Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Apr. 2013 - V ZB 67/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in dem Rechtsbeschwerdeverfahren notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Landeshauptstadt München auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
Gründe:
I.
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- Die Betroffene, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste mit gültigem Visum in das Bundesgebiet ein. Nach Ablauf des Visums wurde sie am 17. Mai 2011 angetroffen und wies sich mit einem für eine andere Person ausgestellten Reisepass aus. Sie äußerte ein Asylbegehren und gab an, den Reisepass entwendet zu haben. Daraufhin wurde sie in Untersuchungshaft genommen, die bis zum 15. Juni 2011 andauerte. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. Juni 2011 die Haft zur Sicherung der Abschiebung der Betroffenen für die Dauer von drei Monaten im Anschluss an die Untersuchungshaft an. Nach Einlegung der Beschwerde am 24. Juni 2011 hob es die Haftanordnung auf, weil die beteiligte Behörde ihren Antrag aufgrund des Asylantrags zurückgenommen hatte.
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- Das Beschwerdegericht hat antragsgemäß festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts über die Haftanordnung vom 7. Juni 2011 die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat. Mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die beteiligte Behörde die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung vom 7. Juni 2011 und die Haftdurchführung im Zeitraum vom 15. bis 24. Juni 2011 rechtmäßig waren.
II.
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- Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hat die Anordnung der Abschiebungshaft den Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, weil ihr der Haftantrag zu Beginn der Anhörung lediglich bekannt gegeben, nicht aber - wie es erforderlich sei - übersetzt und ausgehändigt worden sei. Dieser Verfahrensmangel sei bis zu der Aufhebung der Haft nicht geheilt worden. Ferner sei die Haft nicht verhältnismäßig gewesen, weil die Betroffene in einem Haftraum mit Untersuchungsgefangenen untergebracht worden sei; dies sei mit dem richtlinienkonform auszulegenden § 62a Abs. 1 Satz 2 AufenthG unvereinbar.
III.
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- 1. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Zulassung gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Zwar wird ein Rechtsmittel der beteiligten Behörde in Abschiebungshaftsachen, das sich während des Rechtsbeschwerdeverfahrens erledigt, unzulässig, weil ein Feststellungsantrag analog § 62 FamFG zugunsten der Behörde nicht zulässig ist (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 – V ZB 22/12, zur Veröffentlichung bestimmt). Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor. Vielmehr hat sich die ursprüngliche Beschwerde der Betroffenen während des Beschwerdeverfahrens erledigt. Daraufhin hat das Beschwerdegericht ihrem Feststellungsantrag – als neuer Hauptsache – stattgegeben. Gegen diese Entscheidung wendet sich die beteiligte Behörde in zulässiger Weise. Sie kann zwar nicht die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Haftdurchführung verlangen; ihr Antrag ist aber so auszulegen , dass sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückweisung der Beschwerde erreichen will.
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- 2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
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- a) Die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung ergibt sich schon allein daraus , dass - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - der Haftantrag der Betroffenen nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist (§ 23 Abs. 2 FamFG). Denn dazu muss dem Betroffenen in jedem Fall vor der Anhörung eine Ablichtung des Antrags ausgehändigt und erforderlichenfalls übersetzt werden; dies muss in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 284/11, InfAuslR 2012, 369 Rn. 9 mwN). Hieran fehlt es.
- 7
- b) Ob darüber hinaus die Auffassung des Beschwerdegerichts zutrifft, wonach die Haftanordnung auch wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Trennung von Abschiebungs- und Strafgefangenen rechtswidrig ist, bedarf keiner Entscheidung. Mangels Entscheidungserheblichkeit ist die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zu der Auslegung von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 98) nicht zulässig.
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- c) Ebenso kann dahinstehen, ob der Haftantrag rechtswidrig war, weil er weder Ausführungen zu der Abschiebungsandrohung (dazu Senat, Beschluss vom 30. Juli 2012 - V ZB 245/11, juris Rn. 9 mwN) noch zu der Durchführbarkeit der Abschiebung nach Nigeria sowie der dazu erforderlichen Haftdauer enthielt (dazu Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 9 f.).
IV.
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- Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 84, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO, § 30 Abs. 2 KostO.
Weinland Kazele
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 07.06.2011 - 872 XIV B 185/11 -
LG München I, Entscheidung vom 13.03.2012 - 13 T 1606/12 -
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Annotations
(1) Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen. Werden mehrere Angehörige einer Familie inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubringen. Ihnen ist ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten.
(2) Den Abschiebungsgefangenen wird gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen, den zuständigen Konsularbehörden und einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen Kontakt aufzunehmen.
(3) Bei minderjährigen Abschiebungsgefangenen sind unter Beachtung der Maßgaben in Artikel 17 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) alterstypische Belange zu berücksichtigen. Der Situation schutzbedürftiger Personen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
(4) Mitarbeitern von einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen soll auf Antrag gestattet werden, Abschiebungsgefangene zu besuchen.
(5) Abschiebungsgefangene sind über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln zu informieren.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.
(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn
(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.
(1) Ein verfahrenseinleitender Antrag soll begründet werden. In dem Antrag sollen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben sowie die Personen benannt werden, die als Beteiligte in Betracht kommen. Der Antrag soll in geeigneten Fällen die Angabe enthalten, ob der Antragstellung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen. Urkunden, auf die Bezug genommen wird, sollen in Urschrift oder Abschrift beigefügt werden. Der Antrag soll von dem Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten unterschrieben werden.
(2) Das Gericht soll den Antrag an die übrigen Beteiligten übermitteln.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.
(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.
Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.
Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.