Bundesgerichtshof Urteil, 14. Jan. 2016 - 4 StR 437/15

ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:140116U4STR437.15.0
published on 14/01/2016 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 14. Jan. 2016 - 4 StR 437/15
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 437/15
vom
14. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2016:140116U4STR437.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, Dr. Mutzbauer, Bender als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 30. Juni 2015 wird verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hatte die Angeklagte mit Urteil vom 19. August 2014 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzel- strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen „vom 6. Dezember 2012“ (rich- tig: 6. März 2012) und der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Ferner hatte es sie wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, sie im Übrigen freigesprochen und die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den teilweisen Vorwegvollzug der Strafe angeordnet. Dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 28. Januar 2015 hinsichtlich der Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten und im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2
Nunmehr hat das Landgericht Essen die Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung „unter Einbeziehung der rechtskräftig verhängten Einzelstrafen aus der Verurteilung des Landgerichts Essen vom 19.08.2014“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
3
1. Schuld- und Strafausspruch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung weisen keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO).
4
2. Auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat Bestand. Er ist zwar fehlerhaft, die Angeklagte ist hierdurch aber nicht beschwert.
5
Die im Ersturteil des Landgerichts Essen vom 19. August 2014 verhängten Einzelstrafen (zwei Mal drei und einmal zwei Monate für am 13. und am 26. Februar 2013 begangene Taten), aus denen die Strafkammer dort die zweite Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten gebildet hatte, durfte das Landgericht im angefochtenen Urteil zwar nicht einbeziehen (vgl. zu der auch deshalb fehlerhaften, weil nicht nach § 55, sondern nach § 54 StGB vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung: Fischer, StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 5 mwN). Denn insofern kam dem Urteil des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 weiterhin Zäsurwirkung zu, da – worauf der Generalbundesanwalt in anderem Zusammenhang zutreffend abstellt – nach Aufhebung und Zurückverweisung für eine schon im ersten Urteil nach § 55 StGB gesamtstrafenfähige Entscheidung die Vollstreckungssituation im Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Entscheidung maßgeblich ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 176/15; Fischer, aaO, § 55 Rn. 6a). Es ist deshalb ohne Bedeutung, dass die Angeklagte die im Urteil des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten inzwischen vollständig verbüßt hat (UA S. 7).
6
Die Beschwer eines Angeklagten durch die unterlassene Einbeziehung von Einzelstrafen kann aber entfallen, wenn eine Zäsurwirkung für eine einzubeziehende Verurteilung hätte beachtet werden müssen und deshalb mehrere Gesamtstrafen zu bilden gewesen wären (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. April 2006 – 2 StR 63/06, NStZ-RR 2006, 232). Das ist hier der Fall.
7
Denn für die wegen der mit Urteil des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 abgeurteilten schweren räuberischen Erpressung verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und die nunmehr wegen der versuchten gefährlichen Körperverletzung festgesetzte Freiheitsstrafe von drei Monaten könnte allenfalls eine (nachträgliche) Gesamtstrafe von zwei Jahren und einem oder zwei Monaten verhängt werden. Zudem würde die im Ersturteil des Landgerichts Essen vom 19. August 2014 verhängte zweite Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten fortbestehen, da mit den ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen wegen der erst nach dem 1. Februar 2013 begangenen Taten keine Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 1 StGB möglich wäre. Ferner würde die Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 6. März 2012 zwar nicht „wieder aufleben“, obwohl die dort verhängten Einzelstrafen fehler- haft – weil eine Gesamtstrafenlage nach § 55 Abs. 1 StGB mit der am 5. Oktober 2012 begangenen schweren räuberischen Erpressung tatsächlich nicht bestand – in die Entscheidung des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 einbezogen worden waren; vielmehr hätte das Landgericht insofern selbst eine neue weitere Gesamtfreiheitsstrafe aus den dortigen Einzelstrafen von zwei Mal vier Monaten bilden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2000 – 5 StR 651/99, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 7; zur Korrektur einer solchen fehlerhaften Gesamtstrafenbildung auch: OLG Hamm, Beschluss vom 26. September 2013 – III-3 Ws 254/13 u.a., NStZ-RR 2014, 75). Diese könnte jedoch nur fünf bis sieben Monate betragen. Damit würden bei richtiger Gesamtstrafenbildung mindestens zwei Jahre und ein Monat, sechs Monate sowie fünf Monate verhängt werden müssen bzw. fortbestehen. Die nunmehr bestehenden bzw. verhängten Gesamtstrafen von zwei Jahren und vier Monaten sowie sieben Monaten beschweren die Angeklagte daher nicht.
8
3. Auch die Nichtanordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat Bestand.
9
Zwar kann das Revisionsgericht auf eine zulässig erhobene und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich vom Angriff ausnehmende Revision des Angeklagten das Urteil aufheben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.), ohne dass es auf eine Beschwer des Angeklagten ankommt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 – 3 StR 458/08, BGHR StGB § 64 Ablehnung 11 mwN). Jedoch ist die Wertung des Landgerichts, die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt biete keine hinreichende Erfolgsaussicht, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Bender
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.