Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Apr. 2018 - V ZB 95/17

published on 26/04/2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Apr. 2018 - V ZB 95/17
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Amtsgericht Chemnitz, 201 XIV 156/15, 04/12/2015
Landgericht Chemnitz, 3 T 794/15, 24/03/2017

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 95/17
vom
26. April 2018
in der Abschiebungshaftsache
ECLI:DE:BGH:2018:260418BVZB95.17.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. April 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und die Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 24. März 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:


I.


1
Das Amtsgericht hat auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 2. Oktober 2015 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen längstens bis zum 16. Dezember 2015 angeordnet. Dessen Haftaufhebungsantrag vom 26. November 2015 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 4. Dezember 2015 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde bean- tragt der Betroffene die Feststellung, durch die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts im Verfahren über die Haftaufhebung in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.


2
Das Beschwerdegericht meint, die Beschwerde sei unzulässig, weil ein Rechtsschutzbedürfnis aufgrund des Ablaufs der angeordneten Haftdauer nicht mehr bestehe und der Betroffene einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht gestellt habe.

III.


3
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
4
a) Sie ist insbesondere gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthaft. Sie bedarf auch dann keiner Zulassung, wenn bereits das Beschwerdegericht über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat und der Betroffene im Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung der Entscheidung verlangt (Senat, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, juris Rn. 4; Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 180/16, juris Rn. 4); dies gilt auch, wenn - wie hier - mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht wird, das Beschwerdegericht habe einen bereits in der Beschwerdeinstanz gestellten Feststellungsantrag rechtsfehlerhaft übergangen (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, juris Rn. 4 für den Fall der fehlerhaften Verwerfung des Feststellungsantrags als unzulässig durch das Beschwerdegericht).
5
b) Die Rechtsbeschwerde ist ferner statthaft mit dem Ziel, die Rechtsverletzung des Betroffenen durch die Zurückweisung des Antrags auf Haftaufhebung nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG festzustellen (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 180/16, juris Rn. 4 mwN). Ist - wie hier - die Haftanordnung formell rechtskräftig geworden, kann die Rechtswidrigkeit der Haft allerdings erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht festgestellt werden (Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 180/16, juris Rn. 5 mwN). Das ist hier beachtet.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
7
a) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts war die Beschwerde des Betroffenen zulässig.
8
aa) Ein sich in Haft befindender Ausländer kann den Antrag nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG auf Aufhebung der gegen ihn angeordneten Haft mit einem Antrag auf Feststellung analog § 62 Abs. 1 FamFG verbinden, durch die angefochtene Haftanordnung ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht in seinen Rechten verletzt worden zu sein (vgl. Senat, Beschluss vom 24. September 2015 - V ZB 3/15, InfAuslR 2016, 56 Rn. 8 sowie für die Verbindung des Feststellungsantrags mit der Beschwerde gegen die Haftanordnung Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 74/15, NVwZRR 2016, 635 Rn. 8 ff.). Ist das geschehen, muss das Beschwerdegericht über beide Anträge, die nicht dasselbe Rechtsschutzziel verfolgen, entscheiden (Senat, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, juris Rn. 7). Während sich der Antrag auf Aufhebung der Haft mit deren Ende erledigt, besteht das Rechtsschutzbedürfnis für den hiermit verbundenen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft fort.
9
bb) Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, hat der Betroffene entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG bereits mit dem Antrag auf Haftaufhebung vom 26. November 2015, bei Gericht eingegangen am 27. November 2015, ausdrücklich gestellt. In diesem Schriftsatz heißt es: „Im Falle einer Haftentlassung wird bereits jetzt beantragt festzustellen, dass der Haftbeschluss den Betroffenen in seinen Rechten, ab Eingang diesen Schreibens bei Gericht verletzt hat (§ 62 FamFG)“. Die hierin enthaltene innerprozessuale Bedingung ist mit dem Ende der angeordneten Haftdauer eingetreten. Das Beschwerdegericht hätte daher über den Feststellungsantrag entscheiden müssen und die Beschwerde nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses verwerfen dürfen. Die Entscheidung durfte auch nicht deswegen unterbleiben, weil das Beschwerdegericht die Verfahrensbevollmächtigte auf seine Rechtsauffassung hingewiesen hat, dass angesichts des Ablaufs der angeordneten Haft Erledigung eingetreten und ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde nicht mehr gegeben sei. Abgesehen davon, dass die Frist zur Stellungnahme zu diesem Hinweis nur drei Tage betrug und damit ersichtlich zu kurz bemessen war, hat dieser Hinweis sich entweder nicht auf den ausdrücklich gestellten Feststellungsantrag bezogen, oder er war unzutreffend.

IV.


10
Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif und daher nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit erstmals über den Feststellungsantrag des Betroffenen entschieden werden kann.
Stresemann Brückner Weinland
Kazele Hamdorf

Vorinstanzen:
AG Chemnitz, Entscheidung vom 04.12.2015 - 201 XIV 156/15 (B) -
LG Chemnitz, Entscheidung vom 24.03.2017 - 3 T 794/15 -
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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführ

(1) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist vor Ablauf der nach § 425 Abs. 1 festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Vor der Aufhebung hat das Gericht d
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Annotations

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist vor Ablauf der nach § 425 Abs. 1 festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Vor der Aufhebung hat das Gericht die zuständige Verwaltungsbehörde anzuhören.

(2) Die Beteiligten können die Aufhebung der Freiheitsentziehung beantragen. Das Gericht entscheidet über den Antrag durch Beschluss.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.