Bundesgerichtshof Urteil, 13. Dez. 2012 - III ZR 70/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
- 1
- Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung. Auf dessen Empfehlung zeichnete sie im April 2004 eine von einer Treuhandkommanditistin gehaltene Beteiligung an der M. AG & Co. KG (künftig: M. ). Die Klägerin verpflichtete sich, 10.000 € nebst Agio sowie zusätzlich über 15 Jahre hinweg monatliche Raten von 262,50 € zu zahlen. Über das Vermögen der M. wurde im Jahr 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet.
- 2
- Die Klägerin macht geltend, über die Risiken und Nachteile der Anlage nicht aufgeklärt worden zu sein. Zudem sei der Emissionsprospekt, den sie allerdings erst nach der Zeichnung der Anlage erhalten habe, fehlerhaft.
- 3
- Das Landgericht hat die auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 14.437,50 € und zum Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten sowie auf Feststel- lung der Verpflichtung des Beklagten zur Freistellung von künftigen wirtschaftlichen Nachteilen aus der Beteiligung gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
- 4
- Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
- 5
- Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht aber inhaltlich nicht auf der Säumnis des Beklagten, sondern auf der Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands (vgl. z.B. Senatsurteil vom 18. Januar 2007 - III ZR 44/06, NJW-RR 2007, 621 Rn. 6; BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 ff).
- 6
- Der Rechtsstreit ist nicht gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Aus der vom Senat beigezogenen Insolvenzakte des Amtsgerichts E. ergibt sich, dass zwar über das Vermögen des Beklagten ein Insolvenzverfahren eröffnet war. Das Verfahren wurde jedoch, nachdem die Schlussverteilung vollzogen war, am 15. November 2010 gemäß § 200 Abs. 1 InsO aufgehoben. Die Aufhe- bung des Insolvenzverfahrens lässt die Voraussetzung des § 240 Satz 1 ZPO entfallen (z.B. MünchKommZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 240 Rn. 23; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 240 Rn. 15), da der Insolvenzverwalter die Verfügungsund Prozessführungsbefugnis verliert (z.B. BGH, Urteil vom 22. Februar1973 - VI ZR 165/71, NJW 1973, 1198, 1199) und der Schuldner sie wiedererlangt. Die mit Beschluss vom 5. Juli 2012 angeordnete, möglicherweise noch nicht abgeschlossene Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) von 1.642,74 € hat ebenfalls nicht zur Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 ZPO geführt. Im Fall der Nachtragsverteilung gehen die Verfügungs- und damit die Prozessführungsbefugnis lediglich hinsichtlich des betreffenden Vermögensgegenstands auf den Insolvenzverwalter über (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1982 - VIII ZR 158/80, BGHZ 83, 102, 103; MünchKommInsO/Hintzen, 2. Aufl., § 200 Rn. 40; Uhlenbruck in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 200 Rn. 15 mwN; siehe auch RG, Urteil vom 17. September 1891 - Rep. IV. 136/91, RGZ 28, 68, 70 f), so dass die Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO nur in Verfahren eintritt , die den von der Nachtragsverteilung erfassten Vermögensbestandteil zum Gegenstand haben. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
I.
- 7
- Das Berufungsgericht hat in dem vor Erlass des angefochtenen Beschlusses gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gegebenen Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil und dessen Begründung vollinhaltlich Bezug genommen. Das Landgericht hat ausgeführt, zwischen den Parteien sei ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. Der Klägerin sei aber nicht der Beweis für ihre Behauptung gelungen, dass sie unrichtig beraten worden sei. Aus den Bekundungen eines der vernommenen Zeugen habe sich ergeben, dass eine Risikoaufklärung anhand des Prospekts stattgefunden habe. Soweit die Klägerin darauf abstelle, der Emissionsprospekt sei fehlerhaft, sei nicht ersichtlich, dass dies kausal für ihre Beitrittserklärung geworden sei. Nach ihrem eigenen Vortrag habe sie die Unterlage erst deutlich nach Unterzeichnung der Beitrittserklärung erhalten. Auch der Ehemann der Klägerin habe als Zeuge ausgesagt, weder er noch die Klägerin hätten den Prospekt vor oder kurz nach der Beitrittserklärung gelesen. Vielmehr sei dies erst ein oder zwei Jahre später erfolgt.
II.
- 8
- Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands und der hierzu getroffenen Feststellungen ist ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Anlageberatungsvertrag nicht auszuschließen.
- 9
- 1. Die Würdigung der Vorinstanzen, der Beklagte sei der Klägerin gegenüber zu einer ordnungsgemäßen Beratung über die von ihm empfohlene Anlage verpflichtet gewesen, nimmt die Revision als ihr günstig hin und ist auch rechtlich nicht zu beanstanden.
- 10
- 2. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die vom Berufungsgericht gebilligte Annahme des Landgerichts, etwaige Fehler des Emissionsprospekts könnten nicht ursächlich für die Anlageentscheidung der Klägerin geworden sein.
- 11
- a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht es der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist (z.B. Senatsbeschlüsse vom 19. Februar 2009 - III ZR 168/08, juris Rn. 5 und vom 31. Januar 2008 - III ZR 119/07, juris Rn. 2; BGH, Urteile vom 8. Februar 2010 - II ZR 42/08, BeckRS 2010, 05639 Rn. 23 m. umfangr. w. N. und vom 3. Dezember 2007 - II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Rn. 16; vgl. auch Senatsurteil vom 9. Februar 2006 - III ZR 20/05, NJW-RR 2006, 685 Rn. 22 mwN). Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Davon ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hat (BGH, Urteile vom 8. Februar 2010 und vom 3. Dezember 2007 jew. aaO). Widerlegt ist die Vermutung indessen nicht schon, wenn der Anleger den Prospekt nicht ausgehändigt erhalten und gelesen hat. Verwendung findet der Prospekt nämlich schon dann, wenn er den Anlagevermittlern oder -beratern als Arbeitsgrundlage für ihre Beratungsgespräche dient (Senatsurteile vom 17. Dezember 2009 - III ZR 14/08, juris Rn. 14 und vom 6. November 2008 - III ZR 290/07, juris Rn. 18; BGH, Urteile vom 6. März 2012 - VI ZR 70/10, WM 2012, 646 Rn. 28; vom 8. Februar 2010 aaO und vom 3. Dezember 2007 aaO Rn. 17). Dies gilt, wie sich aus der Senatsentscheidung vom 9. Februar 2006 (aaO) sowie aus dem oben erwähnten Urteil des VI. Zivilsenats (aaO) ergibt, nicht nur für die eigentliche Prospekthaftung , sondern auch bei der Verletzung von Aufklärungspflichten eines Anlageberaters oder -vermittlers. Erfolgt die Beratung des Anlegers auf der Basis einer solchen Unterlage, fließen etwaige Fehler des Prospekts in den Inhalt des Gesprächs mit dem Anleger ein und können so für dessen Entscheidung für die empfohlene Investition ursächlich werden. Einen solchen Sachverhalt hat das Berufungsgericht, das die Feststellungen des Landgerichts übernommen hat, seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Danach hat es aufgrund der Aussage des Zeugen M. unterstellt, dass der Beklagte die Klägerin anhand des Emissionsprospekts über die Anlage beraten hat. Dementsprechend können sich Fehler des Prospekts auf die Entscheidung der Klägerin zugunsten der Beteiligung an der M. ausgewirkt haben.
- 12
- b) Hiernach hätten die Vorinstanzen die Klage nicht ohne Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten (siehe zur Haftung von Anlageberatern und -vermittlern im Zusammenhang mit Prospektfehlern insbesondere Senatsurteile vom 16. Juni 2011 - III ZR 200/09, juris Rn. 14 und vom 5. März 2009 - III ZR 17/08, WM 2009, 739 Rn. 12 f) abweisen dürfen.
- 13
- 3. Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1, 3 ZPO).
Tombrink Remmert
Vorinstanzen:
LG Erfurt, Entscheidung vom 24.06.2011 - 9 O 1088/10 -
OLG Jena, Entscheidung vom 31.01.2012 - 5 U 531/11 -
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Entsprechendes gilt, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht.
(1) Sobald die Schlußverteilung vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens.
(2) Der Beschluß und der Grund der Aufhebung sind öffentlich bekanntzumachen. Die §§ 31 bis 33 gelten entsprechend.
Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Entsprechendes gilt, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht.
(1) Auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen ordnet das Insolvenzgericht eine Nachtragsverteilung an, wenn nach dem Schlußtermin
- 1.
zurückbehaltene Beträge für die Verteilung frei werden, - 2.
Beträge, die aus der Insolvenzmasse gezahlt sind, zurückfließen oder - 3.
Gegenstände der Masse ermittelt werden.
(2) Die Aufhebung des Verfahrens steht der Anordnung einer Nachtragsverteilung nicht entgegen.
(3) Das Gericht kann von der Anordnung absehen und den zur Verfügung stehenden Betrag oder den ermittelten Gegenstand dem Schuldner überlassen, wenn dies mit Rücksicht auf die Geringfügigkeit des Betrags oder den geringen Wert des Gegenstands und die Kosten einer Nachtragsverteilung angemessen erscheint. Es kann die Anordnung davon abhängig machen, daß ein Geldbetrag vorgeschossen wird, der die Kosten der Nachtragsverteilung deckt.
Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Entsprechendes gilt, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.