Bundesgerichtshof Urteil, 19. Juni 2009 - V ZR 231/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerinnen zu 1 und 2 sind Miteigentümerinnen zu je ½ des im Grundstück von S. Blatt 1421 eingetragenen Grundstücks Flurstück 2494/3, S str. 52b, und des angrenzenden, im Grundbuch von O. Blatt 70931 eingetragenen Grundstücks Flurstück 1413/6. Die Klägerin zu 3 ist Eigentümerin des im Grundbuch von O. Blatt 70927 eingetragenen Grundstücks Flurstück 1413/18, D höhe 15.
- 2
- Die Beklagten sind Eigentümer des im Grundbuch von S. Blatt 2232 eingetragenen Grundstücks Flurstück 2494/16. An der Nordseite ihres Grundstücks verläuft ein Weg. Die Klägerinnen behaupten, sie oder ihre Rechtsvorgänger hätten bei Ablauf des 2. Oktober 1990 den Weg auf dem Grundstück der Beklagten als Zugang und Zufahrt zu ihren Grundstücken ge- nutzt. Hierauf seien sie angewiesen; ein Mitbenutzungsrecht sei nicht vereinbart. Mit der Klage verlangen sie von den Beklagten die Bewilligung der Eintragung eines Geh- und Fahrtrechts zu Lasten deren Grundstücks für die jeweiligen Eigentümer ihrer Grundstücke in das Grundbuch.
- 3
- Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen richtet sich die von dem Landgericht zugelassene Revision , mit der die Klägerinnen zu 1 bis 3 die Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts erstreben.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Das Berufungsgericht verneint die geltend gemachten Ansprüche. Es meint, § 116 Abs. 1 SachenRBerG gewähre einen Anspruch auf Bestellung einer Dienstbarkeit nur, wenn die Nutzung des in Anspruch genommenen fremden Grundstücks nach der Verwaltungspraxis der DDR oder den DDRtypischen Gegebenheiten gesichert gewesen sei. Voraussetzung hierfür sei eine "gezielte Legitimierung" der Inanspruchnahme fremden Eigentums durch die Behörden der DDR. Die von diesen zur Bebauung der über den Weg auf dem Grundstück der Beklagten erschlossenen weiteren Grundstücke im Bereich der S straße/D höhe erteilten Genehmigungen reichten zur Feststellung dieser Voraussetzung nicht aus, weil in den Genehmigungen ausdrücklich oder erkennbar darauf hingewiesen worden sei, dass die Zuwegung über Privateigentum führe und damit von einer Einigung mit den Eigentümern des Wegegrundstücks abhänge.
II.
- 5
- Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 6
- 1. § 116 Abs. 1 SachenRBerG gewährt einen Anspruch auf Bestellung einer Grunddienstbarkeit an einem fremden Grundstück, sofern dieses vor Ablauf des 2. Oktober 1990 genutzt worden ist, diese Nutzung zur Erschließung oder Entsorgung des eigenen Grundstücks oder eines Bauwerks auf diesem erforderlich ist und ein Mitbenutzungsrecht nach §§ 321, 322 ZGB nicht begründet worden ist. Dies behaupten die Klägerinnen.
- 7
- Einer "gezielten Legitimierung" der Mitbenutzung durch die Behörden der DDR als weiterer Anspruchsvoraussetzung bedarf es nicht. Der Senat hat dem Sinn der gesetzlichen Regelung von § 116 Abs. 1 SachenRBerG entnommen, dass eine unrechtmäßige Mitbenutzung, die zu Zeiten der DDR keinen zumindest faktischen Schutz genossen hat, nicht geeignet ist, einen Anspruch auf Bestellung einer Dienstbarkeit zu begründen (Senat, Urt. v. 9. Mai 2003, V ZR 388/02, VIZ 2003, 385, 386; Urt. v. 22. Oktober 2004, V ZR 70/04, ZOV 2005, 29, ferner Urt. v. 14. Januar 2005, V ZR 139/04, NJW-RR 2005, 666, 667). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Mitbenutzung eines fremden Grundstücks nur dann als rechtmäßig angesehen wurde und faktischen Schutz genossen hätte, wenn sie von den Behörden der DDR ausdrücklich angeordnet oder gestattet worden ist. Das ist vielmehr auch dann der Fall, wenn die Einräumung eines Mitbenutzungsrechts nach dem Zivilgesetzbuch beansprucht werden konnte und die praktizierte Nutzung tatsächlich nicht bestritten wurde.
- 8
- § 116 Abs. 1 Nr. 3 SachenRBerG nimmt auf das Zivilgesetzbuch der DDR Bezug. Ein Anspruch auf Bestellung einer Dienstbarkeit besteht nicht, soweit die Inanspruchnahme eines fremden Grundstücks durch ein Mitbenutzungsrecht nach §§ 321, 322 ZGB bei Ablauf des 2. Oktober 1990 gesichert war. Grund hierfür ist, dass es in diesem Fall einer Sicherung der weiteren Mitbenutzung durch die Bestellung einer Dienstbarkeit nicht bedarf, weil die Mitbenutzungsrechte aus §§ 321, 322 ZGB durch Art. 233 § 5 Abs. 1 EGBGB über den 2. Oktober 1990 hinaus als Rechte an dem mitbenutzten Grundstück aufrechterhalten worden sind und als solche nach Maßgabe von Art. 233 § 5 Abs. 3, 4 EGBGB in das Grundbuch eingetragen werden können oder konnten (Senat, BGHZ 144, 25, 27).
- 9
- Ein dauerndes Wege- und Überfahrtsrecht konnte nach dem Recht der DDR in das Grundbuch eingetragen und so verdinglicht werden, § 322 Abs. 1, 2 ZGB. Soweit ein solches Recht nicht in das Grundbuch eingetragen wurde und damit nur schuldrechtlich wirkte, bedurfte es zu seiner Begründung einer schriftlichen Vereinbarung zwischen den Nutzungsberechtigten der beteiligten Grundstücke und der Zustimmung des Eigentümers des in Anspruch genommenen Grundstücks, § 321 Abs. 1 ZGB.
- 10
- Dies ist indessen häufig unterblieben; die dauernde Mitbenutzung ist nur mündlich vereinbart, gestattet oder praktiziert worden. Das findet seinen Grund darin, dass für den Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung der Mitbenutzung kein nachhaltiger Anlass bestand, weil § 321 Abs. 2 ZGB einen Anspruch auf die Vereinbarung eines Rechts zur dauernden Mitbenutzung gegen den Nutzer des in Anspruch genommenen Grundstücks und dessen Eigentümer gewährte, "wenn das im Interesse der ordnungsgemäßen Nutzung benachbarter Grundstücke erforderlich" war. Damit bedurfte es nach dem Zivilgesetzbuch einerseits keiner Regelung des Mitbenutzungsrechts. Andererseits wurden Sachverhalte aufgewertet, in denen ein solches Recht nicht bestand und eine vertragliche Regelung der praktizierten Nutzung vor dem Inkrafttreten des ZGB unterblieben war oder nicht mehr galt. Solange der Eigentümer des in Anspruch genommenen Grundstücks der Mitbenutzung nicht entgegentrat, fehlte es für den Nutzer an einem Grund, seinen Anspruch auf Begründung eines Mitbenutzungsrechts geltend zu machen. Der Frage nach einer Duldungspflicht des Rechtsnachfolgers in das Eigentum an dem "dienenden" Grundstück kam ebenso wenig Bedeutung zu wie der Frage nach der Wirkung der praktizierten Nutzung für einen Rechtsnachfolger in das Eigentum an dem "herrschenden" Grundstück. Der Anspruch auf Vereinbarung eines Nutzungsrechts konnte von dem jeweiligen Nutzer des "herrschenden" Grundstücks gegen den jeweiligen Nutzer und den jeweiligen Eigentümer des in Anspruch genommenen Grundstücks erhoben und durchgesetzt werden.
- 11
- Wurden von dem Nutzer oder dem Eigentümer des "dienenden" Grundstücks gegen dessen Inanspruchnahme durch die Nutzer des "herrschenden" Grundstücks keine Einwendungen erhoben, war die Mitbenutzung nach der Rechtswirklichkeit der DDR faktisch gesichert, sofern die Mitbenutzung im Interesse der "ordnungsgemäßen" Nutzung des "herrschenden" Grundstücks erforderlich war. Hierzu reicht es aus, dass die zur Errichtung eines Bauwerks auf diesem notwendige Genehmigung erteilt worden ist. Einer weitergehenden "gezielten Legitimierung" der Mitbenutzung bedurfte es nicht.
- 12
- 2. a) Die Flurstücke 2494/3 und 1413/18 sind vor dem Zweiten Weltkrieg mit Wohnhäusern bebaut worden. Die Bebauung beider Grundstücke ist genehmigt worden. Die Nutzung der Gebäude bzw. Grundstücke zu Wohnzwecken war mithin "ordnungsgemäß" im Sinne von § 321 Abs. 2 ZGB. Ist hierzu der Weg auf dem Grundstück der Beklagten in Anspruch genommen worden, sind hiergegen von den Beklagten oder ihren Rechtsvorgängern bis zum Ablauf des 2. Oktober 1990 keine Einwendungen erhoben worden, und war die Mitbenutzung ihres Grundstücks zu der genehmigten Nutzung der Grundstücke der Klägerinnen erforderlich, war die Nutzung des Grundstücks der Beklagten als Zugang zu den Grundstücken der Klägerinnen bis zum 3. Oktober 1990 faktisch gesichert.
- 13
- Ob es sich so verhält, ob der Weg auf dem Grundstück der Beklagten die von den Klägerinnen behauptete Weite hat und ob die Klägerinnen die Beklagten für die Belastung ihres Grundstücks mit der verlangten Dienstbarkeit gemäß § 118 SachenRBerG zu entschädigen haben, hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht festgestellt. Dies ist nachzuholen.
- 14
- b) Entsprechend verhält es sich mit dem Flurstück 1413/6. Auf diesem Grundstück hat der damalige Nutzer des Grundstücks D höhe 6, K. H. , nach den Feststellungen des Berufungsgerichts 1974 eine Garage errichtet. Der Bau der Garage ist genehmigt worden. Ist die Garage mit Zustimmung der Grundstückseigentümer errichtet worden und wurde sie bei Ablauf des 2. Oktober 1990 noch genutzt, war dies im Sinne von § 321 Abs. 2 ZGB "ordnungsgemäß" und kann zu dem von den Klägerinnen zu 1 und 2 geltend gemachten Anspruch führen. Dass der Rat der Stadt S. im Rahmen des Genehmigungsverfahrens darauf hingewiesen hat, dass die Zufahrt über Privateigentum führt, und K. H. gebeten hat, die Zustimmung hierzu von den Eigentümern des bzw. der in Anspruch zu nehmenden Grundstücke einzuholen (GA II, 347), entsprach der Rechtslage. Der Hinweis schränkt weder die Genehmigung ein, noch führt er dazu, dass die von K. H. erstrebte Nutzung des Grundstücks bei Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs der DDR nicht "ordnungsgemäß" gewesen wäre.
III.
- 15
- Das Berufungsurteil gibt im Übrigen Anlass, darauf hinzuweisen, dass - unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits - eine gesamtschuldnerische Belastung einer der Parteien mit den Kosten des Verfahrens nicht in Betracht kommt, § 100 Abs. 1, 4 ZPO. Krüger Klein Lemke Schmidt-Räntsch Roth
AG Sonneberg, Entscheidung vom 30.10.2007 - 4 C 1041/00 -
LG Meiningen, Entscheidung vom 23.10.2008 - 4 S 299/07 -
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Derjenige, der ein Grundstück in einzelnen Beziehungen nutzt oder auf diesem Grundstück eine Anlage unterhält (Mitbenutzer), kann von dem Eigentümer die Bestellung einer Grunddienstbarkeit oder einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit verlangen, wenn
- 1.
die Nutzung vor Ablauf des 2. Oktober 1990 begründet wurde, - 2.
die Nutzung des Grundstücks für die Erschließung oder Entsorgung eines eigenen Grundstücks oder Bauwerks erforderlich ist und - 3.
ein Mitbenutzungsrecht nach den §§ 321 und 322 des Zivilgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik nicht begründet wurde.
(2) Zugunsten derjenigen, die durch ein nach Ablauf des 31. Dezember 2000 abgeschlossenes Rechtsgeschäft gutgläubig Rechte an Grundstücken erwerben, ist § 111 entsprechend anzuwenden. Die Eintragung eines Vermerks über die Klageerhebung erfolgt entsprechend § 113 Abs. 3.
(1) Der Eigentümer des belasteten Grundstücks kann die Zustimmung zur Bestellung einer Dienstbarkeit von der Zahlung eines einmaligen oder eines in wiederkehrenden Leistungen zu zahlenden Entgelts (Rente) abhängig machen. Es kann ein Entgelt gefordert werden
- 1.
bis zur Hälfte der Höhe, wie sie für die Begründung solcher Belastungen üblich ist, wenn die Inanspruchnahme des Grundstücks auf den von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften bewirtschafteten Flächen bis zum Ablauf des 30. Juni 1990, in allen anderen Fällen bis zum Ablauf des 2. Oktober 1990 begründet wurde und das Mitbenutzungsrecht in der bisherigen Weise ausgeübt wird, oder - 2.
in Höhe des üblichen Entgelts, wenn die Nutzung des herrschenden Grundstücks und die Mitbenutzung des belasteten Grundstücks nach den in Nummer 1 genannten Zeitpunkten geändert wurde.
(2) Das in Absatz 1 bestimmte Entgelt steht dem Eigentümer nicht zu, wenn
(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.
(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.
(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.