Bundesgerichtshof Beschluss, 25. März 2015 - XII ZA 12/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der im Jahre 1952 geborene Betroffene steht unter umfassender Betreuung. Er leidet infolge jahrzehntelangen Alkoholkonsums unter einem anamnestischen Syndrom bei Alkoholmissbrauch ("Korsakow-Syndrom"), unter psychotischen Störungen und unter alkoholabhängigkeitsbedingten Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Er hatte bereits mehrere Alkoholentzugsdelirien, zuletzt im Juli 2013.
- 2
- Am 18. Februar 2014 wurde er durch den Rettungsdienst in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen, nachdem er Suizidabsichten geäußert und in einer Apotheke Rattengift zu erwerben versucht hatte. Auf Antrag der Betreuerin (Beteiligte zu 1) wurde für die Zeit ab 19. Februar 2014 bis einschließlich 18. Februar 2015 die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung des Krankenhauses und daran anschließend in der geschlossenen Abteilung eines Therapiezentrums für Suchtkranke betreuungsgerichtlich genehmigt.
- 3
- Am 29. Dezember 2014 hat die Beteiligte zu 1 die Verlängerung der Unterbringungsgenehmigung beantragt. Das Amtsgericht hat die Genehmigung abgelehnt, weil eine weitere Unterbringung unverhältnismäßig sei. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht diese Entscheidung abgeändert und die weitere Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines Therapiezentrums für Suchtkranke bis längstens zum 18. Februar 2016 genehmigt.
- 4
- Hiergegen möchte der Betroffene die Rechtsbeschwerde führen, wofür er die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe beantragt hat.
II.
- 5
- Dem Betroffenen ist die von ihm nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu versagen, weil es seiner beabsichtigten Rechtsverfolgung an der gemäß § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725; vgl. auch BVerfG FamRZ 2015, 565 m. Anm. Schwab), und die Entscheidung des Beschwerdegerichts lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
- 6
- 1. Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
- 7
- Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden kann. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen steht, insbesondere einer psychischen Erkrankung, oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 11).
- 8
- Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatlichen Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 12). Die zivilrechtliche Unterbringung ist - wie das Betreuungsrecht insgesamt - ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 - XII ZB 520/14 - juris Rn. 13).
- 9
- Deshalb kann die geschlossene Unterbringung zur Vermeidung einer lebensbedrohenden Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht. Zwar steht es nach der Verfassung in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden.
- 10
- 2. Das Beschwerdegericht hat in Anwendung dieser Grundsätze rechtsfehlerfrei das Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bejaht.
- 11
- a) Die unter anderem für den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über die Unterbringung als Betreuerin bestellte Beteiligte zu 1 hat die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen beantragt. Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage des vom Amtsgericht eingeholten und im Beschwerdeverfahren ergänzten - im Übrigen das bereits im März 2014 eingeholte Sachverständigengutachten bestätigende - Sachverständigengutachtens sowie der persönlichen Anhörung des Betroffenen festgestellt, dass der Betroffene an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung leidet. Diese besteht in einer schweren Persönlichkeits- und Verhaltensstörung mit Fehlen der Realitätswahrnehmung, anhaltenden Fehlhandlungen und Störungen der Affektivität, in einer verzögerten psychotischen Störung mit erheblichem Beeinträchtigungswahn sowie in einem anamnestischen Syndrom. Ferner hat das Beschwerdegericht festgestellt, dass der Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, seinen Alkoholkonsum selbstverantwortlich zu steuern und einen alsbaldigen Rückfall in lebensbedrohliche Zustände zu vermeiden.
- 12
- b) Das Beschwerdegericht hat zudem berücksichtigt, dass eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Verhinderung einer Selbstschädigung voraussetzt, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Es ist unter Auswertung der vorliegenden Sachverständigengutachten zu der - rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandenden - Überzeugung gelangt, dass der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden und danach zu handeln.
- 13
- c) Die Unterbringung ist auch verhältnismäßig.
- 14
- aa) Die Unterbringung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich nach den getroffenen Feststellungen bei dem Betroffenen eine Einsichtsfähigkeit in die Krankheit und damit Behandlungsbedürftigkeit nicht erreichen, sondern allenfalls ein sog. Gewöhnungseffekt (Gewöhnung daran, keinen Alkohol mehr zu trinken) erzielen lassen wird. Denn die Frage der Therapiefähigkeit ist für die hier nicht zur Heilbehandlung, sondern gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zum Selbstschutz erfolgte Unterbringung nicht maßgeblich (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 17).
- 15
- bb) Mildere Maßnahmen als eine geschlossene Unterbringung kommen auf Grundlage der getroffenen Feststellungen hier nicht in Betracht. Wie das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei den Ausführungen der Sachverständigen entnommen hat, würde der Betroffene außerhalb einer Unterbringung umgehend (binnen weniger als einer Woche) alkoholrückfällig werden und innerhalb kurzer Zeit (binnen weiterer vier bis acht Wochen) in ein lebensbedrohliches Delirium tremens fallen, das bei nicht sofort gegebener intensivmedizinischer Behandlung zum Tode führt und in 25 % der vergleichbaren Fälle tatsächlich tödlich verläuft. Darüber hinaus würde er seine Medikamente nicht mehr ein- nehmen, so dass das Wahnhafte der Erkrankung wieder in den Vordergrund träte. Es drohten dann selbstschädigende Handlungen, wie der zur letzten stationären Aufnahme führende Vorfall (Versuch des Erwerbs von Rattengift nach suizidalen Äußerungen) zeige, sowie eine Chronifizierung der wahnhaften Symptomatik.
- 16
- cc) Das Beschwerdegericht hat zudem nachvollziehbar und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass bei dieser Sachlage ein Unterbringungszeitraum von einem Jahr gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG erforderlich ist.
- 17
- Auch der vom Betroffenen in seinem Verfahrenskostenhilfegesuch angesprochene Punkt, dass unklar sei, was nach dem Ende des vorliegend genehmigten Unterbringungszeitraums komme, und ihm eine dauerhafte geschlossene Unterbringung drohe, führt zu keiner anderen Beurteilung der Verhältnismäßigkeit. Unabhängig davon, dass die Frage, ob der Betroffene perspektivisch eine lebenslange Unterbringung gewärtigen muss, nicht Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist, das die Unterbringungsgenehmigung für die Dauer von einem Jahr betrifft (vgl. Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 21), hat das Beschwerdegericht mit dem Gewöhnungseffekt, der während der aktuellen Unterbringung eintreten kann, eine zeitliche Perspektive aufgezeigt.
- 18
- dd) Schließlich ist auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nichts zu beanstanden , insbesondere war dem Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt (§ 317 FamFG), genügt das Sachverständigengutachten den Anforderungen des § 321 Abs. 1 FamFG und hat das die amtsgerichtliche Entscheidung abändernde Beschwerdegericht den Betroffenen persönlich angehört. Dose Klinkhammer Günter Botur Guhling
AG Dessau, Entscheidung vom 05.02.2015 - 10 XVII 206/12 -
LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 13.02.2015 - 8 T 47/15 -
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Annotations
(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.
(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Die Unterbringungsmaßnahme endet spätestens mit Ablauf eines Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird. Die Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten, wenn sie nicht vorher verlängert wird.
(2) Für die Verlängerung der Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme gelten die Vorschriften für die erstmalige Anordnung oder Genehmigung entsprechend. Bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren soll das Gericht keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist.
(3) Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung mit einer Gesamtdauer von mehr als zwölf Wochen soll das Gericht keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist.
(1) Das Gericht hat dem Betroffenen einen geeigneten Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist insbesondere erforderlich, wenn von einer Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers stets erforderlich.
(2) Bestellt das Gericht dem Betroffenen keinen Verfahrenspfleger, ist dies in der Entscheidung, durch die eine Unterbringungsmaßnahme genehmigt oder angeordnet wird, zu begründen.
(3) Der Verfahrenspfleger hat die Wünsche, hilfsweise den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Er hat den Betroffenen über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren und ihn bei Bedarf bei der Ausübung seiner Rechte im Verfahren zu unterstützen. Er ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen.
(4) Als Verfahrenspfleger ist eine natürliche Person zu bestellen. Wer Verfahrenspflegschaften im Rahmen seiner Berufsausübung führt, soll nur dann zum Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Verfahrenspflegschaft bereit ist.
(5) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.
(6) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, mit der Rechtskraft der Endentscheidung oder mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens.
(7) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme sind nicht selbständig anfechtbar.
(8) Dem Verfahrenspfleger sind keine Kosten aufzuerlegen.
(1) Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Gutachten soll sich auch auf die voraussichtliche Dauer der Unterbringungsmaßnahme erstrecken. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung soll der Sachverständige nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein.
(2) Für eine freiheitsentziehende Maßnahme nach § 312 Nummer 2 oder 4 genügt ein ärztliches Zeugnis.