Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Okt. 2015 - IV ZR 139/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 71.200 €
Gründe:
- 1
- I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Invaliditätsleistungen aus einem im Jahre 2002 geschlossenen Unfallversicherungsvertrag in Anspruch.
- 2
- Nach Meldung eines - zwischen den Parteien streitigen - Unfallgeschehens vom 3. Mai 2004 zahlte die Beklagte an die Klägerin einen Vorschuss von 5.600 €. Der Zahlung war ein Schreiben der Beklagten vorangegangen, in dem sie erklärte: "Bitte beachten Sie, dass die Vorschussleistung unter dem Vorbehalt einer Rückforderung steht, sofern sich bei der Nachbegutachtung ein geringerer Dauerschaden herausstellen sollte." Die Vorschusszahlung forderte sie mit Schreiben vom 9. November 2007 mit der Behauptung zurück, die von der Klägerin beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht unfallabhängig. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2010 verrechnete die Beklagte eine der Klägerin aus einem weiteren Schadenfall zustehende Versicherungsleis- tung von 4.000 € mit ihrer Widerklageforderung.
- 3
- Die Klägerin hat im Wesentlichen vorgetragen, sie sei am 3. Mai 2004 beim Aussteigen aus der Badewanne in ihrer Wohnung ausgerutscht und habe sich Verletzungen in Form einer Beckenprellung mit knöchernem Ausriss des musculus rectus femoris links, multipler Prellungen und eine Außenbandruptur des linken Sprunggelenks zugezogen. Infolge der unfallbedingt eingetretenen Dauerschäden im Bereich des linken Beines liege eine Invalidität von insgesamt 63% vor, wofür ihr unter Berücksichtigung der vereinbarten Progression Invaliditätsleistungen in Höhe von insgesamt 71.200 € zustünden, auf die sie sich den Vorschuss von 5.600 € anrechnen lasse.
- 4
- Die Beklagte und ihr Streithelfer haben den Unfallhergang, die Kausalität der geschilderten Beschwerden mit dem behaupteten Unfallhergang sowie die Höhe der Invaliditätsleistung bestritten und widerklagend Rückzahlung des Vorschusses begehrt.
- 5
- II. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen und der Widerklage über 5.600 € stattgegeben. Es war der Ansicht, die Klägerin habe bereits den von ihr behaupteten Unfallhergang nicht nachgewiesen wegen mehrerer, zum Teil nicht in Übereinstimmung zu bringender Unfallschilderungen.
- 6
- Die Klage ist auch in der Berufungsinstanz erfolglos geblieben, während der Widerklage nur noch teilweise - unter Abänderung des Ersturteils im Hinblick auf die seitens der Beklagten vorgenommene Verrechnung der Widerklageforderung mit jener der Klägerin unstreitig aus einem weiteren Schadenfall zustehenden Forderung von 4.000 € - statt- gegeben wurde (5.600 € abzüglich 4.000 €). Zur Begründung hat das Be- rufungsgericht ausgeführt, selbst wenn zu Gunsten der Klägerin von einem Unfallereignis am 3. Mai 2004 ausgegangen werde, habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sie die für den eingeklagten Invaliditätsanspruch maßgebliche Sprunggelenksverletzung bei dem Unfall erlitten habe.
- 7
- III. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Klägerin führt zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht gemäß § 544 Abs. 7 ZPO. Dieses hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es deren Antrag auf Vernehmung dreier Zeugen übergangen hat.
- 8
- 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings entgegen der Auffassung der Beschwerde davon ausgegangen, dass hier mit Rücksicht auf den qualifizierten Vorbehalt der Rückforderung die Beweislast für das Behaltendürfen der Vorauszahlung der Versicherungsnehmer, die Klägerin , trage (Senatsurteil vom 16. Juli 2003 - IV ZR 310/02, VersR 2003, 1165, juris Rn. 22 f.).
- 9
- 2. Zu Recht rügt die Beschwerde aber, dass die angefochtene Entscheidung den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG), weil das Berufungsgericht die von der Klägerin - bereits erstinstanzlich - für eine durch den Unfall verursachte Außenbandruptur des linken Sprunggelenks benannten Zeugen Dr. S. , Dr. K. und Dr. B. nicht vernommen hat.
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- a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen , dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (BGH, Beschluss vom 24. März 2015 - VI ZR 534/13, r+s 2015, 310 Rn. 4; st. Rspr.).
- 11
- b) So verhält es sich hier. Das Berufungsgericht ist unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu der Annahme gelangt, die Klägerin könne mit den von ihr angebotenen Beweismitteln den Nachweis der Ursächlichkeit des Unfalles für die Außenbandruptur ihres linken Sprunggelenks nicht führen.
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- aa) Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht den Zeugen Dr. S. , den Hausarzt der Klägerin, nicht vernommen hat. Sie hatte ihn bereits erstinstanzlich zum Beweis für ihren Vortrag benannt, dass sie sich unmittelbar am Tag nach dem Unfall in seine Behandlung begeben hatte und er starke Schwellungen auch des linken Fußgelenks festgestellt habe. Es kommt für die Frage der Unfallkausalität nach den eigenen Feststellungen des Berufungsgerichts entscheidend darauf an, ob im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall am linken Fußgelenk eine Verletzung erkennbar war, die in Einklang gebracht werden kann mit der Verletzung, wie sie in der Folge im Rahmen einer kernspintomographischen Aufnahme festgestellt wurde. Sollte der Zeuge Dr. S. bestätigen, dass bereits am Tag nach dem Unfall eine Schwellung des Fußgelenks vorlag, dürfte das Berufungsgericht die Aussagen der Zeugen, vor allem auch jene zu der kernspintomographischen Untersuchung , neu zu bewerten haben. Anders als die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung meint, wäre die Bestätigung einer Schwellung des Fußgelenks, insbesondere nach der Auffassung des Berufungsgerichts, durchaus geeignet, den Vortrag der Klägerin (indiziell) zu beweisen, dass sie die Sprunggelenksverletzung bereits am 3. Mai 2004 erlitten hat.
- 13
- bb) Ebenfalls gehörswidrig hat das Berufungsgericht den Zeugen Dr. K. nicht vernommen. Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie bereits am 1. Juni 2004 auch wegen Beschwerden im Sprunggelenk im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz behandelt worden sei und dazu den Zeugen Dr. K. benannt. Sie hat eine entsprechende Bescheini- gung dieses Arztes zu den Akten gereicht, aus der sich ergibt, dass unter anderem am 1. Juni 2004 eine Vorstellung "aufgrund der bestehenden Beschwerden im li. Bein (Hüft-, Knie- und Sprunggelenk)" erfolgte. Das Berufungsgericht durfte sich daher nicht ohne Gehörsverstoß nur auf den Arztbericht des Chefarztes Dr. St. , Klinik H. , stützen , bei dem sich die Klägerin am 18. Juni 2004 auf Überweisung des Bundeswehrkrankenhauses vorstellte. In dem Arztbericht ist zwar keine "Verletzung des linken Sprunggelenks" erwähnt, vermerkt ist aber immerhin eine "Prellung li. Handgelenk und li. Fuß".
- 14
- cc) Schließlich hat das Berufungsgericht auch gehörswidrig von einer Vernehmung des von der Klägerin als Zeugen benannten Dr. B. abgesehen. Die Klägerin hat - worauf die Beschwerde ebenfalls zu Recht hinweist - in das Wissen dieses Zeugen gestellt, dass er sie am 12. Juli 2004 unter der konkreten Diagnose "Bandruptur Fußgelenk" in das Krankenhaus H. überwiesen habe. Soweit sich das Berufungsgericht zum Beleg dafür, dass die Klägerin im Mai 2004 nicht über Schmerzen im Bereich des linken Sprunggelenks geklagt habe, auf eine ärztliche Bescheinigung des Dr. B. vom 6. September 2004 gestützt hat, kommt es darauf zum einen nicht maßgeblich an, zum anderen war dieses Schreiben ohne Vernehmung des Zeugen ungeeignet, einen entsprechenden Beweis zu erbringen. Der Arzt verweist in dem Schreiben unter anderem darauf, dass die Behandlung am 17. Mai 2004 begann und "bezüglich der erlittenen pathologischen Befunde und der Verletzungsdiagnosen [wird] auf die umfangreiche Dokumentation in der Anlage, u.a. Radiologisches Institut Koblenz …". Aus dem Schreiben kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Klägerin nicht bereits unmittelbar nach dem Unfall über Beschwerden im linken Sprunggelenk geklagt hat.
Dr. Brockmöller Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 26.03.2014- 16 O 38/09 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 30.01.2015- 10 U 500/14 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.