Bundesgerichtshof Urteil, 03. Mai 2017 - X ZR 65/15

bei uns veröffentlicht am03.05.2017
vorgehend
Bundespatentgericht, 1 Ni 19/14, 27.01.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XZR 65/15 Verkündet am:
3. Mai 2017
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
ECLI:DE:BGH:2017:030517UXZR65.15.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Gröning, die Richterin Schuster, den Richter Dr. Deichfuß und die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 27. Januar 2015 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 21. Juni 2006 unter Inanspruchnahme der internationalen Anmeldungen vom 21. Juni 2005 (PCT/EP2005/008503) und vom 5. August 2005 (PCT/EP2005/009227) international angemeldeten europäischen Patents 1 906 775 (Streitpatents), dessen Erteilung am 19. August 2009 bekanntgemacht worden ist. Es umfasst 26 Ansprüche , von denen die Ansprüche 1, 16, 25 und 26 in der Verfahrenssprache lauten: "1. A smoking device comprising - a recipient, including or able to receive burning products, preferably tobacco, - a filter element connected to the recipient, wherein said filter comprises at least one breakable capsule, said capsule - having an initial crush strength Ci from 4,9 N to 24,5 N (0,5 to 2,5 kp), - keeping a crush strength Cf from 4,9 N to 24,5 N (0,5 to 2,5 kp) and presenting a deformation of less than two third of its diameter prior to rupture after having been submitted to the smoking test A. 16. A breakable capsule suitable for being incorporated in the filter of a smoking device, comprising a core and a shell, said capsule : - having an initial crush strength Ci from 4,9 N to 24,5 N (0,5 to 2,5 kp) and keeping a crush strength Cf from 4,9 N to 24,5 N (0,5 to 2,5 kp) after having been submitted to the smoking test A, - and presenting a deformation of less than two third of its diameter prior to rupture after having been submitted to the smoking test A. 25. A filter for smoking device comprising at least a breakable capsule as defined in anyone of claims 16 to 24. 26. Use of a breakable capsule according to anyone of claims 16 to 24 in a smoking device." Wegen der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 15
2
und der auf Anspruch 16 rückbezogenen Ansprüche 17 bis 24 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen. Die Klägerin hat das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen und gel3 tend gemacht, sein Gegenstand sei nicht patentfähig; er sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Streitpatent offenba- re die Erfindung außerdem nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise beschränkt verteidigt.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte in erster Linie ihren Klageabweisungsantrag weiter, hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in den bereits vor dem Patentgericht zur Entscheidung gestellten beschränkten Fassungen.

Entscheidungsgründe:


5
I. 1. Das Streitpatent bezieht sich auf Vorrichtungen zum Rauchen, in deren Filterelement (mindestens) eine gefüllte Kapsel eingebracht wird, die zerbrochen werden kann, um die Füllung freizusetzen.
6
Seiner Beschreibung zufolge waren im Stand der Technik Zigaretten bekannt , deren Filterelemente einen Hohlraum für eine Kapsel aus einer Gelatineschale und mit einer Aromastoffe enthaltenden flüssigen Zusammensetzung im Inneren aufwiesen, die während des Aufrauchens der Zigarette zerbrochen werden konnte.
7
Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das Problem, die zielgerichtete Freisetzung der Kapselfüllung sicher zu ermöglichen und einfacher in der Handhabung zu gestalten. Dazu schlägt Patentanspruch 1 in der Merkmalsgliederung des Patentgerichts vor:
a) Eine Vorrichtung zum Rauchen, die
b) eine Aufnahme ("recipient, including or able to receive …") für verbrennbare Stoffe, namentlich Tabak, und
c) ein mit der Aufnahme verbundenes Filterelement umfasst,
d) wobei der Filter wenigstens eine zerbrechbare Kapsel enthält, die d1) eine Ausgangsbruchfestigkeit Ci von 4,9 N bis 24,5 N (0,5 bis 2,5 kp) aufweist, nach Durchführung des Rauchtests A d2) die Bruchfestigkeit Cf von 4,9 N bis 24,5 N (0,5 bis 2,5 kp) bewahrt und d3) sich um weniger als zwei Drittel ihres Durchmessers vor dem Zerbrechen verformen lässt.
8
2. a) Bei den von Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten "Vorrichtungen zum Rauchen" handelt es sich im Wesentlichen um Filterzigaretten, in deren Filterelement wenigstens eine zerbrechbare Kapsel eingebracht ist. Solche Kapseln enthalten in ihrem Kern ("core") eine Füllung mit Düften oder Aromen , die üblicherweise in einem lipophilen Lösungsmittel, vorzugsweise in einem mittleren Triglycerid-Lösungsmittel, dispergiert oder aufgelöst sind (vgl. Unteranspruch 8). Geeignete Duftstoffe sind der Beschreibung zufolge solche für Süßwaren oder blumige, süßliche und holzige Duftstoffe; geeignete Aromen sind Vanille-, Kaffee-, Schokolade-, Zimt- und Minzearomen (Beschreibung Abs. 37). Der Raucher soll die Schale der Kapsel durch Fingerdruck zerbrechen können, um die Duft- und Aromastoffe freizusetzen.
9
b) Dem Streitpatent zufolge sind die bekannten Gelatinekapseln zwar ein gutes Gefäß für solche Füllungen, sie sind aber feuchtigkeitsempfindlich und weichen durch die beim Rauchen entstehende Feuchtigkeit (Wasserdampf) so stark auf, dass sie sich mit den Fingern kaum noch oder gar nicht mehr zerbrechen lassen.
10
c) Die vom Streitpatent vorgeschlagene Lösung sieht Kapseln vor, die den in den Merkmalen d1 bis d3 festgelegten Messdaten entsprechen.
11
Merkmal d1 betrifft die anfängliche Bruchfestigkeit Ci (C initial), die vor dem Rauchen gemessen wird. In der Beschreibung wird dazu ein Messverfahren vorgestellt, bei dem manuell Druck auf eine Kapsel ausgeübt und unter Einsatz eines bestimmten digitalen Kraftmessers die maximale Kraft aufgezeichnet wird, die im Augenblick des Bruchs auf sie wirkt.
12
Gemäß Merkmal d2 weisen die Kapseln die Bruchfestigkeit Cf (C final) auf, nachdem die Zigarette einem bestimmten Test ("Rauchtest A") unterzogen worden ist. Der Beschreibung zufolge werden dabei Zigaretten an einer bestimmten Rauchmaschine des Unternehmens H. B. maschinell unter Vorgabe bestimmter Parameter wie Zugvolumen, -intervall, -dauer und -laufzeit sowie Ausstoßlaufzeit abgeraucht (vgl. Beschreibung Abs. 12). Der Wert der danach gemessenen Bruchfestigkeit Cf kann auf die gleiche Art und Weise ermittelt werden wie der von Ci.
13
Der Bereich für die Werte von Cf deckt sich mit dem für Ci. Dies bedeutet aus fachmännischer Sicht, dass beide Werte sich in den beanspruchten Spannen bewegen; der Wert Cf einer bestimmten Kapsel(-sorte) muss aber, worüber zwischen den Parteien Einvernehmen besteht, nicht genau so hoch sein wie der von Ci.
14
Merkmal d3 ist aus fachmännischer Sicht komplementär mit Merkmal d2. Eine der Lehre von Patentanspruch 1 entsprechende Kapsel muss, abgesehen vom Wert Ci, sowohl einen Bruchfestigkeitswert Cf gemäß Merkmal d2 aufweisen , als auch vor Erreichen der in Merkmal d3 festgelegten Grenze brechen. Beträgt der Außendurchmesser einer Kapsel entsprechend einem Ausführungsbeispiel (vgl. Beschreibung Abs. 18, Unteranspruch 6) beispielsweise 4,5 mm, ergibt sich für die Deformationsresistenz, dass die Kapsel bei Ausübung einer vertikalen Kraft zwischen 4,9 und 24,5 N brechen muss, bevor der horizontale Durchmesser auf 7,5 mm angestiegen ist.
15
Über die Merkmale d1 bis d3 hinaus enthält Patentanspruch 1 keine die körperliche oder materialmäßige Beschaffenheit der Kapseln näher definierenden Angaben.
16
d) Aus der Beschreibung des Streitpatents ergibt sich, dass den Kapseln die Aufnahme bestimmter Hydrokolloide in ihre äußere Schale oder in deren Beschichtung als Feuchtigkeitsbarriere zu hinreichender Formstabilität verhilft , um auch noch bestimmungsgemäß zerbrochen werden können, nachdem sie der durch das Rauchen entwickelten Feuchtigkeit ausgesetzt wurden. Die Schale kann dazu wenigstens eines der diversen im Streitpatent angeführten Hydrokolloide oder Mischungen daraus enthalten (vgl. Beschreibung Abs. 19 und Unteransprüche 9 und 10).
17
Gemäß einer anderen Ausführungsform ist die Schale mit wenigstens einer als Feuchtigkeitsbarriere dienenden Außenschicht überzogen (Unteranspruch 12), zu deren näherer Ausgestaltung die Unteransprüche 13 bis 15 nähere Vorschläge enthalten.
18
Nach einer bevorzugten Ausführungsform wird die erfindungsgemäße Kapsel nahtlos (vgl. auch Unteranspruch 2) durch einen Coextrusionsprozess hergestellt, bei dem synchron zwei Flüssigkeiten extrudiert werden, nämlich die äußere und hydrophile Phase sowie die innere und lipophile flüssige Phase. Der Coextrusionsprozess umfasst in dieser Ausführungsform die drei Hauptschritte der Tropfenbildung der Mischung, der Schalenverfestigung und des Sammelns der Kapseln (Beschreibung Abs. 42).
19
II. Das Patentgericht hat den Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung für nicht patentfähig erachtet. Es hat dahingestellt sein lassen , ob er neu ist und angenommen, seine Auffindung beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die US-amerikanische Patentanmeldung 2004/261807 (NiK1) offenbare eine Vorrichtung zum Rauchen mit den Merkmalen a bis d und einer im Bereich von Merkmal d1 liegenden anfänglichen Bruchfestigkeit der Kapsel von 0,75 bis 5 kp. NiK1 sehe vor, dass der Raucher die Kapsel vor, während oder nach dem Abrauchen der Zigarette zerbrechen könne und dass die Bruchfestigkeit ungefähr gleich bleiben solle. Der Beschreibung zufolge (Abs. 68) sollten sich die Kapseln bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Raucher sie zerdrücke, möglichst wenig verändern, wobei NiK1 auch einen Rauchtest zugrunde lege. Dass die Bruchfestigkeit der Kapsel bis zum Zerdrücken im Sinne von Merkmal d2 ungefähr gleich bleiben solle, ergebe sich für den Fachmann jedenfalls aus seinem Fachwissen, da eine geringe Veränderung der Kapsel auch eine weitgehend unveränderte Bruchfestigkeit im Sinne des Merkmals d2 beinhalte.
20
Da die Kapseln nach NiK1 unelastisch ("rigid") und spröde ("brittle") sein sollten, nehme der Fachmann aufgrund dieser Beschreibungen an, dass sie ohne nennenswerte Verformung brechen sollen, womit auch Merkmal d3 offenbart sei. All dies gelte sinngemäß auch für die Ansprüche 16, 25 und 26.
21
III. Die gegen diese Begründung gerichteten Angriffe der Berufung bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.
22
1. Dem angefochtenen Urteil liegt die Annahme zugrunde, dass NiK1 als Ausgangspunkt für die fachmännischen Bemühungen um eine Weiterentwicklung des Standes der Technik auf dem hier interessierenden Gebiet der Aroma- oder Duftstoffkapseln für Filterelemente von Rauchwaren zu wählen ist. Dies wird von der Berufung nicht in Frage gestellt und dagegen sprechende Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich. NiK1 repräsentiert den zeitnächsten Stand der Technik und die dort beschriebenen Kapseln weisen, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, nicht nur die Merkmale a bis d auf, sondern es ist auch für deren anfängliche Bruchfestigkeit Ci eine Spanne festgelegt, die sich mit dem von Merkmal d1 beanspruchten Bereich partiell überlagert. Das legt den beanspruchten Bereich insgesamt nahe. Ist dem Fachmann die Wahl einzelner Werte aus einer einheitlich beanspruchten Spanne durch den Stand der Technik nahegelegt, kann diese, wenn sie naheliegende Werte einschließt, insgesamt nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2013 - X ZR 100/10, juris Rn. 19).
23
2. Vor dem Hintergrund der weiteren von NiK1 vermittelten fachlichen Informationen kann auch die Auffindung eines über die Merkmale a bis d1 hinaus mit den Merkmalen d2 und d3 ausgestatteten Gegenstands nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten. Bei umfassender Analyse dieses Dokuments offenbaren sich darin technische Widersprüchlichkeiten, die den Fachmann veranlasst hätten, den Lösungsweg des Streitpatents einzuschlagen.
24
a) Die Kapselschale soll nach den in NiK1 formulierten Anforderungen so beschaffen sein, dass der Raucher sie vor, während oder gegebenenfalls sogar noch nach dem Abrauchen zerbrechen kann (Beschreibung Abs. 11, 47). Dazu wird in dem Dokument erläutert, dass das Material allgemein eine gewis- se Starre, Steifheit bzw. Festigkeit des Materials aufweisen müsse ("… so- mewhat rigid solid material …").Sein Sprödheitsgrad sei so zu bemessen, dass der Raucher die Kapseln leicht zerbrechen kann; diese sollen aber nicht so spröde sein, dass sie schon bei der Herstellung, Verpackung oder während des Transports oder beim Konsum der Zigarette unbeabsichtigt durch leichten Fingerdruck zerbrechen können.
25
Wenn NiK1 vorsieht, die Kapsel in der bevorzugten Ausführungsform im Wesentlichen oder zumindest etwa zu 80 Gewichtsprozent aus Gelatine herzustellen (Beschreibung Abs. 71), mag dies auf den ersten Blick die Tauglichkeit dieses Materials für den vorgesehenen Einsatzzweck verbürgen. Für die Frage, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahegelegt hat, kommt es aber nicht nur auf die sich ihm unmittelbar und eindeutig aus dieser Entgegenhaltung erschließenden Informationen an, sondern auch auf diejenigen, die er erst kraft seines Fachwissens aus ihr ableiten kann (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 - X ZR 134/11, GRUR 2013, 313, Rn. 27 - Polymerzusammensetzung).
26
Zu den insoweit ebenfalls zu berücksichtigenden Inhalten des Dokuments gehört der allgemeine Rat, die äußere Oberfläche der Kapsel vorzugsweise aus einem Material aufzubauen, das mit den Komponenten der Füllung, dem Zigarettentabak, den Komponenten des Filterelements oder dem von der Zigarette gebildeten Rauchstrom nicht in nachteiliger Weise reagiert (Beschreibung Abs. 68). Dieser Hinweis gibt dem Fachmann Anlass, sich darüber Rechenschaft abzulegen, welche chemischen Reaktionen zu erwarten sein könnten , wenn der Tabakrauchstrom auf die Kapseln trifft. Insoweit gehört, worüber zwischen den fachkundigen Parteien Einvernehmen besteht, zu seinem Fachwissen , dass beim Verglühen von Tabak neben Kohlenmonoxid Wasser freige- setzt wird und der vom Raucher angesaugte Rauchstrom einen hohen Feuchtigkeitsgehalt (bis zu 80%) aufweist. Der Fachmann, jedenfalls aber der ihn nach den unangegriffenen Feststellungen des Patentgerichts unterstützende Diplomchemiker oder Lebensmitteltechnologe, weiß zugleich aber auch um die Wasserlöslichkeit als eine Eigenschaft von Gelatine, wobei hinzukommt, dass NiK1 selbst davor warnt, dass sich Gelatine über einen längeren Zeitraum in Wasser auflösen kann und deshalb zu nahezu wasserfreien Füllungen rät (Beschreibung Abs. 12, 71).
27
b) Vor diesem Hintergrund mussten sich beim Fachmann im Zusammenhang mit den nach NiK1 zu vermeidenden Wechselwirkungen zwischen Rauchstrom und Kapselmaterial Zweifel daran einstellen, dass Gelatine dafür das Mittel der Wahl war, als das es im ersten Zugriff auf die Lehre von NiK1 durchaus erscheinen konnte. In Anbetracht dieses ambivalenten Befunds hätte der Fachmann die Lehre von NiK1 nachgearbeitet und das Verhalten der danach hergestellten Kugeln in Rauchtests überprüft. Bei Durchführung solcher Tests mussten zwangsläufig dieselben Ergebnisse zutage treten, zu denen die Anmelder des Streitpatents gelangt waren, nämlich dass die Kapseln während des Rauchvorgangs aufweichen und infolgedessen vom Raucher nicht mehr oder nur schwer zerbrochen werden können.
28
c) Danach hatte der Fachmann Anlass, nach alternativen Materialien oder auch Mischungen zu suchen. Bereits NiK1 selbst enthielt insoweit einen indirekten Hinweis darauf, Gelatine mit anderen Stoffen zu mischen. Wenn nämlich der Gelatineanteil der Kapselschalen bei einer bevorzugten Ausführungsform (zumindest) etwa 80% beträgt (Beschreibung Abs. 71), impliziert dies eine Mischung mit anderen geeigneten Materialien. Konkrete Vorschläge dafür enthält NiK1 selbst unmittelbar zwar nicht. Das Dokument verweist aber für andere Kapseln und Kapselkomponenten unter anderem auf die US-Patentschrift 4 889 144 (NiK2) und die Veröffentlichung der US-Patentanmeldung 2003/98033 (NiK3).
29
NiK2 beschreibt insoweit aromaversiegelte, mit Calciumalginatgel überzogene Teilchen (Beispiel 1, Sp. 4 Z. 45 f.) und außerdem die Herstellung von aromaversiegelten Kapseln, die mit einem Carrageenan-Film überzogen sind (Beispiel 5, Sp. 5 Z. 57 f.). NiK3 erwähnt für die Herstellung von Kapseln, die ebenfalls in Filterelemente von Zigaretten eingefügt werden können, Wachse oder Harze und nennt als Beispiele für geeignete Wachse Bienen-, Candelilla-, Carnauba- und Schellackwachs sowie als bevorzugte Kautschuke solche, die für eine Barriere sorgen, die das Austreten der Kapselfüllung verhindern sollen, wie arabisches Gummi, Alginate, Carrageenan und Pektin. NiK2 und NiK3 schlagen somit mehrere Stoffe für die Kapselherstellung vor, die auch das Streitpatent beansprucht (vgl. Patentansprüche 9, 13, 14, 18, 23).
30
Die US-Patentschrift 5 614 217 (NiK6), auf die das Patentgericht in anderem Zusammenhang hingewiesen hat und die ebenfalls das Problem des Aufweichens von Gelatine unter Feuchtigkeitseinfluss zum Gegenstand hat, schlägt zur Verbesserung der Eigenschaften der dortigen Kapseln ebenfalls unter anderem Alginate, Carrageenane, arabisches Gummi, Ghatti-Gummi und Pektine vor (Sp. 2 Z. 64-68). Auch wenn NiK6 anders gestaltete, in einem abweichenden Verfahren hergestellte und für andere Zwecke vorgesehene Kapseln beschreibt, erkennt der Fachmann, dass Stoffe, die dort zur Vermeidung des Aufweichens der Kapseln hinzugefügt werden sollen, auch für seine Zwecke geeignet sind.
31
d) Patentanspruch 1 ist allerdings nicht unmittelbar darauf gerichtet, solche Hydrokolloide oder verschiedene Mischungen daraus oder in Verbindung mit Gelatine zu beanspruchen, sondern definiert die Beschaffenheit der Kapseln, wie ausgeführt, über die in den Merkmalen d1 bis d3 genannten Eigenschaften (oben Rn. 10 ff.). Dies ist jedoch nur Ausdruck des allgemeinen Bestrebens von Schutzrechtsanmeldern, möglichst breiten Schutz zu erlangen und ihre Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen, statt sie auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 22 - Kommunikationskanal).
32
Mit den Merkmalen d2 und d3 wird deshalb nur in verallgemeinerter Form das umschrieben, was der Einsatz anderer Hydrokolloide anstelle oder zusammen mit Gelatine in Punkto Bruchfestigkeit Cf und die Verformungsstabilität konkret leistet, nämlich die Bereitstellung von Kapseln, die noch gegen Ende des Rauchvorgangs und danach hinreichend spröde sind, um vom Raucher mit den Fingern zerbrochen werden zu können.
33
e) Die Auffindung eines Gegenstands, der über die Merkmale a bis d1 hinaus auch die Merkmale d2 und d3 aufweist, war ohne Einsatz erfinderischer Tätigkeit zu leisten.
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aa) Soll die Kapsel noch gegen Ende des Rauchvorgangs und danach zerbrechbar sein, liegt die technische Anweisung nahe, die Kapsel so zu gestalten , dass die Bruchfestigkeit, die sie vor dem Anzünden der Zigarette hat, erhalten bleibt. Ist aus dem Stand der Technik bekannt, diese Ausgangsbruchfestigkeit nicht punktuell festzulegen, sondern dafür Werte in einer gewissen Bandbreite vorzusehen (NiK1, Beschreibung Abs. 75), bietet es sich an, dies aufzugreifen und die Ausgangsfestigkeit Ci ebenfalls in einer Spannbreite festzulegen. Dies auf den Wert Cf zu übertragen, ist eine folgerichtige, im durchschnittlichen fachmännischen Vermögen liegende Maßnahme.
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bb) Zum Bestand verhilft dem Streitpatent auch das Merkmal d3 nicht.
36
Dass der Raucher die Kapsel an sich in jedem Stadium bis nach Beendigung des Rauchvorgangs leicht und reibungslos soll zerbrechen können, ist als Zielvorgabe bereits in NiK1 formuliert (Beschreibung Abs. 68). Erwies sich in der Folge der Durchführung von Rauchtests mit nach den Vorgaben von NiK1 nachgearbeiteten Kapseln, dass diese nach dem Abrauchen zu nachgiebig waren und dies auf die Aufnahme von Feuchtigkeit aus dem Rauchstrom zurückzuführen war, konnte der Fachmann ohne Weiteres erkennen, dass eine funktionsgerechte und den Verbrauchererwartungen genügende Kapsel so gestaltet werden musste, dass ihre Elastizität gegen oder nach dem Ende des Rauchvorgangs nicht so hoch ist, dass sie nicht mehr leicht zerdrückt werden kann, und dass ihr Durchmesser dabei tunlichst den des Filterelements nicht erreichen oder gar überschreiten sollte. Der Fachmann hätte aus diesem Grunde für die Elastizität eine Einstellgröße definiert, bei der solche Beeinträchtigungen vermieden werden. Merkmal d3 formuliert dafür lediglich einen Wert, der diesen Zusammenhang in allgemeiner Form im Sinne einer Begrenzung des noch tolerierbaren Durchmesserzuwachses zum Ausdruck bringt. Dazu bedurfte es nicht des Einsatzes einer erfinderischen Tätigkeit.
37
3. Das vorstehend Ausgeführte gilt sinngemäß für die Nebenansprüche 16, 25 und 26. Für die jeweiligen Unteransprüche, die das Patentgericht ebenfalls für nichtig erklärt hat, macht die Berufung einen eigenständigen erfinderischen Gehalt entweder nicht ausdrücklich geltend oder er ist - soweit der Gegenstand von Unteransprüchen in beschränkten Fassungen des Streitpatents zur Begründung der Patentfähigkeit herangezogen wird - nicht ersichtlich.
38
IV. Das Streitpatent hat auch in keiner der hilfsweise zur Entscheidung gestellten beschränkten Fassungen Bestand.
39
1. In der Fassung von Hilfsantrag I sind die Patentansprüche 1 und 16 jeweils um das Merkmal ergänzt, dass die Schale der Kapsel zu weniger als 70 Gewichtsprozent Gelatine enthält (bezogen auf ihr gesamtes Trockengewicht).
40
Unter der gegebenen Voraussetzung, dass der Fachmann die Beschaffenheit von nach der Lehre von NiK1 hergestellten Kapseln nach Durchlaufen von Tests an Rauchmaschinen untersucht hätte (oben Rn. 27), ist die Herabsetzung des Gelatineanteils auf einen Wert unterhalb der in NiK1 selbst genannten 80 Prozent naheliegend. Es ist nicht dargetan oder zu erkennen, dass die Festlegung auf weniger als 70 Gewichtsprozent besonderen Umständen Rechnung trägt, deren Auffindung den Einsatz erfinderischer Tätigkeit erfordert hätte.
41
2. In der Fassung von Hilfsantrag II schließen die Füllungen der nach den Patentansprüchen 1 und 16 geschützten Kapseln ein oder mehrere lipophile Lösungsmittel ein.
42
Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit der um dieses Merkmal ergänzten Ansprüche 1 und 16 mit dem Hinweis verneint, bereits NiK1 schlage Triglyceride , die in der Streitpatentschrift selbst als lipophile Lösungsmittel eingeordnet seien (Beschreibung Abs. 32), als Trägerstoff für Aromasubstanzen vor (dort in Abs. 12 und 72 der Beschreibung).
43
Dagegen erhebt die Berufung keine durchgreifenden Einwendungen. Die aus NiK1 bekannte Benutzung lipophiler Lösungsmittel will der Gefahr des Aufweichens der Kapseln gleichsam von innen vorbeugen, die bei Verwendung wässriger Füllungen besteht. Da die Patentansprüche 1 und 16 in der Fassung von Hilfsantrag II den Einsatz von Gelatine bei der Kapselherstellung nicht schlechthin ausschließen, bestand fachlich weiterhin Anlass, eine Füllung vorzusehen , mit der dagegen vorgesorgt wird.
44
3. Gemäß Hilfsantrag III sind die nach den Ansprüchen 1 und 16 geschützten Kapseln um das Unteranspruch 7 entlehnte Merkmal ergänzt, dass das Verhältnis von Durchmesser der Kapsel und Stärke der Schale zwischen 10 und 100 liegt.
45
Dazu hat das Patentgericht aufgezeigt, dass sich für die in NiK1 beschriebene bevorzugte Ausführungsform ein entsprechendes Verhältnis von 58 errechnet. Damit ist das beanspruchte Verhältnis von 10 bis 100 jedenfalls nahegelegt (oben Rn. 22); dass es sich möglicherweise nicht unmittelbar und eindeutig aus NiK1 erschließt, ist unerheblich (oben Rn. 25). Im Übrigen ist zu bedenken , dass für die Herstellung der Kapseln notwendigerweise ein bestimmtes Verhältnis zwischen ihrem Durchmesser und der Stärke der Kapsel festgelegt werden muss. Dafür ist mit einem zwischen 10 und 100 liegenden Wert eine ganz beträchtliche Bandbreite vorgesehen, ohne dass die Berufung aufzeigen könnte, dass dies über übliches Vorgehen hinausginge.
46
4. In der Fassung von Hilfsantrag IV ist die Kapsel als sphärischer, nahtloser Körper ausgestaltet (vgl. Unteranspruch 2) und gemäß Hilfsantrag V darüber hinaus durch die Herstellung in einem Coextrusionsprozess definiert.
47
Zutreffend hat das Patentgericht in der Beschreibung der Kapsel in NiK1 als "generally spherical in shape" (Beschreibung Abs. 67) einen Beleg für eine sphärische Gestaltung und in der Ausgestaltung als ein (preferably) "continuous sealed one-piece member" einen Hinweis auf eine nahtlose Fertigung gesehen. Ist eine solche Kapsel einstückig gefertigt, weist sie keine Nahtstellen auf, die zwangsläufig entstehen, wenn mehrere Schalenteile zu einer solchen Kapsel zusammengefügt werden.
48
Im Übrigen sind in einem Coextrusionsprozess hergestellte Kapseln, die nach den unangegriffenen Feststellungen des Patentgerichts aus der europäischen Patentschrift 513 603 bekannt sind, typischerweise nahtlos und dementsprechend i. S. von Patentanspruch 1 und 15 sowohl in der Fassung von Hilfsantrag IV, als auch in der von Hilfsantrag V bekannt.
49
5. In der Fassung von Hilfsantrag VI erzeugt die Kapsel beim Zerbrechen ein hörbares Knackgeräusch.
50
Zutreffend hat das Patentgericht die Schutzfähigkeit von Patentanspruch 1 und 15 in der entsprechenden Fassung mit der Begründung verneint, schon NiK1 schlage eine solche Ausgestaltung vor (dort Abs. 49 der Beschreibung ). Dafür ist entgegen der Ansicht der Berufung unerheblich, dass gemäß der Lehre von NiK1 im Wesentlichen aus Gelatine hergestellte Kapseln jedenfalls am Ende des Rauchvorgangs im Allgemeinen nicht mehr spröde genug sein dürften, um mit einem Knackgeräusch zu zerbrechen. Der Sinn dieses zusätzlichen Merkmals besteht darin, dem Raucher zu signalisieren, dass die Kapsel zerbrochen ist. Der Übernahme dieses Effekts steht nicht entgegen, dass er sich bei NiK1 gegebenenfalls nur bei einer der Ausgangsbruchfestigkeit Ci entsprechenden Beschaffenheit der Zigarette und Kapsel einstellt.
51
6. In der Fassung von Hilfsantrag VII sind Patentanspruch 1 und Patentanspruch 15 (Anspruch 16 in der Reihenfolge der erteilten Fassung) um die Merkmale des erteilten Anspruchs 9 ergänzt; die Schale der Kapsel enthält danach wenigstens ein Hydrokolloid, das aus Gellangummi, Agar, Alginaten, Carrageenanen, Pektinen, arabischem Gummi, Ghatti-, Pullulan- bzw. Mannan- Gummi oder modifizierter Stärke allein oder aus einem Gemisch hiervon oder aus einer Kombination mit Gelatine ausgewählt ist.
52
Wie bereits ausgeführt hatte der Fachmann nach Testversuchen an den gemäß NiK1 hergestellten Kapseln Anlass, das Schalenmaterial zu modifizieren und wäre auf naheliegende Weise zu in den Entgegenhaltungen NiK2, NiK3 und NiK6 vorgeschlagenen Hydrokolloiden gelangt, von denen einige in den erteilten Anspruch 9 Eingang gefunden haben (oben Rn. 16). Damit kann der die aufgezählten Hydrokolloide insgesamt umfassende Anspruchssatz nicht gewährt werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2015 - X ZR 60/13 - Verdickerpolymer I). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Begründung im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
53
7. In der Fassung der Hilfsanträge VIII bis XV werden Ergänzungen aus einzelnen der Hilfsanträge I bis VII kombiniert. Dies lässt die Patentfähigkeit nicht in einem anderen Licht erscheinen.
54
Die Berufung greift insoweit allein Hilfsantrag XV auf, in dessen Fassung der erteilte Patentanspruch 1 um die gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3, 5 und 7 hinzugefügten Merkmale ergänzt ist und verweist darauf, NiK6 beziehe sich auf ein anderes Herstellungsverfahren ("rotary die encapsulation"), für das ein Visko- sitätsbereich vorgesehen sei, in dem ein Extrusionsverfahren nicht möglich sei.
55
Das Patentgericht hat dazu zutreffend darauf hingewiesen, ein viskoseres Material weise lediglich einen geringeren Wasseranteil auf, wenn ansonsten gleiche Ausgangsstoffe für die Schale verwendet würden. Beim Endprodukt, d. h. bei den trockenen Kapseln, seien Unterschiede hingegen nicht mehr erkennbar. Dementsprechend ist mit dem Patentgericht davon auszugehen, dass der fachkundige Leser der NiK6 aufgrund seines Fachwissens erkennt, dass das technisch angestrebte Ziel, das Erweichen der Kapseln durch Feuchtigkeitseinfluss zu vermeiden, prinzipiell unabhängig von dem eingesetzten Herstellungsverfahren ist. Gegebenenfalls ermittelt der Fachmann die für das Coextrusionsverfahren einzustellende Viskosität der Ausgangsmaterialien im Versuchswege.
56
8. Für die Beurteilung der Neben- und der in den hilfsweise zur Entscheidung gestellten Anspruchssätzen jeweils verbleibenden Unteransprüche gilt das zur erteilten Fassung des Streitpatents Ausgeführte (oben Rn. 23 ff.) sinngemäß.
57
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Richterin am Bundesgerichtshof Schuster ist erkrankt und kann deshalb nicht unterschreiben. Meier-Beck Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 27.01.2015 - 1 Ni 19/14 (EP) -

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Bundesgerichtshof Urteil, 11. Feb. 2014 - X ZR 107/12

bei uns veröffentlicht am 11.02.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 107/12 Verkündet am: 11. Februar 2014 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10

bei uns veröffentlicht am 31.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 100/10 Verkündet am: 31. Oktober 2013 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgericht

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2012 - X ZR 134/11

bei uns veröffentlicht am 12.12.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 134/11 Verkündet am: 12. Dezember 2012 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Mai 2015 - X ZR 60/13

bei uns veröffentlicht am 05.05.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X Z R 6 0 / 1 3 Verkündet am: 5. Mai 2015 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 100/10 Verkündet am:
31. Oktober 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 31. Oktober 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 25. März 2010 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Beklagte ist Inhaber des am 14. Mai 1998 angemeldeten, mit Wirkung für
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die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 889 334 (Streitpatents ), das sechs Ansprüche umfasst. Patentanspruch 1 lautet: "Verfahren zur Feinabtastung beliebiger Gegenstände, z.B. Glaskörper, Gegenstände mit reflektierenden Metall-, Lack- oder Kunststoffoberflächen , bei einem auf Retroreflexion und Polarisationsdrehung basierenden Lasersensorsystem, bei dem die retroreflektierende Fläche aus mehreren würfelförmigen Fullcube-Tripeln besteht, wobei das einfallende Laserstrahlbündel durch Vergrößerung oder Verkleinerung seiner Form auf die Größe der Fullcube-Tripel derart angepasst wird, dass es bei Bewegung über den Retroreflektor in jeder Position mindestens fünf oder mehr Fullcube-Tripel zugleich berührt und so unabhängig von der Position ein konturenscharfes, retroreflektiertes Laserstrahlbündel erzeugt wird, und wobei die Schlüsselweite der Fullcube-Tripel 0,002 mm bis 1,4 mm beträgt."
2
Die Klägerin zu 2 hat das Streitpatent insgesamt, die Klägerin zu 1 hat es im Umfang der Ansprüche 1, 2, 4 und 5 angegriffen. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, sein Gegenstand sei insoweit nicht patentfähig, er sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise
3
beschränkt verteidigt durch Eingrenzung der Anzahl zugleich berührter FullcubeTripel auf mindestens fünf oder mehr, aber nicht alle Tripel (Hilfsantrag I) bzw. auf mindestens fünf und höchstens sieben (Hilfsantrag II); ferner dadurch, dass Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung durch die Merkmale von Unteranspruch 3 ergänzt wird. Danach ist die von den Mikrotripeln gebildete Reflexfläche des Retroreflektors von großformatigeren Tripeln umgeben (Hilfsantrag III). Das Patentgericht hat das Streitpatent dadurch teilweise für nichtig erklärt,
4
dass Patentanspruch 1 die Fassung des Hilfsantrags III erhält und die ursprünglichen Unteransprüche 4 bis 6 als Unteransprüche 2 bis 4 auf den so gefassten Hauptanspruch rückbezogen sind. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten mit dem Antrag, die Klagen
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vollständig abzuweisen. Hilfsweise verteidigt er das Streitpatent in der beschränkten Fassung gemäß den bereits in erster Instanz gestellten Hilfsanträgen I und II.
6
Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.
7
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. O. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren für eine auf der Retroreflexion ei8 nes Laserstrahls basierende Sensoreinrichtung. Bei den seiner Beschreibung zufolge im Stand der Technik bekannten, auf Retroreflexion und Polarisationsdrehung beruhenden Lasersensorsystemen wird von einer Laserlichtquelle ein Laserstrahl so ausgesendet , dass er auf einen Retroreflektor trifft und von diesem reflektiert wird. Unter einem Retroreflektor wird ein Reflektor verstanden, der - anders als ein Spiegel - das einfallende Licht auch dann genau in die Einfallsrichtung reflektiert, wenn der Einfallswinkel nicht exakt 90° beträgt, sondern innerhalb eines bestimmten Toleranzbereichs hiervon abweicht. Als Retroreflektoren dienen unter anderem Fullcube-Tripel, die durch drei aneinander angrenzende quadratische Flächen einer Würfelecke gebildet werden. Das auftreffende Licht wird mit einem gewissen Versatz reflektiert, der mit der Tripelgröße in Zusammenhang steht. Diese wird im Streitpatent nach der Schlüsselweite bemessen, womit der Abstand zwischen zwei parallelen Seiten des Sechsecks gemeint ist, als das sich das Fullcube-Tripel aus der Draufsicht darstellt. Je kleiner das Tripel, umso geringer ist der mögliche Versatz. Der zurückgeworfene Laserstrahl wird sodann ausgewertet. Eine Unterbre9 chung dieses Strahls zwischen Sender/Empfänger und Reflektor wird als binäres Signal interpretiert. Der Empfang des reflektierten Lichtstrahls kann durch Fremdstrahlen oder Irrstrahlen beeinträchtigt werden. Trifft der Laserstrahl etwa auf einen Gegenstand, der zwischen der Lichtquelle und dem Retroreflektor liegt und eine reflektierende Oberfläche aufweist, wird das Laserlicht von dieser Oberfläche reflektiert. Zur Vermeidung einer Fehlinterpretation reflektierten Lichts wird das ausgesandte Licht im Sensorsystem polarisiert. Der Einsatz einer Polarisationsdrehung ermöglicht es dem System zu erkennen, ob der Laserstrahl vom Retroreflektor - dann
ist die Polarisation gedreht - oder von einem anderen Gegenstand - dann ist sie nicht gedreht - reflektiert wurde.
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Entscheidend ist nach der Streitpatentschrift, jeweils einen möglichst konturenscharfen , retroreflektierten Strahl für die Signalauswertung zu erhalten, der von Fremdlicht oder unerwünschten Reflexionsstrahlen unterschieden werden kann. Im Stand der Technik verwendete Retroreflektoren seien entweder in der Herstellung unwirtschaftlich oder bewirkten nachteilige Veränderungen des Laserstrahls, wenn die Lichtquelle sich - etwa durch Erschütterungen oder Vibrationen - bewegt. Vor diesem Hintergrund will das Streitpatent die Feinabtastung wesentlich
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verbessern. Dazu schlägt es mit Patentanspruch 1 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (abweichende Merkmalsgliederung des Patentgerichts in Klammern: Merkmale 5a und 5b entsprechen der Fassung von Merkmal 5 nach den Hilfsanträgen I und II): 1. Verfahren zur Feinabtastung beliebiger Gegenstände, z.B. Glaskörper , Gegenstände mit reflektierenden Metall-, Lack- oder Kunststoffoberflächen , mit einem auf Retroreflexion und Polarisationsdrehung basierenden Lasersensorsystem (1), 2. bei dem die retroreflektierende Fläche aus mehreren würfelförmigen Fullcube-Tripeln besteht (2), 3. wobei die Schlüsselweite der Tripel 0,002 mm bis 1,4 mm beträgt

(6).

4. Das einfallende Laserstrahlbündel wird durch Vergrößerung oder Verkleinerung seiner Form auf die Größe der Tripel angepasst (3), 5. und zwar derart, dass bei Bewegung des Laserstrahlbündels über den Retroreflektor in jeder Position mindestens fünf oder mehr Tripel zugleich berührt werden (4); 5a ... dass ... mindestens fünf oder mehr aber nicht alle Tripel zugleich berührt werden; 5b ... dass ... mindestens und höchstens sieben Tripel zugleich berührt werden;
6. wodurch unabhängig von der Position ein konturenscharfes, von Irrstrahlen freies, formstabiles retroreflektiertes Laserstrahlbündel erzeugt wird (5).
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II. Das Patentgericht hat den Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung sowie in der Fassung der Hilfsanträge I und II für nicht patentfähig erachtet, weil er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Im Stand der Technik sei bekannt gewesen, zur Feinabtastung ein Sensorsys13 tem mit einem Retroreflektor einzusetzen, das mit Laserlicht und Polarisationsdrehung arbeite. Bekannt gewesen sei ferner der Einsatz von Retroreflektoren mit Fullcube -Tripeln, deren Schlüsselweite unter 1,5 mm liege. Ein Fachmann, der den aus der deutschen Gebrauchsmusterschrift 297 01 903 (NK7) bekannten Retroreflektor in einem Lasersensorsystem habe einsetzen wollen, habe sich zwangsläufig Gedanken über die Dimensionierung des auf den Reflektor auftreffenden Laserstrahls machen müssen, wobei er sich darüber im Klaren gewesen sei, dabei eine Abwägung zwischen den Gesichtspunkten der Messwertstabilität und Erkennungssicherheit einerseits und der Auflösung andererseits treffen zu müssen. Es habe keiner erfinderischen Bemühungen bedurft, um zu den beanspruchten Werten und den damit verbundenen Ergebnissen zu kommen. Es sei nicht ersichtlich, dass die in Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags und der Hilfsanträge I und II vorgeschlagene Anpassung des Laserstrahls zu besonderen, überraschenden Effekten führe. III. Gegen diese Beurteilung wendet die Berufung sich im Ergebnis ohne
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Erfolg. 1. Für den zugrunde zu legenden fachmännischen Ausbildungs- und
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Kenntnisstand ist nach den Ausführungen des Patentgerichts, die der Einschätzung des Sachverständigen entsprechen und von den Parteien nicht angegriffen werden, auf einen Ingenieur mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluss mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung optischer Mess- und Prüfverfahren abzustellen. 2. Für diesen Fachmann lag der Gegenstand des Streitpatents - auch in
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den Fassungen der Hilfsanträge I und II - nahe.
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a) Zutreffend und von der Berufung auch nicht beanstandet hat das Patentgericht angenommen, dass die fachmännischen Überlegungen für die Entwicklung eines Sensorsystems mit einer verbesserten Feinabtastung an die Lehre von NK7 anknüpfen konnten. Dieses Dokument offenbart ein Feinabtastsystem, das auf Retroreflexion basiert und mit dem z.B. die Position eines Fadens vor dem Hintergrund eines Reflektors mit einem engen Lichtstrahl wie einem Laserstrahl bestimmt werden kann (S. 7 Z. 11 ff.).
b) Auf die nach Merkmal 1 des Streitpatents vorgesehene Polarisations18 drehung wird in NK7 zwar nicht ausdrücklich hingewiesen. Jedoch ergibt sich aus mehreren in das Verfahren eingeführten Dokumenten, mit denen die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen übereinstimmen, dass die Nützlichkeit der mit der Polarisationsdrehung verbundenen Effekte für eine fehlerfreie Detektion insbesondere von Gegenständen mit stark spiegelnder Oberfläche lange vor dem Prioritätstag zum fachmännischen Wissen gehörte (Krieg, Automatisieren mit Optoelektronik , Vogel Fachbuch 1990, NK14; Aldiek, Der effektive Einsatz von Tripelreflektorarrays , NB8) und es deshalb keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, um die Polarisationsdrehung bei einem verbesserten Feinabtastungsverfahren vorzusehen.
c) Der Einsatz von Fullcube-Tripeln zur Retroreflexion war schon am An19 meldetag von NK7 bekannt (dort S. 3 Z. 12 ff.). Die Bemessung ihrer Schlüsselweite auf den Bereich zwischen 1,4 mm und 0,002 mm (Merkmal 3) war durch NK7 jedenfalls nahegelegt. Die dort für eine Ausführungsform vorgeschlagene Tripelgröße von < 1,5 mm gibt, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aus fachlicher Sicht eine hinreichend konkrete und damit der Annahme einer erfinderischen Tätigkeit entgegenstehende Anregung (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung), in einem verbesserten Sensorsystem zur Feinabtastung Tripelgrößen von etwa 1,0 oder 0,5 mm vorzusehen. Soweit der gerichtliche Sachverständige es für möglich hält, dass der unterste Wert von 0,002 mm nicht (mehr) mit der Anweisung in Verbindung gebracht wird, die Tripelgröße kleiner als 1,5 mm zu halten, sondern gewählt worden sein könnte, weil jenseits dieser Grenze unerwünschte Lichtbeugungseffekte auftreten und das Ziel einer sicheren Detektion konterkarieren könnten, ist dies für den Bestand von Patentanspruch 1 unerheblich. Wenn dem Fachmann die Wahl einzelner Werte aus einer einheitlich beanspruchten Spanne durch den Stand der Technik nahegelegt ist, kann die (Naheliegendes umfassende) Angabe der Spanne nicht als erfinderisch gewertet werden.
d) Der Gegenstand des Streitpatents kann nicht wegen der in Merkmal 5
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bzw. 5a oder 5b beschriebenen gezielten Anpassung des einfallenden Laserstrahlbündels in der Weise, dass stets mindestens fünf Fullcube-Tripel zugleich berührt werden, als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend bewertet werden (Art. 56 EPÜ). aa) Wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt
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hat, gehörten zum fachlichen Grundlagenwissen am Anmeldetag des Streitpatents Kenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten, auf denen die Retroreflexion von auf Tripelreflektoren auftreffenden Lichtstrahlen namentlich in Reflexions-Lichtschranken beruht , einschließlich des Wissens darüber, dass die auf Fullcube-Tripel auftreffenden Lichtstrahlen stets mit einem gewissen Versatz reflektiert werden, der unter anderem von der Größe des Tripels und dem Auftreffpunkt des Lichtstrahls abhängt. Dieser Gesichtspunkt wird im Übrigen in NK7 ausgiebig erläutert. Fachlich war auch bekannt , dass das Sensorsystem insbesondere kleine Gegenstände zwar umso genauer erfassen kann, je feiner der eingesetzte Lichtstrahl ist, dass einer solchen Verfeinerung aber aus gegenläufigen technischen Gründen Grenzen gesetzt sind. Wird nämlich der Lichtstrahl so fein eingestellt, dass er kleiner ist als die Schlüsselweite eines Tripels, können schon kleine laterale Verschiebungen des einfallenden Strahls, etwa infolge von Erschütterungen der Lichtquelle oder des Retroreflektors, zu erheblichen Verschiebungen des ausfallenden Strahls führen und damit dessen Formstabilität beeinträchtigen. Solche Verschiebungen können sich als Folge des je nach Auftreffpunkt des Lichts auf dem Tripel unterschiedlichen Versatzes des reflektierten Strahls einstellen. Die Reflexion kann zudem beeinflusst werden, je nachdem ob dieser Punkt auf eine der Tripelflächen fällt oder auf eine Kante, von wo aus er undefiniert gestreut werden kann. Probleme können sich ferner durch Verschmutzungen ergeben oder dann, wenn ein sehr dünner Lichtstrahl auf eine Stelle trifft, die - etwa aufgrund fertigungsbedingter Ungenauigkeiten - Streulicht hervorruft oder auch nur durch leichte Relativbewegungen der Komponenten. Der Einsatz eines sehr feinen Lichtstrahls kann sich also im praktischen Betrieb als gleichermaßen vorteilhaft wie nachteilig erweisen. Zum fachlichen Grundwissen gehörte in diesem Zusammenhang , dass die Anfälligkeit eines Sensorsystems für derartige Beeinträchtigungen verringert wird, wenn der einfallende Lichtstrahl mehrere retroreflektierende Elemente (Fullcube-Tripel), abdeckt und - in Anwendung des Prinzips der Mittelung - höhere Formstabilität erhält, die eine verlässlichere Signalauswertung ermöglicht. Ausdruck dieser Erkenntnisse sind die bereits in den frühen sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts veröffentlichte deutsche Auslegeschrift NK11 und die 1982 bekannt gemachte deutsche Gebrauchsmusterschrift NK10. Dass letzteres Dokument sich auf Perlen als Reflexionskörper bezieht und insoweit aus fachlicher Sicht keine weiterführenden Erkenntnisse für die Lasersensorik mit Fullcube-Tripeln als Reflexionskörper erwarten ließ, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass NK10 Grundsätze offenbart , die aus fachmännischer Sicht gleichermaßen für die Lasersensorik gelten. bb) Es trifft nach allem entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zu, dass
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die Fachkreise von dem Vorurteil geleitet gewesen wären, eine verbesserte Feinabtastung bedinge eine immer feinere Bündelung des Lichtstrahls und dass die Lehre des Streitpatents dieses Vorurteil überwunden hätte. Auch NK7, die nach Ansicht des Beklagten noch von diesem Vorurteil geprägt sein soll, lehrt nicht einseitig, den Strahl so eng wie möglich zu bündeln, sondern will einen hochleistungsfähigen Tripelspiegel für die Messtechnik schaffen, der auch bei einem veränderlichen Beobachtungslichtkegel vom Durchmesser-Maximum bis zum Durchmesser nahe Null arbeitet (Beschreibung S. 6 oben).
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NK7 regt mit ihrer Anweisung, die Schlüsselweite der Tripel sehr klein, in einer Größenordnung von < 1,5 mm, zu wählen, fachmännisch dazu an, über die Tripelgröße eine genaue Detektion trotz feinen Lichtstrahls sicherzustellen. Die Beschreibung erläutert, der Messtechnikreflektor erlange eine besondere Leistungsfähigkeit durch Verwendung von Mikrotripeln oder zumindest sehr kleinen Tripelabmessungen. Der Einsatz von kleinen Tripeln ermögliche, den Durchmesser des kreisförmigen , ungestörten Durchmessers des Beobachtungslichtkegels besonders klein zu wählen (Beschreibung S. 7 oben), was sich aus fachlicher Sicht daraus erklärt, dass bei Wahl kleiner Tripel auch ein besonders feiner Lichtstrahl immer noch mehrere Tripel zugleich berührt und dementsprechend auch im Bereich der Feinabtastung eine sichere Detektion erwarten lässt. cc) Das Streitpatent leistet über diese aus NK7 folgenden Anregungen hin24 aus lediglich noch eine Anpassung des Lichtstrahlbündels nach Maßgabe von Merkmal 5 bzw. 5a oder 5b. Diese Anpassung stellt sich als Ergebnis versuchsweiser Annäherungen an optimale Einstellungswerte dar und entspricht im Übrigen, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, einer mathematischen Funktion, die belegt, dass mit der Erhöhung der zugleich vom Strahl berührten Tripel der Zuwachs an Abtastsicherheit abnimmt, wobei hier mit der Erhöhung der Zahl der angestrahlten Tripel, wie ausgeführt, zusätzlich der Nachteil einer abnehmenden Abtastschärfe einhergeht. Aus Gründen der erforderlichen Abtastsicherheit musste der untere Wert für
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die gleichzeitig berührten Tripel für den empirisch vorgehenden Fachmann größer als eins sein. Um den Grenzwert auf mindestens fünf Tripel festzulegen, brauchte ledig- lich das visuelle Ergebnis einer schrittweisen Aufweitung des Strahls bzw. umgekehrt , der Verkleinerung der Tripel bei Beibehaltung des Durchmessers des Strahlenbündels qualitativ bewertet zu werden. Demgegenüber sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Festlegung auf diesen Mindestwert etwa das Ergebnis von Untersuchungen gewesen sein könnte, mit denen es gelungen wäre, bislang nicht erkannte naturwissenschaftliche Zusammenhänge nutzbar zu machen. Anlage 1 hält insoweit lediglich bildlich fest und stellt grafisch dar, was bei versuchsweiser Führung des Laserstrahls über eine steigende Anzahl von Tripeln unmittelbar sichtbar wird. Dass die fachmännische Wahrnehmung eines Qualitätsunterschieds bei weniger als fünf oder mehr als vier Tripeln nunmehr wissenschaftlich interpretiert werden kann (ungleichmäßige und zerfranste Verteilung der Energie um das Zentrum herum einerseits , ausreichende Wiederholungsgenauigkeit infolge symmetrischer Energieverteilung andererseits) rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Gewährung von Patentschutz nicht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 44 - Memantin; Urteil vom 24. September 2013 - X ZR 40/12 - Fettsäuren). Damit erweist sich Patentanspruch 1 in allen drei zur Entscheidung gestellten
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Fassungen als nicht patentfähig. In der erteilten Fassung und derjenigen nach Hilfsantrag I ist Patentanspruch 1 unabhängig vom vorstehend Ausgeführten auch deshalb nicht patentfähig, weil die beanspruchte Spanne (mindestens fünf Tripel "oder mehr" bzw. mindestens fünf Tripel "oder mehr aber nicht alle") auch im oberen Bereich durch den Stand der Technik nahegelegt war. Wie ausgeführt ist in NK7 von Beobachtungslichtkegeln mit minimalen bis maximalen Durchmessern die Rede und Figur 3 gibt dafür einen zusätzlichen visuellen Beleg. Die Schrift regt dementsprechend auch zu einer Ausführung an, bei der die Anzahl berührter Tripel in einer Größenordnung liegt, in die auch die beanspruchte Spanne fällt, weshalb der Anspruch in diesen Fassungen auch aus diesem Grunde insgesamt nicht patentfähig ist (oben III 2 c).
27
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Meier-Beck Gröning Grabinski Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.03.2010 - 2 Ni 17/09 (EU) -
27
Für die Frage, ob erfinderische Tätigkeit zu verneinen ist, kommt es anders als bei der Neuheitsprüfung nicht darauf an, ob eine Entgegenhaltung ein Merkmal "unmittelbar und eindeutig" offenbart. Vielmehr ist maßgeblich, ob der Stand der Technik am Prioritätstag dem Fachmann den Gegenstand der Erfindung nahegelegt hat. Dies erfordert zum einen, dass der Fachmann mit seinen durch seine Ausbildung und berufliche Erfahrung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln. Hinzukommen muss zum anderen, dass der Fachmann Grund hatte, den Weg der Erfindung zu beschreiten. Dazu bedarf es in der Regel über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe (BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; Urteil vom 8. Dezember 2009 - X ZR 65/05, GRUR 2010, 407 - einteilige Öse; Beschluss vom 20. Dezember 2011 - X ZB 6/10, GRUR 2012, 378 Rn. 16 - Installiereinrichtung). Bei der Prüfung, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahe gelegt hat, ist nicht nur zu berücksichtigen, was sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus dieser Entgegenhaltung ergibt, sondern gleichermaßen, was der Fachmann kraft seines Fachwissens aus ihr ableiten kann.
22
Neuheitsprüfung (BGH, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist danach erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen "unmittelbar und eindeutig" (BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910, Rn. 62 - Fälschungssicheres Dokument; Urteil vom 14. August 2012 - X ZR 3/10, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 - UV-unempfindliche Druckplatte) als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung ; Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 52/08, GRUR 2010, 599 Rn. 22, 24 - Formteil). Zu ermitteln ist mithin, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen allgemeinen Lehre entnimmt (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin). Maßgeblich ist dabei das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der prioritätsbeanspruchenden Patentanmeldung (BGH, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit).
c) Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung muss

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 6 0 / 1 3 Verkündet am:
5. Mai 2015
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verdickerpolymer I
EPÜ Art. 54
Werden als Bestandteile einer Stoffzusammensetzung mehrere Stoffe oder
Stoffgruppen alternativ beansprucht, fehlt es dem Gegenstand des Patents bereits
dann an der erforderlichen Neuheit in der gesamten beanspruchten Bandbreite
, wenn einer dieser Stoffe oder eine dieser Stoffgruppen als Bestandteil
einer solchen Zusammensetzung bekannt war.
BGH, Urteil vom 5. Mai 2015 - X ZR 60/13 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Mai 2015 durch die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und
Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 20. November 2012 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 10. Mai 1995 angemeldeten , auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 682 094 (Streitpatents). Das Streitpatent nimmt eine Priorität vom 12. Mai 1994 in Anspruch. Von den insgesamt acht Patentansprüchen hat Patentanspruch 1 nach Durchführung eines Einspruchsverfahrens in der Verfahrenssprache folgenden Wortlaut: "1. A pourable water dispersible associative thickener composition for aqueous systems having a viscosity less than 15,000 mPa.s (centipoise) at 25°C consisting of:
a) from 15 to 40% by weight of an associative thickener polymer selected from polyurethanes, polyesters, modified cel- lulosics, poIyester-urethanes, polyether-alpha olefins and polyether-polyols;
b) at least 30% by weight water;
c) from 1 to 30% by weight of one or more surfactants selected from anionic and non-ionic surfactants and mixtures thereof; and
d) optionally one or more additional components selected from binders, clays, neutralization chemicals, buffering agents, inorganic salts, chelating agents and pH adjusting agents, except a thickener preparation for thickening aqueous systems consisting of a mixture of (i) a water-soluble or water-dispersible thickener containing urethane groups, (ii) a non-ionic emulsifier, and (iii) at least one compound of the formula (I)

(I)

wherein in this formula R1 and R3 denote identical or different hydrocarbon residues and R2 and R4 denote hydrogen or identical or different hydrocarbon residues, Q denotes alkylene oxide units, as are obtained from alkoxylating alcohols with alkylene oxides having 2 to 4 carbon atoms, and n denotes numbers from 0 to 120, wherein the thickener preparation is in the form of an aqueous solution or dispersion."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig; er sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zudem gehe der Gegenstand von Patentanspruch 1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinaus.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten , mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung von drei beschränkten Anspruchssätzen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


4
I. Das Streitpatent betrifft Verdickerzusammensetzungen zur Kontrolle der Viskosität und anderer rheologischer Eigenschaften (Fließeigenschaften) von wässrigen Systemen.
5
1. Nach der Beschreibung des Streitpatents sind solche Verdickerzusammensetzungen für eine Anwendung insbesondere bei Latexfarben, Beschichtungen , Tinten, Baumaterialien, Kosmetika und Holzbeizen bekannt. Hierfür würden zunehmend synthetische Eindicker verwendet, zu denen unter anderem auch Polyurethaneindicker zählten. Solche rheologischen Additive würden oftmals auch als Eindicker oder Assoziativverdicker bezeichnet. Zu dem Mechanismus , durch den sie eindickten, gehörten hydrophobe Assoziationen zwischen den hydrophoben Komponenten in den Eindickermolekülen und anderen hydrophoben Oberflächen. Handelsübliche Assoziativverdicker seien gewöhnlich gießbare Flüssigkeiten, wobei die Verdickerzusammensetzung üblicherweise durch Vermischen des assoziativen Polymers mit Wasser und einem organischen Lösungsmittel hergestellt würden. Diese organischen Lösungsmittel würden zugesetzt, um die Viskosität der Polymere in Wasser zu senken. Da die flüchtigen organischen Lösungsmittel oder deren flüchtige organischen Komponenten ein Risiko für Mensch und Umwelt darstellten, würden in vielen Ländern die Toleranzwerte für diese Gase sukzessiv gesenkt oder bestimmte Anwendungen dieser Lösungsmittel verboten.
6
2. Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund die Aufgabe zugrunde, eine flüssige, in Wasser dispergierbare Verdickerzusammensetzung mit einer zur weiteren Verarbeitung passenden Viskosität bereitzustellen, ohne dabei Umweltprobleme zu verursachen.
7
Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Verdickerzusammensetzung mit folgenden Merkmalen vor: 1. Assoziative Verdickerzusammensetzung für wässrige Systeme , 1.1 die gießbar und in Wasser dispergierbar ist und 1.2 die eine Viskosität von weniger als 15.000 mPa·s bei 25°C aufweist, bestehend aus 2. 15 bis 40 Gew.-% eines assoziativen Verdickerpolymers, 2.1 ausgewählt aus Polyurethanen, Polyestern, modifizierten Cellulosederivaten, Polyesterurethanen, Polyether- α-Olefinen und Polyetherpolyolen; 3. mindestens 30 Gew.-% Wasser; 4. 1 bis 30 Gew.-% eines oder mehrerer oberflächenaktiver Mittel , 4.1 ausgewählt aus anionischen und nicht-ionischen oberflächenaktiven Mitteln und deren Gemischen; 5. optional einem oder mehreren zusätzlichen Bestandteilen, 5.1 ausgewählt aus Bindemitteln, Tonen, Neutralisationschemikalien , Pufferungsmitteln, anorganischen Salzen, Chelatbildnern und pH-Wert-Einstellungsmitteln; 6. ausgenommen einer Verdickungsmittelzubereitung zum Verdicken wässriger Systeme, bestehend aus einem Gemisch 6.1 eines wasserlöslichen oder in Wasser dispergierbaren Verdickungsmittels, das Urethangruppen enthält, 6.2 eines nicht-ionischen Emulgators und 6.3 mindestens einer Verbindung gemäß der Formel (I)

(I)

wobei in dieser Formel R1 und R3 identische oder unterschiedliche Kohlenwasserstoffe bezeichnen, R2 und R4 Wasserstoff oder identische oder unterschiedliche Kohlenwasserstoffreste bezeichnen, Q Alkenoxideinheiten bezeichnet, wie sie aus dem Alkoxylieren von Alkoholen mit Alkenoxiden erhalten werden , die 2 bis 4 Kohlenstoffatome aufweisen, und n Zahlen von 0 bis 120 bezeichnet, 6.4 in Form einer wässrigen Lösung oder Dispersion.
8
3. Dies bedarf in zweierlei Hinsicht der näheren Erläuterung:
9
a) Die Wendung "bestehend aus" ("consisting of") deutet in Patentansprüchen , die chemische Zusammensetzungen oder Gemische zum Gegenstand haben, in der Regel auf eine abschließende Aufzählung der in Bezug genommenen Bestandteile hin (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - X ZR 75/08, GRUR 2011, 1109 Rn. 37 - Reifenabdichtmittel; EPA, Prüfungsrichtlinien Teil F, Kap. IV Nr. 4.21; EPA, Entscheidung vom 15. September 1993 - T 711/90 unter 2.).
10
Von der Frage der Bestandteile einer Stoffzusammensetzung zu trennen ist die Frage des Reinheitsgrades der dazu eingesetzten Stoffe. Insbesondere wenn, wie für die hier interessierenden Verdickerzusammensetzungen, handelsübliche Chemikalien benutzt werden, wird aus fachlicher Sicht nicht notgedrungen immer vollständige Reinheit der Bestandteile oder Zutaten vorausgesetzt , sondern gegebenenfalls nur ein dem jeweiligen Bedarf angepasster Reinheitsgrad. Da sich vorliegend aus Patentanspruch 1 oder der Beschreibung keine besonderen Anforderungen an die Reinheit der herzustellenden Zusammensetzung ergeben, schließt die Vorgabe "bestehend aus" ("consisting of") aus fachlicher Sicht nicht aus, dass die dafür zu verwendenden Polymere Mittel und gegebenenfalls fakultativen Zusätze in geringem Umfang auch Rückstände der für ihre Herstellung verwendeten Ausgangsstoffe und restliches Wasser enthalten können.
11
b) Der Begriff des oberflächenaktiven Mittels in Merkmal 4 ist eine Übersetzung des englischen Worts "surfactant", das für die Worte "surface active agent" steht. Es ist zugleich ein Synonym für Tenside, die wiederum synonym auch als Emulgatoren bezeichnet werden.
12
II. Das Patentgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, der Gegenstand des Streitpatents sei in der - nachveröffentlichten (Art. 54 Abs. 3 EPÜ) - europäi- schen Patentanmeldung 618 243 (NiK6) vorweggenommen und habe ausgehend von einer anderen Entgegenhaltung (NiK10e) auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Die Gegenstände der Hilfsanträge beruhten ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
13
1. Die NiK6 betreffe eine Zubereitung auf Polyurethanbasis zur Verdickung wässriger Systeme, die wegen ihrer Löslichkeit und Dispergierbarkeit in Wasser zwangsläufig auch gießbar sei und bei der es sich um eine assoziativ wirkende Verdickerzusammensetzung mit besonders niedriger Eigenviskosität handele. Darüber hinaus zeige das Dokument weitere Verdickerzusammensetzungen mit den Merkmalen 3 bis 4.1 sowie der ohnehin lediglich optionalen Merkmalsgruppe 5 und ohne die vom Streitpatent durch Disclaimer ausgenommenen Zusatzstoffe gemäß Merkmalsgruppe 6. Eine entsprechende Zusammensetzung werde in den Vergleichsbeispielen 21 und 24 der NiK6 mit jeweils 25 Gewichtsprozent eines aus Polyurethanen ausgewählten assoziativen Verdickerpolymers und eines nicht-ionischen oberflächenaktiven Mittels sowie mit einem Restwasseranteil von 50 Gewichtsprozent offenbart. Die in den Vergleichsbeispielen verwendeten Produkte COATEX BR 900 und COATEX BR 910 seien zweifelsfrei trockene, nicht-ionische, wasserlösliche Assoziativverdicker vom Polyurethan-Typ. Dem stehe nicht entgegen, dass in der Tabelle 13 für die Vergleichsbeispiele 21 und 24 die Komponenten für zwei Spalten falsch bezeichnet seien. Der fachkundige Leser werde diesen Schreibfehler und die richtige Bedeutung zweifelsfrei erkennen.
14
2. Zudem beruhe der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
15
In der vorveröffentlichten Produktbeschreibung für COAPUR 5035 (NiK10e) werde unter dieser Bezeichnung ein flüssiger, zweifelsfrei assoziativ wirkender, nicht-ionischer Polyurethanverdicker mit einer niedrigen Viskosität von 4000 cP beschrieben, der zu 35 % in Wasser gelöst und völlig frei von flüchtigen organischen Lösungsmitteln sei. Dieses Produkt unterscheide sich vom Gegenstand des Streitpatents lediglich durch das Fehlen eines anionischen oder nicht-ionischen oberflächenaktiven Mittels gemäß Merkmalsgruppe 4.
16
Dem Fachmann, bei dem es sich um einen regelmäßig in einem Team arbeitenden Diplom-Chemiker der Fachrichtung organische Chemie mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Polymerchemie, der Rheologie und Grenzflächenchemie von polymerbasierten, wässrigen Systemen sowie der assoziativen Verdicker und oberflächenaktiven Mitteln handele, sei geläufig gewesen, dass durch den Zusatz von oberflächenaktiven Stoffen aufgrund ihrer Wechselwirkung mit den Assoziativverdickerpolymeren bei der Anwendung in Farben und Beschichtungsmitteln deren rheologische Eigenschaften noch weiter günstig beeinflusst werden könnten. Er werde deshalb einen solchen Zusatz zu dem Produkt COAPUR 5035 in Betracht ziehen, und dabei insbesondere oberflächenaktive Mittel vom anionischen und nichtionischen Typ experimentell untersuchen, denn aus dem Lehrbuch von M. Hulden - Colloides and Surfaces A: Physicochemical and Engineering Aspects , 82 (1994) S. 263 bis 277 - (NiK18) sei der vorteilhafte Einfluss von oberflächenaktiven Mitteln gemäß der Merkmalsgruppe 4 auf wässrige Assoziativverdickerzusammensetzungen bekannt gewesen. Durch routinemäßiges Optimieren gelange er zwanglos zu Anteilen von 1 bis 30 Gewichtsprozenten und somit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Streitpatents.
17
Ebenso habe ein Entwicklungsansatz ausgehend von dem Aufsatz von E. J. Schaller - Rheology Modifiers in Surface Coatings Australia, Vol. 22, Nr. 10, Okt. 1985 S. 6 bis 13 - (NiK12) zusammen mit dem allgemeinen Fach- wissen sowie mit den in der japanischen Offenlegungsschrift 60-49022 (NiK14) ohne erfinderische Tätigkeit zu dem Gegenstand des Streitpatents geführt.
18
Schließlich beruhe der Gegenstand des Streitpatents auch in der Fassung eines der Hilfsanträge nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
19
III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
20
1. Das Patentgericht hat zu Recht angenommen, dass NiK6, die als europäische Patentanmeldung aufgrund ihrer vor dem Prioritätstag erfolgten Anmeldung zum Stand der Technik gehört (Art. 54 Abs. 3 EPÜ), den Gegenstand von Patentanspruch 1 vorwegnimmt.
21
a) NiK6 betrifft eine Verdickungsmittelzubereitung aus einem Urethangruppen aufweisenden, in Wasser dispergierbaren Verdickungsmittel, einem - als Komponente b bezeichneten - nicht-inonischen Emulgator und einer als "c1" benannten Komponente, deren Definition dem Disclaimermerkmal 6.3 in Patentanspruch 1 entspricht. Mit der Erfindung gemäß NiK6 sollte das Problem gelöst werden, eine neue Verdickungsmittelzubereitung auf Polyurethanbasis für wässrige Systeme zu finden, die bei zumindest gleich guter Verdickerwirkung eine deutlich geringere Eigenviskosität aufweist. Die Lösung bestand darin , einem Polyurethanverdicker neben den größtenteils bereits bekannten Emulgatoren eine c1-Komponente beizumischen (NiK6, S. 2 Z. 42 bis 55).
22
Zum Beleg der vorteilhaften Wirkung einer solchen Komponente dokumentiert NiK6 in der nachfolgend eingefügten Tabelle 13 vergleichend Messergebnisse der Viskosität und Verdickerwirkung von Zusammensetzungen gemäß der dortigen Erfindung (Beispiele 44, 45) und Mischungen, denen ein nichtionischer Emulgator und/oder die Komponente c1 fehlt (Vergleichsbeispiele 20, 21, 23, 24) und die deshalb zum Teil (Vergleichsbeispiele 21 und 24) die vom Streitpatent vorgeschlagene stoffliche Zusammensetzung aufweisen:
23
Soweit in dieser Tabelle Spalten für "Komponente A" bzw. "Komponente B" vorgesehen sind, hat das Patentgericht festgestellt, dass der Fachmann darin ein Versehen erkennt und die "Komponente A" für die Vergleichsbeispiele 21 und 24 als "Komponente b" und "Komponente B" als "Komponente c1" interpretiert. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Durchgreifende konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der vom Patentgericht getroffenen Feststellung begründen und eine neue Feststellung gebieten würden (§§ 117 PatG, 529 Abs. 1 ZPO), vermag die Berufung , die insoweit im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten vertiefend wiederholt, nicht aufzuzeigen. Ihre Erklärungsversuche, warum der Fachmann den Schreibfehler nicht erkennen und eine andere Erkenntnis aus der NiK6 gewinnen werde, sind nicht plausibel. In der Beschreibung der NiK6 finden sich keine Definitionen für Komponenten A und B, wohl aber für Komponenten b und c1 usw. (Beschreibung ab S. 2 Zeile 46 ff.). Ohne eine Er- klärung, um was es sich bei "Komponente A" in der NiK6 handelt, müsste der Fachmann die Beispiele 44 und 45 sowie die Vergleichsbeispiele 20 bis 25 als nicht ausführbar oder unklar ansehen, während eine Betrachtung des Dokuments in seiner Gesamtheit ihn zum richtigen Verständnis führt. Die Tabellen darin weisen ganz überwiegend die Komponentenbezeichnungen "b", "c1" usw. auf. Soweit in Tabelle 9 Ethyloxid abweichend davon als "Komponente B" bezeichnet ist, ergibt sich aus den der Tabelle unmittelbar vorangestellten Erläuterungen , dass "c1" gemeint ist. Die Bezeichnung und Zuordnung der Komponenten sowohl in NiK6 selbst als auch in der US-amerikanischen Parallelanmeldung ist somit zwar uneinheitlich, insgesamt ist jedoch die vom Patentgericht gefundene Erklärung allein plausibel.
24
b) Auch hinsichtlich der Feststellung des Patentgerichts, dass es sich bei den in den Vergleichsbeispielen 21 und 24 eingesetzten, auf dem Markt bereits eingeführten Produkten COATEX BR 900 und COATEX BR 910 um trockene, nicht-ionische, wasserlösliche Assoziativverdicker vom Polyurethantyp entsprechend der Merkmalsgruppe 2 handelt, hat die Berufung keine konkreten Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht, die Zweifel an dieser Feststellung des Patentgerichts begründen und neue Feststellungen gebieten könnten.
25
Das Produktblatt für COATEX BR 900 (NiK9a) weist dieses Erzeugnis als einen lösungsmittelfreien, nicht-ionischen und wasserlöslichen Eindicker vom Polyurethantyp aus. Dass es sich bei dem aktiven Wirkstoff der genannten Produkte um ein Verdickerpolymer im Sinne der Merkmalsgruppe 2 handelt, stand in erster Instanz außer Streit und ist von der Klägerin zudem anhand der Anlage NiK27 eingehend erläutert worden. Die Berufung hat dies nicht zu erschüttern vermocht. Dass NiK27 nachveröffentlicht ist, ist unbedenklich, weil damit kein Stand der Technik dokumentiert werden soll, sondern chemische Zusammenhänge, die unverändert bestehen (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 24. Juli 2012 - X ZR 126/09, GRUR 2012, 1130 Rn. 24 f. - Leflunomid).
26
Soweit für COATEX BR 900 ein aktiver Inhalt von mindestens 97 % angegeben wird, haben das schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung weder Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem als Verdickungsmittel angegebenen Polyurethan andere aktive Stoffe beigemischt gewesen sein könnten, noch dass es sich bei dem Rest um etwas anderes als Rückstände der Ausgangssubstanzen und gegebenenfalls Wasser handelt. Soweit die Berufung die Verwendung von Polyurethan mit dem Hinweis auf den deutlich abweichenden Viskositätswert von 29.500 mPas.s/23°C im Vergleichsbeispiel 2 der Tabelle 2 gegenüber dem entsprechenden Wert in den Vergleichsbeispielen 21 und 24 der Tabelle 13 anzweifelt, übersieht sie zum einen, dass die Viskosität in breiten Grenzen variieren kann (vgl. NiK6 S. 5 Z. 25 ff.), und zum anderen, dass bei den Vergleichsbeispielen in Tabelle 2 nicht zwangsläufig ebenfalls mit COATEX BR 900 bzw. 910 gearbeitet worden sein muss.
27
In den Vergleichsbeispielen 21 und 24 in Tabelle 13 wird dem Assoziativverdicker auf Polyurethanbasis lediglich als Komponente b (fälschlich als "Komponente A" bezeichnet) ein mit der nebenstehenden Strukturformel definiertes nichtionisches Tensid sowie Wasser jeweils in Mengen hinzugefügt, die den Merkmalen 3 und 4 entsprechen. Die Vergleichsbeispiele 21 und 24 entsprechen mit den für sie angegebenen Viskositätswerten dem Merkmal 1.2. Mit dem Fehlen einer Komponente gemäß Merkmal 6.3 erfüllen die Vergleichsmerkmale die Disclaimermerkmalsgruppe 6.
28
c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 wird damit zumindest von dem Vergleichsbeispiel 21 der NiK6 neuheitsschädlich vorweggenommen.
29
aa) Dass das Produktblatt NiK9a für eine Verwendung von COATEX BR 900 nur Beimischungen dieses Produkts in Wasser mit einem Gehalt von bis zu 10 % - bei Fehlen weiterer Zusatzstoffe - vorsieht, steht dem nicht entgegen, weil die Verwendung des Produkts in den NiK6 zugrunde liegenden Versuchen nicht an die Herstellerhinweise für eine leichte Handhabung gebunden waren und die dort gezeigten Vergleichsbeispiele 20 und 21 deutlich zeigen, dass es eines Tensids als weiteren Zusatzstoff bedarf, um eine hinreichend niedrige Viskosität zu erreichen.
30
bb) Entgegen der Ansicht der Berufung verstößt es nicht gegen das für die Neuheitsprüfung geltende Gebot des Einzelvergleichs, im Rahmen der Ermittlung des Offenbarungsgehalts von NiK6 die Produktinformationen aus NiK9a zu berücksichtigen. Es ist anerkannt, dass Verweise in Dokumenten wie etwa auf "herkömmliche Verfahren" durch Heranziehen von Nachschlagewerken konkretisiert werden können (Busse/Keukenschrijver, 7. Aufl., § 3 Rn. 83 mN in Fn. 329). Entsprechend verhält es sich hier. Die Bezugnahme auf COATEX BR 900 in NiK6 als auf einen handelsüblichen Polyurethanverdicker deutet darauf hin, dass es sich um ein so marktgängiges Erzeugnis handelt, dass dem Fachmann seine Zusammensetzung ohne Weiteres bekannt ist oder er sich die entsprechenden Produktinformationen ohne Hindernisse beschaffen kann.
31
cc) NiK6 trifft Patentanspruch 1 des Streitpatents entgegen der Auffassung der Berufung insgesamt neuheitsschädlich, obwohl die Vergleichsbeispiele 21 und 24 in NiK6 in Bezug auf die Merkmalsgruppe 2 lediglich ein Polyurethan gemäß COATEX BR 900 bzw. 910 und in Bezug auf die Merkmals- gruppe 4 nur ein nicht-ionisches Tensid offenbaren. Patentschutz kann nur für eine insgesamt neue Erfindung beansprucht werden. Wird ihr Gegenstand im Stand der Technik auch nur mit einer erfassten Ausführungsform vorweggenommen , fehlt es an dieser Voraussetzung (vgl. Benkard/Melullis, PatG, 10. Aufl., § 3 Rn. 12). Andernfalls würde ein Exklusivrecht für schon im Stand der Technik Bekanntes verliehen. Das gilt auch, wenn, wie hier, als Bestandteile einer Stoffzusammensetzung mehrere Stoffe oder Stoffgruppen alternativ beansprucht werden, obwohl einige dieser Stoffe oder Stoffgruppen als Bestandteil einer solchen Zusammensetzung bekannt waren. Dies steht zu der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere zum Offenbarungsgehalt von Strukturformeln (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 - Olanzapin) nicht in Widerspruch. Denn es geht nicht darum, ob mit Polyurethanen auch die anderen in Patentanspruch 1 beanspruchten Verdickerpolymere offenbart sind, sondern, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, darum, dass ein solcher Anspruch nicht in seiner Gesamtheit gewährt werden kann.
32
dd) Für die Vorwegnahme der Merkmalsgruppe 2 reicht es im Übrigen aus, dass COATEX BR 900 - am Prioritätstag - auf dem Markt erhältlich war. Damit war der Fachmann in der Lage, eine der Merkmalsgruppe 2 entsprechende Zusammensetzung herzustellen. Für eine die Neuheit eines Erzeugnisses ausschließende Offenbarung reicht es aus, wenn ein auf dem Markt erhältliches Produkt die Merkmale dieses Erzeugnisses tatsächlich aufweist. Es ist nicht erforderlich, dass der Fachmann die konkreten Eigenschaften des Produkts kannte oder in der Lage war, diese analytisch zu bestimmen und danach das Produkt herzustellen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - Xa ZR 10/07, juris Rn. 48 f.; vom 18. November 2010 - Xa ZR 149/07, GRUR 2011, 129 Rn. 45 - Fentanyl-TTS).
33
2. Patentanspruch 1 ist auch in der Fassung der Hilfsanträge nicht patentfähig. Die in diesen Fassungen beschriebenen Gegenstände beruhen nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Frage der Zulässigkeit der gestellten Hilfsanträge kann daher offen bleiben.
34
a) Im Hilfsantrag I wird Patentanspruch 1 folgendes zusätzliches Merkmal als Ausschlusskriterium hinzugefügt: "7. ausgenommen einer Verdickungsmittelzubereitung bestehend aus einem Gemisch zu 25 Gew.-% COATEX BR 900 oder zu 25 Gew.-% COATEX BR 910 sowie zu 25 Gew.-% eines Stoffes der folgenden Formel: und Wasser im Übrigen."
35
Die in diesem Merkmal als Disclaimer beschriebene Stoffzusammensetzung entspricht den Vergleichsbeispielen 21 und 24 der NiK6.
36
Hilfsantrag II entspricht Hilfsantrag I mit der Abweichung, dass in Merkmal 2.1 die Worte "Polyester, modifizierte Cellulosederivate, Polyesterurethane" fehlen.
37
Hilfsantrag III entspricht Hilfsantrag II mit der Abweichung, dass Merkmal 2.1 nur noch Polyurethane als Auswahl für das Verdickerpolymer vorsieht und Unteranspruch 3 wegfällt.
38
b) Gegen die Zulässigkeit der Hilfsanträge können unter dem Gesichtspunkt des Klarheitsgebots Bedenken bestehen. Ein europäisches Patent kann im Nichtigkeitsverfahren nicht mit Patentansprüchen beschränkt verteidigt werden , die dem Erfordernis einer deutlichen (klaren) Anspruchsfassung nicht genügen (BGH, Urteil vom 18. März 2010 - Xa ZR 54/06, GRUR 2010, 709 - Proxiserversystem). Das schließt ein, dass die beschränkten Ansprüche in sich widerspruchsfrei sind. Ob es daran, unbeschadet der Frage der generellen Zulässigkeit von Disclaimern, bereits deshalb fehlt, weil hier Verdickungsmittelzubereitungen von den Ansprüchen ausgenommen sein sollen, die COATEX BR 900 bzw. 910 enthalten, deren Aktivstoff ein Polyurethan ist (oben III 1 b), Polyurethan gleichzeitig aber als Verdickerpolymer in der Fassung aller Hilfsanträge beansprucht wird und damit unklar sein könnte, was beansprucht wird und was nicht, bedarf im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit keiner abschließenden Entscheidung.
39
c) Jedenfalls war eine den Gegenständen der jeweiligen Patentansprüche 1 aus den Hilfsanträgen I bis III entsprechende Verdickerzusammensetzung dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt.
40
aa) Bereits vor dem Prioritätstag war für das Produkt COAPUR 5035 ein Produktblatt (Anl. NiK10e) der Öffentlichkeit zugänglich. Soweit die Beklagte dessen Vorveröffentlichung erstmals in der Berufungsinstanz bestreitet, ist dies gemäß §§ 117 PatG, 531 Abs. 2 ZPO nicht zu beachten; die Beklagte zeigt aber auch keine tatsächlichen Umstände auf, die Zweifel daran begründen könnten, dass COAPUR 5035 vor dem Prioritätstag tatsächlich vertrieben und mit dem Produktblatt NiK10e beworben worden ist. Dass in einzelnen zu den Akten gereichten Dokumenten von einem COAPUR-Gel die Rede ist, rechtfertigt entgegen der Berufung nicht die Annahme oder den begründeten Verdacht, dass es dieses Erzeugnis als leicht viskose Flüssigkeit gar nicht gegeben hätte.
Das Produktblatt (NiK10e) offenbart, dass es mit COAPUR 5035 ein Produkt auf der Basis eines lösungsmittelfreien, in Wasser löslichen, flüssigen Polyurethanverdickers gab, dessen aktive Stoffe darin einen Anteil von 35 % aufweisen. Die Brookfield-Viskosität wird bei einer Spindeldrehzahl von 100 U/min mit 4.000 cP angegeben (NiK10e S. 1 re. Sp.). Gegen die Feststellung des Patentgerichts , dass sich daraus eine Viskosität von weniger als 15.000 mPa·s entsprechend der Maßeinheit von Merkmal 1.2 ergibt, sind keine konkrete Zweifel begründenden Anhaltspunkte ersichtlich.
41
bb) Aufgrund der in diesem Produktblatt beschriebenen vorteilhaften Eigenschaften, nämlich einer lösungsmittelfreien und gleichwohl entsprechend dem Merkmal 1.2 gießbaren Verdickerzusammensetzung, hatte der Fachmann Anlass, Überlegungen zur Herstellbarkeit eines solchen oder ähnlichen Produkts mit gleichen Eigenschaften anzustellen.
42
Aus dem Produktblatt erfuhr er, dass eine solche Zusammensetzung mit einem Polyurethan zu erzielen war. Ihm war bekannt, dass die bloße Mischung eines für einen Assoziativverdicker geeigneten Polyurethans mit Wasser nicht zu der gewünschten Viskosität führen würde, jedenfalls wenn der aktive Anteil bei 35 % liegt. Da das in NiK10e beschriebene Produkt keine organischen Lösungsmittel enthielt, drängte sich ihm auf, dass ein anderer Zusatzstoff erforderlich ist, um die gewünschte Viskosität zu erzielen. Hierzu war aus NiK12 und dem Aufsatz von Thibeault u.a. "Effect of Surfactants and Cosolvents on the Behavior of Associative Thickeners in Latex Systems" in Adv.Chem.Series 213 (1986) S. 375 (NiK13) bekannt, dass neben organischen Lösungsmitteln auch oberflächenaktive Stoffe entsprechende Auswirkungen auf die assoziativen Bindungen und somit auf die Viskosität eines Verdickers haben. Dem Aufsatz "Hydrophobically modified urethane-ethoxylate (HEUR) associative thickeners" von Huldén in Colloids and Surfaces A, 82 (1994), S. 263 (NiK18) entnahm er entsprechend den Feststellungen des Patentgerichts, die nicht infolge konkreter Anhaltspunkte zweifelhaft erscheinen, dass diese Wirkungen von oberflächenaktiven Stoffen nicht erst im Endprodukt sondern bereits in den dem Endprodukt beigemischten, wässrigen Verdickerzusammensetzungen wirksam werden.
43
Die durch diese neueren Veröffentlichungen in NiK12, 13 und 18 vermittelten Erkenntnisse wurden durch die in der älteren australischen Patentanmeldung 32174/78 (NiK15) mitgeteilten Beobachtungen, die Hinzufügung von oberflächenaktiven Stoffen zu Polyurethan bewirke eine erhebliche Steigerung der Viskosität (S. 5 Abs. 2), aus fachlicher Sicht nicht entscheidend erschüttert. NiK18 beschreibt hierzu klar, dass die Zugabe solcher Stoffe zwar zunächst zu einer Steigerung, nach Überschreiten eines Maximums aber wieder zu einer Senkung der Viskosität führe (NiK18, Zusammenfassung).
44
Auch wenn NiK12 sich, wie die Berufung es darstellt, vorrangig mit dem Endprodukt befasst, womit ausweislich der Titelzeile Farben auf Wasserbasis angesprochen sind, stellt diese Veröffentlichung für den Gegenstand des Streitpatents unmittelbar einschlägiges, dem Fachmann zuzurechnendes Fachwissen dar. Die vom Streitpatent unter Schutz gestellten Zusammensetzungen sind für die Verwendung in wässrigen Systemen vorgesehen, welche nach den weiteren Ausführungen in der Beschreibung u.a. auf Wasser oder Latex basierende Farben und Beschichtungen, Baumaterialien oder Kosmetika einschließen. Aus fachlicher Sicht betreffen die durch einen wissenschaftlichen Beitrag mit diesem Thema vermittelten Erkenntnisse direkt die Weiterentwicklung des Stands der Technik am Prioritätstag. NiK12 spricht im Übrigen auch, worauf bereits das Patentgericht hingewiesen hat, den Umweltaspekt an. Es werden die Vorzüge der verschiedenen oberflächenaktiven Stoffe geschildert und in diesem Zusammenhang wird bemerkt, dass Butylcarbitol als wasserlösliches Hilfslösungsmittel (scil: nur) die beste Auswahl sei, wenn die Konzentrationen unter den gesetzlich festgelegten Höchstwerten gehalten werden können (vgl. NiK12 S. 12).
45
Hiervon ausgehend hatte der Fachmann Anlass, Assoziativverdicker aus der Gruppe der Polyurethane im Wege von Versuchen mit oberflächenaktiven Stoffen in Wasser zu mischen und dabei jeweils Anteile gemäß den Merkmalen 2 bis 4.1 in Betracht zu ziehen. Entsprechend den Feststellungen des Patentgerichts , die auch insoweit nicht durch konkrete Anhaltspunkte infrage stehen , war zu erwarten, mit solchen Versuchen auch zu Zusammensetzungen entsprechend diesen Merkmalen außerhalb der durch die Disclaimer der Hilfsanträge ausgenommenen Stoffe zu gelangen und dabei eine Gießbarkeit, Dispergierbarkeit und Viskosität entsprechend der Merkmalsgruppe 1 zu erzielen, ohne eine Mischung entsprechend den Merkmalen 6 und 7 verwenden zu müssen. Die Entwicklung einer Verdickerzusammensetzung entsprechend dem Gegenstand des Patentsanspruchs 1 in der Fassung eines der Hilfsanträge hatte daher für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt nahegelegen.
46
3. Hinsichtlich der Patentfähigkeit der Unteransprüche sowohl in der Fassung des Hauptantrags als auch in den Fassungen der Hilfsanträge der Beklagten wird auf die zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts verwiesen, gegen die mit der Berufung auch keine durchgreifenden Bedenken erhoben wurden.
47
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Gröning Grabinski Hoffmann Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 20.11.2012 - 3 Ni 20/11 (EP) -

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)