Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Okt. 2006 - 4 StR 354/06

published on 26/10/2006 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Okt. 2006 - 4 StR 354/06
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 354/06
vom
26. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu Ziff. 1.: besonders schwerer sexueller Nötigung u.a.
zu Ziff. 2.: Beihilfe zur sexuellen Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 26. Oktober 2006 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 28. April 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen besonders schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Den Angeklagten J. hat es wegen Beihilfe zur tateinheitlich begangenen sexuellen Nötigung und zur vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben Erfolg.
2
I. Revision des Angeklagten H.
3
Die Annahme einer vollendeten besonders schweren sexuellen Nötigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen drückte der Angeklagte H. den Kopf der Nebenklägerin "in Richtung seines Gliedes" (UA 11), weil er mit ihr auch gegen ihren Willen den Oralverkehr ausüben wollte. Wegen ihres heftigen Widerstandes gelang ihm das aber nicht, obwohl er sie mehrfach schlug und schließlich sogar ein Messer zur Hand nahm, um damit die sexuelle Handlung zu erzwingen. Auch der spätere Versuch, sie zur Duldung des Analverkehrs zu zwingen, misslang, weil die Nebenklägerin sich ihm entziehen konnte, bevor er sie mit dem Penis berührte (UA 14). Beide Male kam es demnach , wie die Strafkammer im Rahmen ihrer rechtlichen Würdigung nochmals betont (UA 24), nicht zu einem körperlichen Kontakt zwischen dem Geschlechtsteil des Angeklagten H. und dem Körper der Nebenklägerin.
5
Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen vollendeter sexueller Nötigung nicht. Der Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB erfasst nur sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten "am" Opfer bzw. solche, die das Opfer "am" Täter oder einem Dritten vornimmt, was jeweils einen unmittelbaren Körperkontakt voraussetzt (vgl. BGH NStZ 1992, 433 m.w.N.; NStZ 1996, 31, 32; NStZ-RR 1997, 292; BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 5; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 177 Rdn. 48 m.w.N.). Ein solcher ist nicht festgestellt. Dass der Angeklagte während der Nötigungshandlung den Nacken der Nebenklägerin umfasst hielt, reicht zur Tatbestandsverwirklichung nicht aus, weil das Festhalten, auch in Verbindung mit dem weiteren Verhalten des Angeklagten, nicht die sexuelle Handlung, sondern lediglich das Mittel zu deren Vornahme war (vgl. BGH NStZ 1992, 433). Soweit das Landgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung davon spricht, der Angeklagte H. habe "wiederholt das Gesicht seines Opfers gegen seinen entblößten Penis gedrückt" (UA 24), soll damit ersichtlich nur ausgedrückt werden, dass er das Gesicht in Richtung des Geschlechtsteils bewegt habe. Falls damit gemeint sein sollte, dass es zu einer Berührung gekommen sei, stünde dies im Widerspruch zu den vorstehenden Feststellungen. Auch in diesem Fall würde es an einer tragfähigen Grundlage für eine Verurteilung wegen vollendeter sexueller Nötigung fehlen.
6
Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Körperverletzung (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
7
Der Senat hebt die Verurteilung des Angeklagten H. wegen gefährlicher Körperverletzung ebenfalls auf. Zwar weist diese an sich keinen Rechtsfehler auf; es ist aber nicht auszuschließen, dass der neu entscheidende Tatrichter auf Grund neuer Feststellungen zum ersten Tatkomplex zu einer anderen Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den Taten II 2 a und II 2 b der Urteilsgründe gelangt.
8
II. Revision des Angeklagten J.
9
Die rechtsfehlerhafte Annahme einer vollendeten sexuellen Nötigung durch das Landgericht und die Aufhebung der tateinheitlich begangenen Körperverletzung bedingen auch die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten J. .
10
Soweit dessen Revision darüber hinaus rügt, das Landgericht habe zu Unrecht in dem Verhalten des Angeklagten eine die Tat des Mitangeklagten fördernde Beihilfehandlung gesehen, deckt sie, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten J. auf. Dieser hat die Tat des Mitangeklagten dadurch gefördert, dass er diesen mit dem Tatopfer in seinem Pkw zu einsamen, für die beabsichtigte Tatausführung geeigneten Örtlichkeiten fuhr und die Nebenklägerin mehrfach zur Aufgabe ihres Widerstandes aufforderte (UA 11).
11
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
12
Sollten sich wiederum keine Feststellungen dazu treffen lassen, dass die sexuelle Nötigung bereits vollendet war, wird das Landgericht eine Verurteilung des Angeklagten H. wegen versuchter besonders schwerer Vergewaltigung zu prüfen haben (vgl. BGH NStZ 1998, 510, 511; vgl. auch Tröndle/Fischer aaO § 177 Rdn. 77 m.w.N.). Dabei wird es sich auch mit der Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Vergewaltigungsversuch auseinandersetzen müssen. Die bisherigen Ausführungen lassen nicht hinreichend deutlich erkennen, inwieweit aus der Sicht des Angeklagten H. der Durchsetzung des erstrebten Oralverkehrs ein für ihn zwingendes Hindernis entgegenstand. Dass der Angeklagte H. sein ursprüngliches Vorhaben deswegen nicht weiter verfolgte, weil er sich nunmehr zur Tötung seines Opfers entschlossen hatte, würde der Freiwilligkeit des Rücktritts vom Vergewaltigungsversuch nicht entgegenstehen. Nach ständiger Rechtsprechung ist dazu nicht erforderlich, dass der Täter aus einem sittlich billigenswerten Motiv von der Durchführung der Tat absieht (BGHSt 35, 184, 186 m.w.N.).
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Solin-Stojanović
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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Verursacht der Täter durch den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177) wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.