Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Sept. 2010 - 4 StR 395/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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- 1. Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen leidet der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F 20.0), die mit ängstlich-depressiven Stimmungsveränderungen, wahnhaften Erlebnisweisen , Denkstörungen sowie ausgeprägtem sozialem Rückzug und Antriebsstörungen einhergeht. Seit dem Jahre 2004 befand er sich mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung. Auf Grund seiner Krankheit kann er am Erwerbsleben nicht teilnehmen; über tragfähige familiäre Bindungen verfügt er nicht. 2006 wurde für ihn eine Betreuung angeordnet, deren Aufgabenkreis neben der Gesundheits- und Vermögenssorge auch die Aufenthaltsbestimmung umfasst. Außerdem wurde er seit vielen Jahren durch eine Betreuungseinrichtung für Menschen mit psychischen Behinderungen (PSP) in seiner allgemeinen Lebensführung unterstützt. Bisher ist der Beschuldigte nicht wegen Gewaltdelikten in Erscheinung getreten.
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- Im Zustand der durch eine akute psychotische Episode seiner Erkrankung verursachten Schuldunfähigkeit sandte der Beschuldigte am 5. Oktober 2009 um 14.20 Uhr eine Mail an die Zeugin C. , eine ehemalige Mitarbeiterin der Betreuungseinrichtung PSP. Darin drohte er an, am nächsten Tag den Freund seiner Mutter zu erdrosseln und dann alle Frauen, Männer und Kinder, die er in der Betreuungseinrichtung vorfinden werde, zu töten; er habe sich genug Munition gekauft. Der übrige Inhalt der Nachricht ist weitgehend wirr und zeugt von einer psychischen Erkrankung des Beschuldigten. Die Zeugin C. informierte nach Erhalt der Mail Mitarbeiter der Betreuungseinrichtung, die sich an die Polizei wandten, welche Objektschutzmaßnahmen vornahm. In den Vormittagsstunden des folgenden Tages drangen Polizeibeamte in die Wohnung des Beschuldigten ein, den sie in hilflosem Zustand in seinem Bett vorfanden und in die psychiatrische Klinik verbrachten.
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- 2. Das Landgericht hat - ohne Erörterung der Voraussetzungen - den Tatbestand der Störung des öffentlichen Friedens (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB) als gegeben angesehen. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
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- Zwar drohte der Beschuldigte in seiner an die Zeugin C. gerichteten Mail die Begehung von Tötungsdelikten an; er tat dies aber nicht - wie zur Erfüllung des Tatbestands des § 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB erforderlich - in einer Weise, die zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet war.
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- a) Nach ständiger Rechtsprechung ist der öffentliche Frieden dann gestört , wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potentielle Täter durch Schaffung eines "psychischen Klimas", in dem Taten wie die angedrohten begangen werden können, aufgehetzt werden können (vgl. BGH, Urteile vom 9. August 1977 - 1 StR 74/77, NJW 1978, 58, 59; vom 2. April 1987 - 4 StR 55/87, BGHSt 34, 329, 331; Beschluss vom 19. Mai 2010 - 1 StR 148/10). Vorausgesetzt wird dabei nicht, dass eine solche Störung bereits eingetreten ist; es reicht aus, dass die Handlung zumindest konkret zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet ist (vgl. BGHSt aaO). Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die entsprechende Ankündigung in der Öffentlichkeit erfolgt. Eine Ankündigung gegenüber einem Einzelnen kann dann genügen, wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der angekündigte Angriff einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden wird, wie bei einer Zusendung an die Medien oder an einen nicht näher einzugrenzenden Kreis von Privatpersonen, von deren Diskretion nicht auszugehen ist, aber auch an einen unmittelbar Betroffenen, wenn anzunehmen ist, dass dieser sich aus Sorge um Opfer oder aus Empörung über diese Drohung an die Öffentlichkeit wenden wird (vgl. BGHSt aaO m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
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- b) Der Beschuldigte hat seine Drohung einer ehemaligen Mitarbeiterin der Betreuungseinrichtung zugeleitet, die ihn, insbesondere sein Krankheitsbild und seine allgemeine Lebenssituation, seit langem kennt. Nicht anders als in den Fällen, in denen staatliche Organe die Adressaten der Drohung sind, war auch hier zu erwarten, dass eine in der Betreuung psychisch Kranker erfahrene Person zwar Maßnahmen zur Vermeidung der angedrohten Taten veranlassen, im Übrigen aber mit Diskretion vorgehen wird, um weder die Präventionsmaßnahmen zu gefährden noch die Öffentlichkeit zu beunruhigen. Dies gilt umso mehr, als nicht nur der Kreis der Bedrohten konkret bezeichnet, sondern auch Name und Wohnort des Beschuldigten bekannt waren, so dass ein polizeilicher Zugriff jederzeit erfolgen konnte.
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- 3. Wegen des Fehlens einer Anlasstat ist die Maßregelanordnung daher aufzuheben, ohne dass es eines Eingehens auf die rechtlich bedenklichen Ausführungen zur negativen Gefährlichkeitsprognose bedarf. Gleichzeitig weist der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den Antrag der Staatsanwaltschaft zurück und setzt den Beschuldigten sofort auf freien Fuß.
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- Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
RiBGH Dr. Franke befindet sich in Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Bender
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
- 1.
einen der in § 125a Satz 2 Nr. 1 bis 4 bezeichneten Fälle des Landfriedensbruchs, - 2.
eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen des § 177 Absatz 4 bis 8 oder des § 178, - 3.
einen Mord (§ 211), Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder ein Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches), - 4.
eine gefährliche Körperverletzung (§ 224) oder eine schwere Körperverletzung (§ 226), - 5.
eine Straftat gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 232 Absatz 3 Satz 2, des § 232a Absatz 3, 4 oder 5, des § 232b Absatz 3 oder 4, des § 233a Absatz 3 oder 4, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 239a oder 239b, - 6.
einen Raub oder eine räuberische Erpressung (§§ 249 bis 251 oder 255), - 7.
ein gemeingefährliches Verbrechen in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 3, des § 309 Abs. 1 bis 4, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3, des § 316a Abs. 1 oder 3, des § 316c Abs. 1 oder 3 oder des § 318 Abs. 3 oder 4 oder - 8.
ein gemeingefährliches Vergehen in den Fällen des § 309 Abs. 6, des § 311 Abs. 1, des § 316b Abs. 1, des § 317 Abs. 1 oder des § 318 Abs. 1
(2) Ebenso wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wider besseres Wissen vortäuscht, die Verwirklichung einer der in Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten stehe bevor.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.