Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - IX ZB 218/10

published on 21/07/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - IX ZB 218/10
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Amtsgericht Nordenham, 6 IN 15/04, 16/08/2010
Landgericht Oldenburg (Oldenburg), 6 T 756/10, 05/10/2010

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 218/10
vom
21. Juli 2011
in dem Restschuldbefreiungsverfahren
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser und die Richter Raebel, Dr. Pape, Grupp und die Richterin
Möhring
am 21. Juli 2011

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 5. Oktober 2010 wird auf Kosten des Schuldners als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:


1
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 300 Abs. 3 Satz 2, §§ 4, 6, 7 InsO, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft, sie ist jedoch gemäß § 574 Abs. 2 ZPO im Übrigen unzulässig. Sie deckt keinen Zulässigkeitsgrund auf. Weder weicht das Beschwerdegericht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab noch verletzt sie verfassungsmäßige Rechte des Schuldners.
2
1. Nach gefestigter Rechtsprechung dürfen die aus den technischen Gegebenheiten des Kommunikationsmittels Telefax herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Dies gilt ins- besondere für Störungen des Empfangsgeräts des Gerichts. In diesem Fall liegt die entscheidende Ursache für die Fristsäumnis in der Sphäre des Gerichts (BVerfG, NJW 2001, 3473 f; BGH, Beschluss vom 6. März 1995 - II ZB 1/95, NJW 1995, 1431, 1432 f; vom 30. September 2003 - X ZB 48/02, NJW-RR 2004, 283, 284). Auch vorliegend lag die Übermittlungsstörung in der Sphäre des Insolvenzgerichts, weil nach den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung das angewählte Faxgerät auf der Insolvenzgeschäftsstelle des Amtsgerichts Nordenham am 2. September 2010 mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht anwählbar war. Dies befreit den Bevollmächtigten eines Verfahrensbeteiligten indessen nicht davon, alle noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, wenn sich herausstellt, dass aus von ihm nicht zu vertretenen Gründen wegen einer technischen Störung eine Telefaxverbindung nicht zustande kommt (BGH, Beschluss vom 6. März 1995 aaO). Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Beschwerdegericht festgestellt, dass die Möglichkeit bestanden hätte, die Beschwerde an das einsatzbereite Hauptfaxgerät des Amtsgerichts Nordenham zu versenden oder aber an das Faxgerät des Landgerichts Oldenburg.
3
Mit dieser Bewertung setzt sich das Beschwerdegericht nicht in Widerspruch zu dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2003 (V ZB 60/02, VersR 2004, 492), wie die Rechtsbeschwerdebegründung meint. Der Bundesgerichtshof ist in dieser Entscheidung nur der Auffassung des Berufungsgerichts entgegengetreten, der Rechtsanwalt habe ein Blitztelegramm aufgeben, einen Kurierdienst mit 24 Stunden-Service oder ein am Sitz des Berufungsgerichts residierendes Rechtsanwaltsbüro beauftragen müssen, den Schriftsatz in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts einzuwerfen, oder aber selbst mit dem Auto zum Berufungsgericht fahren müssen. Er hat jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass anders zu entscheiden wäre, wenn der fristwahrende Schriftsatz einer anderen Stelle des Rechtsmittelgerichts per Fax hätte übermittelt werden können.
4
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, NJW 1996, 2857, 2858) steht dem nicht entgegen. Nach ihr kann von einem Rechtsanwalt , der sich darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz durch Fax zu übermitteln , beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts nicht verlangt werden, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt. Das Beschwerdegericht hat jedoch vom Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners nicht verlangt, eine andere als die von ihm gewählte Telefaxübermittlung zu wählen, es hat von ihm nur gefordert, das Hauptfaxgerät des Amtsgerichts Nordenham anzuwählen. Dies ist einem Verfahrensbevollmächtigten auch von Verfassungs wegen zumutbar. Denn er soll nicht untererheblichem Zeit- und Kostenaufwand alle nur denkbaren Anstrengungen unternehmen, um einen fristgerechten Eingang beim Gericht doch noch sicherzustellen, sondern nur einen naheliegenden, kaum zusätzlicher Mühe erfordernden Übermittlungsversuch. Deswegen kann auch nicht gesagt werden, dass eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte vorliege, weil ein Rechtsanwalt, der seinen Schriftsatz erst kurz vor Fristablauf fertige, ohne weiteres Wiedereinsetzung erhalte, sofern er nur einen fehlgeschlagenen Übermittlungsversuch so zeitig begonnen habe, dass er unter normalen Umständen bis 24 Uhr abgeschlossen worden wäre (vgl. BVerfG, NJW 1996, 2857, 2858).
5
2. Der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners hätte auch bemerken müssen, dass der Übermittlungsversuch des Schriftsatzes durch Telefax erfolglos war, wenn er die erforderliche Ausgangskontrolle vorgenommen hätte (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2006 - XI ZB 4/05, NJW 2006, 1518 Rn. 15; vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 11 f; vom 7. Juli 2010 - XII ZB 59/10, NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12; vom 22. September 2010 - XII ZB 117/10, NJW-RR 2011, 138 Rn. 11). Die Ausgangskontrolle anhand des Sendeberichts dient nicht nur dazu, Fehler bei der Übermittlung auszuschließen. Vielmehr soll damit ebenso die Feststellung ermöglicht werden, ob der Schriftsatz überhaupt übermittelt worden ist (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010, aaO Rn. 14).
6
3. Selbst wenn den Rechtsbeschwerdeführer an der Versäumung der Beschwerdefrist kein Verschulden träfe, wäre die angefochtene Entscheidung im Ergebnis dennoch richtig, weil der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners die Wiedereinsetzungsfrist (§ 238 Abs. 2 ZPO) nicht gewahrt hat. Er hätte innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist spätestens bis zum 17. September 2010 Wiedereinsetzung beantragen müssen (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2004 - X ZB 3/03, NJW-RR 2005, 923; vom 23. November 2004 - XI ZB 4/04, MDR 2005, 526, 527). Demgegenüber ist der Antrag auf Wiedereinsetzung beim Amtsgericht erst am 21. September 2010 eingegangen.
Kayser Raebel Pape
Grupp Möhring
Vorinstanzen:
AG Nordenham, Entscheidung vom 16.08.2010 - 6 IN 15/04 -
LG Oldenburg, Entscheidung vom 05.10.2010 - 6 T 756/10 -
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Annotations

(1) Das Insolvenzgericht entscheidet nach dem regulären Ablauf der Abtretungsfrist über die Erteilung der Restschuldbefreiung. Der Beschluss ergeht nach Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Insolvenzverwalters oder Treuhänders und des Schuldners. Eine nach Satz 1 erteilte Restschuldbefreiung gilt als mit Ablauf der Abtretungsfrist erteilt.

(2) Wurden im Insolvenzverfahren keine Forderungen angemeldet oder sind die Insolvenzforderungen befriedigt worden und hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten berichtigt, so entscheidet das Gericht auf Antrag des Schuldners schon vor Ablauf der Abtretungsfrist über die Erteilung der Restschuldbefreiung. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 ist vom Schuldner glaubhaft zu machen. Wird die Restschuldbefreiung nach Satz 1 erteilt, so gelten die §§ 299 und 300a entsprechend.

(3) Das Insolvenzgericht versagt die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers, wenn die Voraussetzungen des § 290 Absatz 1, des § 296 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 3, des § 297 oder des § 297a vorliegen, oder auf Antrag des Treuhänders, wenn die Voraussetzungen des § 298 vorliegen.

(4) Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen. Gegen den Beschluss steht dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger, der bei der Anhörung nach Absatz 1 oder Absatz 2 die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt oder der das Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer vorzeitigen Restschuldbefreiung nach Absatz 2 geltend gemacht hat, die sofortige Beschwerde zu.

Für das Insolvenzverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. § 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.

(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.

(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.

(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.