Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Mai 2007 - VIII ZB 128/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 11. August 2006 gewährt.
Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gebührenstreitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.429,18 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Das Urteil des Landgerichts, mit dem die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 5.429,18 € nebst Zinsen zu zahlen, ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 21. August 2006 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit einem am 22. September 2006 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
- 2
- Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen und durch anwaltliche Versicherung sowie eidesstattliche Versicherung bekräftigt, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 21. September 2006 die von ihm ordnungsgemäß gefertigte und unterzeichnete Berufungsschrift der in der Kanzlei seit 2002 beschäftigten und für die Überwachung und Einhaltung der Fristen zuständigen Rechtsanwaltsfachangestellten mit der ausdrücklichen Weisung übergeben, diesen Schriftsatz zur Wahrung der Berufungsfrist vorab an das Berufungsgericht zu faxen und darauf zu achten, dass der ordnungsgemäße Versand der Berufungsschrift durch positiven Telefaxbericht bestätigt werde. Ihr Prozessbevollmächtigter habe, als seine Rechtsanwaltsfachangestellte das Büro verlassen habe, nachgefragt, ob die Berufungsschrift vollständig per Telefax an das Berufungsgericht übertragen und ein entsprechender positiver Telefaxbericht vom Faxgerät ausgedruckt worden sei, was diese ihm bestätigt habe.
- 3
- Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag durch Beschluss als unbegründet zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufungsfrist sei wegen eines der Be- klagten zuzurechnenden Organisationsverschuldens ihres Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf eine wirksame Ausgangskontrolle versäumt worden. Die Anweisung des Prozessbevollmächtigten an seine Mitarbeiterin, den ordnungsgemäßen Versand der Berufungsschrift per Telefax durch positiven Telefaxbericht zu bestätigen, verhalte sich nicht darüber, unter welchen Voraussetzungen die Notfrist im Fristenkalender zu löschen sei; folglich sei nicht sichergestellt gewesen, dass die Frist erst nach Kontrolle des Sendeberichts habe gelöscht werden dürfen.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
- 5
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil gemäß den nachstehenden Ausführungen die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367 unter II 1 bb m.w.N.). Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
- 6
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten daher zu Unrecht wegen Versäumung der Berufungsfrist verworfen. Die Beklagte war ohne ihr Verschulden verhindert, die Notfrist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§ 233, § 517 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts beruht die Versäumung der Berufungsfrist nicht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das die Beklagte sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste.
- 7
- Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Prozessbevollmächtigte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen müssen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtszeitig hinausgehen, und dass der Rechtsanwalt dieser Verpflichtung bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax nur dann nachkommt, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 - I ZB 64/05, NJW 2006, 1519, unter III 1; v. 19. November 1997 - VIII ZB 33/97, NJW 1998, 907, unter II 1; jeweils m.w.N.).
- 8
- Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, dass es im Streitfall nicht darauf ankommt, ob sichergestellt war, dass die Frist erst nach Kontrolle des Sendeberichts gelöscht werden durfte. Hätte die Rechtsanwaltsfachangestellte der Einzelweisung des Prozessbevollmächtigten entsprochen und vor dem Verlassen der Kanzlei den ordnungsgemäßen Versand der Berufungsschrift per Telefax anhand des Telefaxberichts überprüft, hätte sie bemerkt, dass für die Berufungsschrift kein Sendeprotokoll vorlag. Sie hätte die Berufungsschrift dann noch fristwahrend an das Berufungsgericht übersenden können. Dass der Mitarbeiterin das Fehlen des Faxberichts nicht schon am Tag des Fristablaufs aufgefallen ist, weil sie, wie sie versichert hat, abgelenkt durch ein Telefonat die Faxberichte der per Telefax zu versendenden Schriftsätze vor dem Ablegen nicht nochmals einzeln geprüft hat, ist ein unvorhersehbares Versehen der Mitarbeiterin , das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht zum Ver- schulden gereicht. Dies zumal er sich vor ihr, als sie das Büro verließ, bestätigen ließ, dass die Berufungsschrift vollständig per Telefax an das Berufungsgericht übertragen und ein entsprechender positiver Telefaxbericht vom Faxgerät ausgedruckt worden sei.
- 9
- 3. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben und ist daher aufzuheben. Der Klägerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zu gewähren. Im Übrigen ist die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Vorinstanzen:
LG Potsdam, Entscheidung vom 11.08.2006 - 10 O 97/06 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 07.11.2006 - 7 U 160/06 -
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und - 2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge), - 2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2, - 3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.
(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.