Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2008 - V ZR 11/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien sind Brüder. Sie stammen aus Italien, leben aber seit langem in Deutschland. Im Jahre 1974 wurde ihnen von ihrem mittlerweile verstorbenen Vater ein auf Sardinien belegenes Grundstück übertragen. Nach der „Überlassungsurkunde“ vom 2. Oktober 1974 sollten die Parteien das Grundstück teilen und darauf Gebäude errichten. In der Folgezeit wurde das Grundstück vermessen und katastermäßig zugeordnet.
- 2
- Im Jahre 2006 mauerte der Beklagte ohne Absprache mit dem Kläger eine als Durchfahrt genutzte Öffnung in der beide Einfahrten abtrennenden Mauer zu. Darüber hinaus ließ er die Mauer von 60 cm auf 2 Meter erhöhen. An die Stelle einer von dem Kläger abgerissenen Mauer, die beide Grundstücksteile trennte, ließ er eine neue, etwa 20 Meter lange und 2 Meter hohe Mauer errichten. Der Kläger verlangt die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Er hält die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für gegeben, weil die Klageforderung auf einen Schadensersatzanspruch aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis und damit nicht auf ein dingliches Recht im Sinne von § 22 Nr.1 EuGVVO gestützt werde.
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- Das Amtsgericht hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit (als unzulässig) abgewiesen. Demgegenüber hat das Landgericht die internationale Zuständigkeit bejaht. Es hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache auf Antrag des Beklagten an das Amtsgericht zurückverwiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
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- Das Berufungsgericht hält den für dingliche Ansprüche an unbeweglichen Sachen angeordneten ausschließlichen Gerichtsstand des Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVVO für nicht einschlägig. Schadensersatz- und Beseitigungsansprüche fielen hierunter nicht. Nach deutschem Recht sei zwar auch für Ansprüche aus § 1004 BGB der dingliche Gerichtsstand des § 24 ZPO eröffnet. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) lasse sich dies jedoch nicht auf die Regelung des Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVVO übertragen, die autonom und als Ausnahmevorschrift eng auszulegen sei. Die dingliche Rechtslage sei vorliegend lediglich als Vorfrage zu erörtern, was nach den Vorgaben des EuGH nicht ausreichend sei.
II.
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- Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit zu Recht bejaht.
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- 1. § 545 Abs. 2 ZPO steht der Prüfung der internationalen Zuständigkeit nicht entgegen. Regelungsgegenstand der Vorschrift ist lediglich die innerstaatliche (erstinstanzliche) Zuständigkeit (BGHZ 153, 82, 84 ff.; BGH, Urt. v. 27. Mai 2003, IX ZR 203/02, WM 2003, 1542, 1543; Urt. v. 16. Dezember 2003, XI ZR 474/02, NJW 2004, 1456 f.; Beschl. v. 5. März 2007, II ZR 287/05, NJW-RR 2007, 1509, 1510).
- 7
- 2. Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Das führt nach Art. 2 EuGVVO zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Allerdings wird die grundsätzliche Anknüpfung an den Staat des Wohnsitzes aufgelockert durch Regelungen, die dem Kläger nach seiner Wahl einen zusätzlichen Gerichtsstand einräumen, und durchbrochen durch Gerichtsstände , die einem Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des Art. 2 EuGVVO entgegen stehen. Während etwa Art. 5 Nr. 3 EuGVVO dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, Ansprüche aus einer unerlaubten (oder aus einer dieser gleichgestellten) Handlung auch am Ort des schädigenden Ereignisses geltend zu machen, sind für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, ausschließlich zuständig die Gerichte des Mitgliedstaats , in dem die Sache belegen ist (Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVVO). Letzteres hat das Berufungsgericht hier zu Recht verneint.
- 8
- a) Nach der Rechtsprechung des EuGH zu der insoweit wort- und inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des Art. 16 Nr. 1 lit. a EuGVÜ ist der Begriff „dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen“ im Interesse einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung autonom auszulegen (vgl. nur EuGH IPRax 1991, 45; NVwZ 2006, 1149, 1150). Danach liegt ein dingliches Recht vor, wenn das Recht an der Sache gegen jedermann wirkt, während persönliche Ansprüche nur gegen den jeweiligen Schuldner geltend gemacht werden können (EuGH, NJW 1995, 37; Beschl. v. 5. April 2001, Rs. C-518/99 [Gaillard], Slg. 2001, S. I02771 ).
- 9
- Allerdings ist Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVVO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, weil die ausschließliche Zuständigkeit dazu führen kann, dass den Parteien eine ihnen sonst mögliche Wahl des Gerichtsstands genommen wird und sie in gewissen Fällen vor einem Gericht zu verklagen sind, das für keine von ihnen das Gericht des Wohnsitzes ist (EuGH, NJW 1995, 37; NVwZ 2006, 1149, 1150). Dies führt zunächst dazu, dass Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVVO trotz Vorliegens eines dinglichen Rechts nicht anzuwenden ist, sofern der Zweck der Vorschrift dies nicht verlangt. Da der Grund für die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Belegenheitsstaats darin zu erblicken ist, dass diese wegen der räumlichen Nähe am besten in der Lage sind, sich durch Nachprüfungen , Untersuchungen und Einholung von Sachverständigengutachten genaue Kenntnis des Sachverhalts zu verschaffen und die insoweit geltenden Regeln und Gebräuche anzuwenden, die im Allgemeinen die des Belegenheitsstaats sind (EuGH, NJW 1985, 905; IPRax 2001, 41, 43; 2006, 159, 160), ist die ausschließliche Zuständigkeit beispielsweise dann nicht gegeben, wenn der Schuldner nicht bestreitet, dass der Gläubiger Eigentümer der unbeweglichen Sache ist (vgl. EuGH, NJW 1995, 37).
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- Zum anderen steht die Notwendigkeit einer Begrenzung des ausschließlichen Gerichtsstandes der Interpretation entgegen, Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVVO sei immer schon dann einschlägig, wenn es um eine exakte Ermittlung des Sachverhalts oder der in dem Belegenheitsstaat geltenden Regeln und Gebräuche geht. Nach der Rechtsprechung des EuGH genügt es für das Eingreifen von Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVVO nämlich nicht, dass ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache von der Klage berührt wird oder dass diese in einem Zusammenhang mit einer unbeweglichen Sache steht (EuGH, IPRax 1995, 314, 315; NJW 1995, 37). Auch rechtfertigt der Umstand, dass die dingliche Rechtslage als Vorfrage zu prüfen ist, nicht schon die Qualifikation eines Anspruchs als dingliches Recht (vgl. etwa EuGH, NVwZ 2006, 1149, 1151; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I/1, S. 541, 656; Stauder, GRUR Int. 1976, 510, 511; ferner MünchKomm-ZPO/Gottwald, 3. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rdn. 13; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl., Rdn. 868). So entspricht es etwa allgemeiner Auffassung, dass Schadensersatzansprüche , die auf eine Eigentumsverletzung gestützt werden, nicht von Art. 22 Nr. 1 EuGVVO erfasst werden, mag die dingliche Rechtslage auch noch so umstritten sein. Der EuGH hat dies mit der Formel zusammengefasst, der dinglichen Rechtslage komme bei solchen Schadensersatzforderungen nur inzidente Bedeutung zu; ein dingliches Recht liege daher nicht vor (NVwZ 2006, 1149, 1151). Mit derselben Erwägung hat er das Eingreifen von Art. 22 Nr. 1 EuGVVO auch für Immissionsabwehrklagen verneint (aaO), also für Ansprüche, die bei Zugrundelegung deutschen Sachrechts unter § 1004 BGB fielen.
- 11
- b) Danach kann für gesetzliche Ansprüche, die aus einer (behaupteten) Verletzung des (Mit-)Eigentums resultieren und die – wie hier – auf die Wiederherstellung des status quo im Wege schadensersatzrechtlicher Naturalrestitution bzw. auf die Beseitigung einer aktuellen Eigentumsstörung gerichtet sind, nichts anderes gelten. Auch bei diesen Ansprüchen ist die dingliche Rechtslage nur inzidenter zu klären. Der Revision ist zwar zuzugeben, dass nach deutschem Rechtsverständnis Ansprüche aus § 1004 BGB – ebenso wie die Vindikation nach § 985 BGB – materiellrechtlich den dinglichen Ansprüchen zugeordnet werden. Darum kann es indessen im Rahmen der autonom auszulegenden Vorschrift nicht gehen, zumal die meisten anderen Rechtsordnungen solche Ansprüche nicht dinglich, sondern deliktsrechtlich einordnen, und zwar unhabhängig davon, ob die Haftung Verschulden voraussetzt (dazu Schack, IPRax 2005, 262, 264 m.w.N.; vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO, 26. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rdn. 25c u. Art. 22 EuGVVO Rdn. 2a; Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 22 Brüssel I-VO, Rdn. 12b f.). Im Übrigen hat auch der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus § 1004 BGB dem Wahlgerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO unterfallen (BGH, Urt. v. 24. Oktober 2005, II ZR 329/03, NJW 2006, 689), der Klagen erfasst, die eine unerlaubte (oder eine dieser gleichgestellte ) Handlung zum Gegenstand haben. Diese deliktsrechtliche Qualifizierung von Ansprüchen aus § 1004 BGB ist zwar in einem Fall angenommen worden, in dem es um die Beeinträchtigung des Eigentums an einer beweglichen Sache ging. Es liegt indessen auf der Hand, dass die Bestimmung der Rechtsnatur eines Anspruches als deliktsrechtlich nicht davon abhängen kann, ob eine bewegliche oder eine unbewegliche Sache betroffen ist.
- 12
- 3. Der Senat ist nicht gehalten, den Rechtsstreit nach Art. 68 Abs. 1, 234 EGV (ABlEG C 325 v. 24. Dezember 2002, S. 61, ABlEG C 340 v. 10. November 1997, S. 204 [konsolidierte Fassung]) dem EuGH zur Auslegung des Art. 22 Nr. 1 EuGVVO (EGVO 44/2001 des Rates, ABlEG L 12, 1, 14) vorzulegen. Art. 22 Nr. 1, S. 1 EuGVVO entspricht der Vorgängervorschrift des Art. 16 Nr. 1 lit. a EuGVÜ (Übereinkommen v. 27. September 1968, ABl. 1972, L 299, S. 32), deren Auslegung durch die Rechtsprechung des EuGH hinreichend geklärt (vgl. BGH, Urt. v. 4. August 2004, XII ZR 28/01, NJW-RR 2005, 72, 73) und hier lediglich auf den Einzelfall anzuwenden ist. Dabei ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts vorliegend so offenkundig, dass keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass auch die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten zu dem hier gefundenen Ergebnis gelangen würden (zu diesen Voraussetzungen EuGH, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NJW 1988, 1456, 1457; BGHZ 109, 29, 31 u. 35; 153, 82, 92).
III.
- 13
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Czub Roth
Vorinstanzen:
AG Duisburg, Entscheidung vom 27.06.2007 - 2 C 4974/06 -
LG Duisburg, Entscheidung vom 13.12.2007 - 12 S 94/07 -
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Annotations
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
(1) Für Klagen, durch die das Eigentum, eine dingliche Belastung oder die Freiheit von einer solchen geltend gemacht wird, für Grenzscheidungs-, Teilungs- und Besitzklagen ist, sofern es sich um unbewegliche Sachen handelt, das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die Sache belegen ist.
(2) Bei den eine Grunddienstbarkeit, eine Reallast oder ein Vorkaufsrecht betreffenden Klagen ist die Lage des dienenden oder belasteten Grundstücks entscheidend.
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen.
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)