigkeitsbereich herbeizuführen. Selbständige Kammermitglieder hätten nicht durch ein Versorgungswerk von einer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung abgehalten werden sollen. Außerdem habe die auf Bundesebene angestrebte Überführung der gesetzlichen Rentenversicherung in eine Bürgerversicherung nicht durch Schaffung weiterer Versorgungswerke und damit weiterer Vertrauenstatbestände behindert werden sollen.

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Daraufhin hat das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2014 abgewiesen. Die Feststellungsklage sei zulässig. Ein streitiges Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten liege darin, dass der Beklagte eine eventuelle Staatsaufsichtsmaßnahme gegenüber der Klägerin, wenn diese die Beschlüsse ihrer Delegiertenversammlung umsetzen müsse, an § 35 Abs. 3 BerlKaG orientieren werde. Der Klägerin komme ein Feststellungsinteresse zu, denn es sei ihr nicht zuzumuten, den Weg einer Verpflichtungsklage auf Genehmigung einer zuvor zusammen mit dem Niedersächsischen Versorgungswerk abzustimmenden Anschlusssatzung zu beschreiten. Sie könne sich bei entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO auf die Kompetenzzuweisungsnorm des § 4b Abs. 4 BerlKaG als subjektives Recht berufen. Auch organschaftliche Rechte begründeten eine wehrfähige Rechtsposition. Deren wirksamer Ausschluss durch § 35 Abs. 3 BerlKaG sei eine Frage der Begründetheit der Klage. Infolge der Bindung aller Gerichte und Behörden des Landes Berlin an die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs sei von der Vereinbarkeit dieser Regelung mit der Verfassung von Berlin auszugehen. Hinsichtlich des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG schließe sich das Gericht der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs zu Art. 10 Abs. 1 VvB an.

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Die Klägerin hat unter Beifügung einer entsprechenden Zustimmungserklärung des Beklagten die von dem Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt. Ihre Absicht, sich einem Versorgungswerk desselben Berufs anzuschließen, bestehe fort. Sie halte die Ausschlussklausel weiterhin für unvereinbar mit dem Grundgesetz und rege eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG an. Gemessen an dem stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstab des Gleichheitssatzes in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fehle es an einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung der Schlechterstellung der Klägerin und ihrer Mitglieder gegenüber anderen Kammern. Die Klägerin sei als einzige Kammer von § 35 Abs. 3 BerlKaG betroffen. Zudem sei Berlin bundesweit das einzige Bundesland, in dem für Psychotherapeuten keine berufsständische Versorgung bestehe. Ein berufsständisches Versorgungssystem erfülle eine legitime öffentliche Aufgabe und habe sich für Angehörige der verkammerten Freien Berufe fast flächendeckend durchgesetzt. Für das einzelne Mitglied seien die Folgen des Ausschlusses unausweichlich, da es keine Möglichkeit habe, sich einer anderen Kammer anzuschließen und Beiträge in deren Versorgungswerk zu entrichten. Die Alternativen des Abschlusses einer privaten Rentenversicherung oder der Zahlung freiwilliger Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien nicht gleichwertig. Die gesetzliche Rentenversicherung beruhe auf einem Umlageverfahren und sei von demographischen Faktoren beeinflusst, während berufsständische Versorgungswerke regelmäßig das Kapitalanwartschaftsdeckungsverfahren anwendeten, in dem jedes Mitglied seine eigenen Versorgungsleistungen finanziere. Entsprechend höher sei dort die spätere Altersversorgung. Darüber hinaus seien freiwillige Mehrzahlungen möglich und es bestehe in der Regel sofortiger Schutz, während in der gesetzlichen Rentenversicherung erhebliche Wartezeiten bestünden. Schließlich seien die Leistungen eines Versorgungswerks besser an das spezielle Versorgungsbedürfnis der Berufsgruppe angepasst. Die Mitglieder des Versorgungswerks entschieden selbst über die Grundlagen ihres Mitgliedschafts-, Beitrags- und Leistungsrechts. Anders als in der gesetzlichen Versicherung bestehe in den Versorgungswerken ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bereits bei Berufsunfähigkeit und nicht erst bei einer geminderten Restarbeitsfähigkeit. Der Abschluss einer privaten Selbstvorsorge biete wegen des Ausschlusses von Risikogefährdungen ebenfalls keine gleichwertige Alternative.

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Die Ungleichbehandlung der Klägerin aufgrund von § 35 Abs. 3 BerlKaG könne auch nicht durch das Lenkungsziel, eine gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung attraktivere Versorgungsmöglichkeit für selbständige Kammermitglieder zu vermeiden, gerechtfertigt werden. Deren Anzahl sei für das Regelungsziel faktisch bedeutungslos. Außerdem stehe allen neuen Mitgliedern anderer Kammern die Mitgliedschaft in den bestehenden Versorgungswerken weiterhin offen. Da die institutionelle Einrichtung des Kammersystems nach § 1 BerlKaG fortgeführt und die Ermächtigungsnorm des § 4b BerlKaG nicht aufgehoben worden sei, lasse § 35 Abs. 3 BerlKaG auch eine systemgerechte und folgerichtige Regelung vermissen. Die Vorschrift verstoße darüber hinaus gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes aus Art. 19 Abs. 1 GG.

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Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Mai 2014 zu ändern und festzustellen, dass die Klägerin nach näherer Maßgabe des § 4b des Gesetzes über die Kammern und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Berliner Kammergesetz) berechtigt ist, sich einer anderen Versorgungseinrichtung desselben Berufs mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland anzuschließen.

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Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen

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Er verteidigt das angegriffene Urteil. Mit der für ihn bindenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sei auch die Frage nach der Vereinbarkeit des § 35 Abs. 3 BerlKaG mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu beantworten. Das in der Norm angelegte Unterscheidungsmerkmal wirke nicht diskriminierend. Es erscheine vertretbar, dass der Gesetzgeber auf längere Sicht im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger eine Reform der Rentenversicherung habe unterstützen wollen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

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1. Die Feststellungsklage ist zulässig.

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a) Das zwischen den Beteiligten streitige Rechtsverhältnis betrifft die Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 4b und 35 Abs. 3 BerlKaG im Verhältnis der Klägerin zum Beklagten als Träger der Aufsichtsbehörde nach § 14 Abs. 1 BerlKaG. Die Feststellungsklage ist nicht wegen Subsidiarität gegenüber einer Verpflichtungsklage auf Genehmigung einer Anschlusssatzung an ein anderes Versorgungswerk derselben Berufsgruppe mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig. Zwar setzt die Einrichtung einer berufsständischen Versorgung durch Anschluss an ein anderes Versorgungswerk nach § 4b Abs. 4 Satz 1 BerlKaG voraus, dass die betreffende Kammer der Aufsichtsbehörde eine Anschlusssatzung zur Genehmigung vorlegt. Die Beteiligten streiten jedoch nicht über deren Ausgestaltung, sondern um die vorgelagerte Frage, ob die Klägerin überhaupt Rechte aus § 4b BerlKaG für sich herleiten kann. Die Subsidiarität nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO erfasst nur Fälle, in denen das mit der Feststellungsklage erstrebte Ziel sich gleichermaßen oder besser mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreichen lässt. Davon kann nicht die Rede sein, wenn die Feststellungsklage dem Rechtsschutzziel des Klägers besser Rechnung trägt als eine Gestaltungs- oder Leistungsklage (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2015 - 7 C 17.12 - NVwZ 2015, 1215 Rn. 17 m.w.N.). So verhält es sich hier. Die streitige Frage kann sachgerecht durch ein Feststellungsurteil geklärt werden. Verwiese man die Klägerin stattdessen auf eine Leistungsklage, wäre einerseits das Rechtsverhältnis, an dessen selbständiger Feststellung sie ein berechtigtes Interesse hat, nur Vorfrage, und andererseits müsste sie im Rahmen des dann geltend zu machenden Anspruchs zu Punkten - wie hier der inhaltlichen Ausgestaltung einer Anschlusssatzung - Stellung beziehen, die für sie nur untergeordnete Bedeutung hätten (BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 - 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 9).

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b) Die Klägerin hat, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 43 Abs. 1 Halbs. 2 VwGO an der begehrten Feststellung. Dieses schließt jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ein (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Januar 1996 - BVerwG 8 C 19.94 - BVerwGE 100, 262 <271> und vom 28. Januar 2010 - 8 C 38.09 - BVerwGE 136, 75 Rn. 54). Hinreichend schutzwürdig im Rahmen der Zulässigkeitsanforderungen ist hier das Interesse der Klägerin, als gesetzlich errichtete Kammer ebenso wie andere Kammern ihren Pflichtmitgliedern den Vorteil einer besonderen berufsständischen Versorgung bieten zu können.

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c) Die Klägerin ist auch klagebefugt.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung Feststellungsklagen nur dann für zulässig angesehen, wenn dem Kläger nicht nur ein Feststellungsinteresse zur Seite steht, sondern er darüber hinaus auch eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten geltend machen kann. Mit diesem Gedanken, der in § 42 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommt, sollen Popularklagen auch hier vermieden werden (vgl. zuletzt etwa BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 6 B 2.11 - juris Rn. 5 f. m.w.N., Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 51). An dieser Rechtsprechung, die in der Literatur Kritik erfahren hat (etwa von Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 42 Rn. 372 ff. und § 43 Rn. 72), ist jedenfalls für Feststellungsklagen, die zulässigerweise möglichen Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen vorgreifen, festzuhalten, weil dadurch ein Gleichklang der Zulässigkeitsvoraussetzungen gesichert wird. Unabhängig davon sind Feststellungsklagen von Trägern hoheitlicher Befugnisse nur zulässig, wenn diese die Möglichkeit einer Verletzung in Rechtspositionen geltend machen, die als subjektive Rechte ausgestaltet sind. Andernfalls könnten Differenzen aus dem Binnenbereich der Exekutive beliebig vor die Verwaltungsgerichte getragen und so die aufgabenangemessene Gestaltung von Verwaltungsstrukturen erschwert werden, ohne dass dies durch Vorschriften des materiellen Rechts veranlasst wäre.

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Für ihr Anliegen, eine berufsständische Versorgung für ihre Mitglieder einzurichten, kann sich die Klägerin auf Grundrechte nicht berufen. Als juristische Person des öffentlichen Rechts ist sie im Bereich der Wahrnehmung ihr gesetzlich zugewiesener öffentlicher Aufgaben nicht grundrechtsfähig. Das gilt für eine berufsständische Kammer jedenfalls dann, wenn sie die ihr zugewiesenen Aufgaben hoheitlich wahrnimmt (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23. Januar 1997 - 1 BvR 1317/86 - NJW 1997, 1634 und vom 2. November 2015 - 1 BvR 1530/15 u.a. - juris Rn. 5). Ob im Bereich reiner Interessenvertretung der Kammermitglieder Besonderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Die Aufgabe, für ihre Mitglieder eine berufsständische Versorgung einzurichten, würde die Klägerin hoheitlich wahrnehmen; zu deren Inanspruchnahme könnten die Kammermitglieder verpflichtet werden (§ 4b Abs. 3 Satz 1 BerlKaG), und sie würde sich regelmäßig durch Pflichtmitgliedschaft der Kammermitglieder tragen.

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Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die Klägerin mit der Beklagten einen Innenrechtsstreit führe und sich hierbei auf eine mögliche Verletzung organschaftlicher Befugnisse berufen könne. Das geht fehl. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass solche organschaftlichen Befugnisse in besonderen Fällen wehrfähig und damit klagefähig sind. Das ist anzunehmen, wenn sie einem Organ oder Teilen eines Kollegialorgans von Hoheitsträgern - etwa im Bereich des Kommunalverfassungsrechts - zur eigenständigen Wahrnehmung übertragen sind, um als selbständige Funktionsträger mit eigenem Gewicht ("Kontrastorgane") an einem pluralistisch organisierten Willensbildungsprozess teilzunehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 1 WB 39.10 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 79 Rn. 20; OVG Münster, Urteil vom 25. März 2014 - 15 A 1651/12 - NWVBl. 2014, 388 = juris Rn. 66; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 40 Rn. 15). Allerdings sind solche organschaftlichen Rechte grundsätzlich nur auf den Schutz vor einer Verletzung durch andere Organe oder Organteile derselben juristischen Person des öffentlichen Rechts ausgerichtet (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 42 Rn. 80). Auf einen Außenrechtsstreit einer berufsständischen Kammer gegen die staatliche Aufsichtsbehörde ist das - von hier nicht einschlägigen Sonderfällen abgesehen (VGH München, Beschluss vom 20. Oktober 2011 - 4 CS 11.1927 - BayVBl 2012, 340; Greim/Michl, NVwZ 2013, 775) - nicht übertragbar.

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Die Klägerin kann jedoch eine Verletzung in ihrer Selbstverwaltungsbefugnis geltend machen. Hierzu zählt auch der Vortrag, der Beklagte verkürze den Umkreis der ihr gesetzlich zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesenen Aufgaben. Das Verwaltungsgericht hat aus § 4b BerlKaG die Befugnis der Klägerin abgeleitet, eine berufsständische Versorgung ihrer Kammermitglieder einzurichten, und weiter angenommen, diese Befugnis werde durch § 35 Abs. 3 BerlKaG wieder genommen. Das ist als Auslegung des Berliner Landesrechts hinzunehmen (§ 137 Abs. 1 VwGO). Zwar weist der Beklagte mit Grund darauf hin, dass beide Vorschriften gleichzeitig erlassen wurden, was die Annahme der Einräumung einer Befugnis, die alsdann wieder genommen werde, nicht nahelegt. Jedoch ist die Grenze zulässiger Auslegung des Landesrechts, die das Revisionsgericht bindet, noch nicht überschritten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. November 2009 - 7 B 25.09 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 365 Rn. 30).

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2. Das Verwaltungsgericht hat die Klage ohne Bundesrechtsverstoß für unbegründet erachtet. Seine Feststellung, die Ausschlussklausel des § 35 Abs. 3 BerlKaG sei gültiges Recht, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt daher nicht in Betracht.

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a) Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Abs. 1 GG, die das verwaltungsgerichtliche Urteil prüft und im Ergebnis verneint, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin als öffentlich-rechtliche Körperschaft sich - wie bereits ausgeführt - im Bereich hoheitlicher Tätigkeit nicht auf Grundrechte berufen kann. Deshalb kann dahinstehen, welcher Prüfungsmaßstab aus Art. 3 Abs. 1 GG nach neuerer verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung an die unterschiedliche Behandlung der Kammern hinsichtlich ihrer Befugnis zur Einrichtung einer Versorgung anzulegen wäre.

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b) Das Verwaltungsgericht hat in der Sache letztlich eine Prüfung der Ausschlussklausel des § 35 Abs. 3 BerlKaG anhand eines reinen Willkürmaßstabes durchgeführt, die sich auch ohne Grundrechtsträgerschaft der Klägerin auf den im Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsatz des rechtsstaatlichen Willkürverbotes stützen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 1 BvL 21/82 - BVerfGE 76, 130 <139> und Kammerbeschluss vom 31. Januar 2008 - 1 BvR 2156/02, 1 BvR 2206/02 - BVerfGK 13, 276 <277>). Gemessen hieran ist das angegriffene Urteil zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der einfachgesetzliche Ausschluss der Klägerin von der Befugnis zur Einrichtung einer berufsständischen Versorgung (einschließlich eines Anschlusses an ein bestehendes Versorgungswerk) nicht willkürlich ist.

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Das Willkürverbot gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches nach seiner Verschiedenheit ungleich zu behandeln. Für vom Gesetz- und Verordnungsgeber geschaffene Regelungssysteme ergibt sich hieraus das Gebot, nur solche Differenzierungen vorzusehen, für welche ein sachlich einleuchtender Grund besteht (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2015 - 10 C 12.14 - BVerwGE 151, 200 Rn. 41>). Eine unterschiedliche Behandlung von gleich gelagerten Sachverhalten ist danach schon dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn für sie ein hinreichender objektiver Sachgrund erkennbar ist, selbst wenn sich der Gesetzgeber nicht ausdrücklich auf ihn bezogen haben sollte (BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvL 21/11 - BVerfGE 130, 131 <144>).

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aa) Das Berliner Kammergesetz räumt nur den bis zum 22. September 1999 gegründeten Kammern das Recht zur Einrichtung einer berufsständischen Versorgung ein. Diese stichtagsbezogene Unterscheidung stellt sich weder objektiv noch nach der konkreten Regelungsintention des Landesgesetzgebers als willkürlich dar.

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Die Ausschlussklausel des § 35 Abs. 3 BerlKaG sollte verhindern, dass das Potential an freiwillig versicherten Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung dadurch gemindert wird, dass Angehörigen neu gegründeter Kammern eine berufsständische Versorgung angeboten wird. Vorausgesetzt wurde vom Landesgesetzgeber dabei, dass die angestellten Angehörigen einer neu zu gründenden Kammer von einer berufsständischen Versorgung ohnehin nicht mehr erfasst würden, weil sie, da für sie vor dem 1. Januar 1995 keine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hatte, aufgrund der sog. "Friedensgrenze" zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI, BGBl. I 1995 S. 1824 <1825>, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Dezember 2004, BGBl. I S. 3242 <3244>) nicht mehr von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden konnten (Stellungnahme der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, Anlage 2 zur Senatsvorlage Nr. 2623/05).

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Der Landesgesetzgeber wollte mit dem Ausschluss weiterer berufsständischer Versorgungseinrichtungen neu gegründeter Kammern somit eine gegenüber der freiwilligen gesetzlichen Rentenversicherung möglicherweise attraktivere berufsständische Versorgung für neue Personenkreise vermeiden. Damit sollte die Leistungs- und Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten und gestärkt werden. Dieser Gesichtspunkt ist in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als legitime Zielsetzung des öffentlichen Interesses anerkannt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Februar 2009 - 1 BvR 1631/04 - BVerfGK 15, 59 = juris Rn. 15 m.w.N.) und kann auch eine Ungleichbehandlung bestehender und neu gegründeter Berufsvertretungen rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht hat das gesetzgeberische Anliegen, Versicherte mit typischerweise günstigen Risiken in der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung zu halten und ihre Abwanderung in neu zu gründende Versorgungswerke zu unterbinden, als tragfähigen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung von Kammerangehörigen durch die "Friedensgrenze" des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI angesehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Mai 2008 - 1 BvR 1060/05, 1 BvR 11 BvR 1753/05 - juris Rn. 18 f.). Entsprechend verstößt es auch nicht gegen das objektiv-rechtliche Willkürverbot, wenn die Gründung neuer berufsständischer Versorgungen ausgeschlossen wird, um die Attraktivität einer freiwilligen Mitgliedschaft selbständiger, nicht versicherungspflichtiger Angehöriger einer verkammerten Berufsgruppe in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten.

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Der Gesetzgeber hat für seine Einschätzung, inwieweit er tätig werden muss, um einer Schwächung des Solidarsystems der gesetzlichen Rentenversicherung vorzubeugen, einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum (BVerfG, ebd. Rn. 18). Allgemein verfügt er im Bereich der Gestaltung von Systemen sozialer Sicherheit, zu denen auch berufsständische Versorgungssysteme zu rechnen sind, nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung über einen weiten Gestaltungsspielraum mit nur eingeschränkter gerichtlicher Überprüfbarkeit (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 3. Juni 2013 - 1 BvR 131/13 u.a. - BVerfGK 20, 327 <330> und vom 26. März 2014 - 1 BvR 1133/12 - FamRZ 2014, 911 Rn. 20, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 1 BvL 9/12, 1 BvR 1145/13 - BVerfGE 136, 152 <182>; BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2009 - 8 CN 1.09 - BVerwGE 134, 99 Rn. 20; Papier, Sozialstaat und berufsständische Versorgung, AnwBl 2007, 97 <98>). Die Tragfähigkeit des mit der Einfügung des § 35 Abs. 3 BerlKaG verfolgten Ziels mindert sich auch nicht dadurch, dass im Falle der Klägerin als erster von dieser Ausschlussregelung betroffener Kammer eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung lediglich für eine überschaubare Anzahl niedergelassener, nicht gesetzlich rentenversicherungspflichtiger Kammerangehörigen in Betracht kommt. Darin, dass der Landesgesetzgeber vorsorglich tätig geworden ist, um für Versicherte mit vergleichsweise günstigen Risiken die Attraktivität der gesetzlichen Rentenversicherung vor einer Schwächung durch eine weitere berufsständische Versorgung zu bewahren, liegt auch bei einer geringen Anzahl betroffener Kammermitglieder kein sachwidriges, willkürliches Regelungsziel (vgl. zu § 6 SGB VI BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Mai 2008 - 1 BvR 1060/05, 1 BvR 11 BvR 1753/05 - juris Rn. 19).

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Der Landesgesetzgeber war deshalb nicht verpflichtet, bei Neugründung einer Kammer die Einrichtung einer berufsständischen Versorgung für deren Angehörige zuzulassen. Er konnte sich auch gegen eine Ausweitung berufsständischer Versorgungsmöglichkeiten entscheiden, um eine rechtliche oder jedenfalls faktische Verantwortung für die Übernahme von Risiken bei einem Scheitern des berufsständischen Versorgungsmodells zu vermeiden.

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Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat als weiteres tragfähiges Regelungsziel anerkannt, dass der Landesgesetzgeber mit der Ausschlussklausel des § 35 Abs. 3 BerlKaG auf Möglichkeiten des Bundesgesetzgebers für eine künftige umfassende Neuordnung der Rentenversicherung und Überführung in eine Bürgerversicherung habe Rücksicht nehmen und vorläufig zumindest die Schaffung etwaiger weiterer Vertrauenstatbestände habe ausschließen wollen (VerfGH Berlin, Beschluss vom 21. März 2014 - 41/12 - juris Rn. 34). Auch diese Erwägung, die künftige Umgestaltung eines sozialen Sicherungssystems durch Ausschluss weiterer berufsständischer Versorgungen offen zu halten, ist jedenfalls nicht willkürlich.

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Sachlich gerechtfertigt ist schließlich auch die Differenzierung zwischen dem Ausschluss der Einrichtung einer Versorgung durch eine neu gegründete Kammer und der unangetastet gebliebenen Möglichkeit neuer Mitglieder bereits bestehender Kammern, sich deren berufsständischer Versorgung anzuschließen. Ein bestehendes Versorgungswerk wird in der Regel auf eine fortwährende Erneuerung seiner Mitgliederschaft angewiesen sein, um ökonomisch lebensfähig zu sein.

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bb) Der in § 35 Abs. 3 BerlKaG gewählte Stichtag 22. September 1999 erweckt ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Er knüpft an das Datum der Sitzung des zuständigen Ausschusses für Gesundheit, Soziales und Migration des Abgeordnetenhauses Berlin an, in der eine entsprechende Änderung des Gesetzentwurfs eingebracht und damit die Regelungsintention des Gesetzgebers erstmals offenbar geworden war (vgl. Ausschussprotokoll Drs. 13/4124 vom 22. September 1999). Der Gesetzgeber darf zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einführen, muss allerdings die Wahl seiner zeitlichen Anknüpfung in sachlich vertretbarer Weise am gegebenen Sachverhalt orientieren (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 5. Februar 2009 - 1 BvR 1631/04 - BVerfGK 15, 59 = juris Rn. 31, vom 17. Dezember 2012 - 1 BvR 488/10, 1 BvR 11 BvR 1047/10 - juris Rn. 42 und vom 19. Mai 2015 - 2 BvR 1170/14 - FamRZ 2015, 1263 Rn. 41). Es war angesichts des Regelungsziels, einer Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung vorzubeugen, sachgerecht, schon die mit demselben Gesetz geschaffene Kammer für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichentherapeuten in den Ausschluss künftiger berufsständischer Versorgung einzubeziehen.

33

c) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 35 Abs. 3 BerlKaG ergeben sich auch nicht im Hinblick auf das in Art. 19 Abs. 1 GG verankerte Verbot des Einzelfallgesetzes. Es wird durch die von der Klägerin angegriffene landesgesetzliche Ausschlussklausel von vorneherein nicht tangiert, weil es nur eingreift, soweit ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt wird. Wie oben dargelegt, sind berufsständische Kammern jedoch als öffentlich-rechtliche Körperschaften im Bereich ihrer hoheitlichen Tätigkeit, zu der auch die Einrichtung einer berufsständischen Versorgung gehört, nicht grundrechtsfähig.

34

Im Übrigen wäre § 35 Abs. 3 BerlKaG auch kein Einzelfallgesetz. Die Anforderung aus Art. 19 Abs. 1 GG, dass ein grundrechtseingreifendes Gesetz allgemein zu sein hat, ist erfüllt, wenn sich wegen der abstrakten Fassung der gesetzlichen Tatbestände nicht absehen lässt, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet, wenn also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolgen möglich ist. Die abstrakt-generelle Formulierung darf nicht zur Verschleierung einer einzelfallbezogenen Regelung dienen, bei der künftige weitere Anwendungsfälle von vorneherein ausgeschlossen wären (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 1999 - 1 BvL 2/91 - BVerfGE 99, 367 <400>; BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 Rn. 27 f. Dem genügt die Ausschlussklausel des § 35 Abs. 3 BerlKaG. Sie ist nicht lediglich auf die Klägerin als erste nach dem darin genannten Stichtag gegründete Kammer anwendbar, sondern auf alle künftig zu gründenden Kammern, die dem Regelungsrahmen des Berliner Kammergesetzes unterstellt werden. Damit kommt ihr ein zukunftsgerichtet unbegrenzter Anwendungsbereich zu. Dass eine Neugründung weiterer Kammern nicht ausgeschlossen ist, zeigt schon das Beispiel der in einzelnen Bundesländern neu gegründeten Pflegekammern (vgl. Kluth/Jesse, Die Einführung von Pflegekammern, Stellungnahme 3/15 des Instituts für Kammerrecht e.V., www.kammerrecht.de).

35

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteilsbesprechung zu Bundesverwaltungsgericht Urteil, 02. Dez. 2015 - 10 C 18/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesverwaltungsgericht Urteil, 02. Dez. 2015 - 10 C 18/14

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All
Bundesverwaltungsgericht Urteil, 02. Dez. 2015 - 10 C 18/14 zitiert 13 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 42


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 137


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung1.von Bundesrecht oder2.einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 43


(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungskla

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 100


(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassu

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 6 Befreiung von der Versicherungspflicht


(1) Von der Versicherungspflicht werden befreit1.Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öff

Wehrbeschwerdeordnung - WBO | § 17 Antrag auf Entscheidung des Truppendienstgerichts


(1) Ist die weitere Beschwerde erfolglos geblieben, kann der Beschwerdeführer die Entscheidung des Truppendienstgerichts beantragen, wenn seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüb

Referenzen - Urteile

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 02. Dez. 2015 - 10 C 18/14 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

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Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 25. März 2014 - 15 A 1651/12

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Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 24. Jan. 2012 - 1 BvL 21/11

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Tenor 1. § 2 Absatz 4 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (Ha

Referenzen

(1) Von der Versicherungspflicht werden befreit

1.
Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a)
am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b)
für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c)
aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist,
2.
Lehrer oder Erzieher, die an nicht-öffentlichen Schulen beschäftigt sind, wenn ihnen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist und wenn diese Personen die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 erfüllen,
3.
nichtdeutsche Besatzungsmitglieder deutscher Seeschiffe, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz haben,
4.
Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben, wenn für sie mindestens 18 Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt worden sind.
Die gesetzliche Verpflichtung für eine Berufsgruppe zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 gilt mit dem Tag als entstanden, an dem das die jeweilige Kammerzugehörigkeit begründende Gesetz verkündet worden ist. Wird der Kreis der Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer nach dem 31. Dezember 1994 erweitert, werden diejenigen Pflichtmitglieder des berufsständischen Versorgungswerks nicht nach Satz 1 Nr. 1 befreit, die nur wegen dieser Erweiterung Pflichtmitglieder ihrer Berufskammer geworden sind. Für die Bestimmung des Tages, an dem die Erweiterung des Kreises der Pflichtmitglieder erfolgt ist, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden. Personen, die nach bereits am 1. Januar 1995 geltenden versorgungsrechtlichen Regelungen verpflichtet sind, für die Zeit der Ableistung eines gesetzlich vorgeschriebenen Vorbereitungs- oder Anwärterdienstes Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu sein, werden auch dann nach Satz 1 Nr. 1 von der Versicherungspflicht befreit, wenn eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer für die Zeit der Ableistung des Vorbereitungs- oder Anwärterdienstes nicht besteht. Satz 1 Nr. 1 gilt nicht für die in Satz 1 Nr. 4 genannten Personen.

(1a) Personen, die nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig sind, werden von der Versicherungspflicht befreit

1.
für einen Zeitraum von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, die die Merkmale des § 2 Satz 1 Nr. 9 erfüllt,
2.
nach Vollendung des 58. Lebensjahres, wenn sie nach einer zuvor ausgeübten selbständigen Tätigkeit erstmals nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig werden.
Satz 1 Nr. 1 gilt entsprechend für die Aufnahme einer zweiten selbständigen Tätigkeit, die die Merkmale des § 2 Satz 1 Nr. 9 erfüllt. Eine Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit liegt nicht vor, wenn eine bestehende selbständige Existenz lediglich umbenannt oder deren Geschäftszweck gegenüber der vorangegangenen nicht wesentlich verändert worden ist.

(1b) Personen, die eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Absatz 1 Nummer 1 oder § 8a in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nummer 1 des Vierten Buches ausüben, werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Der schriftliche oder elektronische Befreiungsantrag ist dem Arbeitgeber zu übergeben. § 8 Absatz 2 des Vierten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine Zusammenrechnung mit einer nicht geringfügigen Beschäftigung nur erfolgt, wenn diese versicherungspflichtig ist. Der Antrag kann bei mehreren geringfügigen Beschäftigungen nur einheitlich gestellt werden und ist für die Dauer der Beschäftigungen bindend. Satz 1 gilt nicht für Personen, die im Rahmen betrieblicher Berufsbildung, nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz, nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder nach § 1 Satz 1 Nummer 2 bis 4 beschäftigt sind oder von der Möglichkeit einer stufenweisen Wiederaufnahme einer nicht geringfügigen Tätigkeit (§ 74 des Fünften Buches) Gebrauch machen.

(2) Die Befreiung erfolgt auf Antrag des Versicherten, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 auf Antrag des Arbeitgebers. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Versicherte den Antrag elektronisch über die zuständige berufsständische Versorgungseinrichtung zu stellen. Diese leitet den Antrag durch Datenübertragung an den Träger der Rentenversicherung zusammen mit den Bestätigungen über das Vorliegen einer Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, über das Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer und über die Pflicht zur Zahlung einkommensbezogener Beiträge zur Entscheidung unverzüglich weiter. Der Träger der Rentenversicherung teilt seine Entscheidung dem Antragsteller in Textform und der den Antrag weiterleitenden berufsständischen Versorgungseinrichtung elektronisch mit. Der Eingang des Antrags bei der berufsständischen Versorgungseinrichtung ist für die Wahrung der in Absatz 4 bestimmten Frist maßgeblich. Der Datenaustausch erfolgt über die Annahmestelle der berufsständischen Versorgungseinrichtungen und die Datenstelle der Rentenversicherung. Die technische Ausgestaltung des Verfahrens regeln die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e. V. in gemeinsamen Grundsätzen, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu genehmigen sind.

(3) Über die Befreiung entscheidet der Träger der Rentenversicherung. Abweichend von Satz 1 entscheidet in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Deutsche Rentenversicherung Bund, nachdem das Vorliegen der Voraussetzungen bestätigt worden ist

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 von der für die berufsständische Versorgungseinrichtung zuständigen obersten Verwaltungsbehörde und
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 von der obersten Verwaltungsbehörde desjenigen Landes, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
In den Fällen des Absatzes 1b gilt die Befreiung als erteilt, wenn die nach § 28i Satz 5 des Vierten Buches zuständige Einzugsstelle nicht innerhalb eines Monats nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nach § 28a des Vierten Buches dem Befreiungsantrag des Beschäftigten widerspricht. Die Vorschriften des Zehnten Buches über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und über das Rechtsbehelfsverfahren gelten entsprechend.

(4) Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. In den Fällen des Absatzes 1b wirkt die Befreiung bei Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nach § 28a des Vierten Buches bei der zuständigen Einzugsstelle rückwirkend vom Beginn des Monats, in dem der Antrag des Beschäftigten dem Arbeitgeber zugegangen ist, wenn der Arbeitgeber den Befreiungsantrag der Einzugsstelle mit der ersten folgenden Entgeltabrechnung, spätestens aber innerhalb von sechs Wochen nach Zugang, gemeldet und die Einzugsstelle innerhalb eines Monats nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nicht widersprochen hat. Erfolgt die Meldung des Arbeitgebers später, wirkt die Befreiung vom Beginn des auf den Ablauf der Widerspruchsfrist nach Absatz 3 folgenden Monats. In den Fällen, in denen bei einer Mehrfachbeschäftigung die Befreiungsvoraussetzungen vorliegen, hat die Einzugsstelle die weiteren Arbeitgeber über den Zeitpunkt der Wirkung der Befreiung unverzüglich durch eine Meldung zu unterrichten.

(5) Die Befreiung ist auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt. Sie erstreckt sich in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Ist die weitere Beschwerde erfolglos geblieben, kann der Beschwerdeführer die Entscheidung des Truppendienstgerichts beantragen, wenn seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnittes des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Der Antrag kann auch gestellt werden, wenn über die weitere Beschwerde innerhalb eines Monats nicht entschieden worden ist.

(2) Das Verfahren vor dem Truppendienstgericht tritt insoweit an die Stelle des Verwaltungsrechtsweges gemäß § 82 des Soldatengesetzes.

(3) Mit dem Antrag kann nur geltend gemacht werden, dass eine dienstliche Maßnahme oder Unterlassung rechtswidrig sei. Rechtswidrigkeit ist auch gegeben, wenn der Beschwerdeführer durch Überschreitung oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse verletzt ist.

(4) Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des zurückweisenden Beschwerdebescheides oder nach Ablauf der in Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist bei dem zuständigen Truppendienstgericht schriftlich oder mündlich zur Niederschrift einzulegen. Dabei soll der Beschwerdeführer unter Beifügung des Beschwerdebescheides sowie des Bescheides über die weitere Beschwerde die zur Begründung des Antrags dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Die Frist wird auch gewahrt, wenn der Antrag bei dem nächsten Disziplinarvorgesetzten oder in den Fällen des § 5 Absatz 2 und des § 11 Buchstabe b bei den dort bezeichneten Vorgesetzten eingelegt wird. Der Antrag ist dem Truppendienstgericht unverzüglich vorzulegen. Zuständig ist das Truppendienstgericht, das für den Befehlsbereich errichtet ist, zu dem der Betroffene zum Zeitpunkt des Beschwerdeanlasses gehört.

(5) Nach Ablauf eines Jahres seit Einlegung der weiteren Beschwerde ist die Anrufung des Truppendienstgerichts ausgeschlossen. § 7 gilt entsprechend.

(6) Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Truppendienstgericht, in dringenden Fällen sein Vorsitzender, kann auf Antrag des Beschwerdeführers oder von Amts wegen die aufschiebende Wirkung nach Anhörung des zuständigen Disziplinarvorgesetzten anordnen. Die Anordnung kann schon vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung getroffen werden, wenn der zuständige Disziplinarvorgesetzte einen Antrag nach § 3 Absatz 2 abgelehnt oder die Vollziehung nicht innerhalb einer vom Truppendienstgericht gesetzten Frist ausgesetzt hat.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

1. § 2 Absatz 4 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 211), zuletzt geändert am 15. Dezember 2009 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 506), ist mit Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit die Vorschrift Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 3418), zuletzt geändert am 7. September 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 2246 <2257>), verfügen, von der Möglichkeit ausnimmt, abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestattet ist.

2. Bis zu einer Neuregelung gilt die Vorschrift mit der Maßgabe fort, dass sie auch auf Gaststätten anzuwenden ist, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 3418), zuletzt geändert am 7. September 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 2246 <2257>), verfügen.

Gründe

A.

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz als Ausnahme von dem generell in Gaststätten geltenden Rauchverbot die Einrichtung von Raucherräumen für Schankwirtschaften erlaubt, diese Begünstigung jedoch Speisewirtschaften vorenthält.

I.

2

1. a) Durch § 2 Abs. 1 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (GVBl S. 211), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes vom 15. Dezember 2009 (GVBl S. 506), wird das Rauchen in Gaststätten sowie in zahlreichen anderen öffentlich zugänglichen Einrichtungen verboten. Die Vorschrift lautet auszugsweise:

3

§ 2

4

Rauchverbot

5

(1) Das Rauchen ist nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 verboten in

6

1. bis 8 ...

7

9. Einrichtungen, in denen Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden (Gaststätten), einschließlich Gaststätten, die in der Betriebsart Diskothek geführt werden.

8

10. bis 12. ...

9

(2) bis (8) ...

10

Vom Rauchverbot ausgenommen sind Gaststätten mit nur einem Gastraum und einer Gastfläche von weniger als 75 m 2 , die keine zubereiteten Speisen anbieten und nicht über eine entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen (§ 2 Abs. 5 HmbPSchG).

11

§ 2 Abs. 4 HmbPSchG erlaubt für Gaststätten, in denen keine zubereiteten Speisen angeboten werden und die nicht über eine entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen, die Einrichtung von Raucherräumen. Die Vorschrift lautet:

12

(4) In Gaststätten gemäß Absatz 1 Nummer 9, die keine zubereiteten Speisen anbieten und nicht über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (BGBl. I S. 3419), zuletzt geändert am 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246, 2257), verfügen, können abgeschlossene Räume eingerichtet werden, in denen das Rauchen gestattet ist. Voraussetzung hierfür ist, dass

13

1. diese Räume baulich so wirksam abgetrennt werden, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen wird und die Raucherräume belüftet werden,

14

2. der Zutritt Personen unter 18 Jahren verwehrt ist und

15

3. diese Räume nicht größer sind als die übrige Gastfläche.

16

In ähnlicher Weise wie § 2 Abs. 4 HmbPSchG erlaubt § 2 Abs. 3 HmbPSchG, dass in anderen Einrichtungen, für die grundsätzlich das Rauchverbot gilt (z.B. Behörden, Krankenhäusern, Wohneinrichtungen, Hochschulen, Sporthallen und Justizvollzugsanstalten), Raucherräume eingerichtet werden. Zu den Voraussetzungen gehört auch hier, dass "in diesen Räumen keine zubereiteten Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden" (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 HmbPSchG).

17

Die Betreibenden von Gaststätten sind verantwortlich für die Einhaltung des Verbots und müssen, wenn ihnen ein Verstoß bekannt wird, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um weitere Verstöße zu verhindern (§ 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HmbPSchG). Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, handelt ordnungswidrig (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 HmbPSchG).

18

b) Eine vergleichbare Regelung zur Zulassung von Raucherräumen in Gaststätten findet sich in anderen Ländern nicht. Während in Bayern und im Saarland ein striktes Rauchverbot in Gaststätten gilt und damit die Einrichtung von Raucherräumen dort ohnehin unzulässig ist, lassen alle anderen Länder das Rauchen in gesonderten Räumen unter besonderen Voraussetzungen zu, ohne danach zu unterscheiden, ob in den jeweiligen Gaststätten zubereitete Speisen angeboten werden oder nicht.

19

2. Bereits in seiner ursprünglichen Fassung vom 11. Juli 2007 (GVBl S. 211) sah das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz als Ausnahme vom geltenden Rauchverbot die Möglichkeit vor, in Gaststätten und verschiedenen anderen Einrichtungen Raucherräume zu schaffen. Voraussetzung war, dass diese Räume baulich so wirksam abgetrennt wurden, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen war und dass die Raucherräume belüftet und ausdrücklich gekennzeichnet waren (§ 2 Abs. 3 HmbPSchG a.F.). Zwischen Speise- und Schankwirtschaften wurde dabei nicht differenziert. Eine Ausnahmeregelung für getränkegeprägte Kleingastronomie enthielt das Gesetz damals noch nicht.

20

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) Regelungen der Länder Baden-Württemberg und Berlin über Rauchverbote in Gaststätten für mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hatte, weil sie die getränkegeprägte Kleingastronomie unverhältnismäßig belasteten, befasste sich der Landesgesetzgeber mit hiernach gebotenen Anpassungen des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes. Zwischen den damaligen Regierungsfraktionen bestanden zunächst unterschiedliche Vorstellungen über eine Neuregelung: Während in der CDU-Fraktion mehrheitlich weitgehende Ausnahmetatbestände vom Rauchverbot in Gaststätten befürwortet wurden, trat die Grün-Alternative Liste (GAL) für ein striktes Rauchverbot ohne Ausnahmen ein. Unter dem 25. November 2009 legten die Regierungsfraktionen der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg schließlich den gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes vor (Drucks 19/4713), der in der Folgezeit zu der hier gegenständlichen Gesetzesfassung führte. Zur Begründung des Gesetzantrags wird knapp auf die Notwendigkeit einer Anpassung des Gesetzes an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Weiter heißt es, dem generellen Ziel des Schutzes vor den Gefahren des Passivrauchens solle unverändert Rechnung getragen werden, es sollten aber auch die Interessen der Gastronomie Berücksichtigung finden.

II.

21

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: die Klägerin) betreibt eine Gaststätte auf einem in Hamburg an der Autobahn A 7 gelegenen Autohof. Neben einer Gaststube mit einer Fläche von 70 m 2 umfasst die Gaststätte noch einen 33 m 2 großen "Clubraum". Für diese Gaststätte ist die Klägerin im Besitz einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft mit dem Ausschank von Getränken aller Art und der Abgabe von Speisen.

22

Im Juni 2010 beantragte sie beim zuständigen Bezirksamt eine Ausnahmegenehmigung vom Rauchverbot, um den Clubraum als Raucherraum auszuweisen. 80 % ihrer Gäste seien Lkw-Fahrer; diese seien fast alle Raucher. Schon bei Einführung der ursprünglichen Fassung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes sei es für ihre Gaststätte zu Umsatzeinbußen von bis zu 20 % gekommen. Das nun eingeführte komplette Rauchverbot in Speisewirtschaften bedrohe ihre wirtschaftliche Existenz. Es seien Umsatzeinbußen von etwa 60 % zu erwarten. Die Kundschaft der Lkw-Fahrer würde fast komplett wegbrechen. Dies werde dadurch begünstigt, dass die umliegenden Länder die Einrichtung von Raucherräumen erlaubten und die Lkw-Fahrer sehr mobil seien.

23

Das Bezirksamt lehnte den Erlass einer Ausnahmegenehmigung ab; die gesetzliche Regelung gelte ausnahmslos, eine Ausnahme für Speisewirtschaften sei nicht vorgesehen. Nachdem auch der Widerspruch der Klägerin ohne Erfolg blieb, begehrt die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht festzustellen, dass sie berechtigt sei, einen bestimmten näher bezeichneten Raum ihrer Gaststätte als Raucherraum auszuweisen und zu betreiben.

24

2. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 2 Abs. 4 HmbPSchG mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit nach dieser Regelung Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes (GastG) verfügen, anders als Schankwirtschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG) keine abgeschlossenen Räume einrichten dürfen, in denen das Rauchen gestattet ist.

25

Die Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG sei entscheidungserheblich. Wenn die Vorschrift verfassungsgemäß sei, sei die Klage abzuweisen; denn in der Gaststätte der Klägerin würde dann das Rauchverbot absolut gelten, und die Klägerin dürfte keinen Raucherraum betreiben. Wenn die Vorschrift verfassungswidrig sei, bestehe für sie dagegen zumindest die Chance, eine für sie günstigere Regelung durch den Gesetzgeber und damit einen Erfolg der Feststellungsklage zu erreichen. Die Feststellungsklage sei zulässig und bis auf die Tatsache, dass die Klägerin eine Speise- und keine Schankwirtschaft betreibe, begründet. Es bestehe keine Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung. Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift schließe eine Interpretation dahingehend aus, dass auch in Speisewirtschaften abgeschlossene Raucherräume eingerichtet werden dürften. Zwar würde die Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG nicht unmittelbar dazu führen, dass die Klägerin einen abgeschlossenen Raucherraum einrichten dürfte. Für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage genüge in den Fällen eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses jedoch bereits die Chance, eine günstigere Regelung zu erreichen.

26

Seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG begründet das Verwaltungsgericht unter Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317). Das Rauchverbot in Gaststätten greife in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin ein. Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt; denn die Ausgestaltung der Ausnahme vom Rauchverbot gemäß § 2 Abs. 4 HmbPSchG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil im Hinblick auf diese Ausnahme Speisewirtschaften ohne sachliche Rechtfertigung anders als Schankwirtschaften behandelt würden.

III.

27

Zu der Vorlage haben das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, das Statistische Bundesamt, das Deutsche Krebsforschungszentrum und namens des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA Bundesverband) dessen Landesverband Hamburg Stellung genommen. Der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, die Bürgerschaft und der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg sowie die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben von Stellungnahmen abgesehen.

28

1. Der Präsident des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts teilt mit, dass das Gericht mit den im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss aufgeworfenen Fragen zur Verfassungswidrigkeit des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes bisher nicht befasst gewesen sei.

29

2. Das Statistische Bundesamt teilt mit, dass sich seit 2007 die Umsätze in der getränkegeprägten Gastronomie (Schankwirtschaften, Diskotheken und Tanzlokale, Bars, Vergnügungslokale, sonstige getränkegeprägte Gastronomie) deutlich schlechter als in der speisengeprägten Gastronomie (Restaurants mit herkömmlicher Bedienung, Restaurants mit Selbstbedienung, Imbissstuben, Cafés, Eissalons) entwickelt hätten. Die Umsätze in beiden Wirtschaftszweigen seien bezogen auf das Basisjahr 2005 gesunken, und zwar verstärkt seit Januar 2007. Zu diesem Zeitpunkt sei der Mehrwertsteuersatz erhöht worden. In der getränkegeprägten Gastronomie seien die Umsätze seit Januar 2007 stärker zurückgegangen als in der speisengeprägten Gastronomie; so seien etwa im August 2010 bei den realen Umsatzmesszahlen im Vergleich zu 2005 für die getränkegeprägte Gastronomie nur noch 76,0 % gegenüber 85,6 % für die speisengeprägte Gastronomie erreicht worden. Erst im Laufe des Jahres 2009 habe sich der Trend in beiden Bereichen mit zuletzt 77,1 % beziehungsweise 86,6 % im September 2011 stabilisiert.

30

Zu der Frage, ob es bei der Umsatzentwicklung Unterschiede zwischen kleinen Einraumgaststätten und größeren Gaststätten gebe, konnte das Statistische Bundesamt keine Aussagen treffen. Wegen der verschiedenen Regelungen in den einzelnen Ländern und der unterschiedlichen Zeitpunkte deren In- und Außerkrafttretens sah sich das Statistische Bundesamt zudem nicht in der Lage abzuschätzen, inwieweit landesspezifische Regelungen zum Rauchverbot für die beschriebene Entwicklung ursächlich waren. Damit unterscheide sich die Lage von derjenigen zum Zeitpunkt der Anfrage des Bundesverfassungsgerichts in dem der Entscheidung des Senats vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) zugrunde liegenden Verfahren. Bei der für dieses Verfahren abgegebenen Stellungnahme sei es für einen bestimmten Zeitraum im Jahr 2007 möglich gewesen, die Länder eindeutig in solche mit gleichartigen Passivraucherschutzgesetzen und solche gänzlich ohne entsprechende Regelungen einzuteilen.

31

3. Das Deutsche Krebsforschungszentrum teilt mit, dass es aus wissenschaftlicher Sicht keinen Unterschied mache, ob die Schadstoffe, die im Tabakrauch enthalten seien, in einer Schankwirtschaft oder in einem Speiserestaurant eingeatmet würden. Sie seien in jedem Fall gesundheitsschädlich und krebserregend, insbesondere für die Beschäftigten. Der "Kompromiss", in Speisegaststätten das Rauchen zu verbieten und es in Getränkegaststätten zuzulassen, gehe auf ein Positionspapier der Tabakindustrie aus dem Jahr 2005 zurück. Er widerspreche den Erkenntnissen der Krebsforschung und dem Vorrang des Gesundheitsschutzes vor wirtschaftlichen Erwägungen.

32

4. Für den DEHOGA Bundesverband hat sich dessen Landesverband Hamburg geäußert. Er differenziert in seiner Stellungnahme zwischen drei Typen von Gaststätten: (1.) reinen Schankwirtschaften, (2.) Speisewirtschaften, die getränkeorientiert seien, aber auch einfache Speisen oder eine kleine Speisekarte anböten, und (3.) Restaurants, bei denen das Speisenangebot deutlich im Vordergrund stehe.

33

Es gebe in Hamburg nur relativ wenige Gaststätten, die völlig auf die Abgabe von Speisen verzichteten; allenfalls handele es sich um 60 bis 80 Betriebe. Solche Betriebe, die schon immer auf die Abgabe von Speisen verzichtet hätten, dürften nur in geringem Umfang von der gesetzlichen Neuregelung betroffen sein. Etwas anders stelle sich die Situation für solche Gaststätten dar, bei denen erst in Reaktion auf die gesetzliche Neuregelung die Abgabe von Speisen eingestellt worden sei. Hier sei der Speisenumsatz ersatzlos weggefallen, ohne dass in nennenswertem Umfang neue Gäste, nämlich rauchende Gäste und deren Begleitung, hätten gewonnen werden können.

34

Die Betreibenden getränkeorientierter Speisewirtschaften klagten regelmäßig darüber, dass ihr Umsatz nach der Novellierung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes drastisch zurückgegangen sei. Teils werde über Umsatzrückgänge von 30 % bis 50 % berichtet. Dies werde in erster Linie auf das Rauchverbot zurückgeführt. Für Gruppen mit rauchenden Gästen sei es unattraktiver geworden, solche Gaststätten aufzusuchen; denn die Notwendigkeit, zum Rauchen die Gaststätte zu verlassen, werde als Störung des kommunikativen Miteinanders empfunden. Die Verweildauer der Gäste habe sich erheblich verkürzt. Außerdem wichen Gäste in den Außenbezirken Hamburgs auf Gaststätten in den benachbarten Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen aus.

35

Bei "klassischen" Restaurants seien die Klagen über Umsatzrückgänge weniger ausgeprägt. Zwar werde auch dort immer wieder mitgeteilt, dass sich die Aufenthaltsdauer der Gäste gerade in der kälteren Jahreszeit verkürzt habe, vereinzelt werde allerdings auch berichtet, dass es einen Zuwachs an Gästen gebe, die den rauchfreien Essensgenuss zu schätzen wüssten.

B.

36

Die Vorlage ist zulässig. Insbesondere hat das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG unter Hinweis auf die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 30. Juli 2008 zu einem gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss bei der Zulassung von Raucherräumen (dort für Diskotheken; vgl. BVerfGE 121, 317 <368 ff.>) hinreichend dargelegt. Auf dieser Grundlage sind dem Vorlagebeschluss auch die - gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erforderlichen - hinreichenden Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu entnehmen. Ist das vorlegende Gericht - wie hier - der Überzeugung, dass die zur Prüfung gestellte Norm das in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht oder einen speziellen Gleichheitssatz verletzt, reicht es für die Feststellung der Entscheidungserheblichkeit aus, dass die Verfassungswidrigerklärung der Norm der im Ausgangsverfahren klagenden Partei die Chance offen hält, eine für sie günstige Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (vgl. BVerfGE 121, 108 <115> m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall; denn der Gesetzgeber kann den vom vorlegenden Gericht angenommenen Gleichheitsverstoß zwar auf verschiedenen Wegen heilen, sich hierbei aber auch für die Möglichkeit entscheiden, die Begünstigung in Gestalt der Zulassung von Raucherräumen auf Speisegaststätten zu erstrecken. In diesem Fall hätte die Klägerin nach der hier maßgeblichen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts im Ausgangsverfahren Erfolg.

C.

37

§ 2 Abs. 4 HmbPSchG ist mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar, als die Norm solche Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis verfügen, von der Möglichkeit ausnimmt, abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestattet ist.

I.

38

Die maßgebliche Vorschrift (§ 2 Abs. 4 HmbPSchG) ist nicht umfassend, sondern nur im Rahmen der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage (§ 81 BVerfGG) auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (vgl. BVerfGE 126, 331 <354>). Dies betrifft die Frage, ob Betreibende von Speisewirtschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 GastG) anders als Betreibende von Schankwirtschaften (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG) von der Möglichkeit ausgeschlossen werden dürfen, in entsprechend der gesetzlichen Regelung ausgestatteten Nebenräumen ihrer Gaststätten das Rauchen zu gestatten. Es wird also weder die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit eines Rauchverbots in Gaststätten aufgeworfen (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <344, 356>), noch ist mit Blick auf eine etwa übermäßige Belastung einer bestimmten Gastronomiesparte über die Notwendigkeit eines weiteren Ausnahmetatbestandes vom gesetzlichen Rauchverbot zu befinden (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <359 ff.>). Ausweislich der Vorlagefrage geht es vielmehr allein darum, ob der Klägerin ein gesetzlich geregelter Ausnahmetatbestand - nämlich die Möglichkeit, einen Raucherraum einzurichten - in verfassungswidriger Weise vorenthalten wird. Diese Konstellation entspricht im Ansatz derjenigen, über die der Senat bereits hinsichtlich des Ausschlusses von Diskotheken von der ansonsten erlaubten Einrichtung von Raucherräumen durch die ursprüngliche Fassung von § 7 Abs. 2 Satz 2 des Landesnichtraucherschutzgesetzes Baden-Württemberg entschieden hat (BVerfGE 121, 317<368 ff.>). Auch im vorliegenden Fall liegt eine Beschränkung der freien Berufsausübung durch ein Rauchverbot vor, von dem eine Ausnahme vorgesehen ist, deren Ausschluss für bestimmte Gastronomiebetriebe den Anforderungen aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG standhalten muss (vgl. BVerfGE 25, 236 <251>; 121, 317 <369>).

39

1. a) Da für eine Speisewirtschaft, wie sie von der Klägerin betrieben wird, die Einrichtung eines Raucherraums durch § 2 Abs. 4 HmbPSchG nicht zugelassen ist, gibt es für solche Gaststätten keine Ausnahme von dem in § 2 Abs. 1 Nr. 9 HmbPSchG normierten Rauchverbot. Ungeachtet seiner vornehmlichen Adressierung an die Besucher einer Gaststätte greift dieses Rauchverbot in die Berufsausübungsfreiheit der Gaststättenbetreibenden ein (vgl. BVerfGE 121, 317 <344 ff.>). Die Freiheit der Berufsausübung wird durch Art. 12 Abs. 1 GG umfassend geschützt (vgl. BVerfGE 85, 248 <256>) und erstreckt sich auch auf das Recht, Art und Qualität der am Markt angebotenen Güter und Leistungen selbst festzulegen (vgl. BVerfGE 106, 275 <299>) und damit den Kreis der angesprochenen Interessenten selbst auszuwählen. Unter diesem Gesichtspunkt beeinträchtigt das Rauchverbot die freie Berufsausübung derjenigen, die Gaststätten betreiben; denn ihnen wird die Möglichkeit genommen, selbst darüber zu bestimmen, ob in ihren Lokalen den Gästen das Rauchen gestattet oder untersagt ist. Damit können sie nur noch in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen darüber entscheiden, ob die Leistungen und Dienste ihres Gaststättenbetriebs auch solchen Gästen angeboten werden sollen, die diese zusammen mit dem Rauchen von Tabak in Anspruch nehmen möchten. Den Gaststättenbetreibenden wird es nicht nur erheblich erschwert, rauchende Gäste mit ihren Angeboten zu erreichen, sondern sie werden regelmäßig daran gehindert, ihre Leistungen an Gäste zu erbringen, die auf das Rauchen in der Gaststätte nicht verzichten wollen (so BVerfGE 121, 317 <345>).

40

b) Berufsausübungsregelungen müssen nicht nur den Anforderungen genügen, die sich unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 GG ergeben, sie müssen vielmehr auch sonst in jeder Hinsicht verfassungsgemäß sein und insbesondere den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG beachten (vgl. BVerfGE 25, 236 <251>; 121, 317 <369>).

41

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 126, 400 <416>; 127, 263 <280>; stRspr). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, NVwZ 2011, S. 1316 <1317> m.w.N.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich insbesondere aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011, a.a.O.); denn dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten, zu denen auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte freie Berufsausübung zählt, nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 121, 317 <370> m.w.N.).

42

2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf die verfassungsrechtliche Prüfung des § 2 Abs. 4 HmbPSchG ist diese Norm mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

43

a) Für die vorliegend zu beurteilende Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften ist bei der Prüfung anhand des Gleichheitssatzes von einer strengeren Bindung des Gesetzgebers auszugehen, weil sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten - hier in Gestalt der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten freien Berufsausübung - nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 121, 317 <370>). Aufgrund der differenzierenden Regelung in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG sind die Betreibenden von Speisewirtschaften im Unterschied zu denjenigen, die Schankwirtschaften betreiben, daran gehindert, gesonderte Nebenräume einzurichten, um dort ihren Gästen das Rauchen zu gestatten und damit eine Ausnahme vom ansonsten geltenden Rauchverbot in Gaststätten für sich zu nutzen. Dies hat zur Folge, dass Betreibende von Speisewirtschaften nicht in freier Ausübung ihres Berufs das Angebot ihrer Gaststätten auch für rauchende Gäste attraktiv gestalten können. Es liegt nahe, dass dies erhebliche wirtschaftliche Nachteile insbesondere für eher getränkegeprägte Speisegaststätten nach sich zieht, bei denen die Gäste auf Speisen zwar nicht verzichten wollen, solche Lokale aber vorrangig aus anderen Gründen - wie etwa auf der Suche nach Geselligkeit und zur Kommunikation - aufsuchen.

44

b) Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Es fehlt an einem hinreichend gewichtigen Grund für die Differenzierung.

45

aa) Als Differenzierungsgrund genügt es nicht bereits, dass die in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG vorgenommene Unterscheidung das Ergebnis eines politischen Kompromisses zwischen den damaligen Regierungsfraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft ist. Die Notwendigkeit, sich durch einen politischen Kompromiss eine parlamentarische Mehrheit zu sichern, prägt Politik. Sie kann für sich allein genommen die mit schwerwiegenden Nachteilen für die Ausübung eines Freiheitsrechts verbundene Ungleichbehandlung verschiedener Normadressaten freilich nicht rechtfertigen. Auch wenn der Gesetzgeber im demokratischen Staat regelmäßig auf politische Kompromisse angewiesen ist, gilt doch auch für ihn gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Bindung an die Grundrechte. Dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist mithin nicht allein schon wegen des Vorliegens eines politischen Kompromisses Genüge getan, er setzt vielmehr seinerseits der Möglichkeit eines Kompromisses inhaltliche Grenzen.

46

bb) Sachliche Gesichtspunkte, mit denen sich die Unterscheidung zwischen Schank- und Speisewirtschaften bei der Zulassung von Raucherräumen rechtfertigen lässt, sind nicht erkennbar  . 

47

Für die verfassungsrechtliche Prüfung ist allerdings nicht ausschlaggebend, ob die maßgeblichen Gründe für die gesetzliche Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich als solche genannt wurden oder gar den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind. Nicht die subjektive Willkür des Gesetzgebers führt zur Feststellung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern die objektive Unangemessenheit der Norm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll (vgl. BVerfGE 51, 1 <26 f.>; 93, 386 <400> m.w.N.). Auf dieser Grundlage ist kein hinreichend gewichtiger Grund für die Differenzierung auszumachen.

48

(1) So lässt sich die unterschiedliche Behandlung nicht durch Gründe des Gesundheitsschutzes rechtfertigen.

49

(a) Dies gilt zunächst im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit des Gaststättenpersonals, ungeachtet der Frage, ob und inwieweit ein Landesgesetzgeber dieses Ziel zum Gegenstand eines Nichtraucherschutzgesetzes machen kann, ohne dadurch gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zu verstoßen (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <347 f.>). Insoweit fehlt es bereits an dem erforderlichen hinreichenden Zusammenhang zwischen dem Regelungsziel und den vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungsmerkmalen (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011, a.a.O., S. 1316 f. m.w.N.). Im vorliegenden Fall lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen dem Schutz des Gaststättenpersonals und der Differenzierung zwischen Speise- und Schankgaststätten nicht erkennen, denn nicht nur in Speise-, sondern auch in Schankwirtschaften sind Angestellte beschäftigt, die die Gäste in dort zulässigen Raucherräumen bedienen und hierbei den Gefahren des Passivrauchens ausgesetzt werden. Weder in den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens noch anderweitig lassen sich Nachweise dafür finden, dass das Gaststättenpersonal in Raucherräumen von Speisewirtschaften regelmäßig in stärkerem Maße dem Tabakrauch ausgesetzt sein könnte als in Raucherräumen von Schankwirtschaften. Nicht von der Hand zu weisen ist zudem die Überlegung des vorlegenden Gerichts, dass ein etwa beabsichtigter Schutz des Gaststättenpersonals effektiver und zugleich für die Betreibenden von Gaststätten weniger belastend zu erreichen ist, wenn die Zulassung von Raucherräumen davon abhängig gemacht wird, dass sich die Gäste dort selbst bedienen.

50

(b) Die Differenzierung kann ferner nicht mit dem Schutz der Gesundheit der Gäste gerechtfertigt werden. Gäste sind in den Schutz der gesetzlichen Regelung schon nicht einbezogen, soweit sie ihre eigene Gesundheit dadurch gefährden können, dass sie selbst rauchen. Ihnen wird kein Schutz vor Selbstgefährdung aufgedrängt (vgl. BVerfGE 59, 275 <278 f.>; 121, 317 <359>). Vielmehr wird nach § 1 Abs. 1 HmbPSchG mit dem Hamburgischen Passivraucherschutzgesetz ausdrücklich nur das Ziel verfolgt, die Bevölkerung vor den gesundheitlichen Gefahren durch Passivrauchen in öffentlichen Einrichtungen zu schützen. Dieses begrenzte Schutzziel rechtfertigt indessen die Ungleichbehandlung von Schank- und Speisewirtschaften nicht.

51

(aa) Die Erwägung eines erhöhten Schutzbedürfnisses für Gäste in Speisewirtschaften wegen einer angenommenen zusätzlichen Belastung der Nahrung durch Tabakrauch wurde zwar bei einer Anhörung im Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz der Hamburgischen Bürgerschaft von einer Auskunftsperson vorgebracht (vgl. Ausschuss-Drucks 19/8, S. 17), im Gesetzgebungsverfahren spielte dieses Schutzziel als Grund für die hier zu beurteilende Differenzierung jedoch ersichtlich keine Rolle. So erklärte der Präses der damaligen Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz in einer späteren Ausschusssitzung, es sei "aus gesundheitspolitischer Sicht völlig irrelevant ..., ob man beim Rauchen was isst oder nicht". Dies sei "eine Geschmacksfrage, aber keine gesundheitspolitische Frage". Beim Essen zu rauchen sei nicht mehr oder weniger schädlich als beim Trinken zu rauchen (vgl. Ausschuss-Drucks 19/9, S. 12). Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Annahme eines erhöhten Schutzbedürfnisses auf belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen würde. So hat das Deutsche Krebsforschungszentrum in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Verfahren ausgeführt, es ergebe aus wissenschaftlicher Sicht keinen Unterschied, ob die Aufnahme der Schadstoffe, die im Tabakrauch enthalten seien, in einer Schankwirtschaft oder in einem Speiserestaurant erfolge.

52

Aber selbst wenn unterstellt wird, dass die Verbindung von Essen und Passivrauchen zu einer besonderen Schadstoffbelastung der nichtrauchenden Gäste führt, ergibt sich daraus keine Rechtfertigung, den Betreibenden von Speisewirtschaften die für andere Gaststätten bestehende Möglichkeit vorzuenthalten, Raucherräume einzurichten. Ist das Rauchen nur noch in vollständig abgetrennten Nebenräumen erlaubt, so entfällt das an die besondere Betriebsart anknüpfende Argument der gesteigerten Gefährdung durch Passivrauchen, weil sich die Gäste zum Essen in Nichtraucherbereichen aufhalten können. Eine Gefährdung der Gäste in den Nichtraucherbereichen kann durch strikte Einhaltung der Vorgaben des § 2 Abs. 4 Satz 2 HmbPSchG verhindert werden. Danach sind Raucherräume baulich so wirksam abzutrennen, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 121, 317 <371 f.>).

53

(bb) Schließlich lässt sich die unterschiedliche Behandlung von Schank- und Speisegaststätten nicht damit rechtfertigen, dass durch den Ausschluss von Raucherräumen in der letztgenannten Gastronomiesparte eine größere Anzahl von Menschen den Gefahren des Passivrauchens entzogen wird. Zwar geht mit jeder Verringerung der Möglichkeiten zu rauchen zwangsläufig auch die Zahl der durch Passivrauchen gesundheitlich Gefährdeten zurück. Auch darf der Gesetzgeber der Prävention dieser Gesundheitsgefahr durchaus Raum geben  . Diese Erwägung kann hier jedoch keinen hinreichend gewichtigen, sachlich vertretbaren Differenzierungsgrund liefern; denn es fehlt insoweit wiederum an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung. Anhaltspunkte dafür, dass das in Speisewirtschaften offerierte gastronomische Angebot im Vergleich zu Schankwirtschaften zu einer weiteren Erhöhung der mit dem Passivrauchen verbundenen Gesundheitsgefahren führt, liegen nicht vor (vgl. oben ). Wenn der Ausschluss der Speisewirtschaften von der gesetzlichen Begünstigung dazu dienen sollte, die Anzahl der Gelegenheiten zum Rauchen gering zu halten, erschiene die Differenzierung daher geradezu willkürlich; denn es würde an ein Unterscheidungsmerkmal angeknüpft, das in keinerlei Zusammenhang mit einem solchen Regelungsziel des Gesetzgebers steht.

54

(2) Eine etwaige unterschiedliche wirtschaftliche Betroffenheit von Speise- und Schankwirtschaften durch ein Rauchverbot scheidet ebenfalls als tauglicher Differenzierungsgrund aus.

55

Aus Sicht des Gesetzgebers spielten die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rauchverbots offenkundig bei der Formulierung der Vorschrift keine Rolle. Im Gesetzgebungsverfahren wurde ersichtlich davon ausgegangen, dass keine ausreichenden "belastbaren Zahlen … über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rauchverbotes in der Gastronomie in Deutschland" vorliegen (Abg. Harald Krüger, PlProt 19/42, S. 2622). Eine Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften wegen unterschiedlicher wirtschaftlicher Belastung durch das Rauchverbot scheitert bereits an einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Für den - allein von der Regelung betroffenen - Bereich derjenigen Gaststätten, die über die baulichen Möglichkeiten zur Einrichtung eines Nebenraums für rauchende Gäste verfügen, lässt sich nicht feststellen, dass reine Schankwirtschaften typischerweise in erheblichem Umfang wirtschaftlich stärker durch ein Rauchverbot belastet würden als Gaststätten, in denen auch zubereitete Speisen angeboten werden oder angeboten werden dürfen.

56

Zwar hatte das Statistische Bundesamt in seiner Stellungnahme zu dem durch Urteil vom 30. Juli 2008 abgeschlossenen Verfahren ausgeführt, dass die landesgesetzlichen Rauchverbote wahrscheinlich zu stärkeren Umsatzrückgängen im Bereich der getränkegeprägten Gastronomie geführt hätten (vgl. BVerfGE 121, 317 <339>). Für das vorliegende Verfahren konnte es seine damalige - ohnehin als bloße "Momentaufnahme" bezeichnete - Feststellung jedoch nicht bestätigen. So führt das Statistische Bundesamt zwar aus, dass die Umsätze der getränke- und der speisengeprägten Gastronomie seit Januar 2007 zurückgegangen seien und die Umsatzentwicklung der getränkegeprägten Gastronomie schlechter sei als die der speisengeprägten. Es konnte aber keine Aussage darüber treffen, inwieweit dies durch landesgesetzliche Regelungen zum Rauchverbot verursacht worden sei. Zudem war der im Jahr 2008 getroffenen Einschätzung nicht zu entnehmen, ob die vermutete besondere wirtschaftliche Betroffenheit der getränkegeprägten Gastronomie nicht im Wesentlichen durch die Besonderheiten und spezifischen Belastungen der getränkegeprägten Kleingastronomie verursacht war. Dafür spricht, dass die Nichtraucherschutzgesetze der seinerzeit bei der Auswertung berücksichtigten Bundesländer (Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen) bereits damals die Einrichtung von Raucherräumen für Schank- und Speisewirtschaften erlaubten, aber noch keine Ausnahmeregelung für Einraumgaststätten enthielten, bei denen solche Nebenräume nicht geschaffen werden konnten. Deshalb erscheint es nicht fernliegend, dass die damals für Schankwirtschaften erfassten Umsatzrückgänge vor allem auf solche Gaststätten zurückgehen, die von vornherein nicht die Möglichkeit hatten, Raucherräume einzurichten und mithin vom Rauchverbot wirtschaftlich besonders nachteilig betroffen waren. Dementsprechend findet sich im Urteil des Senats vom 30. Juli 2008 auch nicht die Feststellung einer generell stärkeren Belastung der Schankwirtschaften im Vergleich zu den Speisewirtschaften. Vielmehr hat der Senat spezifische Auswirkungen nur für eine bestimmte Gruppe von Schankwirtschaften zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und besondere wirtschaftliche Nachteile allein für die getränkegeprägte Kleingastronomie bejaht (BVerfGE 121, 317 <363>), die namentlich durch "Eckkneipen" (BVerfG, a.a.O., S. 358) oder "Einraumkneipen" (BVerfG, a.a.O., S. 364) repräsentiert wird. Maßgebend für die vom Senat getroffene Unterscheidung war ausdrücklich nicht allein die Ausrichtung solcher Gaststätten als Schankwirtschaften, sondern - neben der geringeren Zahl von Sitzplätzen - die besondere Gästestruktur, die gegenüber anderen Gastronomiesparten durch eine vergleichsweise hohe Zahl von rauchenden Gästen gekennzeichnet ist (BVerfG, a.a.O., S. 363) und mithin bei einem Rauchverbot existenzbedrohliche Umsatzrückgänge befürchten lässt (BVerfG, a.a.O., S. 365). Es war bereits damals nicht und ist heute noch weniger zu erkennen, dass über diesen speziellen Gaststättentypus hinaus, der in besonderer Weise durch rauchende Stammgäste geprägt wird, Schankwirtschaften im Vergleich mit Speisewirtschaften allgemein von einem Rauchverbot in einem solchen Maße wirtschaftlich stärker betroffen wären, dass dies den völligen Begünstigungsausschluss aller Speisewirtschaften rechtfertigen könnte.

57

In den Materialien zum Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes finden sich zwar Hinweise, die darauf hindeuten, dass sich der Gesetzgeber bei der von ihm vorgenommenen Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften an dem Urteil des Senats vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) orientieren wollte. So berief sich der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion vor der Hamburgischen Bürgerschaft darauf, dass das Bundesverfassungsgericht "Unterscheidungen der Gastronomiearten in Speisegaststätten und getränkegeprägt" für zulässig gehalten habe, dass "innerhalb der Gruppe jedoch keine Ungleichbehandlungen passieren" dürften (Abg. Harald Krüger, PlProt. 19/42, S. 2622 <2623>). Ähnlich äußerten sich Abgeordnete des Koalitionspartners GAL im Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz (vgl. Drucks. 19/4768, S. 3). Hieraus kann sich jedoch ein hinreichender Grund für die unterschiedliche Behandlung beider Gastronomiesparten in § 2 Abs. 4 HmbPSchG schon deshalb nicht ergeben, weil in dem zitierten Urteil das gastronomische Angebot keineswegs generell als geeignetes Differenzierungskriterium bei der Zulassung von Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten genannt wird. Der Senat hatte vielmehr das Merkmal des "vorwiegend an Getränken und weniger an Speisen ausgerichtete(n) Angebot(s)" lediglich als eines von mehreren Merkmalen herangezogen, um mit der getränkegeprägten Kleingastronomie den vom Rauchverbot besonders belasteten Typus von Gaststätten zu kennzeichnen (vgl. BVerfGE 121, 317 <363 f.>; oben <2>). Allein in diesem Zusammenhang wurde das unterschiedliche gastronomische Angebot im Folgenden bei der Darstellung der Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 375) und der Formulierung der Zwischenregelung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 377) wieder aufgenommen.

II.

58

Die in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG bestimmte Unterscheidung zwischen Schank- und Speisewirtschaften ist eine Berufsausübungsregelung, die als gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die Verfassungswidrigkeit der Norm führt hier jedoch nicht zu ihrer Nichtigkeit. Es ist lediglich die Unvereinbarkeit der gegenwärtigen Regelung mit dem Grundgesetz festzustellen, weil dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten für die Neuregelung zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 121, 317 <373 f.> m.w.N.). Es bleibt dem Gesetzgeber überlassen, ob er den festgestellten Gleichheitsverstoß durch eine Ausdehnung der Begünstigung des § 2 Abs. 4 HmbPSchG auf Speisewirtschaften, durch eine nach sachgerechten Kriterien differenzierende Vorschrift oder durch eine grundlegend anders konzipierte Verbotsregelung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 374) ausräumen will.

III.

59

Mit Blick auf die Berufsfreiheit der Betreibenden von Speisewirtschaften besteht für den Zeitraum bis zu einer gesetzlichen Neuregelung zur Vermeidung weiterer erheblicher wirtschaftlicher Nachteile ein Bedürfnis nach einer Zwischenregelung durch das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage des § 35 BVerfGG (vgl. BVerfGE 48, 127 <184>; 84, 9 <21>; 121, 317 <376>). Hierzu wird in Anlehnung an das bisherige Regelungskonzept des Gesetzgebers (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <376>) die geltende Ausnahme vom Rauchverbot durch die Zulassung von Raucherräumen auf solche Gaststätten erstreckt, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach dem Gaststättengesetz verfügen. Auch für Speisewirtschaften können hiernach unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Satz 2 HmbPSchG abgeschlossene Raucherräume eingerichtet werden.

(1) Von der Versicherungspflicht werden befreit

1.
Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a)
am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b)
für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c)
aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist,
2.
Lehrer oder Erzieher, die an nicht-öffentlichen Schulen beschäftigt sind, wenn ihnen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist und wenn diese Personen die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 erfüllen,
3.
nichtdeutsche Besatzungsmitglieder deutscher Seeschiffe, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz haben,
4.
Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben, wenn für sie mindestens 18 Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt worden sind.
Die gesetzliche Verpflichtung für eine Berufsgruppe zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 gilt mit dem Tag als entstanden, an dem das die jeweilige Kammerzugehörigkeit begründende Gesetz verkündet worden ist. Wird der Kreis der Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer nach dem 31. Dezember 1994 erweitert, werden diejenigen Pflichtmitglieder des berufsständischen Versorgungswerks nicht nach Satz 1 Nr. 1 befreit, die nur wegen dieser Erweiterung Pflichtmitglieder ihrer Berufskammer geworden sind. Für die Bestimmung des Tages, an dem die Erweiterung des Kreises der Pflichtmitglieder erfolgt ist, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden. Personen, die nach bereits am 1. Januar 1995 geltenden versorgungsrechtlichen Regelungen verpflichtet sind, für die Zeit der Ableistung eines gesetzlich vorgeschriebenen Vorbereitungs- oder Anwärterdienstes Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu sein, werden auch dann nach Satz 1 Nr. 1 von der Versicherungspflicht befreit, wenn eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer für die Zeit der Ableistung des Vorbereitungs- oder Anwärterdienstes nicht besteht. Satz 1 Nr. 1 gilt nicht für die in Satz 1 Nr. 4 genannten Personen.

(1a) Personen, die nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig sind, werden von der Versicherungspflicht befreit

1.
für einen Zeitraum von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, die die Merkmale des § 2 Satz 1 Nr. 9 erfüllt,
2.
nach Vollendung des 58. Lebensjahres, wenn sie nach einer zuvor ausgeübten selbständigen Tätigkeit erstmals nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig werden.
Satz 1 Nr. 1 gilt entsprechend für die Aufnahme einer zweiten selbständigen Tätigkeit, die die Merkmale des § 2 Satz 1 Nr. 9 erfüllt. Eine Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit liegt nicht vor, wenn eine bestehende selbständige Existenz lediglich umbenannt oder deren Geschäftszweck gegenüber der vorangegangenen nicht wesentlich verändert worden ist.

(1b) Personen, die eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Absatz 1 Nummer 1 oder § 8a in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nummer 1 des Vierten Buches ausüben, werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Der schriftliche oder elektronische Befreiungsantrag ist dem Arbeitgeber zu übergeben. § 8 Absatz 2 des Vierten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine Zusammenrechnung mit einer nicht geringfügigen Beschäftigung nur erfolgt, wenn diese versicherungspflichtig ist. Der Antrag kann bei mehreren geringfügigen Beschäftigungen nur einheitlich gestellt werden und ist für die Dauer der Beschäftigungen bindend. Satz 1 gilt nicht für Personen, die im Rahmen betrieblicher Berufsbildung, nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz, nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder nach § 1 Satz 1 Nummer 2 bis 4 beschäftigt sind oder von der Möglichkeit einer stufenweisen Wiederaufnahme einer nicht geringfügigen Tätigkeit (§ 74 des Fünften Buches) Gebrauch machen.

(2) Die Befreiung erfolgt auf Antrag des Versicherten, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 auf Antrag des Arbeitgebers. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Versicherte den Antrag elektronisch über die zuständige berufsständische Versorgungseinrichtung zu stellen. Diese leitet den Antrag durch Datenübertragung an den Träger der Rentenversicherung zusammen mit den Bestätigungen über das Vorliegen einer Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, über das Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer und über die Pflicht zur Zahlung einkommensbezogener Beiträge zur Entscheidung unverzüglich weiter. Der Träger der Rentenversicherung teilt seine Entscheidung dem Antragsteller in Textform und der den Antrag weiterleitenden berufsständischen Versorgungseinrichtung elektronisch mit. Der Eingang des Antrags bei der berufsständischen Versorgungseinrichtung ist für die Wahrung der in Absatz 4 bestimmten Frist maßgeblich. Der Datenaustausch erfolgt über die Annahmestelle der berufsständischen Versorgungseinrichtungen und die Datenstelle der Rentenversicherung. Die technische Ausgestaltung des Verfahrens regeln die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e. V. in gemeinsamen Grundsätzen, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu genehmigen sind.

(3) Über die Befreiung entscheidet der Träger der Rentenversicherung. Abweichend von Satz 1 entscheidet in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Deutsche Rentenversicherung Bund, nachdem das Vorliegen der Voraussetzungen bestätigt worden ist

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 von der für die berufsständische Versorgungseinrichtung zuständigen obersten Verwaltungsbehörde und
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 von der obersten Verwaltungsbehörde desjenigen Landes, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
In den Fällen des Absatzes 1b gilt die Befreiung als erteilt, wenn die nach § 28i Satz 5 des Vierten Buches zuständige Einzugsstelle nicht innerhalb eines Monats nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nach § 28a des Vierten Buches dem Befreiungsantrag des Beschäftigten widerspricht. Die Vorschriften des Zehnten Buches über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und über das Rechtsbehelfsverfahren gelten entsprechend.

(4) Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. In den Fällen des Absatzes 1b wirkt die Befreiung bei Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nach § 28a des Vierten Buches bei der zuständigen Einzugsstelle rückwirkend vom Beginn des Monats, in dem der Antrag des Beschäftigten dem Arbeitgeber zugegangen ist, wenn der Arbeitgeber den Befreiungsantrag der Einzugsstelle mit der ersten folgenden Entgeltabrechnung, spätestens aber innerhalb von sechs Wochen nach Zugang, gemeldet und die Einzugsstelle innerhalb eines Monats nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nicht widersprochen hat. Erfolgt die Meldung des Arbeitgebers später, wirkt die Befreiung vom Beginn des auf den Ablauf der Widerspruchsfrist nach Absatz 3 folgenden Monats. In den Fällen, in denen bei einer Mehrfachbeschäftigung die Befreiungsvoraussetzungen vorliegen, hat die Einzugsstelle die weiteren Arbeitgeber über den Zeitpunkt der Wirkung der Befreiung unverzüglich durch eine Meldung zu unterrichten.

(5) Die Befreiung ist auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt. Sie erstreckt sich in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die unterschiedliche finanzielle Ausgestaltung der Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege durch Familienangehörige oder durch bezahlte Pflegekräfte.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerinnen pflegten zuhause ihren Ehemann und Vater, der von seiner privaten Pflegeversicherung zuletzt von Dezember 2007 bis zu seinem Tod am 1. März 2008 Pflegegeld der Pflegestufe III bezog. Der private Pflegeversicherungsvertrag mit Tarifleistungen von 100 % sah nach § 4 Abschnitt A Abs. 1 und 2 Allgemeine Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung - Bedingungsteil - MB/PPV vor, dass versicherte Personen bei häuslicher Pflege Ersatz von Aufwendungen für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung (häusliche Pflegehilfe) oder stattdessen ein Pflegegeld erhalten. Dies entspricht den gesetzlichen Bestimmungen über die Pflegesachleistung gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) und das Pflegegeld gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI. Danach wird bei gleicher Pflegestufe das Pflegegeld in geringerer Höhe als der Wert der entsprechenden Sachleistung gewährt. Die zum Betrieb der Pflegeversicherung befugten privaten Krankenversicherungsunternehmen sind nach § 110 Abs. 1 SGB XI in Verbindung mit § 23 Abs. 1 SGB XI verpflichtet, mit den pflegeversicherungspflichtigen Personen einen Versicherungsvertrag abzuschließen, der nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XI den Leistungen des Vierten Kapitels des SGB XI gleichwertige Vertragsleistungen vorzusehen hat. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XI ordnet eine der Höhe nach den Sachleistungen gleiche Kostenerstattung bei privater Pflege an.

3

§ 23 SGB XI lautete in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung:

4

(1) 1Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen versichert sind, sind vorbehaltlich des Absatzes 2 verpflichtet, bei diesem Unternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten. 2Der Vertrag muß ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht für sie selbst und ihre Angehörigen oder Lebenspartner, für die in der sozialen Pflegeversicherung nach § 25 eine Familienversicherung bestünde, Vertragsleistungen vorsehen, die nach Art und Umfang den Leistungen des Vierten Kapitels gleichwertig sind. 3Dabei tritt an die Stelle der Sachleistungen eine der Höhe nach gleiche Kostenerstattung.

(2) - (6) …

5

§ 36 SGB XI lautete in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung:

6

(1) 1Pflegebedürftige haben bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). 2Leistungen der häuslichen Pflege sind auch zulässig, wenn Pflegebedürftige nicht in ihrem eigenen Haushalt gepflegt werden; sie sind nicht zulässig, wenn Pflegebedürftige in einer stationären Pflegeeinrichtung oder in einer Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 gepflegt werden. 3Häusliche Pflegehilfe wird durch geeignete Pflegekräfte erbracht, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind. 4Auch durch Einzelpersonen, mit denen die Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 Abs. 1 abgeschlossen hat, kann häusliche Pflegehilfe als Sachleistung erbracht werden.

(2) …

(3) Der Anspruch auf häusliche Pflegehilfe umfaßt je Kalendermonat:

1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 384 Euro,

2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 921 Euro,

3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 1432 Euro.

(4) …

7

§ 37 SGB XI lautete in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung:

8

(1) 1Pflegebedürftige können anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen.2Der Anspruch setzt voraus, daß der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt.3Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat:

1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I 205 Euro,

2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II 410 Euro,

3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III 665 Euro.

(2) - (6) …

9

2. Im sozialgerichtlichen Verfahren begehrten die Beschwerdeführerinnen im Wege der Rechtsnachfolge unter anderem den Differenzbetrag zwischen dem Pflegegeld und der höheren Pflegesachleistung und machten die Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen Höhe beider Leistungen geltend. Klage und Berufung blieben erfolglos. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom Bundessozialgericht als unzulässig verworfen. Die Beschwerde lege die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der durch § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebotenen Form dar, da sie keine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufzeige. Zudem hätten sich die Beschwerdeführerinnen nicht im erforderlichen Maße mit der höchstrichterlichen sozialgerichtlichen Rechtsprechung sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt, sondern lediglich ihre abweichende Rechtsauffassung dargelegt.

10

3. Mit ihrer unmittelbar gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen die §§ 36, 37 SGB XI gerichteten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführerinnen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 sowie gegen Art. 14 Abs. 1 GG.

II.

11

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen jedenfalls unbegründet. Die dafür entscheidenden Maßstäbe sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bereits geklärt.

12

1. Soweit sich die Beschwerdeführerinnen gegen den Beschluss des Bundessozialgerichts wenden, mit dem ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig verworfen wurde, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie nicht substantiiert begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Da das Bundessozialgericht keine Entscheidung in der Sache getroffen hat, gehen die materiellen Ausführungen der Beschwerdeführerinnen ins Leere (vgl. BVerfGE 128, 90 <99>). Soweit sich die Beschwerdeführerinnen den prozessualen Ausführungen des Bundessozialgerichts widmen, behaupten sie keine Grundrechtsverletzung.

13

2. Soweit sich die Beschwerdeführerinnen gegen die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts wenden, ist ihre Verfassungsbeschwerde zulässig.

14

Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen hat. Zwar ist eine Verfassungsbeschwerde mangels ordnungsgemäßer Rechtswegerschöpfung in der Regel unzulässig, wenn ein an sich gegebenes Rechtsmittel mangels Nutzung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten erfolglos bleibt (vgl. BVerfGE 74, 102 <114>; BVerfGK 1, 222 <223>). Da jedoch ein Beschwerdeführer wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch dann verpflichtet ist, von einem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen, wenn dessen Zulässigkeit im konkreten Fall unterschiedlich beurteilt werden kann, können ihm keine Nachteile daraus erwachsen, wenn sich ein solcher Rechtsbehelf später als unzulässig erweist. Anders liegen die Dinge nur bei einem offensichtlich unzulässigen oder nicht ordnungsgemäß genutzten Rechtsbehelf (vgl. BVerfGE 128, 90 <100>).

15

Im vorliegenden Fall kann den Beschwerdeführerinnen nicht angelastet werden, den Rechtsweg nicht in gehöriger Weise erschöpft zu haben. Sie haben in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Höhe von Pflegesachleistung und Pflegegeld als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Dabei schied die Möglichkeit, sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache zu stützen, nicht offensichtlich aus. Die Frage, ob eine der Entscheidung zugrundeliegende Gesetzesnorm verfassungswidrig ist, hat regelmäßig grundsätzliche Bedeutung (vgl. BVerfGE 91, 93 <106>). Dass das Bundessozialgericht wegen seiner eigenen Rechtsprechung dazu die Klärungsbedürftigkeit in einem Revisionsverfahren verneint und deshalb die Beschwerde als unzulässig verworfen hat, kann den Beschwerdeführerinnen im Rahmen der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde nicht entgegengehalten werden. Selbst wenn in der Rechtsprechung eines obersten Fachgerichts nach dessen Auffassung bereits alle wesentlichen Aspekte einer Verfassungsfrage gewürdigt wurden, ist es einem Beschwerdeführer möglich und verfassungsrechtlich auch bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zulässig, eine verfassungsgerichtliche Überprüfung dieser Würdigung zu begehren, wenn er dafür vernünftige und gewichtige Gründe anführen kann und es sich um eine verfassungsrechtliche Frage handelt, die umstritten geblieben ist und über die das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden hat (vgl. BVerfGE 91, 93 <106>; 128, 90 <100>).

16

Die Beschwerdeführerinnen haben sich in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde eingehend mit einer früheren Entscheidung des Bundessozialgerichts auseinandergesetzt, auf die sich das hier angegriffene Urteil des Landessozialgerichts maßgeblich stützt. Die vorgebrachten verfassungsrechtlichen Erwägungen waren dabei gewichtig genug, um aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei (vgl. BVerfGE 91, 93 <107>) die Möglichkeit zu eröffnen, dass das Bundessozialgericht seine bisher vertretene Auffassung überprüfen werde. Zudem haben die Beschwerdeführerinnen vorgetragen, dass die konkrete Rechtsfrage der unterschiedlichen Höhe von Pflegesachleistung und Pflegegeld bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist und auch die genannten Erwägungen in der in Bezug genommenen Entscheidung des Bundessozialgerichts diese Differenzierung nicht rechtfertigen.

17

3. Die §§ 36, 37 SGB XI verstoßen aufgrund der unterschiedlichen Höhe von Pflegesachleistung einerseits und Pflegegeld anderseits nicht gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG.

18

a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (vgl. BVerfGE 71, 255 <271>; stRspr). Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale er beim Vergleich von Lebenssachverhalten als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht (vgl. BVerfGE 87, 1 <36>; stRspr). Art. 3 Abs. 1 GG verbietet grundsätzlich auch einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss. Dabei ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 126, 400 <416>; 129, 49 <69>). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 122, 1 <23>; 126, 400 <416>; 129, 49 <68>). Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>). Überdies sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 82, 126 <146>).

19

b) Ausgehend hiervon stellt die unterschiedliche finanzielle Ausgestaltung der Leistungen bei häuslicher Pflege keine den allgemeinen Gleichheitssatz missachtende Ungleichbehandlung dar. Als Vergleichsgruppen sind die Pflegebedürftigen zu betrachten, die sich für die Pflege im häuslichen Bereich bei gleicher Pflegestufe entweder für die Pflegesachleistung durch externe Pflegekräfte (§ 36 Abs. 1 SGB XI) oder für das demgegenüber reduzierte Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen (§ 37 Abs. 1 SGB XI) entscheiden. Diese Entscheidung beruht einerseits auf dem freien Willensentschluss der Pflegebedürftigen, berührt aber auch deren in Art. 6 Abs. 1 GG geschütztes Recht, die eigenen familiären Verhältnisse selbst zu gestalten. Die Ungleichbehandlung in der Höhe der gewährten Leistungen muss daher durch hinreichende Sachgründe zu rechtfertigen sein. Diese liegen hier vor.

20

aa) Sich für ein System zu entscheiden, das den Pflegebedürftigen die Wahl lässt zwischen der Pflege in häuslicher Umgebung durch externe Pflegehilfen oder durch selbst ausgewählte Pflegepersonen, liegt in der sozialpolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Die zugrundeliegenden Erwägungen sind weder offensichtlich fehlsam noch mit dem Grundgesetz unvereinbar. Der Gesetzgeber verfolgt das Ziel, bei Sicherstellung einer sachgerechten Pflege die Möglichkeit der häuslichen Pflege zu fördern und ihr Vorrang vor stationärer Unterbringung zu geben (vgl. BTDrucks 12/5262, S. 111 zu § 32). Dafür stellt er zwei unterschiedliche Leistungsmodelle zur Verfügung: Die häusliche Pflegehilfe nach § 36 SGB XI ist eine Sachleistung, bei der die Pflegebedürftigen die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch personelle Hilfe Dritter erhalten. Die Pflegekräfte müssen bei der Pflegekasse selbst oder bei einer zugelassenen ambulanten Pflegeeinrichtung angestellt sein oder als Einzelpersonen mit der Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 Abs. 1 SGB XI geschlossen haben. In jedem Fall stehen sie mittelbar oder unmittelbar in einem Vertragsverhältnis zur Pflegekasse. Im Falle des Pflegegeldes hingegen erhalten die Pflegebedürftigen gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XI eine laufende Geldleistung, für die sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellen müssen. Die Pflegepersonen sind dann je nach Wahl Angehörige des Pflegebedürftigen, ehrenamtliche Pflegepersonen oder mit dem Pflegegeld "eingekaufte" professionelle Pflegekräfte, die aber in keinem Vertragsverhältnis zur Pflegekasse stehen (vgl. BTDrucks 12/5262, S. 112 zu § 33).

21

bb) Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI ist ein Vertrag zwischen der Pflegekasse mit Verwandten, Verschwägerten und Haushaltshilfen ausgeschlossen. Das Pflegegeld ist daher einfachgesetzlich nicht als Entgelt ausgestaltet. Es soll vielmehr im Sinne einer materiellen Anerkennung einen Anreiz darstellen und zugleich die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen stärken, indem diese das Pflegegeld zur freien Gestaltung ihrer Pflege einsetzen können (vgl. BTDrucks 12/5262, S. 112 zu § 33). Während also der Zweck der sachgerechten Pflege im Fall der Pflegesachleistung nur bei ausreichender Vergütung der Pflegekräfte durch die Pflegekasse sichergestellt ist, liegt der Konzeption des Pflegegeldes der Gedanke zugrunde, dass familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht wird. Der Gesetzgeber darf davon ausgehen, dass die Entscheidung zur familiären Pflege nicht abhängig ist von der Höhe der Vergütung, die eine professionelle Pflegekraft für diese Leistung erhält. Insoweit verweist die hier angegriffene Entscheidung des Landessozialgerichts zu Recht auf die Ausführungen des Bundessozialgerichts vom 18. März 1999 (B 3 P 8/98 R - SozR 3-3300 § 77 Nr. 1) über die gegenseitige Beistandspflicht von Ehegatten untereinander sowie zwischen Eltern und Kindern. Diese auch die Pflege umfassende Pflicht ist nicht nur eine sittliche Pflicht, sondern durch §§ 1353, 1618a BGB auch als rechtliche Pflicht ausgestaltet. Dies rechtfertigt es, das dies nur unterstützende Pflegegeld in vergleichsweise niedrigerer Höhe zu gewähren.

22

Die finanziellen Leistungen der Pflegeversicherung im häuslichen Bereich dienen ausweislich des § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI dazu, die familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege und Betreuung zu ergänzen. Im Fall der Sachleistung durch Dritte kann eine sachgerechte Pflege aber nur bei ordnungsgemäßer Vergütung der Pflegekräfte sichergestellt werden. Im Fall des Pflegegeldes muss dagegen nicht eine sonst fehlende Pflege durch bezahlte, professionelle Kräfte erst eingekauft werden.

23

cc) Der Gesetzgeber hat mit der unterschiedlichen finanziellen Ausgestaltung entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen weder einen Anreiz für Familienangehörige geschaffen, sich der familiären Pflege zu entledigen, noch bestraft er willkürlich den Wunsch Angehöriger zur familiären Pflege. Zwar ist der Anreiz zur Pflegebereitschaft umso größer, je mehr der Staat an finanzieller Unterstützung bereitstellt. Daraus erwächst aber kein Anspruch auf finanzielle Förderung oder auf Anhebung des Pflegegeldes auf den Wert der Sachleistung. Der Gesetzgeber darf die Förderung des familiären Zusammenhalts vielmehr auch dadurch verwirklichen, dass er den Pflegebedürftigen die Wahl zwischen den verschiedenen Formen der Pflege lässt, und wegen der besonderen Pflichtenbindung von Familienangehörigen das Pflegegeld lediglich als materielle Anerkennung vorsieht.

24

c) Aus Art. 6 Abs. 1 GG allein ergibt sich nichts anderes. Als Freiheitsrecht verpflichtet Art. 6 Abs. 1 GG den Staat, Eingriffe in die Familie zu unterlassen. Darüber hinaus enthält die Bestimmung eine wertentscheidende Grundsatznorm, die für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern (vgl. BVerfGE 87, 1 <35>; 103, 242 <257 f.>; stRspr). Dies umschließt auch die Aufgabe, den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie zu fördern, besonders im Bereich der Sozialversicherung (vgl. BVerfGE 75, 382 <392> m.w.N.). Anders als die Beschwerdeführerinnen meinen, geht die Förderungspflicht des Staates aber nicht so weit, dass es dem Gesetzgeber verwehrt wäre, für die nichtfamiliäre professionelle Pflege höhere Sachleistungen bereitzustellen. Ein derartiges Begünstigungsverbot ergibt sich schon deshalb nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG, weil das niedrigere Pflegegeld nicht nur die Pflege durch Familienangehörige betrifft. Vielmehr kann die Pflege auch durch nichtfamiliäre ehrenamtliche oder erwerbsmäßige Pflegekräfte erbracht werden. Aber auch insoweit die Pflege in erster Linie durch Angehörige erfolgt, lassen sich aus der über die allgemeine Schutzpflicht hinausgehenden Förderungspflicht der Familie keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen herleiten (vgl. BVerfGE 130, 240 <252>).

25

4. Die angegriffenen Regelungen verstoßen nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Sozialrechtliche Ansprüche genießen nur dann grundrechtlichen Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die dem Rechtsträger nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts privatnützig zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und seiner Existenzsicherung dienen (vgl. BVerfGE 69, 272 <300>; 92, 365 <405>; 97, 217 <284>; 100, 1 <32 f.>; 128, 90 <101>). Vorliegend ist schon nicht ersichtlich, in welche vermögenswerte Position durch die unterschiedliche Höhe der Leistungen bei gleichen Beitragszahlungen eingegriffen wird. Denn Art und Ausmaß der Leistungen, die die Pflegeversicherung gewährt, hängen allein davon ab, dass der Pflegebedürftige in der Pflegeversicherung versichert oder mitversichert ist, und nicht davon, in welchem Umfang er Beiträge entrichtet hat (vgl. BVerfGE 103, 242 <260>). Dass das Pflegegeld im Betrag geringer ist als die Pflegesachleistung, steht in keinem Zusammenhang mit den eingezahlten Beiträgen.

26

5. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

27

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Von der Versicherungspflicht werden befreit

1.
Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a)
am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b)
für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c)
aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist,
2.
Lehrer oder Erzieher, die an nicht-öffentlichen Schulen beschäftigt sind, wenn ihnen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist und wenn diese Personen die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 erfüllen,
3.
nichtdeutsche Besatzungsmitglieder deutscher Seeschiffe, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz haben,
4.
Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben, wenn für sie mindestens 18 Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt worden sind.
Die gesetzliche Verpflichtung für eine Berufsgruppe zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 gilt mit dem Tag als entstanden, an dem das die jeweilige Kammerzugehörigkeit begründende Gesetz verkündet worden ist. Wird der Kreis der Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer nach dem 31. Dezember 1994 erweitert, werden diejenigen Pflichtmitglieder des berufsständischen Versorgungswerks nicht nach Satz 1 Nr. 1 befreit, die nur wegen dieser Erweiterung Pflichtmitglieder ihrer Berufskammer geworden sind. Für die Bestimmung des Tages, an dem die Erweiterung des Kreises der Pflichtmitglieder erfolgt ist, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden. Personen, die nach bereits am 1. Januar 1995 geltenden versorgungsrechtlichen Regelungen verpflichtet sind, für die Zeit der Ableistung eines gesetzlich vorgeschriebenen Vorbereitungs- oder Anwärterdienstes Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu sein, werden auch dann nach Satz 1 Nr. 1 von der Versicherungspflicht befreit, wenn eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer für die Zeit der Ableistung des Vorbereitungs- oder Anwärterdienstes nicht besteht. Satz 1 Nr. 1 gilt nicht für die in Satz 1 Nr. 4 genannten Personen.

(1a) Personen, die nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig sind, werden von der Versicherungspflicht befreit

1.
für einen Zeitraum von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, die die Merkmale des § 2 Satz 1 Nr. 9 erfüllt,
2.
nach Vollendung des 58. Lebensjahres, wenn sie nach einer zuvor ausgeübten selbständigen Tätigkeit erstmals nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig werden.
Satz 1 Nr. 1 gilt entsprechend für die Aufnahme einer zweiten selbständigen Tätigkeit, die die Merkmale des § 2 Satz 1 Nr. 9 erfüllt. Eine Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit liegt nicht vor, wenn eine bestehende selbständige Existenz lediglich umbenannt oder deren Geschäftszweck gegenüber der vorangegangenen nicht wesentlich verändert worden ist.

(1b) Personen, die eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Absatz 1 Nummer 1 oder § 8a in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nummer 1 des Vierten Buches ausüben, werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Der schriftliche oder elektronische Befreiungsantrag ist dem Arbeitgeber zu übergeben. § 8 Absatz 2 des Vierten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine Zusammenrechnung mit einer nicht geringfügigen Beschäftigung nur erfolgt, wenn diese versicherungspflichtig ist. Der Antrag kann bei mehreren geringfügigen Beschäftigungen nur einheitlich gestellt werden und ist für die Dauer der Beschäftigungen bindend. Satz 1 gilt nicht für Personen, die im Rahmen betrieblicher Berufsbildung, nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz, nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder nach § 1 Satz 1 Nummer 2 bis 4 beschäftigt sind oder von der Möglichkeit einer stufenweisen Wiederaufnahme einer nicht geringfügigen Tätigkeit (§ 74 des Fünften Buches) Gebrauch machen.

(2) Die Befreiung erfolgt auf Antrag des Versicherten, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 auf Antrag des Arbeitgebers. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Versicherte den Antrag elektronisch über die zuständige berufsständische Versorgungseinrichtung zu stellen. Diese leitet den Antrag durch Datenübertragung an den Träger der Rentenversicherung zusammen mit den Bestätigungen über das Vorliegen einer Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, über das Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer und über die Pflicht zur Zahlung einkommensbezogener Beiträge zur Entscheidung unverzüglich weiter. Der Träger der Rentenversicherung teilt seine Entscheidung dem Antragsteller in Textform und der den Antrag weiterleitenden berufsständischen Versorgungseinrichtung elektronisch mit. Der Eingang des Antrags bei der berufsständischen Versorgungseinrichtung ist für die Wahrung der in Absatz 4 bestimmten Frist maßgeblich. Der Datenaustausch erfolgt über die Annahmestelle der berufsständischen Versorgungseinrichtungen und die Datenstelle der Rentenversicherung. Die technische Ausgestaltung des Verfahrens regeln die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e. V. in gemeinsamen Grundsätzen, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu genehmigen sind.

(3) Über die Befreiung entscheidet der Träger der Rentenversicherung. Abweichend von Satz 1 entscheidet in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Deutsche Rentenversicherung Bund, nachdem das Vorliegen der Voraussetzungen bestätigt worden ist

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 von der für die berufsständische Versorgungseinrichtung zuständigen obersten Verwaltungsbehörde und
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 von der obersten Verwaltungsbehörde desjenigen Landes, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
In den Fällen des Absatzes 1b gilt die Befreiung als erteilt, wenn die nach § 28i Satz 5 des Vierten Buches zuständige Einzugsstelle nicht innerhalb eines Monats nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nach § 28a des Vierten Buches dem Befreiungsantrag des Beschäftigten widerspricht. Die Vorschriften des Zehnten Buches über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und über das Rechtsbehelfsverfahren gelten entsprechend.

(4) Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. In den Fällen des Absatzes 1b wirkt die Befreiung bei Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nach § 28a des Vierten Buches bei der zuständigen Einzugsstelle rückwirkend vom Beginn des Monats, in dem der Antrag des Beschäftigten dem Arbeitgeber zugegangen ist, wenn der Arbeitgeber den Befreiungsantrag der Einzugsstelle mit der ersten folgenden Entgeltabrechnung, spätestens aber innerhalb von sechs Wochen nach Zugang, gemeldet und die Einzugsstelle innerhalb eines Monats nach Eingang der Meldung des Arbeitgebers nicht widersprochen hat. Erfolgt die Meldung des Arbeitgebers später, wirkt die Befreiung vom Beginn des auf den Ablauf der Widerspruchsfrist nach Absatz 3 folgenden Monats. In den Fällen, in denen bei einer Mehrfachbeschäftigung die Befreiungsvoraussetzungen vorliegen, hat die Einzugsstelle die weiteren Arbeitgeber über den Zeitpunkt der Wirkung der Befreiung unverzüglich durch eine Meldung zu unterrichten.

(5) Die Befreiung ist auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt. Sie erstreckt sich in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft im Kern die Frage, ob es von Verfassungs wegen geboten ist, die Stichtagsregelung des § 35 EGZPO im Fall einer Kindschaftssache mit Dauerwirkung, die das Umgangsrecht betrifft, aufgrund einer teleologischen Reduktion nicht anzuwenden. Gemäß § 580 Nr. 8 ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Nach § 35 EGZPO ist der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO auf Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind, jedoch nicht anzuwenden.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer und die mit einem Dritten in Großbritannien verheiratete Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens unterhielten eine außereheliche Beziehung. Im Juni 2003 wurde die Antragsgegnerin schwanger. Daraufhin teilte die Antragsgegnerin dem Beschwerdeführer mit, dass sie die Ehe mit ihrem seit geraumer Zeit in Großbritannien lebenden Ehemann fortsetzen und zu diesem ziehen werde, und dass dort auch das noch ungeborene Kind aufwachsen solle. Im Dezember 2003 zog sie nach England zu ihrem Ehemann. Im März 2004 wurde das Kind geboren.

3

2. Mit der Behauptung, er sei der biologische Vater des Kindes, begehrte der Beschwerdeführer von der Antragsgegnerin und ihrem Ehemann (im Folgenden: Antragsgegner) von Anfang an Umgang mit dem Kind und machte im August 2004 in Deutschland ein Umgangsrechtsverfahren anhängig. Nachdem die Beteiligten keine Einwände gegen die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte erhoben hatten, wies das Amtsgericht Fulda den Antrag auf Regelung des Umgangs mit dem Kind zurück. Die Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht Frankfurt am Main unter Hinweis auf die damalige Gesetzeslage zurück (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9. Februar 2006 - 2 UF 386/05 -, juris). Das Bundesverfassungsgericht nahm die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2006 - 1 BvR 1337/06 -, FamRZ 2006, S. 1661). Auf die Individualbeschwerde des Beschwerdeführers stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass Art. 8 EMRK verletzt sei (vgl. EGMR, Schneider v. Deutschland, Urteil vom 15. September 2011, Nr. 17080/07, NJW 2012, S. 2781). Die deutschen Gerichte hätten in keiner Weise geprüft, ob der Umgang zwischen dem Kind und dem Beschwerdeführer unter den besonderen Umständen des Falles dem Kindeswohl dienen würde. Sie hätten auch nicht geprüft, ob es unter den besonderen Umständen des Falles dem Kindeswohl dienlich wäre, dem Antrag des Beschwerdeführers, zumindest Auskünfte über die persönliche Entwicklung des Kindes zu erhalten, stattzugeben, und ob in dieser Hinsicht das Interesse des Beschwerdeführers dem der rechtlichen Eltern vorgehen müsse (vgl. EGMR, a.a.O., NJW 2012, S. 2781 <2786 § 104>).

4

3. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen Restitutionsantrag und begehrte die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens; zugleich verfolgte er seine Umgangs- und Auskunftsansprüche weiter. Das Oberlandesgericht gab dem Restitutionsantrag mit einem Zwischenbeschluss statt und nahm das Verfahren wieder auf (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22. August 2013 - 2 UF 23/12 -, FamRZ 2014, S. 682).

5

Zur Begründung führte das Oberlandesgericht aus, der Restitutionsantrag sei statthaft, weil der Beschwerdeführer das Vorliegen eines Restitutionsgrundes (§ 580 Nr. 8 ZPO) schlüssig behauptet habe. Zwar sei § 580 Nr. 8 ZPO gemäß § 35 EGZPO auf Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden seien, seinem Wortlaut nach nicht anzuwenden; das Gesetz stelle insoweit - jedenfalls im unmittelbaren Anwendungsbereich der Zivilprozessordnung - auf den Zeitpunkt ab, zu dem die Entscheidung im Ausgangsverfahren formelle Rechtskraft erlangt habe. Auch die systematische und historische Auslegung führten zu der Annahme, dass der Stichtag 31. Dezember 2006 auf das inländische Ausgangsverfahren zu beziehen sei.

6

Diese Auslegung entspreche jedoch in Kindschaftssachen nicht Sinn und Zweck des Gesetzes, die darin bestünden, mit der Ergänzung des § 580 ZPO im Interesse derjenigen Partei, deren Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention nach den Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verletzt worden seien, einerseits einen spezifischen Wiederaufnahmegrund vorzusehen, andererseits aber auch das grundsätzlich schutzwürdige Interesse derjenigen Partei im Auge zu behalten, die als Gegner im Ausgangsverfahren in die Rechtskraft der nationalen Entscheidung vertraue (BTDrucks 16/3038, S. 39 f.). Denn Beschlüsse in Kindschaftssachen mit Dauerwirkung erwüchsen - anders als Urteile nach der Zivilprozessordnung (§ 322 ZPO), aber auch abweichend von sonstigen Familiensachen, die dem Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 FamFG unterfielen, wie beispielsweise Abstammungssachen (§ 184 Abs. 1 FamFG) - nicht in materielle Rechtskraft, sondern seien unter den Voraussetzungen der § 166 Abs. 1 FamFG, § 1696 BGB jederzeit abänderbar. Daher sei in Kindschaftssachen für den Einwand der Rechtskraft grundsätzlich kein Raum. Vielmehr habe die Fürsorge gegenüber dem Minderjährigen stets Vorrang vor der Endgültigkeit der einmal getroffenen Entscheidung (vgl. § 1697a BGB). Aus diesem Grunde erscheine im vorliegenden Fall lediglich der durch die Entscheidung vom 9. Februar 2006 in seinen Rechten verletzte Beschwerdeführer schutzbedürftig. Dieser könne mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte ohne Wiederaufnahme des Ausgangsverfahrens im Inland kein neues erstinstanzliches Abänderungsverfahren anstrengen, während die Antragsgegner durch diese Entscheidung nach dem System des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohnehin keine schutzwürdige Rechtsposition erlangt hätten; Änderungen der Rechtsprechung und der Gesetzeslage seien nämlich Abänderungsgründe im Sinne des § 1696 BGB. Ausgehend von der in der Gesetzesbegründung niedergelegten gesetzgeberischen Absicht liege für diese Sachlage demnach eine planwidrige Regelungslücke vor, die eine teleologische Reduktion des § 35 EGZPO erfordere.

7

Deutschland sei gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK völkerrechtlich verpflichtet, das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu befolgen. Was unter "befolgen" zu verstehen sei, sei höchstrichterlich geklärt. Die Bindungswirkung einer Entscheidung des Gerichtshofs erstrecke sich auf alle staatlichen Organe und verpflichte diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden sowie einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen. Solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet seien, treffe das deutsche Gericht die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben (vgl. OLG Frankfurt am Main, a.a.O., FamRZ 2014, S. 682 <683 f.>).

8

4. Auf die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegner hob der Bundesgerichtshof den Beschluss des Oberlandesgerichts auf und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Umgangsrechtsverfahrens zurück (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2014 - XII ZB 511/13 -, FamRZ 2014, S. 927).

9

a) Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof aus, im Ansatz zutreffend habe das Oberlandesgericht darauf abgestellt, dass § 35 EGZPO nach seiner auf den Wortlaut, die systematische Stellung und den Willen des Gesetzgebers bezogenen Auslegung die Wiederaufnahme eines bereits vor Ablauf des Jahres 2006 formell rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ausschließe.

10

aa) Gemäß § 580 Nr. 8 ZPO in der seit dem 31. Dezember 2006 geltenden Fassung finde die Restitutionsklage statt, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention oder ihrer Protokolle festgestellt habe und das Urteil auf dieser Verletzung beruhe. Nach § 35 EGZPO sei § 580 Nr. 8 ZPO auf Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden seien, nicht anzuwenden. Gemäß § 48 Abs. 2 FamFG gelte § 580 Nr. 8 ZPO in Verbindung mit § 35 EGZPO ebenso für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, mithin auch für Umgangsrechtsverfahren (vgl. BTDrucks 16/3038, S. 39). Auch wenn Umgangsrechtsentscheidungen wegen der jederzeitigen Abänderbarkeit nicht in materieller Rechtskraft erwüchsen, seien sie gleichwohl der formellen Rechtskraft fähig.

11

bb) Die in § 35 EGZPO enthaltene Stichtagsregelung stelle nach ihrem Wortlaut auf den Zeitpunkt ab, zu dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sei. Mangels entgegenstehender Hinweise sei davon auszugehen, dass der Begriff der Rechtskraft im Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung einheitlich gebraucht werde, weshalb § 19 EGZPO gelte. Ordentliche Rechtsmittel im Sinne dieser Norm stellten weder die Verfassungsbeschwerde noch die Individualbeschwerde im Sinne des Art. 34 EMRK dar. Durch diese besonderen Rechtsbehelfe zum Schutz der Grundrechte und individueller Menschenrechte werde die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung nicht gehemmt, der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens also nicht verzögert. Die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung sei vielmehr Zulässigkeitsvoraussetzung der Verfassungsbeschwerde und der Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Verfahren vor dem Gerichtshof stelle sich zudem nicht als Fortsetzung des innerstaatlichen Verfahrens dar; die Individualbeschwerde richte sich nicht gegen die im Zivilprozess obsiegende Partei, sondern gegen die Bundesrepublik Deutschland. Schließlich verwende die Europäische Menschenrechtskonvention nicht den Begriff der Rechtskraft, sondern spreche von der endgültigen Entscheidung, wenn es um den Abschluss des Verfahrens vor dem Gerichtshof gehe.

12

cc) Für die Anknüpfung an die formelle Rechtskraft des Ausgangsrechtsstreits sprächen überdies systematische Erwägungen. Der Begriff Verfahren werde sowohl in der Überschrift des 4. Buchs der Zivilprozessordnung als auch in der Grundnorm des § 578 Abs. 1 ZPO verwandt, nach der die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage oder durch Restitutionsklage erfolgen könne. Beide Klagen seien auf die Überwindung der Rechtskraft des Ausgangsverfahrens gerichtet.

13

dd) Zu Recht habe das Oberlandesgericht insoweit auch auf den Willen des Gesetzgebers verwiesen. In der Gesetzesbegründung zu § 35 EGZPO heiße es unter Hinweis auf § 578 Abs. 1 ZPO ausdrücklich, die Übergangsregelung stelle sicher, dass eine Anwendung des neuen Restitutionsgrundes nach § 580 Nr. 8 ZPO erst für diejenigen Entscheidungen in Betracht komme, die nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung rechtskräftig abgeschlossen würden. Ohne diese Regelung bestünde die Gefahr einer unzulässigen rückwirkenden Anwendung der Neuregelung. Ein Gesetz, das rückwirkend einen neuen Restitutionsgrund normiere, greife in einen abgeschlossenen Sachverhalt ein. Eine solche echte Rückwirkung sei aber grundsätzlich unzulässig (BTDrucks 16/3038, S. 36). Mit dem Verweis auf § 578 ZPO habe der Gesetzgeber mithin erkennbar den Willen zum Ausdruck gebracht, mit der Stichtagsregelung an die Rechtskraft des Ausgangsrechtsstreits und nicht an die Beendigung des Beschwerdeverfahrens vor dem Gerichtshof anzuknüpfen.

14

b) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts stehe dem vorstehend gefundenen Auslegungsergebnis Sinn und Zweck der Norm auch für Kindschaftssachen nicht entgegen, so dass es einer teleologischen Reduktion des § 35 EGZPO nicht bedürfe. Weder die Europäische Menschenrechtskonvention und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die Besonderheiten des vorliegenden Umgangsrechtsverfahrens als eines Kindschaftsverfahrens mit Dauerwirkung geböten es, den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO auch auf Verfahren anzuwenden, die im Zeitpunkt seiner Einführung bereits formell rechtskräftig abgeschlossen gewesen seien.

15

aa) Der Gesetzgeber sei schon im Ausgangspunkt weder durch die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention noch durch die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Einführung des Restitutionsgrundes des § 580 Nr. 8 ZPO verpflichtet (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, NJW 2013, S. 3714 <3715>; BTDrucks 16/3038, S. 39). Dem deutschen Gesetzgeber sei es daher nicht verwehrt gewesen, den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO nur für solche Verfahren zu eröffnen, die nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung, also nach dem 31. Dezember 2006, rechtskräftig abgeschlossen würden.

16

Auch wenn sich die Vertragsparteien der Europäischen Menschenrechtskonvention nach Art. 46 Abs. 1 EMRK verpflichtet hätten, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei seien, das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu befolgen, ändere dies nichts daran, dass die Beseitigung einer Konventionsverletzung grundsätzlich den Vertragsparteien überlassen bleibe, die dieser Pflicht im Rahmen des nach der innerstaatlichen Rechtsordnung Möglichen nachzukommen hätten. Demgemäß hätten die Gerichte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betreffe, nur insoweit zu berücksichtigen, als sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand entscheiden und dem Urteil ohne Gesetzesverstoß Rechnung tragen könnten.

17

bb) Zu Recht wende die Rechtsbeschwerde zudem ein, dass auch die Besonderheiten des hier gegenständlichen Umgangsrechtsverfahrens als Kindschaftssache mit Dauerwirkung keine von den vorstehenden Grundsätzen abweichende Beurteilung erforderten. In Umgangsrechts- ebenso wie in Sorgerechtsverfahren sei für den Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache zwar kein Raum. § 1696 Abs. 1 BGB enthalte eine materiell-rechtliche Änderungsbefugnis, die nicht nur der Anpassung der getroffenen Regelung an eine Änderung der für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse diene, sondern auch eine Berücksichtigung solcher Tatsachen erlaube, die bei der Entscheidungsfindung zwar schon vorgelegen hätten, dem Gericht aber nicht bekannt gewesen seien.

18

Der vom Oberlandesgericht hieraus gezogene Schluss, wonach der in einer Kindschaftssache obsiegende Beteiligte wegen der möglichen Abänderbarkeit der Entscheidung mangels eines entsprechenden Vertrauens in die materielle Rechtskraft nicht schutzbedürftig, der Beschwerdeführer wegen des mittlerweile eingetretenen Verlustes der internationalen Zuständigkeit hingegen besonders schutzbedürftig sei, gehe jedoch fehl. Die Erwägung zeige vielmehr, dass der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte obsiegende Beteiligte in solchen Fällen einer Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 580 ZPO in Verbindung mit § 48 Abs. 2 FamFG gar nicht bedürfe, um eine menschenrechtskonforme Entscheidung für die Zukunft zu erreichen.

19

(1) Zwar vermöge der Beschwerdeführer vor den deutschen Gerichten aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls keine Änderung der Ausgangsentscheidung zu erlangen. Der Grund hierfür liege indes nicht im materiellen Recht, sondern allein im Verfahrensrecht (wird anhand der Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1347/2000, ABl. Nr. L 338 vom 23. Dezember 2003, S. 1 näher ausgeführt).

20

(2) Die fehlende Zuständigkeit deutscher Gerichte mache den Beschwerdeführer entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts jedoch nicht besonders schutzwürdig, zumindest nicht in einem Maße, das eine Auslegung des § 35 EGZPO entgegen dem klaren Wortlaut, seiner systematischen Stellung und dem Willen des Gesetzgebers rechtfertigen könnte. Die Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-Verordnung, wonach für die Zuständigkeit der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes maßgeblich sei, dienten vor allem der Wahrung des Kindeswohls. Dem Kind solle nicht zugemutet werden, in ein anderes Land zu reisen, um an einer - regelmäßig erforderlichen - gerichtlichen Anhörung teilzunehmen. Auch im Übrigen erscheine es sachgerecht, alle weiteren Ermittlungen - wie etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens - am Aufenthaltsort des Kindes durchzuführen.

21

cc) Schließlich werde der Beschwerdeführer durch die Verweisung auf die nunmehr zuständigen Gerichte des Vereinigten Königreichs auch nicht rechtlos gestellt. Es bleibe ihm unbenommen, dort einen Umgangsrechtsantrag zu stellen. Zwar unterliege das englische Recht hinsichtlich des Umgangsrechts des biologischen Vaters ähnlichen Beschränkungen wie das deutsche. Da aber auch das Vereinigte Königreich Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention sei, werde das angerufene Gericht bei seiner Entscheidung Art. 8 EMRK in der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefundenen Auslegung gemäß Art. 46 EMRK ebenso zu berücksichtigen haben wie ein deutsches Gericht.

II.

22

1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19. März 2014.

23

a) Der Bundesgerichtshof verkenne unter offensichtlichem Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG, dass eine Verpflichtung Deutschlands zur Wiederaufnahme des Ausgangsverfahrens nur dann nicht bestehe, wenn eine diesbezügliche Auslegung des Verfahrensrechts nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheine.

24

aa) Der Bundesgerichtshof prüfe nicht das Bestehen einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zu einer entsprechenden Auslegung des Verfahrensrechts, sondern lediglich, ob die Europäische Menschenrechtskonvention und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Wiederaufnahme geböten, was er im Ergebnis verneine. Ungeachtet dessen verkenne er, dass gerade für die vorliegende Fallkonstellation der andauernden Konventionsverletzung auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands zur Beendigung dieses Verstoßes, insbesondere durch eine Wiederaufnahme des Verfahrens, bestehe. Soweit der Bundesgerichtshof auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, NJW 2013, S. 3714 <3715>) verweise, verkenne er, dass die angeführte Entscheidung ausschließlich die Frage der Wiederaufnahme eines Prozesses hinsichtlich eines rechtskräftigen Urteils nach der Zivilprozessordnung betroffen habe, nicht aber die Frage der Wiederaufnahmeverpflichtung bei einem dauerhaften Konventionsverstoß. Der Bundesgerichtshof verkenne im Zusammenhang mit der Frage der konventionsrechtlichen Verpflichtung auch die zugrunde zu legenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe. Nach BVerfGE 74, 358 (370) könne eine verfassungs- beziehungsweise konventionskonforme Auslegung des deutschen Rechts im Hinblick auf die Umsetzung einer Konventionsverpflichtung nur dann verneint werden, wenn der Gesetzgeber klar bekundet habe, dass er von den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen wolle. Das habe der Bundesgerichtshof aber ersichtlich nicht angenommen. Die grundlegende Verkennung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch Deutschland ergebe sich auch aus der Annahme, dass es einer Wiederaufnahme des Verfahrens gar nicht bedürfe, um eine menschenrechtskonforme Entscheidung für die Zukunft zu erreichen, und es ausreiche, dass eine menschenrechtskonforme Entscheidung auch im Ausland erlangt werden könne.

25

bb) Der Bundesgerichtshof setze sich in keiner Weise mit der vom Oberlandesgericht im Beschluss vom 22. August 2013 eingehend begründeten teleologischen Reduktion des § 35 EGZPO auseinander, die nach zutreffender Darstellung des Oberlandesgerichts zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen zähle. Danach liege eine planwidrige Regelungslücke vor, die eine teleologische Reduktion des § 35 EGZPO rechtfertige, weil der Zweck der Vorschrift, das Vertrauen in die Rechtskraft eines gerichtlichen Urteils absolut zu schützen, in Kindschaftssachen ersichtlich nicht einschlägig sei, da solche Beschlüsse nicht in Rechtskraft erwüchsen. Hiernach sei allein der Beschwerdeführer schutzbedürftig, der ohne Wiederaufnahme des Ausgangsverfahrens mangels internationaler Zuständigkeit kein neues erstinstanzliches Abänderungsurteil anstrengen könne, während die rechtlichen Eltern mangels gebotenen Vertrauensschutzes keine schutzwürdige Position erlangt hätten. Diese Umstände habe der Gesetzgeber ersichtlich übersehen und nicht erwogen. Der Gesetzgeber habe eine Konventionsverpflichtung anerkannt, laufende Konventionsverletzungen zu beenden und eine Wiederholung zu unterlassen. Umsetzungsprobleme habe er lediglich im Hinblick auf den Schutz der materiellen Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen gesehen, wenn die Konventionsverletzung einen abgeschlossenen Sachverhalt betreffe beziehungsweise nicht allein durch zukünftige Änderungen abgestellt werden könne. Nur für diese Fallgestaltung, die von der vorliegenden abweiche, habe er ausweislich der Gesetzesmaterialien eine Wiederaufnahme für Altfälle versagt.

26

cc) Es sei unzumutbar, den Beschwerdeführer auf ein neues Verfahren im Vereinigten Königreich zu verweisen, dessen Recht ähnlichen Beschränkungen wie das frühere deutsche unterliege, zumal das Verfahren beim Oberlandesgericht sich bereits im fortgesetzten Stadium befunden habe. Darüber hinaus habe der Bundesgerichtshof verkannt, dass die englischen Gerichte, anders als die deutschen, nicht gemäß Art. 46 EMRK an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden seien. Außerdem hätten sich die Eltern auf das Ausgangs- und das Wiederaufnahmeverfahren eingelassen. Sie seien offensichtlich nicht der Auffassung, dass das Verfahren in Deutschland für das Kind nachteilig sei.

27

b) Die Anwendung von § 35 EGZPO auf Altfälle verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil es keine tragfähigen Gründe für eine Ungleichbehandlung von Alt- und Neufällen gebe. Es sei zu berücksichtigen, dass das Verfahren durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. September 2006 innerstaatlich erst kurz vor Inkrafttreten der Neuregelung abgeschlossen worden sei. Auf die Dauer des Verfahrens habe der Beschwerdeführer keinen Einfluss gehabt.

28

c) Des Weiteren habe der Bundesgerichtshof gegen die zitierten Grundrechte verstoßen, da § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO in der Weise analog anzuwenden gewesen sei, dass die Rechtskraft eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dem streitgegenständlichen Verfahren betreffend denselben Beschwerdeführer einen Wiederaufnahmegrund darstelle; das werde auch in der Literatur so angenommen. Der Wegfall der Wiederaufnahmemöglichkeit für Altfälle gemäß § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO (analog) nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 580 Nr. 8 ZPO in Verbindung mit § 35 EGZPO verstoße gegen die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG wegen Verletzung des Rückwirkungsverbots.

29

2. Die Antragsgegner machen geltend, der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen, solange dessen biologische Vaterschaft nicht anerkannt oder zugestanden sei, woran es bislang fehle. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers nach Art. 2 Abs. 1 GG liege ebenfalls nicht vor, weil das Kind seit der Geburt ohne Unterbrechung in England lebe und es deshalb Sache des Beschwerdeführers gewesen wäre, eine psychosoziale Beziehung zu dem Kind in England aufzubauen. Für die Forderung, eine Umgangsbeziehung mit dem Kind zu entwickeln, seien ausschließlich die englischen Gerichte zuständig. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe die von Anfang an bestehende Zuständigkeit der englischen Gerichte nach Art. 8 Brüssel IIa-VO sowie § 35 EGZPO übersehen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Deutschland ausschlössen. Die vom Beschwerdeführer herangezogene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte habe nicht zu einer Aushebelung der grundlegenden Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-VO führen sollen. Die Dauer des bisherigen Verfahrens müsse sich der Beschwerdeführer selbst vorhalten lassen, weil er seit Geltung der Brüssel IIa-VO gehalten gewesen sei, die Hilfe der englischen Gerichte in Anspruch zu nehmen. Das sei seit der Geburt des Kindes in England auch möglich gewesen.

III.

30

Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2014 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anzuordnen, dass die Wirksamkeit des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 19. März 2014 einstweilen ausgesetzt und die Wirksamkeit des Beschlusses des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main einstweilen wiederhergestellt werde. Mit Beschluss vom 26. Juni 2014 lehnte die 1. Kammer des Zweiten Senats den Antrag ab. Der Antrag sei unzulässig, weil eine einstweilige Anordnung dieses Inhalts die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnähme (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Juni 2014 - 2 BvR 1170/14 -, juris).

31

Die Bundesregierung hatte Gelegenheit zur Stellungnahme, hat aber hiervon abgesehen. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

IV.

32

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen, insbesondere die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention bei der Auslegung des einfachen Rechts, bereits geklärt sind (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 111, 307 <323 ff.>; 128, 326 <367 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 27 ff.). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie unbegründet ist und daher keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 108, 129 <136>; stRspr).

33

Die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts kann grundsätzlich nur daraufhin geprüft werden, ob sie willkürlich ist oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruht oder mit anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften unvereinbar ist (vgl. BVerfGE 1, 418 <420>; 18, 441 <450>; 94, 315 <328>; 111, 307 <328>; 128, 193 <209>; stRspr). Für die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Auslegung und Anwendung völkerrechtlicher Verträge, die durch Gesetz in innerstaatliches Recht überführt worden sind, gelten im Allgemeinen dieselben Grundsätze, die auch sonst die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts, Entscheidungen der Fachgerichte zu überprüfen, begrenzen. Im Rahmen seiner Zuständigkeit ist das Bundesverfassungsgericht allerdings dazu berufen, Verletzungen des Völkerrechts, die in der fehlerhaften Anwendung oder Nichtbeachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch deutsche Gerichte liegen und eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit Deutschlands begründen können, nach Möglichkeit zu verhindern und zu beseitigen (vgl. BVerfGE 58, 1 <34>; 59, 63 <89>; 109, 13 <23>; 111, 307 <328>; BVerfGK 13, 506 <513>). Es steht damit mittelbar im Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts und vermindert dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts. Aus diesem Grund kann es geboten sein, die Anwendung und Auslegung völkerrechtlicher Verträge durch die Fachgerichte abweichend von den allgemeinen Maßstäben zu überprüfen (vgl. BVerfGE 111, 307 <328>). Dies gilt in besonderem Maße für die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, weil das Grundgesetz mit Art. 1 Abs. 2 GG dem Kernbestand an internationalen Menschenrechten einen besonderen Schutz zuweist (vgl. BVerfGE 111, 307 <328 f.>). Im Übrigen hängt die Intensität der verfassungsgerichtlichen Prüfung davon ab, in welchem Maße von der Entscheidung Grundrechte beeinträchtigt werden (vgl. BVerfGE 42, 143 <147 ff.>; 83, 130 <145>; BVerfGK 17, 407 <412>; stRspr).

34

Die Auslegung und Anwendung der § 35 EGZPO, § 48 Abs. 2 FamFG und § 580 Nr. 8 ZPO durch den Bundesgerichtshof ist nicht willkürlich (1.) und beruht auch nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (2.). Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung verkennt weder den Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch gerät sie mit Blick auf die Bindungswirkung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gemäß Art. 46 EMRK mit den Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in Konflikt (3.).

35

1. Die Auslegung und Anwendung der § 35 EGZPO, § 48 Abs. 2 FamFG und § 580 Nr. 8 ZPO durch den Bundesgerichtshof ist nicht willkürlich. Insbesondere ist die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht willkürlich, dass § 35 EGZPO auf die formelle Rechtskraft abstelle und Sinn und Zweck der Norm ihrer Anwendung auf Kindschaftssachen nicht entgegenstünden, so dass es keiner teleologischen Reduktion des § 35 EGZPO bedürfe. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat sich der Bundesgerichtshof ausdrücklich und ausführlich mit der vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main vorgenommenen teleologischen Reduktion des § 35 EGZPO auseinandergesetzt. Der Bundesgerichtshof folgt dabei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung (grammatikalische, systematische und historische Auslegung) und hat seine Auffassung sorgfältig begründet. Auslegungsfehler sind nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist auch die Annahme nicht zu beanstanden, dass von § 35 EGZPO nach dem Willen des Gesetzgebers nur Gerichtsentscheidungen erfasst würden, die der materiellen Rechtskraft fähig seien. Zwar erwachsen Sorgerechtsentscheidungen nicht in materielle Rechtskraft (vgl. BVerfGK 5, 161 <167>). Doch lässt sich aus der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung für ein 2. Justizmodernisierungsgesetz, wonach sich Schwierigkeiten mit der Behebung eines Konventionsverstoßes dann ergäben, wenn die Konventionsverletzung einen abgeschlossenen Sachverhalt betreffe beziehungsweise nicht allein durch zukünftige Änderungen abgestellt werden könne (vgl. BTDrucks 16/3038, S. 39), nicht ableiten, dass der Gesetzgeber Entscheidungen, die nicht in materielle Rechtskraft erwachsen, von § 35 EGZPO nicht erfasst wissen wollte. Die zitierte Passage bezieht sich nicht auf § 35 EGZPO, sondern auf § 580 ZPO (vgl. BTDrucks 16/3038, S. 38). In ihr legt die Bundesregierung lediglich allgemein dar, in welchen Fällen es einer Ergänzung des § 580 ZPO bedurfte, um Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen; sie setzt sich hingegen nicht damit auseinander, inwieweit der zeitliche Geltungsbereich des § 580 Nr. 8 ZPO im Hinblick auf eine unzulässige Rückwirkung einzuschränken ist. Sie verdeutlicht, im Gegenteil, dass es für die Fälle, in denen Konventionsverletzungen durch zukünftige Änderungen abgestellt werden können (weil etwa Entscheidungen nicht in materielle Rechtskraft erwachsen), der Einführung des Restitutionsgrundes des § 580 Nr. 8 ZPO von vornherein nicht bedurfte.

36

2. Die Auslegung und Anwendung der § 35 EGZPO, § 48 Abs. 2 FamFG und § 580 Nr. 8 ZPO durch den Bundesgerichtshof beruht auch nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

37

a) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19. März 2014 stellt einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dar. Ein dem leiblichen Vater zukommender Schutz des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG scheidet aus, weil die Vaterschaft des Beschwerdeführers nicht feststeht (aa). Da jedoch die Möglichkeit leiblicher Vaterschaft besteht, kommt ihm zumindest der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugute (bb).

38

aa) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19. März 2014 stellt keinen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG dar (vgl. auch EGMR, Urteil vom 15. September 2011, Schneider v. Deutschland, Nr. 17080/07, NJW 2012, S. 2781). Zwar ist der Wunsch des leiblichen Vaters nach Umgang mit dem Kind verfassungsrechtlich grundsätzlich anzuerkennen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 - 1 BvR 2843/14 -, NJW 2015, S. 542 <542> Rn. 10) und auch vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG umfasst. Steht allerdings nicht fest, ob ein Beschwerdeführer der leibliche Vater des Kindes ist, scheidet sowohl nach der hergebrachten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein Eingriff in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG beziehungsweise Art. 8 Abs. 1 EMRK aus. Im vorliegenden Fall behauptet der Beschwerdeführer zwar, der biologische Vater des Kindes zu sein und stützt sich hierzu auf den Beweisbeschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 2012, das aufgrund des Akteninhalts, der insoweit weitgehend unstreitigen Umstände sowie nach persönlicher Anhörung der Beteiligten im Wege des Freibeweises (vgl. § 30 FamFG) zu der Überzeugung gelangt ist, dass das Kind der leibliche Sohn des Beschwerdeführers sei. Doch wird die leibliche Vaterschaft von den Antragsgegnern nach wie vor bestritten. Auch wurde die biologische Vaterschaft des Beschwerdeführers bislang nicht durch eine genetische Abstammungsuntersuchung nachgewiesen.

39

bb) Der Beschwerdeführer kann sich jedoch auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG berufen. Dieses ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfGE 54, 148 <153>; 72, 155 <170>; 79, 256 <268>; 96, 171 <181>; 114, 339 <346>; 119, 1 <23 f.>). Es sichert jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann (vgl. BVerfGE 35, 202 <220>; 79, 256 <268>; 90, 263 <270>; 117, 202 <225>). Die Möglichkeit, sich als Individuum sozial in eine Beziehung zu anderen zu setzen, wird deshalb vom Schutz des Persönlichkeitsrechts mitumfasst (vgl. BVerfGE 108, 82 <105>; 117, 202 <225 f.>) und verbürgt einem präsumtiven leiblichen Vater zumindest das Recht, die Voraussetzungen klären zu lassen, die zur Herstellung einer sozial-familiären Beziehung erfüllt sein müssen. Dies folgt auch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, wonach der Begriff des Privatlebens wichtige Aspekte der persönlichen Identität von Menschen erfasst und dementsprechend enge Beziehungen, bei denen es sich nicht um Familienleben handelt, grundsätzlich unter den Begriff des Privatlebens fallen (vgl. EGMR, a.a.O., NJW 2012, S. 2781 <2785 f.> Rn. 82, 90 m.w.N.). Ist der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG nicht eröffnet, besteht Raum für eine Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 24, 119 <151>; 42, 234 <236>; 57, 170 <178>).

40

b) Der Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19. März 2014 erweist sich jedoch als gerechtfertigt. Die Auslegung der Stichtagsregelung des § 35 EGZPO, wonach auf Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind, § 580 Nr. 8 ZPO nicht anzuwenden ist, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BAGE 144, 59 <66 ff. Rn. 26 ff.>; LAG Düsseldorf, Urteil der 7. Kammer vom 4. Mai 2011 - 7 Sa 1427/10 -, EuGRZ 2011, S. 417 <420>). Die Stichtagsregelung des § 35 EGZPO verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (aa) oder das aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Rückwirkungsverbot (bb). Darüber hinaus trägt die Auffassung des Bundesgerichtshofs, die Besonderheiten des Umgangsrechtsverfahrens als Kindschaftssache mit Dauerwirkung rechtfertigten keine abweichende Beurteilung, der Bedeutung und der Tragweite von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung (cc).

41

aa) Stichtagsregelungen sind grundsätzlich zulässig. Insbesondere ist es dem Gesetzgeber nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, auch wenn jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Einführung des Stichtags und die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientieren und damit sachlich vertretbar sind (vgl. BVerfGE 101, 239 <270>; 117, 272 <301>; stRspr). Anhaltspunkte dafür, dass die Wahl des konkreten Datums in § 35 EGZPO sachwidrig wäre, liegen nicht vor. Die mit der Einführung von Stichtagen verbundenen Friktionen und Härten im Einzelfall sind hinzunehmen.

42

bb) Für einen Verstoß von § 35 EGZPO gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Rückwirkungsverbot ist nichts ersichtlich. Soweit der Beschwerdeführer davon ausgeht, die Stichtagsregelung des § 35 EGZPO in Verbindung mit § 580 Nr. 8 ZPO stelle deswegen eine unzulässige echte Rückwirkung dar, weil die Wiederaufnahmemöglichkeit für Altfälle gemäß § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO (analog) nach Inkrafttreten des § 580 Nr. 8 ZPO weggefallen sei, verkennt er, dass im Jahr 2006 eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO nach herrschender Auffassung im Schrifttum und in der Rechtsprechung abgelehnt wurde. Eine solche Analogie wurde im Schrifttum zwar vereinzelt befürwortet; in der Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil der Literatur konnte sich diese Ansicht aber nicht durchsetzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 35 f. m.w.N.). Insofern bestand schon keine Grundlage für ein Vertrauen in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung, das durch eine vermeintlich rückwirkende Regelung hätte enttäuscht werden können (vgl. BVerfGE 97, 67 <78 ff.>; 105, 17 <36 ff.>).

43

cc) Die Auffassung des Bundesgerichtshofs, die Besonderheiten des Umgangsrechtsverfahrens als Kindschaftssache mit Dauerwirkung rechtfertigten keine abweichende Beurteilung, trägt der Bedeutung und der Tragweite von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG beziehungsweise von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung. Soweit er sich gegen die Auffassung des Beschwerdegerichts wendet, wonach der in einer Kindschaftssache obsiegende Beteiligte wegen der möglichen Abänderbarkeit der Entscheidung mangels eines entsprechenden Vertrauens in die materielle Rechtskraft nicht schutzbedürftig sei, der Beschwerdeführer wegen des mittlerweile eingetretenen Verlustes der internationalen Zuständigkeit hingegen in besonderer Weise, beruft er sich nicht nur auf den klaren Wortlaut von § 35 EGZPO, seine systematische Stellung und den Willen des Gesetzgebers, sondern auch auf die vor allem der Wahrung des Kindeswohls dienenden Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-VO. Dass für die Zuständigkeit danach der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes maßgeblich sei, diene dazu, alle weiteren Ermittlungen am Aufenthaltsort des Kindes, also im Vereinigten Königreich, durchzuführen. Dies trägt dem durch Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG beziehungsweise Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kindeswohl Rechnung und wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich die rechtlichen Eltern auf das Ausgangs- und das Wiederaufnahmeverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingelassen haben. Denn aus der Einlassung folgt nicht, dass ein Umgangsrechtsverfahren vor deutschen Gerichten auch im Interesse des Kindes läge.

44

Die Erwägung, die rechtlichen Eltern seien wegen der möglichen Abänderbarkeit der Entscheidung mangels eines entsprechenden Vertrauens in die materielle Rechtskraft nicht schutzbedürftig, verfängt nicht. Vielmehr zeigt sich daran, dass in solchen Fällen der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte obsiegende Beteiligte einer Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 580 ZPO in Verbindung mit § 48 Abs. 2 FamFG gar nicht bedarf, um eine menschenrechtskonforme Entscheidung für die Zukunft zu erreichen.

45

Vor diesem Hintergrund vermag auch die Annahme, eine teleologische Reduktion des § 35 EGZPO sei deshalb verfassungsrechtlich geboten, weil die Interessen des Beschwerdeführers sonst dadurch unverhältnismäßig zurückgesetzt würden, nicht überzeugen. Dass er mangels internationaler Zuständigkeit kein neues erstinstanzliches Abänderungsurteil in Deutschland erreichen kann, sondern einen Umgangsantrag im Vereinigten Königreich stellen muss, ist keine Folge der Stichtagsregelung. Dass das Umgangsrechtsverfahren erst kurz vor Inkrafttreten des § 580 Nr. 8 ZPO formell rechtskräftig abgeschlossen worden ist und der Beschwerdeführer auf dessen Dauer keinen Einfluss gehabt hat, ändert daran nichts. Wie ausgeführt, war der Gesetzgeber zum einen gar nicht verpflichtet, den Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 8 ZPO einzuführen; zum anderen bewirkt die Stichtagsregelung keine unzulässige Rückwirkung, weil die Wiederaufnahmemöglichkeit für Altfälle gemäß § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO analog weggefallen wäre. Dem Beschwerdeführer wird lediglich eine Verbesserung vorenthalten. Dagegen ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.

46

3. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung verkennt auch nicht den Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Diese sind bei der Auslegung der Grundrechte und Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes zwar als Auslegungshilfen heranzuziehen (a). Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden jedoch dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (b). Art und Weise der Bindungswirkung hängen damit vom Zuständigkeitsbereich der staatlichen Organe ab und von dem Spielraum, den vorrangig anwendbares Recht lässt (c). Zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört auch die teleologische Reduktion. Im Einzelfall kann es daher auch geboten sein, Vorschriften des einfachen Rechts teleologisch zu reduzieren, um der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Rechnung zu tragen (d). Der angegriffene Beschluss wird diesen Anforderungen uneingeschränkt gerecht (e).

47

a) Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle - soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind - stehen innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 82, 106 <120>; 111, 307 <316 f.>; 128, 326 <367>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 27). Gleichwohl besitzen die Gewährleistungen der Konvention verfassungsrechtliche Bedeutung, indem sie die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflussen. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern dies nicht zu einer - von der Konvention selbst nicht gewollten (vgl. Art. 53 EMRK) - Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 27). Auf der Ebene des einfachen Rechts trifft die Fachgerichte die Verpflichtung, die Gewährleistungen der Konvention zu berücksichtigen und in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung einzupassen (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 111, 307 <323, 326 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 27). Die Pflicht zur Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erfordert zumindest, dass die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis genommen werden und in den Willensbildungsprozess des zu einer Entscheidung berufenen Gerichts einfließen. Gegebenenfalls muss das Gericht nachvollziehbar begründen, warum es der völkerrechtlichen Rechtsauffassung nicht folgt (vgl. BVerfGE 111, 307 <324, 329>).

48

b) Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden jedoch dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 <323, 329>; 128, 326 <371>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 30), etwa wenn die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofs gegen eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht verstößt. Auch auf der Ebene des Bundesrechts genießt die Konvention nicht automatisch Vorrang vor anderem Bundesrecht (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>).

49

Im Übrigen ist auch im Rahmen der konventionsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes - ebenso wie bei der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf der Ebene des einfachen Rechts - die Rechtsprechung des Gerichtshofs möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem einzupassen (vgl. BVerfGE 111, 307 <327>; 128, 326 <371>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 30), weshalb sich eine unreflektierte Adaption völkerrechtlicher Begriffe verbietet. Bei der insoweit erforderlichen wertenden Rezeption durch die nationalen Gerichte kann auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das Individualbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, insbesondere bei zivilrechtlichen Ausgangsverfahren, die beteiligten Rechtspositionen und Interessen nur unzureichend abbildet (vgl. BVerfGE 111, 307 <324, 328>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 30).

50

c) Da die Bindungswirkung einer Entscheidung des Gerichtshofs die staatlichen Organe lediglich verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen, hängt die Art und Weise der Bindungswirkung von dem Zuständigkeitsbereich der staatlichen Organe ab und von dem Spielraum, den vorrangig anwendbares Recht lässt. Gerichte sind zur Berücksichtigung eines Urteils, das einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betrifft, jedenfalls dann verpflichtet, wenn sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand entscheiden und dem Urteil ohne materiellen Gesetzesverstoß Rechnung tragen können (vgl. BVerfGE 111, 307 <316>; BVerfGK 5, 161 <165>). Letztendlich ist ausschlaggebend, ob ein Gericht im Rahmen des geltenden Verfahrensrechts die Möglichkeit zu einer weiteren Entscheidung hat, bei der es das einschlägige Urteil des Gerichtshofs berücksichtigen kann (vgl. BVerfGE 111, 307 <327>).

51

d) Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet die Gerichte, nach Gesetz und Recht zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode schreibt die Verfassung nicht vor. Zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört auch die teleologische Reduktion (vgl. BVerfGE 35, 263 <279 f.>; 88, 145 <167>; 97, 186 <196>), also die einschränkende Auslegung des Gesetzeswortlauts aufgrund des Sinn und Zwecks einer Regelung (vgl. BVerfGE 97, 186 <196>). Angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen gehört die Anpassung des geltenden Rechts an veränderte Verhältnisse zu den Aufgaben der Dritten Gewalt (vgl. BVerfGE 49, 304 <318>; 82, 6 <12>; 96, 375 <394>; 122, 248 <267>; 128, 193 <210>). Dementsprechend kann es geboten sein, Vorschriften des einfachen Rechts teleologisch zu reduzieren, um den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention Rechnung zu tragen. Der Aufgabe und Befugnis zur schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung sind mit Rücksicht auf die Gesetzesbindung der Rechtsprechung jedoch Grenzen gesetzt (vgl. BVerfGE 34, 269 <288>; 49, 304 <318>; 57, 220 <248>; 74, 129 <152>; 128, 193 <210>). Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen (vgl. BVerfGE 84, 212 <226>; 96, 375 <395>; 128, 193 <210>). Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfGE 118, 212 <243>; 128, 193 <210>). Eine Rechtsfortbildung praeter legem bedarf außerdem sorgfältiger Begründung (vgl. BVerfGE 82, 6 <11 ff.>; 88, 145 <167>). Umgekehrt bedarf es, wenn ein Gericht von einer Rechtsfortbildung abgesehen hat, gewichtiger Gründe für die Annahme, dass es dadurch die ihm nach Art. 20 Abs. 3 GG zugewiesene Aufgabe verkannt haben sollte.

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e) Der Bundesgerichtshof hat die Pflicht zur konventionsfreundlichen Auslegung nicht verkannt. Wie dargelegt, gibt es gegen die Auslegung der § 35 EGZPO, § 48 Abs. 2 FamFG und § 580 Nr. 8 ZPO aus grundrechtlichem Blickwinkel nichts zu erinnern (vgl. 2.). Zudem war der Gesetzgeber, wie die 1. Kammer des Zweiten Senats im Beschluss vom 18. August 2013 festgestellt hat, weder durch die Europäische Menschenrechtskonvention noch durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Einführung eines Restitutionsgrundes verpflichtet (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, NJW 2013, S. 3714 <3715 f. Rn. 38, 40 ff.>; vorher bereits BVerfGE 111, 307 <325>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Oktober 1985 - 2 BvR 336/85 -, NJW 1986, S. 1425). Fordert die Europäische Menschenrechtskonvention eine Restitution aber nicht, könnte der Gesetzgeber auf sie also auch vollständig verzichten, dann kann es ihm nicht verwehrt sein, den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO nur für solche Verfahren zu eröffnen, die nach dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind (vgl. auch BVerfGE 10, 340 <354>). Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung vereinzelt konkrete Maßnahmen zur Beendigung eines Konventionsverstoßes angeordnet hat, die über eine Entschädigung nach Art. 41 EMRK hinausgingen (vgl. nur EGMR, Papamichalopoulos und andere v. Griechenland, Urteil vom 31. Oktober 1995, Nr. 14556/89, Tenor Nr. 2; EGMR , Assanidze v. Georgien, Urteil vom 8. April 2004, Nr. 71503/01, Tenor Nr. 14 Buchstabe a; EGMR, Lungoci v. Rumänien, Urteil vom 26. Januar 2006, Nr. 62710/00, Tenor Nr. 3 Buchstabe a), ändert hieran nichts. Diese Entscheidungen betrafen besonders gelagerte Einzelfälle, in denen die zur Beseitigung der Konventionsverletzung erforderliche Abhilfe auf der Hand lag. Im vorliegenden Fall hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. September 2011 jedoch davon abgesehen, eine vergleichbare Maßnahme anzuordnen (EGMR, Schneider v. Deutschland, Urteil vom 15. September 2011, Nr. 17080/07).

53

Auch die Annahme, dass es einer Wiederaufnahme des Verfahrens nicht bedürfe, weil es dem Beschwerdeführer unbenommen bleibe, einen Umgangsrechtsantrag in England zu stellen und das angerufene Gericht bei seiner Entscheidung Art. 8 EMRK in der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefundenen Auslegung gemäß Art. 46 EMRK ebenso zu berücksichtigen habe wie ein deutsches Gericht, gerät mit den Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht in Konflikt. Zwar ist die materielle Rechtskraft im Individualbeschwerdeverfahren nach Art. 34 EMRK durch die personellen, sachlichen und zeitlichen Grenzen des Streitgegenstands begrenzt. Die Europäische Menschenrechtskonvention verfügt insoweit nicht über eine § 31 Abs. 1 BVerfGG vergleichbare Vorschrift, sondern spricht in Art. 46 Abs. 1 EMRK nur eine Bindung der beteiligten Vertragspartei an das endgültige Urteil in Bezug auf einen bestimmten Streitgegenstand aus (res iudicata; vgl. BVerfGE 111, 307 <320>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Oktober 1985 - 2 BvR 336/85 -, NJW 1986, S. 1425 <1427>). Dessen ungeachtet kommt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jedoch eine faktische Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der Konvention auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus zu (vgl. BVerfGE 128, 326 <368>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, juris, Rn. 28). Insofern geben seine Urteile auch den nicht beteiligten Staaten Anlass, ihre Rechtsordnung zu überprüfen und sich bei einer möglicherweise erforderlichen Änderung an der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu orientieren (vgl. BVerfGE 111, 307 <320>). Das trägt nicht nur dazu bei, die Grenzen richterlicher Rechtsbildung konventionsrechtlich abzusichern, sondern auch die Zumutbarkeit des Eingriffs für den Beschwerdeführer zu erleichtern.

54

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.