Bundesgerichtshof Urteil, 13. Feb. 2007 - VI ZR 105/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger macht restliche Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall vom 4. Juli 2003 geltend. Die volle Haftung der Beklagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit.
- 2
- Der Kläger mietete von Samstag, dem 5. Juli 2003 bis zum 19. Juli 2003 bei der Autovermietung S. ein Ersatzfahrzeug zu einem Mietpreis von 2.732,69 € an. Unter Anrechnung von 10 % ersparter Eigenaufwendungen er- stattete die Beklagte 513 €. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger den Differenzbetrag.
- 3
- Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.946,42 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger von der Beklagten die nach dem "Unfallersatztarif" entstandenen Mietwagenkosten ersetzt verlangen.
- 5
- Der Kläger könne zur betriebswirtschaftlichen Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs keinen Beweis anbieten, weil es ihm nicht möglich sei, einen Kostenvorschuss zu erbringen. Da der Kläger beweisfällig bleiben müsse, weil er als wirtschaftlich Schwächerer nicht in der Lage sei, die hohen Sachverständigenkosten zu verauslagen, teile die Kammer nicht die Auffassung des Bundesgerichtshofs , dass es insoweit an der Schlüssigkeit seines Vorbringens fehle.
- 6
- Demzufolge sei in einem zweiten Prüfungsschritt abzuklären, ob dem Geschädigten ein wesentlich günstigerer Normaltarif ohne weiteres zugänglich gewesen sei. Diesbezüglich habe der Kläger den Nachweis geführt, dass einem Unfallgeschädigten ein anderer Tarif als der Unfallersatztarif überhaupt nicht zugänglich sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen B. sei nämlich der Unfallersatztarif, der generell höher sei als der Normaltarif, in der konkreten Unfallsituation der Tarif, der einem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall vom Mietwagenunternehmen angeboten werde.
II.
- 7
- Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 8
- 1. Zutreffend ist allerdings der Ansatz des Berufungsgerichts, dass der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand Ersatz der objektiv erforderlichen Mietwagenkosten verlangen kann. Das Berufungsgericht hat auch die Grundsätze weitgehend zutreffend wiedergegeben, die der erkennende Senat zur Erstattungsfähigkeit so genannter Unfallersatztarife entwickelt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 160, 377, 383 f.; 163, 19, 22 f.; vom 26. Oktober 2004 - VI ZR 300/03 - VersR 2005, 241, 242; vom 15. Februar 2005 - VI ZR 160/04 - VersR 2005, 569 f. und - VI ZR 74/04 - VersR 2005, 568 f.).
- 9
- 2. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht von einer Klärung der Erforderlichkeit des der Klageforderung zugrunde liegenden Unfallersatztarifs abgesehen hat, steht jedoch nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats.
- 10
- a) Wie der Senat inzwischen mehrfach dargelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - VersR 2006, 133; vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 - VersR 2006, 669, 670 und - VI ZR 32/05 - VersR 2006, 564, 565; vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 - VersR 2006, 986, 987; vom 13. Juni 2006 - VI ZR 161/05 - VersR 2006, 1273, 1274 und vom 4. Juli 2006 - VI ZR 237/05 - VersR 2006, 1425, 1426), ist es nicht erforderlich, dass der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO besonders freigestellte Tatrichter für die Prüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines "Unfallersatztarifs" die Kalkulation des konkreten Unternehmens - gegebenenfalls nach Beratung durch einen Sachverständigen - in jedem Einzelfall nachvollzieht. Vielmehr kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte bei Unternehmen dieser Art aus betriebswirtschaftlicher Sicht allgemein einen Aufschlag rechtfertigen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in Betracht kommt (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05; vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05; vom 13. Juni 2006 - VI ZR 161/05 -, jeweils aaO). Jedenfalls ist "Normaltarif" nicht der Tarif, der dem Unfallgeschädigten in seiner besonderen Situation angeboten wird, sondern derjenige, der dem Selbstzahler normalerweise angeboten und der unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gebildet wird (vgl. Senatsurteile BGHZ 160, 377, 385; 163, 19, 23). Diesen "Normaltarif" kann der Tatrichter in Ausübung seines Ermessens nach § 287 ZPO auch auf der Grundlage des gewichteten Mittels des "Schwacke-Mietpreisspiegels" im Postleitzahlengebiet des Geschädigten - gegebenenfalls mit sachverständiger Beratung - ermitteln (vgl. Senatsurteil vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 - aaO).
- 11
- Nach diesen Grundsätzen trifft die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu, der Kläger könne keinen Beweis zur Frage der betriebswirtschaftlichen Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs anbieten. Der Geschädigte muss nämlich zur Schlüssigkeit seines Vorbringens keineswegs die konkrete betriebswirtschaftliche Kalkulation des Mietwagenunternehmens darlegen, wie dies offenbar das Berufungsgericht meint. Zudem entstehen bei der vom Senat geforderten Prüfung in Verbindung mit der Möglichkeit einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO keine so außergewöhnliche Kosten für ein gegebenenfalls zu erstellendes Sachverständigengutachten, dass eine besondere Situation gegenüber anderen Verfahren vorläge, in denen eine Partei einen Kostenvorschuss hin- sichtlich des von ihr angebotenen Beweises erbringen muss. Da das Berufungsgericht wegen der Weigerung des Klägers, einen Prozesskostenvorschuss zu zahlen, eine Prüfung der Erforderlichkeit des berechneten Unfallersatztarifs nicht vorgenommen hat, ist mithin revisionsrechtlich davon auszugehen, dass der Unfallersatztarif nicht erforderlich gewesen ist.
- 12
- b) Im Streitfall konnte die Frage der Erforderlichkeit nach den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch nicht offen bleiben.
- 13
- Zwar bedarf die Erforderlichkeit des den "Normaltarif" übersteigenden Unfallersatztarifs im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung dann keiner Klärung, wenn der Geschädigte darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis - und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage - kein wesentlich günstigerer "(Normal-)Tarif" zugänglich war (vgl. Senatsurteile BGHZ 163, 19, 24 f.; vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 - aaO, 671; vom 13. Juni 2006 - VI ZR 161/05 - aaO, 1274 und vom 23. Januar 2007 - VI ZR 243/05 - sowie - VI ZR 18/06 -, jeweils z.V.b). Das Berufungsgericht hat hier aber keine konkreten Umstände des Einzelfalles festgestellt, aufgrund derer es eine solche Zugänglichkeit ohne Rechtsfehler verneinen durfte.
- 14
- Die vom Berufungsgericht allein gegebene Begründung, der Unfallersatztarif sei in der konkreten Unfallsituation der Tarif, der einem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall vom Mietwagenunternehmen angeboten werde, reicht hierfür nicht aus. Diese Begründung beachtet nicht, dass gerade dieser Umstand zur neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum "Unfallersatztarif" geführt hat, weil sich nach Unfällen ein besonderer Tarif für Ersatzmietwa- gen entwickelt hat, der nicht mehr maßgeblich von Angebot und Nachfrage bestimmt wird (vgl. Senatsurteile BGHZ 160, 377, 383 f.; 163, 19, 22 f.). Über die Frage der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 BGB wird dadurch nichts ausgesagt. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof nach Verkündung des Berufungsurteils entschieden, dass es grundsätzlich nicht für die Annahme ausreicht, dem Geschädigten sei kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen, wenn ein Mietwagenunternehmen dem Geschädigten nur einen Tarif angeboten hat (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 161/05 - aaO). Ebenso kann nicht allein aus dem Umstand, dass dem Kläger bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs unter Offenlegung der Unfallsituation von einem Mietwagenunternehmen im Bereich der Stadt W. zunächst ausschließlich der Unfallersatztarif angeboten worden wäre, der Schluss gezogen werden, dem Kläger wäre bei entsprechender Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 2007 - VI ZR 99/06 - z.V.b.).
- 15
- Da nach dem Vorbringen der Beklagten der angebotene Tarif erheblich über den in der so genannten "Schwacke-Liste" aufgezeigten durchschnittlichen örtlichen Normaltarifen lag und selbst die Autovermietung S. über verschiedene Preislisten für den Unfallersatztarif und den Normaltarif verfügte, musste ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter grundsätzlich Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben. Das Berufungsgericht hätte deshalb konkrete Umstände des Einzelfalls aufzeigen müssen, die ausnahmsweise die Prüfung der Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs entbehrlich machten. Die danach erforderlichen Feststellungen hat es nicht getroffen.
III.
- 16
- Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird zu klären haben, ob dem Kläger unter den konkreten Umständen kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war. Bei Nichterweislichkeit des fehlenden Zugangs zu einem günstigeren Tarif wird es unter Beachtung der vom Senat entwickelten Grundsätze zu prüfen haben, ob der geltend gemachte "Unfallersatztarif" wegen unfallbedingter Mehrkosten seiner Struktur nach als "erforderlicher" Aufwand zur Schadensbeseitigung angesehen werden kann. Müller Greiner Diederichsen Stöhr Zoll
AG Würzburg, Entscheidung vom 29.06.2005 - 12 C 3746/04 -
LG Würzburg, Entscheidung vom 12.04.2006 - 43 S 2352/05 -
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.