Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Aug. 2016 - VII ZR 158/15

ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:100816BVIIZR158.15.0
published on 10/08/2016 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Aug. 2016 - VII ZR 158/15
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Landgericht Frankenthal (Pfalz), 2 HKO 71/12, 17/12/2012
Landgericht Zweibrücken, 4 U 15/13, 11/06/2015

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZR 158/15
vom
10. August 2016
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:100816BVIIZR158.15.0

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. August 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Eick, den Richter Dr. Kartzke und die Richterinnen Graßnack, Sacher und Borris
beschlossen:
Der Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird teilweise stattgegeben. Das Urteil des 4. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 11. Juni 2015 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung wegen verspäteter Rückgabe von Hardwarekomponenten der Vertriebssoftware für Oktober bis Dezember 2011 in Höhe von 52,50 € verurteilt und über die von ihm zur Aufrechnung gestellte Rückzahlungsforderung in Höhe von 500 € wegen rechtsgrundlos gezahlter Miete für die Zurverfü- gungstellung der Vertriebssoftware im Zeitraum vom 1. Dezember 2009 bis zum 31. Juli 2011 nicht entschieden worden ist. Im Übrigen wird die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 4. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 11. Juni 2015 zurückgewiesen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde: 35.734,01 €; Streitwert des stattgebenden Teils: 552,50 €

Gründe:

I.

1
Der Beklagte war aufgrund des zwischen den Parteien zum 1. Dezember 2009 geschlossenen Vertrags vom 26. November/1. Dezember 2009 als selbständiger Versicherungsvertreter für die Klägerin tätig. Die Klägerin kündigte den Vertrag am 15. Juli 2011 ohne vorherige Abmahnung fristlos mit der Begründung , der Beklagte habe hinsichtlich des Versicherungsnehmers G. eine diesem unbekannte Frau A. mitversichert, ohne die erforderliche Bonitätsprüfung vorzunehmen. Frau A. war nach den Recherchen der Klägerin nicht, wie im Vertrag angegeben, als Bürokauffrau, sondern im Rotlichtmilieu tätig.
2
Die Klägerin hat mit der Klage die Rückzahlung nicht verdienter Provisionen , nicht verdienter Provisionsvorschüsse und Investitionszuschüsse sowie Zahlungen für die Nutzung des Vertriebs-Informations-Systems im Umfang von insgesamt 42.582,93 € verlangt. Der Beklagte hat im Wege der Widerklage be- antragt festzustellen, dass der Vertrag zwischen den Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Klägerin vom 15. Juli 2011 und auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. September 2011 hinaus fortbestanden hat.
3
Das Landgericht hat den Beklagten in Höhe von 12.151,25 € zur Zahlung verurteilt und den Widerklageanträgen stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, der Beklagte mit dem Ziel, die Abweisung der Klage zu erreichen, die Klägerin zuletzt mit dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung eines weiteren Betrags von 31.040,04 € zu verurteilen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den Beklagten unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels zur Zahlung in Höhe von insgesamt 38.470,76 € verurteilt und die Widerklage des Beklagtenals unzulässig abge- wiesen. Die Berufung des Beklagten hat es zurückgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.
4
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten, mit der er die Zulassung der Revision erreichen will, soweit er zur Zahlung von mehr als 12.736,75 € verurteilt und die Widerklage abgewiesen worden ist.

II.

5
1. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts beruht in dem im Tenor bezeichneten Umfang auf einer Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.
6
a) Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht die vom Beklagten zur Aufrechnung gestellte Rückzahlungsforderung in Höhe von 500 € wegen rechtsgrundlos gezahlter Mieten für die Zurverfügungstellung der Vertriebssoftware im Zeitraum vom 1. Dezember 2009 bis zum 31. Juli 2011 (vgl. Bl. 898 f. d. A.) nicht beschieden und das erstinstanzliche Vorbringen des Beklagten nicht zur Kenntnis genommen und berücksichtigt hat, die Klägerin habe den Mietzins für Oktober bis Dezember 2011 ins Soll gebucht und mache demnach eine Doppelzahlung geltend (vgl. Bl. 89 d. A.).
7
Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt voraus, dass im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Berufungsgericht in den Gründen des Berufungsurteils auf den wesentlichen Kern des Verteidigungs- vorbringens des Beklagten zu einer Frage nicht ein, das für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2016 - VII ZR 28/15 Rn. 7; Beschluss vom 20. Mai 2014 - VII ZR 187/13 Rn. 6; Beschluss vom 16. März 2011 - VIII ZR 338/09, WuM 2011, 300 Rn. 3; BVerfG, NJW 2009, 1584 Rn. 14 m.w.N.).
8
b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
9
aa) Der Beklagte hat in der Klageerwiderung (vgl. Bl. 89 d. A.) und in der Berufungserwiderung (vgl. Bl. 898 f. d. A.) die Aufrechnung mit einem Rückzah- lungsanspruch in Höhe von 500 € wegen rechtsgrundlos gezahlter Mieten für die von der Klägerin zur Verfügung gestellte Vertriebssoftware im Zeitraum vom 1. Dezember 2009 bis zum 31. Juli 2011 geltend gemacht. Eine Verbescheidung dieses Aufrechnungseinwands und des diesbezüglichen Vorbringens des Beklagten ist den Gründen des Berufungsurteils nicht zu entnehmen.
10
bb) Das Vorbringen des Beklagten, die Klägerin habe den Mietzins für die Vertriebssoftware für Oktober bis Dezember 2011 ins Soll gebucht und mache demnach eine Doppelzahlung geltend, ist vom Berufungsgericht ebenfalls nicht verbeschieden; es ist auch erheblich. Das Landgericht, das den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch insoweit bereits aus Rechtsgründen nicht für begründet gehalten hat, musste sich mit diesem Einwand des Beklagten allerdings nicht befassen. Das Berufungsgericht ist demgegenüber davon ausgegangen, dass der Klägerin für diesen Zeitraum eine Nutzungsentschädigung dem Grunde nach zusteht. Es musste sich daher auch mit den vom Beklagten in erster Instanz gegen diesen Anspruch vorgebrachten Einwänden auseinandersetzen. Dies hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG unterlassen. Der Beklagte musste sein erstinstanzliches Vorbringen insoweit nicht ausdrücklich wiederholen oder in Bezug nehmen, weil das Landgericht insoweit zu seinen Gunsten entschieden hatte.
11
2. Das angefochtene Urteil ist danach im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO.
12
3. Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO).
Eick Kartzke Graßnack Sacher Borris
Vorinstanzen:
LG Frankenthal, Entscheidung vom 17.12.2012 - 2 HKO 71/12 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 11.06.2015 - 4 U 15/13 -
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Annotations

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.