Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2011 - V ZR 2/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien bilden die im Rubrum näher bezeichnete Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Wohnungseigentumsanlage besteht zumindest aus 97 Eigentumswohnungen und einer Teileigentumseinheit. § 6 Abs. 4 der Teilungserklärung (TE) lautet: "Die Instandhaltung und Instandsetzung der Wohnungsabschlusstüren, der Außenfenster und anderer Teile des Gebäudes, die für dessen Bestand erforderlich sind, sowie von Anlagen und Einrichtungen, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, obliegt, auch wenn sie sich im Bereich der dem Sondereigentum unterliegenden Räume befinden, dem Wohnungs- bzw. Teileigentümer insoweit, als sie infolge unsachgemäßer Behandlung durch den Eigentümer, seinen Angehörigen oder Personen , denen er die Wohnung oder einzelne Räume überlassen hat, notwendig werden."
- 2
- Nach § 12 Abs. 1 TE gehören zu den Betriebskosten u.a. die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung, soweit diese gemäß § 6 TE den Wohnungseigentümern obliegen. § 12 Abs. 2 TE lautet auszugsweise: "Soweit nicht in dieser Teilungserklärung etwas anderes bestimmt ist, bemißt sich der auf jeden Wohnungs- und Teileigentümer entfallende Anteil an den im vorstehenden Absatz bezeichneten Kosten nach dem Verhältnis der im Grundbuch einzutragenden Miteigentumsanteile … Die Eigentümer können mit 2/3 Mehrheit einen anderen Kostenverteilungsschlüssel beschließen."
- 3
- In der Praxis nahmen die Wohnungseigentümer den Austausch der Außenfenster in eigener Regie und auf eigene Kosten vor. Die zur Legitimierung dieses Vorgehens auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 21. Mai 2003 zu dem Tagesordnungspunkt (TOP) 10 beschlossene Regelung wurde jedoch rechtskräftig für ungültig erklärt.
- 4
- Auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 15. Mai 2008 fassten die Wohnungseigentümer zu TOP 9 "in Ausübung der Öffnungsklausel gemäß § 12 Abs. 2 der Teilungserklärung" folgenden Beschluss: "Mit sofortiger Wirkung (ab heute) werden die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung der Außenfenster und Balkontüren der Wohnungen von demjenigen Eigentümer getragen, der Eigentümer der jeweiligen Wohnung ist, zu dem die Fenster und Balkontüren gehören … Die vorstehende Regelung ist nur eine Kostentragungsregelung. Die Zuständigkeit für die Instandhaltungsmaßnahme selbst, deren Durchführung und Umsetzung sowie Entscheidung über die Durchsetzung verbleibt bei der Wohnungseigentümergemeinschaft."
- 5
- In dem Beschluss heißt es ferner, der sachliche Grund für die Änderung der Kostenverteilung liege darin, dass die Fensterelemente dem unmittelbaren Zugriff und dem Gebrauch des jeweiligen Wohnungseigentümers bzw. Wohnungsnutzers unterlägen. In der Vergangenheit sei die Kostenverteilung ebenfalls so gehandhabt worden, so dass durch die jetzige Beschlussfassung Konti- nuität sichergestellt werde. Der Beschluss wurde mit 49 Ja- und 3-Neinstimmen bei 1 Enthaltung gefasst.
- 6
- Die gegen diesen Beschluss erhobene Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. Das Landgericht hat den Beschluss für ungültig erklärt. Mit der zugelassenen Revision möchten die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Der Kläger ist nach Einlegung dieses Rechtsmittels verstorben. Seine Erben, die nunmehrigen Kläger, beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I.
- 7
- Das Berufungsgericht meint, es könne offen bleiben, ob der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden sei. Er sei jedenfalls deshalb für ungültig zu erklären, weil für die Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels kein sachlicher Grund bestanden habe. Ein solcher könne nicht in der Sanktionierung einer der Teilungserklärung entgegenstehenden Handhabung gesehen werden. Auch im Übrigen sei kein sachlicher Grund ersichtlich. Nach wie vor beschließe die Wohnungseigentümergemeinschaft über den Austausch der Fenster, und zwar auch dann, wenn es um die Herbeiführung einer besseren Wärmedämmung oder einer einheitlichen Fassadengestaltung gehe. Dies zeige , dass der für die Regelung ins Feld geführte Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit der Sondereigentümer für den Erhaltungszustand nicht tragfähig sei.
II.
- 8
- Der Revision bleibt der Erfolg versagt. Das Berufungsgericht hat den angefochtenen Beschluss jedenfalls im Ergebnis zu Recht für ungültig erklärt.
- 9
- 1. Allerdings erscheint es zumindest zweifelhaft, ob die hierfür gegebene Begründung einer rechtlichen Überprüfung standhält.
- 10
- a) Die Novellierung des Wohnungseigentumsrechts hat dazu geführt, dass den Wohnungseigentümern nunmehr bei der Änderung oder der Durchbrechung von Umlageschlüsseln aufgrund ihres Selbstorganisationsrechts ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt ist. Das gilt auch für die Verteilung von Instandsetzungskosten, bei der den Wohnungseigentümern ebenfalls ein nur eingeschränkt überprüfbares Gestaltungsermessen zusteht (Senat, Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 164/09, Rn. 13, zu § 16 Abs. 4 WEG).
- 11
- b) Soweit das Berufungsgericht auf das Erfordernis eines sachlichen Grundes abhebt, ist zwar den Materialien zu entnehmen, dass die Änderung von Umlageschlüsseln an dieses Kriterium geknüpft sein soll (BT-Drucks. 16/887 S. 23 zu § 16 Abs. 3 WEG); auch der Bundesgerichtshof hat zum früheren Recht die Änderung eines Umlageschlüssels aufgrund einer vereinbarten Öffnungsklausel davon abhängig gemacht, dass sachliche Gründe vorliegen (Urteil vom 27. Juni 1985 - VII ZB 21/84, BGHZ 95, 137, 143). Er hat jedoch bereits entschieden, dass dies unter der Geltung des jetzigen Rechts nur noch bedeutet, dass sowohl das "Ob" als auch das "Wie" der Änderung nicht willkürlich sein dürfen und dass es sich hierbei um einen rechtlichen Gesichtspunkt handelt, der bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen ist, ob die beschlossene Änderung den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht (Urteil vom 1. April 2011 - V ZR 162/10, juris Rn. 8 f.). Da die gesetzlichen Öffnungsklauseln nach § 16 Abs. 3 und 4 WEG auch bei der Änderung von Verteilungsschlüsseln anwendbar sind, die vor dem Inkrafttreten der genannten Regelungen getroffen worden sind (§ 16 Abs. 5 WEG; vgl. auch Senat, Urteil vom 9. Juli 2010 - V ZR 202/09, NJW 2010, 2654; Urteil vom 16. Juli 2010 - V ZR 221/09, NJW 2010, 3298), strahlt die von dem Gesetzgeber intendierte Erweiterung des Gestaltungsspielraums auch auf Öffnungsklauseln aus, die unter der Geltung des früheren Rechts vereinbart oder in eine Teilungserklärung aufgenommen worden sind. Das hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Auch hat es nicht in den Blick genommen, dass die Neuregelung die unpraktikable Abgrenzung und den vielfach problematischen Nachweis vermeidet, ob Instandhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen "infolge unsachgemäßer Behandlung" erforderlich geworden sind (§ 12 Abs. 1 TE). Letztlich braucht jedoch die Frage, ob sich die Neuregelung innerhalb des eingeräumten Gestaltungsspielraumes hält, nicht entschieden zu werden, weil die für eine Abänderung des Schlüssels notwendige Mehrheit nicht erreicht worden ist.
- 12
- 2. § 12 Abs. 2 TE setzt für die Änderung eine 2/3-Mehrheit voraus. Da der Bezugspunkt der qualifizierten Mehrheit nicht konkretisiert wird, ist die Klausel vor dem Hintergrund der mit baulichen Veränderungen typischerweise einhergehenden erheblichen finanziellen Folgen nächstliegend dahin auszulegen, dass die Abänderung eine 2/3-Mehrheit aller und nicht nur der in der Versammlung anwesenden Wohnungseigentümer erfordert (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 2011 - V ZR 162/10, aaO). Dieses Quorum ist hier schon deshalb nicht erreicht, weil der Änderung nur 49 Wohnungseigentümer zugestimmt haben, die Wohnungseigentümergemeinschaft aber aus zumindest 97 Eigentumswohnungen und einer Teileigentumseinheit besteht.
- 13
- 3. Auch unter dem Blickwinkel der Regelung des § 16 Abs. 4 WEG kann die beschlossene Änderung keinen Bestand haben, weil sie nicht lediglich einen Einzelfall betrifft.
III.
- 14
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 15.05.2009 - 215 C 36/08 -
LG Köln, Entscheidung vom 15.10.2009 - 29 S 102/09 -
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Annotations
(1) Das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander und zur Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bestimmt sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes und, soweit dieses Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Gemeinschaft. Die Wohnungseigentümer können von den Vorschriften dieses Gesetzes abweichende Vereinbarungen treffen, soweit nicht etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist.
(2) Jeder Wohnungseigentümer kann eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung oder die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.
(3) Vereinbarungen, durch die die Wohnungseigentümer ihr Verhältnis untereinander in Ergänzung oder Abweichung von Vorschriften dieses Gesetzes regeln, die Abänderung oder Aufhebung solcher Vereinbarungen sowie Beschlüsse, die aufgrund einer Vereinbarung gefasst werden, wirken gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nur, wenn sie als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen sind. Im Übrigen bedürfen Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nicht der Eintragung in das Grundbuch.
(1) Jedem Wohnungseigentümer gebührt ein seinem Anteil entsprechender Bruchteil der Früchte des gemeinschaftlichen Eigentums und des Gemeinschaftsvermögens. Der Anteil bestimmt sich nach dem gemäß § 47 der Grundbuchordnung im Grundbuch eingetragenen Verhältnis der Miteigentumsanteile. Jeder Wohnungseigentümer ist zum Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums nach Maßgabe des § 14 berechtigt.
(2) Die Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, insbesondere der Verwaltung und des gemeinschaftlichen Gebrauchs des gemeinschaftlichen Eigentums, hat jeder Wohnungseigentümer nach dem Verhältnis seines Anteils (Absatz 1 Satz 2) zu tragen. Die Wohnungseigentümer können für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine von Satz 1 oder von einer Vereinbarung abweichende Verteilung beschließen.
(3) Für die Kosten und Nutzungen bei baulichen Veränderungen gilt § 21.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)