Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Aug. 2015 - IV ZR 140/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats Stellung zu nehmen.
Gründe:
- 1
- I. Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.
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- Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 1995 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG).
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- D. VN zahlte von Dezember 1995 bis Juni 2009 Prämien in Höhe von insgesamt 41.670,95 €. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2009 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2011 erklärte d. VN nochmals den Widerspruch.
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- Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 36.423,04 €.
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- Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Sie sei über das Widerspruchsrecht nicht belehrt worden. D. VN hat den Zugang des Policenbegleitschreibens, das eine Widerspruchsbelehrung enthielt, mit Nichtwissen bestritten. Das Policenmodell sei mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar.
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- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen.
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- II. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechtsgrund geleistet. Die Widerspruchsbelehrung in dem Policenbegleitschreiben sei drucktechnisch deutlich gestaltet und erfülle auch inhaltlich die Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. Der Zugang des Begleitschreibens gelte gemäß § 138 Abs. 3 und Abs. 4 ZPO als zugestanden. Da es um Tatsachen gehe, die Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sein sollten, dürfe sie sich dazu prinzipiell nicht mit Nichtwissen erklären. Ein Bestreiten mit Nichtwissen sei ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft mache, sich an einen lange Zeit zurückliegenden Alltagsvorgang nicht mehr erinnern zu können. Die bloße Behauptung, sich nicht (mehr) erinnern zu können, genüge nicht; die Partei müsse zum einen plausibel vortragen, weshalb ihr die präsente Kenntnis fehle, und sei zum anderen verpflichtet, sich zu informieren, indem sie etwa ihre Unterlagen prüfe, sich bei Dritten erkundige oder ihre Erinnerung an Ort und Stelle auffrische. Es fehle insoweit an einer auf den konkreten Einzelfall zugeschnittenen, substantiierten Darstellung. Beim Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung mit einer Laufzeit von 20 Jahren handele es sich nicht um einen Alltagsvorgang, der rasch in Vergessenheit gerate. Die Erklärung der Klägerin, sie habe bereits bei der Klageerhebung eigentlich keine Unterlagen mehr gehabt und sei zwischenzeitlich umgezogen, wobei Dokumente abhandengekommen oder von ihrem früheren Lebensgefährten entfernt worden sein könnten, sei weder ausreichend noch plausibel.
- 8
- Mit der Geltendmachung bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsansprüche nach jahrelanger Vertragsdurchführung verstoße d. VN gegen das Prinzip von Treu und Glauben. Das Verhalten d. VN sei objek- tiv widersprüchlich. Sie habe die ihr bekannt gemachte Widerspruchsfrist beim Vertragsschluss im Jahre 1995 ungenutzt verstreichen lassen und bis einschließlich Juni 2009 die Prämien gezahlt. D. VN habe die Ansprüche in Höhe von 40.000 € an eine Bank als Sicherheit abgetreten. Per Schreiben vom 22. Juni 2009 habe d. VN um eine Beitragsfreistellung gebeten. Aufgrund ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung habe d. VN gewusst, dass sie den Lebensversicherungsvertrag - ohne Nachteile zu erleiden - gar nicht hätte zustande kommen lassen müssen und ihr der Versicherer ein Recht zur Loslösung hiervon zugestanden habe. Angesichts dessen hätten die Beitragszahlungen über einen Zeitraum von 13 Jahren und sieben Monaten, die Benutzung der Ansprüche aus dem Versicherungsgeschäft als Kreditsicherheit und die Bitte um Beitragsfreistellung lediglich als Ausdruck des Willens verstanden werden können, den Vertrag tatsächlich durchzuführen.
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- Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.
- 10
- III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
- 11
- 1. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Fragen , ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen sich der jeweilige Anspruchsteller in Fällen der vorliegenden Art zum Erhalt von Schriftstücken, in denen sich eine Widerspruchsbelehrung befinde, mit Nichtwissen erklären dürfe und ob es sich um ein neues Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO handele, wenn eine Partei im zweiten Rechtzug von dem Bestreiten mit Nichtwissen zum Bestreiten als unzutreffend übergehe, grundsätzliche Bedeutung hätten.
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- a) Diese Fragen sind nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Es ist schon nicht ersichtlich, dass dazu unterschiedliche Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur vertreten werden. Unter welchen Voraussetzungen ein Bestreiten mit Nichtwissen zulässig ist, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Ob eine Partei ein Vorbringen der Gegenseite zulässigerweise mit Nichtwissen bestreitet, ist der Würdigung des Einzelfalles vorbehalten. Dies gilt auch für die Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO, wenn eine Partei eine Behauptung in erster Instanz mit Nichtwissen und in zweiter Instanz als unwahr bestreitet.
- 13
- b) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 138 Abs. 4 ZPO eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig ist, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind. Ein Bestreiten eigener Handlungen und Wahrnehmungen mit Nichtwissen kommt ausnahmsweise etwa dann in Betracht, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an einen lange zurückliegenden (Alltags-)Vorgang nicht mehr zu erinnern (BGH, Urteile vom 19. April 2001 - I ZR 238/98, NJW-RR 2002, 612 unter II 1; vom 10. Oktober 1994 - II ZR 95/93, NJW 1995, 130 unter 3 d aa; jeweils m.w.N.). Die bloße Behauptung, sich nicht zu erinnern , reicht indessen nicht aus (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 aaO).
- 14
- Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im Streitfall in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angewandt. Soweit es einen plausiblen Vortrag der Klägerin dazu vermisst hat, weshalb ihr die Kenntnis vom Zugang des Begleitschreibens fehlt, ist diese tatrichterli- che Würdigung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie verstößt insbesondere nicht, wie die Revision meint, gegen die Lebenserfahrung. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass es sich beim Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung nicht um einen Alltagsvorgang handelt, so dass der Versicherungsnehmer die Unterlagen im eigenen Interesse regelmäßig sorgfältig aufbewahrt, um erworbene Ansprüche später problemlos geltend machen zu können. Dies gilt nicht nur für den Versicherungsschein, sondern auch für die mit ihm übersandten Unterlagen, wie die Widerspruchsbelehrung. D. VN mag - wie die Revision einwendet - nicht verpflichtet gewesen sein, sich bei Dritten zu erkundigen. Sie war aber gehalten, in ihren eigenen Unterlagen nach dem Verbleib des Begleitschreibens zu suchen. Dazu hat das Berufungsgericht zu Recht substantiierten Vortrag d. VN vermisst.
- 15
- Soweit das Berufungsgericht die Widerspruchsbelehrung in dem Begleitschreiben als formell und inhaltlich ordnungsgemäß angesehen hat, erinnert die Revision hiergegen- zu Recht - nichts.
- 16
- c) Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht aus der - von der Revision begehrten - Notwendigkeit einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union. Ob nach dem Policenmodell geschlossene Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG VersR 2015, 693 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 3242 ; BVerfG aaO Rn. 42 ff.). Davon ist das Berufungsgericht ausgegangen ; es hat zu Recht d. VN ein treuwidriges Verhalten angelastet. D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist ließ sie bei Vertragsschluss 1995 ungenutzt verstreichen. D. VN zahlte über 13 Jahre und sieben Monate die Versicherungsprämien, nutzte die Lebensversicherung zur Kreditsicherung und erklärte erst viele Jahre später den Widerspruch. Die jahrelangen Prämienzahlungen der bereits im November 1995 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen , belehrten VN haben bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für d. VN auch erkennbar.
- 17
- 2. Aus den dargelegten Gründen hält das Berufungsurteil jedenfalls im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand.
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Cottbus, Entscheidung vom 04.04.2013- 6 O 118/12 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 21.01.2015- 11 U 74/13 -
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Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.
(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.
(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.
(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.
(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.