Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2011 - I ZR 216/10

published on 09/11/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2011 - I ZR 216/10
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Landgericht Stuttgart, 17 O 42/10, 20/05/2010
Oberlandesgericht Stuttgart, 4 U 106/10, 06/10/2010

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZR 216/10
vom
9. November 2011
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2011
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant,
Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Koch

beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2010 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf1.000.000 € festgesetzt.

Gründe:

1
I. Der Kläger ist einer der drei Erben des Architekten Prof. Dipl.-Ing. Paul Bonatz (1877 bis 1956), der den Stuttgarter Hauptbahnhof entworfen hat. Die Beklagte zu 2 ist Eigentümerin des Bahnhofsgebäudes, die Beklagte zu 1 das an der Konzernspitze stehende Unternehmen der Deutschen Bahn.
2
Im Rahmen des Infrastrukturprojekts "Stuttgart 21" schrieb unter anderem die Beklagte zu 1 einen Architektenwettbewerb für die Neugestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs aus. Vorgabe war die Verlegung der bisherigen Gleisanlagen in den Untergrund zur Schaffung eines Durchgangsbahnhofs. Der siegreiche Entwurf, der den Abriss der Seitenflügel und der Treppenanlage der großen Schalterhalle vorsieht, wurde Grundlage des Planfeststellungsverfahrens und des Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Januar 2005.
3
Der Kläger sieht durch den geplanten Teilabriss die Urheberpersönlichkeitsrechte von Paul Bonatz beeinträchtigt. Er hat die Beklagten ursprünglich auf Unterlassung des Abrisses von Gebäudeteilen des Stuttgarter Hauptbahnhofs - und zwar des Südost- und des Nordwest-Flügels sowie der Treppenanlage in der großen Schalterhalle - in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Stuttgart, ZUM-RD 2010, 491). Nachdem der Nordwest -Flügel im August/September 2010 abgerissen worden war, hat der Kläger im Berufungsverfahren unter Aufrechterhaltung der Anträge im Übrigen beantragt , diesen Gebäudeteil wieder aufzubauen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben (OLG Stuttgart, GRUR-RR 2011, 56). Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde. Mit der Revision will der Kläger sein Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren in vollem Umfang weiterverfolgen.
4
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
5
1. Die von der Beschwerde als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage, ob im Rahmen der gebotenen Abwägung der betroffenen Interessen des Urhebers einerseits und des Eigentümers andererseits den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers nach seinem Tode ein geringeres Gewicht als zu seinen Lebzeiten beigemessen werden kann, ist bereits geklärt. Der Senat hat entschieden, dass die Urheberinteressen Jahre oder Jahrzehnte nach dem Tod des Urhebers nicht notwendig dasselbe Gewicht haben wie zu seinen Lebzeiten (Urteil vom 13. Oktober 1988 - I ZR 15/87, GRUR 1989, 106, 107 - Oberammergauer Passionsfestspiele II). Daran hat der Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung festgehalten (Urteil vom 19. März 2008 - I ZR 166/05, GRUR 2008, 984 Rn. 29 = WRP 2008, 1440 - St. Gottfried). Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keine beachtlichen Gründe für eine Überprüfung dieser Rechtsprechung dargelegt. Das Berufungsgericht konnte daher ohne Rechtsfehler berücksichtigen , dass die (postmortale) Schutzfrist des Urheberrechts von Paul Bonatz 56 Jahre nach dessen Tod bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist.
6
2. Ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung hat die Frage, ob im Rahmen der Interessenabwägung solche Planungsalternativen zu berücksichtigen sind, die für den Urheber weniger einschneidende Folgen haben. Auch diese Frage ist bereits geklärt. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass der Eigentümer eines urheberrechtlich geschützten Bauwerks, der sich zu Änderungen genötigt sieht, zwar grundsätzlich eine den betroffenen Urheber in seinen persönlichkeitsrechtlichen Interessen möglichst wenig berührende Lösung suchen muss. Hat er sich jedoch für eine bestimmte Planung entschieden, so geht es im Rahmen der Interessenabwägung nur noch darum, ob dem betroffenen Urheber die geplanten Änderungen des von ihm geschaffenen Bauwerks zuzumuten sind. Ob daneben noch andere, den Urheber gegebenenfalls weniger beeinträchtigende Lösungen denkbar sind, ist hierfür nicht von entscheidender Bedeutung (BGH, Urteil vom 31. Mai 1974 - I ZR 10/73, BGHZ 62, 331, 338 f. - Schulerweiterung; GRUR 2008, 984 Rn. 39 - St. Gottfried). Der Rechtsprechung des Senats ist nicht zu entnehmen, dass diese Grundsätze nur für Bauwerke mit durchschnittlicher oder unterdurchschnittlicher Schöpfungshöhe gelten. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist damit auch nicht festgelegt, dass die Abwägung zugunsten des Eigentümers ausgeht.
7
3. Auch die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Eigentümer im Rahmen der Interessenabwägung öffentliche Belange für sich reklamieren kann, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist nicht klärungsbedürftig. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei einem Werk der Baukunst im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere der Gebrauchszweck des Bauwerks zu berücksichtigen. Der Urheber eines Bauwerks weiß, dass der Eigentümer das Bauwerk für einen bestimmten Zweck verwenden möchte. Er muss daher damit rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderung des Bauwerkes ergeben kann (BGHZ 62, 331, 335 - Schulerweiterung ; BGH, GRUR 2008, 984 Rn. 38 - St. Gottfried). Danach sind öffentliche Interessen an der Veränderung eines öffentlichen Zwecken dienenden Bauwerks in die Interessenabwägung einzubeziehen, wenn diese öffentlichen Interessen zugleich eigene Interessen des Eigentümers sind.
8
4. Keine grundsätzliche Bedeutung hat ferner die Frage, ob und in welcher Weise ein Planfeststellungsbeschluss, der eine Beeinträchtigung des urheberrechtlich geschützten Werkes vorsieht, in die urheberrechtliche Interessenabwägung einbezogen werden darf. Auch diese Frage ist nicht klärungsbedürftig. Die Interessen des Urhebers und des Eigentümers dürfen zweifellos auch dann bei der urheberrechtlichen Interessenabwägung berücksichtigt werden , wenn sie im Planfeststellungsverfahren berücksichtigt worden sind. Die Frage, ob ein Planfeststellungsbeschluss für die urheberrechtliche Interessenabwägung Bindungswirkung hat, ist nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat die Frage ausdrücklich offengelassen, ob der Planfeststellungsbeschluss die Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche verhindert.
9
5. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
10
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm Pokrant Büscher
Schaffert Koch
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 20.05.2010 - 17 O 42/10 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 06.10.2010 - 4 U 106/10 -
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)