Bundesgerichtshof Beschluss, 26. März 2012 - II ZB 23/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Beklagte ist mit Urteil des Landgerichts vom 2. Juni 2010 unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 14.869,35 € nebst Zinsen verurteilt worden. Das Urteil ist seinem Prozessbevollmächtigten am 7. Juni 2010 zugestellt worden. Mit am 5. Juli 2010 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der Beklagte Berufung eingelegt und die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. September 2010 beantragt, die ihm antragsgemäß gewährt wurde. Am 7. September 2010 gingen beim Oberlandesgericht folgende Schriftstücke ein: - Ein als Berufungsbegründung bezeichnetes Schriftstück, das auf Seite 1 den Stempel "Abschrift" trägt und auf Seite 268 unterhalb des Textes mit einem Beglaubigungsvermerk "Beglaubigt Rechtsanwalt" und der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten versehen ist. - Zwei Telefaxsendungen, die jeweils Auszüge des vorbezeichneten Schriftsatzes - jeweils die ersten und die letzten zehn Seiten des Schriftsatzes - und auf Seite 1 ebenfalls den Aufdruck "Abschrift" sowie auf der letzten Seite nicht die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten in der Unterschriftszeile, sondern ebenfalls nur den unterschriebenen Beglaubigungsvermerk enthalten.
- 2
- Am 8. September 2010 ging das Original der Berufungsbegründung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten ein, das auf Seite 1 keinen Stempelaufdruck und auf Seite 268 - in der Unterschriftenzeile - die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten trägt.
- 3
- Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 15. November 2010 darauf hingewiesen worden war, dass am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist lediglich eine beglaubigte Abschrift der Begründungsschrift eingegangen sei, und ihm mit Verfügung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts mitgeteilt worden war, dass es im Hinblick darauf beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zu verwerfen, beantragte er mit Schriftsatz vom 5. Januar 2011 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
- 4
- Mit Beschluss vom 19. Januar 2011 hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, der Wille des Absenders, die Be- rufungsbegründung in den Verkehr zu bringen, könne nicht mit hinreichender Sicherheit unterstellt werden, wenn am Tag des Fristablaufs lediglich eine aus der Sicht des Empfängers gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Zustellung an den Gegner bestimmte Abschrift einer Berufungsbegründung eingereicht werde. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der lediglich die auf einem als Originalschriftsatz bestimmten und eingereichten Schriftsatz fehlende Unterschrift (§ 130 Nr. 6 ZPO) unter bestimmten Voraussetzungen durch die Unterzeichnung einer beglaubigten Abschrift ersetzt werden könne. Den Wiedereinsetzungsantrag hat es mit der Begründung zurückgewiesen , dieser sei nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen nach der Behebung des Hindernisses (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO) gestellt worden, da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten bereits am 15. November 2010 Kenntnis davon erhalten habe, dass lediglich eine beglaubigte Abschrift der Berufungsbegründung fristgerecht beim Berufungsgericht eingegangen sei. Angesichts dessen sei der erst am 5. Januar 2011 gestellte Wiedereinsetzungsantrag verspätet.
- 5
- Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde, für deren Durchführung ihm der Senat mit Beschluss vom 29. November 2011 Prozesskostenhilfe und mit Beschlüssen vom 15. und 19. Dezember 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt hat.
II.
- 6
- Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
- 7
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, denn die angefochtene Entscheidung verletzt den Beklagten in entscheidungserheblicher Weise in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und zugleich in dem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
- 8
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Ansicht des Berufungsgerichts , die Berufung des Beklagten sei nicht innerhalb der bis zum 7. September 2010 verlängerten Frist durch einen von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schriftsatz begründet worden, ist rechtsfehlerhaft.
- 9
- Bereits nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 119, 62, 63; JW 1930, 2953 Nr. 21; JW 1934, 420 Nr. 16; JW 1938, 237 Nr. 48), der sich der Bundesgerichtshof angeschlossen hat (siehe nur BGH, Beschluss vom 5. März 1954 - VI ZB 21/53, LM Nr. 14 zu § 519 ZPO; Urteil vom 22. September 1992 - XI ZR 35/92, VersR 1993, 459 [juris Rn. 13]; siehe auch BFH, Urteil vom 27. Juli 1977 - I R 207/75, BFHE 123, 286, 287 f. [juris Rn. 8]), ersetzt die beglaubigte Abschrift einer Berufungs- oder Berufungsbegründungsschrift die Urschrift , wenn der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers handschriftlich vollzogen ist. Die Rechtswirkungen der Einreichung der Urschrift eines bestimmten Schriftsatzes treten auch dann ein, wenn eine von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich beglaubigte Abschrift fristgemäß bei Gericht eingegangen ist. Anders als das Berufungsgericht meint, steht dem nicht entgegen, dass die beglaubigten Abschriften (an sich) nur zur Weiterleitung an den Gegner übergeben werden und somit nicht mit Sicherheit Bestandteil der Akten werden. Zwar trifft es zu, dass die Beglaubigung dann primär den Zweck hat, dem Gegner die Überzeugung der Übereinstimmung der Abschrift mit der Urschrift zu verschaffen. Das schließt aber nicht aus, dass die beglaubigten Abschriften trotzdem eine von ihrer unmittelbaren Zweckbestimmung nicht umfasste Wirkung haben. Diese Wirkung besteht darin, dass das Gericht aus ihrer Einreichung die Überzeugung gewinnen kann, dass das Schriftstück von dem Anwalt, der den Beglaubigungsvermerk vollzogen hat, herrührt, dass er die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen und diesen bei Gericht einreichen will und dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Zur Einlegung der Berufung und ihrer Begründung genügt aber die Einreichung eines Schriftsatzes , der von einer Unterschrift - hier auf dem Beglaubigungsvermerk - des Prozessbevollmächtigten gedeckt ist.
- 10
- 3. Da der Beklagte seine Berufung rechtzeitig begründet hat, hätte das Berufungsgericht sie nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Der Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Es bedarf keiner Entscheidung über den von dem Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist eingelegten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Insoweit ist der Beschluss des Berufungsgerichts gegenstandslos.
Vorinstanzen:
LG Dresden, Entscheidung vom 02.06.2010 - 5 O 3219/08 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 19.01.2011 - 13 U 1038/10 -
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Annotations
(1) Die Parteien sollen den Schriftsätzen, die sie bei dem Gericht einreichen, die für die Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften der Schriftsätze und deren Anlagen beifügen. Das gilt nicht für elektronisch übermittelte Dokumente sowie für Anlagen, die dem Gegner in Urschrift oder in Abschrift vorliegen.
(2) Im Falle der Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195) haben die Parteien sofort nach der Zustellung eine für das Prozessgericht bestimmte Abschrift ihrer vorbereitenden Schriftsätze und der Anlagen bei dem Gericht einzureichen.
Die vorbereitenden Schriftsätze sollen enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Parteien und ihrer gesetzlichen Vertreter nach Namen, Stand oder Gewerbe, Wohnort und Parteistellung; die Bezeichnung des Gerichts und des Streitgegenstandes; die Zahl der Anlagen; - 1a.
die für eine Übermittlung elektronischer Dokumente erforderlichen Angaben, sofern eine solche möglich ist; - 2.
die Anträge, welche die Partei in der Gerichtssitzung zu stellen beabsichtigt; - 3.
die Angabe der zur Begründung der Anträge dienenden tatsächlichen Verhältnisse; - 4.
die Erklärung über die tatsächlichen Behauptungen des Gegners; - 5.
die Bezeichnung der Beweismittel, deren sich die Partei zum Nachweis oder zur Widerlegung tatsächlicher Behauptungen bedienen will, sowie die Erklärung über die von dem Gegner bezeichneten Beweismittel; - 6.
die Unterschrift der Person, die den Schriftsatz verantwortet, bei Übermittlung durch einen Telefaxdienst (Telekopie) die Wiedergabe der Unterschrift in der Kopie.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.